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Kitabı oku: «Mutter Job», sayfa 6

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Die überwältigte Frau konnte vor glückseliger Rührung nicht sprechen; sie sank zur Erde und umfaßte weinend die Kniee ihres Wohlthäters; doch dieser, selbst tief bewegt, machte ihre Hände los und ging zum Saal hinaus, indem er ein freundliches und herzliches Lebewohl flüsterte. Der Lakey trat hinein und hielt sich kerzengerade und still, bis Mutter Job, etwas von ihrer übermäßigen Freude zu sich gekommen, ihm sagte:

»Ach, Freund, was habt Ihr für einen guten Herrn! Gott ist gerecht: er wird es ihm ewig im Himmel lohnen!«

»Hab ich es nicht gesagt?« antwortete der Bediente. »Aber kommt, Frau; mein Herr hat mir befohlen, Euch nach dem Gitter zu geleiten; die geringste Zögerung in der Ausführung seiner Wünsche erbittert ihn. Mein Herr ist so nervenschwach! Es ist eine traurige Krankheit . . . «

»Ich werde alle Tage für ihn beten,« sagte Mutter Job. »Er krank? Solch’ ein Mann? Ach, es wird schon besser werden!«

Ohne noch weiter zu reden, brachte der Bediente sie an’s Thor, wünschte ihr glückliche Rückkehr und drehte sich um.

Einige Schritte weiter stand Bauer Mols mit seinem Wanderstab in der Hand. Er hatte seine Geschäfte mit dem Gärtner abgemacht, und da er wußte, daß Mutter Job noch auf dem Hof war, hatte er sie erwartet, um mit ihr zusammen eine Strecke Wegs bis zu seinem Hof zurückzulegen.

»Nun, habt Ihr den Baron gesehn?« fragte er, »Wie ist’s Euch gegangen?«

»Pfui, schämt Euch!« antwortete Mutter Job erbittert. »So viel Schlechtes zu reden wagen von einem solchen Menschen! Ein Engel von Güte!«

»Ja, ja, ich weiß es wohl«, lächelte der Andere. »Ihr habt ihn in seiner guten Laune getroffen und darum war er ein Engel. Kommt morgen wieder, und Ihr findet auch noch einen Engel; aber es wird ein schwarzer sein . . . Fangt Ihr schon wieder so zu laufen an wie heute Morgen? Jetzt habt Ihr’s doch nicht mehr so eilig?«

»Noch eiliger, noch eiliger! Gebt Euch keine Mühe, Bauer Mols. Ich glaube, ich habe Flügel! Lebt wohl, lebt wohl bis auf Sonntag!«

»Lauft denn in Gottes Namen allein!« rief der Bauer, ihr nachsehend, während sie mit wunderbarer Schnelligkeit hinter der Ecke der Allee aus seinem Blick verschwand. Als Mutter Job eine Viertelstunde lang in ihrem Eifer so recht schnell gegangen war, blieb sie stehn, als schösse ihr ein Gedanke durch den Kopf. Sie steckte die Hand zwischen ihr Halstuch und schien da etwas zu suchen. Ein Angstschrei entfuhr ihr; und ihre Wangen, wie glühend auch, wurden kreideweiß. Aber ebenso schnell entfuhr ihr ein ein neuer Schrei, der wie ein Freudenton über das herumstehende Gestreuch schallte.

»O, Gott, ich glaubte: ich hätt’ es verloren!« seufzte sie, noch zitternd von der doppelten Gemüthsbewegung. »Ach, nein, hier ist sie noch, die glückselige Schrift!«

Sie hielt den Blick bewundernd auf die Zahlungsanweisung des Barons gerichtet und murmelte bei sich:

»Was der menschliche Geist doch erfindet! Dies Stückchen Papier? Es ist dreißig Tausend Franks werth? Das Leben meines Sohnes, die Ehre, das Glück einer ganzen Familie! . . . Ach, aber ich vergesse: ich habe Athem geschöpft; ich muß fort; die Post wird vielleicht noch nicht vorbei sein. Vorwärts! Vorwärts!«

Und wieder gings wie im Sturm fort durch den Staub. Die Sonne brannte, ihre Kräfte begannen abzunehmen, aber sie eilte ohne Rast weiter, von Zeit zu Zeit Hugo’s Rettung aus dem Busen ziehend, um aus einem einzigen Blick auf diese Zauberschrift neue Kraft und neuen Muth zu schöpfen.

Endlich nahm sie den Thurm ihres Dorfes wahr. Aber, ob jetzt die Ermüdung sie überwältigt hatte, oder ob dieser Anblick ihre Nerven zu sehr erschütterte, sie begann zu wanken und sah sich bald genöthigt, mit der Hand sich an einen Baum zu lehnen.

Eine kurze Weile blieb sie in dieser Haltung stehn, bis sie sich wieder etwas erholt hatte. Dann erhob sie ihr Haupt, schaute lächelnd nach dem Thurm und rief:

»Muth, Muth . . . Hugo . . . die Post . . . Vorwärts, vorwärts!« Und sie verließ den Baum, um aufs Neue in der Richtung ihrer Wohnung zu eilen.

»Ach, Gottlob!« rief sie, das Papier in die Höhe haltend, als sie in das Zimmer sprang, wo ihr Mann und Rosina sich befanden. »Der Baron hat eingewilligt und uns das Geld geliehen. Seht, ich hab’ sie, die dreißig Tausend Franks! Seine Erlösung, seine Ehre, unser Glück! Da, da, Job, du bist angezogen; die Post kommt; schnell, geh nach der Stadt, bringe Hugo dies Papier!«

Sie gab ihrem betroffenen Gatten den Zettel in die Hand und eilte jubelnd zum Bett von Engelbertchen. Die Augen des Kindes waren etwas geöffnet und es suchte zu lächeln, wie sehr auch sein Gesichtchen noch geschwollen war.

»Hab’ ich es nicht gesagt? Es wird gesund werden! Ach, Du lachst, mein unschuldiges Kind!« schrie sie, indem sie einen feurigen Kuß auf Engelberts Lippen drückte. Aber schnell sprang sie wieder auf und sah ihrem Mann mit fragender Verwunderung in die Augen.

Dieser, der noch nicht ausgestanden war, brummte ärgerlich:

»Ich soll zu Hugo gehn? Ihm das Erbtheil meiner übrigen Kinder bringen? O, ich werde mich dort zu sehr ärgern. Nein, ich thu’ es nicht.«

»Gib her! Gib her!« rief Mutter Job. »Ich werde gehen!«

»Du, Du wirst krank werden. Heißt das laufen? Du stehst ja ganz in Gluth . . . «

»Das bleibt sich gleich; es ist keine Zeit mehr. Komm, gib her, daß ich abreise.«

»Dann will ich noch lieber selbst gehen,« murrte Baas Job, »ich kann aber den Schlagfluß davon bekommen!«

Unter dem Murmeln einiger anderer bitterer Worte lief er zur Thür hinaus.

Rosina flog ihrer Mutter an den Hals und schrie mit ausgelassener Freude:

»O, Mutter, ist es wahr; ist Hugo gerettet?«

»Gott ist gut, mein Kind,« jauchzte die Mutter. »Hab’ nur Hoffnung, Rosina, es soll noch wohl besser werden!«

VI

Anstatt sich der Bitte seiner Frau zu Folge, in aller Eile nach der Chaussee zu begeben, ging Baas Job trägen Schritts und brummte bei sich über das Schicksal das ihn verfolgte.

Mit seinen wüthenden Gedanken und ungeduldigen Gebärden hätte er beinahe vergessen, daß ihm nicht zu viel Zeit übrig blieb, um den Personenwagen zu erreichen; glücklicherweise ließ sich das Knallen der Peitsche in der Stille der Felder aus weiter Ferne hören und weckte ihn aus seiner Zerstreutheit.

Er stampfte mit dem Fuß in den Staub und rief aus:

»Ja, ich konnt’ es wohl denken! Nun wird er vorbei sein, ehe ich die Chaussee erreiche. Ich habe den Personenwagen nöthig; darum kommt er heute viel zu früh.«

Er fing gleichwohl an zu laufen und eilte vorwärts, indem er seinen Gang immer mehr beschleunigte, je mehr er merkte, daß der Personenwagen ihn überholen würde. Was ihn besonders besorgt und ärgerlich machte, war der Anblick vieler Personen, sogar Frauen, die oben auf dem Wagen saßen und gewiß aus Mangel an Platz inwendig hoch gestiegen waren. Wahrscheinlich würde man ihn also nicht mitnehmen können. Nach der Ansicht des Baas Job war dies etwas ganz Außergewöhnliches; nur weil er diesen Tag so dringend einen Platz bedurfte, mußte natürlich keiner übrig sein.

Keuchend und von Schweiß triefend kam der Brauer noch bei Zeiten, um sich mit offnen Armen vor die Pferde des Personenwagens zu stellen und so den Fuhrmann zum Stillhalten zu zwingen.

»Unmöglich!« ward ihm geantwortet, »es kann keine Katze mehr hinein!«

»Ich soll und muß mit«, rief Baas Job, »oder ich setze in meinem Leben wieder keinen Fuß mehr in Euren Wagen.«

»Kommt, wir wollen sehn, ob die Leute da drinnen ein klein wenig zusammenrücken wollen,« sagte der Fuhrmann, der von seinem Tritt schritt und das Fuhrwerk öffnete.

»Ihr Herren, hier ist jemand, der absolut nach der Stadt muß. Sollte es nicht möglich sein, ein Bisschen Platz zu machen für den Brauer von Wispelbeck?«

»Ein Brauer!« rief ein Soldat mit starkem Knebelbart. »Wahrscheinlich so dick als ein Bierfaß. Das geht nicht; wir werden hier so schon plattgedrückt, wie gepackte Häringe.«

Ein Weib, das einen Soldatenhut trug und ein Jenerverfäßchen auf dem Schooße liegen hatte, steckte den Kopf heraus und rief:

»Nein, nein, Korporal, es ist nur ein magerer Brauer. Die Menschen müssen einander helfen; ich werde mich etwas kleiner machen. Kommt herauf, Mann, setzt Euch neben mich . . . «

Baas Job zog ein Gesicht voll bitterer Verachtung und indem er sich zu weigern schien, hinauf zu steigen, murmelte er:

»Wenn die Soldaten in der Kutsche fahren, dann muß der Bürger wohl zu Fuß gehn. Buh, welche Gesellschaft! Zwischen den ungehobelten Kerls! Da bleib’ ich lieber zu Hause!«

»Heda! Was schwatzt der Lump da von ungehobelten Kerls?« polterte der Korporal mit drohender Faust. Mag es nur herein zu kommen, undankbarer Brauer, ich werfe Dich zum Fenster wieder hinaus, so wahr ich Eisenarm heiße!«

Der Brauer wollte gegen den Korporal in grimmigen Worten losfahren, aber der Fuhrmann packte ihn mit seinen starken Händen, stieß ihn ins Fuhrwerk hinein und schloß die Thüre hinter ihm zu.

Sogleich hörte man harte Worte und bittere Klagen, worin sich die Stimme der Marketenderin und das Gekreisch eines Kindes mischten . . . aber der Fuhrmann sprang, ohne auf all den Lärm zu achten, auf den Bock und trieb die Pferde weiter.

Ohne Zweifel hatte Baas Job während der kurzen Reise im Personenwagen keine angenehmen Stunden verlebt; – denn als das Fuhrwerk am Stadtthor still hielt, um von den Steuerbeamten durchsucht zu werden, sprang Baas Job heraus, rief dem Fuhrmann zu, er wolle morgen schon bezahlen und lief in aller Eile in die erste beste Straße hinein, um dem Anblick seiner Reisegefährten zu entgehen.

Sobald er sich in dieser Hinsicht gesichert glaubte, blieb er stehn und klagte unter verzweiflungsvollen Gebärden:

»Behext! Ich bin behext! In zehn Jahren wird es nicht einmal vorkommen, daß der Personenwagen voll Soldaten steckt – und was für Soldaten! Aber ich brauche nur den Fuß hineinzusetzen! Stundenlang ausgelacht, zermalmt, gestoßen, zermahlen werden . . .  Der Kopf platzte mir bald bei dem entsetzlichen Geschrei des Soldatenkindes . . . und dann beinahe sich duellieren müssen mit einem Korporal, der Eisenarm heißt und Jenever trinkt daß man davor zittern möchte! – Wenn ein einziger Stein in der ganzen Stadt fallen müßte, er fiele sicherlich auf meinen Kopf. Und dabei hat man denn noch zu Hause eine Frau, die über Alles lacht und nichts Anderes zu sagen weiß als: es wird schon besser werden! Ja, ja, wenn es so fort geht mit dem Besserwerden, dann weiß Gott, was daraus noch werden soll!«

Dann rang er die Hände und murmelte mit leiser Stimme:

»Ich bin mein Leben müde; müßt’ ich sterben, ich glaube, ich würde nicht viel drum geben. So zum Unglück geboren sein, es ist um närrisch zu werden vor Grimm . . . Und ach, ich falle aus einer Grube in die andere. Jetzt muß ich gehn und mich selbst und meine Kinder arm machen; mit meinem und ihrem Elend die Betrügerei eines heuchlerischen Marktschreiers und die Dummheit eines unbesonnenen Sohnes bezahlen. Solche Dinge passieren Niemanden als mir allein! Es wird nicht eher besser werden, als bis ich todt bin.«

Und kopfschüttelnd sprang er vorwärts, mit so seltsamen Gebärden, daß die Vorübergehenden ihm verwundert nachsahen und zu einander sagten:

»Der Mann ist unklug!«

Als er an die Thüre von Hugo’s Wohnung kam, fand er sie halb essen stehn. Er trat brummend hinein und suchte noch saurer und grimmiger auszusehn als gewöhnlich, um seinem Sohn zu zeigen, daß er keineswegs geneigt wäre, seine Unvorsichtigkeit zu schonen.

Beim Erscheinen seines Vaters im Comptoir, wo noch ein Commis saß, ward Hugo blaß vor Ueberraschung, obwohl zugleich ein freudiges Lächeln in seinen Augen glänzte.

»Na, was geht hier Alles vor?« fragte Baas ob mit strengem Blick. Aber Hugo führte ihn, einen Gruß murmelnd, in ein anderes Zimmer, schloß die Thür zu und wollte dann seinem Vater um den Hals fallen. Dieser wehrte aber diese liebevolle Umarmung ab und sprach in bitterem Ton:

»Laß bleiben; seht ist keine Zeit für solche Sachen. So, so? Du hast Dich betrügen lassen? Wie ein Thor Dich bestehlen lassen . . .  und mich und Deine Mutter und Rosina und Engelbert arm gemacht? Das ist also der Lohn für Alles, was wir für Dich gethan haben?«

»Ach, lieber Vater,« sagte Hugo bittend, »sprich doch nicht so zu mir. Ich bin nicht Schuld am Unglück. Wüßtest Du, was ich gelitten habe seit diesen wenigen Tagen! Siehst Du nicht auf meinem Gesicht, daß Schreck, Angst, Schmerz mich verzehren! O, von dem verhängnißvollen Augenblick an habe ich mein Bett noch nicht gesehn. Tröste mich . . . oder überlasse mich meinem Unglück. Um Gottes willen, mach’ mich nicht unglücklicher.«

»Ich werde Dich wohl noch loben sollen?« murmelte Baas Job mit Bitterkeit. »Unbesonnener und bis zum Kindischen Einfältiger! Das will Handel treiben! Wärst Du lieber Bauer geblieben und wärst Du Dein Leben lang hinter dem Pflug gelaufen! Ach, Du meinst, daß es hinreicht, zu sagen: es ist ein Unglück? Nein, es ist eine Dummheit, ein sorgloses Vertrauen auf das Schicksal; derselbe blinde Glaube an das Glück, den Deine Mutter Dich gelehrt hat mit ihrem immerwährenden Sprüchelchen: es wird schon besser werden. Und seh’ ich es nicht sogar in diesem Augenblick an Dir? Du bist unglücklich, arm, von Allem beraubt – und Deine so prächtige Kleidung könnte nicht allein zu dem >Glauben führen, daß du im Wohlsein schwimmst, sondern noch dazu Lust und Freude hast am Leben!«

Hugo saß wie zermalmt mit gebogenem Haupt vor seinem Vater, er mußte sich Gewalt anthun, um nicht in Thränen auszubrechen. Bei dem letzten Vorwurf über die prächtige Kleidung stieg ein äußerst schmerzlicher Seufzer aus seinem beklommenen Busen empor. Mit leiser geduldiger Stimme antwortete er:

»Vater, Du irrst Dich. Ich habe meine Handelsangelegenheiten mit Fleiß, mit Liebe, selbst mit frohem Stolz erwogen und besorgt. Aber wer konnte es wissen oder vermuthen? Walter galt bei Jedermann als Muster der Ehrlichkeit; er schien die Aufrichtigkeit selbst. Haben wir uns nicht allzumal in ihm getäuscht? Warum sollte ich allein mehr Verstand und mehr Scharfsinn im Voraussehn haben als alle andern? Glaube mir, ich wiederhole es: ich bin unschuldig. Es ist möglich, daß mir einige zum Handel erforderliche Eigenschaften fehlen; aber ich habe gleichwohl die tröstliche Ueberzeugung, daß ich, um meine Stellung gut auszufüllen, alle Mittel angewandt habe, die Gott in seiner Güte mir geschenkt hat.«

»Wenn Deine Worte Geld wären,« scherzte Baas Job bitter, »es würde eine schöne Münze sein, wahrlich!«

»Und meine Kleider, die Du prächtig nennst, weil sie sorgfältiger noch als gewöhnlich geordnet sind?« fuhr Hugo mit tiefem Ton fort, »o, Vater, sie brennen mir auf dem Leibe. Jedesmal« so oft ich mein Auge darauf hefte, bebt mir das Herz vor Scham . . .  Denn diese Kleider, siehst Du, Vater, sind Heuchler, sie betrügen. Sie müssen wirklich glauben machen, daß das Glück mich nicht verlassen hat!«

»Wie?« rief der Brauer aufbrausend aus. »Nicht genug, daß Du unglücklich bist? Du machst Dich des Betrugs schuldig? Das will ich nicht, hörst Du? Glaubst Du Dich durch dies Mittel zu retten, dann sinke lieber noch tiefer in den Abgrund des Elends, aber halte Deine Seele und Dein Gewissen rein!«

»Du irrst Dich über meine Absichten, Vater. Ich hatte noch einige Hoffnung behalten, daß ich irgendwo das nöthige Geld würde finden können, um die verfallenen Wechsel zu bezahlen. So hätte ich das Bestehen meines Geschäftes verlängert und auf Hilfe auf unvorhergesehenen Beistand warten können. Ein Mensch darf doch die Hoffnung nicht aufgeben, so lange noch ein Dämmerlicht vor seinen Augen scheint. Wenn ein Kaufmann sein kommendes Unglück durch irgend etwas durch das mindeste Zeichen verräth, so geht das Vertrauen der Leute von ihm weg und er fällt durch den allgemeinen Argwohn, selbst, wenn ihm die Mittel nicht fehlen, sich zu retten. Ich mußte folglich meine Lage verbergen, unbekümmert scheinen, lachen, heiter sein, von Außen mich mit dem Schein des Wohlstandes umringen, obschon im Innern mir das Herz zersprang vor Furcht und Trauer.«

»So? Du hast noch Mittel, um Deine Gläubiger zu befriedigen?« fragte Baas Job verwundert.

»Nein, nun ist es zu spät!« seufzte Hugo. »Morgen werden die verfallenen Wechsel zur Bezahlung präsentiert. Meine Kasse ist leer!«

»Und dann?«

»Ach« Vater« dann wird das Gericht sich damit bemühen. Es sind in unsern Handelsbüchern Posten offen geblieben, deren Betrag Walter ohne mein Wissen erhoben hat. Noch andere Unregelmäßigkeiten oder eher Verfälschungen wird man darin entdecken. Man wird,mich festnehmen und gefangen setzen als verdächtig wenigstens der Mitschuld an einem betrüglichen Bankerott . . . «

»Gott, Gott! Ein Job, mein eigener Sohn im Gefängniß! Eine ewige Schande für alle meine Kinder!«

»Nein, Vater,« sprach Hugo zärtlich seine Hand ergreifend, »verzweifle nicht so sehr an der menschlichen Gerechtigkeit. Ich habe die Beweise von Walters Betrug gesammelt, einem guten, mir befreundeten Advokat meine wahre Lage mitgetheilt und mit ihm darüber berathschlagt. Er macht sich anheischig, sonnenklar meine Unschuld zu beweisen. Laß mich nur in’s Gefängniß gehen, betrübt Dich nicht zu sehr; tröste meine arme Mutter und laß uns alle zusammen hoffen, daß Gott zuletzt ein barmherziges Auge auf mich richten wird.«

Jetzt erst sprangen Tränen aus Hugos Augen; er faltete die Hände zusammen und bat:

»Ach, sage mir, Vater, daß Du mich nicht länger beschuldigst. Daß Du mir mein Unglück vergibst! Der Gedanke, daß ich, nicht die Schuld, aber die Veranlassung bin von dem Verlust, den Du und meine Mutter erlitten habt, hat mir in den traurigen Nächten so viele Thränen entpreßt, daß ich fast nicht mehr weinen kann; – aber Deine Erbitterung gegen mich lastet mir schwerer auf dem Herzen, als die Furcht vor der Schande! O, das größte Unglück, das mir widerfahren kann, ist: zu wissen, daß mein Vater mich für schuldig hält. Wenn Du Dich weigerst, mich zu schonen, wie soll ich auf die Freisprechung von Seiten der Richter hoffen, die mir fremd sind?«

Er warf sich mit diesen Worten an seines Vaters Brust und rief:

»Um des Himmels willen, erhalte mir nur wenigstens Deine Liebe!«

Baas Job, der sein väterliches Gefühl lange mit Gewalt unterdrückt hatte, ward plötzlich durch Mitleiden überwältigt. Er schwieg; aber heiße Thränen flossen aus seinen Augen und benetzten die Stirn seines Sohnes, der an seiner Brust lag.

»Hugo,« sagte er, indem er seine Arme um seinen Hals schlang, »Kind, ich vergebe Dir. Es ist Deine Schuld nicht. In der That, mein Schicksal, das Unglück, das auf mir lastet seit meiner Geburt, hat Dich getroffen. So mußte es sein, es ging nicht anders! Steh auf, Hugo; in’s Gefängniß sollst Du nicht; ich bringe Dir die dreißig Tausend Franks, die Dich retten müssen!»

Zitternd sah Hugo seinen Vater an, der ein Papier aus seiner Tasche zog und es seinem Sohne darbot, indem er sagte:

»Es ist das Letzte, was wir besitzen. Nun sind alle unsre Grundstücke verpfändet – aber Deine Ehre wird gerettet sein. Bedenke, Hugo, daß dies mein Schweiß und das Erbtheil Deiner Schwester und Deines Bruders ist. Kennst Du, ohne Betrug, etwas davon behalten, spar’ es doch aus Liebe zu Deiner Mutter . . . Da, nimm die Hilfe an; sie ist Dir von Herzen gern gewährt.«

Hugo schloß seinen Vater in die Arme und flüsterte feurige Worte des Dankes.

»Nun, nimm nur diese Schrift!« sprach der Brauer, »es ist eine Zahlungsanweisung auf ein Bankhaus.«

Der Jüngling sah seinen Vater mit sonderbarem Ausdruck an und schüttelte sich weigernd den Kopf.

»Was bedeutet das?« fragte Baas Job, »nimmst Du den Beistand nicht an?«

»Nein« ich nehm’ ihn nicht an,« antwortete Hugo mit der Ruhe eines festen Willens. »Ich hab’ das Recht nicht, ihn anzunehmen. Wie? Für meinen Vortheil, zur Bewahrung meiner Ehre sollte ich die einzigen Existenzmittel meiner Eltern und das übrigbleibende Erbtheil meiner Schwester und meines Bruders aufopfern? Euch Alle arm und nothleidend machen, um zu büßen für das Verbrechen eines Andern, wovon ich das erste und unglücklichste Opfer bin?«

»Du sollst unsre Hilfe annehmen!« gebot der Vater.

»Nein!« wiederholte Hugo, »nein! die Liebe, die Ihr mir bezeigt, macht meine Pflicht noch zwingender; sie hat mir Muth und Kraft gegeben, mir Hoffnung und Vertrauen eingeflößt. Ueberlaß mich meinem Schicksal, behalte die Früchte Deines Schweißes. Ach, sei sicher, ich werde nicht mehr trauern; vor dem Gericht selbst werde ich mich Deiner Güte erinnern und mit erhobenem Haupte das Urtheil abwarten, das über meine Zukunft entscheiden muß. Nein, nein Vater, gib Dir weiter keine Mühe; ich werde solch einen hohen Blutpreis für meine menschliche Ehre nicht geben!«

Baas Job hatte sich dieses Widerstandes nicht versehen. Bei der festen Entschlossenheit seines Sohnes begann er zu fürchten, daß diese wirklich unüberwindlich bleiben könnte. Anstatt darüber ungeduldig zu werden, wurde er im Gegentheil immer weicher und milder; und nur mit scheinbarer Strenge fragte er:

»Und wenn ich es Dir nun geböte? Wenn ich es forderte, kraft meiner väterlichen Hoheit über Dich?«

»Ich würde denken, Vater, daß allein Deine Liebe mir den Befehl gibt, und aus Liebe zu dir und zu meiner Mutter würde ich mich eben unveränderlich weigern. Begreifst Du denn nicht, Vater, daß das Leben mir eine Hölle werden würde, wenn ich Tag für Tag zu berechnen hätte, welche Noth, welches Elend Ihr Alle um meinetwillen würdet zu leiden haben? Ich bitte Dich, bitte mich nicht länger darum. Laß mich doch in Frieden mit meinem Herzen und meinem Gewissen. Nein, nein, es darf nicht sein!«

»Hugo,« sagte der Brauer mit einem ruhigen und feierlichen Ton, der an ihm ungewöhnlich war. »Denke an Deine Mutter! Sie hat, um dies Geld zu Deiner Rettung zu bekommen, gebeten, gefleht, gekniet vielleicht. Stunden weit hat sie diese Hilfe gesucht: und ist, als sie sie erhalten hatte, vor Freuden so gelaufen, daß sie davon ernstlich krank werden kann. Für sie war Deine Ehre mehr als ihr Leben; in dem Unglück, das uns Alle trifft, dankte sie Gott mit erhabenen Armen, weil er ihr doch vergönnt hätte, Dich vor Schande zu bewahren. Komm’ ich nun zu Hause mit den Worten: Hugo hat sich geweigert, Hugo wird morgen ins Gefängniß kommen; Mutter, Dein Sohn ist für immer entehrt?«

»Gnade, Gnade!« jammerte der Jüngling.

»Wie gräßlich wird der Schlag sein, der sie treffen wird! Komm, Hugo, aus Liebe zu Deiner guten Mutter, nimm das Geld an: stoß unsere Hilfe nicht zurück! Wir werden arm sein, ja; aber wir werden arbeiten; – und, wer weiß? es wird vielleicht wirklich doch noch einmal besser werden.«

Bebend stand der Jüngling da mit ausgestreckter Hand, als zögerte er noch, das Papier zu ergreifen.

Der Brauer faltete die Hände und bat:

»Nun, Hugo, mein Sohn, nimm Deine Rettung an: ich, Dein Vater, bitte Dich!«

»Wohlan! Gott vergönne mir ein langes Leben,« rief Hugo, »damit ich für Deine Güte möge erkenntlich sein! O, Vater, Dank, Dank für Deine grenzenlose Liebe!«

Er nahm die Anweisung aus seines Vaters Händen, indem er die feurigsten Dankbezeugungen wiederholte. Dann begann er nach dem Zustand von Engelbertchen zu fragen, dessen Erkranken er durch seinen Knecht erfahren hatte; ferner sprach er von seiner Mutter und von Rosina. Sein Vater, durch die Gemüthsbewegung ermattet, und in der Meinung recht zu handeln, wenn er seinem Sohne Zeit und Freiheit gönnte, seine Angelegenheiten zu besorgen, wollte nicht länger bleiben. Er versprach, gegen Ende der Woche noch einmal nach der Stadt zu kommen und nahm dann einen tröstlichen und fast heitern Abschied von ihm.

Noch niemals in seinem ganzen Leben hatte Baas Job seinen Sohn so mild und so zärtlich umarmt als diesen Tag; und weit entfernt sauer zu seyn und zu trauern. lächelte er jetzt mit unumwölkter Herzensfreude, während er aus Hugo’s Wohnung auf die Straße schritt, um sich nach Wispelbeck zu begeben. Er ging geraden Haupts und mit leichtem Schritt, als dächte er, ein Glücksbote zu sein.

Dennoch, als er außerhalb der Stadt auf der einsamen Chaussee nach Wispelbeck eilte, begann er abwechselnd den Kopf zu schütteln und allmälig sank eine düstere Wolle des Nachdenkens über sein Gesicht.

Durch die ergreifenden Worte Hugo’s erschüttert, hatte der Brauer sein verdrießliches Temperament einen Augenblick niedergehalten gefühlt; aber die Straße, die er jetzt verfolgte, sollte ihn ja wieder zu seiner Gattin bringen! In ihrer Gegenwart durfte er doch nicht heiter scheinen! War ja doch nichts in seiner beklagenswerthen Lage verändert. Noch lag er gebeugt unter den wiederholten Schlägen des Schicksals: Armuth für sie Alle, eine lebenslängliche Trauer für seine Rosina, eine zerstörte Zukunft für seinen Sohn; – und für seinen Liebling, für Engelbertchen, vielleicht ein schmerzlicher Tod! – Solche Betrachtungen brachten Baas Job in seine gewöhnliche griesgrämige und verzweiflungsvolle Stimmung hinein.

Als er aus der Ferne den Thurm von Wispelbeck wahrnahm, war er schon so tief in seine düstern Gedanken hineingerathen, daß er unter traurigen Worten und Gebärden sich auf die Brust schlug und es dem Himmel bitterlich klagte, daß er als ein Unglückskind für Widerwärtigkeiten geboren schien.