Kitabı oku: «Mutter Job», sayfa 5
Baas Job ging mit dem Notar nach der Thür.
»Ach, bleib doch hier!« bat seine Gattin.
»Nein, nein!« antwortete er ergrimmt. »Das kann nicht so bleiben. Ich will wissen, was hinter der Flucht des Gabriel steckt. Wie? Man soll den guten Ruf meiner Tochter beflecken und ich soll es, wie ein Feigling, in der Stille verschmerzen? Das werden wir sehn. Wir haben noch allein mit einander zu reden, Notar!«
Und mit diesen Worten warf er die Thür hinter sich zu, – aber unmittelbar darauf hörte man wieder seine Stimme.
»Kommen Sie, Doktor, kommen Sie,« sagte er, »Sie sollen mir sagen, was ich hoffen darf oder fürchten muß; aber aufrichtig, nicht wahr? Schonen Sie mich nicht. Ich weiß, daß das Schlimmste allein mir beschieden sein kann.«
Der Arzt war ein Mann von kleiner Figur, ganz schwarz gekleidet und mit einem seinen Gesicht, ernsthaft, traurig unbeweglich.
Er nahte mit feierlichem Schritt und geheimnißvoller Stille dem Bette des Kindes, befühlte seinen Puls, berührte mit dem Finger seine Wange und lauschte aus sein Athemholen.
Mutter Job hatte den Kopf erhoben und beobachtete des Arztes Gesicht, um zu sehen, ob sie keine Bewegung; darauf überraschen könnte. Sie blieb jedoch sitzen.
»Nun, was muß ich fürchten?« fragte Baas Job, nachdem er einige Zeit gewartet hatte.
Der Doctor schwieg.
»Sprechen Sie, unmenschlicher Quäler!« rief der Brauer, zitternd vor Ungeduld.
Statt aller Antwort hob der Arzt die Schultern in die Höhe und schüttelte mit übler Vorbebeutung den Kopf.
»Ach, nicht wahr, er wird sterben?« schrie der erschrockene Vater.
»Das sag’ ich nicht!« murmelte der Doctor.
»Aber, um Gottes Willen, was sagen Sie denn?«
»Er kann sterben; alles ist möglich, aber . . . «
»Ach, mein armes Engelbertchen! Nun frag’ ich nach nichts mehr. Will der Himmel selbst auf mich niederfallen; ich bin bereit.«
»Es kann auch gesund werden,« fügte der Doktor seiner vorigen Bemerkung hinzu.
»Es kann sterben, es kann gesund werden!« wiederholte Baas Job erbittert. »Das weiß der geringste Bauer. Sie müssen mit einem Vater, der am Sterbebette seines Kindes steht, keinen Spott treiben. Wird es genesen oder wird es erliegen? Das ist’s, was ich frage!«
»Gott weiß es; die Natur kann reagieren und siegen. Das Kind befindet sich in einem zweifelhaften Zustand; bis jetzt hat die Krankheit einen regelmäßigen Verlauf genommen; aber, aber . . . «
»Welches aber?«
»Aber es kann auch ein Rückfall kommen; die Natur kann ihre Kräfte erschöpft haben und ohnmächtig sein gegen die allgemeine Entnervung. Dann . . . «
»Was dann?«
»Dann schießen die Glieder voll Wasser und das Kind . . . «
»Stirbt?«
»Ja, wie Ihr sagt!«
Der Brauer stieß einen kläglichen Schrei aus; seine unglückliche Gattin sprang auf hob die Arme in die Höhe und rief jammernd:
»Mutter sein, und das Alles mit sehen und hören müssen! Doctor, Doktor, warum vergessen Sie, daß ich hier bin, ich, die ich ihn mit meiner Brust genährt habe? Ich, die ich fühle, wie sich mir das Herz vor Jammer zusammenzieht . . . und nicht weinen kann! O, Sie haben kein Mitleid! Widerrufen Sie Ihre gräßliche Vorhersagung. Sie haben es selbst gesagt: Gott allein weiß es! Warum denn sprechen Sie ein Urteil über das Kind in Gegenwart seiner Mutter?«
Ganz ruhig sagte der Arzt:
»Liebe Frau, ich antworte aus die Fragen Ihres Mannes; aber Keiner von Euch Beiden hat mich verstanden. Ach, warum unterbricht Ihr Mann meine Worte? Sie meinen, daß ich eine üble Prophezeiung thun will? Im Gegentheil!«
Baas Job kam herzugestürzt, schaute den Arzt betroffen an und rief:
»Wie, im Gegentheil? Dann wird es genesen?«
»Das sage ich auch nicht. Die Wahrheit ist: das Kind befindet sich nicht ganz außer Gefahr; morgen werd’ ich mit mehr Grund, doch nicht mit Sicherheit, Euch sagen können, was Ihr hoffen dürft.«
Er hatte unterdessen etwas in seinem Taschenbuch geschrieben. Er riß es heraus, legte es auf den Nachttisch und sprach, nach der Thür gehend:
»Alle Stunden einen Kaffeelöffel volle und wenn das Kind Durst hat, Gerstenwasser. Morgen sehr früh muß ich ausfahren, um einen reichen Kranken in der Stadt zu besuchen, ich werde hier vorbeikommen. Haltet das Kind warm, daß kein Zug von der Thür oder dem Fenster es treffen kann. Bis morgen . . . «
Baas Job sah dem Doktor nach, bis er aus dem Zimmer war. Dann begann er zu murren, zu klagen, zu fluchen. Seine Frau, die, obwohl selbst aufs Aeußerste erschöpft, ihn zu trösten suchte, stieß er von sich, lief hin und her durchs Gemach und überließ sich der völligsten Verzweiflung.
Rosina schien, in ihren Schmerz vertieft, auf die ungestümen Bewegungen ihres Vaters nicht zu achten.
Mutter Job warf einen wehmüthigen Blick auf ihre trauernde Tochter, sah voll Schmerz ihr leidendes Engelbertchen an und faltete die Hände, indem sie betend die Augen gen Himmel hob. Nach einer Weile ließ sie sich in einem Winkel des Zimmers auf einen Stuhl nieder und sank schweigend in sich zusammen, als wäre sie unter dem Gewicht ihrer Trauer erlegen.
Kaum hatte sie dort einige Minuten gesessen, so erhob sie plötzlich ihr Haupt und richtete mit lächelndem Gesicht den Blick in’s Weite. Ihre Augen strahlten vom Feuer der Hoffnung und sie bewegte die Lippen, als spräche sie frohe Worte zu sich selbst.
Ihr Mann, der beim Anblick ihrer unbegreiflichen Aufregung von Schreck ergriffen wurde, nahte ihr und sagte mitleidig:
»Ach, liebe Frau, beruhige Dich, beruhige Dich. Es wäre noch das größte Unglück, das mich treffen könnte! Freilich, es ist um verrückt zu werden, nicht wahr?«
»O, Job«, rief seine Gattin im Ton des seligsten Entzückens, »Gott hat mich erleuchtete ich hab’ das Mittel gefunden!«
»Nein, nein, bleib’ stille; Du redest irre. – Was solltest Du gefunden haben?«
»Das Mittel, um Hugo zu retten! – Irre reden, von Sinnen kommen? Eine Mutter, während alle ihre Kinder leiden und ihrer Hilfe bedürfen? Nachher vielleicht! Wer weißt Horche, ich werde Dich an etwas erinnern, das wir alle zusammen bereits vergessen hatten. Vor acht Jahren war Hugo auf der Jagd mit dem jungen Baron Van Hove, dessen Vater auf dem Schloß von Lindhout wohnt und mit noch andern Herren aus der Stadt. Der Baron war ein kecker Jüngling; er wagte sich aufs Eis mitten auf dem großen Teich und fiel in’s Wasser; das Eis war noch schwach und brach unter den Füßen derer ein, die dem Baron zu Hilfe eilen wollten. Ein einziger wagte es mit Lebensgefahr über das Eis zu kriechen und den Ertrinkenden bei den Haaren zu fassen, um ihn oben zu halten. Hugo war es; auch er fiel in’s Wasser und schwebte in Todesgefahr; aber jetzt kam man mit Leitern zu Hilfe und Beide wurden gerettet. Hugo blieb vierzehn Tage zu Bette liegen und machte eine gefährliche Krankheit durch. – Du weißt noch, wie der Vater des Barons uns allerlei Anerbietungen machte, und uns bat, ihm zu erlauben: uns oder Hugo zu belohnen. Wir schlugen zu jener Zeit Alles aus, weil uns nichts fehlte; aber jetzt werde ich ihn um den Preis von Hugo’s Leben bitten. Ihn bitten, daß er uns das nötige Geld leihe, und denjenigen von der Schande erlöse, der einmal seinen Sohn vom sichern Tode errettet hat!«
»Der junge Edelmann, dem Hugo auf dem Eise zu Hilfe eilte, ist seitdem gestorben. Sein Vater wird die Sache, wovon Du sprichst, schon lange vergessen haben. Baron? Baron? Erwarte keine Dankbarkeit von ihnen,« murmelte Baas Job, den Kopf schüttelnd.
»Ach, sie haben ein Herz wie die andern Menschen!« rief seine Gattin. »Sprich nicht so; laß mich den Muth behalten. Ich vertraue auf Gottes Güte, der mir das Mittel offenbarte.«
»Es ist eine gute Stunde von hier,« bemerkte der Brauer traurig »und gerade jetzt ist das Rad von unsrer Kalesche gebrochen. Immer Unglück, auch in den kleinsten Sachen!«
Seine Gattin war bereits beschäftigt, in aller Eile ihren Anzug zurecht zu machen.
»Ich brauche weder Wagen noch Pferd!« sagte sie. »In drei Viertelstunden werde ich den Weg zurücklegen. – »Rosina, bleib bei Engelbertchen. – Ach, der gute Gedanke! Es wird gelingen: Hugo wird gerettet sein, Engelbert wird genesen, Gabriel wird zurückkehren. Ja, ja,; habt nur Hoffnung: es wird noch Alles besser werden!«
Mit diesen Worten eilte sie aus dem Zimmer.
V
Unter der sengenden Sonnengluth eilte Mutter Job frohen Muthes vorwärts auf dem Fußweg, der sie durchs Getreide und auf die Straße nach Lindhout bringen sollte. Sie schien mehr zu laufen als zu gehen.
Keuchend vor Hast, schaute sie in die Ferne nach Bäumen oder Häusern, die ihren Weg abzeichnen konnten, und verschlang so den Abstand mit ihren Augen. Unterdessen bewegten sich ihre Lippen und vielleicht ohne daß sie es wußte, murmelte sie während des Gehens:
»Wenn ich’s hoffen dürfte! Die Post kommt den Mittag vorbei . . . Hugo würde das Geld diesen Nachmittag noch haben! Ach, warum kann ein Mensch nicht fliegen! Wenn ich zu spät käme! – Was ist es heiße es wird heute noch ein Gewitter geben! – Ach, wenn mir’s nur Gott gelingen läßt! Ja, ja, Er war es, der mir diesen letzten Versuch eingab . . . Binnen einer Stunde werde ich das Geld haben . . . O dann werd’ ich laufen, in die Post springen und meinen armen Hugo . . . «
Plötzlich verzögerte sie ihren Schritt. Ein bitterer Aerger überzog ihr Gesicht, während sie bei sich murmelte:
»Himmel! Da ist die alte Pächterin Kathrine!«
Der Fußpfad war so schmal, daß nicht zwei Menschen vorbei gehn konnten, ohne daß sich einer von Beiden auf die Seite stellte. Mutter Job bat die Alte, sie vorbei zu lassen, da sie keine Zeit habe und eine schnelle Botschaft ausrichten müßte. Diese aber versperrte ihr lachend den Weg und überschüttete sie mit einer Fluth von Fragen und Mittheilungen . . .
Mutter Job verlor die Geduld, da jeder Augenblick sich flüchtig bei der schwatzhaften Nachbarin entschuldigend.
Eine Weile lief sie förmlich im Trabe, um so schnell als möglich aus dem Feldweg in die breitete Straße zu gelangen, ohne noch jemandem von denjenigen zu begegnen, die sich von allen Seiten des Kirchspiels zum Verkauf begaben.
Schon sah sie das Ende des sich schlängelnden Fußweges, sie mäßigte ihre Schritte und glaubte, allem Aufenthalt entgangen zu sein.
Ach! Da kam ihr gerade der Schulmeister entgegen. Sie bat ihn auf’s dringendste, sie nicht aufzuhalten. Er aber zog jubelnd ein großes Blatt Papier aus der Tasche und sagte: er dürfe die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, wo er sie allein träfe. Er habe ein Gedicht gemacht auf ihren Mann und die silberne Tabaksdose, und er wolle es ihr jetzt vorlesen.
Und wirklich, er las mit begeisterten Gebärden seine schwülstigen Verse unter freiem Himmel vor.
Aber unterdessen hatte sich Mutter Job leise davon gemacht und ließ den erstaunten und ärgerlichen Schulmeister stehn, der unter verzweiflungsvollem Murmeln über die Unempfänglichkeit des Landvolks für Poesie sein Blatt in die Tasche steckte und sich in’s Dorf begab.
Mutter Job schritt schon weit von dort auf der großen Straße vorwärts. Die Furcht vor ähnlichen Begegnungen hatte sie mißmuthig gemachte sie ging in tiefe Betrachtungen versinkend mit nach vorn gebeugtem Kopfe und wankendem obwohl sehr schnellen Schritten. Allerlei verzweifelte Gedanken fielen ihr schwer auf’s Herz. Himmel! Wenn der Baron nicht zu Hause wäre? Wenn er ihr die erbetene Hilfe verweigerte! – Dann wäre ihr Hugo verloren und müßte, Er, die Unschuld selbst, unter Dieben und Räubern leben! – Und ach, ihr Engelbert könnte sterben! Und ihr armer Mann Job, dem so wenig Geduld verliehen wäre! – Und Rosina, die ihren Schmerz verbärge und über ihren Bruder weinte! —
Sie lief immer schneller. Ihr Gesicht glühte von der Sonnenhitze der Schweiß perlte ihr von der Stirn. – Einige Zeit darauf erhob sie plötzlich ihr Haupt, blickte gen Himmel und rief:
»Nicht wahr, o Gott, Du wirst mich nicht verlassen? Warum sollte ich zweifeln an Deiner Barmherzigkeit, da Du der gute Vater meiner Kinder bist? Bis jetzt hast Du uns mit ungestörtem Glück überschüttet; aber unsre Dankbarkeit im Wohlsein genügt Dir vielleicht nicht? Werden wir dankbar bleiben im Unglück, auf Deine Güte trauen, selbst dann, wann Alles uns bedroht und der Schmerz mein Mutterherz zermalmt? Ja, prüfe mich! Schlage mich zu Boden! Ich werde doch aus dem Abgrund meines Leidens das Auge gläubig zu Dir erheben, Dich preisen und hoffen!«
Einige Schritte weiter sagte sie mit ruhigerem Tone zu sich selbst:
»Wirklich, – wozu kann die Verzweiflung dienen? Sie läßt den Menschen zum Voraus alle Qualen eines Unglücke ausstehn, das vielleicht gar nicht eintreffen wird; sie beraubt ihn seiner Kräfte; sie verdüstert seinen Geist und macht ihn unfähig, gegen das Schicksal zu kämpfen und das Unheil zu überwinden, das er fürchtet. Fort, fort, mit dieser Feigheit! Keinen Muth verloren: solange noch Leben ist, ist Hoffnung da!«
In diesem Augenblicke trat ein schon alter Bauer aus einem Seitenpfade aus den großen Weg.
»Heda, Mutter Job,« rief er, »was wollt Ihr denn so eilig hin?«
»Ich habe keine Zeit, Freund Mols,« rief sie, ohne ihren Schritt zu mäßigen. »Guten Tag, guten Tag!«
»So? Ihr meint, ich kann nicht so rasch gehen als Ihr? Dann irrt Ihr Euch,« antwortete der Bauer, ihr nachlaufend. »Der Gaul ist alt und hat viel gearbeitet; aber, Gottlob, die Beine sind noch gut. Nach Eurem Weg zu urtheilen, geht Ihr nach Lindhout?«
»Ja, auf den Hof.«
»Ich auch, Mutter Job; wir werden den Weg in Gesellschaft zurücklegen.«
»Aber Ihr seht, daß ich eilig bin, ich laufe; fast vor Ungeduld.«
»Nun, nun, lauft nur; ich kann’s auch.«
»Ihr geht gleichfalls nach dem Hof des Barons, Freund Mols?«
»Ja, ich muß seinen Pächter sprechen, über eine Milchkuh, die er verkaufen will; aber er ist zu theuer damit. Ich will mir ein Thierchen mehr anschaffen, Mutter Job; die Kinder werden groß und es ist kein schlechtes Jahr gewesen.«
»Ist der Baron aus dem Hofe?«
»Gewiß, ich habe ihn diesen Morgen noch reiten sehen.«
»Ach, das freut mich; ich muß ihn um eine eilige Sache sprechen. Wie ist der Baron? Ein gutherziger Mann?«
»Hm, hm,« murmelte der Bauer, »er ist so wie es jemand nehmen will. Die großen Herren haben so ihre Launen und Grillen; den einen Tag sind sie freundlich und den andern Tag sehn sie sauer, ohne daß man wissen kann, warum. Es richtet sich darnach, ob sie des Morgens mit dem rechten oder mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett steigen . . . Mutter Joh, Ihr geht doch schrecklich schnell!«
»Aber, ist er wohl geneigt, jemanden einen Dienst zu erweisen?«
»Ja, das weiß ich nicht. Ich habe ihn nie um etwas gebeten; denn ich bin nicht sein Pächter . . . Meine Schuhe sind in dem großen Regen vor acht Tagen ganz durchweicht; ich habe sie zu schmieren vergessen. Jetzt sind sie so hart wie Horn und drücken mich . . . Ihr läuft wirklich wie ein Pferd.«
»Ich darf nicht langsamer gehn, Bauer Mols; nehmt es mir nicht übel. Bleibt lieber hinter mir und geht nach Eurer Bequemlichkeit.«
»Nein, nein; sollte ich mich von einer Frau übertreffen lassen? Kommt, geht doch ein wenig sachter; ich werde Euch etwas von unserm Baron erzählen, wonach Ihr über seine Gemüthsart urtheilen könnt. Ihr kennt doch Pächter Bleugels? Der Baron ist immer freundlich gegen ihn gewesen, aber kürzlich geht Bleugels hin, um seine Pacht zu bezahlen und ohne allen Grund gibt ihm der Baron so schlechte Reden, daß der arme Mann nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand. Da wurde ihm gesagt, daß seine Pacht auf, ich weiß nicht wie viele hundert Franks erhöht werden sollte . . . und gefiele ihm das nicht, so könnte er seinen Hof nur verlassen und anderswo sein Brod suchen. Es war nichts dagegen anzubringen; der Baron jagte ihn, so zu sagen, als einen Schelm vom Edelhof. Bleugels begegnete in der Allee seinen Nachbar, Pächter Bos, der auch mit Geld beladen war, um seine Jahrespacht zu entrichten. Als Bleugels ihm sagte, wie der Baron gestimmt wäre, wagte sein Nachbar kaum auf den Hof zu gehn; aber er konnte nicht mehr umkehren: er nahm seinen ganzen Muth zusammen und zog an die Schelle des großen Gitterthors . . . Mutter Job, ich bin ganz außer Athem. Meine Beine sind noch gut; aber um Gottes willen, geht nicht so schnell!«
»Und wie gings Pächter Bos?« fragte Mutter Job mit ängstlicher Neugier. »Wer der Baron auch so barsch gegen ihn?«
»Wie ich sage, Brauerin, diese große Herren haben sonderbare Launen. Pächter Bos wurde gut aufgenommen und kriegte ein Glas Wein. Aber, was Euch sicher als etwas Unbegreifliches in Erstaunen setzen wird, der Baron nahm die Hälfte des Pachtgeldes und gab es dem Bos zurück, der halb närrisch vor Freude und springend wie ein Fastnachtsgeck zu seinem Nachbar in die Allee gelaufen kam. Sie gingen Beide nach Haus; aber mit verschiedenen Gesichtern: der eine weinte und der andere lachte . . . Da hör ich schon die Pfauen des Barons schreien; wir sind gleich den Augenblick am Gitter; geht doch nur etwas langsamer.«
Mutter Job bemerkte: »Wahrscheinlich kennt Ihr den Grund nicht, warum der Baron seine zwei Pächter auf so verschiedene Weise behandelte?«
»Ich kenne ihn wohl,« sagte der Andere mit einer gewissen Bitterkeit, »aber er ist so kindisch, daß ich nicht daran glauben kann. Seht hier, wie man lange Zeit nachher die Sache erklärte. Ihr müßt wissen, der Baron ist schrecklich versessen auf Hasen, Schnepfen und anderes Wild. Könnte Alles nach seinem Wunsch gehen, seine Grundstücke würden von Kaninchen und Rebhühnern wimmeln Nicht um eine reiche Jagd zu haben. Nein, denn er jagt gar nicht; aber um zu wissen, daß die Thiere auf seinem Grund und Boden herumlaufen und er darauf jagen könnte, wenn er wollte. Niemand im Dorf darf ein Stück Wild auch nur mit der Hand bedrohen oder der Baron nimmt es sehr übel. Nun wohl, Pächter Bleugels hat einmal, als er des Morgens aus der Frühmesse kam, auf seinem eignen Feld ein wildes Kaninchen todt geworfen und es den Mittag gegessen. Pächter Bos dagegen hat seinen Hund ertränkt, weil er einen Hasen gefangen hatte! Das ist der Unterschied.«
»Meint Ihr wirklich, daß der Baron ein strenger und; gefühlloser Mann ist?« fragte Mutter Job mit steigender Beklommenheit.
»Ach, nein!« antwortete der Andere, »ich kann Euch: auch von Wohlthaten erzählen, die er unglücklichen Menschen erwiesen hat. Es kommen Tage, wo er viel zu mild ist; aber ich sag’ es noch einmal: so sind die großen Herren, ihre Laune wechselt wie der Mond. – Wollt Ihr den Baron selbst sprechen?«
»Ja, ich muß ihn sogar um etwas Wichtiges bitten.«
»Nun, Gott gebe, daß er in seiner guten Laune sei; sonst werdet Ihr den Teufel zum Neujahrsgeschenk kriegen, verlaßt Euch drauf . . . Ach! Da sind wir. Es war Zeit; Ihr lauft wie ein Dragoner. Dort sehe ich den Gärtner. Nun, guten Erfolg, Mutter Job; ich werde Sonntag zu Wispelbeck das Hochamt hören und zu Euch kommen, um Euch Guten Tag zu sagen.«
Mutter Job beeilte sich die Schelle zu ziehn. Ein Lakey öffnete ihr, und fragte, was sie wünschte.
»Ich möchte gern den Herrn Baron sprechen«, sagte sie.
Der Diener besah sie von Oben bis Unten und antwortete erst nach einer langen Weile, indem er mit den Schultern zuckte:
»Das wird schwierig sein. Kann ich die Botschaft nicht ausrichten?«
»Ach nein, ich muß ihn selbst etwas fragen.«
»Etwas fragen?« wiederholte der Diener. »Ich glaube, der Herr ist nicht zu Hause. Wer seid Ihr, Frau?«
»Ich bin Mutter Job, die Brauerin von Wispelbeck, Seid doch so gut, Freund, und macht, daß ich den Baron sprechen kann; ich werde Euch dankbar sein.«
»Folgt mir; ich werde sehen, ob der Herr diesen Morgen zu sprechen ist.«
Er führte die bittende Frau in ein halbdunkles Zimmerchen, wies ihr einen Stuhl an, und verschwand.
Hier in voller Stille und Einsamkeit begann Mutter Job vor Angst zu zittern. Nichts als schlechte Zeichen hatten sich auf ihrem traurigen Wege gezeigt, und sie fürchtete fast mit Gewißheit, daß ihre Bemühungen mißlingen würden. Die Haltung und die Worte des Knechts bestärkten sie gleichfalls in ihrer betrübenden Vermuthung. Aber wer konnte es wissen? Wenn der Baron seine gute und böse Laune hatte, konnte sie ja doch einmal einen günstigen Augenblick getroffen haben?
So schwankte sie zwischen Hoffnung und Kleinmuth. Zeit hatte sie dazu, diesen inneren Kampf wohl zehnmal durchzumachen. Denn man ließ sie so lange allein sitzen, als hätte man ihre Gegenwart vergessen! Ihr Herz klopfte vor Ungeduld, beim geringsten Geräusch, das sie hörte, fuhr sie freudig zusammen; sie folgte mit ängstlicher Aufmerksamkeit dem Minutenzeiger der Uhr, die im Zimmer stand. Die Stunde, wo die Post Wispelbeck erreichte, rückte immer näher! . . .
Ach, da hörte sie Fußtritte im Gang; gewiß, man kam, um sie zum Baron zu führen . . .
»Frau,« sprach der Diener, »der Herr ist beschäftigt, er wird nicht gern gestört. Ihr kommt gewiß, um Euer Bier zu empfehlen. Der Herr sagt, Ihr könnt eine halbe Tonne bringen zur Probe.«
»Aber das ist nicht der Grund meines Kommens. Ich komme in einer Angelegenheit, die keinen Verzug leidet. Bittet, flehet in meinem Namen, daß er mir nur einen Augenblick Gehör schenke. Ach, seid mir behilflich, Freund, Gott wird es Euch lohnen!«
Der Diener sah sie verwundert an; er schien jedoch durch den Ton ihrer Stimme gerührt und antwortete:
»So? Also nicht um Bierlieferung? Ihr scheint sehr aufgeregt Frau! Seid nur ruhig; unser Herr ist ein gutherziger Mensch; ich werde ein Wörtchen für Euch sprechen, daß er Euch vorlasse. Ist es ein Dienst, um den Ihr ihn zu ersuchen habt?«
»Ja, ja, ein äußerst wichtiger Dienst, eine Wohlthat!«
»Dann werd’ ich Euch einen guten Rath geben. Mein Herr ist sehr nervenschwach; wenn man ihn überrascht oder unerwartet aufregt, wird er ungeduldig und grimmig. Sagt ihm mit einem Mal, was Ihr wünscht; seid vorsichtig in Euren Mittheilungen. Wenn man so mit ihm umgeht, ist er die Güte selbst. Wartet nur noch etwas; ich komme den Augenblick wieder, um Euch zu holen.«
Mit den wärmsten Danksagungen überschüttet, verschwand der Diener im Gange. Nur einige Augenblicke noch blieb sie allein, jetzt in einer weit hoffnungsvolleren Stimmung; bald holte sie der Diener und führte sie in einen weiten und prächtig verzierten Saal, wo Alles schimmerte von goldnen Verzierungen, seidenen Stoffen und bunten Teppichen.
Der Diener bot ihr diesmal keinen Stuhl an: sie hätte es sich auch nicht unterstanden, sich in einem dieser kostbaren Armstühle niederzusetzen, deren rother Sammet, mit goldenen Borten besetzt, ihr die Augen blendete.
Ein Zittern ergriff sie, als der Baron in einem vielfarbigen Hausrock vor ihr erschien, und, ohne zu reden, sie ansah, als fragte er mit den Augen, was sie wünschte.
»Herr Baron,«, stammelte sie, »vergeben Sie einer betrübten Mutter, daß sie auf Ihre Güte zu hoffen wagt. Ihr Name ward ihr von Gott selbst eingegeben . . . «
Wahrscheinlich gefiel dieser traurige Ton dem Baron nicht; denn er bezwang einen Ausdruck der Ungeduld und fragte:
»Frau, wer seid Ihr? Ich kenne Euch nicht!«
Die Kälte dieser Worte erfüllte Mutter Job mit Angst.
»Mein Mann ist Brauer zu Wispelbeck,« sagte sie, »ich bin die Mutter von Hugo.«
»Hugo, Hugo?« murmelte der Baron mit dem Finger an der Stirn. »Meint Ihr von Hugo Job, der Kaufmann ist in der Stadt?«
»Ja, Herr Baron, von Hugo Job.«
»Ist auch wahr, was Ihr sagt? Belügt Ihr mich nicht?«
»Sie belügen, Herr Baron? Erkennen Sie mich nicht wieder? Sie kamen einmal in unser Haus, um uns für eine That Hugos zu danken.«
»Ja wirklich, ich glaube Euch wieder zu erkennen. So? Ihr seid die Mutter von dem, der einmal sein Leben wagte, um meinen Sohn zu retten?« sagte der Baron nachdenkend, indem er nach einem schönen Armsessel griff. »Setzt Euch nieder, Frau, und vergebt mir meine Kälte. Setzt Euch, ich will es . . . sonst werd’ ich auch stehn bleiben müssen.«
»Nun, ich thue es nur, um Ihnen gefällig zu sein, Herr Baron!« flüsterte Mutter Job mit freudestrahlenden Augen.
»Nehmt es doch nicht übel, Frau, daß ich Euch so schlecht empfangen habe,« sagte der Baron. »Wir reichen Leute werden dergestalt bestürmt mit Gesuchen und Bitten aller Art, man beträgt uns so oft, daß wir, selbst gegen unsern Willen, gegen jeden mißtrauisch werden . . . So, so, Ihr seid die Mutter von Hugo Job? Gebt mir die Hand, Frau; ich freue mich, Euch zu sehn. Ihr müßtet mich um etwas bitten, sagte der Diener. Sprecht, was kann ich für Euch thun?«
Der freundliche Ton des Barons und die überraschende Hoffnung, die auf einmal in ihr Herz drang, erschütterte Mutter Job so plötzlich und so stark, daß ihr die Stimme erstickte und sie, statt aller Antwort, in Thränen ausbrach.
»Frau, Ihr seid betrübt,« sagte der Baron, immer noch ihre Hand haltend.
»Seid getrost! Euer Sohn Hugo hat aus Edelmuth meinen Sohn gerettet, als niemand von seinen Freunden es wagte. Er hat jede Belohnung abgeschlagen. Verlangt sie nun von mir, die Belohnung . . . Ihr scheint unglücklich; laßt mich Euch helfen!«
»Ach!« rief Mutter Job, »ich weine vor Freude und Dank gegen Gott, daß er Ihnen ein solch edles Herz gegeben hat! daß er meinen guten Engel Ihren Namen in mein Ohr flüstern ließ, als Alles um mich dunkel war, wie in einem Abgrund. O, und könnten Sie mir auch die verlangte Hilfe nicht gewähren, Sie sollen doch gesegnet sein für Ihre liebreichen Worte.«
Der Baron ließ ihr einige Augenblicke Zeit, sich zu sammeln und sprach dann:
»Nun, sagt mir, was Ihr wünscht; ganz frei und ohne Furcht!«
»Herr Baron, Sie, die Sie so gut sind, es wird Sie vielleicht betrüben; aber vergeben Sie es mir, wenn ich Ihnen einigen Schmerz bereite. Mein Sohn Hugo war Kaufmann in der Stadt, – es freut mich zu hören, daß Sie das wissen. Er war in Verbindung getreten mit einem gewissen Herrn Walter, der als ein erfahrener und besonnener Mann gerühmt wurde. Dieser Walter ist nach Amerika geflüchtet; er hat die Handelsbücher verfälscht, Wechselbriefe gemacht, und meinem unglücklichen Sohn wichtige Unterschriften entwendet. Hugo von Allem beraubt, bleibt verantwortlich für die Schulden des Hauses, und soll unter der Anklage eines betrügerischen Bankerotts arretirt und ins Gefängniß geworfen werden . . . «
»Was, was sagst Du da?« rief der Baron mitleidig. »Arme Mutter! Aber auf wie viel belaufen sich die Schulden?«
»Dreißig Tausend Franks«, flüsterte Mutter Job, mit gedämpfter Stimme und wie beschämt über den hohen Belauf der Hilfe, um die sie bat.
»Dreißig Tausend Franks,« wiederholte der Baron, »das ist viel.«
»Wir besitzen Grundstücke, die durch den Notar Styns in unserm Dorf auf ungefähr 65.000 Franks geschätzt werden. Sie sind mit einer ersten Hypothek von 25.000 Franks belastet, die zur Gründung des Handelskapitals für Hugo gedient haben und nun verloren sind. Meine Bitte ist, Herr Baron, daß Sie die große Güte hätten, und eine zweite Hypothek auf unsre Güter annehmen und mir die dreißig Tausend Franks leihen wollten, die ich bedarf, um Hugo, meinen Sohn, von der Schande und dem unwiederbringlichen Verderben zu retten . . . Wir werden ganz nach Ihrem Belieben die Interessen zahlen und uns das Brod vom Munde absparen, um Sie jährlich befriedigen zu können.«
»Welche Interessen?« fragte der Baron lächelnd.
»Vier, ja fünf pro Cent, ganz nach Ihrem Gefallen, Herr Baron.«
»Und das nennt Ihr eine Wohlthat von meiner Seite?«
»Ach, alles, alles nach Ihrem Belieben, wenn nur mein armer Hugo gerettet wird.«
»Ihr wißt, daß solche Sachen nicht anders geschehen können, als vermittelst gewisser Schriften, die eine Frau nicht unterzeichnen kann. Habt guten Muth; geht nach Hause, und sendet mir Euren Mann; ich werde die Sache mit ihm abmachen . . . Ihr werdet bleich? Ihr zittert? Warum?
»Gott, Gott, daran hatte ich nicht gedacht!« schrie Mutter Job mit erhabenen Armen. »Wie schmerzlich! Seine Rettung zu besitzen glauben, und sie sich entgehen sehen!«
»Beruhigt Euch doch!« sagte der Baron, »was bedeutet diese plötzliche Verzweiflung?«
»O, Herr, heute noch, morgen früh spätestens, muß Hugo die 30.000 Franks haben, um die Wechsel zu bezahlen oder er wird für Bankerott erklärt und Alles ist verloren. Ich komme zu Fuß, durch die heiße Sonne zu Ihnen gelaufen, um keine Zeit zu verlieren. Die Noth hat meinen Verstand geschwächt: ich hatte vergessen, daß die Anwesenheit meines Mannes hier nöthig ist. Nun ist alle Hoffnung für mich verloren; morgen, morgen ist es zu spät!«
»Ihr seid zu aufgeregt, Frau«, sagte der Baron mit ruhiger Freundlichkeit. »Warum habt Ihr nicht mehr Vertrauen zu mir? Ich wollte Euer Zartgefühl schonen. So begreife ich die Sache besser. Wartet einen Augenblick.«
Er wendete sich in eine Ecke des Saals, öffnete einen Schrank von Palisanderholz, nahm ein Blatt Papier und fing an, etwas darauf zu schreiben.
Mutter Job hielt das Auge bebend auf ihn gerichtet. Was machte er da? Diese Schrift konnte doch ihren Hugo nicht retten? Das vermochte Geld allein! – Jetzt ergriff der Baron ein zweites Blatt Papier und schrieb gleichfalls einige Zeilen darauf, worauf er Mutter Job nahte, und den Blick auf eins der Blätter gerichtet, ihr sagte:
»Hört, was darauf geschrieben steht: »Ich Frau Job, wohnhaft zu Wispelbeck, bekenne hierdurch im Namen meines Ehegatten, von dem Herrn Baron van Hove auf Lindhout empfangen zu haben die Summe von dreißig Tausend Franks, welche Summe, durch genauere Urkunde auf Hypothek geschrieben werden soll auf unsere Güter mit Zinsen von zwei pro Cent . . . «
Unterzeichnet das nun mit Eurem Namen.«
»Aber, guter Herr Baron«, rief Mutter Job, »ich darf das nicht annehmen. Zwei pro Cent!«
»Und wenn Ihr mir vier pro Cent bezahltet, Frau, wo würde der Dienst bleiben, um den Ihr mich bittet? Sagt Eurem Mann, daß er mich binnen acht Tagen oder später noch besuchen möchte; ich werde die Sache mit ihm ordnen. Nehmt diese Feder; unterzeichnet die Schrift. – Ihr braucht nicht so zu zittern.«
»Nicht zittern?« sagte Mutter Job mit thränenden Augen, »nicht zittern vor Freude und Dankbarkeit? Ach, was ich unterzeichne, ist die Ehre, das Leben, die Erlösung meines Kindes!«
»Ihr seid eine gute, brave Frau!« sagte der Baron. »Wenn das Bezahlen der Zinsen Euch beschwerlich fallen sollte, so grämt Euch nicht darüber. Nehmt jetzt dies Papier; verliert es nicht: es ist eine Anweisung auf meinen Bankier in der Stadt. Beim Vorzeigen derselben werden, die dreißig Tausend Franks dem Ueberbringer ausgezahlt werden. Ihr habt Eile; geht nun – und träfe Euch nochmals ein Unglück, Mutter von Hugo, Ihr kennt den Weg, der nach meinem Hofe führt; ich bitte Euch, vergeßt ihn nicht.«