Eines Tages, dachte ich, will ich dort genau in der Mitte der Mulde eine Inschrift errichten lassen. Mir fiel ein, wenn die schwangere Welt da drinnen nur von der vollen Bedeutung des Momentes wüsste, wie wütend würde ihr Tumult da werden!
Aber bis jetzt konnte sie kaum von der Bedeutung unseres Kommens wissen. Denn sonst würde der Krater sicherlich ein Aufruhr der Verfolgung sein, statt stille wie der Tod! Ich blickte mich nach einer Stelle um, von der aus ich Cavor würde Zeichen geben können, und ich sah eben den Felsenhaufen, auf den er von meinem gegenwärtigen Standpunkt aus gesprungen war, noch nackt und unfruchtbar in der Sonne liegen. Einen Moment lang zögerte ich, mich so weit von der Sphäre zu entfernen. Dann sprang ich mit einem Stich der Scham über dieses Zögern los …
Von dieser Höhe aus überblickte ich den Krater von neuem. Weit hinten an der Spitze des ungeheuren Schattens, den ich warf, flatterte das kleine weiße Taschentuch auf den Büschen. Es war sehr klein und fern, und Cavor war nicht zu sehen. Mir schien, mittlerweile sollte er nach mir ausschauen. Das war die Verabredung. Aber er war nirgends zu sehen.
Ich stand und wartete und wachte, die Hände über den Augen, und ich erwartete, ihn jeden Augenblick zu erkennen. Sehr wahrscheinlich habe ich lange Zeit dort gestanden. Ich versuchte zu rufen und wurde an die Dünne der Luft erinnert. Ich tat einen unentschiedenen Schritt zur Sphäre zurück. Aber eine lauernde Angst vor den Seleniten ließ mich zögern, meinen Aufenthalt zu signalisieren, indem ich eine unserer Schlafdecken auf die benachbarten Büsche hißte. Ich durchsuchte den Krater von neuem.
Er zeigte einen Ausdruck der Leere, der mich durchschauerte. Und es war still! Jeder Ton von den Seleniten in der Welt dort unten war erstorben. Es war still wie der Tod. Abgesehen von dem leisen Geräusch des Gebüsches in dem dünnen Winde, der sich erhob, war kein Ton und kein Schatten von einem Ton zu hören. Und der Wind war kalt.
Zum Henker mit Cavor!
Ich holte tief Atem. Ich legte die Hände an die Seiten des Mundes. »Cavor!«, schrie ich, und es klang, wie wenn ein Zwerg in weiter Ferne riefe.
Ich sah nach dem Taschentuche, ich sah hinter mich auf den breiter werdenden Schatten der westlichen Klippe, ich blickte unter der Hand hervor nach der Sonne. Mir schien, sie kroch fast sichtlich den Himmel hinab.
Ich fühlte, ich musste sofort handeln, wenn ich Cavor retten wollte. Ich riss meine Weste herunter und warf sie als Zeichen auf die dürren Bajonettsträucher hinter mir und sprang dann in gerader Linie auf das Taschentuch zu davon. Es war vielleicht seine zwei Meilen entfernt – eine Sache von ein paar hundert Sprüngen und Sätzen. Ich habe schon erzählt, wie man während dieser Mondsprünge zu hängen schien. Bei jedem Schweben suchte ich Cavor und wunderte mich, warum er verborgen sein mochte. Bei jedem Sprunge konnte ich die Sonne hinter mir sinken fühlen. Jedes Mal, wenn ich den Boden berührte, war ich in Versuchung, zurückzukehren.
Ein letzter Sprung und ich stand in der Senkung unterhalb unseres Taschentuchs, ein Satz, und ich stand in Armesbreite von ihm auf unserer früheren Höhe. Ich richtete mich gerade auf und durchsuchte die Welt um mich zwischen den länger werdenden Schattenstreifen. Weit weg, einen Hang hinunter, lag die Mündung des Tunnels, durch den wir geflohen waren, und mein Schatten reichte bis zu ihr hin, reckte sich bis zu ihr und berührte sie wie ein Finger der Nacht.
Kein Zeichen von Cavor, kein Ton in all der Stille, nur dass sich das Regen und Schwanken der Büsche und der Schatten mehrte. Und plötzlich überlief mich ein heftiger Schauer. »Cav–« begann ich, und wieder wurde mir die Wirkungslosigkeit der menschlichen Stimme in dieser dünnen Luft klar.
Stille. Die Stille des Todes.
Dann fiel mein Auge auf etwas – etwas kleines, was vielleicht fünfzig Meter entfernt, den Hang hinunter unter einer Streu von verbogenen und zerbrochenen Zweigen lag. Was war das? Ich wusste es, und doch, aus irgendeinem Grunde wollte ich es nicht wissen.
Ich ging näher hin. Es war die kleine Kricketmütze, die Cavor getragen hatte. Ich berührte sie nicht, ich blieb stehen und sah sie an.
Dann sah ich, dass die zerstreuten Zweige rings gewaltsam zerbrochen und zerstampft worden waren. Ich zögerte, trat hin und hob sie auf. Ich hielt Cavors Mütze in der Hand und starrte auf die zerstampften Rohre und Dornen um mich. Auf einigen sah ich kleine Flecken von etwas Dunklem, von etwas, was ich nicht zu berühren wagte. Ein Dutzend Meter entfernt, vielleicht, zog der sich erhebende Wind etwas in Sicht, etwas Kleines und lebhaft Weißes.
Es war ein kleines Stück festzusammengeknüllten Papiers, wie als wäre es fest gepackt gewesen. Ich hob es auf, und es waren rote Flecken darauf. Mir fielen schwache Bleistiftzeichen ins Auge. Ich strich es glatt und sah eine unebene und gebrochene Schrift, die schließlich in einen krummen Strich auslief, auf dem Papier.
Ich begann, dies zu entziffern.
»Ich bin am Knie verletzt, ich glaube, meine Kniescheibe ist gebrochen, und ich kann weder laufen noch kriechen«, begann es – ziemlich deutlich geschrieben.
Dann weiter leserlich: »Sie haben mich seit einiger Zeit gejagt, und es ist nur eine Frage der –« hier schien das Wort »Zeit« geschrieben gewesen zu sein, war aber zugunsten von etwas Unleserlichem ausgestrichen – »dass sie mich fangen. Sie haben mich völlig eingeschlossen.«
Dann wurde die Schrift krampfhaft. »Ich kann sie hören«, rief ich, mochten die Schriftzüge bedeuten, und dann waren sie eine Zeit lang völlig unleserlich. Dann folgte eine kleine Reihe von ganz deutlichen Worten: »eine völlig andere Art von Seleniten, die zu leiten scheinen – –« Die Schrift wurde wieder ein bloßer hastiger Wirrwarr.
»Sie haben größere Hirnschalen – – viel größere, und schlankere Körper, und sehr kurze Beine. Sie machen leise Geräusche und bewegen sich mit organisierter Überlegung … Und obgleich ich verwundet und hilflos daliege, gibt mir ihre Erscheinung doch noch Hoffnung –« Das war ganz Cavor. »Sie haben nicht auf mich geschossen und auch nicht versucht … Schaden … Ich gedenke – –«
Dann kam der plötzliche Strich des Bleistifts quer über das Papier und auf dem Rücken und den Rändern – Blut!
Und als ich stupid und verblüfft dastand, mit dieser verwirrenden Reliquie in der Hand, berührte einen Moment etwas sehr Leichtes und Kaltes meine Hand und hörte dann auf zu sein, und dann flog etwas, ein kleiner, weißer Fleck, quer durch einen Schatten. Es war eine winzige Schneeflocke, die erste Schneeflocke, der Herold der Nacht.
Ich fuhr zusammen und blickte auf, und der Himmel war jetzt fast schwarz geworden, und er war dicht besetzt mit einer sich sammelnden Menge kalt wachsamer Sterne. Ich blickte nach Osten, und das Licht dieser verschrumpften Welt war mit düsterer Bronze getönt; nach Westen, und die Sonne, der jetzt ein dichter werdender weißer Nebel, die Hälfte ihrer Wärme und ihres Glanzes raubte, berührte den Kraterrand, sank außer Sicht, und all die Sträucher und die zackigen und getürmten Felsen hoben sich in einem spitzigen Wirrwarr schwarzer Gestalten gegen sie ab. In den großen See des Dunkels nach Westen sank ein weiter Nebelkranz. Ein kalter Wind ließ den ganzen Krater erschauern. Plötzlich stand ich auf einen Moment in einer Wolke fallenden Schnees, und die ganze Welt rings schien mir grau und dunkel.
Und dann hörte ich, nicht laut und durchdringend wie zuerst, sondern blass und undeutlich wie eine sterbende Stimme jenes selbe Schlagen, jenes Schlagen, das die Ankunft des Tages willkommen geheißen hatte: Bumm! … Bumm! … Bumm! …
Es echote im Krater rings, es schien mit dem Pochen der größeren Sterne zu pochen, der blutrote Bogen der Sonnenscheibe sank, als es hinaufdröhnte: Bumm! … Bumm! … Bumm! …
Was war Cavor zugestoßen? Während des ganzen Schlagens stand ich stumpfsinnig da, und schließlich hörte das Schlagen auf.
Und plötzlich schloss sich da unten die offene Mündung des Tunnels wie ein Auge und verschwand dem Blick.
Jetzt war ich wirklich allein.
Über mir, um mich, mich umschließend, mich immer enger umarmend, – lag das Ewige; das, was vor dem Anfang war, und das, was über das Ende hinaus triumphiert; jene ungeheure Leere, in der alles Licht und Leben und Sein nur der dünne und verschwindende Glanz eines fallenden Sternes ist – die Kälte, die Stille, das Schweigen – die unendliche und endgiltige Nacht des Raums.
Die Empfindung der Einsamkeit und Verlassenheit wurde zum Gefühl einer überwältigenden Wesenheit, die sich zu mir neigte, die mich fast berührte.
»Nein!«, rief ich. »Nein! Noch nicht! Noch nicht! Warte! Warte! O, warte!« Meine Stimme stieg zu einem Schrei. Ich schleuderte das zerknüllte Papier von mir, kletterte auf den Kamm zurück, um meine Richtung zu finden, und sprang dann mit allem Willen, der in mir war, auf das Zeichen zu, das ich zurückgelassen hatte, und das jetzt fern und dunkel schon am Rande des Schattens lag.
Sprung, Sprung, Sprung, und jeder Sprung dauerte schier sieben Jahre.
Vor mir sank und sank der bleiche, schlangenumgürtete Bogen der Sonne, und der vorrückende Schalten flog, um die Sphäre zu fassen, ehe ich sie erreichen konnte. Ich war noch zwei Meilen entfernt, hundert Sprünge oder mehr, und die Luft um mich wurde dünner, wie sie unter einer Luftpumpe dünner wird, und die Kälte griff mir nach den Gliedern. Aber wäre ich gestorben, ich wäre im Sprung gestorben. Einmal, und dann öfter, glitt mein Fuß auf dem fallenden Schnee aus, als ich sprang, und das verkürzte meinen Sprung; einmal sprang ich zu kurz und fiel in Büsche, die in Staubsplitter und Nichts zerkrachten und zerbrachen, und einmal stolperte ich im Fall und rollte kopfüber in eine Schlucht und blutete, als ich, zerquetscht und über meine Richtung ungewiss, wieder aufstand.
Aber solche Zwischenfälle waren wie nichts gegen die Zeiten, die furchtbaren Pausen, während derer man durch die Luft auf jene steigende Flut der Nacht zuflog. Mein Atem wurde zu einem pfeifenden Geräusch, und es war, als wirbelten mir Messer in den Lungen. Das Herz schien mir gegen den höchsten Punkt des Schädels zu pochen. »Werde ich sie erreichen? O Himmel! werde ich sie erreichen?«
Mein ganzes Wesen wurde Angst.
»Leg dich hin!«, schrie mein Schmerz und meine Verzweiflung, »leg dich hin!«
Je näher ich mich hinarbeitete, umso furchtbarer fern erschien sie. Ich war taub, ich stolperte, ich stieß und schnitt mich und blutete nicht.
Sie kam in Sicht.
Ich fiel auf alle Viere, und meine Lungen pfiffen.
Ich kroch. Der Reif sammelte sich mir auf den Lippen, Eiszapfen hingen mir am Schnurrbart, ich war weiß von der gefrierenden Atmosphäre.
Ich war zwölf Meter von ihr entfernt. Die Augen waren mir dunkel geworden. »Leg dich hin!«, schrie die Verzweiflung, »leg dich hin!«
Ich berührte sie und blieb stehen. »Zu spät!«, schrie die Verzweiflung, »leg dich hin!«
Ich kämpfte steif dagegen. Ich saß auf dem Rand des Einsteigelochs, ein verdummtes, halbtotes Wesen. Rings um mich war der Schnee. Ich schob mich hinein. Drinnen war noch ein wenig wärmere Luft.
Die Schneeflocken – die Luftflocken – tanzten um mich herein, als ich mit erstarrenden Fingern den Deckel einzuschieben versuchte und ihn fest und hart einschub. Ich schluchzte. »Ich will«, schnatterte ich zwischen den Zähnen. Und dann wandte ich mich mit Fingern, die zitterten und sich gebrechlich anfühlten, zu den Jalousieknöpfen.
Als ich an den Hähnen tastete – denn ich hatte sie noch nie zuvor gehandhabt – konnte ich durch das tropfende Glas dunkel die blendend roten Streifenstrahlen der Sonne sehen, die durch den Schneesturm tanzten und flackerten, und die schwarzen Gestalten des Buschwerks, die sich unter dem sich mehrenden Schnee verdichteten, beugten und brachen. Dichter wirbelte der Schnee und dichter, schwarz gegen das Licht. Wie, wenn noch jetzt die Knöpfe mir widerstanden?
Dann knipste mir etwas unter den Händen, und im Nu war diese letzte Vision der Mondwelt meinen Augen verborgen. Ich saß in der Stille und im Dunkel der interplanetarischen Sphäre.
Es war fast, als sei ich getötet gewesen. Wirklich könnte ich mir vorstellen, dass ein plötzlich und gewaltsam Getöteter so ziemlich fühlen würde, was ich fühlte. Einen Moment eine Leidenschaft der Existenz in Todesqual und Angst; im nächsten Dunkel und Stille, weder Licht noch Leben noch Sonne, Mond oder Sterne, das leere Unendliche. Obgleich die Sache durch meinen eigenen Akt geschah, obgleich ich eben diese Wirkung schon in Cavors Gesellschaft gekostet hatte, fühlte ich mich erstaunt, betäubt und überwältigt. Mir war, ich würde in eine ungeheure Dunkelheit emporgetragen. Meine Finger schwebten von den Knöpfen zurück, ich hing wie vernichtet, und schließlich stieß ich sehr sanft und weich gegen den Ballen und die goldene Kette und die Hebestangen, die in die Mitte der Sphäre getrieben waren.
Ich weiß nicht, wie lange das in Anspruch genommen hatte. In der Sphäre war die irdische Zeitempfindung natürlich noch mehr als auf dem Mond unwirksam gemacht. Bei der Berührung mit dem Ballen war es mir, als werde ich aus einem traumlosen Schlaf geweckt. Mir war sofort klar, wenn ich wach und am Leben bleiben wollte, musste ich Licht machen oder ein Fenster öffnen, sodass ich irgend etwas mit den Augen fassen konnte. Und außerdem fror mich. Ich stieß mich also von dem Ballen ab, klammerte mich an die dünnen Schnüre innerhalb des Glases, kroch bis zum Rande des Einsteigelochs und erhielt so die Richtung zu den Licht- und Jalousieknöpfen hin, stieß mich ab, flog einmal um den Ballen herum, wurde von etwas Großem und Weichem erschreckt, was lose schwebte, fasste die Schnüre ganz dicht bei den Knöpfen mit der Hand und erreichte sie. Zunächst zündete ich die kleine Lampe an, um zu sehen, was das war, womit ich kollidiert war, und entdeckte jene alte Nummer der Lloyd’s News, die ihre Verankerung verloren hatte und nun frei im Raume schwebte. Das brachte mich wieder aus dem Unendlichen zu meinen eigenen rechten Verhältnissen zurück. Ich musste eine Zeit lang lachen und keuchen und kam dadurch auf den Gedanken, ein wenig Sauerstoff aus einem der Zylinder herauszulassen. Dann setzte ich den Heizer in Gang, bis mir warm war, und daraus aß ich. Dann machte ich mich in sehr vorsichtiger Weise an die Cavoritjalousien, um zu sehen, ob ich irgendwie erraten konnte, wie die Sphäre flog.
Die erste Jalousie, die ich öffnete, schloss ich sofort wieder, und ich war eine Zeit lang von dem Sonnenlicht, das mich getroffen hatte, betäubt und geblendet. Nach ein wenig Überlegung machte ich mich an die Fenster im rechten Winkel zu diesem, und das zweite Mal erhielt ich die große Mondsichel und die kleine Erdsichel dahinter. Ich war verblüfft darüber, wie weit ich vom Mond entfernt war. Ich hatte nicht nur darauf gerechnet, dass ich wenig oder nichts von dem »Stoß« erhalten würde, den uns bei unserem Ausbruch die Atmosphäre der Erde gegeben hatte, sondern dass auch der tangentiale »Schwung« der Mondrotation wenigstens achtundzwanzigmal geringer wäre als der der Erde. Ich hatte erwartet, zu sehen, dass ich über unserem Krater hing und am Rande der Nacht, aber all das war jetzt nur noch ein Teil des Umrisses der weißen Sichel, die den Himmel füllte. Und Cavor – –?
Er war schon von unendlicher Kleinheit.
Ich versuchte, mir vorzustellen, was ihm begegnet sein mochte. Aber ich konnte mir nichts anderes denken als den Tod. Mir war, ich sah ihn gekrümmt und zerschmettert am Fuß einer endlos hohen Kaskade des Blaus. Und rings um ihn starrten die stupiden Insekten …
Unter dem inspirierenden Einflusse der schwebenden Zeitung wurde ich wieder auf eine Zeit lang praktisch. Mir war ganz klar, was ich tun musste, zur Erde zurückkehren, aber soweit ich sehen konnte, flog ich von ihr fort. Was Cavor auch geschehen war, selbst wenn er noch lebte, was mir nach jenem blutbefleckten Zettel unmöglich schien, ich war ohnmächtig, ihm zu helfen. Dort hinten war er, lebendig oder tot unter dem Mantel jener strahlenlosen Nacht, und dort musste er bleiben, wenigstens, bis ich unsere Mitmenschen zu seiner Hilfe herbeirufen konnte. Sollte ich das tun? Etwas der Art hatte ich im Sinn; wenn es möglich war, auf die Erde zurückzukehren, und dann, wie es reifere Überlegung beschließen mochte, entweder die Sphäre ein paar diskreten Menschen zeigen und erklären und mit ihnen handeln, oder aber mein Geheimnis behalten, mein Gold verkaufen, Waffen, Vorräte und einen Assistenten erwerben, und mit diesen Vorteilen ausgerüstet zurückkehren, um dem gebrechlichen Mondvolk bei meinem Kampf gewachsen zu sein, Cavor zu befreien, wenn das noch möglich war, und auf jeden Fall eine genügende Menge Goldes mitzunehmen, um meine künftigen Unternehmungen auf eine festere Basis zu stellen. Aber das hieß weit hoffen, erst musste ich zurückkommen.
Ich machte mich daran, nun erst genauer zu entscheiden, wie die Rückkehr zur Erde bewerkstelligt werden konnte. Als ich mit diesem Problem rang, quälte ich mich nicht mehr mit dem ab, was ich tun sollte, wenn ich hinkam. Schließlich war meine einzige Sorge die, zurückzukommen.
Ich überlegte mir schließlich, die beste Möglichkeit für mich sei die, so nahe ich wagen konnte, zum Mond zurückzufallen, um Geschwindigkeit zu erlangen, dann meine Fenster zu schließen und an ihm vorbeizufliegen, und wenn ich vorbei war, meine Fenster erdwärts zu öffnen, und so mit gutem Schritt heimwärts davonzufliegen. Aber ob ich die Erde auf diese Art jemals erreichen würde, oder ob ich nicht einfach in einer hyperbolischen oder parabolischen Kurve oder irgendwie um sie herumschwingen würde, vermochte ich nicht zu sagen. Später hatte ich einen glücklichen Einfall, und dadurch, dass ich gewisse Fenster nach dem Monde zu öffnete, der am Himmel vor der Erde erschienen war, wandte ich meinen Flug in der Weise seitwärts, dass ich der Erde entgegenkam, denn mir war offenbar geworden, dass ich ohne ein solches Auskunftsmittel an ihr hätte vorbeifliegen müssen. Ich vollführte eine Menge komplizierten Denkens über diese Probleme – denn ich bin kein Mathematiker – und schließlich bin ich sicher, dass mich vielmehr mein gutes Glück als meine Schlüsse befähigten, die Erde zu treffen. Hätte ich die mathematischen Chancen gegen mich damals gekannt, wie ich sie jetzt kenne, so ist mir zweifelhaft, ob ich mir auch nur die Mühe gemacht hätte, die Knöpfe zu berühren, um es zu versuchen. Und als ich ausgeklügelt hatte, was ich für das Richtige hielt, öffnete ich alle meine Fenster mondwärts und kauerte mich nieder – die Anstrengung hob mich eine Zeit lang einige Fuß oder so in die Luft und ich blieb dort auf die sonderbarste Art hängen – und wartete, dass die Sichel größer und größer werden sollte, bis ich fühlte, dass ich ihr nahe genug sei. Dann wollte ich die Fenster schließen, mit der Geschwindigkeit, die er mir gegeben hatte, am Mond vorbeizufliegen – wenn ich nicht auf ihm zerschmetterte – und so zur Erde weiterwandern.
Und so machte ich es.
Schließlich fühlte ich, dass mein Schwung mondwärts genügte. Ich schloss den Mond aus meine Gesichtsfeld aus und setzte mich in einem Geisteszustand, der, wie ich mich jetzt erinnere, von Angst oder irgendwelcher Beklemmung unglaublich frei war, hin, um in diesem kleinen Staubkorn der Materie im unendlichen Raum eine Wache zu beginnen, die dauern sollte, bis ich die Erde berühren würde. Der Heizer hatte die Sphäre erträglich erwärmt, die Luft war durch den Sauerstoff erfrischt, und abgesehen von der leichten Kongestion im Kopf, die mich nicht verlassen hatte, solange ich von der Erde fort war, fühlte ich völliges physisches Behagen. Ich hatte das Licht wieder verlöscht, damit es mir nicht schließlich versagte, ich saß, abgesehen vom Erdschein und dem Glitzern der Sterne unter mir, im Dunkeln. Alles war so absolut still, dass ich wirklich das einzige Wesen im All hätte sein können, und doch hatte ich seltsamerweise so wenig die Empfindung der Einsamkeit oder Furcht, wie wenn ich aus der Erde im Bett gelegen hätte. Und das erscheint mir nur umso merkwürdiger, als die Empfindung meiner absoluten Verlassenheit während der letzten Stunden in jenem Mondkrater bis zur Todesqual gestiegen war …
So unglaublich es scheinen wird, dieser Zeitraum, den ich im Raum verbrachte, steht in keinerlei Verhältnis zu irgendwelchem anderen Zeitraum in meinem Leben. Bisweilen schien es, als säße ich dort unermessliche Ewigkeiten hindurch, irgendeinem Gott auf einem Lotosblatte gleich, und dann wieder, als sei es nur eine momentane Pause, während der ich vom Mond zur Erde sprang. In Wirklichkeit dauerte es einige Wochen irdischer Zeit. Aber während dieser Zeit hatte ich mit Sorge und Angst, Hunger oder Furcht abgeschlossen. Ich schwebte, und ich dachte mit seltsamer Weite und Freiheit an alles, was wir durchgemacht hatten, und an mein ganzes Leben und an all meine Motive und die geheimen Ergebnisse meines Wesens. Ich schien mir selber größer und größer geworden zu sein, jedes Gefühl der Bewegung verloren zu haben; unter den Sternen zu schwimmen; und fortwährend lag die Empfindung von der Kleinheit der Erde und von der unendlichen Kleinheit meines Lebens auf ihr in meinen Gedanken eingeschlossen.
Ich kann mir nicht anmaßen, die Dinge, die in meinem Geiste vorgingen, zu erklären. Ohne Zweifel würden sie sich alle direkt oder indirekt auf die sonderbaren physikalischen Verhältnisse zurückführen lassen, unter denen ich lebte. Ich gebe sie hier nur als das, was sie sind, und ohne Kommentar. Das Auffallendste daran war ein durchdringender Zweifel an meiner eigenen Identität. Ich war, wenn ich es so ausdrücken darf, von Bedford losgelöst; ich blickte auf Bedford als auf etwas Triviales, Zufälliges herab, mit dem ich eben in Verbindung stand. Ich sah Bedford in vielen Beziehungen – als einen Esel oder als ein armes Vieh, wo ich bisher geneigt gewesen war, ihn mit einem ruhigen Stolz als einen sehr geistvollen oder ziemlich zwingenden Menschen anzusehen. Ich sah ihn nicht nur als einen Esel, sondern als den Sohn vieler Generationen von Eseln. Ich ging seine Schultage und seine frühere Mannheit durch, und seine erste Begegnung mit der Liebe, ziemlich so, wie man die Unternehmungen einer Ameise im Sande durchgehn mochte … Etwas von jener Periode der Helle hängt zu meinem Bedauern noch um mich, und ich zweifle, ob ich die vollleibige Selbstzufriedenheit meiner früheren Tage je wiedererlangen werde. Aber damals war die Sache nicht im geringsten schmerzlich, weil ich jene außerordentliche Überzeugung hatte, dass ich tatsächlich so wenig Bedford sei, wie irgendjemand sonst, sondern nur ein Geist, der durch die stille Heiterkeit des Raums schwebte. Warum sollten mich die Mängel dieses Bedford stören? Ich war weder für ihn noch für sie verantwortlich.
Eine Zeit lang rang ich gegen diese wirklich sehr groteske Täuschung. Ich versuchte, das Gedächtnis lebhafter Momente, zärtlicher oder intensiver Gefühle zu Hilfe zu rufen; ich fühlte, wenn ich einen einzigen echten Stich der Empfindung wachrufen könnte, würde die wachsende Trennung aufhören. Aber das konnte ich nicht. Ich sah Bedford Chancery Lane hinunterstürmen, den Hut auf dem Hinterkopfe, die Rockschöße fliegend: en route zu seinem öffentlichen Examen. Ich sah ihn sich vor anderen ähnlichen kleinen Geschöpfen in jener vollen Gosse von Menschen ducken, gegen sie prallen, sie sogar grüßen. Ich? Ich sah Bedford am gleichen Abend im Wohnzimmer einer gewissen Dame, und sein Hut lag auf dem Tisch neben ihm, und er hatte die Bürste arg nötig, und Bedford war in Tränen. Ich? Ich sah ihn mit jener Dame in verschiedenen Haltungen und Erregungen – ich hatte mich noch nie so losgelöst gefühlt … Ich sah ihn nach Lympne davoneilen, um ein Drama zu schreiben, Cavor anreden und in seinen Hemdsärmeln an der Sphäre arbeiten und nach Canterbury hinausgehen, weil er sich mitzukommen fürchtete! Ich? Ich glaubte es nicht.
Ich überlegte mir noch, all dies seien Halluzinationen infolge meiner Einsamkeit und der Tatsache, dass ich all mein Gewicht und jedes Gefühl des Widerstandes verloren hatte. Ich bemühte mich, dieses Gefühl wiederzuerlangen, indem ich mich in der Sphäre umherstieß, indem ich mir die Hände kniff und sie zusammenpresste. Unter anderem machte ich Licht und las jene überzeugend realistischen Annoncen in der zerrissenen Nummer der Lloyd’s News, über das Fahrrad, über den Herrn von privaten Mitteln und die Dame in Not, die jene »Gabeln und Löffel« verkaufen wollte. Es war kein Zweifel, sie existierte sicher genug, und ich sagte: »Dies ist deine Welt, und du bist Bedford, und du kehrst zurück, um den ganzen Rest deines Lebens unter solchen Dingen zu leben.« Aber die Zweifel in mir konnten noch geltend machen: »Nicht du liest das, sondern Bedford, aber du bist nicht Bedford, wie du weißt. Da liegt gerade der Fehler.«
»Zum Henker!«, rief ich, »und wenn ich nicht Bedford bin, was bin ich da?«
Aber in der Richtung kam kein Licht, obgleich mir die sonderbarsten Einbildungen ins Gehirn getrieben kamen, wunderliche ferne Argwöhne, Schatten gleich, die man von ferne sieht. Wissen Sie, ich hatte eine Art Idee, dass ich wirklich etwas war, was nicht nur ganz außerhalb der Welt, sondern aller Welten lag, und außerhalb von Raum und Zeit, und dass dieser arme Bedford nur gerade ein Guckloch war, durch das ich aufs Leben blickte …
Bedford! So sehr ich ihn auch verleugnete, ich war gewisslich mit ihm zusammengebunden und ich wusste, wo auch immer, oder was auch immer ich fein mochte, ich musste stets den Druck seiner Wünsche fühlen und all seine Freuden und Leiden mitfühlen, bis sein Leben enden würde. Und mit Bedfords Tode – was dann? …
Genug von dieser merkwürdigen Phase meiner Erlebnisse! Ich erzähle das hier einfach, um zu zeigen, wie die Isolation und die Entfernung von diesem Planeten nicht nur die Funktionen und Empfindungen jedes Körperorgans, sondern auch den ganzen Bau des Geistes mit seltsamen und ungeahnten Störungen berührte. Während des ganzen größeren Teils jener ungeheuren Reise durch den Raum dachte ich immerfort an solche immateriellen Dinge wie diese, hing ich da, losgelöst und apathisch, ein wolkenhafter Megalomane gleichsam, zwischen Sternen und Planeten in der Leere des Raums; und nicht nur die Welt, in die ich zurückkehrte, sondern auch die blauerleuchteten Höhlen der Seleniten, ihre Helmgesichter, ihre gigantischen und wunderbaren Maschinen und das Schicksal Cavors, der hilflos in jene Welt hineingeschleppt war, erschienen mir als unendlich winzige und völlig triviale Dinge.
Bis ich schließlich die volle Zugkraft der Erde auf meinem Wesen fühlte, die mich in das Leben zurückzog, das für die Menschen wirklich ist. Und da wurde es mir freilich immer klarer, dass ich schließlich doch ganz sicher Bedford war, und dass ich nach erstaunlichen Abenteuern in diese unsere Welt zurückkehrte und ein Leben besaß, das ich sehr wahrscheinlich bei dieser Rückkehr verlieren musste. Ich begann die Bedingungen auszuklügeln, unter denen ich auf die Erde fallen musste.
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