Kitabı oku: «Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain», sayfa 5

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Frau Doktor Seidler stockte kurz, sodass Joe Moser fortfuhr: „Trotz der angeblichen Verbesserung der Stimmung kündigen gerade jetzt Assistenzärzte.“

„Das ist, wie ich meine – ich verstehe ja von Psychologie und Motiven bei Ärzten so viel wie eine Kuh vom Trompetenblasen – in der Tat ein anderes Kapitel – fast so komplex wie eine geriatrische Diagnose! Die Krankenhausszene ist mobiler geworden. Die nicht Ortsgebundenen wollen ins Ausland und in den Süden Deutschlands.“

„Okay, aber woran liegt es, dass es in den letzten Monaten besser geworden ist, jetzt aber Leute kündigen? Ist der Geschäftsführer plötzlich ein angenehmer Mensch geworden?“

„Es ist nicht der Geschäftsführer, sondern das zusammengeschweißte Team, einschließlich der Chefärzte. Mir gefällt es deswegen, weil wir zusammenhalten und mein Chef, Professor Seneca, zu uns hält und überhaupt ein toller Mensch ist. Er maßregelt nicht, sondern erklärt und übernimmt zum Beispiel schon mal einen schwierigen Entlassungsbericht selbst, ohne viele Worte zu verlieren. Vor sechs Monaten war das anders! Bei Personalmangel wurden bis dahin vermehrt Russen, Ukrainer und Weißrussen neben Arabern eingestellt. Die waren einfach schlechter ausgebildet als wir, sprachen nur dürftig Deutsch und ihre Entlassungsberichte waren nicht nur nicht rechtzeitig fertig, sondern eine Zumutung. Auch gab es immer Zoff auf der Station, besonders die Schwestern waren sauer, weil diese Kollegen Medikamente falsch und unleserlich eintrugen et cetera.“

„Wissen Sie noch Namen?“

„Oh, Sie meinen von den letzten zwei Jahren? Die haben so entsetzlich komplizierte Namen wie Cerebboll?? Oder bellovich? Sagen wir doch einfach Kleinhirnchen und Alanari oder Ahmadhi.“ Die Assistenzärztin hob den Zeigefinger. „Ich bin einfach glücklich, dass wir das Problem jetzt los sind. Wissen Sie was, wenn ich Kommissarin wäre, würde ich den Computer von der Personalabteilung auf alle fremd klingenden Namen durchsuchen lassen. Der Personalleiter wird zwar sauer sein, aber er kann ja auch einmal seinen Hintern bewegen und was schaffen, wie die Schwaben sagen würden.“

Die Frau Doktor ist wirklich herzerfrischend, dachte Herr Moser bei sich, beeilte sich aber, sich bei ihr zu bedanken, und entließ sie mit einem Schmunzeln: „Vielen Dank, eine Superidee! Wenn ich einen Bonus zu vergeben hätte, würde ich ihn gleich für Sie vorschlagen.“

Eine leichte Röte überzog das Gesicht der Assistenzärztin, bevor sie den Hauptkommissar wegen seines Charmes unschlüssig ein bisschen misstrauisch anblinzelte, dann aber abrupt mit schnellen Schritten, ohne sich noch einmal umzusehen, hinausging.

Im Laufe der Befragungen tauchten noch zwei Namen von Assistenten, die frühzeitig in der Probezeit entlassen wurden, auf. Joe nahm sich vor, ihre Aufenthalte ermitteln zu lassen. Bei der schwierigen Kooperation mit den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, der Ostblockstaaten und den arabischen Ländern, die keine perfekte Verwaltung haben, besonders nach der arabischen Revolution, war das ein Suchen nach der berühmten Stecknagel im Heuhaufen. Doch die Zeit drängte.

Der Hauptkommissar traf sich mit Kollegin Gerngross um vierzehn Uhr siebenundvierzig in einem separaten Raum der Kantine zur Besprechung. Sie gab ihm ein Stimmungsbild vom Fußvolk, wie sie das Pflegepersonal nannte. Es schälte sich heraus, dass tatsächlich seit einem halben Jahr Ruhe unter den Mitarbeitern und minimal mehr Zufriedenheit bei den Schwestern, den Therapeuten und dem technischen Personal eingekehrt war. Die Pflegedienstleitung und die Pflegedirektorin berichteten auch, dass der Ton untereinander wohl freundlicher geworden sei, was auf weniger unnötigen Stress hindeuten würde. Welch ein Wunder bei diesem Geschäftsführer! Die Schwestern hören die Buschtrommeln in einem Krankenhausbetrieb ja bekanntlich eher und intensiv wie sonst nur die Putzfrauen und berichteten von zwei Assistenzärzten, die schon früh nach Arbeitsantritt als nicht optimal aufgefallen seien und bei denen die Verwaltung aktiv geworden sei. Ein Doktor Cerebelliniwitch oder so ähnlich und ein Doktor Medjanovich oder Medjedew wurden spontan genannt, die wohl etwas aufbrausend waren und deren Auftreten im krassen Gegensatz zu ihren Leistungen stand. Einer sei sogar manchmal anzüglich geworden.

„Danke, Gertrude, das geht alles in die gleiche Richtung. Ich ruf mal die KTU an.“

Die KTU berichtete von den ausgewerteten Fingerabdrücken. Tatsächlich seien Fingerabdrücke an einer Tasse nachweisbar, die keinem derzeitigen Mitarbeiter zugeordnet werden könnten.

Joe klappte sein Handy zusammen und berichtete Gertrude davon. „Wo ist der Fremde oder die Fremde? Willst du mit der Personalabteilung über die Adressen der ausländischen Ärzte sprechen? Vielleicht haben wir ja Glück.“

Gerngross hatte zuvor schon von der Pflegedirektorin erfahren, dass für Muniel eine neurologische Reha vereinbart und von der Privatkasse bewilligt worden war – kein Wunder bei der Zweiklassenmedizin und der Hoffnung auf Weiterbeschäftigung!

Joe rief den Chefarzt an und erfuhr: Die weitere Strategie und das Rehaziel seien eine Aktivierung des Gedächtnisses für den unmittelbaren Zeitraum vor Wirkungseintritt der K.-o.-Tropfen. Der Chef in der Reha habe sich mit diesem Thema, Gedächtnisverlust und Stress, habilitiert. Vielleicht konnte man ja doch Hinweise auf den unheimlichen Besucher und Mordverdächtigen gewinnen.

Noch einmal traf sich Joe mit dem Chef der Inneren Abteilung, Professor Bernd Pfeifferlich, um etwas über Muniels Befinden und was man mit ihm vorhabe zu erfahren. Der erzählte ihm überraschend, dass Muniel im Moment, nachdem sein Kopf klar geworden sei, eher sanfter wirke und das Schroffe und Überhebliche nicht mehr wahrnehmbar sei. Auch sei er mit der Aussicht auf Reha mehr als einverstanden. Er lasse sich auf alles ein, um wieder gesund und leistungsfähig zu werden. Das ließ hoffen! Die genaue neuropsychologische Testung werde, so Professor Pfeifferlich, einen genaueren Einblick in das Arbeitsgedächtnis, die Informationsverarbeitung und das Denkvermögen geben, sodass auch die berufliche Situation und Perspektiven klarer würden. Auch solle eine spezifischere mentale Aktivierung möglich sein, sodass auch das Wiedererkennen des Täters nicht ganz unrealistisch sei.

Auch Frau Muniel freute sich, dass die rastlose Ungeduld und Aggression ihres Gatten momentan verschwunden war. Er perseverierte nur, indem er immer wieder fragte: „Liebling, sag mir: Habe ich einen Schlaganfall erlitten?“

Amalie streichelte seine Hand, nickte nur optimistisch und sagte: „Alles wird wieder gut.“

Professor Pfeifferlich hatte ihr beim Eintreffen Mut gemacht. Der hatte ihrem Mann zuvor fünfmal den Sachverhalt zu erklären versucht. Schließlich sagte er nur noch: „Das wird schon wieder.“

Herr Muniel schüttelte nur den Kopf, weil er sich an nichts Konkretes erinnern konnte, außer daran, dass er am Vortag in einer Vorstandssitzung gewesen sei und zu Hause mit seiner Frau Wein getrunken habe. Die genaue zeitliche Zuordnung machte ihm wohl große Probleme. Ein klassischer Fadenriss!

„Da ist noch viel zu tun, um das Hirnprogramm wiederherzustellen“, murmelte der Intensivpfleger, der ein Computerfreak war.

Amalie hatte ihrem Mann gleich bei ihrer Ankunft einen schmatzenden Kuss gegeben. Sie glaubte, sie könne die Liebe mit dem Wiederbelebten gleich mit beleben oder die Leute der Klinik, die bislang von einer schlechten Ehe gemunkelt hatten, vom Gegenteil zu überzeugen. Es blieben Zweifel.

„Wird es wirklich wieder gut?“, fragte sie alle möglichen Leute auf der Station.

Der Chefarzt tröstete sie: „Die Hoffnung stirbt zuletzt, Frau Muniel. Wir sind eher optimistisch. Er hat ja einen Überschuss an Hirnzellen und Nervenverbindungen – auch Synapsen genannt – mitgebracht, was wir auch am Hirnvolumen im CT sahen, und er ist noch jung, sodass er auf ein paar untergegangene Zellen getrost verzichten kann.“

„Sie sind so gut“, hauchte Amalie Muniel sichtlich gerührt.

Der gab sich bescheiden: „Jetzt kommt es auch auf Sie an, die Genesung zu unterstützen.“

Hauptkommissar Moser und Kommissarin Gerngross waren noch einmal auf der Intensivstation aufgetaucht und begrüßten die Ehefrau. Sie wollten sie ebenfalls befragen und gegen Abend ihr Haus aufsuchen.

„Frau Muniel, wir haben noch einige Fragen. Fühlen Sie sich schon dazu imstande? Außerdem müssten wir Sicherheitsmaßnahmen für Sie und Ihren Mann besprechen.“

Frau Muniel bedankte sich und versprach, einen Rotwein bereitzustellen. „Oder trinken die Herrschaften lieber einen trockenen Weißwein?“

„Wir sind im Dienst, aber vielleicht wäre ein Gläschen Rotwein gar nicht so schlecht, um etwas herunterzufahren und einen klaren Kopf zu bekommen.“

„Sie haben uns ja alle so geholfen. Ich will alles tun, dass dieser Mordanschlag aufgeklärt wird“, flüsterte die Ehefrau.

„Ist schon gut, Frau Muniel, bedanken Sie sich vor allem bei den Ärzten, besonders beim Oberarzt von Risseck, der Ihren Mann gefunden hat. Ich glaube, er würde einen guten Tropfen auch zu schätzen wissen“, empfahl ihr Joe Moser.

„Gute Idee. Herr von Risseck ist ja so sympathisch und eine echte Führungskraft, wie mein Mann, als er noch mit mir sprach, immer betont hatte“, flüsterte sie sichtlich gerührt.

„Hat Ihr Mann zu Hause von Sorgen und Problemen oder Ängsten gesprochen?“

„Leider in den letzten Monaten nur sehr selten, er war so gestresst, kam spät nach Hause, schlecht gelaunt und aggressiv, als hätte er vor einem Burn-out gestanden.“

„Wurde er erpresst?“, warf Gertrude Gerngross ein.

Frau Muniel schaute sie nur verwirrt an.

„Wir sehen uns ja dann um neunzehn Uhr?“, unterbrach der Hauptkommissar die Unterhaltung und lächelte seine Kollegin an. Beim Weggehen ahnte er zumindest die Logik der möglichen Abläufe der Tat und des Motivs. Er dachte an einen Zusammenhang zwischen kalter verletzender Distanziertheit Muniels und Hass und Wut von Seiten des Täters.

Herzstillstand wie ein Hormonstoß für die Ehe

Irgendwann widerfährt jeder Familie etwas Außerordentliches – furchtbare Verbrechen, Überschwemmungen und Erdbeben, bizarre Unfälle, an Wunder grenzende Glücksfälle, und es gibt keine Familie auf der Welt ohne Geheimnisse oder Leichen im Keller, ohne Truhen voll von so unerhörten Dingen, dass einem die Spucke wegbliebe, wenn sie ans Tageslicht kämen.1

Professor Pfeifferlich, Chefarzt der Inneren Abteilung, ordnete die Verlegung von Muniel auf die Normalstation an. Blutkontrollen schlossen eine Infektion aus und auch seine Leberwerte waren wieder im Normbereich. Das permanente Monitoring mit Registrierung des EKGs und der Blutgase konnte beendet werden. Bei einfachen Alltagsgesprächen ohne komplizierte abstrakte Überlegungen gab der Geschäftsführer vernünftige Antworten. Komplikationen mit tragischem Ausgang schienen gebannt. Ein Computertomogramm des Gehirns zeigte keine groben Auffälligkeiten. Eine neurologische Rehabilitation schien fast wie ein Luxus. Einige Pfleger motzten deshalb beim Essen in der Kantine wegen der Vorzugsbehandlung. Doktor Freund und Doktor von Risseck erklärten Ihnen aber geduldig, dass diese frühe Verlegung auch für die Klinik ökonomisch vernünftig sei. „Außerdem soll ja seinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen werden.“

Hinter vorgehaltener Hand kamen aus der Pflegerecke aber gehässige Bemerkungen wie: Seit jeher sei sein Gedächtnis ein reines Zahlengedächtnis wie bei einem Roboter oder Computer! Wie ein Computer kenne doch der Verwaltungschef nur Zahlen, kapiere keinen Witz, keine Ironie und habe keinen Humor. Vernünftiger sei dann folgerichtig, gentechnisch in sein Hirn einzugreifen und mit implantierten Glasfasern seine Bösartigkeit zu blockieren. Ein Ergotherapeut trumpfte sogar mit seinem Wissen auf, das er vor Tagen aus dem Internet geschöpft hatte: Mit Optogenetik könne man schon bald üble Inhalte im Gehirn, wie zum Beispiel solche nach Traumen, löschen. Einige Ärzte schimpften aber dann, dass man dieses gehässige Stammtischpalaver und dieses Halbwissen wirklich nicht aushalten könne.

Drei Tage nach seinem Herzstillstand holte Amalie Muniel ihren Mann am Morgen ab. Er sah sofort, dass sie sich in Schale geworfen, ihre schönste Perlenkette am Hals hängen und eine Extraportion gute Laune mitgebracht hatte. Sie sprudelte drauflos: „Liebling, stell dir vor, ich bin von der Klinikpsychologin in einem Gespräch auf die jetzige Entlassung sogar vorbereitet worden, dass es etwas Zeit brauche, bis du dich wieder ganz erholt hast. Auch hat sie mir gute Tipps gegeben, wie ich dir dabei helfen kann. Zusammen sind wir stark und werden diese Zeit überstehen. Mir kommt es vor wie der Beginn unserer Liebe – unserer romantischen Liebe.“

Sie hatte den Jaguar vor dem Haupteingang der Klinik geparkt. Vorher war sie noch in der Waschanlage gewesen. Das gute Stück glänzte wie neu.

„Alles wird neu werden“, redete sie in einem fort und fragte ihn mit schmeichlerischer Stimme: „Hast du etwas dagegen, wenn ausnahmsweise ich fahre?“

„Nein, Amalie, ich finde vielleicht im Moment gar nicht den Weg. Ich war vor Kurzem noch fast tot, wenn man den Medizinern glauben darf! Außerdem warst du schon immer die bessere Fahrerin.“

„Oh, Kurt, das hör ich aber zum ersten Mal.“

Amalie konnte das Gehörte kaum fassen. Solche Töne war sie wirklich nicht gewohnt. Was wohl der Herzstillstand mit seinem Gehirn gemacht hat? Das ist ja unglaublich, dachte sie glücklich.

„Wir werden es testen, Liebling. Du sagst mir einfach den Weg, das hast du doch zehn Jahre lang gemacht.“

„Was täte ich ohne dich“, entgegnete Herr Muniel.

Er war tatsächlich nicht wiederzuerkennen, wie ausgewechselt, ein ganz anderer Mensch. Amalie sah ihn immer wieder von der Seite an. Er war doch nur in seiner eigenen Klinik und nicht in einem buddhistischen Kloster zur Selbstreinigung gewesen! Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie den Jaguar fahren durfte. Damals hatte er dauernd wegen ihres Fahrstils gestänkert.

Wie zum Test fragte sie ihn: „Liebling, soll ich rechts oder links abbiegen?“

„Nach links!“

„Du weißt ja noch alles. Darf ich trotzdem weiter dein Chauffeur sein, mein Schatz?“

„Es ist so angenehm, neben dir zu sitzen und einfach dein schönes Gesicht zu bestaunen. Genial, mit so einer Frau verheiratet zu sein. Warum habe ich diesen Schatz Ehefrau nicht schon früher erkannt?“

Amalie war einfach baff. Der ist wirklich wie verwandelt. Gibt es so was überhaupt? Oh, lieber Gott, erhalte es! Das könnte man ja als Heilungskonzept bei gescheiterten Ehen verkaufen!, dachte sie und erschrak, weil ihr das Makabre wegen des fast eingetretenen Todes erst jetzt aufging. Mit einem Seitenblick auf ihren Mann flüsterte sie nur: „Ja, es ist ein Wunder, mein Schatz. Dein Herzstillstand ist wie der Beginn eines neuen Lebens.“ Sie merkte zu spät, dass dieser Satz eine Spur zu unecht, zumindest zu pathetisch klang.

„Warum redet ihr alle von Herzstillstand? Ich habe eine angenehme Erinnerung an eine weiße Landschaft. Oh ja! Die Bilder sind ganz lebendig, wie Traumbilder. Schöne weiße Frauen wie auf Jugendstilfenstern tanzten vor meinen Augen und verschwanden lächelnd. Die Bilder kamen und gingen. Ich dachte doch tatsächlich, ich wäre in Albanien, als vor meinen Augen alles in Weiß getaucht war. Alba ist doch das lateinische Wort für diese Farbe, oder?“

„Was du alles weißt!“ Amalie schöpfte jetzt wirklich neue Hoffnung, dass alles gut würde und nicht nur das episodische Gedächtnis zurückgekehrt war.

Sie blickte nach draußen und sah die graue Nebelglocke des frühen Morgens einem flockigen Blau-Rosa weichen. Sie erinnerte sich an die Zeit ihres Kennenlernens. Damals – sie waren in einem kleinen Hotel an der Amalfiküste – hatte er, sie stürmisch umarmend, von Homers rosenfingriger Eos gesprochen, auch wenn es früher Nachmittag war. Damals war nicht nur die Sonne rosig, sondern ihr erschien auch die ganze Zukunft so. Gibt es doch noch ein Happy End? Es wäre zu schön!, dachte sie.

„Es ist alles so spannend und aufregend! Ich werde ein Buch darüber schreiben!“, verkündete Amalie, die bislang nicht mal einen längeren Brief geschrieben hatte.

„Komme ich in deinem Roman auch vor?“, fragte Kurt Muniel.

„Du bist immer noch die Hauptperson in meinem Leben und folglich die Hauptperson meiner Biografie“, log sie und warf ihm einen Seitenblick zu.

Schließlich kamen die beiden an ihrem Grundstück an. Ihre Villa im Jugendstil, etwas abseits der anderen Häuser, war umgeben von einem Garten mit alten Bäumen. Besonders stolz war Amalie auf den fünf Meter hohen, breit ausladenden Ginkgobaum mit grobknorriger Rinde drei Meter vor der Haustür. Dort stand ein Polizist in Zivil mit Pistole, was bei Amalie eine leichte Herzbeklemmung und Pulsbeschleunigung auslöste!

„Keine Angst! Wir werden die Sicherheit an Ihrem Haus prüfen und Schwachstellen herausfinden. Gestatten, mein Name ist Custor. Sorry, vorweg: Die Feuerleiter hinter dem Haus muss weg, dass Sie niemand im Schlaf überraschen kann. Eine mobile Leiter mit Haken, die im Schlafzimmer deponiert wird, erfüllt den gleichen Zweck.“

Der Mann ist aber auch uncool, dachte sie, sagte aber nur: „Ist mir recht, Herr Custor, wenn Sie nur die Bäume hinter dem Haus stehen lassen. Schließlich sind wir nicht im Schlossgarten von Stuttgart“, verblüffte Amalie den Polizisten ob ihrer Ironie und Kenntnis der aktuellen kommunalpolitischen Details im fernen Schwabenland. Der hatte nur die Augenbrauen gehoben.

Insgeheim war Amalie über ihr Anderssein und ihren Galgenhumor verblüfft. Sie fühlte sich selbst wie verwandelt und fragte sich, ob sie in ihrem Hausfrauenleben ohne große Herausforderungen falsche Akzente gesetzt hatte. Sie hatte nie den „Spiegel“, geschweige denn die „Emma“ gelesen. In ihrem Studium hatte sie doch noch Ingeborg Bachmann gelesen und die frühen Romane von Herta Müller aus Rumänien und Kurzgeschichten der Alice Munro: „Muss denn zuerst eine Katastrophe geschehen, bevor man aufwacht?“, murmelte sie vor sich hin.

„Wie bitte?“, fragte ihr Mann, der nun, auf der Straße stehend, verstört und ratlos um sich blickte und sie an einen an Alzheimer erkrankten Patienten erinnerte – mit der Ausnahme, dass Kurts Mund nicht offen stand.

Sie griff erneut zu einer Notlüge: „Liebling, ich freu mich so, dass es dir besser geht.“

Er nickte und lächelte: „Ich fühl mich ebenfalls fast so wie damals, als wir unser erstes Rendezvous hatten. Wo war das denn noch mal, Liebling?“

„Auf dem Abiturball. Du warst der Schönste mit dem schicksten Outfit.“

„Du musst mir die Bilder zeigen, die haben wir doch mindestens zehn Jahre lang nicht mehr gesehen!“

„Sagen wir drei Jahre“, verbesserte sie ihn. „Als ich vierzig wurde, haben wir sie nach der Feier im Bett angeschaut und danach haben wir uns geliebt wie wilde Tiere.“ Sie seufzte und sah auf die Uhr: „Jetzt ist es schon fünfzehn Uhr und wir haben noch nicht zu Mittag gegessen. Ich mache uns einen Kaffee oder hast du größeren Hunger? Ich habe noch Kuchen gebacken.“

„Schön – du bist einfach meine tolle Amalie!“

Vor einer Woche hätte er in ihrer schmerzlichen Erinnerung von schädlichen Kohlenhydraten und Dickmachern gesprochen. Alles bezüglich Kochkunst und Küche hatte er ihr vermiest. Sie schob die negativen Gedanken aber zur Seite und fragte ihn sanft: „Hast du was dagegen, wenn ich mit zur Reha fahre? Ich würde bei den Therapien gern dabei sein, vielleicht ist es auch noch nützlich, weil ich bei vielen biografischen Details etwas beitragen kann. Außerdem habe ich ja vorher von einem autobiografischen Buch gesprochen, das wir zusammen schreiben würden. Die Rehazeit wäre gut für das Buch, um es mit Leben zu füllen, weil die Erinnerungen in einer solch aktivierenden Situation wie Perlen aus einem Champagnerglas auftauchen würden. Was hältst du von dem Titel ‚Neues Leben aus der Katastrophe‘? Ich fände es sehr spannend, wenn tatsächlich aus einem Supergau wie nach einem Herzstillstand plötzlich ein anderes, besseres Leben entstünde – als wenn dir das Wesentliche im Leben wie in einem Spiegel vor Augen geführt würde.“

„Ich verstehe nicht genau, was du damit meinst.“

„Macht nichts, es ist ja noch nichts geschrieben. Parallel zu deiner mentalen Rehabilitation würde ich den Roman schreiben und du würdest in deiner Biografie Namen und wichtige Entscheidungen wiedererkennen. Weißt du, dass du bis vor sechs Monaten abends bei einem Glas Wein viel aus der Klinik erzählt hast und ich natürlich Verschwiegenheit bewahrt habe, wie die Schweigepflicht es verlangt?“

„Ja, hattest du denn kritische Einfälle?“

„Ich glaube schon. Zum Beispiel machte ich dir solche Vorschläge wie: Wie kann man den Mitarbeitern Sparmaßnahmen so erklären, dass sie es wie eine Bereicherung auffassen? Aber du bist nicht so recht darauf eingegangen, weil du einen eisernen Kurs fahren wolltest. Du warst ganz anders als jetzt.“

Amalie schaute sich suchend um. Sie saßen in der geräumigen Küche, wo der Espressoautomat Saeco mit einem summenden Geräusch gerade einen wunderbar duftenden Kaffee hervorsprudelte. Sie fragte sich gerade: „Wo ist denn der Mann von der Polizei? Der will vielleicht auch etwas vom Kuchen abbekommen. Er wird mit seinem Sicherheitscheck bald fertig sein. Ich geh mal nach oben.“

Dort angekommen, sagte sie: „Hallo, wir sind gerade bei Kaffee und Kuchen. Ich möchte Sie gern bitten, sich dazuzusetzen.“ Sie wusste nicht, worauf sie sich da einließ.

„Danke, da können wir auch gleich ein paar Details besprechen. Wir wissen ja nicht, ob die Person, die es auf Ihren Mann abgesehen hatte, noch in der Stadt ist. Oder gibt es noch mehrere Personen?“

Den Polizisten Herrn Custor fand sie jetzt schon etwas zu übereifrig herumschnuppernd wie eine Ratte. Dazu passte auch seine spitze Nase. Er mochte um die vierzig sein. Auf einem runden Kopf saß ein Stoppelhaarschnitt. Ein beginnendes Bäuchlein deutete an, dass er nicht so viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte. Er sah eigentlich wie ein Dorfhandwerker aus. Er kam mit Vorschlägen heraus, kaum hatte er sich an den Küchentisch gesetzt.

„Die Fenster nach hinten müssen vergittert werden, und zwar aus dickem Stahl. Bis jetzt hätte jeder unbemerkt einsteigen können. Bis zur Fertigstellung bleibe ich am besten im Haus. Haben Sie eine kleine Liege für die Nacht?“

„Gern, Herr Wachtmeister Custor …“

„Wenn Sie erlauben, würde ich von der Firma Fenster Huber, die meinem Onkel gehört, schon einen Vorschlag machen lassen. Darf der noch heute vorbeikommen?“

„Wenn dann sofort, dass wir abends Ruhe haben“, entgegnete Amalie noch geduldig.

Custor wusste nicht so recht, was er sonst zur Unterhaltung beitragen sollte. Im Small Talk war er nicht so sehr geübt. So fuhr er fort: „Es darf kein Wort an die Presse gehen, kein Bericht veröffentlicht werden, das Internet der örtlichen Presse wird schon überwacht, um dem Fast-Mörder keine Informationen über den Geschäftsführer zu geben. Wenn es ein Ausländer war, könnte er sich ja schon über die Grenzen abgesetzt haben. Nach unserer Kenntnis weiß er ja nicht vom Überleben Ihres Gatten. Er muss von Ihres Gatten Tod ausgehen.“

„Wie makaber!“ Amalie wurde blass und griff nach Kurts Arm. „Liebling, Gott sei Dank bist du der Lebendigste auf Erden. Du bist ein wunderbarer Glückspilz, der so was überlebt hat.“

Herr Custor befragte plötzlich aus dem Hinterhalt, obwohl dies wirklich nicht seine Aufgabe war: „Frau Muniel, wo waren Sie denn zur fraglichen Zeit, als Ihrem Gatten die fast tödliche Injektion verabreicht wurde? Vielleicht waren Sie ja dabei?“, überrumpelte der Wachtmeister Amalie.

„Jetzt reicht es, Herr Noch-Hilfspolizist, gleich gebe ich Ihnen K.-o.-Tropfen in den Kaffee, dass Sie endlich still sind.“

„Sorry, Frau Geschäftsführer, woher wissen Sie, dass Ihr Gatte K.-o.-Tropfen bekommen hat? Davon hat bis jetzt niemand gesprochen. Das ist ja sehr interessant, Frau Muniel.“ Er notierte dies in seinem Notizbüchlein und schnäuzte sich.

„Das haben Sie mir jetzt in den Mund gelegt. Ich habe nicht gesagt, dass mein Gatte K.-o.-Tropfen bekommen hat. Ihnen wollte ich im Scherz welche verabreichen, dass Sie endlich den Mund halten. Außerdem bleibt in einem Krankenhaus nichts verborgen, Herr Hilfspolizist.“

„Na ja, die Polizei muss alle Möglichkeiten prüfen. Das werden Sie wahrscheinlich von Herrn Moser nochmals zu hören bekommen. Ich bereite Sie schon mal vor.“

Die Stimmung am Tisch war jetzt wirklich mies, ja zunehmend peinlich und ungemütlich. Der Wachtmeister merkte glücklicherweise, dass er sich vergaloppiert hatte. „So, dann mach ich mich jetzt wieder auf meinen Posten“, sagte Custor, der Polizeiwachtmeister.

„Ist ja auch besser so, Herr Polizist“, raunzt Frau Muniel noch hinterher. Sie war sauer, aber auch über ihre Kaltschnäuzigkeit und Aggression erstaunt, da sie natürlich von niemandem gehört hatte, dass ihr Mann K.-o.-Tropfen bekommen hatte. Daraus, dass sie K.-o.-Tropfen erwähnt hatte, würde ein richtiger Ermittler vielleicht einen furchtbaren Verdacht schöpfen können.

Sie dachte jetzt nach und versuchte, sich in das Hirn eines ermittelnden Beamten hineinzuversetzen. Sie blickte sozusagen in ihre eigenen Abgründe, da sie bis vor drei Tagen Kurts dauerhafte Kränkungen kaum ertragen konnte und in Gedanken tatsächlich seinen Tod gewünscht hatte. Aber hätte ich ihn tatsächlich umbringen können? Durchfuhr es sie. Sie wurde darüber ein wenig blass ob dieser Gedanken, weil er ja heute so anders, so lieb und wie früher liebenswert war. Nachdenklich runzelte sie die Stirn.

Nachdem der Wachtmeister wieder in den oberen Stock gegangen war, setzte sie sich in den Lehnstuhl, trank ihren Kaffee, machte ihrem Mann einen zweiten Espresso und reichte ihm ein Stück Kuchen. Sie schloss die Augen und dachte über die letzten Monate nach: Ich hätte doch gar nicht gewusst, wie man jemanden umbringen kann! Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, einen Auftragskiller zu bestellen. Aber das Maß ist ja noch nicht voll gewesen. Könnte ich mich mit üblen Typen aus der Unterwelt treffen? Nach kurzem Nachdenken murmelte sie: „Nein, niemals.“

„Hast du etwas gesagt?“, meldete sich ihr Mann, den sie bei geschlossenen Augen glatt vergessen hatte.

„Nein, Kurt, ich bete nur für uns und führe Selbstgespräche. Das Ganze hat mich doch mitgenommen.“

Als Kurt nichts mehr sagte, sinnierte sie weiter: In Fernsehdiskussionen wird ja immer behauptet, dass jeder zum Mörder werden könne – zum situativen Mörder. Mörder werden oder sein könnte ich nicht und würde es auch nicht aushalten! Außerdem, an diesen psychologischen Quatsch über Mördertypen glaube ich einfach nicht!

Sie merkte nur, dass ihr Nacken sich verkrampfte, ihr Gesicht sah sie dabei aber nicht, das gespannt und ein wenig sorgenvoll wirkte, sodass selbst ihr sonst wenig sensibler Ehemann spontan äußerte: „Geht es dir nicht gut?“

„Doch, mach dir keine Sorgen!“

Sie sinnierte weiter: Eine Frau wie ich, mit meinen Vorkenntnissen als Apothekerin, würde eher Gift mischen, im stillen Kämmerchen oder in der Küche. Ich als Kräuterweibchen würde das mit Digitalis oder dem fiesen Jakobskreuzkraut tun! Vielleicht mit ein paar Gramm Knollenblätterpilz und Maiglöckchen täglich? Sie konnte aber darüber nur Schauder empfinden und zitterte beim Gedanken daran leicht. Nein, ich könnte nicht morden, sagte sie sich und wandte sich an ihren Mann: „Liebling, erinnerst du dich an diesen Assistenten mit dem komischen Namen? Bei der Befragung wurde behauptet, dass ein Herr Cerebellinowitch von dir entlassen wurde, da er den Minimalstandard nicht erfüllte.“

Kurt zog die Stirn kraus, schüttelte nur den Kopf: „Es tut mir leid, keine Ahnung. Mit dem Namen kann ich nichts anfangen.“

Amalie bekam ein schlechtes Gewissen, weil sich in ihre Gedanken absurderweise ein möglicher Mord an ihrem Mann eingeschlichen hatte. Sie streichelte ihm die Wange, küsste ihn und flüsterte: „Du hast recht, Namen sind noch zu früh, da wir ja erst am Beginn deiner Genesung stehen. Warten wir die neurologische Reha ab. Davon verspreche ich mir viel, außerdem macht es uns beide zu einem Team. In der gemeinsam bestandenen Gefahr und vor allem danach wachsen die Liebe und der Eros, habe ich einmal gelesen.“

Amalie entspannte sich jetzt im Sessel und schloss wieder die Augen. Sie dachte nach. Sie wollte nicht mehr mit Kurt über die Ereignisse von vor drei Tagen diskutieren, sondern machte sich ihre eigenen Gedanken: Die Kripo wird den Kreis der Verdächtigen schnell eingeengt haben und damit nach der Spurensicherung hoffentlich den Täter im Visier haben.

Sie schaute aus dem Fenster. Der Landschaftsgärtner war nicht nur teuer, sondern hatte einen schönen Garten hingezaubert. Eigentlich sollten wir doch nun glücklich sein, schoss es durch ihren Kopf. Die Geschehnisse ließen sich aber nicht abschütteln. Sie musste immer an den Mann denken, der Kurt fast erledigt hatte. Sie hatte selbst ein schlechtes Gewissen, da sie in Gedanken an einen Giftmord gedacht hatte. Sie wollte zur Klärung beitragen. Sie stand auf, legte den Arm um Kurt und schaute aus dem Fenster. Eine Meise flog gerade auf das Fensterbrett und wiegte den Kopf. Ihre Katze, Hubertus II, öffnete hinter einem Busch schon ganz weit ihre Augen und stellte die Ohren auf. Sie war davon fasziniert. Nur für Sekunden. Der Fast-Mord ließ sie nicht los. Ihre Gedanken spannen weiter: Ich bin ja sehr erstaunt, dass der Hauptkommissar mir das alles erzählt hat. Hält er mich für unschuldig oder wollte er nur meine Reaktion beobachten? Er soll ja ein ganz schlauer sein.

„Amalie, du bist so still und schaust so besorgt vor dich hin. Sind wir denn in Gefahr?“ Kurt Muniel sah seine Frau besorgt an und zog den Vorhang zu.

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich, mein Liebster, denn der, der dir was antun wollte, weiß zwar wahrscheinlich gar nicht, dass du überlebt hast, ist aber längst über alle Berge und ferne Grenzen.“

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23 aralık 2023
Hacim:
370 s. 1 illüstrasyon
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9783957448330
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