Kitabı oku: «Heidesilber», sayfa 3
Arget hielt inne und reichte das Artefakt wortlos an Kyra. Sie nahm die Scheibe und legte sie auf den Tisch. Sie sah sie nicht an, sondern beobachtete ihn.
»Was wisst ihr von den Kelten?«, fragte Kyra und runzelte nachdenklich die Stirn.
»Nicht so viel, wie wir es uns wünschten. Vieles liegt im Dunkeln, weil sie scheinbar keine eigene Schrift besaßen. Zumindest haben wir nichts in der Art gefunden. Wir sind auf die Berichte der Griechen und Römer angewiesen. Also aus zweiter Hand und dadurch subjektiv aus deren Betrachtungsweisen und Kultur.« Griet beugte sich vor und betrachtete Kyra aufmerksam. »Wir vermuten, dass sie, wie kein anderes Volk, die Naturwissenschaft – also nicht nur die Natur – mit ihrem Glauben verwoben.«
»Du vermutest. Nicht ich. Denk doch mal daran, welche Schwierigkeiten Kopernikus oder Galilei beim Beweis ihrer Thesen bekamen. Und mehr als fünfzehnhundert Jahre früher erfindest du ein Volk, das Naturwissenschaften kultiviert«, warf Paul bissig ein.
»Ja genau«, gab sie giftig zurück. »Wie konnten die Ägypter ihre Pyramiden bauen und die Griechen sowie die Chinesen schon um 500 vor Christus mathematische Formeln entwickeln? Ebenso unwahrscheinlich muss es für dich sein, dass alle gefundenen Externsteine der Kelten genau nach den Gestirnen ausgerichtet sind.«
»Ist ja gut«, erwiderte Paul zerknirscht und hob abwehrend die Hände. Er hatte sie noch nicht mal ins Bett bekommen und schon maßregelte sie ihn, wie einen Ehemann.
»Die Kelten dachten monistisch, sie sahen die Welt ihrer Zeit als einzelnes Ganzes. Die Anderwelt, die für sie existierte, musste eine – wie das Wort sagt – andere sein. Für uns: die außerhalb existierende Welt. Das Universum oder etwas, das wir noch nicht kennen. Für die Kelten war die Anderwelt ein Bestandteil ihrer Welt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit und vor allen Dingen, mit welchen Mitteln der Kontakt in diese andere Ebene, sofern einer bestand, stattfand. Ja, ja Paul. Ich weiß, was du jetzt denkst. Mit Himmel und Hölle des christlichen Glaubens hat das nichts zu tun. Wie der Name schon sagt: Glaube, also nicht wissen. Die keltische Welt, vor allem die der Druiden, wandte Physik an. Belegbare Wissenschaft.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Paul. Kyra und Arget hörten sichtlich aufmerksam zu.
»Ich wollte dir deutlich machen, dass Kelten durchaus in der Lage waren, den physikalischen Bestandteil der Anderwelt zu erkennen. Also die Sterne und sogar das Sonnensystem mit den damals bekannten Planeten. Jetzt aber zu dem, was mir persönlich wichtig ist. Die überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler, die sich mit meinem Fachgebiet beschäftigen, ist der Ansicht, dass die Geisteshaltung des Volkes, eine Entstehung einer eigenen Schrift verhinderte. Überlieferungen wurden von den Druiden gesammelt und weitergegeben. Wenn der Mensch verschied, starb er nicht. Er lebte später weiter. Damit will ich mich nicht abfinden. Es muss irgendetwas Schriftliches geben.«
»Die Kelten haben nie die Frage nach dem Übersinnlichem gestellt. Sie sahen ihr Leben als etwas Werdendes, also bestand kein Ansatz, die Vergangenheit schriftlich zu überliefern«, sagte Kyra.
»Das ist richtig. Aber weshalb sollten sie sich der griechischen oder lateinischen Schrift bedienen? Mir ist bekannt, dass die Sprache der Kelten eine fast magische Bedeutung hatte und als göttliche Kunst gesehen wurde. Nicht umsonst hatten sie mit Ogma einen eigenen Gott der Beredsamkeit. Und auch das keltische Alphabet der Iren, Ogham, stammt wahrscheinlich, der Bezeichnung nach, von dieser Gottheit.«
»Die Sprache besaß nicht nur eine magische Bedeutung. Sie war vielmehr, gesellschaftlicher Ausdruck. Bei den Kelten wurde lediglich das unmittelbar Gesprochene anerkannt. Es mussten Normen eingehalten werden. Ja, die Sprache wurde sogar codiert«, warf Kyra ein.
»Das ist mir bewusst«, Griet funkelte sie kampflustig an. »Es ist aber doch auch so, dass die Druiden von diesem Tabu ausgenommen wurden. Warum sollten sie fremde Alphabete benutzen? Für Händler gilt dies ebenso.«
»Gut. So könnte die Diskussion jetzt stundenlang weitergehen.« Arget unterbrach selbstbewusst das Gespräch. »Ich denke ebenso wie Griet. Es ist nicht zu glauben, dass ein Volk, mit einer solchen Philosophie, nicht in der Lage gewesen sein soll oder es gar bewusst unterdrückte, Schriftliches zu fixieren.«
»Ja denkst du denn, ich glaube das nicht«, fuhr Kyra Arget an. »Ich finde, Griet vertritt ihren Standpunkt gut.«
»Was sollte das Ganze dann? Ist das ein Test?« Paul folgte erstaunt dem Wortwechsel.
»Nein«, versicherte Kyra eilig. »Aber es ist seltsam, dass du dich an Arget wendest und ihm eine haarsträubende Geschichte von Grabräuberei und dubiosen Gaunern erzählst. Wärest du nicht auch misstrauisch? Wir kennen euch nicht.«
»Wir euch auch nicht. Aber ich verstehe eure Zurückhaltung«, meinte Griet. »Die Geschichte ist schon sehr abenteuerlich. Aber nun zu unserem Fund«, sie nickte zum Tisch, auf dem die silberne Scheibe lag. »Könnt ihr uns dazu etwas sagen? Ich hatte vorhin den Eindruck, als habt ihr euch darüber verständigt. Es ist nur so ein Gefühl.«
»Du beobachtest gut.« Arget grinste. Das Gesicht zog dabei eine fürchterliche Grimasse und sah dennoch liebenswert aus. »Wir stimmten uns wirklich ab. Ein Blick genügte. Nun zu eurer Scheibe. Ich deute die Symbole tatsächlich als Schriftzeichen. Jedoch wird es so gut wie unmöglich sein, sie zu entziffern. Falls diese Zeichen tatsächlich von den Kelten stammen, sind sie verschlüsselt, wie ihre Sprache.«
»Und? Was tun wir jetzt?« Paul stand die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben.
»Falls ihr uns vertraut, lasst uns das Ding hier und wir untersuchen es genauer.« Kyra sprach Griet an, die Paul einen Blick zuwarf, der zustimmend nickte.
»Gut. Bei euch ist der Fund im Moment besser aufgehoben. Wer weiß, was uns noch bevorsteht.«
Kyra und Arget begleiteten die beiden zur Tür. Griet blieb draußen stehen und zeigte auf die Bäume, in deren Mitte eine Quelle entsprang.
»So gewaltige Birken habe ich noch nie gesehen«, stellte sie fest.
»Die haben einige Jahrhunderte auf dem Buckel. Hier ist einer von vielen heiligen Orten der Vergangenheit unserer Gegend.«, bemerkte Kyra.
»Es ist schön hier. Dieses Haus hier ist doch bestimmt auch uralt?«
»Es wurde von einem meiner Vorfahren erbaut. So um 800 unserer Zeitrechnung.«
Das Haus, mehr eine Kate, verschmolz windschief mit dem Hügel, der die Mulde, in der das Dorf lag, abschloss. Es sah tatsächlich so alt aus, wie Kyra sagte.
»Du kannst deinen Stammbaum soweit zurückverfolgen?« Griet sah sie zweifelnd an.
»Noch weiter. Du würdest es nicht glauben.«
»Sollte ich ein anderes Thema wählen? Es erscheint mir interessant, was du sagst. Ein ellenlanger Stammbaum …«, sie ließ den Satz versanden und stockte. »Ich weiß nicht so genau mit euch beiden. Da ist immer noch etwas, was ich nicht begreife.«
»Mach dir keine Gedanken. Die Zeit wird es richten.« Kyra grinste spitzbübisch. »Jetzt muss ich euch leider verabschieden. Wir haben noch zu tun.«
*
sechs
Griet nahm die zweite Flasche Bier und rutschte im Liegestuhl etwas höher. »Soll ich weiter erzählen oder langweile ich dich?« Sie warf ihm einen unergründlichen Blick zu.
»Auf jeden Fall … weitererzählen. Du bringst die Geschichte gut rüber und ich schwärme für Märchen.« Er nickte auffordernd.
»Ich hoffe nicht, dass ich Märchen erzähle. Schließlich ist das Leben Kendrics für meine Berufswahl verantwortlich.« Ihr Blick schweifte durch den Garten und blieb auf einer Katze hängen, die bewegungslos den Maulwurfshügel auf dem Rasen beobachtete, der in einem Zusammenhang mit ihrer Geschichte stand. Wie? … wusste sie nicht. »Also, dann weiter …«
*
Kendric und Bronwyn wanderten seit Tagen auf dem Weg zu ihrer neuen, unbekannten Heimat. Entsprechend dem ungeschriebenen Gesetz, dass nicht zwei Druiden an einem Ort wirken durften, suchten sie eine neue Bleibe. Normalerweise ging der Ältere. Doch Kendric zog es fort. Tiefes Sehnen trieb ihn in die Ferne. Er konnte und wollte nicht mehr in seiner bisherigen Siedlung bleiben. So sehr der Stamm bettelte, aber als Druide und Besucher der Anderwelt hatte er das Sagen. Die heimliche Angst, Bronwyn würde sich ihm verweigern, stellte sich als grundlos heraus. Sie sagte sofort zu, mit ihm zu ziehen.
An Beltane, dem Frühlingsfest, wurden die reinigenden Feuer entzündet. Kendric bekam erstmals die Gelegenheit mit Labhruinn die Holzstämme zu reiben, bis die Funken in das aufgeschichtete Reisigmaterial sprangen und die Flammen tanzen ließen. Die Verwendung von Feuerstein entsprach nicht dem Brauch. Die beiden Druiden unterhielten sich bei dieser Tätigkeit so vertraut, als hätten sie ihre gemeinsame Zeit schon immer gleichrangig verbracht. Sie versuchten, voneinander zu lernen.
»Kendric darf ich dir eine Frage stellen?«
»Sicherlich, Labhruinn.«
»Die Anderwelt, wie ist sie?«
»Anders, ganz anders, als wir sie uns vorstellen. Zumindest der Teil, den ich kenne. Ich finde schwerlich Worte, es auszudrücken. Sie ist voller Kraft und Geheimnisse. Was wir richtig festgestellt haben, ist, das Gleichgewicht des Ganzen. Alles muss im gleichen Rhythmus schwingen – sonst geraten die Kräfte durcheinander und zerstören sich gegenseitig«, sinnend blickte er auf, während die Hände weiter das Holz rieben.
»Wie soll ich das verstehen? Hast du es gesehen oder durch die Kraft deiner Gedanken herausgefunden?«
»Die Macht, die unsere Welt zusammenhält, ist in der Anderwelt sichtbar und wird durch viele Farben dargestellt. Die Sterne, die unsere Sonne umrunden, ziehen einen Kreis der Kräfte. Aber dahinter, in weiter Ferne, lauert das Böse in einem Nebel. Davor müssen wir uns in acht nehmen.«
Unwillkürlich hielt Labhruinn inne und setzte an, etwas zu sagen. Doch Kendrics Gedanken weilten in solcher Ferne, sodass er es unterließ. Ihm wurde nicht bewusst, welchen Prozess er in Gang setzte.
Zum Beltanefest versammelten sich die Stämme mit den Druiden, um Mutter Erde das Erwachen zu erleichtern.
Beltane bedeutete nicht nur Willkommensgruß, sondern auch der Beginn des neuen Jahres. Wer an diesem Tag besonderes Glück hatte, dem begegnete ein Elf. Aber das geschah schon seit Menschengedenken nicht mehr. Sie trieben an diesem Tag das Vieh zwischen zwei Feuern, die Labhruinn und Kendric entzündeten, hindurch, um Krankheiten zu verhindern. Ebenso verbrannten sie den Kopf des Pferdes, das zu Samhain geopfert wurde.
Am diesjährigen Beltane wirkte Kendric erstmals öffentlich als Druide. Als das letzte Tageslicht verblasste, nahm Bronwyn Kendric bei der Hand und zog ihn in den Wald. Obwohl er damit rechnete, zog ein flaues Gefühl in der Magengegend auf. An Beltane suchten sich die Frauen den Mann aus, mit dem sie die Nacht verbrachten. An diesem einzigen Tag des Jahres schliefen die Menschen ungestraft mit beliebigen Partnern.
Die Natur schickte dem jungen Paar ein positives Zeichen. Sie begegneten Cernunnos, der ihnen in Gestalt des Hirsches über den Weg lief. Die Fruchtbarkeit der Erde segnete sie.
Die Sonne schien den ganzen Tag und schickte die sengenden Strahlen zu Mutter Erde, sodass es bis in die Morgenstunden angenehm warm blieb. Die Bäume wogten sanft und schufen friedliche, unwirkliche Stimmung. Vögel und andere Tiere suchten ihr Nachtlager auf und gaben denen Platz, die in der Nacht Aktivität entfalteten.
Auf der kleinen Lichtung, nahe dem Feenhügel, erwartete sie das Moosbett, das Bronwyn seit dem Morgen, vorbereitete.
In den letzten Tagen spukte nichts anderes, als dieser Moment durch den Kopf. Dabei verging er vor Angst, weil er nicht genau wusste, was auf ihn zukam. Natürlich beobachtete er Tiere beim Geschlechtsakt. Dennoch konnte es bei Menschen ganz anders sein.
Bronwyn überdeckte die Unsicherheit, die ihn plagte, souverän und bedeutete ihm, eine kniende Stellung einzunehmen. Sie nahm sein Glied und rieb die Vorhaut vor und zurück, wie er es immer tat, wenn er von ihr träumte. Labhruinn schlug ihn oft dafür. Bronwyns Augen glänzten und versanken in seinen. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und atmete hastig und kurz. In ihrer beider Körper wuchs die Spannung. Es dauerte nicht lange und der Körpersaft quoll heraus. Er schoss auf den Waldboden. Die schlagartige Entspannung des Körpers kam so plötzlich, dass er erschrak. Mutter Erde bekam ihren Teil, dadurch wurde die Natur erneuert. Er sank auf das Mooslager und glitt in einen leichten Schlaf. Jedoch gab Bronwyn keine Ruhe. Sie bearbeitete sein Glied wieder und wieder, bis er dort und im gesamten Körper, wieder das bekannte Kraftgefühl spürte. Er drohte zu platzen. Sie kniete vor ihm und bedeutete ihm, zu tun, was ein Mann tun muss. Mit spitzem Schrei empfing sie ihn. Kendrics Gedanken setzten aus und drohten, aus dem Gefängnis des Geistes zu entfliehen. Es gab nur ihn und den weichen nachgiebigen – aber fordernden - Körper Bronwyns. Sie wälzten besinnungslos vor Lust auf dem Lager. Während er ihren Namen flüsterte, strich sie immer wieder mit der Zunge über sein Gesicht und erforschte den Mund. Sie riefen ihre Namen, als sie gleichzeitig den Höhepunkt erreichten. Ermattet aneinander gekuschelt schliefen sie ein. Sie taten, was sie tun mussten, noch mehrmals in dieser Nacht.
Am nächsten Morgen versammelten sie sich mit den anderen und jeder wusste, dass Bronwyn und Kendric, jetzt und in alle Zukunft, zusammengehörten.
Weit von ihrem Zuhause lockte die Ferne, das bessere Leben.
»Labhruinn, ich danke dir. Jetzt muss ich in der Fremde das finden, wohin es mich zieht.« Kendric stand dem alten Druiden in lockerer Umarmung gegenüber. Die Zeit des Abschieds nahte.
»Du warst mir immer der Sohn, den mir Mutter Erde nicht geben mochte. Gehe in Frieden, damit dein Geist zur Ruhe kommt.« Labhruinns Augen glänzten gerührt.
»Wie soll ich das verstehen?« Kendric schaute den Lehrmeister verständnislos an.
»In die Anderwelt gelangen nur die unruhigen Gedanken. Nur wenige außergewöhnliche Menschen drangen bisher in das Geheimnis der Natur ein. Sieh dich vor. Die Macht unserer Mutter Erde kann dich zerstören.« Labhruinns Augen ruhten mitleidig und hellseherisch auf ihm.
»Dessen bin ich mir bewusst. Aus diesem Grunde muss ich auch in eine andere Zukunft, als sie mich hier erwartet.«
Kendric überzeugte in den letzten Wochen Männer und Frauen des Stammes, mit ihm zu ziehen. Er beschrieb die neue Heimat in den anschaulichsten Bildern, obwohl er sie niemals zuvor gesehen hatte. Unterwegs schlossen sich weitere Kelten, aus den anderen Stämmen, an, deren Anhängerschaft zu groß wurde, um alle zu ernähren.
Das Ende der langen Reise rückte näher. Sie traten aus dem Wald in eine lang gezogene Mulde, an deren Ende ein kleiner runder Hügel, ohne Unregelmäßigkeiten, lag. Am Fuße der Erhebung entsprang eine Quelle, die drei mächtige Birken umstanden. Diesen Platz hatte Kendric beschrieben. Sowie grüne Wälder mit Wildreichtum und große Sandflächen eines Hochmoores, von Teichen und Sumpfgrasinseln unterbrochen.
»Hier rasten wir. Das ist ein heiliger Ort. Hier verschenkt Mutter Erde ihren Lebenssaft.« Kendric sah sinnend hoch. »Und der Himmel wird auch gehalten«, er zeigte zu den Ästen der riesigen Bäume. »Bronwyn, dort bauen wir unsere Hütte«, er wies zum Hügel, der von einem freien Streifen Heidesand umgeben wurde. »Das Haus für die anderen«, er schritt ungefähr einhundert Meter in westliche Richtung ab, »kommt genau hier hin. Wir müssen es groß genug bauen. Bald leben noch mehr Menschen hier. Ich möchte auch einige Schülerinnen und Schüler haben.«
»So sei es.« Sie neigte den Kopf. In der kurzen Zeit ihrer Verbindung wurde aus dem schüchternen Mädchen eine selbstbewusste Frau. Bronwyn war sich der Verantwortung bewusst, die sie als Gefährtin des Druiden hatte. Ihr schien, als habe sie noch nie einen mächtigeren Mann gesehen, als Kendric. Das belegten auch die vielen Besucher der Stämme, die aus der Ferne kamen, sobald bekannt wurde, dass Kendric, der Besucher der Anderwelt, in den Wäldern rastete. Dann lief es wie ein Lauffeuer durch den Wald. Labhruinn, wie auch ihr Vater, wurden als geachtete Gelehrte verehrt und die Stämme hörten sie stets bei den Versammlungen. Jedoch Kendrics Popularität und Ansehen besaßen eine andere Qualität, als bei den beiden.
»Ich spreche mit den Leuten. Du solltest nun meditieren, damit Mutter Erde unsere neue Heimat akzeptiert.«
»Genug für heute«, meinte Griet und rutschte mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht in eine sitzende Stellung.
»Diese Geschichte«, er begann zögernd, »erzählst du doch nicht nur, weil du dadurch zu deinem Beruf kamst. Mir sind wesentlich kürzere Abhandlungen bekannt, weil sie zum Sagengut unserer Gegend gehören.«
»Später.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Du hast mir vorhin ein Zimmer und ein Bett angeboten … ich komme gern darauf zurück.«
»Schaffst du die Treppe hoch?« Er wies in Richtung Flur und zeigte nicht, wie sehr er sich über ihre Antwort wunderte. »Oben rechts sind zwei Zimmer. Such dir eins aus. Das Bad ist im Flur.«
»Danke. Die Treppe komme ich alleine hoch. Danke auch dafür, weil du mir hilfst.« Sie drückte ihren geschundenen Körper mühsam aus dem Liegestuhl.
Paul packte sie, ohne viel Aufheben, an der unverletzten Seite und trug sie fast die Treppe hoch.
*
sieben
»Was hältst du von den beiden?«, fragte Arget.
»Sie sind ganz nett. Vor allem Griet. Sie ist eine intelligente Frau. Ich glaube, sie ahnt etwas.« Kyra stand nachdenklich und ein wenig verloren vor der Türe der Kate und sah den beiden nach.
»Woher soll sie eine Ahnung haben? Nicht einmal wir selbst verstehen, was mit uns los ist.«
»Unterschätz die Menschen außerhalb unserer Isolation nicht. Die sind nicht dumm.«
»Du legst immer jedes Wort auf die Goldwaage«, murrte er. »So habe ich es nicht gemeint.«
»Weiß ich doch.«
»Die Scheibe. Ist sie das, was ich vermute?«
»Ja. Du liegst richtig. Der Teller ist besprochen. Landläufig würde man sagen, er ist mit einem Zauber belegt. Doch ich vermag die Zeichen nicht zu deuten. Ich spüre nur den Strom der Energie. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist Kendrics Werk.«
»Es gibt etwas, das du nicht verstehst? Kendric? Was die Götter verhüten mögen.« Arget schaute besorgt.
»Ich habe nicht gesagt, dass ich es nicht verstehe. Ich kann sie nicht deuten«, gab sie schnippisch zurück.
»Und, was machen wir?«
»Wir lassen alle zusammen kommen und beraten.«
»Das ist gut. Es wird Zeit, dass wir uns noch einmal sehen.«
»In Paul steckt etwas. Es ist ihm nicht bewusst. Ein kleiner Anstoß und er wird über sich hinauswachsen. Ich denke, er ist der Schlüssel zu dieser Scheibe und nicht Griet.« Kyras Gesicht wirkte fast grimmig.
»Bei ihm spüre ich rein gar nichts. Er mag ein intelligenter Mensch sein, aber mehr auch nicht.«
»Seine Fähigkeiten liegen tief verborgen, mit Wurzeln in der Vergangenheit. Dieser Schleier, hinten in den Augen, hast du ihn bemerkt? Nein. Seine Ausstrahlung mag durchaus in der Überwindung seiner Krankheit liegen.«
»Er war krank?«
»Ja. Siehst du das denn nicht«, fragte Kyra genervt, um gleich wieder herunter zu kochen. »Ich vergaß. Es tut mir leid. Doch denke an meine Worte«, sie sah ihn vielsagend an.
*
»So ein Schei … benkleister.«
»Was ist passiert?«
»Ich bin in einen Hundehaufen getreten.«
»Pass besser auf.« Griet grinste, als sie die platte Bescherung sah.
»Jetzt fang nur an, zu lästern.« Paul beugte sich nach unten und nahm den Schuh in Augenschein. Im gleichen Moment spürte er einen Luftzug am Ohr und hörte ein trockenes plopp. Es dauerte einige Zeit, bis er realisierte, was geschah. Doch dann geriet er in Bewegung. Er sprang mit einem weiten Satz auf Griet und warf sie zu Boden. »Runter. Auf uns wird geschossen.«
»Aua. Du tust mir weh.« Sie drückte ihn weg. »Wieso geschossen? Ich habe nichts gehört.«
»Auf mich hat noch nie jemand geschossen. Aber, es kann nichts anderes sein«, er griff ans Ohr und betrachtete die Hand. »Blut.«
»Lass sehen«, sie drehte seinen Kopf. »Du hast einen Kratzer.«
»Da hat jemand geschossen.« Über ihnen splitterte Holz aus einer Kiefer und er hörte wieder dieses harte Geräusch. »Komm wir müssen weg. Die knallen uns ab.«
Sie robbten auf dem Bauch tiefer in das Gebüsch und fielen in eine kleine Senke, die man von außerhalb nicht sah.
»Er stand hier. Ich habe ihn getroffen. Ich bin mir sicher«, hörten sie Huub auf Niederländisch sagen.
»Dann muss er hier sein. Aber ich sehe nichts«, antwortete eine barsche Stimme.
»Dann kriegen wir ihn ein anderes Mal. Er hat das Weibsstück gerettet. Wenn sie mit dem Fund an die Öffentlichkeit geht, haben wir nichts mehr in der Hand.«
»Was ist eigentlich so wertvoll an dem alten Kram?«
»Das weiß ich nicht so genau. Meine Auftraggeber haben mir schon vor Jahren gesagt, ich muss auf eine silberne Scheibe achten. So ein Keltendruide soll einen Schlüssel entwickelt haben, in dem unglaubliche Macht steckt.«
»Unglaubliche Macht? Schlüssel? Du hast nicht alle Tassen im Schrank.«
»Mag sein. Mein Kunde glaubt daran und bezahlt gut. Die Kelten hatten so einen bekloppten Glauben. Hing mit der Natur zusammen und irgendwelchen Dingen, die im Gleichgewicht sein mussten.«
»So wie Jing und Jang?«
Die Stimmen wurden leiser.
»Du bist doch nicht ganz dicht. Das sind Gegensätze«, hörten sie noch.
»Wer war das?«, flüsterte Paul.
»Huub en een Duitse«, antwortete sie ebenso leise.
»Die sind hinter der Scheibe her. Dein Kollege ist ein falscher Fuffziger. Der arbeitet in die eigene Tasche und nicht für deine Uni.«
»Das weiß ich seit einiger Zeit auch.« Griet spähte vorsichtig durch die Äste. »Sie sind weg. Jetzt lass´ mich dein Ohr sehen.« Sie fuhr mit einem Finger darüber. »Wirklich nur ein Kratzer. Nicht so schlimm.«
»Nicht so schlimm.« Paul fuhr hoch, wie eine Rakete. »Der hätte mir mitten durch den Kopf schießen können.«
»Hat er aber nicht«, gab Griet lakonisch zurück. »Wir brauchen einen Plan.«
»Was für einen Plan? Die sind hinter uns her, weil sie deine Scheibe wollen. Wir wissen nur, dass dein beknackter Kollege und noch so ein dämlicher Armleuchter auf uns geschossen haben. Was willst du da planen?« Er richtete sich vollends auf und ging zum Weg zurück.
»Wo willst du hin?«
»Nach Hause. Ich habe die Schnauze voll.«
»Und dann?«
»Schließe ich mich drei Wochen ein. Dann haben die mich vergessen.«
»Und ich? Willst du mich jetzt allein lassen?«
»Wir sind nicht verheiratet«, brüllte er grimmig und genervt. »Ich bin nicht für dich verantwortlich.«
»Ook als we getrouwd waren, zou ik voor mijzelf verantwoordelijk zijn. Onthoudt dat goed (auch, wenn wir verheiratet wären, wäre ich für mich verantwortlich. Schreib dir das hinter deine Ohren)«, gab sie ebenso laut zurück und verfiel ins Holländische.
»Na dann ist das ja klar«, sagte er ruhiger zu ihr. »Was willst du dann von mir?«
»Blöde Frage. Ich brauche deine Hilfe.«
»Wobei? Bei deinem Selbstmord?«
»Ach, je kunt me wat (Ach, rutsch mir doch den Buckel herunter).« Griet ging in den Wald zurück.
Unschlüssig beobachtete Paul den Abgang. Sollte er sie ins offene Messer laufen lassen?
»Warte. Ich komme mit.« Er stapfte unmutig hinter ihr her. »Du hast schon zig Mal alles durchkämmt. Was willst du noch finden?«
»Das haben wir jetzt schon oft genug besprochen. Was ist los mit dir?«
»Ich habe keinen Bock mehr.«
Griet blieb stehen und drehte sich ihm zu. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie ihn. Ein nachdenklicher Ausdruck trat in ihre Augen. Sie fasste ihn am Arm.
»Also gut. Gehen wir zurück. Wir können auch später wieder zu dem Grab gehen.«
Willig folgte er ihr in Richtung Heideparkplatz. An der großen Pfütze in der Senke zeigte er in den Weg, den Anstieg, an dem früher Hochspannungsmasten standen.
»Wir gehen am besten hier hoch. Wir lassen den Heideparkplatz links liegen.«
»Gut.«
»Hier bin ich in meiner Jugend mit dem Pferd hochgebrettert.« Er versuchte, die Stimmung zu lockern, während sie die Steigung nahmen. »Oben war der Weg eines Tages weggebrochen, weil dort Kies abgebaut wurde.«
Griet reagierte nicht. »Dann rutsch mir doch den Buckel herunter«, brummelte er und stapfte von nun an drei Schritte vor ihr.
Eine Dreiviertelstunde später standen sie in Pauls Küche. Nachdem sie gemeinsam den Kaffee zubereitet hatten, saßen sie am Tisch. Paul stierte auf die Tasse und Griet musterte ihn unter ihren Wimpern hindurch.
»Willst du ein Foto? Oder weshalb beobachtest du mich?«
Sie grinste, beugte sich vor und legte die Arme auf den Tisch.
»Kommst du wieder zu dir?«
»Mensch. Es ist mir nicht einmal peinlich. Ich hatte und habe unheimliche Angst.«
»Ich auch.«
Paul sah hoch und versank in ihren grauen Augen. Kleine goldene Pünktchen tanzten dort herum. Sie kräuselte die Lippen. Unwillkürlich machte er die Bewegung mit seinem Mund nach. Schnell trank er einen Schluck Kaffee.
»Hast du das vorhin mitgekriegt? Die Scheibe soll ein Schlüssel zu großer Macht sein. Sie hängt irgendwie mit der keltischen Anderwelt zusammen.« Griet zog ihre Augenbrauen hoch, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Habe ich mitbekommen. Die Anderwelt ist doch ein physikalischer Raum?«
»Raum? Ich weiß nicht. Ist sicherlich nicht der richtige Begriff. Die Anderwelt ist oder war eine Welt in dieser Welt. Die Kelten kannten keine Geister oder solche Begriffe. Seelenwanderung war für sie unbekannt. Sie lebten einfach weiter. Vielleicht parkten sie in der Anderwelt. Ich weiß es nicht. Es ist so schwer, zu verstehen.«
Paul stand auf und drehte nachdenklich eine Zigarette.
»Es muss schön sein, in dem Bewusstsein zu leben, dass man einfach weiterexistiert.«
»Ja. Im Grunde genommen hätte man ein tolles Gefühl. Du hast mir von deiner Krankheit erzählt. Die scheint doch geheilt oder gestoppt. Weshalb verlierst du dich immer wieder in deinen Ängsten? Jetzt suchst du auch wieder einen Halt. In der Anderwelt. Du bist subjektiv. Lebe im Jetzt!«
Erstaunt sah er sie an. Der Themenwechsel kam überraschend. So gut und solange kannten sie sich nicht.
»Ich und subjektiv. Du spinnst ja.«
»Klar, ich spinne. Aber du lebst, oder was? Das, was du Leben nennst, ist Vegetieren in einer Höhle. Du kommst doch nicht raus. Du schaffst dir deine persönliche Hölle, deine eigene Anderwelt.«
»Du siehst doch, was man davon hat. Wenn ich mal vors Loch komme, werden Leute abgestochen oder überfallen und es wird auf einen geballert. Dann bin ich lieber hier und habe meine Ruhe.«
»Paul. Überlege dir, was du willst. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.« Sie sah ihn gespannt an.
»Du hast ja recht. Ich kapsele mich zu sehr ab. Es ist schwer, über den eigenen Schatten zu springen.«
»Komm, gib dir einen Ruck«, bittend schaute sie ihn an. »Es geht nicht nur um mich, es geht auch um dich.«
»Also gut«, entschied er. »Aber nur, wenn ich noch einmal nach deiner Wunde sehen darf.« Er grinst unergründlich.
»Die ist doch schon verheilt. Ach so …«. Sie schlich, wie eine Katze, auf ihn zu und legte die Arme um den Hals. »Dazu brauchst du keine fürsorglichen Gründe vorzuschieben.«
Sie küsste ihn unerwartet leidenschaftlich und presste ihren Körper gegen den seinen. Er packte fest zu und die Hände glitten zu ihren Pobacken, nach denen ihm, schon seit Tagen die Finger standen. Er spürte ihre Brüste und Schenkel. Eine schon länger vergessene Körperregion erwachte zum Leben und pulsierte fordernd. Sie ließen ihren Gefühlen minutenlang freien Lauf.
Kurz bevor die Erregung den Höhepunkt erreichte, drückte Griet ihn weg.
»Hier machen wir Pause«, sagte sie leise.
»Schon?«, nuschelte er an ihren Lippen. »Ich könnte etwas mehr vertragen.«
»Ich auch.« Sie streichelte seinen Nacken. »Aber ich brauche noch etwas Zeit. Wir werden alles nachholen.«
»Versprochen?«
»Versprochen!«
*