Kitabı oku: «Isabelle», sayfa 2

Yazı tipi:

„Wie war es?“ – „Hattet ihr einen schönen Abend?“ – „Gibt es etwas Neues?“

Die üblichen Fragen, die eine Ehefrau stellt, wenn der Ehemann mit einem Freund unterwegs war und spät nach Hause kommt. Die Antworten waren dementsprechend knapp.

„Gut.“ – „Ja.“ – „Nein.“

Als er aus dem Bad ins Bett kam und mir einen Kuss gab, roch ich den Alkohol. Es war wohl mehr als ein Bier geworden. Er drehte sich um und schlief sofort ein.

Ich dagegen lag noch immer wach und ärgerte mich über seine Gleichgültigkeit und scheinbare Ruhe. Plötzlich erwachte ich. Ich musste wohl doch eingeschlafen sein. Die Uhr neben meinem Bett zeigte an, dass es zwei Stunden später war. Ronni wälzte sich neben mir unruhig von einer Seite auf die andere. Er schien zu träumen. Unverständliche Laute drangen aus seinem Mund.

Das sind die Folgen des zu reichlich genossenen Alkohols, dachte ich noch, als ich erschrak. Hatte ich richtig gehört?

Ich setzte mich auf und beugte mich über seinen Kopf. Er lag mit dem Rücken zu mir gewandt und ich musste mich

weit hinüberbeugen, um mein Ohr nahe an seinen Mund zu bringen.

Da, wieder. Ich hatte richtig gehört.

„Lisa“, war zwar nicht klar, aber unverwechselbar zu hören.

Nein, nicht schon wieder. Ich war außer mir. Ärger, Enttäuschung, Verletzung, alles überwältigte mich.

Ich schlug die Bettdecke zurück und rannte ins Wohnzimmer. Dort kauerte ich mich in die Sofaecke und schlang eine Decke um mich. Zuerst wollte ich die Tränen zurückhalten, aber ohne Erfolg. Dicke Tränen rannen über meine Wangen und ich schluchzte laut auf. Fassungslos, wütend, enttäuscht und gedemütigt fühlte ich mich.

Jetzt war ich überzeugt, nein, es stand fest: Ronni hatte eine Affäre mit Lisa!

Da war überhaupt nichts mehr zu beschönigen oder zu vertuschen. So war es einfach. Und ich dumme Kuh hatte nichts bemerkt. Noch viel schlimmer: Ich hatte ihn auch noch geheiratet.

Gefühlte drei Stunden saß ich auf dem Sofa, als sich die Schlafzimmertür öffnete. Ronni kam herein. Er setzte sich neben mich und schlang fast zärtlich den Arm um meine Schultern. Behutsam aber energisch drängte ich seinen Arm zurück.

„Wir müssen reden“, sagte ich zu ihm mit ernster Miene.

Er schaute mich verständnislos an. Wie sollte er auch verstehen, was mich erschütterte? Er hatte schließlich nicht bewusst Lisas Namen gestöhnt, als wir uns liebten. Mit Sicherheit konnte er sich auch nicht daran erinnern, dass er in dieser Nacht ihren Namen im Traum genannt hatte.

Trotzdem war ich wütend. Seine Unwissenheit machte es nichts besser, im Gegenteil, sie ärgerte mich maßlos. Mein Verdacht, dass er mich betrogen hatte, war einfach vorhanden. Ich hoffte inständig, dass er eine akzeptable und einleuchtende Erklärung vorbringen würde. Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, wie ich bei einer Bestätigung meines Verdachts reagieren würde.

„Worüber müssen wir mitten in der Nacht reden?“, fragte er ahnungslos.

„Über Lisa!“, antwortete ich schnippisch.

„Über Lisa? Lisa ist tot. Du weißt, was geschehen ist. Was gibt es darüber noch zu reden?“

Er schaute mich fragend und irritiert an.

„Du hattest eine Affäre mit ihr!“, schleuderte ich im rücksichtslos und lauthals ins Gesicht.

„Als wir uns liebten, hast du im schönsten Augenblick nicht meinen Namen gestöhnt, sondern ihren. Und in dieser Nacht hast du von ihr geträumt und ihren Namen genannt. Das reicht doch bestimmt – oder?“, schrie ich außer mir vor Wut und Enttäuschung.

Mit einem Mal schien ihm klar zu sein, wie es um mich, um ihn und um uns stand.

Lange schaute ich ihm direkt in die Augen. Ich hatte nichts mehr zu sagen und konnte nur noch warten, wie er reagieren würde. Er konnte meinem Blick nicht standhalten und schaute vor sich zu Boden. War das bereits das Schuldeingeständnis? Angst kam in mir hoch – Existenzangst um unsere Beziehung.

Dann begann er zögernd zu reden. Immer wieder stockend erzählte er, wie er Lisa kennen und schätzen gelernt hatte. Dann stand er auf, ging zum Fenster und schaute in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Immer mehr sprudelten die Worte und Sätze wie ein Wasserfall aus seinem Mund. Als hätten sie sich über Monate in ihm gestaut und nur auf ein Ventil zum Ablassen gewartet. Ich schaute nur seinen Rücken an und wollte nicht glauben, was ich hörte. Gleichzeitig war ich unfähig, ihn zu unterbrechen oder ein Wort zu sagen.

Manchmal fuhren seine Arme fahrig durch die Luft. Es schien, als hätte er mich völlig vergessen.

Bis ins kleinste Detail erzählte er:

Wie er Lisa aufgesucht hatte und das Nachtsichtgerät für ihren Einsatz gebracht hatte.

Wie sie ihm aus Versehen den Kaffee über die Hose geschüttet hatte.

Wie er sich im Badezimmer die Hose ausgezogen hatte und trocknen wollte.

Wie sie nach ihm geschaut und sich an ihm vorbeigedrängt hatte, um ihm ein Handtuch aus dem Schrank zu geben. Wie sie dabei vor ihm stehen geblieben war und sich an ihn gedrückt hatte.

Wie er schließlich die Kontrolle über sein Gleichgewicht und dann über sich selbst verloren hatte und sie beide in der Badewanne und später im Bett gelandet waren.

Er ließ bei seiner Schilderung noch nicht einmal aus, wie er sich gefühlt hatte und was er dabei empfunden hatte. Wie er Lisa in diesen Augenblicken gemacht und begehrt hattee.

Es schien, als wollte er mit der Vergangenheit abrechnen, reinen Tisch machen.

Aber geliebt, nein, das hatte er sie nicht. Lieben würde er nur mich. Seiner Meinung nach war es ein Ausrutscher gewesen. Er war von ihr verführt, übertölpelt worden.

Als er abschließend leidenschaftslos, fast nüchtern bemerkte, dass Lisa außerdem jetzt tot sei und sie keine Gefahr mehr bedeuten würde, stand ich wortlos auf, zog mich an und verließ das Haus. Mir fehlten die Worte. Ich konnte nichts dazu sagen, ich konnte ihn noch nicht einmal mehr ansehen. Planlos lief ich durch das nächtliche Bonn. Als es dämmerte, drehte ich den Schlüssel um und betrat wieder unsere Wohnung. Mein Mann saß noch immer auf dem Sofa und starrte die Zimmerdecke an und dann mich.

Keiner von uns sagte ein Wort. Ich ging ins Schlafzimmer und schloss mich dort ein. Als ich am nächsten Tag kurz vor Mittag ins Wohnzimmer ging, war Ronni nicht mehr da. Auf dem Tisch lag ein Zettel, auf dem stand lediglich, dass er zum Büro gefahren war und dass er mich anrufen würde.

Gegen Mittag klingelte das Telefon. Im Display erkannte ich die Nummer von Ronnis Büro und überlegte, ob ich abheben sollte. Ich entschloss mich, nicht abzuheben. Nach fünf Minuten klingelte es erneut. Es war wieder seine Nummer. Ich ließ es lange klingeln, nahm dann doch ab, ohne mich zu melden.

„Ich bin es“, begann er, als wenn ich das nicht wüsste.

„Können wir heute Abend noch mal darüber reden? Es tut mir wirklich so leid. Ich liebe dich doch.“

„Wir haben bisher all die Monate nicht darüber geredet. Nur du hast in der vergangenen Nacht geredet. Demzufolge brauchen wir also nicht noch mal darüber zu reden. Du hast alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ich brauche Zeit.“

„Das verstehe ich ja. Wie soll es denn mit uns weitergehen?“

Seine Stimme klang zaghaft und zitterte leicht. Ich hatte den Eindruck, dass ihn seine Schuldgefühle quälten. Das gab mir Sicherheit und Oberwasser.

„Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Wir werden sehen.“

Nach diesen Worten legte ich auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich hatte anfangs nicht gedacht, dass dieses Gespräch mir so gut tun würde. Mir war mit einem Male klar, dass ich ihm nie würde vergeben können. Und noch etwas wurde mir klar. Ich würde mich für die Verletzung, für die Erniedrigung, die er mir zugefügt hatte, rächen. Ich wollte ihn leiden sehen.

Die nächsten Tage waren schrecklich. Es herrschte eisige Kälte. Ich spürte, wie er darunter litt. Er war äußerst aufmerksam und hin und wieder versuchte er, ein Gespräch zu beginnen. Ich ignorierte seine Aufmerksamkeiten und sagte nur das äußerst Notwendigste.

In mir war nicht nur etwas beschädigt, in meinem Herzen war etwas zerbrochen. Trotz allem konnte ich nicht den großen, entscheidenden Schritt machen und ihn verlassen.

Es war noch etwas da, was mich davon abhielt. Ich weiß bis heute nicht, was es war. War es ein Rest von Liebe oder war es die Sehnsucht nach Rache? Wollte ich nur bei ihm bleiben, um das Vergnügen zu genießen, ihn leiden zu sehen, wenn ich mich rächen würde?

In den kommenden Wochen besserte sich unser Zusammenleben. Wir gewöhnten uns beide an die Situation. Über Lisa oder über die Nacht seines Geständnisses verloren wir kein Wort mehr.

Irgendwann konnten wir an manchen Tagen sogar wieder miteinander lachen. Ein Fremder hätte vielleicht nicht einmal bemerkt, dass in dieser Ehe etwas vorgefallen war, das in vielen Ehen einen normalen Umgang miteinander unmöglich gemacht hätte.

Eines Abends, ich weiß nicht mehr wie lange es nach der Nacht der Wahrheit war, schliefen wir wieder miteinander. Bei mir war es die Lust auf Sex. Was Ronni dabei fühlte, kann ich nicht sagen, Wahrscheinlich war es bei ihm mehr.

Im September hatte er die Idee, dass wir zusammen eine Woche Urlaub machen sollten. Weit weg vom Einerlei des Alltags. Irgendwohin, wo es schön und warm wäre. Er fand, dass sich unsere Beziehung verbessert habe und ein Urlaub ein „weiterer Schritt in die richtige Richtung“ sei. Er schlug einen Wanderurlaub auf Mallorca vor. Grundsätzlich stand ich diesem Vorschlag nicht abgeneigt gegenüber. Mallorca, Spanien, meine Heimat, Sonne, Wandern. Ja, ich stimmte zu.

Wir hatten Glück und konnten eine Last-Minute-Reise nach Port de Sóller buchen. Ein schöner, kleiner Küstenort an der Nordwestküste der Baleareninsel in der Region Serra de Tramuntana. Eine hervorragende Wanderregion.

Einige Tage vor dem geplanten Reisetermin erhielten wir die Reiseunterlagen. Als ich sie in meinen Händen hielt, stellte sich bei mir eine starke Vorfreude ein, die ich bisher noch nicht verspürt hatte. Anders als bei unseren bisherigen Reisen richteten sich die Freude und die Spannung nur auf die Reise, das Land und die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Ronni spielte in meinen freudvollen Vorstellungen keine Rolle. Ich verhielt mich ihm gegenüber reserviert. Ich wollte die Freude nicht mit ihm teilen. Sie sollte nur für mich reserviert sein.

Auch Ronni verhielt sich anders als sonst. Angespannt, nervös, oder war es eine Reaktion auf meine Reserviertheit? Er sagte zwar, dass er sich freue, aber sein Mienenspiel und sein Tonfall unterstrichen diese Worte nicht.

Am Tag vor unserer Abreise sagte er beiläufig, dass er noch einmal mit dem Wagen weg müsse. „Wir können die Koffer packen, wenn ich wieder zurück bin, meinte er.

Wäre ich nicht bereits ein „gebranntes Kind“ gewesen, hätte ich mir nichts dabei gedacht. In diesem Fall kam mir die Beiläufigkeit, wie er das sagte, zu beiläufig vor.

Ronni nahm den Schlüssel seines Dienstwagens und verließ unsere Wohnung. Zuerst starrte ich unentschlossen auf die geschlossene Wohnungstür. Doch mit einem Mal wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich nahm den Schlüssel unseres privaten Wagens und verließ ebenfalls die Wohnung.

Als ich den Zündschlüssel im Zündschloss umdrehte, konnte ich gerade noch sehen, wie er um die Straßenecke bog. Ich fuhr hinterher und bemerkte bald, dass er den Weg zur Autobahn einschlug. Er fuhr auf die Autobahn in Richtung Troisdorf und ich ließ mehr als ausreichend Abstand, damit er mich nicht bemerkte. In Troisdorf nahm er die Ausfahrt. Er durchquerte die Stadt und spätestens am Beginn der Altenrather Straße ahnte ich, wohin er wollte.

Er bog in die Heerstraße zum Waldfriedhof ein. Ich fuhr weiter geradeaus. Wenig später wendete ich und näherte mich dem Friedhof von der anderen Seite der Heerstraße. Meinen Wagen parkte ich in einer Seitenstraße.

Da ich ahnte, wohin er wollte, ging ich zu Fuß bis zum Zaun, der das Friedhofsgelände umgab. Ich war lediglich zur Beerdigung von Lisa auf diesem Friedhof gewesen, konnte mich aber erinnern, dass ihr Grab nicht weit von der Einzäunung entfernt war. Vorsichtig suchte ich eine Stelle, von der aus ich in Richtung Lisas Grab sehen konnte.

Da stand er – mein Ehemann, am Grab seiner verstorbenen Geliebten!

Wieso war ich so ruhig? Dieser Anblick hätte mich doch erschüttern müssen. Ich war einfach ruhig, heute würde ich sagen, eiskalt.

Ich hatte genug gesehen und musste mich beeilen, damit ich vor Ronni wieder in der Wohnung war.

Die zwanzig Minuten bis nach Hause überlegte ich, wieso er zum Grab von Lisa gegangen war?

War das eine Lüge gewesen, als er mir gesagt hatte, dass das damals nur ein Ausrutscher war? „Ich habe Lisa nicht geliebt, ich liebe nur dich“, hatte er geschworen. War das alles nur Schauspiel? War ich nur die Lückenbüßerin für Lisa? Ober hatte er nicht gelogen und wollte mit der Urlaubsreise neu mit mir anfangen und dieser Besuch am Grab war eine Art Abschied – Abschied für immer?

Ich fand keine Antwort und würde wahrscheinlich auch nie eine Antwort finden. Man kann nun einmal nicht in die Gefühlswelt und in die Gedanken eines anderen Menschen hineinblicken. Man sieht immer nur sein Gesicht, seine Reaktionen und Taten und vernimmt seine Worte. Man kann glauben was man sieht und hört – oder eben nicht.

Was ich bisher gesehen und gehört hatte, war deprimierend. Keinesfalls war es so erbaulich, dass man darauf ein Leben hätte aufbauen können.

Trotz allem würde ich am nächsten Tag den Urlaub antreten, das stand für mich felsenfest. Ich wollte leben und genießen.

Ronni sollte büßen und leiden und das wollte ich genießen. Vielleicht ergab sich im Urlaub bereits eine Möglichkeit, ihn leiden zu sehen. Andernfalls würde danach noch genügend Zeit und Gelegenheit sein.

3


Die gestrige Wanderung hat mir gut getan, auch wenn das Wetter nicht zum Wandern einlud. Nachdem ich danach tatsächlich zwei Stunden am helllichten Tag geschlafen hatte, fühlte ich mich wie neu geboren. Die anschließende heiße Dusche trug zusätzlich das Ihre dazu bei. Daher befürchte ich nicht, dass ich mir durch den Regen eine Erkältung zugezogen habe. Dieser Gedanke spornt mich an, demnächst noch öfter in der Heide wandern zu gehen, egal wie das Wetter sein wird.

Bereits heute will ich meine nächste Wandertour starten. Zuerst fuhr ich nach einem ausgiebigen Frühstück den Berg hinunter nach Lohmar, um Brot, Wurst, Käse und einige Konserven einzukaufen. Außerdem hatte ich mir für meine künftigen Wanderungen einige Päckchen von diesen scharfen Kaminwurz-Würstchen und für heute zwei Brötchen mitgebracht.

Gut gelaunt ziehe ich meine Wanderschuhe und die Regenjacke an. Einen dicken Pullover habe ich direkt heute Morgen angezogen. Dann packe ich die zwei Brötchen, drei dieser kleinen Würstchen und eine Flasche Wasser in den Rucksack und verlasse die Wohnung. Bevor ich losgehe, schaue ich in den Himmel. Es ist zwar bedeckt aber es sind keine dicken Regenwolken zu sehen. Ich vermute, es wird ein angenehmer Herbst-Wandertag. Bereits gestern Abend hatte ich mir eine Route auf einer Karte im Internet herausgesucht und ausgedruckt. Die Karte steckte ich in meine Jackentasche. Geplant habe ich, im Gebiet auf der rechten Seite der Altenrather Straße bis kurz vor Troisdorf zu wandern, dort die Straße zu überqueren und dann auf der anderen Seite durch den Wald wieder zurück zu gehen. Wahrscheinlich werde ich dafür mehrere Stunden benötigen.

Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Hals hoch, gehe schnellen Schrittes durch den Ort und bin erstaunt, dass mich der eine oder andere Einwohner freundlich grüßt.

Aus Bonn bin ich das nicht gewohnt. Mich grüßte niemand, wenn ich durch die Stadt ging. Noch nicht einmal in der Straße, in der wir wohnten. Nun ist Bonn natürlich um ein Vielfaches größer als Altenrath und man lebt dort wesentlich anonymer, als in diesem beschaulichen Heidedorf. Außerdem waren sowohl Ronni als auch ich tagsüber fast nie zu Hause. Wer sollte uns da schon kennen und grüßen?

Womöglich haben mich gestern Einheimische durch das Fenster aus ihrer warmen Stube gesehen, wie ich völlig durchnässt von meiner Wanderung zurückkam und haben gedacht: Wieso läuft diese Frau bei solch einem Wetter in der Heide umher und sind erstaunt, dass ich heute erneut unterwegs bin. Vielleicht bin ich bereits nach zwei Tagen Gesprächsstoff bei den Menschen hier im Ort.

Ich schmunzle, wie ich mir vorstelle, wenn ich später wieder ins Bett krieche und den Rest des Tages verschlafe. Sicherlich ist das auch ein Zeichen dafür, dass mein Trainingszustand zurzeit nicht optimal ist.

Seinerzeit auf Mallorca hat mir das Wandern weniger ausgemacht. Körperlich war ich fitter, wenn auch seelisch angeschlagen.

Nachdem ich auch die letzten Häuser hinter mir gelassen habe und mich nur noch die Stille der Natur umgibt, sind sie wieder da, die Gedanken der Vergangenheit.


Die kurze Erinnerung an unsere Wanderungen auf Mallorca ist der Auslöser. Wie im Kino läuft der Film vom ersten Tag des Urlaubs in meinen Gedanken ab.

Die Ankunft in der wunderschön gelegenen Hotelanlage oberhalb des Hafens von Port de Sóller. Das Frühstück im Schein der gerade aufgegangenen Sonne, mit Blick über den Hafen und auf die Berge der Serra de Tramuntana im Hintergrund. Die ersten kleinen Spaziergänge um den Hafen und zur Stadt Sóller. Dann die etwas weiteren Wanderungen ins Gebirge und schließlich die folgenschwere Wanderung ab dem Cúber Stausee.

Wenn ich mich recht erinnere, waren wir an dem Tag, an dem wir zum Cúber-Stausee wollten, direkt nach dem Frühstück zum Hafen hinunter gegangen, um noch für jeden eine Flasche Wasser zu kaufen. Der Bus, der uns zum Stausee bringen sollte, wurde in Port de Sóller eingesetzt und wir beabsichtigten, an der zweiten Haltestelle zuzusteigen.

Bereits von weitem sahen wir den orange-gelben Bus der Verkehrsgesellschaft TIB – Transports de les Illes Balears. Das hinter der Frontscheibe aufgestellte Hinweisschild zeigte an, dass es sich um die Linie 354 mit Zielort Can Picafort handelte. Die automatischen Türen öffneten sich fast direkt vor uns. Wir drängten uns mit den anderen wartenden Reisenden in den Bus. Unser Wunsch war es, einen Sitz in einer der ersten Reihen und falls das nicht mehr möglich war, zumindest einen Fensterplatz zu ergattern. Schließlich hatten wir lange vor der fahrplanmäßigen Abfahrt eine günstige Position in der Menschenschlange verteidigt. Der Busfahrer kassierte den Fahrpreis in stoischer Ruhe. Ihm schien es gleich zu sein, ob er das Endziel mit zehn oder zwanzig Minuten Verspätung erreichen würde. Bei einer Gesamtfahrzeit von drei Stunden fiel eine Verspätung in dieser Größenordnung hier im Süden sowieso nicht ins Gewicht.

„Seien Sie doch vorsichtig mit Ihren Wanderstöcken!“, ertönte die laute Stimme einer älteren Dame, die beinahe unliebsamen Kontakt mit den Spitzen der Stöcke eines älteren Herrn gemacht hatte.

„Entschuldigung“, entgegnete der Mann vor ihr in reinstem sächsischen Dialekt und lächelte die Dame dabei entwaffnend an.

Leider erwischten wir keinen Platz mehr in den ersten Reihen. Wir waren froh, noch zwei Plätze nebeneinander in der Mitte des Busses zu bekommen.

Ronni beanspruchte den Fensterplatz für sich, da er unterwegs einige Fotos schießen wollte. Wir hatten gelesen, dass die Fahrt durch grandioses Gelände mit fantastischen Ausblicken ging.

Bevor ich mich hinsetzte, fiel mein Blick in den hinteren Teil des Busses. Verdammt! Was wollte der denn hier? Ich hatte den Mann in der letzten Reihe sofort erkannt, auch wenn er sich die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen hatte. Er war nicht mit uns eingestiegen, er saß bereits dort. Wahrscheinlich war er an der ersten Haltestelle eingestiegen. Woher wusste er, dass auch ich mit diesem Bus fahren würde? Eines war für mich klar: Dieser Mann nutzte nicht den Bus, um zu einem Ausgangspunkt für eine Wanderung gefahren zu werden. Er war ausschließlich meinetwegen da!

Ronni schien mein Zögern bemerkt zu haben.

„Komm schon, setz dich. Wir fahren sofort ab.“

Zum Glück drehte er sich nicht um und schaute nicht in die Richtung, in die ich gerade blickte. Ich setzte mich neben ihn. Er schien nichts bemerkt zu haben.

Nachdem alle Plätze besetzt waren, schloss der Fahrer die Türen. Den wenigen noch draußen wartenden Reisewilligen deutete er mit einer kurzen Handbewegung an, dass nichts mehr ginge und fuhr los. Die mehr oder weniger lauten Unmutsäußerungen der abgewiesenen Fahrgäste vernahm er nicht mehr.

Der weitaus überwiegende Teil der Reisenden waren Deutsche. Die, die zum ersten Mal einen Bus auf den Balearen nutzen wollten, wussten offensichtlich nicht, dass es Stehplätze, wie in deutschen Bussen und Bahnen üblich, hier aus gutem Grund nicht gab. Auf den engen, kurvenreichen Straßen wäre die Sicherheit auf Stehplätzen nicht gewährleistet.

Der Bus verließ Porto Sóller über die erst vor einigen Jahren fertiggestellte Umgehungsstraße, der Vial 23 sa Figuera, in Richtung Sóller. Dort stiegen einige Fahrgäste aus. Um die freien Plätze entbrannte sofort ein Kampf der wartenden Wanderer. Schnell waren die Plätze wieder besetzt und der Rest der Wartenden scharte sich um die Eingangstür und versuchte, durch lautstarke Verhandlung den Fahrer zu überreden, mitgenommen zu werden. Erst als der Fahrer von seinem Sitz hinter dem Lenkrad aufstand und die Menge energisch und bestimmt aus dem Türbereich drängte, war dem größten Teil der Leute klar, dass sie mit dem nächsten Bus Vorlieb nehmen mussten.

Ohne weiteren Halt ging die Fahrt jetzt hoch hinauf in den Nationalpark, der Serra de Tramuntana.

Ronni schien nervös zu sein. Unablässig drehte er den Ehering an seinem Finger. Der Ring schien zu weit zu sein. Ich hatte die Befürchtung, dass er ihn verlieren würde. Bei der Hochzeit stimmte die Weite noch tadellos. Hatten die letzten Wochen und Monate ihm doch stärker zugesetzt als ich dachte? Womöglich war der Gewichtsverlust so hoch, dass der Ehering als Symbol unserer Ehe nur noch lose um seinen Finger hing? Es ist doch erstaunlich, dass manchmal kleine Äußerlichkeiten das Innere eines Menschen und einer Beziehung widerspiegeln, dachte ich damals.

Der Bus schraubte sich in endlos scheinenden Serpentinen ins Gebirge hoch.

Aleppo-Kiefern, Rosmarin und Heidekraut bewuchsen die Hänge rechts und links der Straße. Je höher die Straße ins Gebirge führte, desto dürftiger wurde die Vegetation. Nur die Bergkiefern trotzten in den Höhen noch der Kraft des Windes und der kargen Böden.

Die meisten Menschen kennen das Gefühl, als spüre man einen bohrenden Blick im Nacken, wenn man heimlich beobachtet wird. Manchmal hatte ich dieses Gefühl und ich konnte mich dann nicht mehr auf die Fahrt und die Landschaft konzentrieren. Hin und wieder riskierte ich einen Blick in den rückwärtigen Teil des Busses. Jedes Mal, wenn mein Blick ihn erhaschte, schaute er zum Fenster hinaus und schien sich für niemanden, auch nicht für mich, zu interessieren.

Ronni und ich redeten kaum miteinander. Er malträtierte weiterhin seinen Ehering und schaute dabei zum Fenster hinaus. An einigen Stellen machte er mich mit drei Worten wie: „Schau mal dort“, auf eine besonders schöne Aussicht aufmerksam. Ich antwortete, wenn überhaupt, nur mit einem einsilbigen „Mmh“ oder nickte nur.

Meine Gedanken kreisten unablässig um den Mann mit der Schirmmütze in der vorletzten Reihe. Ich musste unbedingt Kontakt zu ihm aufnehmen – koste es, was es wolle. Solange Ronni bei mir war, war das undenkbar. Wie sollte ich ihm erklären, dass mein Juniorchef Rolf Dabinghaus hier auf Mallorca war, wenn noch nicht einmal ich wusste, was er hier wollte. Eventuell wohnte er ebenfalls in Port de Sóller, womöglich sogar im selben Hotel wie wir. Diese Vorstellung war für mich schrecklich.


Bei dieser Rückschau zieht sich etwas in meinem Inneren zusammen. Bevor mich die Erinnerung gänzlich überrollt, reiße ich mich in die Gegenwart zurück.

Ich stehe an einer Abzweigung des Weges und blinzle in das helle Grau des Tages. Welchen Weg muss ich einschlagen? Ich vermute, ich sollte weiter dem Weg geradeaus folgen. Sicher bin ich mir allerdings nicht. Vorsichtshalber nehme ich die Karte aus meiner Jackentasche. Richtig, ich darf nicht rechts abbiegen, sondern ich muss weiter diesen Weg gehen, der später in den Eisenweg mündet. Ich stecke die Karte zurück in meine Jackentasche und schaue in den Himmel. An einigen Stellen reißt die graue Wolkendecke auf und es zeigen sich blaue Flecken. Prima, denke ich. Dann werde ich wohl heute vom Regen verschont bleiben. Einen großen Schluck aus der Wasserflasche, dann kann es weiter gehen und nach kurzer Zeit sind meine Erinnerungen wieder da. Ich lasse sie zu und versuche erst gar nicht, sie zu vertreiben. Es wäre vermutlich sinnlos. Vielleicht gehört das fortwährende sich an die Vergangenheit erinnern und sich gedanklich damit zu beschäftigen dazu, sie zu bewältigen. Ändern kann ich ohnehin nichts mehr. Was geschehen ist, ist geschehen.


Nach Ronnis Beichte änderte sich mein Leben völlig – nein, nicht nur mein Leben änderte sich, auch meine Einstellung zum Leben und zur Partnerschaft mit meinem Ehemann änderte sich.

Vorher ging ich so gut wie nie allein aus. Vielleicht auf ein Glas Wein mit den Kolleginnen, mehr auch nicht. Ronni und ich verbrachten unsere Freizeit, wenn es sich irgendwie einrichten ließ, immer zu zweit.

Das änderte sich jetzt grundlegend. Ich ließ keine Gelegenheit aus, ja, ich suchte jede sich bietende Möglichkeit, allein meine Freizeit zu gestalten. Ich besuchte kreative Kurse der Volkshochschule, entweder allein oder mit der einen oder anderen Kollegin. Ich ging in Museen und in verschiedene Theater in Bonn.

Ich konnte den Zustand unserer Ehe nicht lange vor den Kolleginnen geheim halten. Sie merkten recht bald, dass ich der Zweisamkeit mit meinem Mann entfloh, als wäre sie etwas Unangenehmes.

Immer öfter kam es vor, dass mich eine Kollegin abends zu einem Drink in eine Bar oder zum Besuch einer Disco einlud. In den meisten Fällen nahm ich diese Einladung an und es waren immer schöne Abende, die mich meine Probleme vergessen ließen.

Auch mein Chef merkte die Veränderung und umschwärmte mich mit Komplimenten und manchmal mit einer Einladung zu Events von Kunden oder öffentlichen Veranstaltungen, wo er repräsentieren musste. Ronni blieb in der Zeit meistens zu Hause und hockte sich zerknirscht vor den Fernseher. Darauf wollte ich keine Rücksicht mehr nehmen. Es war immer ein schöner Abend mit Rolf, meinem Chef. Er stellte mich gerne als seine beste Kollegin vor, das mir selbstverständlich schmeichelte. Fast immer kam es im Laufe des Abends vor, wenn wir ein paar Gläser getrunken hatten, dass wir ein wenig flirteten. So, wie wir es früher öfter getan hatten, unverfänglich und harmlos. Wenn die Abende weiter fortschritten, erhielten unsere Flirts eine andere Dimension und wurden intensiver und eindeutiger. Es war für mich so eine Art Trotzreaktion gegenüber Ronni nach dem Motto: Was du kannst, kann ich schon lange.

An einem Samstagabend besuchte unsere gesamte Belegschaft eine Ü30-Party. Auch Rolf war dabei. Wir tanzten alle ausgelassen. Wegen des Frauenüberschusses besuchten wir häufig nur wir Frauen die Tanzfläche. Zu später Stunde kam es immer öfter vor, dass Rolf meine Nähe suchte und mich als seine Tanzpartnerin wählte. Ich hatte nichts dagegen. Welche Frau wird nicht gerne von einem Mann umworben und dann noch von ihrem Chef? Ich zählte nicht zu den Frauen, die sich das verwehrten.

Meinen Kolleginnen blieb das nicht verborgen und sie lästerten bereits hinter vorgehaltener Hand. Vor dem dritten langsamen Tanz steckte mir eine Kollegin leise, dass Rolf es sei, der sich beim DJ die langsamen Songs wünschte. Na und, dachte ich, soll er doch, wenn es ihm Spaß bereitet. Mir gefiel es ebenfalls, denn Rolf war ein guter Tänzer, der sich alle Mühe gab, mich auch während des Tanzes gut zu unterhalten.

Irgendwann war es dann soweit. Ich hatte es erwartet und sicherlich sogar auch zum Teil provoziert. Er drückte mich fester an sich und seine Hand strich von der Schulter hinunter bis zum Ende meiner Wirbelsäule. Ich ließ es geschehen. Ich sah ihn an und wusste im selben Augenblick, was folgen würde. Er beugte seinen Kopf und berührte mit seinen Lippen zuerst meine Stirn, dann meinen Nasenrücken und endlich meinen Mund. Auch das ließ ich geschehen. Ich wollte es, wobei ich vor meinem inneren Auge Lisa und Ronni sah. Wider Erwarten musste ich feststellen, dass er gut küsste und überraschend musste ich mir gestehen, dass es mir gefiel. Ich spürte seine Erregung und drängte mich stärker gegen ihn. Ich genoss es, wobei meine Erregung sich in Grenzen hielt. Ich genoss die Macht, die ich in diesem Augenblick über ihn hatte und den erhebenden Stolz, es meinem Mann heimzuzahlen.

Wenn es nach Rolf gegangen wäre, wären wir mit Sicherheit in dieser Nacht zusammen im Bett gelandet. Als er mir ins Ohr flüsterte, dass er mich liebe, mit mir sein geheimster und innigster Wunsch in Erfüllung gehen würde, zog ich noch rechtzeitig die Reißleine.

Es war nicht so, dass er optisch nicht meinen Vorstellungen entsprach. Er war groß, schlank, fast muskulös, hatte dunkelblondes Haar und ein männliches Gesicht, das immer ein Dreitagebart zierte. Man konnte mit ihm über jedes Thema sprechen und er hatte auch eine humorvolle Seite, wodurch das Flirten mit ihm mir viel Spaß bereitete. Das Fatale war, dass die Optik und die Tatsache, dass er ein geistreicher Unterhalter war, trotzdem nicht die Regungen meines Herzens ansprachen. Damit war eigentlich schon alles gesagt. Ich konnte nicht einmal genau erklären, was mich gegen eine Beziehung mit ihm unbewusst blockierte. Möglich, dass seine Bestimmtheit und seine, wie ich fand, überzogene, dominante Art das „Gesamtpaket Mann“ überlagerte und mich abstieß. Liebe? – Nein, das war überhaupt kein Thema für mich. Wir wären keine gleichwertigen Partner. Er war noch nicht einmal ein Mann, mit dem ich nur Sex haben wollte. Nicht einmal, um mich an Ronni zu rächen.

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