Kitabı oku: «Die Goldene Schlange (Eine Geschichte aus der Welt des Adels)», sayfa 3
Ich sann bei Manjas Worten nach, ja, ich dachte in diesem Augenblick nur an mich, und die Lüge hatte keine Schrecken gegenüber der Furcht einer Entdeckung des wahren Sachverhaltes. Aber ich verwarf doch alles und bat sie, seine Rückkehr abzuwarten.
»Bleibe hier, Manja!« riet ich. »Sprich lieber offen mit ihm, statt zu schreiben. Eine heimliche Flucht wird Dich in seinen Augen herabsetzen, während eine unumwundene, ehrliche, mündliche Erklärung einem Manne, wie Unzer, um so größere Achtung abnötigen wird. Thu's auch um Deiner Zukunft willen! Es widerstrebt mir, hinter seinem Rücken für Dich zu sorgen, bis Du unserer nicht mehr bedarfst. Alles, was zwischen uns geschehen ist, erweckt auch weniger Verdacht, wenn Du hier bleibst. Kann's nicht anders sein, vermagst Du Dich nicht zu überwinden, so werde ich, statt Deiner, sprechen und Eure Trennung für Dich so wenig peinlich zu gestalten suchen, wie es bei der außerordentlichen Sachlage möglich ist.«
»Wenn Du nur eines nicht erwähnt hättest«, entgegnete sie in einem bitteren Ton.
Ich sah sie fragend an. »Was ist's Manja? Sprich« –
Aber sie blieb stumm. Ich überdachte, was sie verletzt haben könne, aber ich fand es nicht. Endlich brach sie auf meine abermaligen Bitten das Schweigen, erhob sich stolz und sagte trotzig:
»Glaubst Du wirklich, ich werde von Unzer, – von Dir Wohlthaten annehmen – –?«
»Ich verstehe Dich nicht, Manja« – -
»Nun, dann brechen wir ab. – Ach, lassen wir überhaupt alles ruhen! Ich muß mich betäuben! – Ich darf nicht mehr denken. – Es kommt doch, wie's kommen soll! Und nun, Detlef, rüste Dich, wir fahren über Land. – Mein Plan, wie wir den Tag verleben wollen, ist fertig. Der Himmel ist heute für Romeo und Julia –« hier schaute sie mich mit ihrem verführerischsten Lächeln an – »wie geschaffen. Sieh, die Sonne zog ihren strahlendsten Panzer an, die Luft ist so durchsichtig und rein, daß wir unsere armen Seelen gesund baden werden, die Vögel zwitschern, – ich lehrte sie über Nacht Liebeslieder, die sie uns vorsingen sollen, – die Quellen springen, die Berge schauen in schönster Majestät auf uns herab, und unsere Rosse stampfen schon ungeduldig mit den Hufen.«
Wirklich hielt in diesem Augenblick ein offener Wagen vor der Thür, und sie erklärte, ihn für uns bestellt zu haben.
Ich schwankte. Immer größer wurde das Schuldbuch, in dem sich meine Sünden eingruben, immer vorwurfsvoller nagte es an mir, immer verächtlicher erschien ich mir, meine Energie nicht zurückfinden, mich nicht mit eisernem Entschluß ihren verführerischen Umarmungen entziehen zu können.
»O, über Euch Männer!« – rief Manja, mein Zaudern bemerkend und vornehm das Haupt zurückwerfend. »Alles thut Ihr halb! Nun hast Du ein Weib – Schau mich an; – hat mich die Natur so vernachlässigt?« – sie schlug den Mantel, den sie schon umgelegt hatte, zurück und ließ ihre junonische Gestalt vor mir aufsteigen – »und Du zauderst, mir noch einige Stunden zu schenken? Was ist ein wenig mehr in dem süßen Rausch der Sünde?
Half ich nicht, Detlef« – fuhr sie sanfter fort – »alles von Dir abzuwälzen? Nehme ich nicht jede Schuld, alle Folgen, – alle kommende Qual auf mich? Zahl ich nicht den goldenen Tag, der uns winkt, zahl ich ihn nicht teurer, als Dich die Wohlthaten drücken werden, mit denen du mich in Zukunft zu beglücken trachtest?«
»O Manja, Manja! Wie konntest Du mißverstehen?« rief ich, nun begreifend, was vordem ihr Mißfallen erregt hatte. Aber sie unterbrach mich rauh und sagte:
»Nur meine grenzenlose Liebe zu Dir hat mich vergessen lassen, was Du vorhin anbotest. Sieh, Detlef, das ist der Unterschied zwischen Dir und mir, der Du Dich – ich weiß es, unterbrich mich nicht, – besser dünkest, als ich. Ich, Detlef, verzichte auf Dich, obgleich mein Herz in Wehen verbluten wird. Ich löse um Deinetwillen ein Verhältnis, zu dem die Vernunft mir rät – denn, sind Ehen glücklich, die anders aufgebaut werden? Zerreißt nicht die blinde Liebe, die als Herold voranschreitet und mit volltönenden Worten das Glück verkündet, nur zu bald die durchsichtigen Schleier? – und Du, Detlef, kannst nicht einmal den Gedanken fassen, um meinetwillen etwas aufzugeben – ach! nicht einmal meiner Laune etwas zu gewähren, weil Dein Verstand und Deine Vorsicht Dich immer an die Folgen denken lassen. –
Das ist's, was die Männer meistens so erbärmlich macht. Sie schwelgen in den Schätzen, die ihnen die Frauen an Zärtlichkeit, Treue und Tugend, ja an ihrer eigenen Ehre zu Füßen legen, und zuletzt glauben sie, Edelleute und Ehrenmänner zu sein, wenn sie ihre Börse ziehen –«
»Höre auf, Manja, – ich befehle es Dir!« – rief ich verletzt durch ihre kaltherzigen Vorwürfe, die ich, da ich noch jung war und mit den Erscheinungen des Lebens unerfahren, nicht verstand, und, da ich sie nicht einmal verstand, auch in der That nicht verdiente. »Sobald Du tiefer auf unser Verhältnis eingehst, das auf den höchsten Höhen des Leichtsinns steht, und jeglicher Moral schnurstracks zuwiderläuft, giebt es nur eins: ich fliehe Deine Thür und greife nach einer Waffe, die solche gegen ihr Herz richten, die ihre Ehre und somit alles verloren haben.
Es giebt nur eine Entschuldigung für alles das, was uns verkettet: daß Du in der That Unzer nicht liebst. Aber das verlieh uns beiden nicht das Recht, einen Blick früher auszutauschen, als bis er Dir Dein Wort zurückgab. Du fandest die Lösung, die allein eine Lösung und eine Sühne ist. Immer aber bleibt eines bestehen, ewig, und keine Zeit wäscht es ab, es ist unser Treubruch gegen Unzer. Und nun – keine Betrachtungen, keine Reue, keine Erörterungen mehr, – ich bitte Dich! Ich werde zuletzt noch an ein mehr erinnert, an etwas, was mein Herz noch furchtbarer martert. – Ach, Manja! ich werde erinnert an die Lösung eines Schwurs, den ich zwar nur mir selbst geleistet habe, der aber weit –«
Aber ich sprach nicht aus. Sie fiel vor mir auf die Knie, umklammerte sie und rief: »Nenne keinen Namen, es friert mein Inneres schon bei dem Gedanken; es rieseln mir kalte Schauer über den Körper, wenn ich mir nur vorstelle, daß Dein Auge so zu ihr emporschauen konnte, wie es mich anblickte. Vergieb, verzeih! – Ich bitte Dir alles ab. Ich war unbesonnen, heftig, leidenschaftlich, ungerecht! O, suche nach Namen und Bezeichnungen, um mich besser zu strafen. Sag', was ich thun soll, um zu sühnen, – Detlef! Detlef! höre mich! Verlaß mich nicht! Nur heute nicht! – Ich will ja wieder in die Welt hinauswandern und unglücklich sein. Ich will ja um Teilnahme, Brot und Liebe betteln, alles um das Glück dieses einzigen Tages, aber in diesen Stunden, diesen wenigen noch, sei ganz mein! Löse alles von Dir ab, was sich nicht auf mich richtet, was heute nicht mir gehört!«
Sie sprang empor. In ihren Augen brannte ein verzehrendes Feuer, sie umschlang mich, und während sie mich schier unter ihren Küssen erstickte, flüsterte sie:
»Heute gehöre ich Dir, heute ist der Frühlingstag unserer Liebe, in der es keinen schwermütigen Herbst giebt – und dann – geht Manja wieder betteln!« – – –
III
Und so stürzten Vernunft und Besonnenheit in den tiefsten Schacht, in dem sie unrettbar versanken. Dieser Tag riß mich völlig ins Verderben. Der Liebesgott, der zwischen uns stand, steckte ihr aus seinen geheimsten Schubfächern die kostbarsten Zaubermittelchen in der Gestalt verführerischer, und betäubender Neckereien zu, mit denen sie mich ganz umstrickte. Sie koste und schmollte, denn sie gewährte und verweigerte, sie sank demütig vor mir nieder und ließ den ihr eigenen feinen Spott um ihre Mundwinkel spielen. Sie gestattete kaum, daß ich sie berührte und umschlang mich doch nach wenigen Augenblicken selbst mit ungestümer Hast, sie versank in ein stummes Grübeln, aus dem ich sie vergeblich aufzurütteln suchte, und sprühte über von Ausgelassenheit und Laune.
Wenn ich sprach, hing sie an meinen Lippen, und ein fröhlicher, unbekümmerter, fast naiver Ausdruck erschien in ihren Zügen, und dann barg sie den Kopf in ihre Hände und weinte beim Gedanken an unsere Trennung so mitleiderregend, daß mein Herz sich ihr ganz hingab.
Und immer ließ sie noch ein Reizmittel zurück; etwas, das mich trieb, entweder ihr Lachen zu verstärken, wenn sie fröhlich war, oder, wenn sie schon die Thränen getrocknet hatte, sie noch mehr zu besänftigen; etwas, was mich hinriß, noch mehr Zärtlichkeiten zu empfangen, oder größere Beweise ihrer Liebe zu fordern.
So verging der Tag in einem betäubenden Wirrwarr von Erregungen: von Gewähren und Verweigern, von Seligkeit und Vernichtung. Wir fuhren, wie auf einer Hochzeitsfahrt, durch die reizende Gegend, ließen halten, wo unsere Laune es uns eingab, rasteten, wo ein Wirtshaus uns einlud, ließen uns sogar einmal im Walde, nah einem See, das Mittagbrod auftragen, und ruhten hier, nach dem Mahl, unter Buchen und Eichen, kosten und lachten, und rafften uns erst wieder auf, als die vorrückenden Stunden uns an den Aufbruch mahnten.
Endlich schlüpfte der Tag leise in die Abendschuhe; die Sonne verschwand, eine Weile stand die Luft noch wie unentschlossen. Dann aber fielen plötzlich die dunkleren Schatten – wie zur Pflicht aufgerüttelt – jählings über die Landschaft, hüllten alles in undurchsichtige Farben ein, und endlich senkte sich der Abend selbst vollends herab.
»Der Kutscher muß wenden, – wir müssen zurück. Erst in später Nacht können wir die Stadt erreichen« – schrak ich auf, als ich meinen Blick emporhob und unsere Zärtlichkeiten unterbrach.
»Nicht doch, Geliebter! Wir fahren weiter! In kurzer Zeit erreichen wir die nächste Stadt! Dort erst trennen wir uns, und morgen früh geht jeder seines Weges. – Ich bin fest entschlossen, ich kehre nicht nach H. zurück!«
Und nun übermannte sie das Fieber der Trennungsqual in solchem Maße, daß nichts im Stande war, sie zu beruhigen. Die schrecklichen Schauer vor der nüchternen Wirklichkeit des kommenden Tages huschten schon jetzt über ihre Seele, und von der Dunkelheit umfangen, erschien ihr alles trostloser und hoffnungsloser, als im hellen Sonnenlicht. Nichts ließ ich unversucht, um sie zu bewegen, ihren Entschluß aufzugeben, aber allem setzte sie einen unabänderlichen Widerstand entgegen.
Einmal raunte sie mir flehend zu: »Wirst Du mich wirklich verlassen, Detlef?« und verwirrte mit solchen plötzlich aufsteigenden, geheimsten Gefühlen ihrer Seele die Klarheit meines Denkens. –
* * *
Wir scheuchten erst auf, als unser Wagen plötzlich über das Straßenpflaster unseres Bestimmungsortes polterte; auch machte sich eine große Lebendigkeit in den Straßen bemerkbar, die uns auffiel.
Als ich den Kutscher darüber befragte, zuckte er die Achseln und trieb, statt eine Antwort zu erteilen, die Pferde heftiger an. Plötzlich aber sagte er, seine Braunen beobachtend, halb sich zu uns wendend:
»Ich weiß! Heute ist hier Tierschau. – Na, da ist's aber fraglich, ob die Herrschaften Unterkommen finden werden.«
Und in der That bestätigte sich seine Vermutung. Wir fuhren an den ersten Gasthof der Stadt und wurden abgewiesen, und als wir unsere Besuche in steigend unbehaglicher Stimmung fortsetzten, mußten wir einsehen, daß ein Logis nicht zu finden sein werde.
»Nun, dann wollen wir ins Försterhaus,« entschied ich mit Manjas Zustimmung, und der Kutscher fügte sich mit sichtlichem Unbehagen dieser Weisung.
Das Försterhaus war ein kaum eine Viertelmeile von der Stadt entferntes Wirtshaus, das zu einem unbewohnten Schloßgut gehörte und mir von unseren gelegentlichen studentischen Gelagen sehr wohl bekannt war.
Als wir uns wieder auf der Landstraße befanden, gefiel uns sogar der anfänglich störend erschienene Zwischenfall, und es stieg nachträglich die Furcht, bekannten Gesichtern zu begegnen, in uns auf.
Nachdem wir das Häuschen erreicht hatten – der Wirt mit seiner Familie war in der Stadt, und nur eine sauber gekleidete Magd und einen Knecht trafen wir an –, suchten wir uns alsbald über die am nächsten Morgen abgehenden Züge Gewißheit zu verschaffen, und nachdem uns mitgeteilt worden war, daß wir jederzeit Fuhrwerk an die Bahn erhalten könnten, lohnte ich unseren Kutscher ab und ließ ihn nach der Stadt zurückfahren. Manja mußte um neun Uhr in der Frühe abreisen; mein Zug ging eine Stunde später.
Wir ließen uns ein ländliches Abendbrot auftragen, das wir vor der Thür unter alten Bäumen verzehrten. Die Nacht war wundervoll und nie, glaubte ich, habe der Mond ein so reines, alles verklärendes Licht ausgestrahlt. Und so geschah es denn auch, daß uns die Trennung doppelt schwer wurde und ich Manjas Bitten bereitwillig nachgab, noch einen Spaziergang in den nahe gelegenen Gutspark zu machen.
Während wir uns vom Wirtshause entfernten, fiel mir plötzlich zweierlei ein, das ich in dem Wirrwarr der heutigen Ereignisse völlig vergessen hatte. War Unzer von Manja überhaupt benachrichtigt, und hatte sie ihr Gepäck mitgenommen? – Ja, sie habe ihm ein Schreiben zurückgelassen – erklärte sie, und ihr Gepäck – sie wundere sich, daß ich es nicht soeben habe abladen sehen, – führe sie bei sich.
»Und was meldetest Du Unzer?«
»Das, was ich Dir heute morgen schon mitteilte, und was ich schon entworfen hatte, bevor Du kamst,« erwiderte sie. »Wenn er zurückkehrt, findet er auf seinem Schreibtisch die Erklärung für meine Abreise, und überdies« – –
»Überdies?«
»Ach laß, Geliebter! Denken wir nicht an das, was morgen kommt. – Du wirst ihm sagen, daß ich mich plötzlich von Dir entfernt habe. Das warum, wo und wie überlasse ich Dir –«
»Ich kann ihn nicht belügen, Manja –«
»Nun, dann sag' ihm alles, wie's ist. Erkläre ihm, daß ich Dich gezwungen habe, mich zu begleiten, und eröffne ihm, daß ich Dich liebe, ihn nicht wolle, aber – daß Du – Du auch mich nicht wollest. Denn Du liebst mich ja nicht, Detlef! Gelt?«
Sie stand nach diesen Worten einen Augenblick still und schaute sinnverloren in die Ferne. Aber dann traf mich wieder ihr strahlender Blick und unter meinen zärtlich beruhigenden Worten schritten wir weiter.
Als wir auf unserer Wanderung in einen Seitenweg einbogen, der zu dem Park führte, sahen wir eine von wahrer Dornröschen-Wildnis umgebene Villa vor uns, blieben, von dem romantisch verwilderten Fleck Erde angezogen, neugierig stehen und spähten über die vergoldeten Stäbe, zwischen denen sich wuchernd die Sprößlinge der Schlinggewächse herausdrängten, in den mondbeschienenen Garten. Im Hintergrunde lag, mit tief herabfallendem Dach, der seltsame Bau, üppig umwuchert von Epheu, das auch die Hälfte eines einzigen großen Fensters verdeckte, welches droben hinter dem zurückgebauten Balkon hervorschaute. In den Wegen wuchs das Unkraut, die gewaltigen Bäume, die ringsumher standen, senkten ihre ungekappten und unbeschnittenen Zweige tief auf die Erde herab und verfinsterten das Erdgeschoß so sehr, daß ein weißer, vor die Fenster gezogener Vorhang unheimlich hell aus dem Dunkel hervorlugte. Weiterhin stand eine Pforte offen und man sah einen Bogengang, dessen goldenes Drahtgewebe, von der Wucht der Schlingpflanzen herabgedrückt, an mehreren Stellen durchbrochen, herabhing. Er leitete zu einer schön geschwungenen Treppe, die zu dem in Renaissance-Stil aufgeführten Seitengebäude hinausführte. Ein unwiderstehlicher Drang riß uns fort, näher zu gehen.
Die Treppenthür des Hauses gab schon bei leisem Drucke nach. Wir tappten in einem unheimlichen Dunkel vorwärts. Dann gelang es uns, die Fensterladen zu öffnen, aber nur spärliches Licht drang herein. Wir schritten weiter und betraten einen dumpfen, heißen Raum, der offenbar seit langen Zeiten nicht gelüftet war, Ich entzündete ein Wachskerzchen und stieß die Fenster auf, und nun bot sich uns ein unbeschreiblicher Anblick.
Eine große, stille, rings von dem schweigenden Walde umstandene Wiese lag vor uns, deren sanftes Grün das Mondlicht erhellte. Auf dieser stand regungslos, wie verzaubert, ein einziger gewaltiger Baum. Es war eine Silberpappel, die in dem metallischen Schein einem erstarrten Naturgebilde glich, denn ihre Blätter schienen wie aus blinkendem Erz gegossen.
Ich schloß hinter uns die Thür, rückte Sessel herbei und schaute mit Manja in die zauberische Nacht. Es überkam uns jenes namenlose Gefühl der Andacht vor der Natur, während gleichzeitig in unserm Innern alle jene Wonnen und Schmerzen aufstiegen, die nur diejenigen kennen, welche den Rausch verbotener Liebe kosteten.
Sie erzählte mir aus ihrer Kindheit und aus ihrem späteren Leben. Sie verschwieg nichts, und oft durchzuckte mich ein Gefühl des Unbehagens. Aber sie schloß mir immer wieder den Mund und wehrte allem, was sich tadelnd über meine Lippen drängen wollte.
»Ich weiß es, ich bin Deiner nicht wert, Detlef. Ich war Deines Freundes Unzer nicht wert, obgleich ich ja nicht schlechter bin als die Millionen, die alle nach ihrem Glück haschen, und von denen jeder ohne Ausnahme ein kleines oder größeres Geheimnis bemäntelt. Alle haben eines, und es giebt nichts, worin wir größer wären als in der Verheimlichung unserer Sünden.
Ich fühle es, daß ich einen Mann beglücken könnte, aber ich weiß auch, daß ich ihn lieben und achten muß, wie Dich, weil ich sonst rettungslos in meinen alten Fehler verfalle. Dieser, – meine Unbeständigkeit – war von jeher mein Unglück. Nur deshalb verdarb ich nicht, weil ich meine Seele vor dem Gemeinen bewahrte.
Die letzte Zeit erscheint mir wie ein Traum. – War ich wirklich in jener Marktbude? – – Stieg ich vom Podium herab unter die Gäste –?
Ja, ja! Und diese eine Unbesonnenheit hat mich gerichtet. Und doch sah ein Mann wie Unzer über all das hinweg! Er zeigte mir durch seinen Antrag jene vorurteilsfreie Gesinnung, die je seltener, desto höher anzuerkennen, und die mich auch verführte, seinen Antrag anzunehmen. Und in der That, ich hielt meine Achtung und Dankbarkeit für Zuneigung, bis ich meinen Irrtum erkannte. –
Sieh, Detlef! In Sachen des Gefühlslebens werde ich mich einem Zwange nie fügen können, ich weiß es; und so tausche ich denn eher Verzweiflung, Not – ja vielleicht – Schande ein gegen den Zwang, an der Seite eines Mannes zu leben, den ich nicht liebe.
Denn gewiß, ich fühle es, wir würden nicht glücklich werden; ich würde auf andere Art noch schrecklicher leiden – und sein Lebensglück auch vernichten. Ach, am besten, sterben, Detlef! Sterben! Wie oft habe ich daran gedacht, aber doch hält mich so vieles am Leben! Nicht nur meine Freude am Dasein, nein, auch der heiße Wunsch nach Glück, nach Sühne –
Mit Dir zugleich ersehne ich den Tod, Detlef!
Hier! unter der heiligen Schönheit, die die Natur in ihrer erhabenen Einfalt vor uns ausbreitet, – in diesem demütigen Frieden, – in dieser traumhaften Stille möchte ich zurück zu der großen, gütigen, sanften Mutter, die mich gebar! –
Was wird aus mir! Detlef, Detlef, verlaß mich nicht! –« schrie sie plötzlich auf und klammerte sich an mich.
Und während sie in meinen Armen ruhte, überlegte ich, was in mir vorging. Ich liebte Manja und ich liebte Columba; jede auf andere Art, beide gleich glühend. Ich wollte aus meiner Seele reißen, was ich plötzlich darin entdeckte. Vergeblich!
Ich hielt mich für eine Ausgeburt unter den Menschen und doch fehlte mir nur die Erfahrung. Denn sie hätte mich gelehrt, daß trotz des großen Bannfluches, den die Welt in Bereitschaft hält, sie selbst der Vernunft und der Moral täglich die tiefsten Wunden schlägt, und daß sie niemals Nachsicht mit den menschlichen Verirrungen zu üben verweigert, wenn sie – selbst einer solchen bedarf.
Nichts ist vollkommen! Wo eine Lücke ist, strebt der nie befriedigte Mensch, sie auszufüllen, und wo er am meisten Verwandtes findet, drängt es ihn, sich anzuschließen. Es schlagen die Funken der Zuneigung empor, und glücklich derjenige, der ihren Flammen entgeht!
In dem monddurchzitterten Zimmer war Manja zuletzt in meinen Armen eingeschlummert. Ich hob sie sanft empor und bettete sie auf ein Sofa, dessen zart geblümtes Muster einer längst vergangenen Zeit angehörte. Einmal noch schlug sie die Augen auf und streckte sehnsüchtig die Hand aus, aber ebenso rasch war sie wieder von Müdigkeit umfangen, und ich konnte es nicht über mich gewinnen, sie zu wecken. So wartete ich geduldig.
Und dann zog es mich geheimnisvoll in den dunklen Garten hinaus. Ich erhob mich, öffnete leise die Thür und beschritt die einsamen Alleen. Zuletzt gelangte ich an eine kleine Anhöhe, auf der eine große steinerne, die Rundung ausfüllende Bank sich an den dichtbelaubten Hintergrund lehnte. Alles war auch hier umzingelt von Laub und Schlingpflanzen.
Zur Linken war das künstliche Gewebe mit den nur noch leisen Ansätzen von Vergoldung völlig herabgestürzt, und Zweige, Blätter und Blumen umschlangen wild und ungestüm, wie in hoffnungsloser Liebe, den Hals einer Statue, die aus dem Gebüsch hervorlugte. Ich setzte mich und blieb lange in innerem Verstummen. Ich ließ die Vergangenheit an mir vorüberwandern.
Vor allem tauchte das Bild meiner Mutter vor mir auf, und in ihrem sanften Angesicht leuchtete es freundlich auf, als sie mich neben Columba sah, aber sie wandte sich schmerzlich bewegt ab, als Manja mit ihrer unruhigen Schönheit sich an meine Schulter lehnte und mich stürmisch umhalste.
Ich war reich und unabhängig. Das Studium betrieb ich aus dem Drang nach Wissen, meine Zukunft war nicht darauf angewiesen. Auch mein Alter hinderte mich kaum daran, schon jetzt eine Frau heimzuführen.
Ich überlegte. Ich tauschte in meinem Innern die Bilder der beiden Mädchen aus und beschloß, in dem entsetzlichen Zwiespalt zuletzt, auf beide zu verzichten. Ich wollte fort, ich wollte fliehen und alles abstreifen, was sich quälend um meine Seele legte. Ein heißer Drang nach Arbeit und Pflichterfüllung erfaßte mich.
Aber dann tauchte doch Columbas reines Bild wieder empor, und ihre Hand streckte sich sanft mir entgegen. Plötzlich glaubte ich mich dort an ihrer Seite. Ich sah sie in ihrem weißen Sommergewande, das ihre unnachahmlich feine Gestalt umschloß, durch die sauberen, kühlen Räume schreiten. Eine hellrote Rose saß auf ihrer Brust, ein Symbol ihrer Reinheit und Unschuld. Und fern lag mir alles, was die Sinne verwirrt. War doch nie ein unheiliger Gedanke neben ihr in mir aufgestiegen! War's mir doch stets gewesen, als ob ihre Erscheinung genüge, um alles abzustreifen, was draußen von dem Staub des Lebens an mir haften geblieben war.
Und nun drängte sich Manja wieder in meine Vorstellungen. Sie stand da in ihrer blühenden, verführerischen Reife. Aber jetzt wußte ich es auch: ich liebte allein die reine Seele Columbas; Manja hatte mich nur verzaubert.
Es war tiefe Nacht geworden. Die Bäume dufteten stark; in dem Gebüsch schwellte und dampfte eine unsichtbare Atmosphäre; es war der berückende Jasmin mit seinem giftig süßen Atem. Allmählich umfing mich eine bleierne Müdigkeit, der ich mich halb mit Widerstreben, halb mit Bewußtsein hingab. Ich schlief ein und träumte; aber ich öffnete noch einmal die Augen und sah, wie die weiße Blüte sich zudringlich an der Wange der Statue emporreckte, ein wildes, rotes Röslein aber bescheiden aus dem Gebüsch hervorlugte und sein Angesicht gleichsam demütig dem starren weißen Kunstgebilde zuwandte. »Manja, Columba!« flüsterte ich, schloß in sanfter Erwartung traumumfangen abermals die Augen und verlor endlich das Bewußtsein.
* * *
Nachdem ich Manja am nächsten Morgen an die Bahn gebracht und mich unter starken Erregungen von ihr verabschiedet hatte, reiste ich wie ein Verbrecher nach H. zurück.
Voll Bekümmernis und Unruhe erreichte ich meine Wohnung, und mein erster und einziger Gedanke war, Unzer sogleich aufzusuchen, um alles aufzuklären, über das Wie war ich mir freilich noch immer nicht klar. Ich konnte ihn nicht belügen, und doch stellte ich mir die Folgen des offenen Bekenntnisses im grellsten Lichte vor. Eine Beruhigung gewährte es mir, aber auch ein Schrecken erfaßte mich, als ich auf meinem Schreibtisch eine Depesche fand, in der mich Unzer zu meiner Überraschung aufforderte, sogleich mit Manja zu ihm zu kommen. Er sei – im Begriff die Rückkehr anzutreten – plötzlich erkrankt, und es könnten Tage vorübergehen, ehe der Arzt ihm wieder Freiheit erteilen würde.
Ich hatte Zeit gewonnen. Die Begegnung mit Unzer war verschoben. Das beruhigte mich, aber nach diesem Gefühl der Erleichterung trat die Bedeutung der ganzen Angelegenheit mit doppelter Schwere vor meine Seele.
Ich überlegte, was ich thun sollte, faßte allerlei abenteuerliche Entschlüsse und kam zuletzt auf das nächste und natürlichste. Ich depeschierte zurück, daß Manja abgereist sei und daß ich mit näherer Aufklärung darüber am Spätnachmittage eintreffen werde. Das Geschehene vorzubereiten lag im gemeinsamen Interesse, namentlich aber erleichterte es mir die Beichte.
Es war gegen sieben Uhr abends, als ich auf der Kreuzstation M. eintraf. Ein furchtbares Unwetter hatte sich erhoben und verdüsterte mein ohnedies tiefbedrücktes Gemüt noch mehr. Ich ließ mich in denselben Gasthof fahren, in dem Unzer wohnte, erkundigte mich bei dem Wirt, was sich ereignet hatte, erfuhr, daß ein schmerzhaftes rheumatisches Leiden, das meinen Freund häufiger plagte und stets plötzlich bei ihm auftrat, ärztliche Hilfe nötig gemacht habe und betrat sein Zimmer.
»Ach, Lieber! Bester!« rief mir Unzer entgegen, »Gott sei gedankt, daß Du da bist! Aber vor allem, was ist mit Manja?« –
Er wies ungeduldig, eine Antwort zu hören, auf einen Stuhl neben seinem Bett, faßte zärtlich besorgt meine Hand und blickte mir angstvoll in die Augen.
»Weshalb hat Manja mir nicht geantwortet? Vorgestern schrieb ich ihr und bat sie, sogleich Nachricht zu geben. Warum ist sie fort? Wohin? O, quäle mich nicht, – hoffentlich ist's etwas Gutes. – Ich liege in tausend Ängsten und martere mich.« –
Mir wollte das Herz stille stehen, aber ich faßte mich, ergriff seine Hand und sagte ernst und eindringlich:
»Sichere mir eins zu, Unzer: Was Du auch hören wirst, urteile nicht nach den ersten Eindrücken. Willst Du es mir versprechen?«
Des Kranken bleiches Angesicht wurde erdfahl, und halb ängstlich bereitwillig meiner Frage beipflichtend, halb betroffen über den feierlichen Ton meiner Stimme, rief er, alles zunächst in die eine ihn jetzt beschäftigende Frage zusammendrängend:
»Sage mir nur das eine Wort: Es ist ihr nichts zugestoßen – und sie liebt mich – alles übrige ist Nichts« –
»Es ist ihr nichts zugestoßen, und – sie achtet Dich, wie keinen Menschen auf der Welt, indessen –«
»Indessen? O rede! rede! Was ist denn mit ihr, weshalb mußte Sie fort, weshalb schrieb sie mir nicht wenigstens. – Was läßt sie mir sagen?« –
Es schien mir jetzt der geeignete Zeitpunkt zu sein, Manja selbst sprechen zu lassen. Ich zog den Brief hervor, den ich in Unzers Wohnung gefunden hatte, überreichte ihn, stand auf und wandte mich langsamen Schrittes ans Fenster. Ein unbestimmtes Gefühl trieb mich, in den ersten Augenblicken nicht in seiner unmittelbaren Nähe zu sein.
Bald darauf drang ein dumpfes Stöhnen zu mir herüber, und nach einer kurzen Pause fühlte ich, daß mein Freund sich im Bette emporrichtete und zu mir herüberblickte. Und dann berührten sich schnell wie der Blitz unsere Gedanken. Mich beschäftigte meine Schuld, und seiner bemächtigte sich ein furchtbarer Argwohn.
Und nun mit einem Satz war er, trotz seines leidenden Zustandes, aus dem Bette, packte mich an den Schultern, riß mein Angesicht vor das seinige und schrie mit heiserer Stimme:
»Es ist gut; ich werd' es ertragen, – ich muß es ertragen, – schon mein Stolz bäumt sich dagegen auf, daß ich es nicht ertrüge, aber eins: Dein Gewissen ist rein, Graf Detlef von Rauch« – –
»Höre mich, Unzer,« begann ich ausweichend nach kurzem qualvollen Zaudern.
Aber wie vom Schlage getroffen, wich er von mir, fiel in einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit den Händen und murmelte: »Also doch!« Er weinte nicht, er ächzte nicht, aber Töne entrangen sich seiner Brust, wie ich sie nie zuvor aus einem menschlichen Munde gehört hatte. Sie glichen jenem angstvollen, verzweifelnden Wimmern, wie ich es später von Verwundeten auf dem Schlachtfelde vernahm, jenem herzzerreißenden Stöhnen der machtlosen Kreatur, die mit dem Schmerzenstode ringt.
Ich trat zitternd näher und legte meine Hand an seine Schulter. Und dann sagte ich feierlich:
»Ich schwöre Dir zu, Unzer, daß ich Columba heute so heiß liebe, wie ehedem, daß Manja mir ihre Neigung erst gestand, nachdem sie innerlich ihre Beziehungen zu Dir gelöst hatte und ihr Entschluß bereits feststand, Dich zu verlassen, als ich« –
Aber er winkte mir warnend ab und sagte, mühsam ruhig sprechend:
»Jedes Wort mehrt meine Qual, jedes Wort vergrößert Ihre Schuld, mein Herr. – Nicht weiter. Um Ihretwillen nicht weiter!« – –
»Unzer!« rief ich flehentlich. Aber er hörte mich nicht, er richtete sich jäh empor, sah mich mit einem kalten Blick an und sagte:
»Ich danke Ihnen, mein Herr! Ich wünsche jetzt allein zu sein. Wenn es Ihnen also gefällig ist« –
»Unzer! Unzer! Ich bat Dich, nicht nach dem Schein zu urteilen und Du versprachst es mir mit stummer Miene. Verurteile mich nicht, ohne mich gehört zu haben« –
»Ich weiß alles und begehre nichts mehr zu wissen, Herr von Rauch, schon deshalb nicht, weil ich in diesem Augenblicke das beste verloren habe, was ich auf der Welt besaß: zuerst meine Mutter, dann meine Geliebte und – nun auch noch den Mann, den ich für meinen – Freund hielt. – Ich denke, da ich mich überdies kaum aufrecht zu erhalten vermag, daß es zu ertragen genug ist. Ich bedarf dringend der Ruhe. Ich bitte also abermals neben meinem Danke für Ihre Bemühung, daß Sie mich verlassen.« –
Er winkte mir mit jener gebietenden Miene, die keinen Widerspruch erduldet, wandte sich stolz und mit vornehmer Geringschätzung ab, als ich seine Hand ergreifen wollte, und wankte, sichtbar furchtbare Schmerzen überwindend, ins Nebengemach.
Noch blieb ich, – noch hoffte ich, daß er mir wenigstens einen Blick gönnen werde, einen versöhnlichen Blick, der die Anknüpfung an eine ruhigere Auffassung der Dinge gab. Und in der That wandte er sich um, aber sein sonst so schöner, edel geschnittener Kopf glich einer Totenmaske, und als ich nun noch immer dastand und nicht ging, floh jählings die künstlich bewahrte Ruhe. Den Eingangspfosten umklammernd, als ob er zusammenstürzen könne, hastete es aus seiner Brust, und mit einem Ausdruck, den ich nie vergessen werde, schrie er:
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.
