Kitabı oku: «Knulp», sayfa 3
»Gertelfingen? Was sollen wir da? Wir wollen lieber umkehren, es wird spät.«
»Wann müsset Ihr denn daheim sein, Bärbele?«
»Um zehne. Da wird’s Zeit. Es ist ein netter Spaziergang gewesen.«
»Bis zehne ist’s noch lang,« sagte Knulp, »und ich will gewiß dran denken, daß Ihr zur Zeit heimkommet. Aber weil wir doch nimmer so jung zusammen kommen, so könnten wir eigentlich heut noch einen Tanz miteinander riskieren. Oder möget Ihr nicht tanzen?«
Sie sah ihn gespannt und verwundert an.
»O, tanzen mag ich immer. Aber wo denn? Hier mitten in der Nacht draußen?«
»Ihr müsset wissen, wir sind gleich in Gertelfingen, und da ist Musik im Löwen. Wir können hinein gehen, bloß auf einen einzigen Tanz, und dann gehen wir heim und haben einen schönen Abend gehabt.«
Bärbele blieb zweifelnd stehen.
»Es wäre lustig,« meinte sie langsam. »Aber was soll man von uns denken? Ich will nicht für so eine angeschaut werden, und ich will auch nicht, daß man meint, wir zwei gehören zusammen.«
Und plötzlich lachte sie übermütig auf und rief: »Nämlich, wenn ich später einmal einen Schatz haben will, dann muß es kein Gerber sein. Ich will Euch nicht beleidigen, aber Gerber ist doch ein unsauberes Handwerk.«
»Da habet Ihr vielleicht recht,« sagte Knulp gutmütig. »Ihr sollet mich ja auch nicht heiraten. Es weiß kein Mensch, daß ich ein Gerber bin und daß Ihr so stolz seid, und die Hände hab ich mir gewaschen, und wenn Ihr also einmal mit mir herumtanzen wollt, so seid Ihr eingeladen. Sonst kehren wir um.«
Sie sahen in der Nacht das erste Haus des Dorfes mit einem bleichen Giebel aus Gebüschen schauen, und Knulp sagte plötzlich »Bst!« und hob den Finger auf, und da hörten sie vom Dorfe her die Tanzmusik, eine Ziehharmonika und eine Geige, tönen.
»Also denn!« lachte das Mädchen, und sie gingen rascher.
Im Löwen tanzten nur vier oder fünf Paare, lauter junge Leute, die Knulp nicht kannte. Es ging still und anständig zu, und niemand belästigte das fremde Paar, das sich dem nächsten Tanz anschloß. Sie machten einen Ländler und eine Polka mit, dann kam ein Walzer, den Bärbele nicht konnte. Sie sahen zu und tranken einen Pfiff Bier, weiter reichte Knulps Barschaft nicht.
Bärbele war beim Tanzen warm geworden und blickte nun mit glänzenden Augen in den kleinen Saal.
»Jetzt wär es eigentlich Zeit zum Heimgehen,« sagte Knulp, als es halb zehn Uhr war.
Sie fuhr auf und sah ein wenig traurig aus.
»Ach schade!« sagte sie leise.
»Wir können ja noch dableiben.«
»Nein, ich muß heim. Und schön war’s.«
Sie gingen weg, aber unter der Tür fiel es dem Mädchen ein: »Wir haben ja der Musik gar nichts gegeben.«
»Ja,« meinte Knulp etwas verlegen, »sie hätten wohl einen Zwanziger verdient. Aber es steht leider so mit mir, daß ich keinen habe.«
Sie wurde eifrig und zog ihren kleinen gestrickten Geldbeutel aus der Tasche.
»Warum saget Ihr auch nichts? Da ist ein Zwanziger, gebet den!«
Er nahm das Geldstück und brachte es den Musikanten, dann gingen sie hinaus und mußten vor der Haustür einen Augenblick stehen bleiben, bis sie in der tiefen Dunkelheit den Weg sahen. Der Wind ging stärker und führte einzelne Regentropfen.
»Soll ich den Schirm auftun?« fragte Knulp.
»Nein, bei dem Wind, wir kämen ja nicht weiter. Es ist nett gewesen da drinnen. Ihr könnet’s fast wie ein Tanzmeister, Gerber.«
Sie plauderte fröhlich fort. Ihr Freund aber war still geworden, vielleicht daß er müde ward, vielleicht daß er den nahen Abschied fürchtete.
Plötzlich fing sie an zu singen: »Bald gras’ ich am Neckar, bald gras’ ich am Rhein.« Ihre Stimme klang warm und rein, und beim zweiten Vers fiel Knulp mit ein und sang die zweite Stimme so sicher, tief und schön, daß sie mit Behagen darauf horchte.
»So, ist jetzt das Heimweh vergangen?« fragte er am Ende.
»O ja,« lachte sie hell. »Wir müssen wieder einmal so einen Spaziergang machen.«
»Das tut mir leid,« antwortete er leiser. »Es wird wohl der letzte gewesen sein.«
Da blieb sie stehen. Sie hatte nicht genau zugehört, aber der betrübte Klang seiner Worte war ihr aufgefallen.
»Ja, was ist denn?« fragte sie leicht erschrocken. »Habt Ihr was gegen mich?«
»Nein, Bärbele. Aber morgen muß ich fort, ich habe gekündigt.«
»Was Ihr nicht saget! Ist’s wahr? Das tut mir aber leid.«
»Um mich muß es Euch nicht leid sein. Lang wär’ ich doch nicht geblieben, und ich bin ja auch bloß ein Gerber. Ihr müsset bald einen Schatz haben, einen recht schönen, dann kommt das Heimweh nimmer, Ihr werdet sehen.«
»Ach, redet nicht so! Ihr wisset, daß ich Euch ganz gern habe, wenn Ihr auch nicht mein Schatz seid.«
Sie schwiegen beide, der Wind pfiff ihnen ins Gesicht. Knulp ging langsamer. Sie waren schon nah bei der Brücke. Schließlich blieb er stehen.
»Ich will Euch jetzt adieu sagen, es ist besser, Ihr gehet die paar Schritte noch allein.«
Bärbele sah ihm mit aufrichtiger Betrübnis ins Gesicht.
»Es ist also Ernst? Dann sage ich Euch auch noch meinen Dank. Ich will es nicht vergessen. Und alles Gute auch!«
Er nahm ihre Hand und zog sie an sich, und während sie ängstlich und verwundert in seine Augen sah, nahm er ihren Kopf mit den vom Regen feuchten Zöpfen in beide Hände und sagte flüsternd: »Adieu denn, Bärbele. Ich will jetzt zum Abschied noch einen Kuß von Euch haben, daß Ihr mich nicht ganz vergesset.«
Ein wenig zuckte sie und strebte zurück, aber sein Blick war gut und traurig, und sie sah erst jetzt, wie schöne Augen er habe. Ohne die ihren zu schließen, empfing sie ernsthaft seinen Kuß, und da er darauf mit einem schwachen Lächeln zögerte, bekam sie Tränen in die Augen und gab ihm den Kuß herzhaft zurück.
Dann ging sie schnell davon und war schon über der Brücke, da kehrte sie plötzlich um und kam wieder zurück. Er stand noch am selben Ort.
»Was ist, Bärbele?« fragte er. »Ihr müsset heim.«
»Ja, ja, ich geh schon. Ihr dürfet nicht schlecht von mir denken!«
»Das tu ich gewiß nicht.«
»Und wie ist denn das, Gerber? Ihr habet doch gesagt, Ihr hättet gar kein Geld mehr? Ihr krieget doch noch Lohn, eh Ihr fortgeht?«
»Nein, Lohn kriege ich keinen mehr. Aber es macht nichts, ich komme schon durch, da müsset Ihr Euch keine Gedanken machen.«
»Nein, nein! Ihr müsset etwas im Sack haben. Da!«
Sie steckte ihm ein großes Geldstück in die Hand, er spürte, daß es ein Taler war.
»Ihr könnet mir’s einmal wiedergeben oder schicken, später einmal.«
Er hielt sie an der Hand zurück.
»Das geht nicht. So dürfet Ihr nicht mit Eurem Geldlein umgehen! Das ist ja ein ganzer Taler. Nehmt ihn wieder! Nein, Ihr müsset! So. Man muß nicht unvernünftig sein. Wenn Ihr was Kleines bei Euch habt, einen Fünfziger oder so, das nehm ich gerne, weil ich in der Not bin. Aber mehr nicht.«
Sie stritten noch ein wenig, und Bärbele mußte ihren Geldbeutel herzeigen, weil sie sagte, sie habe nichts als den Taler. Es war aber nicht so, sie hatte auch noch eine Mark und einen kleinen silbernen Zwanziger, die damals noch galten. Den wollte er haben, aber das war ihr zu wenig, und dann wollte er gar nichts nehmen und fortgehen, aber schließlich behielt er das Markstück, und sie lief nun im Trabe heimwärts.
Unterwegs dachte sie beständig darüber nach, warum er sie jetzt nicht noch einmal geküßt habe. Bald wollte es ihr leid tun, bald fand sie es gerade besonders lieb und anständig, und dabei blieb sie schließlich.
Eine gute Stunde später kam Knulp nach Hause. Er sah im Wohnzimmer droben noch Licht brennen, also saß die Meisterin noch auf und wartete auf ihn. Er spuckte ärgerlich aus und wäre beinahe davongelaufen, gleich jetzt in die Nacht hinein. Aber er war müde, und es würde regnen, und dem Weißgerber wollte er das auch nicht antun, und außerdem spürte er auf diesen Abend hin noch Lust zu einem bescheidenen Schabernack.
So fischte er denn den Schlüssel aus seinem Versteck heraus, schloß vorsichtig wie ein Dieb die Haustüre auf, zog sie hinter sich zu, schloß mit zusammengepreßten Lippen geräuschlos ab und versorgte den Schlüssel sorgfältig am alten Platz. Dann stieg er auf Socken, die Schuhe in der Hand, die Stiege hinauf, sah Licht durch eine Ritze der angelehnten Stubentür und hörte die beim langen Warten eingeschlafene Meisterin drinnen auf dem Kanapee tief in langen Zügen atmen. Darauf stieg er unhörbar in seine Kammer hinauf, schloß sie von innen fest ab und ging ins Bett. Aber morgen, das war beschlossen, wurde abgereist.
Meine Erinnerung an Knulp
Es war noch mitten in der fröhlichen Jugendzeit, und Knulp war noch am Leben. Wir wanderten damals, er und ich, in der glühenden Sommerszeit durch eine fruchtbare Gegend und hatten wenig Sorgen. Tagsüber schlenderten wir an den gelben Kornfeldern hin oder lagen auch unter einem kühlen Nußbaum oder am Waldesrand, am Abend aber hörte ich zu, wie Knulp den Bauern Geschichten erzählte, den Kindern Schattenspiele vormachte und für die Mädchen seine vielen Lieder sang. Ich hörte mit Freude zu und ohne Neid, nur wenn er unter den Mädchen stand und sein braunes Gesicht wetterleuchtete und die Jungfern zwar viel lachten und spotteten, aber mit unverwandten Blicken an ihm hingen, da schien es mir zuweilen, er sei doch ein seltener Glücksvogel oder ich das Gegenteil, und dann ging ich manchmal zur Seite, um nicht so überflüssig dabei zu stehen, und begrüßte entweder den Pfarrer in seiner Wohnstube um ein gescheites Abendgespräch und ein Nachtlager, oder ich setzte mich ins Gasthaus zu einem stillen Wein.
Eines Nachmittags, erinnere ich mich, kamen wir an einem Kirchhof vorüber, der samt einer kleinen Kapelle verlassen zwischen den Feldern lag, weit weg vom nächsten Dorf, und mit seinen dunkeln Gebüschen überm Mauerkranz recht friedvoll und heimatlich in dem heißen Lande ruhte. Am Eingangsgitter standen zwei große Kastanienbäume, es war aber verschlossen, und ich wollte weitergehen. Doch Knulp mochte nicht, er schickte sich an, über die Mauer zu steigen.
Ich fragte: »Schon wieder Feierabend?«
»Wohl, wohl, sonst tun mir bald die Sohlen weh.«
»Ja, muß es denn gerade ein Kirchhof sein?«
»Ganz gern, komm du nur mit. Die Bauern gönnen sich nicht viel, das weiß ich wohl, aber unter der Erde wollen sie’s doch gut haben. Darum lassen sie sich’s gern eine Mühe kosten und pflanzen was Sauberes auf die Gräber und daneben.«
Da stieg ich mit hinüber und sah, daß er recht hatte, denn es lohnte sich wohl, über das Mäuerlein zu klettern. Da innen lagen in geraden und in krummen Reihen die Gräber nebeneinander, die meisten mit einem weißen Kreuz von Holz versehen, und darauf und darüber war es grün und blumenfarbig. Da glühte freudig Winde und Geranium, im tiefern Schatten auch noch später Goldlack, und Rosenbüsche hingen voller Rosen, und Fliederbäume und Holunderbäume standen dick im Holz und Laub, daß es wie ein Lustgarten war.
Wir schauten alles ein wenig an und setzten uns dann im Grase, das stellenweise hoch und in Blüte stand, und ruhten aus und wurden kühl und zufrieden.
Knulp las den Namen auf dem nächsten Kreuz und sagte: »Der heißt Engelbert Auer und ist über sechzig Jahr alt geworden. Dafür liegt er jetzt unter Reseden, was eine feine Blume ist, und hat es ruhig. Reseden möcht ich schon auch einmal haben, und einstweilen nehm ich eine von den hiesigen mit.«
Ich sagte: »Laß sie nur und nimm was anderes, Reseden welken bald.«
Er brach doch eine ab und steckte sie auf seinen Hut, der neben ihm im Grase lag.
»Wie es da schön still ist!« sagte ich.
Und er: »Ja, schon. Und wenn es noch ein wenig stiller wär, so könnten wir wohl die da drunten reden hören.«
»Das nicht. Die haben ausgeredet.«
»Weiß man’s? Man sagt doch immer, der Tod ist ein Schlaf, und im Schlaf redet man oft und singt auch mitunter.«
»Du vielleicht schon.«
»Ja, warum nicht? Und wenn ich verstorben wär, da würd ich warten, bis am Sonntag die Mädlein herüberkommen und still herumstehen und sich von einem Grab ein Blümlein abbrechen, und dann würd ich ganz leis anfangen singen.«
»So, und was denn?«
»Was? Irgendein Lied.«
Er legte sich lang auf den Boden, machte die Augen zu und fing bald mit einer leisen, kindlichen Stimme an zu singen:
»Weil ich früh gestorben bin,
Drum singet mir, ihr Jüngferlein,
Ein Abschiedslied.
Wenn ich wiederkomm,
Wenn ich wiederkomm,
Bin ich ein schöner Knabe.«
Ich mußte lachen, obwohl das Lied mir gut gefiel. Er sang schön und zart, und wenn manchmal die Worte keinen völligen Sinn hatten, war doch die Melodie recht fein und machte es schön.
»Knulp,« sagte ich, »versprich den Jungfern nicht zu viel, sonst hören sie dir bald nimmer zu. Das mit dem Wiederkommen ist schon recht, aber gewiß weiß das kein Mensch, und ob du dann gerade ein schöner Knabe wirst, das ist erst recht nicht sicher.«
»Sicher ist es nicht, das stimmt. Aber es wäre mir lieb. Weißt du noch, vorgestern, der kleine Bub mit der Kuh, den wir nach dem Weg gefragt haben? So wär ich gern wieder einer. Du nicht auch?«
»Nein, ich nicht. Ich habe einmal einen alten Mann gekannt, wohl über siebzig, der hat so still und gut geblickt, und mir kam es vor, als könne an ihm nur Gutes und Kluges und Stilles sein. Und seither denk ich hie und da, so möcht ich gern auch einer werden.«
»Ja, da fehlt dir noch ein Stückchen dran, weißt du. Und es ist überhaupt komisch mit dem Wünschen. Wenn ich jetzt im Augenblick bloß zu nicken brauchte und wäre dann so ein netter kleiner Bub, und du brauchtest bloß zu nicken und wärst ein feiner milder alter Kerl, so würde doch keiner von uns nicken. Sondern wir würden ganz gern bleiben, wie wir sind.«
»Das ist auch wahr.«
»Wohl. Und auch sonst, schau. Oft denk ich mir: Das Allerschönste und Allerfeinste, was es überhaupt gibt, das ist ein schlankes junges Fräulein mit einem blonden Haar. Stimmt aber nicht, denn man sieht oft genug, daß eine Schwarze fast noch schöner ist. Und außerdem, es geschieht auch wieder, daß mir so scheint: Das Allerschönste und das Feinste von allem ist doch ein schöner Vogel, wenn man ihn so frei in der Höhe sieht schweben. Und ein andermal ist gar nichts so wundersam wie ein Schmetterling, ein weißer zum Beispiel mit roten Augen auf den Flügeln, oder auch ein Sonnenschein am Abend in den Wolken droben, wenn alles glänzt und doch nicht blendet, und alles dann so froh und unschuldig aussieht.«
»Ganz recht, Knulp. Es ist eben alles schön, wenn man es in der guten Stunde anschaut.«
»Ja. Aber ich denke noch anders. Ich denke, das Schönste ist immer so, daß man dabei außer dem Vergnügen auch noch eine Trauer hat oder eine Angst.«
»Ja wie denn?«
»Ich meine so: Eine recht schöne Jungfer würde man vielleicht nicht gar so fein finden, wenn man nicht wüßte, sie hat ihre Zeit und danach muß sie alt werden und sterben. Wenn etwas Schönes immerfort in alle Ewigkeit gleich bleiben sollte, das würde mich wohl freuen, aber ich würd es dann kälter anschauen und denken: Das siehst du immer noch, es muß nicht heute sein. Dagegen was hinfällig ist und nicht gleich bleiben kann, das schaue ich an und habe nicht bloß Freude, sondern auch ein Mitleid dabei.«
»Nun ja.«
»Darum weiß ich auch nichts Feineres, als wenn irgendwo bei Nacht ein Feuerwerk angestellt wird. Da gibt es blaue und grüne Leuchtkugeln, die steigen in die Finsternis hinauf und wenn sie gerade am schönsten sind, dann machen sie einen kleinen Bogen und sind aus. Und wenn man dabei zuschaut, so hat man die Freude und auch zu gleicher Zeit die Angst: gleich ist’s wieder aus, und das gehört zueinander und ist viel schöner, als wenn es länger dauern würde. Nicht?«
»Doch, wohl. Aber das stimmt auch wieder nicht für alles.«
»Warum nicht?«
»Zum Beispiel, wenn zwei einander gern haben und heiraten, oder wenn zwei miteinander eine Freundschaft schließen, so ist das doch gerade deswegen schön, weil es für die Dauer ist und nicht gleich wieder ein Ende haben soll.«
Knulp sah mich aufmerksam an, dann blinzelte er mit seinen schwarzen Wimpern und sagte nachdenklich: »Mir ist es auch recht. Aber auch das hat doch einmal sein Ende, wie alles. Da gibt es vielerlei, was einer Freundschaft den Hals brechen kann, und einer Liebe auch.«
»Schon recht, aber daran denkt man nicht, bevor es kommt.«
»Ich weiß nicht. – Sieh, du, ich habe zweimal in meinem Leben eine Liebschaft gehabt, ich meine eine richtige, und beidemal wußte ich gewiß, daß das für immer sei und nur mit dem Tod aufhören könne, und beidemal hat es ein Ende gefunden und ich bin nicht gestorben. Auch einen Freund hab ich gehabt, daheim noch in unsrer Stadt, und hätte nicht gedacht, daß wir beide bei Lebzeiten auseinander kommen könnten. Aber wir sind doch auseinander gekommen, schon lang.«
Er schwieg, und ich wußte nichts dazu zu sagen. Das Schmerzliche, das in jedem Verhältnis zwischen Menschen ruht, war mir noch nicht zum Erlebnis geworden, und ich hatte es noch nicht erfahren, daß zwischen zwei Menschen, sie seien noch so eng verbunden, immer ein Abgrund offen bleibt, den nur die Liebe und auch die nur von Stunde zu Stunde mit einem Notsteg überbrücken kann. Ich dachte über die vorigen Worte meines Kameraden nach, von denen mir das über die Leuchtkugeln am besten gefiel, denn ich hatte das selber schon manches Mal empfunden. Die leise lockende Farbenflamme, in die Finsternis aufsteigend und allzubald darin ertrinkend, schien mir ein Sinnbild aller menschlichen Lust, die je schöner sie ist, desto weniger befriedigt und desto rascher wieder verglühen muß. Das sagte ich auch zu Knulp.
Aber er ging nicht darauf ein.
»Ja, ja,« sagte er nur. Und dann, nach einer guten Weile, mit gedämpfter Stimme: »Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert, und man tut ja auch nicht, wie man denkt, sondern tut jeden Schritt eigentlich ganz unüberlegt so, wie das Herz gerade will. Aber das mit dem Freundsein und Verlieben ist vielleicht doch so, wie ich meine. Am Ende hat doch ein jeder Mensch das Seinige ganz für sich und kann es nicht mit anderen gemein haben. Man sieht es auch, wenn einer stirbt. Da wird geheult und getrauert, einen Tag und einen Monat und auch ein Jahr, aber dann ist der Tote tot und fort, und es könnte in seinem Sarge drin gerade so gut ein heimatloser und unbekannter Handwerksbursch liegen.«
»Du, das behagt mir aber nicht, Knulp. Wir haben doch oft geredet, daß das Leben schließlich einen Sinn haben muß und daß es einen Wert hat, wenn einer gut und freundlich statt schlecht und feindselig ist. Aber so, wie du jetzt sagst, ist eigentlich alles einerlei, und wir könnten gerade so gut stehlen und totschlagen.«
»Nein, das könnten wir nicht, mein Lieber. Schlag doch einmal die paar nächsten Leute tot, die wir treffen, wenn du’s vermagst! Oder verlang einmal von einem gelben Schmetterling, er soll blau sein. Der lacht dich aus.«
»So mein ich’s auch nicht. Aber wenn doch alles einerlei ist, dann hat es keinen Sinn, daß man gut und redlich sein will. Dann gibt es ja kein Gutsein, wenn blau so gut wie gelb und bös so gut wie gut ist. Dann ist eben jeder wie ein Tier im Wald und tut nach seiner Natur und hat weder ein Verdienst noch eine Schuld dabei.«
Knulp seufzte.
»Ja, was soll man darüber sagen! Vielleicht ist es so, wie du sagst. Dann wird man auch deswegen oft so dumm betrübt, weil man spürt, daß das Wollen keinen Wert hat, und daß alles ganz ohne uns seinen Weg geht. Aber eine Schuld gibt es deswegen doch, auch wenn einer nicht anders hat können als schlecht sein. Denn er spürt es doch in sich. Und darum muß auch das Gute das Richtige sein, weil man dabei zufrieden bleibt und sein gutes Gewissen hat.«
Ich sah es seinem Gesicht an, daß er dieser Gespräche satt war. Es ging ihm oft so, er kam ins Philosophieren hinein, stellte Sätze auf, redete für sie und wider sie und hörte plötzlich wieder auf. Früher hatte ich gemeint, er sei dann meiner unzulänglichen Antworten und Einwürfe müde. Aber es war nicht so, sondern er fühlte, daß seine Neigung zum Spekulieren ihn auf Gelände führe, wo seine Kenntnisse und Redemittel nicht ausreichten. Denn er hatte zwar recht viel gelesen, unter anderem Tolstoi, aber er konnte zwischen richtigen und Trugschlüssen nicht immer genau unterscheiden und fühlte das selber. Von den Gelehrten redete er, wie ein begabtes Kind von den Erwachsenen redet: er mußte anerkennen, daß sie mehr Macht und Mittel hatten als er, aber er verachtete sie, daß sie doch damit nichts Rechtes anfingen und mit allen ihren Künsten doch keine Rätsel lösen konnten.
Nun lag er wieder, den Kopf auf beiden Händen, starrte durch das schwarze Holunderlaub in den blauen heißen Himmel und summte ein altes Volkslied vom Rhein vor sich hin. Ich weiß noch den letzten Vers:
Nun hab ich getragen den roten Rock,
Nun muß ich tragen den schwarzen Rock,
Sechs, sieben Jahr,
Bis daß mein Lieb verweset war.
Spät am Abend saßen wir am dunklen Rand eines Gehölzes einander gegenüber, jeder mit einem großen Stück Brot und einer halben Schützenwurst, aßen und sahen dem Nachtwerden zu. Vor Augenblicken noch waren die Hügel vom gelben Widerschein des Späthimmels beglänzt und in flaumig schwimmendem Lichtrauch aufgelöst gewesen, nun aber standen sie schon dunkel und scharf und malten ihre Bäume, Felderrücken und Gebüsche schwarz auf den Himmel, der noch ein wenig lichtes Tagesblau, aber schon viel mehr tiefes Nachtblau hatte.
Solange es noch licht gewesen war, hatten wir einander drollige Sachen aus einem kleinen Büchlein vorgelesen, das hieß »Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten« und enthielt lauter dumme lustige Schundlieder mit kleinen Holzschnitten. Das hatte nun mit dem Tageslicht sein Ende gefunden. Als wir fertig gegessen hatten, wünschte Knulp Musik zu hören, und ich zog die Mundharfe aus der Tasche, die voller Brosamen war, putzte sie aus und spielte die paar oft gehörten Melodien wieder. Die Dunkelheit, in der wir schon eine Weile saßen, hatte sich vor uns nun weit in das vielfältig gewölbte Land hinein verbreitet, auch der Himmel hatte seinen bleichen Schein verloren und ließ im Schwärzerwerden langsam einen Stern um den andern hervorglühen. Die Töne unserer Harmonika flogen leicht und dünn feldeinwärts und verloren sich bald in den weiten Lüften.
»Wir können doch noch nicht gleich schlafen,« sagte ich zu Knulp. »Erzähl mir noch eine Geschichte, sie braucht nicht wahr zu sein, oder ein Märchen.«
Knulp besann sich.
»Ja,« sagte er, »eine Geschichte und auch ein Märchen, beides beieinander. Es ist nämlich ein Traum. Vorigen Herbst hat es mir so geträumt und seither zweimal ganz ähnlich, das will ich dir erzählen:
Da war eine Gasse in einem Städtlein, ähnlich wie bei mir daheim, alle Häuser streckten die Giebel auf die Gassenseite, aber sie waren höher, als man sie sonst sieht. Da ging ich hindurch, und es war, wie wenn ich nach einer langen, langen Zeit endlich wieder heimkehrte; aber ich hatte nur eine halbe Freude, denn es war nicht alles in Ordnung, und ich wußte nicht ganz sicher, ob ich nicht doch am falschen Ort und gar nicht in der Heimat sei. Manche Ecke war ganz, wie es sein sollte, und ich kannte sie sofort wieder, aber viele Häuser waren fremd und ungewohnt, auch fand ich die Brücke und den Weg zum Marktplatz nicht und kam statt dessen an einem unbekannten Garten und an einer Kirche vorbei, die war wie in Köln oder in Basel, mit zwei großen Türmen. Unsre Kirche daheim aber hat keine Türme gehabt, sondern nur einen kurzen Stumpen mit einem Notdach, weil sie früher sich verbaut haben und den Turm nicht fertig machen konnten.
So war es auch mit den Leuten. Manche, die ich von weitem sah, waren mir ganz wohlbekannt, ich wußte ihre Namen und hatte sie schon im Mund, um sie damit anzurufen. Aber die einen gingen vorher in ein Haus oder in eine Seitengasse und waren fort, und wenn einer näherkam und an mir vorbeiging, verwandelte er sich und wurde fremd; aber wenn er vorüber und wieder weiter weg war, meinte ich im Nachsehen, er sei es doch und ich müsse ihn kennen. Ich sah auch ein paar Weiber vor einem Laden beieinander stehen, und eine davon, schien mir’s, war sogar meine verstorbene Tante; aber wie ich zu ihnen gehe, kenne ich sie wieder nimmer und höre auch, daß sie eine ganz fremde Mundart reden, die ich kaum verstehen kann.
Schließlich dachte ich: Wenn ich nur wieder aus der Stadt draußen wäre, sie ist’s und ist’s doch nicht. Doch lief ich immer wieder auf ein bekanntes Haus zu oder einem bekannten Gesicht entgegen, die mich alle auch wieder für Narren hatten. Dabei wurde ich nicht zornig und verdrießlich, sondern nur traurig und voller Angst; ich wollte ein Gebet hersagen und besann mich mit aller Kraft, aber es fielen mir nichts als unnütze, dumme Redensarten ein – zum Beispiel ›Sehr geehrter Herr‹ und ›Unter den obwaltenden Umständen‹ – und die sagte ich verwirrt und traurig vor mich hin.
Das ging, schien mir, ein paar Stunden lang so weiter, bis ich ganz warm und müd war und völlig willenlos immer weiterstolperte. Es war schon Abend, und ich nahm mir vor, den nächsten Menschen nach der Herberge oder nach der Landstraße zu fragen, aber ich konnte keinen anreden, und alle gingen an mir vorbei, wie wenn ich Luft wäre. Bald hätte ich vor Müdigkeit und Verzweiflung geweint.
Da auf einmal ging es wieder um eine Ecke, und da sah ich unsere alte Gasse vor mir liegen, ein wenig gemodelt und verziert zwar, aber das störte mich jetzt nimmer viel. Ich ging darauf los und kannte ein Haus ums andere trotz der Traumschnörkel deutlich wieder, und endlich auch unser altes väterliches Haus. Es war ebenfalls übernatürlich hoch, sonst aber fast ganz wie in alten Zeiten, und die Freude und Aufregung lief mir wie ein Grausen den Rücken hinauf.
Unter dem Tor aber stand meine erste Liebste, die hat Henriette geheißen. Nur sah sie größer und etwas anders aus als früher, war aber nur noch schöner geworden. Im Näherkommen sah ich sogar, daß ihre Schönheit wie ein Wunderwerk war und ganz engelhaft erschien, doch merkte ich nun auch, daß sie hellblond war und nicht braun wie die Henriette, und doch war sie es auf und nieder, wenn auch verklärt.
›Henriette!‹ rief ich hinüber und zog den Hut ab, weil sie so fein und herrlich aussah, daß ich nicht wußte, ob sie mich noch werde kennen wollen.
Sie drehte sich ganz herum und sah mir in die Augen. Aber wie sie mir so ins Auge sieht, mußte ich mich verwundern und schämen, denn es war gar nicht die, für die ich sie angesprochen hatte, sondern es war die Lisabeth,meine zweite Liebste, mit der ich lange gegangen war.
›Lisabeth!‹ rief ich also jetzt, und streckte ihr die Hand hin.
Sie sah mich an, das ging bis ins Herz, wie wenn Gott einen anschauen würde, nicht streng und etwa hochmütig, sondern ganz ruhig und klar, aber so geistig und überlegen, daß ich mir wie ein Hund vorkam. Und sie wurde im Anschauen ernst und traurig, dann schüttelte sie den Kopf wie auf eine vorlaute Frage, nahm auch meine Hand nicht an, sondern ging ins Haus zurück und zog das Tor still hinter sich zu. Ich hörte noch das Schloß einschnappen.
Da kehrte ich um und ging fort, und obschon ich vor Tränen und Leidwesen kaum aus den Augen sah, war es doch merkwürdig, wie die Stadt sich wieder verwandelt hatte. Es war jetzt nämlich jede Gasse und jedes Haus und alles genau wie in früherer Zeit und das Unwesen ganz verschwunden. Die Giebel waren nicht mehr so hoch und hatten die alten Farben, die Leute waren es wirklich und schauten mich froh und verwundert an, wenn sie mich wieder kannten, auch riefen manche mich mit meinem Namen an. Aber ich konnte keine Antwort geben und auch nicht stehen bleiben. Statt dessen lief ich mit aller Macht den wohlbekannten Weg über die Brücke und vor die Stadt hinaus und sah alles nur aus nassen Augen vor Herzweh. Ich wußte nicht warum, mir schien nur, es sei hier für mich alles verloren und ich müsse in Schande fortlaufen.
Dann, wie ich vor der Stadt draußen unter den Pappeln war und ein wenig anhalten mußte, fiel mir’s erst ein, daß ich daheim und vor unserem Haus gewesen sei und an Vater und Mutter, Geschwister und Freunde und alles mit keinem Gedanken gedacht habe. Es war eine Verwirrung, Kümmernis und Scham in meinem Herzen wie noch niemals. Aber ich konnte nicht umkehren und alles gutmachen, denn der Traum war aus, und ich wurde wach.«