Kitabı oku: «Die Verstümmelten», sayfa 10
Polzer stand auf.
»Was tun Sie ?« sagte er. Er griff erschrocken Sonntags Arm. Der Pfleger wandte sein Gesicht Polzer zu. Polzer ließ ihn los.
Die kleinen Augen des Pflegers sahen ihn an.
»Auch Sie sind noch nicht am Ende, Herr Polzer,« sagte er. »Einmal vielleicht wird es sein, wie heute vor uns beiden werden Sie dastehen und bekennen.«
»Ich weiß nicht...« sagte Polzer zögernd.
»Sie wissen nicht, was Sie bekennen sollten? Sie wissen nichts von Ihrer Gier nach Geld? Denken Sie an die Uhr, die wir in Ihrem Koffer gefunden haben. Und warum wollen Sie denn von Frau Porges erfahren, wo sie ihr Geld hintut? Vielleicht ist es wirklich nur Ihre Neugierde, die Sie treibt. Sie zieht Sie und lockt Sie. Aber dann, wenn Sie wissen, wo das Geld ist, wird das Böse Sie ganz ergreifen und Sie werden suchen, das Geld in Ihre Hände zu bekommen.«
»Nein, nein,« sagte Polzer.
Karl hatte die Augen geschlossen. Der Pfleger trat auf ihn zu und entkleidete ihn. Dann schlang er beide Arme um Karls Rumpf. Er hob ihn auf und legte ihn auf das Bett.
»Ich bin müde,« sagte Karl.
Sie gingen und versperrten von außen die Tür.
Im dunklen Flur fühlte Polzer, daß jemand neben ihm stehe.
Es war der Pfleger.
»Sie verbirgt Geld,« sagte er flüsternd nahe an Polzers Ohr.
»Vielleicht vergräbt sie es. Sie bekommt Geld von allen Seiten, von Frau Fanta, vom Herrn, von Franz.«
»Von Franz?« fragte Polzer.
»Vielleicht auch von andern. Gehen Sie morgen nachmittags bloß bis zum Kloster. Kommen Sie dann nach Hause. Ich werde Ihnen leise öffnen, Herr Polzer.«
Polzer trat in sein Zimmer. Es war dunkel und Frau Porges schlief.
16. Kapitel
Franz Polzer kehrte am Kloster um. Er schlug den Weg nach Hause ein. Das, was ihm der Pfleger nun anvertrauen wollte, wenn er vorzeitig vom Spaziergang heimkehrte, hatte ihn seit gestern abend ununterbrochen beschäftigt und beunruhigt. Am Karlsplatz beschleunigte er seinen Schritt. Als Polzer noch auf der letzten Stufe stand, öffnete sich vor ihm schon geräuschlos die Wohnungstür.
Der Pfleger ergriff ihn am Arm und zog ihn rasch über die Schwelle. Er hatte den Finger an die Lippen gelegt. Polzer sah ihn fragend an.
»Er muß ihr Geld geben!« Sonntag flüsterte so leise, daß Polzer Mühe hatte, ihn zu verstehen. »Alle müssen ihr wohl geben, der Tenor, der Student, weiß Gott, wer sonst noch! Kommen Sie!« sagte er.
Sie standen vor der Tür zu Polzers und Klara Porges‘ Schlafzimmer. Die Tür war geschlossen. Der Pfleger hob den Fuß und stieß ihn kräftig gegen die Tür. Das Schloß knackte und brach und die Türflügel wichen vor Franz Polzer weit auseinander. Polzer hörte einen Schrei. Er erkannte die Stimme der Witwe. Sie stand nackt im Zimmer. Sie bückte sich und hob ihr Hemd vom Boden und hielt es sich vor den Leib.
Polzer bewegte sich nicht. Er sah Klara Porges nicht an. Die Witwe raffte ihre Kleider zusammen und ging an Polzer vorbei in die Küche.
Polzer sah Franz Fanta an. Er wollte sich umdrehen und sehen, ob der Pfleger noch hinter ihm sei, aber er konnte den Blick von Franz Fanta nicht abwenden. Franz Fanta stand knapp an der Mauer zwischen den Fenstern. Der Kopf war leicht hintenüber geneigt, die Augen waren halb geschlossen, als wartete er.
Was wird geschehen, dachte Franz Polzer. Worauf warten wir? Ihm war, als habe er ihn schon so gesehen. Vor vielen Jahren einmal. Hatten sie einander nicht damals weinend geküßt und umarmt? Und wartete er, Polzer, nun nicht, all die Jahre nicht, daß dieser ihn wieder küsse und umarme? Ja, darauf wartete er. Alles war wie ein versunkener Traum: wo waren diese Glieder, in welchem Lazaretthof waren diese Glieder begraben, er hatte von einem häßlichen Namen geträumt, von einem widerlichen Namen, von den blutigen Wunden seiner schwangeren Frau. Die ganze Nacht nun hatte er unter Büchern die Hose geplättet und morgens die Schuhe geputzt. Nur die Hände mußte er verbergen. Oh, nun hob der Nackte die Arme vor sich, als fürchte er sich. Oh, Scham und Rührung waren also auch in ihm!
An der Wand hing der Mantel. Zögernd trat Polzer über die Schwelle. Franz Fanta hatte den Kopf in den Armen geborgen. Sein Rücken bewegte sich. Er weinte.
»Schäme dich nicht,« sagte Franz Polzer.
Er legte den Mantel über ihn.
Er sah Frau Porges schon angekleidet in der Küche stehen. Langsam ging er in die Küche zu ihr.
»Kommen Sie,« sagte er. Nichts regte sich in ihm.
Sie sah ihn fragend an.
»Kommen Sie!« wiederholte er. »Sie brauchen den Hut nicht.«
Sie traten auf die Straße. Sie trug keinen Hut. Wohin wollte er? Er sah sie ohne Hut, und er wunderte sich, daß er sich an nichts erinnere. Es war keine Angst in ihm, kein Haß, als er sie ansah. Alles war bewegungslos.
Es ist gut, daß sie keinen Hut trägt, dachte er. Wir sind kleine Leute, dachte er. Wir müssen schlechte Kleider tragen, wir müssen! Da kommt alles her. Besser für uns, die guten Kleider zu zerreißen, als sie zu tragen, dachte er.
Sie traten in ein kleines Cafe. Sie setzten sich an einen Tisch, der abseits an der Wand stand. Sie saß ihm gegenüber. Ihr Gesicht war bleich und dick wie das Gesicht einer Leiche. Ihre Augen wichen ihm aus. Er sah sie ruhig an. Ihr Haar war vom Wind an den Schläfen zerrauft. Wo war das alles schon geschehen ?
Er wußte, daß er nun zu sprechen beginnen würde. »Was war das?« sagte er. Er vernahm, fremd, den Klang seiner Stimme. Ihm war, als habe er seine Stimme noch nie gehört.
Sie führte das Taschentuch an die Augen.
»Weinen Sie nicht,« sagte er.
Sie zuckte mit den Achseln.
»Ich will alles wissen,« sagte er.
Er sah sie schweigend an.
»Quäle mich nicht! Sieh mich nicht an! Sieh mich nicht so an! Du weißt es ja! Wozu fragst du mich noch?« sagte sie. Sie drückte das Tuch gegen das Gesicht. »Wie es kam,« sagte er.
Sie rückte auf dem Stuhl.
»Wie es kam .... Was soll das! ... Er sah mich immer so an ....«
»Er ist noch ein Knabe,« sagte Polzer leise, »ich habe ihn sehr geliebt.«
Es bewegte sich nichts an ihm.
»Wie es kam,« sagte er.
»Gott, quäle mich nicht! Was heißt das, wie es kam! Wie kommt das! ...«
»Alles!« sagte er.
Er neigte sich über den Tisch. Er sah ihr Gesicht an. Er erschrak über dieses Gesicht. Wieso war dieses Gesicht vor ihm, dieses bleiche Gesicht!
»Ich habe dir alles gesagt.«
Warum konnte er nicht aufstehen und fort? Was hielt ihn an ihr?
»Alles ... alles mußt du hergeben! ... Das Geld ... Warum willst du Geld von ihm? ... Und die andern ....« Er hob die Hände. Sie sah sein verzerrtes Gesicht. »Alle haben dich gehabt, alle, der Student, der Tenor, die Herren aus der Bank, am Ende auch Karl, wer noch, wer noch!«
»Man lügt,« rief sie. Sie wich seinem Blick aus. »Er lügt, wer es dir gesagt hat, lügt! Er soll ersticken an dieser Lüge, wer es dir gesagt hat!«
»Schwöre, daß er lügt!«
»Ich schwöre, nur laß mich!«
»Ich lasse dich nicht,« sagte er. Warum geht es mich an, dachte er. »Nein, nein, ich lasse dich nicht.«
»Nun habe ich dir geschworen,« sagte sie.
»Schwöre mir bei deiner Mutter, bei deiner toten Mutter,« sagte er. »Schwöre, daß du ihre Asche verfluchst, wenn er wahr spricht ... Schweigst du? Warum schweigst du, warum schwörst du es nicht?«
»Quäle mich nicht,« sagte sie schluchzend.
»Also schwörst du es nicht. Also hat man die Wahrheit gesprochen.«
Sie schwieg.
»Gestehe es!« sagte er.
»Du weißt es doch,« sagte sie leise.
Da begriff Franz Polzer, daß sie ihm gehöre.
Er ließ die Arme sinken. Was sollte er nun? Was sollte er nun noch ?
»Alle,« sagte er, »alle ... oh Gott.«
Sie weinte.
Er sah den dunklen Flaum über den leblos fetten Wangen. Wie eine Leiche, dachte er. Er wußte, daß sie häßlich sei. Nun konnte er nie los von ihr. Sie hatte schwarze Haare zwischen den Brüsten.
»Wer noch?« fragte er leise.
»Niemand, niemand, oh Gott, quäle mich nun nicht mehr!«
»Schwöre,« sagte er.
»Ich schwöre.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, so nicht. Das Kind in meinem Bauch soll eine krumme Mißgeburt sein, der Aussatz soll es in meinem Leibe fressen: ... schwöre so!«
»«Nein,« sagte sie, »nein, nein!«
»Nicht alle.«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»So viel Unrecht leiden ...« Sie schluchzte.
»Und das Kind« sagte er, »und das Kind.«
Bald würde das Kind da sein. Bald würde dieser Bauch weit aufgehen. Wer hatte diesen Bauch so schwellen gemacht? Alles mußte sie sagen, alles wollte er aus ihr reißen, alles mußte er wissen, denn nun gehörte sie ihm, nun konnte er nicht fort von ihr, wie die roten Hände gehörte sie ihm, bis an ihr Ende, bis an sein Ende Tag und Nacht, immer mußte er alle Schmach aus ihr quälen und wieder tragen. Sie sollte keinen Hut tragen mehr, immer den nackten Scheitel wie eine, die im Laden steht, so mußte es sein. Man hatte ihn aus der Bank gejagt. Warum doch, dachte er, hat man mich aus der Bank gejagt? Nun ist alles hereingebrochen.
Er sah sie schweigend an. Sie trocknete ihre Tränen.
»Ich habe dir alles gesagt,« sagte sie. »Nun ist es gut, Polzer! Alles ist vergangen. Das Kind ist von dir, Polzer! Wir werden heiraten. Alles wird gut!«
Er erhob sich.
»Ja, ja,« sagte er. — —
In dieser Nacht schlief Polzer nicht. Er saß aufrecht im Bett. Er hörte den Schritt des Pflegers aus dem Nebenzimmer. Er hielt den Atem an und lauschte. Wer wollte etwas von ihm? Was wollte der Pfleger von ihm?
Manchmal hörte er einen tiefen Seufzer. Wie wenn ein Sterbender seufzt. Hatte der Pfleger geseufzt? Polzer wollte schreien. Aber sein Atem kam trocken aus dem Hals.
Er schloß die Augen nicht. In seinen Ohren klang die eintönige Stimme des Pflegers. Wo hatte er sie gehört?
»Das Böse ist nicht für den Bösen da. Denn für ihn ist nichts da. Auch das Böse ist für den Gottesfürchtigen da. Nur der Gottesfürchtige kann es erleiden und dieses ist die Gnade. So geht er ihm nicht aus dem Wege, sondern, wenn es da ist, nimmt er es auf sich. Denn er muß bis zu Ende tun und bis zu Ende erleiden.«
Die Schritte verstummten.
Frau Porges schlief. Sie lag auf dem Rücken. Nun konnte sie nicht mehr auf der Seite liegen.
Polzer sah sie im Dunkel nicht. Aber er wußte, wie die Decke sich über ihrem Leib wölbte bis zum Hals. Und wie darüber der Scheitel lag.
Er saß im Bett und blickte unverwandt und bohrend in das Dunkel, dorthin, woher ihr Atem kam. In dieser Nacht dachte er an alles. Alles war lebendig nacheinander und zugleich. Später wußte er es nicht mehr. Manchmal erhellte sich ihm ein Augenblick aus dieser Nacht wie ein vergessenes, wiedergesprochenes Wort. Ihm war, als sei es ein Stein, unter dem Entsetzliches vergraben liege. Wie im Traum quälte er sich, diesen Stein von der Stelle zu wälzen, aber es war, als gebe er nach allen Seiten nach und doch weiche er nicht.
Es war still und nur ihr Atem ging. Aber war es nicht, als schleiche etwas? Durch den Flur in das Zimmer? Oh, es war doch alles Feste gelöst, oh, es hatte doch nichts Gesetzliches mehr Bestand.
Was knarrte? Hatte der Kasten geknarrt? War das kein Schritt auf der Diele, daß sie plötzlich knarrte, ein schleichender Schritt, ein Mörderschritt! Fremde Türen gingen im Haus, öffneten sich und schlossen sich. Was schlich durch das Dunkel? Sollte er aufstehen, bebend an den Türen stehen und lauschen, in die finstern Ecken mit den Händen tasten? Ging der Mörder durchs Haus?
Seine Augen schmerzten. Er bewegte sich nicht. Klara Porges schlief. Warum schlief sie? Hörte sie es nicht? Wie hatte sie es gesagt?
»Alles ist vergangen. Alles wird gut.«
Nichts wird gut, nichts ist vergangen. Alles ist da und alles ist wach, wie kann es vergangen sein! Das Heiligenbild hängt nicht mehr an der Wand neben dem Bett wie zu Hause. Das ist vergangen, aber die Nacht ist nicht vergangen, wie sie war, als er im Bett lag und die Schritte knarrten und er im Flur stand und die Tür aufging und der nackte Schatten kam und der Vater. Nichts ist vergangen. Aber sie atmete, als wenn es vergangen wäre, die Schwangere, als wenn dieser Gedanke nicht mehr wäre, der einmal plötzlich da war, dieser unbegreifliche, entsetzliche Gedanke. Ihr Bauch atmete mit. Das Kind im Bauch atmete, das lebendige Kind. Bald wird der Bauch geöffnet sein und das Kind wird vor Polzer liegen, nackt, mit Schlauchgliedern und tiefen Einschnitten im Fleisch an den Gelenken, ein Mädchen mit einem Strich zwischen den Schenkeln. Nein, nein, das wollte er nicht. Das alles wollte er nicht, das alles sollte nicht sein. Aber das alles mußte sein, denn nichts konnte vergangen sein. Sie war häßlich und alles war eine Qual.
Aber es mußte alles eine Qual sein und mußte alles häßlich sein. Ja, ja ... So erst war es sein, wenn es häßlich war, er war selbst häßlich, mit roten Händen — — oh Gott, warum hatte er den neuen Anzug genommen — — er hatte den Dienstmädchen die Gurken verkauft und die Tante hatte ihn gehalten mit ihren Nägeln an den Fingern, wenn der Vater ihn schlug, und Milka hatte ihn auf der Treppe ergriffen. Die Decke wölbte sich über dem Bauch und der Scheitel lag darüber. Von wem war das Kind in dem Bauch? Alle hatten sie mißbraucht. So gehörte sie ihm. Aber es war nicht vergangen.
Er wollte aufstehen, die Schwangere wecken. Ganz nah wollte er das Gesicht vor ihren Kopf legen und den Scheitel, den Scheitel ... »Nichts ist vergangen,« wollte er sagen. Es war nicht zu Ende. »Sprich!« Alles sollte sie sagen. Wie sie den Knaben verführt habe, gelockt ... er wußte doch nichts, der Knabe ... wie sie ihn ergriffen, an sich gezogen habe. Und von den andern, von allen, alles sollte sie sagen, sollte sich winden und es sagen, wie sie auf ihr gelegen waren, wohin sie mit ihren Händen gegriffen haben, hierhin und dorthin, dieser und jener, genau, genau, wie jeder, wie er es getan habe, wie oft und wie lang, und wie sie geseufzt und geatmet habe, alles sollte sie sagen.
Er wollte die Decke wegziehen und sie sehen. Den geschwollenen Bauch, die Haare zwischen diesen Brüsten, die sich zur Seite schoben, wenn sie lag, das fette Gesicht, die Hände, die alle Männer gegriffen hatten, überall hin. Sie war häßlich und mißbraucht. Ihr Körper war gelb. Aber: so mußte es sein. So war sie unter ihnen gelegen, unter allen, und alle hatten sie gebraucht, aber jeder hatte seine Art, seine eigene Art, und von jedem mußte sie es sagen: so und so. Und von wem dieser Leib groß war, von wem das Kind war! Er wollte sie aufdecken und den Leib ansehen: Oh, alles war häßlich und eine Qual, aber es durfte nicht anders sein.
Der Student, der Tenor und alle, einer nach dem andern, nein, es durfte nicht vergangen sein, bis zu Ende mußte man es tragen. Noch schlief sie. Aber nun stand er auf. Er stand neben dem Bett. Die Decke wölbte sich bis zum Hals, wo noch, oh Gott, wo noch hatte sich die Decke so entsetzlich über dem Bauch gewölbt, und da lag der Scheitel. Er wollte die Decke fortziehen, daß er den Bauch sehe, in dem das Kind lag mit dem offenen greuelhaften Spaltstrich zwischen den Schenkeln, das Kind in dem mißbrauchten Bauch, auf dem sie alle gelegen waren einer wie der andere auf seinem Kinde, auf seinem Bauch. Nackt sollte er sein, wie vor Karl, dem sie ihn hinhielt, zu seiner Hand, daß er darauf taste.
Er lauschte. Keine Uhr ging. Nichts regte sich. Die Nacht verging. Keine Türen öffneten sich leise. Alles schlief. Die Schritte schliefen, das fremde Haus schlief, das Messer schlief, die Schürze mit dem Blut der Kälber schlief. Klara Porges schlief. Ihr Kopf lag zur Wand gedreht auf dem Polster. Der Scheitel lag da, weiß, zwischen den schwarzen Haaren links und rechts. Nichts war vergangen. Auch er war nicht vergangen, immer war er da, seit jeher war der Scheitel da, den der Wind zerstörte; denn sie trug keinen Hut. Sie schlug ihn und sie quälte ihn und immer hatte sie ihn geschlagen und das Brot versperrt. Aber nun konnte er den Scheitel zerstören. Sie schlief. Er konnte diese Nadel aus dem Knoten nehmen, diese und diese, dann würde er zerfallen. Er mußte es leise tun, damit sie nicht erwache.
Der Knoten löste sich. Sie bewegte sich nicht. Sie atmete tief. Er nahm das Haar in die Hand. Er wollte den Scheitel verdecken. Es knisterte unter dem Haar. Er ließ das Haar los. Es fiel auseinander. Auf dem Polster lag Geld.
Polzer bewegte sich nicht. Er sah das Geld an. Das ist das Geld, dachte er. Das ist das Geld. Von allen unter dem Scheitel das Geld! Für den Bauch das Geld. Ihre Ohren lagen bloß. Er hatte noch nie ihre Ohren gesehen. Die Ränder waren nicht umgebogen. Es waren ausgeplättete Ohren. Sie waren gelb wie das Wachs von Kirchenkerzen, tote, ausgeplättete Ohren. Man konnte mit der linken Hand die Nase einen Augenblick lang zuhalten. Dann spannte sich die Haut über der Kehle. Die Kehle mußte gespannt sein. Denn die Haut ist fett, und es bilden sich Fältchen. Er erschrak. Es hatte zu lange gedauert. Sie warf den Kopf. Sie hatte die Augen geöffnet. Sie hatte etwas gesprochen. Es hatte wie aus dem Schlaf geklungen.
Er wartete. Er hatte den Kopf über sie geneigt. Nun schlief sie wieder. Sie atmete ruhig und tief. — —
Am Morgen schlich Polzer aus dem Zimmer. Er schloß leise die Tür hinter sich.
Er trat beim Pfleger ein. Der Pfleger wusch sich. Auch Karl war wach. Polzer trat auf das Bett zu.
»Sie trägt es im Haar,« sagte er. Seine Stimme war heiser. Er leß sich auf einen Stuhl fallen.
Karl und Sonntag blickten ihn an. Er war bleich und seine Fuße zitterten.
»Das Geld,« sagte er, »das Geld.«
Er erhob sich.
»Ich will fort,« sagte er.
Er tastete, als sehe er nichts, bis er zur Tür fand.
Zwei Stunden später stand er vor dem Haus. Die Portiersfrau kehrte den Hausflur.
»Was ist das für ein Säckchen, Herr Polzer,« fragte sie.
»Ich habe es auf der Treppe gefunden,« erwiderte er. »Jemand hat es verloren.«
»Das ist Frau Porges‘ Kopftuch,« sagte sie.
»Dann hat sie etwas dareingeschlagen und es auf dem Weg verloren. Einen Kohlkopf vielleicht.«
»Es ist voll Blut,« sagte sie.
»Also ein Kalbskopf vielleicht,« sagte Franz Polzer, »oder sonst dergleichen.«
Er ging die Treppe hinauf und trat bei Karl ein.
»Nun,« sagte Karl. »Was ist denn! Du hast wohl schlecht geträumt heute, Polzer?«
»Sie trägt das Geld im Haar. Dort trägt sie das Geld. Wo ist Herr Sonntag?«
»Er ist fortgegangen. Er geht morgens immer in die Kirche. Nun muß er bald zurück sein.«
Karl neigte sich vor. Er sah Polzer auf den Schoß, wo das Bündel lag. Sein Blick flackerte.
»Du bist ein Kalb, Polzer,« sagte er, »du bist ein Kalb! Ich kann dich nicht retten, Polzer. Du weißt, wie man einen Menschen tötet, er hat es dir deutlich gesagt. Man drückt ihm die Nase zu. Am Ende wirst du daran glauben. Ich weiß mehr, Polzer, aber ich bin der Nächste, sieh mich an, Polzer, sieh mich an!«
»Was ist denn?« fragte Polzer.
»Schweig,« sagte Karl. »Rette sich wer kann! Es geht uns allen an den Kragen.«
Er schloß die Augen.
Als Sonntag kam, saß Polzer noch immer neben Karl.
»Was haben Sie in der Hand?« fragte der Pfleger.
»Ach ja,« sagte Polzer. Er hielt es noch immer auf den Knien. »Sie hat etwas darein eingeschlagen und es verloren. Ich fand es auf der Treppe.«
»Darf man sehen, was es ist?« fragte der Pfleger.
Er zog an der Masche, zu der die Zipfel des Tuches geschlungen waren. Er hob das Tuch und Klara Porges‘ Kopf rollte von Polzers Schoß auf den Boden.
Der Haarknoten war gelöst. Aber der Scheitel war nicht zerstört. Polzer bemerkte es genau. Denn der Kopf stand unbeweglich auf der Halsfläche vor ihm auf dem Boden.
17. Kapitel
Karl hatte aufgeschrien. Es gellte Polzer wie aus weiter Ferne in den Ohren. Aber er konnte den Blick nicht vom Kopf wenden. Der Pfleger schob nun Karl in Frau Porges‘ Zimmer.
Der Rumpf lag halbbekleidet ohne Kopf quer über dem Bett. Als Sonntag mit Karl zurückkehrte, hörte Polzer sie sprechen:
»Wie entsetzlich,« sagte Karl, »wie entsetzlich häßlich!«
»Die Schönheit, Herr Fanta,« entgegnete ihm der Pfleger, »ist an Toten nicht mehr zu erkennen.«
Polzer wollte aufstehen, aber er vermochte es nicht. Wie lange sollte das dauern? Er sah den Kopf an. Die Lider waren halb herabgefallen. Es war, als blinzelten die Augen aus einem schmalen weißen Spalt. Man sollte den Kopf forträumen, ganz fort, damit alles vorüber sei.
Karl richtete sich auf. Er atmete laut. Er blickte den Pfleger an. Der Pfleger stand mit geneigtem Haupt in der Mitte des Zimmers.
»Hilfe,« schrie Karl, »Hilfe! Es muß etwas geschehen. Das kann doch nicht so bleiben! Den Kopf...«
»Man soll alles unverändert lassen, bis die Polizei kommt,« sagte der Pfleger Sonntag. »Es ist so die Regel. Bald wird Ihre Frau kommen, Herr Fanta, dann werde ich gehen, das Notwendige zu veranlassen.«
Der Pfleger war in Frau Porges‘ Zimmer gegangen. Polzer fühlte Karls Blick auf sich. Ja, ja, es war etwas geschehen. Wenn man sich bloß entsinnen könnte, aber es war wohl schon zu lange her. Nun war alles vergessen. Der Pfleger kam wieder. Man hörte seinen Schritt nicht. Er hatte einen lautlosen Schritt. Nur die Dielen knarrten nachts bei diesem Schritt. Er hielt das Messer in der Hand. Auf dem Messer war Blut. Warum reinigten sie es nicht ? Karl seufzte auf und ließ den Kopf sinken. »Das ist das Messer,« sagte der Pfleger. »Damit haben Sie es getan, Herr Polzer.«
»Geben Sie es fort,« sagte Karl, »was wollen Sie nun mit dem Messer?«
»Wo ist das Geld?« fragte der Pfleger.
Immer das Geld. Nun war es klar, man hatte ihr den Kopf vom Hals geschlagen. Wer? Was sagte der Pfleger? Oh Gott, am Ende war es wahr, und er, Polzer, hatte es getan. Das Haar, in dem das Geld war, war gelöst, aber der Scheitel war nicht zerstört.
Der Pfleger hob das Messer und breitete die Arme aus. »Christus,« sagte er, »Christus! Wir tun die Sünde um ihn. Um unsere Erniedrigung ist das Böse da, daß wir immer wieder die Sünde erleiden. Diese Sünde ist Ihre Sünde, und in dieser Welt ist keine Erlösung!«
Er drückte Polzer das Messer in die Hand.
»Sühnen Sie weiter die Tat!«
Polzer hatte sich erhoben. Warum verdeckten sie den Kopf nicht, daß er nicht mehr blinzle? Polzer sah Karl an. Karls Mund war offen. Sein Gesicht war erstarrt. Man sollte beten, dachte Polzer. Was wollte der Pfleger von ihm? Oh Gott, etwas lag dunkel in seinem Kopf wie ein Stein, etwas Entsetzliches war geschehen. Man mußte sich erinnern. Als er vorhin Karl gegenübersaß, ehe der Pfleger gekommen war, hatte Karl etwas gesagt. Er hörte den Klang von Karls Stimme, aber er erinnerte sich nicht. Bloß daß sie gelbe Ohren hatte, gelb wie Wachs, Ohren wie eine Leiche, erinnerte er sich. Er hatte es gesehen. Aber nun war alles vorüber. Vielleicht würde er nun wieder in die Bank gehen, jeden Morgen. Nun war sie fort. Etwas war mit einem Kind gewesen, mit einem weiblichen Kind. Nun hatte man sie erschlagen. Mit der Linken die Nase zugehalten, dann spannte sich die Haut über die Kehle. Es mußte schnell geschehen, denn leicht bildeten sich Fältchen. Oh Gott, vielleicht konnte es so gewesen sein.
Polzer stand vor Karl. Er hielt das Messer in der Hand. Hinter ihm war der Pfleger zu Boden gesunken. Die Perlen des Rosenkranzes glitten durch seine Finger. Er betete murmelnd. Es gibt keine Rettung als zu beten, dachte Polzer, stundenlang inbrünstig zu beten.
»Was willst du?« fragte Karl heiser. »Gib das Messer fort! Willst du mich töten? Ich werde schreien! Was habe ich dir getan? Hilfe, Hilfe!«
»Du hast etwas gesagt,« sagte Polzer.
Des Pflegers Murmeln verstummte.
»Was habe ich gesagt? Habe ich gesagt, daß ich sie ermordet habe? Habe ich das gesagt? Glauben Sie ihm nicht, Herr Sonntag! Ich habe nichts gesagt. Er ist der Mörder, niemand sonst kann es gewesen sein. Und gebt den Kopf fort, ruft die Polizei, macht ein Ende! Werft den Kopf aus dem Fenster auf die Straße, daß die Leute kommen, Hilfe, Hilfe!«
Der Pfleger hatte sich erhoben.
»Du hast etwas gesagt,« sagte Polzer.
»Gesagt, gesagt! Bleiben Sie, Herr Sonntag, ich habe nichts gesagt. Daß ich keine Füße habe, habe ich gesagt. Daß man mich töten kann, habe ich gesagt, daß du ein Kalb bist, habe ich gesagt. Gib das Messer fort, du bist der Mörder!«
»Bekennen Sie es,« sagte der Pfleger. »Sie haben es um ihr Geld getan.«
Polzer ließ das Messer fallen. Er sank in die Knie.
»Hilf mir,« sagte er.
Karl schwieg.
»Wer hilft mir,« sagte er leise. »Wer hilft mir?«
Der Pfleger näherte sich Karls Stuhl. Karl sah ihm mit aufgerissenen Augen entgegen.
»Bleiben Sie,« schrie er, »bleiben Sie! Ich helf ihm nicht! Was würd ich ihm helfen? Bleiben Sie!«
Die Klingel ging.
»Mit Ihrer Erlaubnis,« sagte der Pfleger und verneigte sich. »Ich gehe, Frau Fanta zu öffnen. Ich werde sie in das Nebenzimmer führen. Denn dieses könnte für eine Dame leicht unerträglich sein.«
Karl neigte sich weit vor. Aus seinem Mund floß Speichel. »Flieh,« flüsterte er, »flieh! Ich kann nicht sprechen. Er tötet auch mich. Ich weiß, wer den Kopf auf die Treppe geworfen hat. Es ist alles ins Kleinste bedacht, flieh, flieh!«
Ja, ja, dachte Polzer; man muß fliehen. Man muß fort von hier. Sie haßten ihn alle. Auch Franz kam nicht. Man muß zurückkehren. Man muß wieder im Laden stehen und den Scheitel der Tante sehen. Man muß es bis zu Ende tragen, dachte er. Es ist für uns so da.
Der Pfleger trat wieder ein. Man hörte aus dem Nebenzimmer Doras Schluchzen.
Polzer erhob sich vom Boden. Er wandte sich um und schritt langsam zur Tür.
Karl blickte ihm nach.
»Ich gehe fort,« sagte Polzer.
Karl richtete sich auf. Er warf den festgeschnallten Körper, daß der Stuhl sich bewegte:
»Nein,« schrie er, »nein! Du darfst nicht fortgehen, Polzer, du darfst mich nicht allein lassen, Polzer! Es geht mir an den Kragen, bleib, bleib, laß mich nicht allein mit diesem ...«
»Mit Ihrer Erlaubnis?« unterbrach ihn der Pfleger Sonntag eindringlich und ruhig. »Vielleicht werde ich Sie mit Herrn Polzer allein lassen. Es will mir derart angenehmer erscheinen.«
Karl atmete laut. Seine Stirne war feucht. Der Pfleger legte die Schürze ab und schlug sie um das Messer. Er schritt lautlos zur Tür seines Zimmers.
»Ich werde mich von Frau Fanta verabschieden. Die Höflichkeit erfordert es so. Ich kenne wohl die Pflichten des Anstandes. Bedecken Sie den Kopf der Verstorbenen mit einem Tuch, Herr Polzer!«
Er verneigte sich und schloß lautlos die Tür hinter sich.
Karls Kopf war zur Seite gesunken. Er bewegte sich nicht. Es schien, als habe er das Bewußtsein verloren.
Ende