Kitabı oku: «Ein Spatz auf dem Eis», sayfa 4

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5. Kapitel

Aleksei

»Meinst du, Leute würden kommen, um mich singen zu hören?«, wispere ich gegen Jesses Haare, der mit dem Kopf auf meiner Brust liegt. »So viele, dass ich einen Saal füllen könnte?« Mit dem Zeigefinger fährt er die Höfe meiner Brustwarzen nach, während er sich mein Geschwafel anhört. Es ist bereits vier Uhr morgens, aber ich kann nicht einschlafen. Nachts sind meine Wünsche am lautesten.

»Das schaffst du bald«, flüstert er schleppend. Wahrscheinlich hat er die Augen schon längst geschlossen und meine blöden Fragen reißen ihn immer wieder aus dem Halbschlaf heraus.

Warum kommt er überhaupt her? Ist er so gerne bei mir, wenn er doch in seiner Wohnung sein könnte? Dort hat er ein großes Bett, niemanden, der ihn nervt und eine Aussicht über die Dächer von Hamburg. Vielleicht ist Jesse nicht reich, aber er hat sich ausreichend Geld erarbeitet. Ihm fehlt es an nichts.

Die Hilfe, die er mir anbietet, kann ich nicht annehmen. Was würde das aus mir machen? Früher oder später würde er mich leid werden und dann sitze ich auf der Straße. Solange wir unsere Freundschaft haben, genieße ich sie in vollen Zügen. Es ist letztendlich nur eine Frage der Zeit, bis ich weggeworfen werde. So war es bei meiner Familie schließlich auch.

Mein Vater sagte: »Es wird sich nichts durch die Hochzeit verändern.« Aber ich hätte ahnen müssen, dass eine neue Frau auch neue Probleme mit sich bringen würde. Im Endeffekt war alles anders.

Die gesamte Aufmerksamkeit lag auf meinen gerade erst geborenen Stiefschwestern. Marie und Alina. Die beiden waren winzige Püppchen in Rüschenhemden und pinken Bettdecken. Damals war ich jedoch zu dumm, um zu verstehen, was die Blicke meiner neuen Mutter bedeutet haben. Den Hass und die Abneigung, die sie bei meinem Anblick empfunden haben muss, konnte ich erst Jahre später nachvollziehen. Für sie war ich ein Eindringling. Ich war das Puzzlestück, das nicht in ihre ›straßenköterbraune‹ Welt gepasst hat. Also musste ich weg.

Die ersten deutschen Wörter, die ich gelernt habe, waren Höflichkeitsfloskeln und Schimpfwörter. Zuerst hielt ich ›Nichtsnutz‹ sogar für einen süßen Kosenamen für mich. Ich war so ein Dummkopf.

Es war ein gut überlegtes Gerüst aus Lügen, das meine Stiefmutter aufgebaut hat, um mich endlich loszuwerden. Sie hat sich selbst geschnitten, um meinem Vater erklären zu können, dass ich sie mit der Schere angegriffen hätte.

»Er ist eifersüchtig! Er wird uns niemals akzeptieren!«, hat sie geschrien.

Zuerst hat er mich verteidigt, aber mit der Zeit wurde ihr Einfluss auf ihn größer und der Widerstand, mich wegzugeben, verschwand.

»Du machst alles kaputt! Dein Verhalten ist untragbar«, hat er gebrüllt und mir Disziplin eingeprügelt. Irgendwann hat er mir nicht mehr geglaubt. Meine Stiefmutter hat andauernd geweint und ich war an allem schuld. Es wurde sogar so schlimm, dass meine Versöhnungsversuche nur ihren Hass gesteigert haben. Die Blumen, die ich pflückte, könnten bei den Babys Allergien auslösen oder gefährliche Bienen anlocken. Die gemalten Bilder wurden weggeworfen und schließlich hat sie mich beschuldigt, ihr Reißzwecke in die Schuhe gelegt zu haben.

Sie hat andauernd gelogen. Vor meinem Vater war sie so liebevoll zu mir, aber wenn er auf Arbeit war, begannen die schlimmsten Stunden des Tages. Ich war so unsagbar einsam. Ich mag mich gar nicht daran erinnern, wie oft ich im Garten saß und mit den Marienkäfern und Raupen geredet habe, als wären sie meine einzigen Freunde.

Meine Stiefmutter drohte letztendlich mit der Trennung, wenn ich mich nicht endlich benehmen würde. Die Tage wurden länger, die Schläge härter und die Nächte kälter. Ich weiß bis heute nicht, was ich ihr getan habe. Ich war sogar glücklich, eine neue Mutter zu haben. Ich wollte wieder in den Arm genommen werden, zusammen singen und abends Geschichten vorgelesen bekommen. Aber es war anders. Alles war so anders.

Für meine Stiefmutter war ich überflüssig, eine Made, die missfiel und vernichtet werden musste. Mit ihrem Eintreten in mein Leben, hat sie mir gezeigt, dass ich nur Ballast bin.

Anfangs haben sie sogar gesagt, ich würde nur für ein paar Monate im Kinderheim bleiben. Auch gelogen.

Sobald ich nicht mehr vonnöten, nicht mehr hilfreich bin, werde ich weggegeben. Vielleicht ist es bei Jesse auch so? Wenn der Sex öde und unsere Gespräche langweilig werden, was geschieht dann? Er sagt zwar, es würde niemals passieren, aber was, wenn doch?

Ich will nicht allein sein.

Um ehrlich zu sein, habe ich Angst davor, mich zu verlieben. Das sind Gefühle, die ich nicht haben kann. Sie machen einen dumm und am Ende … Jeder weiß doch, wie es ausgeht. Es gibt nur Kummer und Schmerz.

Die Arme lege ich enger um Jesse und drücke ihn an mich. Ich will ihn nicht verlieren. Er ist alles, was ich auf dieser Welt habe. Er ist meine Familie und mein bester Freund. Ich hoffe, es wird immer so bleiben.

Ich will nicht länger allein im Bett liegen und mir die Augen rot heulen, weil dort niemand ist, der sieht, wie es mir wirklich geht. Es sind zu viele Nächte, die ich so verbringe, während ich den Sternenhimmel anstarre, als könnte er mir die Leere nehmen.

Jesse ist jemand, der meine Träume nicht als lächerlich abstempelt. Selbst, wenn sie es sind. Ich werde eben nicht auf die Bühne gestellt, weil ich der größte Sänger bin. Mögliche Arbeitgeber sehen mein Gesicht und geben mir den Job, ohne einen Ton gehört zu haben. Es war bisher immer so. Manche versprechen sich Sex, wiederum andere wollen nur, dass ich halbnackt tanze.

Vor Jesse zeige ich es nicht, wie mich die Gedanken quälen, was einmal aus mir wird. Mein Aussehen ist vergänglich und was geschieht dann?

Bei der Ausbildung zum Erzieher bin ich rausgeflogen, weil ich mich nicht antatschen lassen wollte. Niemand aus dem Vorstand hat mich ernst genommen. Es waren Frauen mit seidenen Halstüchern und bunten Ohrsteckern, die mich belächelt haben, als ich ihnen von den Problemen berichtet habe.

Die Hand von meinem Ausbilder lag meistens nicht nur auf meinem Oberschenkel, sondern auch an meinem Intimbereich. Es war nach einer Teambesprechung, dass ich es nicht mehr ertragen habe. Er hat die Tür geschlossen und mich an sich herangezogen. »Ich kann nicht anders. Du musst doch wissen, wie du auf Männer wirkst«, hat er mir ins Ohr geflüstert und seinen Schritt an mir gerieben.

Zur Polizei konnte ich nicht gehen. Ich stand zwar schon vor dem Revier, aber vor diesem unterhielten sich gerade zwei Polizisten. Einer von ihnen hat mich angelächelt und sogar gefragt, ob ich Hilfe benötige. Aber meine Beine haben geschlottert und ich bin weggelaufen. Was, wenn sie mich ebenso auslachen? Meine Kumpels in der Berufsschule haben die Augen verdreht und gesagt, dass man einen Mann nicht belästigen könnte. Für sie war ich jemand, der Aufmerksamkeit braucht und alles dafür macht, um diese zu bekommen. Ich konnte ihnen nicht trauen. Also habe ich alles hingeworfen und bin bei Jesse untergekommen, wofür er Ärger gekriegt hat. Die Mieter in seinem Haus haben uns angeschwärzt und ich musste raus. Es war wohl unpassend, dort zu wohnen, ohne an der Adresse gemeldet zu sein.

Ich mache ihm immer nur Unannehmlichkeiten.

Danach habe ich mich zwar um weitere Ausbildungsplätze bemüht, doch sobald ich ein Bewerbungsgespräch hatte, bin ich in Schweiß und Tränen ausgebrochen. Allein der Gedanke, mit Fremden in einem geschlossenen Raum zu sein, war unerträglich.

Jesses Handy brummt und erhellt mein Zimmer. Es sind Namen von Bettgeschichten, die ich allesamt nicht kenne. Sie haben ihm über die letzten Stunden einige Nachrichten geschrieben. Manchmal schicken sie ihm Nacktbilder, die er mir dann stolz präsentiert. Das Vibrieren nervt, also stelle ich es auf stumm.

Die Liebhaber reißen sich um ihn und trotzdem könnten sie ihm auch mal eine Verschnaufpause gönnen.

Mist, jetzt liege ich wieder wach und denke über mein ganzes Leben nach. Wie ich das hasse. Normalerweise treffen die Erinnerungen mich nicht so und ich kämpfe eben um meine Ziele, aber ab und zu … Ich weiß auch nicht. Vielleicht macht die Nacht mich sentimental? Wenn ich mir vorstelle, dass Jesse irgendwann weg ist, mit einem süßen Kerl, mit dem er sich ein Haus kauft. Was wird dann aus mir? Ich bin hin und her gerissen, ob er sein Versprechen hält und bei mir bleibt, oder ob er eines Tages doch verschwindet.

Als ich meinen ersten Freund hatte, gab es viele Gerüchte über ihn. Zuerst konnte ich es gar nicht glauben. Zu mir war er immer zuckersüß und hat mir sogar Schokoladenriegel in der Pause gegeben. Schlussendlich wollte er nur Sex von mir und ich eben nicht. Also wurde ich weggeschmissen.

Es ist, als würde ich es ausstrahlen, dass ich nur so lange brauchbar bin, bis ich auf den letzten Tropfen Blut ausgesaugt wurde.

›People pleaser‹ war der Begriff, den ich gelesen habe, als ich auf unzähligen Internetseiten suchte, was eigentlich mein Problem sein soll.

Menschen wie ich brauchen das Gefühl, gebraucht zu werden, sogar so sehr, dass sie sich hintenanstellen und ›ja‹ sagen, wenn sie ›nein‹ denken. Aber ich will auch nützlich sein. Ich will Jesse bei mir behalten. Ist das denn verwerflich? Was ist falsch daran? Dummes Internet. Das hat doch keine Ahnung von meinem Leben!

Genervt schnappe ich mir Jesses Handy, das erneut blinkt. Wer zur Hölle ist Smoochie Poo? Wie kann er denn so jemanden einspeichern?

0210 und das Smartphone ist entsperrt. Es ist das Datum unseres ersten Star-Wars-Kinobesuchs. Als ob ich mir den Code nicht merken könnte. Denkt er wirklich, er wäre nicht zu knacken?

Smoochie Poo hat einen geilen Body und einen kleinen Leberfleck an seinem Bauchnabel. Warum schickt der um die Uhrzeit ein Nacktfoto? Ist der etwa so verzweifelt?

In den ganzen anderen Chats gibt es eine Unmenge an Nacktbildern von attraktiven Kerlen. Verdammt, mit solchen Granaten hängt er rum?

Neben Cupcake und Sweetkins gibt es auch Honey Pie. Was sind das nur für Kosenamen? Ist Jesse so ein Player, dass die Typen alle keine ordentlichen Namen haben? Wobei … Warum rege ich mich auf? Ich kann mir ebenfalls kaum einen Typ merken, den ich im Bett hatte.

Mein Herz hüpft vor Freude, als ich unsere Nachrichten entdecke. Er hat mich als Alek eingespeichert. Na geht doch.

»Was machst du?« Jesse grummelt schlaftrunken und küsst meine Schulter. »Kannst du nicht pennen?«

»Geht so.« Sein Handy lege ich schnell weg, ehe er mein Rumschnüffeln bemerkt. Die feine Art ist das ja nicht.

»Komm her. Na komm, Alek.« Die Arme hält er auf, damit ich mich an ihn kuscheln kann. Eine Hand drückt er unter meiner Taille durch, während er mich mit der anderen zu sich zieht. »Sch. Schlaf jetzt etwas.«

Seine Stimme ist angenehm tief. Ich mag seinen Leder-Zitrus-Geruch und wie ruhig sein Herzschlag sich anhört. Regelmäßig pulsiert es und scheint mein Herz anzustecken.

Langsam fahren seine Finger die Linien an meinem Hals nach. »Lover«, wispert er.

Vor ein paar Jahren habe ich mein Erspartes zusammengekratzt, um mir ein Tattoo zu leisten. Vielleicht haben manch andere Tattoos die größte Bedeutung und die umwerfendste Geschichte, aber ich wollte es schlicht. Alles, was ich immer wollte, war …

Manchmal ertrage ich es nicht, bei Jesse zu sein. So bei ihm zu liegen, zeigt mir nur, wie ein Leben wäre, das ich mit einem Liebhaber führen könnte.

Liebhaber? Von wegen. Wer kann mich schon lieben?

Wenn ich auf der Bühne stehe und den Gästen mein Theater vorführe, sehe ich oft Verliebte im Publikum. Sie sind nicht wie alle anderen, die sich darum reißen, meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die Paare haben nur Augen für sich. Es ist etwas, von dem ich mich nicht abwenden kann. Ich bin gefesselt von diesen Blicken, die sie sich zuwerfen.

Ich kann nur erahnen, was sie fühlen und beneide sie darum. Ist das nicht skurril? Vor mir drängeln sich meistens dreißig Kerle und ich schmachte dem Pärchen hinterher. Ich wünschte, ich wäre mutig genug, jemanden in mein Herz zu lassen.

Aber was mache ich mir vor? Mein Charakter ist schlecht, ich rede vulgär und meinen Humor habe ich von Jesse geklaut.

6. Kapitel

Serik

»Wo gehst du hin?«, fragt Alie. »Willst du nicht im Bett bleiben?« Bei den vielen Partys, die wir im VIP-Bereich verbracht haben, hat er schon lange um meine Gunst gebuhlt. Ich nahm an, es wäre eine gute Idee, ihn einzuladen. Etwas Ablenkung war nach diesem Abend dringend nötig.

Seine Augen sind große, dunkle Knöpfe, die mich mustern. Er räuspert sich und wirft mir von unten flüchtige Blicke zu, während er den Arm um seine Körpermitte legt.

Vielleicht gefällt es ihm nicht, dass ich nach unserer gemeinsamen Nacht durch mein Apartment laufe. Aber was soll ich tun, wenn ich nicht schlafen kann?

Der Mann, den ich abgeschleppt habe, ist genau derselbe Typ wie Aleksei. Goldenes Haar und eine ebenmäßige, makellose Haut. Ich habe selten einen Mann wie Aleksei gesehen. Er hat einen strengen, aber gleichzeitig auch unsagbar sinnlichen Mund. Sein reizvolles Grinsen verfolgt mich, ebenso wie ich noch die Wärme spüre, als er mich im Club berührt hat. Die Gänsehaut, die ich hatte, hat bis in meine Lenden geprickelt. Seine Augen sind schwarze Sandstürme, die meine Aufmerksamkeit an sich reißen, während ich ihm auf die leicht geöffneten Lippen starre. Sein markantes Gesicht ist umrahmt von langem goldenen Haar und ich kann nicht aufhören, an ihn zu denken.

Alie geht ins Schlafzimmer zurück und hustet absichtlich laut.

Sie sehen sich ähnlich. Allerdings ist jemand, der nur aussieht wie Aleksei, nicht dasselbe.

Warum habe ich das getan? Ich habe kein Interesse an leichten Männern. Das ist ein Fakt. Aber ich mag hübsche Dinge, mochte sie immer.

Vielleicht wurde ich auch so erzogen. Meine Eltern sind reich und mir hat es nie an etwas gefehlt. Ich habe ein gewaltiges Luxusapartment über den Dächern Hamburgs und so viel Geld, dass ich nicht einmal mehr weiß, wofür ich es ausgeben soll.

»Serik?« Alie kommt mit der Decke um seine Brust auf mich zu. Ansonsten hat er nur die knappe Pants an, die seinen Hintern so gut betont. »Kommst du wieder ins Bett?«

Seine Blicke huschen an mir vorbei zu meinen Bücherregalen, in denen ich alle Klassiker der modernen Literatur habe. Meine Privatlehrer haben auf diese Art der Bildung sehr viel Wert gelegt. Aber auch Größen wie Stephen King, Dan Brown und John Grisham verschlinge ich regelrecht. Mit offenem Mund starrt Alie auf die Vitrine, in der meine Auszeichnungen und Medaillen verstaut sind.

»Sind das alles deine?«

Ja, aber darüber müssen wir nicht reden. Von hinten streichele ich ihm über die schmalen Schultern. Sie sind ganz kalt.

»Wir sollten ins Schlafzimmer zurück.« Bevor ich ihn rauswerfe. Eigentlich liebe ich Jungfrauen ja, aber Alie war eine Enttäuschung. Ein Ersatz kann eben die Gier nach dem Original nicht befriedigen.

Vielleicht sollte ich wirklich die flüchtigen One-Night-Stands aufgeben und mir jemanden für eine Beziehung suchen. Meine Familie nervt ohnehin seit einiger Zeit damit, dass ich mir endlich einen Partner an die Seite holen soll, den ich mit auf Events nehmen kann.

Die neuste Gala mit meinem Lebensgefährten und mir – da würden nicht nur meine Eltern ausflippen. Die Zeitungen wären mit Sicherheit voll mit Klatsch und Tratsch. Bei der Erinnerung an meinen Namen in der Schlagzeile, grummelt mein Magen schmerzhaft. Bindungen sind heikel. Intime Dinge können an die Öffentlichkeit gelangen und vieles ruinieren.

Eine Beziehung wäre ein Wagnis. Dazu noch, wenn mein Partner keine Frau ist. Meine Eltern haben zwar aufgegeben, sich eine Schwiegertochter zu wünschen, trotzdem fällt es mir schwer, ihnen einen Mann zu präsentieren. Es würde alte Wunden aufreißen und ich bin mir unsicher, ob ich den Skandal noch einmal ertragen könnte.

Sie wollen nur, dass ich glücklich bin, aber das ist leichter gesagt als getan.

Wie dem auch sei, es ist ein verschwendeter Gedanke.

Die Kerzen puste ich aus und folge Alie ins Schlafzimmer, um ihm beim Anziehen zu helfen. Den Rest der Nacht möchte ich für mich allein haben. Während Alie sich leise fluchend in meinen Fahrstuhl begibt und fährt, laufe ich zum Fenster hinüber. Die Lichter der Nacht erhellen die Straßen und ich kann in ihnen nur die Scheinwerfer des ›MakeMeMoan‹ sehen.

War es ein Fehler, wieder nach Deutschland zu kommen und hier zu arbeiten? Mein Onkel hatte mich gebeten, ihm auszuhelfen, aber was ist der Preis dafür? Ich verbringe mein Leben im Schatten und er drängt mich ins Licht, in dem sich auch andere Gestalten tummeln. Die Männer dort sind wie Schmetterlinge, die von Blume zu Blume flattern. Außerdem ist mir jemand aufgefallen, der zur gefährlichsten Sorte gehört.

Ist es nicht seltsam, wie unverblümt Aleksei mit seiner Sexualität umgeht? Es ist gleichzeitig beeindruckend, wie auch abschreckend. Für so ein Verhalten wäre ich an den Pranger gestellt worden, aber Aleksei lebt sich aus, wie er möchte. Er ist aufdringlich und sexbesessen. Warum muss ich mich dennoch wundern, was es mit diesem Blick auf sich hatte? In dem Moment, als er mir nachgerannt ist, sah er aus, als hätten seine Eltern ihn auf einem Jahrmarkt vergessen. Er hat verzweifelt nach meiner Hand gegriffen, als wollte er sagen: »Bitte lass mich nicht allein.«

Wie kann er nur derart verloren aussehen? War es womöglich nur eine Einbildung? Vielleicht wollte ich es ja sehen. Ich weiß ja nicht einmal, wer Aleksei wirklich ist. Trotzdem lässt die Neugierde mich nicht schlafen. Warum hat er ausgerechnet mich so angesehen?

Seufzend streiche ich mir über den Nacken und wende mich ab. Warum zerbreche ich mir nur den Kopf? Das alles gehörte sicher zu seiner Masche dazu, mich aufzureißen. Er will mich mit Tricks um den Finger wickeln.

Mein Herz pocht im selben heftigen Rhythmus gegen meine Rippen, als wären es die Beats im Club. Dieser neue Job stellt mich vor Schwierigkeiten, die ich nicht erahnt hätte. Ich übe die Arbeit als Sicherheitschef gerne aus, nur war ich noch nie in einer Gay-Bar eingesetzt. Es strapaziert meine Nerven und ich kann den Männern gar nicht dabei zusehen, was sie offen ausleben, was ich nie durfte. Es ist, als hätte mein Onkel mich in die Hölle geschickt, um zu warten, wann ich meinen inneren Teufel nicht mehr verstecken kann. Und dann kommt die Presse und zerreißt mich in der Luft.

An Homosexualität ist nichts verwerflich, ich weiß das. Allerdings sehen viele das anders und ich möchte nicht mehr erleben, wie verstohlen mit dem Finger auf mich gezeigt wird.

7. Kapitel

Aleksei

»Für Troja!«, rufe ich und klopfe Jesse auf die Schulter. Durch die Massen aus Schnee hat er mich zur Akademie gefahren. Alles nur, damit ich die Anmeldefrist nicht verpasse.

»Du schaffst das!« Die Hand ballt er zu einer Faust und nickt mir zu. »Für Tortuga!«

»Für Troja!« Lachend kralle ich mich an dem Brief fest, den ich nicht nur einmal zerknittert und weggeschmissen habe.

»Mach keinen Rückzieher. Alek.« Beherzt kneift er mir in den Oberschenkel, um mich zum Aussteigen zu animieren. Wir stehen schon seit fünf Minuten mit gesetztem Blinker am Straßenrand und ich … Verdammt, ich bin so ein Schisser. Den Schal ziehe ich mir bis über die Nase und hole tief Luft, da hupt uns irgendein Arschloch an.

»Fahr doch weiter, du Penner!«, ruft Jesse.

»Verpiss dich! Ja, glotz doch, du Sack!«, stimme ich mit ein.

Mit vollem Enthusiasmus zeigen wir dem Kerl den Mittelfinger, der noch den Kopf schüttelt, als er an uns vorbeifährt.

Jesse schnaubt und sieht zu mir herüber. Seine Mundwinkel zucken und wir beide lachen. Es ist so typisch, dass wir keinen Geduldsfaden haben. Besonders nicht, wenn wir gemeinsam im Auto unterwegs sind.

»Tu es für Troja.« Sachte klopft er noch die Fussel von meiner Mütze, ehe er sie mir auf den Kopf setzt. »Beeil dich, sonst kommen wir zu spät zum All-You-Can-Sushi.«

O Gott. All-You-Can-Eat-Restaurants sind meine große Liebe. Zwar ist mein Lieblingsladen nicht billig, aber ab und zu gönnen wir uns den Luxus mal.

»Drück mir die Daumen.« Mein Herz hüpft mir gleich aus dem Mund raus, wenn es sich nicht endlich beruhigt.

»Ich drücke dir alles«, versichert er mir und beugt sich über mich. Mit einem Klack ist die Tür auf und er schubst mich vom Sitz herunter. »Und nun mach.«

Nur ungern verlasse ich die kuschelig warme Rostlaube und werfe mich ins Schneegestöber. Die vielen Stufen zur Akademie renne ich hoch. Die Frauen und Männer, die vor dem Eingang stehen und rauchen, ignoriere ich.

Ich habe kein Geld, um mich hier einzuschreiben, allerdings habe ich durch den Talentwettbewerb eine Chance. Jesse hat erfahren, dass man nicht nur das Preisgeld gewinnt, sondern auch ein Stipendium! Dafür muss ich mich notgedrungen erst einmal anmelden.

Die Akademie sieht aus wie ein Gebäude aus Griechenland mit riesigen Säulen und Torbögen. Sie wollten wohl, dass der erste Eindruck einen aus den Socken haut. Das haben sie geschafft. Außerdem werden darin auch Theaterstücke aufgeführt und Musicals! Die Hallen und Säle müssen gewaltig sein!

Mit meinen Klamotten komme ich mir schäbig vor. Eigentlich ist es ein Outfit, in dem ich mich sexy fühle, egal wie lausig der Tag ist, aber neben grazilen Frauen, die eine Ausstrahlung haben, als wären sie bereits Stars, bin ich ein Nichts.

Die ›Melodiya‹ ist eine Akademie, in der Sänger und Tänzer ausgebildet werden. Es ist eine Fabrik für Supertalente, die der Schönheit und Ästhetik ihr Leben gewidmet haben.

Mit schnellen Schritten laufe ich durch die gewaltigen Gänge. Irgendwo klimpert jemand auf einem Klavier herum und ich genieße die muntere Melodie. Allein die Luft hier drin riecht schon so vielversprechend, dass ich sie gierig einatme. Es sind feine Aromen von Klavierholz, altem Linoleum und vergilbten Notenblättern. Die Hände balle ich zu Fäusten und schlucke noch einmal schwer. Das habe ich mir immer gewünscht. Nicht unbedingt Tanzen, aber singen! Was, wenn ich mal in einem Musical mitspielen dürfte? Das wäre doch der Wahnsinn!

Hastig folge ich dem Pfeil, der die Richtung zum Sekretariat andeutet. Ich biege zwei Mal falsch ab, muss eine junge Frau um den Weg fragen und verliere mich beinahe in dem Labyrinth aus Gängen und Türen. Zum Glück habe ich es letztendlich gefunden, bevor mich der Mut verlassen hat.

In meinen Klamotten rinnt mir der Schweiß in Wasserfällen am Körper herunter.

War das wirklich die richtige Entscheidung? Was, wenn ich nicht gut genug bin? Verdammt, diese Zweifel helfen mir auch nicht weiter. Augen zu und rein da!

Die Türklinke reiße ich beinahe inklusive geschnörkelter Halterung heraus, ehe ich durch die Tür stürme und nach Atem schnappe.

»Guten Tag!«, sage ich zu engagiert. Ob es unverschämt ist, dass ich das Klopfen vergessen habe? Egal, da muss ich jetzt durch. »Ich möchte meine Anmeldung abgeben. Ah … Bitte.«

»Für die Winterkurse?«

Boah, keinen Schimmer. »Äh ja. Bitte.« Höflich sein wird mich sicher vorwärtsbringen.

Die Frau, die auf mich zukommt, sieht aus, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch nie gelacht. Ihr Mund ist zu einer geraden Linie zusammengepresst. Anscheinend will sie sich nicht mit einem freundlichen Lächeln die Mühe machen, um mir ein wenig der Nervosität zu nehmen. Ihre Haare hat sie zu einem Dutt nach hinten gebunden, was sie aussehen lässt wie Gollum, als er schon jahrelang vom Ring der Macht besessen war.

Verkniffen zeige ich ihr mein schönstes Lächeln. Das würde vielleicht besser ankommen, wenn ich nicht spüren würde, wie mir ein dicker Rotzfaden aus der Nase läuft. Wie kann ich ihn unbemerkt wegwischen? Schnell nehme ich einen tiefen Atemzug, um einen zusätzlichen Tropfen zu verhindern, der bereits auf dem Boden gelandet ist. Ich zupfe an den Fransen meines Schals herum, während ich meine Mundwinkel zwinge, oben zu bleiben.

Ihre Augen huschen über meine Handschuhhände, ehe sie mir den Brief abnimmt.

»Aleksei … Worobjow?«, fragt sie und betont den Namen komplett falsch.

»Das bedeutet ›Spatz‹«, kläre ich sie auf. Sie würdigt mich keines Blickes. Anscheinend ist ihr Gummibaum spannender, dem sie einen Staubkrümel vom Blatt wischt.

»Haben Sie alles richtig ausgefüllt?«

»Natürlich.«

»Sie können keine Unterlagen nachreichen.«

Ich bin den Mist dreimal durchgegangen und ich habe ihn extra noch Jesse gegeben, damit ich sicher nichts vergesse. Trotzdem habe ich gerade Muffensausen. Was, wenn ich etwas übersehen habe? Was, wenn mir Seiten rausgefallen sind?

»Alles vorhanden.« Verdammte Scheiße.

»Dann melden wir uns bei Ihnen.« Warum sagt sie das so, als würde sie sich gleich umdrehen und den Umschlag in den Mülleimer werfen?

»Äh … Also wann höre ich denn von Ihnen?« Ich zupfe mir an den Handschuhen herum, bevor ich noch weiter stammele und mich zum Idioten mache.

»Das kann vier bis sechs Monate dauern.«

Meine Hoffnungen platzen wie Seifenblasen vor meinen Augen. Das ist zu spät. Das Geld brauche ich doch für das Kinderheim und die haben nicht mehr vier Monate!

»Aber es … Im Internet stand, dass man sich noch für jetzt bewerben kann?«

»Das ist nur für herausragende Talente.«

»Ich bin ein besonderes Talent!«, platzt es aus mir heraus. Was sage ich da?

»Wir melden uns bei Ihnen, Herr …« Sie schielt auf meinen Brief herunter. »Worobjow.«

***

»Diese blöde Kacksau!«, brülle ich, als ich bei Jesse ins Auto springe. Den gesamten Weg bin ich nur gestampft. Wenn mir jemand dumm gekommen wäre, wäre ich sicher sofort ausgerastet.

»Was ist denn passiert?« Jesse kratzt sich an der Schläfe und zieht die Handbremse an. »Haben sie dich weggeschickt?«

»Ne.« Schön wär’s. »Die meinte, ich kriege in vier bis sechs Monaten Bescheid! Das ist viel zu spät, Jesse. Die blöde Kuh hat mich gesehen und erkannt, dass ich nur irgend so ein Kneipensänger bin, den man nicht ernst nehmen muss. Verdammte Scheiße.«

»Alek.« Beruhigend sagt er meinen Namen, aber ich bin außer mir. Mit voller Wucht ramme ich die Hände auf das Armaturenbrett, ehe ich meinen Kopf dort ablege.

»Ich werde immer ein jämmerlicher Loser bleiben. Das ist so eine Scheiße. Ich weiß auch nicht, ich habe mir direkt so Hoffnungen gemacht!«

»Hey. Du hast dich angemeldet und das ist toll. Die melden sich sicher bei dir.«

Jesse hat doch keine Ahnung. Bei meinem musischen Lebenslauf rasten die nicht aus. Was sehen sie denn da? Ich bin irgendein Kerl, der von der Realschule geflogen ist und die Ausbildung geschmissen hat. Danach gab es nur Gelegenheitsjobs und … Ach, ich weiß doch auch nicht. Warum habe ich mich da überhaupt hingetraut? Die lachen sich jetzt bestimmt kaputt.

»Die blöden Krücken mit ihren teuren Fummeln.«

»Scheiß auf die Kröten«, sagt Jesse und legt seine Hand in meinen Nacken. »Wenigstens hast du es versucht. Lass dich nicht unterkriegen.« Sein Lächeln ist aufmunternd, aber trotzdem fühle ich mich dadurch nicht besser. Seine Finger sind hingegen angenehm warm und schenken Trost.

»Wir fressen uns gleich bis oben hin zu, okay?«, sagt er und schaltet den Warnblinker aus. »Wir sollten uns verpissen, ehe sie die Polizei holen und uns abschleppen.«

Da hat er recht. Es ist aber auch unverständlich, warum es so wenige Parkplätze gibt. Die meisten sind fürs Personal und die anderen sind alle belegt.

»Ich futter mich so voll, dass ich mich danach nie wieder bewegen kann«, sage ich und schwärme innerlich schon von den Köstlichkeiten, die mich erwarten werden.

»Solange du nicht platzt.« Schmunzelnd zwinkert Jesse mir zu, ehe er in den Verkehr einschert. Sein Golf ist nicht wirklich High-Class, aber er hat eine funktionierende Heizung und er fährt. Mir reicht das. Ich brauche keinen Luxus.

»Weißt du noch, als Khurtin so hart gekackt hat, dass niemand mehr auf Klo wollte?«, frage ich Jesse, dem die Luft aus der Nase schießt.

»Explosionsartiger Durchfall«, bestätigt er mir und stimmt in mein Gackern mit ein.

»Der hat sein Sushi anscheinend nicht vertragen.«

»Eher die totale Lebensmittelvergiftung.«

»Ich fand’s lecker«, sage ich und drehe das Radio lauter, um mitzusingen. Die Autofahrten mit Jesse sind die besten. Wir grölen die Songs mit und geben uns nichts dabei. Bei ›Griechischer Wein‹ trommeln wir auf den Armaturen herum, während Jesse auf einem imaginären Glockenspiel herumklimpert. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen.

Zum Glück hat er mich zur Akademie gefahren. Alleine hätte ich niemals die Eier dazu gehabt. So einen tollen Kerl wie ihn habe ich gar nicht verdient.

Wann wohl der Moment kommt, in dem er mich zurücklässt? Vielleicht ja für Smoochie Poo, oder Cupcake? Die waren zum Anbeißen. Ich würde es ihm nicht einmal krummnehmen, wenn er wieder eine Beziehung hat. Seine letzte ist ungefähr fünf Jahre her. Von mir kann ich da nicht reden. Nach meinem ersten Freund wollte ich niemanden mehr so an mich ranlassen.

Damals fand es ich cool, dass jemand mit mir zusammen sein wollte, aber Ekki hat mir echt wehgetan. Wie wäre es dann, wenn ich richtig Schmetterlinge im Bauch gehabt hätte? Nein. Verlieben ist ein zu hohes Risiko.

»Sie werden sich bei dir melden«, sagt Jesse und zwinkert mir zu. »Wenn du erst mal singst, dann kippen die sicher um.«

»Meinst du?«

»Klar. Denen fliegen die Perücken runter!«

Prustend ramme ich ihm den Ellenbogen in die Seite. Ganz genau. Weil ja jeder reiche Macker mindestens ein Toupet hat, damit man die Glatze nicht sieht.

Die Hände halte ich vor die Heizung und lasse sie anpusten. Wenn wir jetzt nur zum Burgerladen fahren würden, um uns etwas mitzunehmen, wäre das auch in Ordnung. Wir könnten uns bei mir hinlegen und den restlichen Tag witzige Videos schauen. Da hätte ich Lust drauf.

»Hüpf schonmal raus«, befiehlt Jesse und hält am Straßenrand. »Ich suche einen Parkplatz und komme nach.«

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9783960894049
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