Kitabı oku: «Das Holly Summer Lesebuch», sayfa 6
Holly Summer
Master of my Heart
Master-Reihe Band 1
Das vertraute Ping und das Erlöschen der Anschnallzeichen über mir vertreiben den letzten Rest Anspannung, die mich seit unserem Start in Detroit begleitet hat. Der Anschlussflug war turbulent, jetzt bin ich auf dem Weg nach Boston, meinem endgültigen Ziel für das nächste halbe Jahr. Der kräftige Mann neben mir schläft und schnarcht gemächlich vor sich hin. Endlich. Er nervte mich unentwegt mit Geschichten über seine Verwandten aus Vancouver, meiner Heimatstadt. Erst nachdem ich provokativ einen Stadtplan von Boston aus meiner Tasche herausgenommen und die Unterlagen über meine Praktikantenstelle bei McQueen International Consulting studierte, hat er sich dem Sitznachbarn auf seiner rechten Seite zugewandt.
Dass er eine furchtbare Nervensäge ist, ist eine Sache, aber seine Ungeschicktheit stellt alles in den Schatten. Denn als die Stewardess ihm das Glas mit Rotwein rüberreichte, zitterte seine Hand so sehr, dass sich ein Teil des Getränks auf meiner Bluse wiederfand. Er murmelte schnell eine Entschuldigung. Im Gedanken sehe ich mich schon mit einer verschmutzten Bluse bei meinem Vorstellungsgespräch sitzen. Oh mein Gott! Jetzt rächt es sich, dass ich nicht doch einen früheren Flug genommen und eine Nacht in einem Hotel verbracht habe. Dann hätte ich entspannt den Tag beginnen und heute Morgen in die Firma fahren können. Na, was soll’s. Dann werde ich mich schnell noch in den Waschräumen des Flughafens umziehen, denn jetzt muss ich direkt vom Flughafen zu McQueen International Consulting fahren. Mit Jeans und Sneakers zu meinem ersten Arbeitstag zu erscheinen, ist sowieso nicht passend.
Meine Gedanken schweifen zurück nach Hause zu meiner Familie und meiner besten Freundin Jo. Eigentlich heißt sie Joanna. Aber so wird sie nur von ihrer pedantischen Großmutter genannt.
Jo war es, die mich erst auf die Idee brachte, mich für den Praktikumsplatz im Ausland zu bewerben. Mom wäre es natürlich lieber gewesen, wenn ich mein Praktikum bei ihrem Chef absolviert hätte.
Allein bei dem Gedanken hatte Jo sich vor Lachen den Bauch gehalten. Sie hatte mich so lange genervt, bis ich die Unterlagen für das Praktikum bei McQueen International Consulting eingereicht hatte. Und jetzt bin ich eine von den Bewerberinnen, die die wenigen und sehr begehrten Praktikumsplätze bekommen haben.
Jo konnte es nicht lassen, im Internet auf der Firmenseite sofort etwas über meinen neuen Arbeitgeber in Erfahrung zu bringen, und dann ploppte das Bild des Firmeninhabers auf. Auf dem offiziellen Firmenfoto sah er geradezu unverschämt gut aus. Ich schätze ihn auf Anfang dreißig, maskuliner Typ, markantes Gesicht, dunkle Haare, gebräunte Haut, auf der leicht der dunkle Ansatz von Bartschatten zu sehen war. Aber genau das ist es, was ihm diese smarte Ausstrahlung verleiht, ihn weltmännisch wirken lässt. Seine dunklen Augen scheinen sein Gegenüber zu durchbohren. Buchstäblich der Typ Mann, für den die meisten Frauen ihren Stolz vergessen und hechelnd hinter ihm herlaufen würden.
Von seiner charismatischen Ausstrahlung angestachelt, musste Jo natürlich gleich darauf seinen Namen googeln, um noch mehr über ihn in Erfahrung zu bringen, und dort bekam sie sämtliche Informationen, die spätestens jetzt auch mein Interesse an ihm geweckt haben. Dass Matthew McQueen attraktiv ist, steht außer Frage. Was seine privaten Beziehungen anbelangt, hat er einen Ruf, bei dem mir echt die Luft wegblieb. In einigen Presseartikeln wird er teils hämisch, teils bewundernd als »Alphamännchen« beschrieben. Was mich nicht wundert, wenn man den vielen Berichten und Bildern im Internet Glauben schenken darf, bei denen er immer mit gut aussehenden Frauen an seiner Seite zu sehen ist. Aber das scheint seinem Ruf als harten Geschäftsmann nicht zu schaden. Im Gegenteil, ganz offensichtlich genießt er das Spiel mit der Presse.
Jo ist regelrecht ausgeflippt, als ich ihr den Brief vor die Nase hielt, in dem stand: Herzlich willkommen … wir freuen uns, Sie in unserem Unternehmen begrüßen zu können.
»Vivien, du wurdest genommen! Süße, habe ich es dir nicht gleich gesagt? Ich freue mich so für dich!« Dabei umarmte sie mich und tanzte begeistert mit mir durch das Zimmer. »Und dann dieser attraktive Firmeninhaber, Matthew McQueen«, sprudelte sie schon weiter, und dabei grinste sie mich mit ihrem zweideutigen Lächeln an, was ihr einen strengen Seitenblick von mir einbrachte. Ich bin dort schließlich zum Arbeiten und nicht, um mich an den Firmeninhaber ranzumachen. Aber so ist Jo eben.
Ich spüre wieder dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch. Was wird mich erwarten? Es ist das erste Mal, dass ich für einen längeren Zeitraum einen Auslandsaufenthalt mache. Ich kann es vor lauter Aufregung auf die neue Stadt und den Job kaum erwarten, endlich da zu sein. Wenn ich das Pflicht-Praktikum und das Semester hinter mir habe, steht mir die Welt offen. Ich bin so dankbar, dass Mom und Dad letztes Jahr auf ihren Urlaub verzichtet haben, um mir das Praktikum zu finanzieren.
Es ist mein erster Flug an die Ostküste, und ja, ich fliege zum ersten Mal allein und bin etwas nervös.
Die Stewardess kommt erneut mit ihrem Getränkewagen vorbei und ich erwache aus meinen Tagträumen. Ich bewundere ihre Figur, als sie sich an mir vorbeidrängt. Ich finde mich selbst zu dünn und an den entscheidenden Stellen fehlen mir die sogenannten Kurven, um wirklich sexy zu wirken. Meine Brüste empfinde ich als viel zu klein und meine glatten blonden Haare habe ich meistens zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ich kann von mir nicht gerade behaupten, dass ich ein temperamentvoller Mensch bin. Das trifft auf Jo zu, und sie ist auch diejenige mit dem Sexappeal. Ich bin eher der ruhigere Typ von uns beiden. Aber ich weiß ganz genau, was ich will, außerdem sagt man mir nach, bodenständig und ausgeglichen zu sein. Das ist manchmal auch absolut nötig, denn Jo überspannt den Bogen ganz gern mal und dann bin ich es, die sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen muss.
Es ist sieben Uhr Ortszeit, als der Flieger zur Landung auf dem Logan International Airport in Boston ansetzt. Ich hatte den Abendflug von Vancouver über Detroit genommen, weil ich hier die wenigsten Wartezeiten hatte. Aber an viel Schlaf war da nicht zu denken. Ich bin fix und fertig.
Ich schleppe mich den Menschenmassen hinterher und da ich bereits in Detroit die Formalitäten für die Einreise hinter mich gebracht habe, begebe ich mich direkt zur Gepäckausgabe. Die Mitreisenden aus der Maschine drängeln sich um das Gepäckband. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird die Menschenmenge kleiner, aber mein Koffer ist immer noch nicht auf dem Rollband angekommen. Wo bleibt er nur? Wiederholt wandert mein Blick zwischen Armbanduhr und Gepäckband hin und her. Als das Band stoppt, habe ich ein Problem.
Verdammt, das gibt es doch nicht. Wieso muss mir denn das passieren? Ich sehe mich unschlüssig um. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, sage ich mir und gehe an den Schalter für verloren gegangenes Gepäck.
Die Frau hinter der Glasscheibe sieht mich genervt an. Scheinbar hat sie heute Nacht bereits genug verärgerte Passagiere bedient und hofft nur noch auf das Ende ihrer Schicht. Sie reicht mir ein Formular über den Tresen und bittet mich, meinen Namen, Anschrift, Telefonnummer und meine Flugnummer darauf zu notieren. Sie verspricht mir, dass man sich mit mir in Verbindung setzen wird, sobald mein Koffer gefunden worden sei. Dabei lächelt sie mich jetzt aufmunternd an.
Ich atme kurz durch, ziehe mein nagelneues iPhone aus der Tasche und suche die Adresse des Appartementhauses heraus, in dem ich mit den anderen Praktikanten die nächsten Monate wohnen werde. Nachdem ich alle Daten notiert habe, schiebe ich ihr das Formular zurück über den Tresen. Unschlüssig schaue ich an mir herunter. Na ja, die Jeans sieht gar nicht so übel aus, die Bluse ziert noch immer der Weinfleck, dessen Farbe mittlerweile unwiderruflich in auffälliges Rosa gewechselt hat, und meine Sneakers haben auch schon bessere Tage gesehen. Ich müsste mich dringend umziehen, bevor ich meinem neuen Chef unter die Augen trete.
Resigniert ziehe ich meinen Blazer über, der für die Temperatur in Boston viel zu warm ist, aber immerhin den Fleck größtenteils verdeckt und gehe zum Ausgang. Dabei fällt mir ein, dass meine Mom sicher schon auf meinen Anruf wartet.
Ich krame wieder mein iPhone aus der Tasche, das ich von meinen Eltern zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, und warte, bis ich ein Netz habe. Zu Hause ist es noch Nacht, aber ich weiß, dass meine Mom sowieso nicht schlafen könnte, bevor sie weiß, dass ich sicher gelandet bin.
Ich muss nicht lange warten, als ich die vertraute gelassene Stimme meiner Mutter höre.
»Hi Mom. Ich bin es, Vivien. Es ist alles okay. Ich bin gut gelandet, steige jetzt in ein Taxi und lasse mich direkt zu McQueen International Consulting fahren«
Dass mein Gepäck verloren gegangen ist, erzähle ich ihr lieber nicht. Wer weiß, was sie anstellen würde, um hierherzukommen. Ich kenne meine Mom nur zu gut. Nein, das schaffe ich schon allein.
»Dann bin ich ja beruhigt.« Ich höre förmlich, wie meiner Mom ein Stein vom Herzen fällt.
Sie wünscht mir noch viel Glück für meinen ersten Tag in Boston, dann verabschiedet sie sich.
Das ist wieder mal typisch für meine Mom. Auf der einen Seite will sie, dass ich selbstständig werde, um mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und auf der anderen Seite ist sie noch genauso um mich besorgt, als wäre ich noch auf der Primary School. Aber genau das ist es ja, was ich so an ihr liebe.
Vor dem Flughafengebäude stehen genügend Taxis und ich gönne mir für den ersten Arbeitstag den Luxus, mich zu dem Firmensitz meines neuen Arbeitgebers fahren zu lassen. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr bestätigt mir, dass die Zeit nun doch ziemlich knapp wird, um nicht zu spät zu erscheinen. Außerdem hatte mein Flug ein wenig Verspätung und ich will nicht gleich am ersten Tag mit Unpünktlichkeit unangenehm auffallen. Was mich wieder an den Rotweinfleck erinnert. Ich zupfe den Blazer zurecht, lasse mich auf den Rücksitz eines Taxis fallen und nenne dem Fahrer mein Ziel.
Die Sonne scheint und ich nehme die ersten Eindrücke von Boston im Frühling wahr. Was für eine schöne Stadt. Mein Dad Blake hat hier mehrere Jahre in der IT-Branche gearbeitet, bevor er und Mom geheiratet haben.
Nach dreißig Minuten erreichen wir unser Ziel im Financial District. Die Fahrt dauerte doch länger, als ich gedacht hatte. Der Verkehr ist hier fast so schlimm wie bei uns zu Hause. Ich steige aus, bezahle den Fahrer und schon stehe ich vor einem riesigen, imposanten Gebäude. In großen schwarzen Lettern prangt der Name McQueen International Consulting auf einem messingfarbenen Schild am Eingang des hohen Wolkenkratzers.
Also los, Vivien, spreche ich mir selbst Mut zu und zwinge mich zu einem Lächeln, um meine Nervosität zu überspielen. Dennoch betrete ich entschlossen das Foyer. Es ist beeindruckend. Dunkler Marmor überzieht den weitläufigen Eingangsbereich und eine Art Galerie erstreckt sich über die Hälfte des Foyers. Dahinter sind die Fahrstühle, aus denen, wie bei einem Ameisenhaufen, Menschen hinein- und herauseilen. Alles wirkt sehr gediegen und harmonisch. Noch immer ganz beeindruckt gehe ich Richtung Empfang, um mich anzumelden. Während ich mich im Laufen noch umdrehe, stoße ich mit einem kleinen Mann zusammen, der es ziemlich eilig zu haben scheint. Etwas Hartes bohrt sich in meinen Rücken und schon habe ich das Gleichgewicht verloren und lande unsanft auf dem harten Marmorboden. Der Karton, den der Fremde in der Hand hatte, fällt mit einem dumpfen Laut zu Boden und sämtliche Broschüren verteilen sich neben mir. Etwas benommen blicke ich auf. »Oh, tut mir leid, kann ich Ihnen helfen? Das ist mir so unangenehm«, höre ich die aufgeregte Stimme des Mannes, der für dieses Missgeschick verantwortlich ist, während er ungeschickt seine Papiere auf dem Boden einsammelt.
»Nein, nein, es geht schon.« Dabei versuche ich, so elegant wie möglich aufzustehen.
»Nehmen Sie meine Hand.«
Ich blicke auf und schaue jetzt in dunkle Augen, die mich fixieren.
»Ich entschuldige mich für unseren Kurierfahrer«, höre ich die tiefe Stimme des Mannes, der mir immer noch die Hand entgegenhält, und ich bin mir sicher, das attraktive Gesicht des Firmeninhabers, Matthew McQueens, zu erkennen. Schnell zieht er mich hoch. Er ist um einiges größer als ich, sodass er über meinen Kopf sehen kann, obwohl ich vor ihm stehe. Ich will mich bedanken, doch er beachtet mich nicht, stattdessen fixiert er den tollpatschigen Unfallverursacher.
»Können Sie nicht aufpassen?«, knurrt er den Fahrer an.
»Es tut mir wirklich leid, Mr. McQueen«, entschuldigt sich dieser noch einmal, bevor er schnell seine Unterlagen schnappt und eilig Richtung Ausgang verschwindet.
McQueen murmelt eine leise Verwünschung, als der Kaffee in seiner Hand überschwappt und einige Spritzer auf seiner Anzugjacke landen.
»Haben Sie sich verletzt?«, wendet er sich an mich.
Unsere Blicke treffen sich für einen kurzen Moment und mir rieselt ein leichter Schauer über die Haut. Seine Augen scheinen mich zu durchbohren.
»Nein, es ist nichts passiert«, erkläre ich schnell.
Seine Finger streifen flüchtig meinen Arm, während er mir meine Handtasche reicht, die er vom Boden aufgehoben hat. Ich nehme sie an mich und ziehe schnell die Hand weg, so, als hätte ich mich verbrannt.
»Passen Sie auf sich auf«, fordert er mich auf. Dabei schaut er mich noch einmal mit einem geheimnisvollen Lächeln an und wendet sich dann abrupt in Richtung Aufzüge.
Mist, heute ist wirklich nicht mein Tag, denke ich, drehe mich um und gehe entschlossen zum Empfang. Die Empfangsdame lächelt mich an. »Mein Name ist Vivien O’Brian. Ich habe einen Termin bei McQueen International Consulting. Ich bin eine der neuen Praktikantinnen.«
Sie räuspert sich kurz. »Ms. O’Brian. Einen kleinen Moment, ich werde Sie oben ankündigen.«
Routiniert greift die edel gekleidete Empfangsdame zum Hörer. Während sie telefoniert, betrachte ich die einzelnen Firmenschilder hinter dem Tresen, die sämtliche Unternehmen zeigen, die in diesem Gebäude ihre Büros haben. Zumeist Anwaltskanzleien, aber auch einige Arztpraxen und kleine Investmentfirmen.
»Sie werden bereits erwartet, Ms. O’Brian. Bitte nehmen Sie einen kleinen Moment dort Platz. Es wird Sie sofort jemand abholen«, dringt die freundliche Stimme der Empfangsdame an mein Ohr, dabei zeigt sie zu den bequemen Sitzgelegenheiten am Eingang.
Oh Gott, hoffentlich bin ich nicht zu spät. Ich schaue schnell auf meine Armbanduhr, die ich am Flughafen bereits auf die Ortszeit umgestellt habe. Nein, gerade noch pünktlich.
»Martha?« Matthew steht an der Tür seines Büros und schaut in sein Vorzimmer, die eine Hand am Türrahmen, mit der anderen wirbelt er Unterlagen in der Luft herum. Marthas Arbeitsplatz ist allerdings verwaist. Seine Assistentin ist sonst immer pünktlich, denn sie weiß, dass er auf Pünktlichkeit und Genauigkeit großen Wert legt.
Jane, seine Sekretärin, eilt ihm entgegen.
»Matthew, es tut mir leid, Martha hat gerade angerufen. Sie ist gestürzt und hat sich den rechten Fuß gebrochen. Ihr Arzt sagte, es sei ein ziemlich komplizierter Bruch. Sie wird mindestens vier bis sechs Wochen ausfallen«, erklärt sie mit einem resignierten Schulterzucken.
»Verflucht! Die arme Martha, ausgerechnet jetzt! Wir stehen kurz vor dem großen Deal mit den Asiaten. Da hat sie sich ja den besten Zeitpunkt ausgesucht.«
Geistesabwesend fährt Matthew sich durch seine Haare, die gleich darauf wieder in seine Stirn fallen. Kurz überlegt er, ob er Jane mitnehmen kann, verwirft den Gedanken aber sofort wieder. Er braucht sie hier im Büro. Also wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als eine Aushilfe einzustellen. Er braucht einen Ersatz. Dringend.
»Rufen Sie später die Agentur an. Die sollen uns jemanden schicken. Jetzt kümmern wir uns erst noch um die Praktikanten. Und erkundigen Sie sich bitte, ob Martha irgendetwas braucht.«
Jane nickt dienstbeflissen. »Natürlich, ich erledige das schnellstmöglich.«
Wortlos dreht er sich um und verschwindet wieder in seinem Büro.
Kurze Zeit später tritt eine stilvoll gekleidete, hübsche Frau aus dem Aufzug und kommt auf mich zu.
»Guten Morgen, Ms. O’Brian? Ich bin Jane, die Sekretärin von Mr. McQueen. Bitte kommen Sie, es tut mir leid, dass Sie warten mussten.«
»Das ist kein Problem«, versichere ich ihr freundlich, obwohl ich auf der bequemen, weichen Ledersitzgruppe fast eingeschlafen wäre.
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug?«
Ich nicke und Jane durchquert mit mir das Foyer. Ihre Absätze klackern auf dem glänzenden Marmor, bevor wir in den Aufzug steigen und ins oberste Stockwerk fahren.
Dies sei die Chefetage, erklärt sie mir. Auch hier sind die Böden aus dunklem Marmor. An den weißen Wänden hängen abstrakte Kunstwerke, die man bei näherem Hinsehen als Menschen identifizieren könnte. Wenn man Fantasie besitzt, könnte man sogar glauben, die Menschen auf den Bildern wären nackt. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln.
Jane führt mich weiter in einen großen Besprechungsraum, der einen umwerfenden Blick auf die Skyline von Boston bietet. Hier warten bereits zwei junge Frauen und ein Mann. Ich schätze sie alle auf Mitte zwanzig, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Sicher die anderen Praktikanten, die sich offensichtlich schon miteinander vertraut gemacht haben und in lockere Gespräche vertieft sind. Jane deutet auf einen Platz und stellt mich der kleinen Runde vor.
»Das ist Vivien O’Brian aus Vancouver«, erklärt sie.
Die junge Frau mit der dunklen Lockenmähne unterbricht ihre Unterhaltung, dreht den Kopf zu mir und lächelt mich freundlich an. »Hi, ich bin Carol Carson aus Texas«, stellt sie sich selbst vor und reicht mir die Hand zur Begrüßung.
Ihr offenes Lächeln lässt sie mir sofort sympathisch rüberkommen. »Vivien, freut mich«, begrüße ich sie und nehme auf dem freien Stuhl neben ihr Platz, bevor sie mir die beiden anderen Praktikanten vorstellt.
»Die schweigsame kleine Lady hier ist Beth Carmichel aus Ohio«, dabei deutet sie auf die Frau neben sich, »und das ist George West, unser Mister Loverboy, aus New York City.«
Beth nickt mir mit einem verhaltenden Hallo zu, dabei kichert sie leise über die freche Vorstellung durch Carol. George hingegen ist weniger zurückhaltend. Er beugt sich grinsend den Kopf schüttelnd über den Tisch und reicht mir seine Hand. George sieht wirklich verdammt gut aus. »Freut mich, Vivien. Willkommen im Club der Praktikanten.« Dann wendet er sich an Carol. »Damit ist ja dann wohl klar, wer hier in der Minderheit ist. Aber das geht schon in Ordnung. Ich bin zu Hause mit drei Schwestern aufgewachsen. Man könnte sagen, ich bin so etwas wie ein Frauenversteher. Also, Mädels, wenn ihr mal ein Problem habt, kommt zu Onkel George«, gibt er uns augenzwinkernd zu verstehen. Selbst Jane muss über so viele lockere Sprüche schmunzeln und bittet uns um einen kleinen Moment Geduld, bevor der Boss uns persönlich begrüßen und kurz ins Unternehmensprofil einführen wird. Na toll, Mr. McQueen gibt sich selbst die Ehre. Was wird er nur von mir denken? Ich stolpere ihm tollpatschig vor die Füße, trage schmutzige und legere Kleidung, die nun wirklich nicht in ein derartiges Unternehmen passt, und bin die Jüngste seiner Praktikantinnen. Ich gestehe es mir ungern ein, aber mein Selbstbewusstsein ist im Moment ziemlich im Keller. Da ich jetzt sowieso nichts mehr daran ändern kann, lasse ich meinen Blick neugierig durch den großen Raum gleiten bis zu dem langen Tisch vor uns. Hier liegen verschiedene Informationsbroschüren über das Unternehmen sowie eine Zeitschrift.
Carols Blick schweift währenddessen interessiert auf das Bild des Mannes, der auf dem Cover des Magazins abgebildet ist. Darunter steht in fetter schwarzer Schrift: »Geschäftsmann des Jahres«.
Sie lächelt mich an. »Das ist er ja wohl?«
»McQueen?«
»Er ist attraktiv«, bemerkt sie anerkennend.
Auch ich schiele jetzt vorsichtig an ihr vorbei und schaue ihn mir etwas genauer an. »Ja, ganz nett«, bemerke ich nur, während mir wieder diese kleine Szene im Foyer in den Sinn kommt. Und seine Augen! Diese dunklen Augen, die mich angestarrt haben. Er ist es tatsächlich.
»Ganz nett?!« Dabei zwinkert Carol mir zu. George räuspert sich und mir wird bewusst, dass er uns amüsiert beobachtet, während er versucht, sein belustigtes Lächeln zu unterdrücken. Ich schenke ihm keine größere Beachtung mehr, denn ich hatte heute bereits genug Lacher auf meiner Seite.
»Bist du auch heute erst angekommen?«, fragt Carol mich, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.
»Ja, ich komme direkt vom Flughafen.«
Sie nickt mir zu und deutet auf den rötlichen Fleck, der mittlerweile eingetrocknet ist und leider kein bisschen an Farbkraft verloren hat. Ich zucke mit den Schultern. »Mein Sitznachbar im Flugzeug hat seinen Rotwein versehentlich auf mich geschüttet«, erkläre ich.
»Warum hast du dich nicht noch umgezogen?«, fragt sie mich ganz direkt und mit leichtem Tadel in der Stimme.
»Hätte ich gerne, aber ohne Gepäck ist das etwas schwierig.«
Jetzt reagiert auch George und schaltet sich wieder in unser Gespräch ein. »Dein Gepäck ist verloren gegangen?«
»Du hast es erfasst.« Ich fühle Ärger in mir aufsteigen. Wie wirke ich denn jetzt im Gegensatz zu meinen Praktikanten-Kollegen, die aussehen, wie aus dem Ei gepellt?
»Das tut mir leid. Muss ein Scheißgefühl sein, so ohne Koffer in einer fremden Stadt.«
Ich winke ab. »Schon gut, ich werde mir einfach später die nötigsten Dinge für die nächsten Tage besorgen.«
»Vielleicht kann ich dir ja mit einigen Sachen aushelfen«, bietet mir Carol nun freundlich an.
»Danke, das ist nett.«
»Kein Problem. Meiner Tante ist so was auch schon mal passiert. Pünktlich am Tag nach ihrer Heimkehr kam ihr Gepäck zu Hause an.« Dabei schüttelt sie ihren Kopf, sodass ihr eine Strähne ins Gesicht fällt.
»Na, du machst ihr ja Mut«, wendet sich Beth, die ruhig in ihrer Ecke saß, an Carol.
Carol winkt ab. »Das ist schon eine Zeit lang her«, beruhigt sie mich. Selbstbewusst zieht Carol jetzt ihren rosa Lippenstift aus der Tasche und fährt damit ihre Lippen nach. Als hätte sie das nötig, sie sieht doch wirklich attraktiv aus. Ihre langen dunklen Haare fallen kaskadenförmig über ihren Rücken und sie hat eine sexy Figur. Ich dagegen sitze hier mit einem riesigen Rotweinfleck auf meiner weißen Bluse, Jeans, Sneakern und komme mir ziemlich linkisch vor.
Beth lächelt mich bemitleidend an.
Die Schritte und Stimmen auf dem Flur werden lauter und lassen uns in der Unterhaltung innehalten. Beth rutscht etwas unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Und jetzt tritt Matthew McQueen ein, gefolgt von Jane, die ziemlich gestresst wirkt.
»Guten Morgen! Willkommen bei McQueen International Consulting.«
Verhalten beobachte ich ihn kurz, wie er souverän den Raum durchquert und auf uns zukommt. Er sieht wirklich umwerfend gut aus. Das ist das Erste, was mir in den Sinn kommt. Mindestens einsneunzig groß, schlank und von muskulösem Körperbau. McQueen trägt einen dunkelgrauen maßgeschneiderten Anzug mit einem weißen Hemd und einer passenden dunkelgrauen Krawatte. Die Kaffeeflecken scheinen spurlos verschwunden zu sein. Seine Gesichtszüge wirken hart und er unterzieht uns nacheinander einer ausgiebigen Musterung. An mir scheint sein Interesse einen Tick länger hängen zu bleiben.
Oh mein Gott, wie sehe ich nur aus, was wird er von mir denken? Und dass er sich an mich erinnert, liegt klar auf der Hand. Meine selbstbewusste Haltung, die ich gerade eben noch an den Tag gelegt habe, verschwindet vor mir unter dem Tisch. Ich ziehe unauffällig meinen Blazer über den Rotweinfleck und verstecke meine Schuhe unter dem Stuhl, auf dem ich sitze, um ein bisschen Schadensbegrenzung zu betreiben. Er reicht jedem von uns zur Begrüßung die Hand. Sein Blick ruht erneut einen Moment länger auf mir als auf den anderen und er zieht leicht die Mundwinkel nach oben. Ich kann nur verhalten zurücklächeln. Was würde ich jetzt für seine Gedanken geben!
Verdammt, verdammt, verdammt!
Seine Worte reißen mich aus meinen Gedanken.
»Mein Name ist Matthew McQueen, wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte.«
Und ob uns das bekannt ist. Dank Jos Recherchen weiß ich viel zu viel über ihn. Ich bin wirklich verblüfft über seine charismatische und selbstbewusste Ausstrahlung. Dieser Mann weiß sicher ganz genau, was er will und wie er es kriegen kann. Er wird nie etwas dem Zufall überlassen, das steht fest. Sein Leben ist ohne Zweifel bis ins kleinste Detail durchorganisiert. Und Inkompetenz ist ein Wort, das in seinem Sprachgebrauch ganz sicher nicht vorkommt. Das hat mir die Szene gerade eben im Foyer bewusst gemacht. Allein seine Art, wie er mir zu Hilfe geeilt ist und mit dem Kurierfahrer gesprochen hat. Wie er ihn zurechtgewiesen hat, ohne unhöflich zu werden, und um mein Wohlergehen besorgt war, hat mich beeindruckt. Er macht nicht den Eindruck auf mich, als wäre er ein Tyrann, vielleicht lässt er diesen an schlechten Tagen heraushängen, aber mein erster Gedanke ist einfach: Was für ein Mann. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelingt es mir, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, und ich nehme seine Worte wieder wahr.
»… diese Firma aufgebaut, indem ich hart an meinen Zielen gearbeitet habe, und das sollten Sie ebenfalls. Verlieren Sie niemals das Ziel aus den Augen und zweifeln Sie nicht an sich selbst. Zeigen Sie volle Leistung und bringen Sie Ihre Ideen ein. Wir sind ein modernes Unternehmen und für Vorschläge offen. Niemand wird Ihnen den Kopf abreißen, wenn Sie einen Fehler machen. Und ich verspreche Ihnen, Sie werden in der Zeit, in der Sie hier sind, eine Menge lernen. Noch Fragen?« Sein Blick schweift durch den Raum und taxiert kurz jeden einzelnen von uns.
Wir sitzen alle etwas perplex – ich, weil ich nur die Hälfte mitbekommen habe, und die anderen vielleicht aus demselben Grund – in unseren Stühlen, die uns noch kleiner wirken lassen, sofern das nach dieser Ansprache noch möglich ist. Da keiner von uns weitere Fragen hat, fährt McQueen fort.
»Gut, Jane, meine Sekretärin, haben Sie bereits kennengelernt. Sie wird Ihnen heute eine kurze Einweisung in die Unternehmensstruktur geben. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an sie. Die Unterlagen vor Ihnen auf dem Tisch schauen Sie sich bitte bis Montag an. Darin können Sie alle Einzelheiten zum Unternehmensprofil sowie die unterschiedlichen Geschäftsbereiche einsehen. Ein Fahrer wird Sie später zu Ihren Appartements bringen. Nutzen Sie die nächsten Tagen, um sich hier etwas einzuleben. Ich erwarte Sie dann alle am Montag in Ihren entsprechenden Abteilungen.« Jetzt gleitet sein Blick wieder zu mir, und er fixiert mich mit einem breiten Lächeln auf seinen Lippen, als er schmunzelnd sagt: »Ach und übrigens, Freitag ist unser Casual-Tag in der Firma, und zwar nur freitags, alles klar?« , zwinkert er mir zu.
Mit diesen letzten Worten verabschiedet er sich, und ich nicke ganz unbewusst. Sein Blick ruht beim Verlassen des Raumes noch mal auf mir, und wie hypnotisiert schaue ich ihm hinterher. Dann dreht er sich kurz in der Tür um und unsere Blicke treffen sich für einen winzigen Moment, bevor ich schnell wegschaue.
»Jane, ich möchte Sie kurz unter vier Augen sprechen, in meinem Büro«, höre ich ihn noch sagen. Die Worte kommen leise, aber bestimmt über seine Lippen. Eins ist klar, dieser Mann duldet keinen Widerspruch.
Carol neben mir ist ganz hin und weg von Matthew McQueen, Beth hingegen wirkt etwas eingeschüchtert – genau der Eindruck, den ich bereits von ihr gewonnen hatte; sie scheint eher ängstlich und zurückhaltend zu sein –, während George den Kerl irgendwie cool findet und ihm mit blitzenden Augen hinterherstarrt.
Ich fühle mich wie Mogli aus dem Dschungelbuch, als er gerade von Kaa, der Schlange, hypnotisiert wird. Kein Grund zur Besorgnis, ermahne ich mich stumm, er hat es scheinbar mit Humor genommen. Aber warum mache ich mir denn darüber noch Gedanken, ich werde den Chef der McQueen International Consulting sicherlich so schnell nicht wieder zu sehen bekommen, da ich im Bereich des Marketings arbeiten soll. Er ist schließlich nicht mein direkter Vorgesetzter. Zum Glück!
Kurze Zeit später nehme ich die angenehme Stimme der Sekretärin wahr. »Ms. O’Brian?« Jane steckt den Kopf zur Tür herein und bittet mich, ihr zu folgen. Ich erschrecke und werfe Carol einen besorgten Blick zu, als wir unser Gespräch unterbrechen müssen. Mist, habe ich etwas falsch gemacht? Meine Hände werden feucht. Scheinbar habe ich ihn falsch eingeschätzt und jetzt wird er mir unter vier Augen sagen, was er von mir hält. Meine Stimmung rutscht heute nicht zum ersten Mal in den Keller.
Ich stehe von meinem Stuhl auf und verlasse mit Jane den Raum. Wir gehen den langen Flur entlang, durch das Vorzimmer der Sekretärin bis zu der großen Tür an der sein Name in schwarzen Buchstaben steht: Matthew McQueen, CEO. Davor bleibt Jane stehen und schaut mich lächelnd an.
»Mr. McQueen möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Ms. O’Brian.« Sie zwinkert mir zu, und noch während Jane das sagt, schiebt sie mich auch schon in das Chefbüro.
Es ist riesig, und im Gegensatz zu dem restlichen Gebäude ist hier alles in Weiß gehalten. Der Raum wird als Kontrast dazu von einem großen modernen Designertisch aus dunklem Holz beherrscht, dahinter befindet sich eine Tür. In die Wände sind Regale eingelassen, die mit Büchern und skurrilen Skulpturen bestückt sind; zwei Wände sind komplett aus Glas und bieten einen berauschenden Ausblick auf Boston. Davor steht ein altes Chesterfield-Sofa und am anderen Ende ist eine Besprechungsecke eingerichtet, ebenfalls mit Designermöbeln.