Kitabı oku: «Lebensabenteuer», sayfa 2

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Die Unbekannte

Ingrid Buchmann schlendert durch die Einkaufsstraße des kleinen Ortes. Sie hat sich eine leichte, helle Hose gekauft und möchte in einem Café in der Nähe Kaffee trinken und Kuchen essen. Sie sieht freudig und in guter Laune in die Schaufenster und geht zügig in Richtung Café. Kurz vor ihrem Ziel führt eine kleine Brücke, die in eine Gasse mündet, über einen Wasserlauf. Am Geländer lehnt eine Frau, der es offenbar nicht gut geht. Ingrid hat Zeit und geht, ohne zu zögern, auf sie zu, spricht sie an und fragt, ob sie helfen könne. Die Unbekannte schaut kurz hoch und es scheint, als erschrecke sie, als sie Ingrids Gesicht sieht. Sie klammert sich ans Brückengeländer und schüttelt den Kopf. Es sei nur ein Krampf in den Beinen; wenn sie sich etwas ausgeruht habe, ginge es wieder. Freundlich verabschiedet sich Ingrid von der jungen Frau und geht weiter zum Café.

Dort angekommen, nimmt sie an einem der kleinen Tische am Fenster Platz und bestellt bei der Kellnerin ihre Lieblingstorte. Die Torte auf ihrem Teller ist fast aufgegessen, als sie die junge Frau auf der Straße vorbeigehen sieht. Die junge Frau läuft beschwingt an der Seite eines etwa gleichaltrigen Mannes. Verwundert denkt Ingrid, die hat sich aber schnell erholt, und schaut auf ihren Kuchenrest. Kurze Zeit später hat sie aufgegessen und bezahlt die Rechnung.

Nun geht sie in entgegengesetzter Richtung nach Hause. Die kleine Wohnung im Dachgeschoss hat sie gemütlich eingerichtet. Solange sie hier eingesetzt ist in diesem kleinen ›Nest‹, wie sie insgeheim denkt, muss die hübsche Wohnung für vieles entschädigen. Sie hatte in Hannover eine lockere Beziehung und nahm diesen Job in der Provinz gern an, um Abstand zu gewinnen.

Als Ingrid in Erfahrung brachte, dass ihr Freund Harald Köhler verheiratet ist, hat sie sich sofort getrennt. Die Logistikaußenstelle soll einer Inventur unterzogen und der Ablauf der Warenzusammenstellungen optimiert werden – der passende Vorwand für ihre Flucht.

Am nächsten Tag geht Ingrid den kurzen Fußweg bis zur Niederlassung langsam und beobachtet die Umgebung. Die Natur ist hier in der ländlichen Umgebung einfach näher dran oder sie der Natur, überlegt sie schmunzelnd. Es gibt weniger Autos und fast keine LKW – nur die vom eigenen Unternehmen. Morgens wird sie vom Vogelgezwitscher aufgeweckt.

Ingrid geht ohnehin gern zu Fuß, wenn es sich einrichten lässt. So ist der Weg zur Arbeit entspannend und ein Spaziergang für sie. Wenn sie zurückdenkt, kommt ihr der Lärm in Hannover fast unerträglich vor. Plötzlich sieht sie eine Handtasche am Gebüsch liegen. Sie geht zwei Schritte und hebt sie auf. Als sie den Reißverschluss öffnen will, um nach einer Adresse zu schauen, springt ein Mann seitlich aus dem Gebüsch. Er entreißt ihr die Handtasche und rennt weg. Sie schaut sich erschrocken um, aber kein Mensch weit und breit, der helfen könnte. Es kann auch ein Nachteil sein, so allein in der schönen Natur und am Rand des Ortes, denkt Ingrid. Sie überlegt, ob sie das eben Erlebte anzeigen sollte. Ist es ein Dieb, der die Handtasche nicht gut versteckt hatte? Wurde er gestört und konnte er sich nur hinter dem Busch in Sicherheit bringen oder vielmehr verbergen? Wem hat er die Handtasche gestohlen?

Nochmals schaut sich Ingrid um, es ist aber niemand in der Nähe. Sie biegt links in eine Zufahrtsstraße ein und erreicht die Niederlassung. Das eben Erlebte geht ihr nicht aus dem Sinn. Ingrid hat in der kurzen Zeit, die sie hier eingesetzt ist, einige Kollegen kennengelernt. Sie legt Wert auf ein gutes Klima am Arbeitsplatz und verhält sich höflich und verbindlich. Mittags geht Ingrid mit zwei weiteren Kollegen in die kleine Kantine und kauft sich ein belegtes Baguette, während die Männer eine warme Mahlzeit aus der Mikrowelle nehmen.

Plötzlich stutzt Ingrid und erkundigt sich bei ihren Tischnachbarn nach einer jungen Frau. Genau die, die mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Brücke, sitzt dort am Ecktisch und unterhält sich lachend mit einem Mann. Sie ist eine Kollegin, denkt Ingrid. Sie sagt zu ihren Kollegen, dass sie gestern die junge Frau auf der Brücke gesehen hat und dass es ihr nicht gut ging. Rainer, der rechts von ihr sitzt, wundert sich. Er meint: »Julia ist nicht krank und ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihr gestern schlecht ging. Sie ist eine Frohnatur, anders als ihre Schwester.«

Der linke Nachbar weiß, dass die Schwester zurzeit zu Besuch hier ist. Sie gehen an ihre Arbeitsplätze zurück und die Gedanken an die junge Frau sind vergessen.

Einige Tage, nachdem Ingrid ihre Kollegin beim Mittagessen wiedergesehen hat, sieht sie Julia beim Einkauf in dem kleinen Ort. Als Julia ihre Ware vor der Kasse aufs Band liegt, fällt ihr eine Weinflasche um und Ingrid greift rasch zu, um zu helfen. Die beiden Frauen lächeln einander an. Anderen Tags wird im Betrieb getuschelt und wenn Ingrid in die Nähe kommt, verstummen die Kolleginnen. Ingrid fühlt sich nicht wohl, sie spürt die Spannung. Die Kollegen als unmittelbare Mitarbeiter wissen angeblich nicht, was die Frauen reden. Nach zwei Tagen sieht Ingrid bei einem Abendspaziergang Julia wieder. Heute Abend sieht sie leidend aus. Ingrid schaut Julia an und fragt sich: Hat sie rote Augen vom Weinen?

Sie fasst sich ein Herz und spricht ihre Kollegin an. »Guten Abend Julia, wollen wir ein Stück zusammen gehen?« Die Frau antwortet: »Sparen Sie sich Ihr Mitleid, Frau Buchmann. Ich bin Julias Schwester Karin.«

»Entschuldigung, Sie sehen Julia sehr ähnlich.«

Karin erwidert: »Wir sind Zwillinge und ich bin hier zu Besuch.«

Ingrid fragt: »Dann waren Sie die Frau auf der Brücke, nicht Julia?«

»Ja, so ist es.«

Wieder grübelt Ingrid: »Woher kennen Sie meinen Namen und warum sprechen sie von Mitleid? Ich kenne sie doch gar nicht.«

»Dafür weiß ich genau, wer mir den Mann in Hannover weggenommen hat. Ich bin schwanger, aber mein Mann weiß das nicht. Es geht mir nicht gut und ich will mich bei meiner Schwester erholen, bevor ich nach Hannover zurückgehe.«

Fassungslos sieht Ingrid Frau Köhler an. Schmerzlich wird ihr die Trennung bewusst.

Harald betonte vor wenigen Wochen, dass er schon ewig von seiner Frau getrennt und diese Beziehung vorbei sei. Ingrid ist froh, dass sie Schluss gemacht hat und nicht auf seine Beteuerungen hereingefallen ist. Wenn Frau Köhler schwanger ist, dann kann die Zerrüttung seiner Ehe nicht ewig her sein. Sie sagt beschwörend: »Aber, Frau Köhler! Ich hatte keine Ahnung, habe aber Schluss gemacht, als ich von Haralds Ehe gehört habe. Zuerst hat er es abgestritten, aber ich war misstrauisch. Zu oft hatte er keine Zeit und die Ausreden mit Skatabend usw. konnte ich nicht glauben.«

Frau Köhler schaut Ingrid offen in die Augen und fragt: »Sie haben meinem Mann nicht die Ehe versprochen?«

»Aber nein!«, widerspricht Ingrid.

»Er ist bei mir ausgezogen«, sagt Karin geknickt.

Ingrid fragt: »Wann ist er ausgezogen?«

»Vor etwa vier Wochen«, antwortet Frau Köhler.

Ingrid überlegt, dann sagt sie: »Ich bin seit drei Wochen hier und habe vor fünf Wochen Schluss gemacht. Harald hat nie bei mir gewohnt.«

Bitter sagt Karin: »Dann muss es eine dritte Frau geben.«

Schweigend gehen die beiden Frauen miteinander weiter. Frau Köhler schaut Ingrid schüchtern an: »Dann habe ich Ihnen wohl Unrecht getan.«

Ingrid lächelt und sagt: »Entschuldigung angenommen, Sie wussten es nicht besser, aber woher kennen Sie mich?«

Karin Köhler holt tief Luft und schaut Ingrid erleichtert an: »Harald hat ein Bild bei Ihrer Telefonnummer hinterlegt. Als er einmal duschte, habe ich sein Handy ausspioniert, weil ich merkte, dass etwas nicht stimmt mit ihm.«

Ingrid ist vor dem Wohnhaus, in dem sich ihre kleine Dachgeschosswohnung befindet, stehen geblieben. »Darf ich Sie auf eine Tasse Tee einladen? Hier wohne ich.«

Frau Köhler antwortet, schon wesentlich erleichtert über das Gespräch: »Diese Einladung nehme ich gern an. Ich hatte einen ganz falschen Eindruck von Ihnen.«

Ingrid lächelt und schließt die Haustür auf. Die beiden Frauen unterhalten sich noch lange an diesem Abend und schmieden einen Plan gegen den treulosen Harald.

Am nächsten Tag kommt mittags Karin Köhlers Schwester Julia auf Ingrid zu und sagt: »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Meine Schwester hat mir alles erzählt. Sie haben meinem Schwager den Laufpass gegeben, als sie von seiner Ehe gehört haben. Hut ab, so würde nicht jede Frau reagieren.« Julia lächelt und geht an ihren Tisch zurück.

Die beiden Kollegen heben die Daumen und fragen wie aus einem Mund: »Dann bist du frei?«

»Jungs, macht euch keine Hoffnungen«, sagt Ingrid verschmitzt.

Heute Abend will sie mit Harald telefonieren und den mit Karin beschlossenen Plan in die Tat umsetzen. Es klingelt fünfmal, bevor Harald das Gespräch annimmt. Im Hintergrund ist es laut, eine Frau schimpft mit einem Kind, so kommt es Ingrid vor. Dann sagt sie lächelnd und mit zärtlicher Stimme zu Harald: »Wie geht es dir, ich vermisse dich.«

Harald sagte leise: »Wie schön, dass du anrufst, ich muss immer an dich denken. Moment – ich gehe vor die Tür, hier ist es so laut.«

Ingrid fragt weiterhin mit Schmelz in der Stimme: »Wo bist du denn?«

»Bei einem Freund«, lautet die Antwort von Harald.

Ingrid lächelt insgeheim und versucht, Harald weiter bei Laune zu halten, denn ihr ist klar, dass dies wieder eine Lüge ist. So sagt sie zu ihm: »In zwei Wochen ist mein Einsatz hier zu Ende. Sag, können wir uns in Hannover wieder sehen?«

Harald ist so erfreut, dass er Ingrid seinen Liebling nennt und Komplimente macht wie nie zuvor.

Zwei Wochen später sind Ingrid Buchmann und Karin Köhler in Hannover zurück und besprechen nun die weitere Vorgehensweise gemäß dem gefassten Plan.

Ingrid telefoniert mit Harald an diesem Abend. Sie wird morgen mit ihm in einer Gaststätte in der Innenstadt zu Abend essen. Mit gemischten Gefühlen geht Ingrid zur Verabredung. Im Lokal sitzt Harald an einem Tisch in der Ecke. Von dort kann er den Eingang sowie das Lokal überblicken. Typisch, denkt Ingrid, er will nichts verpassen. Harald rückt ihr artig den Stuhl zurecht und sie nimmt Platz. Er zeigt ehrliche Freude und macht Ingrid Komplimente. Sie sagt einige Floskeln später: »Erzähle mir bitte von deiner Frau.«

Harald ist verwirrt und stottert Ausreden. »Ja, was soll ich erzählen. Wir sind seit einigen Monaten getrennt.« Offensichtlich wollte er bei seiner Version bleiben, die er Ingrid erzählt hatte.

Ingrid entgegnet: »Warum lügst du mich an? Ich will die ganze Geschichte hören, aber wahrheitsgemäß!«

Harald lächelt sie an und sagt ihr Nettigkeiten. Ingrids versteinerte Miene lässt ihn spüren, dass es ihr sehr ernst ist, und er beginnt schüchtern zu erzählen:

»Karin ist eine liebenswerte Frau und absolut zuverlässig. Wir haben uns immer ein Kind gewünscht, es klappte bis heute nicht. Vor Kurzem lernte ich eine attraktive Frau kennen, die einen kleinen Jungen hat. Es tut gut, als kleine Familie Ausflüge zu unternehmen. Mit dem aufgeweckten Jungen war jedes Treffen ein Abenteuer.«

Ingrid fragt: »Wohnst du bei ihr?«

»Ja, sie wollte Schluss machen, wenn ich mich nicht zu ihr und dem Jungen bekenne. Dann wurde sie schwanger und ich hatte keine Wahl und blieb bei ihr. Aber gut geht es mir nicht. Ständig kommen neue Forderungen von ihr und sie erpresst mich emotional. Ich weiß mir keinen Rat. Ich habe mich so sehr über deinen Anruf gefreut, du kannst dir das nicht vorstellen. Mit deiner Hilfe komme ich wieder auf die Beine.« Hilfe suchend schaut er Ingrid in die Augen.

Aber Ingrid verfolgt ihren Plan und fragt: »Warum sollte ich dir helfen? Du hast deine Frau verlassen wegen eines attraktiven Verhältnisses. Du hast mich tief enttäuscht, wobei wir nur eine schöne Affäre hatten. Ich wusste weder von deiner Frau noch von deinem Verhältnis. Was soll ich von dir halten? Offensichtlich bist du kein zuverlässiger Mann und für eine dauerhafte Beziehung nicht geeignet.«

Harald sagte leise, mehr zu sich selbst: »Ich hätte Karin nicht verlassen dürfen und meine Affären hat sie nicht verdient. Ich liebe sie noch immer. Ingrid, ich bin am Ende.«

Ingrid lächelt und sagt zu Harald: »Ich denke, jetzt kann ich dir helfen. Lass uns morgen Abend das Gespräch fortsetzen. Wollen wir uns wieder hier in diesem schönen Restaurant treffen?« Harald weiß nicht, was die beiden Frauen geplant haben. Er macht einen wesentlich erleichterteren Eindruck, lächelt und streichelt Ingrid die Hand beim Abschied. »Ich freue mich auf morgen.«

Am nächsten Abend gehen Ingrid und Karin in die Gaststätte, wo Harald schon auf Ingrid wartet. Harald ist total überfordert, als er die Frauen sieht. Er steht auf und rückt die Stühle für die beiden zurecht. Sprechen kann Harald nicht. Er schaut seine Frau Karin immer wieder an und es entsteht eine verlegene Pause am Tisch.

Ingrid ergreift die Initiative und strahlt Harald an: »Da staunst du! Ich bringe dir deine liebe Frau und du hast nun eine letzte Chance!«

Harald stammelt: »Wieso kennt ihr euch? Ich verstehe gar nichts.« Nach anfänglichen, stockenden Fragen und unsicheren Antworten entwickelt sich der Abend sehr unterhaltsam. Harald will wissen, warum Karin nie auf seine Anrufe geantwortet hat. Also versuchte Harald tatsächlich, Kontakt zu seiner Frau aufzunehmen, stellt Ingrid erfreut fest. Karin erzählt nun, dass ihr beim Besuch bei ihrer Schwester die Handtasche gestohlen wurde. Sie hat nun ein neues Handy und will später Harald ihre Nummer geben.

Sehr ernst und nachdenklich sagt Ingrid: »Da habe ich deine gestohlene Tasche wohl in der Hand gehabt?!«

Karin schaut Ingrid erschrocken an: »Wieso, was hast du mit dem Diebstahl zu tun?«

Da erzählt Ingrid, was ihr vor Wochen an dem Morgen auf dem Weg zur Arbeit passiert ist. Harald sagt überlegend: »Jetzt weiß ich auch, woher die andere Frau weiß, wo Karin wohnt. Sicherlich ist der kriminelle Bruder für seine Schwester unterwegs gewesen und Karin wurde ausspioniert.«

»Die Ermittlungen der Polizei kommen nicht voran«, sagt Karin.

Harald gibt ihr die Adresse der anderen Frau und fordert sie auf, der Polizei einen Hinweis zu geben. Der Bruder sei jeden Abend zum Essen bei seiner Schwester.

Harald und Karin treffen einander nun regelmäßig. Schließlich ist Harald wieder in die gemeinsame Wohnung eingezogen und Karin fühlt sich sehr wohl. Sie spürt, dass es Harald ernst meint. Karin ist im vierten Monat schwanger und das Unwohlsein hat sie überstanden. Ihr Mann war überglücklich, als Karin von der Schwangerschaft erzählte. Er freut sich sehr auf ein eigenes Kind, hat er sich doch über Jahre von Karin ein Kind gewünscht. Aber bisher klappte es nicht. Deshalb ist Harald der anderen Frau mit ihrem kleinen Jungen gern auf den Leim gegangen. Aber er merkte nach wenigen Wochen schon, dass er als Versorger und Aushängeschild geangelt wurde. Anfangs war es für Harald ein sehr schönes Gefühl, von einer attraktiven Frau und einem witzigen kleinen Jungen geliebt zu werden. Aber was er für Liebe gehalten hatte, flachte ganz schnell ab und der Alltag war mies mit Erpressung und Lügen sowie immer neuen Geldforderungen der Frau.

In dieser Zeit der Schwankungen dachte er immer öfter an seine Frau Karin. In ihr sah er den Leuchtturm in der Brandung. Durch einen Zufall lernte er in dieser kritischen Zeit Ingrid kennen und sah eine zuverlässige Freundin in ihr.

Karin erhält einen Anruf von der Polizei und wird auf die Polizeiwache bestellt. Dort erfährt sie, dass in der Wohnung der anderen Frau zahlreiches Diebesgut gefunden wurde. Offensichtlich war es die Masche der Frau, mit ihrem Bruder ständig nach Männern Ausschau zu halten, um sich aushalten zu lassen.

Ingrid und Karin sind zuverlässige Freundinnen geworden. Karin hat ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht und die Patentante Ingrid geht gern mit der Kleinen spazieren. Harald meint: »Nun habe ich zwei Umwege gemacht und wieder zu dir gefunden. Beide Erlebnisse haben mich tief erschüttert und ich bin dir so dankbar, liebe Karin, dass du mir vergeben konntest.« Karin sagt darauf: »Na, ein Umweg war sehr nützlich. In Ingrid habe ich eine treue Freundin gefunden.«

Die Trennung

Inge Brückmann saß in ihrem Wohnzimmer und sah von der Zeitschrift hoch. Sie las sehr gern, aber heute war sie aus dem täglichen Einerlei der letzten Monate irgendwie abgelenkt.

Sie wohnte unweit vom Marienplatz in München. Hier brandete das Leben Tag und Nacht mit einer deutlichen Geräuschkulisse bis hoch zu ihren Fenstern.

Sah sie hinaus, erregte sie das pulsierende Treiben auf dem Radlersteg. Die vielen Geschäfte nahm sie wie Miniaturen eines Modells wahr. Würde sie nicht gerade in Scheidung leben – das Leben könnte so schön sein. Die Alpen, für die sie sich immer aufs Neue begeistern konnte, waren ganz in der Nähe und für ihre Wochenenden ein beliebtes Ausflugsziel. Ja, ihre Ehe, nur ein fader Nachgeschmack war geblieben und böse Erinnerungen. Bevor sie ihren Mann vor acht Jahren geheiratet hatte, rief sein derber Sex ein besonders intensives Gefühl in ihr wach. Seine Zärtlichkeit überwog anfangs gegenüber seinen sadistischen Neigungen. Als sie sich der Unerträglichkeit ihrer Situation bewusst wurde, war sie schon einige Jahre verheiratet. Sie waren einmal im Urlaub an der Nordsee und fuhren anschließend zu einer Familienfeier nach Frankfurt. Plötzlich erinnerte sie sich deutlich an den Zwillingsbruder von Jan. Frank hatte sie vor dem Sarkasmus ihres Mannes in Schutz genommen, auf diesem Familienfest vor fünf Jahren. Als Frank merkte, dass ihr das Wasser in den Augen stand, lenkte er sie geschickt ab und tanzte mit ihr. Im Nachhinein war ihr bewusst, dass dieser Abend etwas Besonderes hatte. Inge hatte sich in dieser Nacht wohlgefühlt. Sie verglich zum ersten Mal die Brüder miteinander. Bald nach ihrer Hochzeit war Frank nach Amerika gegangen. Sie lebte mit ihrem Mann Jan in Frankfurt. Der Kontakt zur Familie war sehr locker. Heute dachte sie darüber auch anders. Während ihr Mann abfällig über seine Familie sprach und es völlig ausreichend fand, wenn man einander zu bestimmten Terminen begegnen musste, wusste sie heute, dass Jan als Zyniker nicht gern im Kreis seiner Angehörigen gesehen war.

Ein Kind blieb ihr versagt, so konnte sie nach einer brutalen Liebesnacht Hals über Kopf ihre Sachen packen und sich hier in München diese kleine Wohnung nehmen. Sie fand schnell eine gute Anstellung in einem Bürohaus am Candidplatz und kam finanziell gut zurecht in dieser teuren Stadt.

Frank hatte aus den USA einige Male in Frankfurt angerufen. Sie freute sich immer sehr darüber. Seine warme Stimme versetzte eine unbekannte Seite in ihr in Schwingung. Wie geduldig er zuhörte, auch das hatte sie an Jan vermisst.

›Mein Gott‹, dachte sie, ›es gibt einen Menschen, der mir nicht gleichgültig ist. Dieser eine Mann wohnt zufällig in Amerika; irgendwo.‹ Sie kam sich sehr hilflos und verlassen vor. Frank kannte ihre Münchner Adresse nicht. Aber wenn Sie anrufen würde, müsste sie einiges erklären, davor schämte sie sich. Außerdem hätte sie das vor Wochen tun sollen, der Zeitpunkt war überschritten. So stand sie träumend am Fenster und der Mann, von dem sie träumte, hatte keine Ahnung. Sie drückte auf die Fernbedienung. Auf dem Bildschirm erschien ein alter Spielfilm, den sie kannte. Missmutig drückte sie andere Sender, aber sie blieb bei dem Spielfilm. Es wurde eine Szene gezeigt, in der sich ein verliebtes Paar in die Augen sah und Walzer tanzte. Wieder war die letzte Feier in Frankfurt in Inges Gedächtnis.

Frank war nie wieder in Europa gewesen, so viel wusste sie. Es war also die letzte Nacht, in der sie Frank gesehen und sich gut mit ihm unterhalten hatte.

Plötzlich erinnerte sie sich auch an seine Lachfältchen und ein spitzbübisches Lächeln.

Die Gedanken an ihren Mann versuchte sie zu verdrängen. Sein wütendes Gesicht, wenn nicht alles nach seinem Willen lief. Dann die schmalen Lippen, die nur geöffnet wurden, um Gemeinheiten auszustoßen. Sie war müde geworden über den vielen Gedanken und tröstete sich auf dem Weg ins Badezimmer mit einer vielleicht besseren Zukunft. Vielleicht träumte sie einmal von Frank.

Am anderen Tag richtete ihr eine Kollegin aus, dass Herr Brückmann angerufen habe und sich nach der Mittagspause nochmals melden würde. Eine Gänsehaut beschlich Inge, dann machte sich panische Angst breit. Woher wusste ihr Mann, wo sie zu erreichen war? Die Anwältin hatte doch gesagt, dass sie nichts von ihrem Mann gehört hätte. Die Gedanken wirbelten nur so durcheinander. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.

Die nächste Stunde verlief sehr langsam und quälend. Dann wurde ihr ein Anruf durchgestellt. Bei der eisigen Stimme am anderen Ende schien ihr das Blut in den Adern zu erstarren. Ihr Mann wollte sich mit ihr versöhnen und ein Treffen vereinbaren. Als sie das ablehnte, drohte ihr Mann, in die Firma zukommen. Bloß das nicht, dachte sie. Die wenigen Mitarbeiter pflegten einen guten Umgangston, aber private Dinge gehörten hier nicht her.

Sie willigte ein, sich am Viktualienmarkt zu einem Imbiss mit ihm zu treffen. Zitternd nahm sie ihre Handtasche, als endlich Feierabend war, und ging mit sehr zwiespältigen Gefühlen zu ihrem Treff.

Ihr Mann stand auf, als er sie in der Tür sah. Langsam ging sie auf das Tischchen zu, ihre Nerven drohten zu versagen. Ihr Mann machte einen gepflegten Eindruck und war wohl im Sonnenstudio gewesen. Überhaupt war sie angenehm überrascht. Sie hatte erwartet, dass er sie mit bissigem Spott grüßen würde. Jan gab ihr die Hand und sie glaubte einen Freudenschimmer in seinem Gesicht zu erkennen. Ganz vernünftig und gefasst erklärte er ihr, dass er sich bessern wolle und sie doch wieder nach Frankfurt zurückkehren solle. Aber das wollte sie auf keinen Fall. Am Wochenende wollte er sie besuchen, aber sie gab ihm auch ihre Adresse nicht. Zuletzt ließ sie sich zu einem Ausflug in die Berge überreden und verabredete sich an einem neutralen Ort. Hin- und hergerissen verbrachte sie die Zeit bis zum Sonnabend. Sie legte sich eine Strategie nach der anderen zurecht, wie sie ihn nicht erzürnen, sich aber doch aus seinen Fängen befreien könnte. Alle Pläne verwarf sie und trat traurig den Weg zu ihrer Verabredung an. Vielleicht hätte sie sich Frank damals anvertrauen sollen? Er hätte ihr bestimmt beigestanden oder einen guten Rat gegeben. Hatte sie sich zu viel vorgenommen? Den Gedanken, ihre Anwältin anzurufen, hatte sie auch wieder fallen lassen. Plötzlich war ihr klar, dass niemand wusste, was sie vorhatte und mit wem sie unterwegs sein würde. Was war, wenn er wieder brutal wurde? Bei diesem Gedanken kamen Erinnerungen an den letzten Seeurlaub auf.

Unvorsichtigerweise hatte sie sich einen Sonnenbrand zugezogen. Jede Berührung ihres Körpers tat weh, sogar die feine Seide des Nachthemdes konnte sie auf der Haut nicht ertragen und zog es wieder aus. Da konnte sich ihr Mann nicht beherrschen und legte sich verlangend auf sie. Je mehr sie vor Schmerzen stöhnte, umso mehr genoss er es und berührte sie an den geröteten Stellen immer wieder. In dieser Nacht war wohl das letzte Stückchen Liebe zerbrochen, falls noch etwas vorhanden war.

Sie schreckte zusammen, als Jan ihr aus dem Wagen heraus einen guten Tag wünschte. In Gedanken versunken hatte sie ihn nicht bemerkt. ›Noch ist es Zeit umzukehren‹, dachte sie. Aber andererseits musste Klarheit geschaffen werden. Und wenn sie sich gütlich mit ihrem Mann einigen konnte, war das sicher von Vorteil. An eine Möglichkeit der Versöhnung dachte sie nicht. Sie stieg also ein. Stockend wurden verschiedene Themen angesprochen, keiner schien den richtigen Faden zu finden. Jan erzählte sehr viel von Frank, dass sie viel telefoniert hätten, wohin er in Urlaub fahre, dass er einen neuen Job angenommen habe und vieles mehr. Inge hörte neugierig zu und freute sich über das unverfängliche Thema. Als Jan und Inge an einem Berggasthof vorbeikamen, lenkte er das Auto auf den Parkplatz und betonte, dass es Zeit für einen Kaffee sei.

Entschieden schüttelte sie den Kopf und hoffte inbrünstig, dass er nun keinen Wutanfall bekäme. Sie war sehr erstaunt, als sie sein betroffenes Gesicht sah, hatte ihm die Trennung zugesetzt? Hatte er sich bereits zum Positiven geändert? Sie fiel von einem Extrem in das nächste und wusste gar nicht mehr, wie es weitergehen sollte.

Ein wenig unsicher nahm sie seinen Vorschlag, eine kleine Pause zu machen, nun doch an. Immerhin war sie hungrig.

Während der Heimfahrt schwiegen beide vorwiegend. Eine kleine Weile legte Jan seine Hand auf ihre, wobei sie erschauerte. Es war aber eher angenehm und sie hatte nicht das Gefühl, diese Hand abschütteln zu müssen. Sie verlangte, hinter dem Viktualienmarkt auszusteigen. Beim Abschied hauchte Jan ihr einen Kuss auf die Wange. Sie war angenehm überrascht von seiner erträglichen Art. Das hatte sie wirklich nicht erwartet.

Auf dem Weg in ihre Wohnung war sie noch mehr durcheinander und kein bisschen schlauer. Wie lange konnte er sich beherrschen und nett sein? Fragen über Fragen, so schlief sie ein und wachte am Sonntag mit Kopfschmerzen sehr spät auf. Die kommende Woche verging wie gewohnt und wäre nicht der bohrende Zweifel in Verbindung mit ihrem Mann gewesen, könnte man die letzten Tage als normal bezeichnen. Inge freute sich aufs Wochenende und wollte gerade das Büro verlassen, als das Telefon sie aus ihren Gedanken riss. Das würde doch wohl nicht Jan sein, der da anrief, also hob sie den Hörer ab. Blass ließ sie sich auf den Stuhl fallen. Es war doch Jan und er wollte sich wieder mit ihr treffen. Er schlug ein anderes Ziel an der Romantischen Straße vor. Es sollte ein Tagesausflug werden. Sie brachte einige Einwände vor, die Jan aber entkräftete. Bügeln könne sie auch abends noch, es solle schönes Wetter geben und die frische Luft täte ihr bestimmt gut. Inge stimmte Jans Vorschlag zu und verstand die Welt nicht mehr. Eigenartig, er hatte gefragt, ob es einen anderen Mann gebe. Vielleicht hätte sie »ja« sagen sollen? Aber Lügen – nein!

Anderen Tags fuhren sie wie verabredet los. An einem See machten sie Rast. Jan hatte eine Decke aus dem Auto geholt und legte sie doppelt ins Gras, so konnten sie bequem sitzen. Er sah sie immer wieder an, als könnte er sich nicht sattsehen und als müsste er die vergangenen Monate nachholen. Dann zog er sie sanft an sich und fragte, ob sie es sich doch nicht noch einmal überlegen wolle. Ängstlich sah sie sich um, sie waren allein. Hektisch überlegte sie, wie sie sich verhalten sollte, ohne ihn zu reizen.

Es war bisher so harmonisch zwischen ihnen gewesen. Nun dieser Zündstoff. Sachte griff Jan nach ihrer Hand und fragte, ob ihr kalt sei. Sie schüttelte nur den Kopf. Mit dem Finger hob Jan ihr Kinn etwas an, sah ihr in die Augen und seine Lippen näherten sich ihrem Mund. Unwillkürlich wich sie etwas zurück. Er bemerkte das Misstrauen, hielt inne und bat Inge um einen Kuss. Erstaunt riss Inge die Augen auf und begriff das Gehörte nicht recht. Er bat sie um einen Kuss? Er musste sehr gelitten haben, wenn er fähig war, sich derart zu ändern. Wie zur Salzsäule erstarrt, war sie nicht fähig, ihn zu berühren. Jan legte seine Hand in ihr Genick und zog sie sachte an sich, als er sie küsste.

Dieser zärtliche Kuss wirkte plötzlich. Sein Rasierwasser roch dezent, die Wärme seiner Hand in ihrem Genick durchströmte sie warm. Wie lange hatte sie auf Zärtlichkeiten verzichtet.

Wie viele Jahre war es her, als sie das letzte Mal solch angenehme Gefühle durchströmt hatten? Leicht öffnete sie ihre Lippen, der Druck in ihrem Genick wurde fester. Wie eine Verdurstende trank sie diesen immer inniger werdenden Kuss und vergaß alle Vorbehalte. Wie lieb Jan sein konnte. Wie sollte sie die richtigen Worte finden und ihm erklären, dass sie Angst hatte vor einem Rückfall in alte Zeiten, die sie noch nicht überwunden hatte?

Im Kopf wirbelten die Gedanken, während die Sinne etwas ganz anderes aufnahmen. Liebte sie ihren Mann noch immer? Inge ärgerte sich über die quälenden Gedanken, die es nicht zuließen, dass sie sich einfach ihren Gefühlen hingab. Sie lag auf seinem Arm, schaute in den blauen Septemberhimmel und wünschte sich, dass die Zeit stehen bleiben möge. Jan streichelte ihr mit einem Finger die Wange und hauchte Küsse auf ihre Augen. Als er am Ohr angekommen war, stöhnte sie auf und schlang ihre Arme um seinen Hals. Nun gab sie sich der Leidenschaft hin und alles um sie versank als das Unwichtigste der Welt. Jan freute sich und flüsterte ihr liebe Worte zu, die sie von ihm nicht kannte. Endlich war ihr Misstrauen gebrochen. Endlich war sie aufgetaut und wieder Frau. Als er sagte: »Endlich, Kleines, darauf warte ich schon zu lange«, konnte sie sich nur wundern. Auf der Heimfahrt fragte Jan nach Inges Adresse. Sie lächelte und sagte, wenn er wieder anriefe, würde sie ihm verraten, wo ihr Bett stünde. Inge Brückmann, wo ist dein Charakter geblieben?

Sie fragte sich immer wieder, wie es möglich war, dass sie allen guten Vorsätzen untreu werden konnte. Rasch verging eine arbeitsreiche Woche und Inge freute sich wieder aufs Wochenende, ohne jegliche Einschränkung freute sie sich sehnsüchtig. Als es Sonnabend Mittag an ihrer Wohnungstür schellte, schoss eine heiße Welle durch ihren Körper.

Freudig öffnete sie. Noch an der Tür nahm ihr Mann sie in die Arme und küsste sie zärtlich. Sie hatte Schnitzel und Schwarzwurzeln zu Mittag zubereitet, seine Lieblingsspeise. »Mein Gott, wie viele Jahre habe ich schon keine Schwarzwurzeln gegessen?«, sagte er. Sie sah ihn groß an und meinte, dass sie sein Lieblingsessen im Frühjahr schon einige Male zubereitet hätte. Er lächelte nur verlegen. Als sie es sich am Abend nach einem ausgedehnten Spaziergang bei einer Flasche Wein bequem machten, sagte Jan, dass er heute alle Zukunftsfragen klären wolle.

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