Kitabı oku: «Der König vom Feuerland», sayfa 2
Der Junge hatte gestaunt. »Was hat denn ein Zimmermann mit einer Dampfmaschine zu tun? Die ist doch aus Eisen – was soll er da reparieren?«
Die beiden Männer erklärten ihm die Sache: Beim Bau der ersten Dampfmaschinen taten sich Zimmerleute, Schmiede, Schlosser, Eisengießer und Feinmechaniker zusammen, und bei ihren Konstruktionen war noch viel Holz im Spiel. So bestand der – neben dem Dampfzylinder – wichtigste Teil der Maschine, der unförmige und viele Zentner schwere Schwingbaum, aus Eichenholz, das heißt aus mehreren splitterfesten Balken, die in sauberer Zimmermannsarbeit aneinandergefügt worden waren. Diese Arbeit hatte Ihle vor Jahren auf der Friedrichsgrube in Tarnowitz für einen gewissen Friedrich Wilhelm Holtzhagen ausgeführt, dem inzwischen die Aufsicht über alle Dampfmaschinen der Berg- und Hüttenwerke Ober- und Niederschlesiens übertragen worden war.
»Jetzt sind einige Balken zu erneuern, und da hat uns Holtzhagen nach Tarnowitz gerufen«, schloss Ihle.
Als August Borsig vor der ersten Kolbendampfmaschine seines Lebens stand, empfand er sie im ersten Augenblick als ebenso geheimnisvoll wie bedrohlich. Klein kam er sich vor und so verletzlich wie eine Ameise, die auf den Amboss eines Schmiedes geklettert war. Langsam aber begriff er, dass sie Menschenwerk war und von Menschen kontrolliert wurde. Was ihn am meisten beeindruckte, waren die ungeheuren Kräfte, die mit dieser Maschine erzeugt und in Arbeit umgesetzt wurden. Dabei war alles ganz einfach: Man nahm Kohle und erhitzte damit das Wasser so weit, dass es zu Dampf wurde. Und in diesem Dampf – wurde er gebändigt und in richtige Bahnen gelenkt – steckte mehr Energie, als Hunderte von Menschen und Dutzende von Pferden aufzubringen vermochten. Holz und Eisen gehörten auch noch dazu, eine Menge Handwerker und natürlich einer, der sich das alles ausdachte und auf große Bögen zeichnete. Genau so hatte es ihnen Mistek beim Bau eines Hauses erklärt. So etwas zu können steckte im Menschen, wie es in den Bienen steckte, sich ihre Waben und Stöcke zu bauen. Im Menschen? Nein, nicht in allen, nur in einigen.
Dass er zu diesen wenigen Menschen gehörte, war August Borsig an diesem Tag von Tarnowitz zu keiner Sekunde bewusst. Er sah in diesen Jahren nur alles, nahm nur auf, was ihm begegnete, und speicherte es irgendwo im Gedächtnis, ohne dass das eine mit dem anderen zusammenkam. Seine Großmutter hatte immer gesagt: »Mit den Augen kann man stehlen« – also stahl er ununterbrochen. Er hatte jedoch keine Absicht, dies irgendwann einmal zu benutzen – es war der reine Spaß am Stehlen, der ihn trieb.
Nun gut, manchmal kramte er etwas hervor, wenn in der Schule nach bestimmten Sachen gefragt wurde. So wollte Mistek kurz vor den Sommerferien wissen, wo die Oder entspringt.
»In Polen!«, riefen alle.
»Falsch.«
»Im Kaiserthum Oesterreich«, sagte August Borsig. Das hatte ihm Meister Ihle auf der Fahrt nach Tarnowitz erklärt.
»Wieso entspringt die?«, fragte Walter Rawitsch. »Die Oder ist doch kein Sträfling.«
»Rawitsch, die Finger!« Der Lehrer holte seine Haselrute hervor.
Augusts Freund nahm das Züchtigungsritual klaglos hin. Seine Rache bestand darin, dass er Mistek an einem der nächsten Tage scheinbar arglos fragte, ob sein Name vom Englischen mistake – Fehler – herkäme. Darauf hatte ihn sein Vater gebracht.
Mistek blickte böse, entschloss sich dann aber, nicht aus der Haut zu fahren, sondern die Sache mit Humor zu nehmen. »Richtig! Ich bin in London geboren worden und war Hauslehrer der englischen Prinzen. Als ich nach Breslau gekommen bin, haben sie den Namen Mistake dann eingedeutscht in Mistek.« Dass viele seiner ehemaligen Schüler ihn Miststück nannten, wusste er nicht.
Endlich war die Schule aus. Auf dem Nachhauseweg kamen August und Walter an einer Glaserei vorbei, die sich nebenbei darauf spezialisiert hatte, Ölbilder einzurahmen und zum Verkauf auszustellen. Diese Gemälde wurden ihr von berufsmäßigen Kunstmalern, aber auch Amateuren zugeliefert. Die Auswahl an Motiven war nicht eben groß. Da war die Oder und nochmals die Oder, dann gab es röhrende Hirsche und balzende Auerhähne im schlesischen Bergland und schließlich das Breslauer Rathaus und die Naschmarktseite des Ringes. Das alles interessierte August Borsig nur mäßig, ein Bild aber beschäftigte ihn Tag und Nacht und tauchte sogar in seinen Träumen auf: der Anblick eines Südsee-Atolls. Ein Schoner ankerte unter üppigen Palmen. Bougainville vor Tahiti stand auf dem Schildchen, das am Rahmen klebte.
»Palmen!«, rief Borsig. »Ich liebe Palmen über alles!«
»Dann kauf dir doch den Schinken, und häng ihn dir übers Bett«, riet ihm Walter Rawitsch.
»Das würde ich ja gern, aber was das kostet! Woher soll ich das Geld nehmen?« Von seinen Eltern bekam er kein Geld dafür, und sich das Palmenbild zum Geburtstag oder zu Weihnachten zu wünschen hatte auch keinen Zweck, da gab es zum Geschenk immer nützliche Sachen.
Nach einigem Hin und Her trauten sie sich in den Laden, um mit dem Glasermeister zu handeln, doch der ließ sich nicht erweichen und blieb bei einem Preis, der den Jungen astronomisch hoch erschien. Auch wenn er jeden Groschen sparte, den er ab und an von Meister Ihle und seinem Vater bekam, nachdem er ihnen bei der Arbeit geholfen hatte, er hätte lange Monate gebraucht, bis er das Bild hätte kaufen können – zu lange, denn bis dahin war bestimmt jemand gekommen und hatte es ihm weggeschnappt.
Wie konnte man als Junge zu Geld kommen? Sosehr er sich auch den Kopf darüber zerbrach, er fand keinen Weg … Bis sein Blick eines Tages, als er seinem Vater beim Bau eines Dachstuhls in der Berliner Straße geholfen hatte, auf einen Haufen abgesägter Sparren, Balken und Bretter gefallen war. Es war der ganze Abfall, den Meister Ihle irgendwann mit seinem Pferdefuhrwerk abholen ließ, um ihn hinten im Hof verrotten zu lassen. Wenn nun Walter und er diese Reste mit Beil und Säge zerkleinerten und den Leuten als Anmachholz verkauften, dann …
»Mensch, das ist die Idee!«, rief der Freund am nächsten Morgen, denn auch im Sommer brauchte man Kleinholz zum Feueranmachen. In jeder Küche stand ja ein Herd, auf dem sieben Tage in der Woche gekocht werden musste.
Sie machten sich ans Werk, und August Borsig hatte den richtigen Riecher gehabt: Sie nahmen so viel ein, dass er schon bald an den Kauf des Palmenbildes denken konnte.
»Das werde ich mir selbst zum Geburtstag schenken!«, rief er.
Doch bevor es so weit war, erschien der Polizei-Commissarius in der Neudorfstraße, um seinen Vater zur Rede zur stellen. »Der Rentier Chalupka aus der Berliner Straße bezichtigt Ihren Sohn des Holzdiebstahls.«
August hatte nicht bedacht, dass der Abfall strenggenommen nicht Meister Ihle oder seinem Vater gehörte, sondern dem Bauherrn, und der war kein großzügiger Mensch, sondern einer, der sich wegen jeder Kleinigkeit mit seinen Nachbarn stritt.
Der Vater, der von der Geschäftsidee seines Sohnes nichts gewusst hatte, sah ein, dass er am kürzeren Hebel saß, und ersetzte Chalupka den Schaden. Große Schelte gab es nicht, denn die Eltern fanden es gut, was ihr Sohn da versucht hatte – aber sein geliebtes Palmenbild, das konnte August nun für immer und ewig vergessen.
Sein dreizehnter Geburtstag am 23. Juni stand ins Haus. Als wäre seine Existenz nicht Beweis genug, zeigte ihm seine Mutter kurz vor diesem Tag den Taufschein.
Militaria
Ein Tausend acht hundert und vier (1804) den dreiundzwanzigsten Junius ist zu Breslau dem Cairassier im Regiment v. Dollfs bei der 4. Leib-Eskadron, Johann George Bursig von seiner Ehefrau Susanna geb. Werner, EIN SOHN geboren worden, welcher den sechsundzwanzigsten desselben Monats getauft worden ist und die Namen erhalten hat Johann Friedrich August.
Solches wird hierdurch aufgrund des Kirchenbuches obengenannten Regiments von Amts wegen attestiert.
S. G. Böhm, Garnisonspfarrer
August staunte, dass da nun noch eine weitere Variante seines Nachnamens zu finden war, nämlich Bursig. Wie auch immer – Borsig gefiel ihm am besten.
Als er am Morgen des 23. Juni seinen Geburtstagstisch sah, stieß er einen Jubelschrei aus, denn was mitten auf ihm prangte, war das heißbegehrte Palmenbild. Was er in diesem Augenblick fühlte, war das Urvertrauen in die Welt: Alles war gut, auch das, was noch kommen sollte, das Leben war ein großes Geschenk Gottes.
Zum Geburtstagskaffee kamen seine Tante Anna aus Trebnitz, sein Großvater George Burzik und sein Onkel Christian Borsig, beide aus Nieder-Pontwitz, sowie sein Freund Walter Rawitsch. Man sprach weithin »Schläsch«, sagte also nicht schmatzen, sondern katschen, Lorke zum dünnen Kaffee, Koochmannla zu den Pfifferlingen, Muppa statt Mund und Tschelotka für die Verwandtschaft.
Friedrich, der Onkel, führte das große Wort. Er hatte mit seinen 36 Jahren schon viel erlebt, war als Zimmermannsgeselle auf der Walz gewesen und durch halb Europa gezogen und hatte seine Militärzeit im Leib-Kürassier-Regiment Großer Kurfürst in Berlin verbracht. Sprach er von der preußischen Residenz, dann geriet er ins Schwärmen.
»Ich habe ja viele Städte gesehen, aber nichts geht mir über Berlin!«, rief er enthusiastisch. »Wie gern war ich Unter den Linden! Das Opernhaus ist das schönste der Welt, und daneben steht die Königliche Bibliothek. Und nicht zu vergessen das Schloss, das Cadettenhaus in der Neuen Friedrichstraße, den Gensdarmen-Markt, die vielen Kirchen, die vielen Theater … Alles unbeschreiblich!«
Er warf einen Blick auf das Geburtstagskind. Sein Neffe hatte ihm mit großen Augen zugehört. Nein, der August sollte um Gottes willen in Breslau bleiben, denn Berlin war nichts für ihn. Für die Residenz war er viel zu zach und zögerlich, da würde er nur untergehen und sich selbst ins Elend stürzen.
Kapitel zwei 1819
Meister Georg Ihle hatte schon so manchen Zimmermannslehrling unter seinen Fittichen gehabt, aber einem solch begabten Schüler wie August Borsig war er noch nie begegnet.
»Der Junge hat die Hände an der richtigen Stelle«, sagte er zu Hinke, seinem Polier. »Manche haben ja zwei linke Hände …«
»Kein Wunder«, brummte Hinke, »Sie wissen doch, das liegt dem Borsig im Blut … Der Großvater, der Vater, der Onkel – alles Zimmerleute.«
»Im Blut wird es weniger liegen, eher hat er sich alles bei seinem Vater abgesehen – und bei mir.«
»Nee, Meister, das ist der Instinkt bei dem. Entweder man hat’s, oder man hat’s nicht – und der Borsig hat es.«
Es war wirklich eine Freude, August zuzuschauen, wie unglaublich geschickt er mit Axt, Säge, Stemmeisen und Fuchsschwanz hantierte. Und alles, was neu war, erfasste er im Nu. Was er in Angriff nahm, gelang ihm, und nichts musste weggeworfen werden, egal, ob mit der Axt Balken zu behauen waren oder er Schrägen und Gehrungen zu sägen hatte. Und die Nuten und Zapfen, die mit dem haarscharf geschliffenen Stechbeitel herzustellen waren, passten immer. Auch wenn es galt, für einen Bauherrn etwas zu zeichnen, war er schnell bei der Hand und brachte etwas zu Papier, mit dem sich arbeiten ließ.
Auch Johann George Borsig waren die Talente seines ältesten Sohnes nicht entgangen. Bei jedem Besuch hatte er mit seinem Vater darüber gesprochen, der gänzlich seiner Meinung gewesen war. Noch auf dem Totenbett – gestorben war er am 22. März 1819 – hatte George Burzik in dem Gedanken Trost gefunden, dass sein Enkel in ihm weiterleben und mehr erreichen würde als alle anderen Burziks und Borsigs zuvor.
»Aber von nichts kommt nichts«, sagte Johann Borsig zu seiner Frau. »So begabt unser August auch ist, er hat mir zu wenig Träume.«
Susanna Borsig winkte ab. »Träume sind Schäume.«
»Ach, komm! Als ich so alt war wie er, da habe ich davon geträumt, nach Amerika zu segeln und dort in den Wäldern ein großes Sägewerk zu bauen.«
Seine Frau lachte. »Und wie weit bist du gekommen? Gerade mal bis Stettin.«
»Ich hatte ja auch nicht die Gaben, die August hat«, wandte Johann Borsig ein. »Aber aus ihm kann mehr werden als ein simpler Zimmermann.«
Seine Frau nickte. »Ja, natürlich, ein Meister wie Ihle mit einer kleinen Werkstatt.«
»Nein, mehr. Wenn ich mir ansehe, was er alles gezeichnet hat …« Er holte einen Stapel Blätter seines Sohnes aus dem Spind. »Schau dir das mal an, hier … Da hat er eine riesige Kuppel konstruiert – nur aus hölzernen Dreiecken, die aneinandergefügt sind.«
»Das würde doch alles gleich einstürzen. Kuppeln muss man doch aus steinernen Bögen bauen.«
»Aber wir sind nun mal Zimmerleute!«, rief Johann Borsig. »Und ich bewundere den Jungen. In dem steckt was Großes, das weiß ich.«
»Johann, das ist doch nichts weiter als dein Ehrgeiz. Du willst, dass er aufsteigt und Baumeister wird, am Hofe womöglich, nicht er. August kommt nach mir, und mir reicht das, was ich habe. August ist ein Fluss, der träge durch die Wiesen fließt, August ist kein stürmisches Meer.«
Johann Borsig seufzte. »Da magst du recht haben, dass er gar nicht weiß, was alles in ihm steckt, und von sich aus nichts tun wird, um etwas anderes zu werden als ein guter Zimmermann. Solchem Menschen wie ihm muss man auf die Sprünge helfen, das sind wir ihm als seine Eltern schuldig.«
»Und wenn er dadurch nur unglücklich wird?«, fragte Susanna Borsig.
»Er wird glücklich werden!«, rief Johann Borsig. »Und du weißt doch, der Volksmund hat immer recht: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
Zwei Tage nach diesem Gespräch, als man wegen des schlechten Wetters nicht arbeiten konnte, machte sich Johann Borsig auf zur Königlichen Provinzial-Kunst- und Bauhandwerksschule, um dort im Lehrerzimmer dem Hofrath Professor Bach und dem Regierungsarchitekten Hirt seinen Sohn August ans Herz zu legen.
»Als Zimmermann steckt er jetzt schon die meisten Gesellen in den Sack«, pries er ihnen August an. »Aber er hat auch noch ganz andere Talente, und die müssen hier bei Ihnen gefördert werden, denn der König braucht tüchtige Leute, soll Preußen vorankommen und nicht hinter anderen Ländern zurückstehen. Sehen Sie sich nur einmal seine Zeichnungen an! Ob das nun gewaltige Dachstühle, hölzerne Brücken oder Kuppeln sind.«
Hirt besah sich die Blätter. »Hm, das ist alles noch ziemlich kindlich, unbeholfen und unvollkommen …«
Johann Borsig hörte es mit einigem Schmerz, sein Gesicht hellte sich aber sofort wieder auf, als der Architekt hinzufügte, dass eine gewisse Begabung nicht zu übersehen sei.
Der Hofrath ließ sich die Zeichnungen reichen, setzte die Brille auf und studierte eine nach der anderen. Johann Borsig schlug das Herz so schnell und hart, dass er die rechte Hand auf die Brust pressen musste. Nicht nur das Schicksal seines Sohnes entschied sich in diesen Sekunden, auch seines.
»Nun denn, es sei«, brummte Bach. »Der Zimmerlehrling August Borsig möge am 14. April, wenn unser neues Semester beginnt, mit Skizzenheften und Zeichengerät bewaffnet durch unsere Tore schreiten. Er soll uns herzlich willkommen sein!«
»Im Sommer«, pflegte Meister Ihle zu seinen Lehrlingen zu sagen, »fangen wir Zimmerleute schon an zu arbeiten, bevor wir aufgestanden sind, und machen durch, bis es dunkel wird.«
So rasselte in August Borsigs Kammer jeden Morgen um vier Uhr der altertümliche Wecker, den er von seinem Großvater geschenkt bekommen hatte, manchmal weckte ihn auch der Hahn des Nachbarn, der beim Krähen immer irgendwie ins Stottern kam. Gerade brachen die ersten Sonnenstrahlen durch die Krone der Birke hinter ihrem Haus. Er wusch sich kurz unter der Pumpe im Hof, aß eine Schmalzstulle, trank ein Glas frisches Wasser und eilte zur Baustelle in der Gabitzstraße. Dort band er sich seine blaue Schürze um, griff zum Werkzeugkasten und kletterte, fröhlich pfeifend, Sprosse um Sprosse die steilen Leitern hinauf, die von einem zum anderen Stockwerk führten. Die Sonnenstrahlen tauchten die schon fertigen Sparren in ein wunderbares rötlich goldenes Licht. Breslau war so schön wie eine Stadt aus Tausendundeiner Nacht. Die Gesellen waren schon zur Stelle, und der erste Axthieb des Poliers war das Signal, mit der Arbeit zu beginnen. Borsig wurde angewiesen, einen Balken, der aufgrund eines Rechenfehlers um einiges zu kurz angeliefert worden war, mit ein paar Kunstkniffen zu verlängern, aber so, dass das Anstückeln dem Bauherrn nicht auffallen würde. Er krempelte die Ärmel hoch und beeilte sich, der Weisung nachzukommen.
Die Arbeit machte ihm Spaß, und er liebte es, mit eigenen Händen etwas zu schaffen, das nützlich war und Bestand hatte. Das war eine Erlösung von den Qualen, stundenlang still in der engen Schulbank zu sitzen und nichts zu erschaffen, was man anfassen konnte – einerseits. Andererseits aber war ein Tag wie der andere, und alles drehte sich irgendwie im Leeren. Dazu kam, dass er immer das tun musste, was andere von ihm verlangten, der Polier ebenso wie Ihle.
»Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, sagte der Vater, als er ihm von seinen Bedrückungen berichtete. »Aber wer immer strebend sich bemüht, der kann es wohl schaffen, selbst einmal ein Herr zu werden.«
Ein wenig Abwechslung brachten die Bauherren, wenn sie mit besorgter Miene, unbeholfen und ängstlich die Leitern hochkletterten, um zu sehen, ob alles auch vorankam.
»Sagen Sie, Meister, mein Haus bekommt doch noch vor dem Winter sein Dach?«
»Aber ja!«, wurde ihm von Ihle versichert, und der Meister trieb seine Leute mit lauten Zurufen an, noch schneller zu arbeiten.
Nicht, dass die beiden Gesellen besonders derbe Menschen waren – aber das meiste, was sie miteinander besprachen, drehte sich um das andere Geschlecht. Mit welchem Mädchen sie gerade angebandelt hatten, welche Frau zu haben war und bei welcher sie garantiert auf Granit bissen. August Borsig hatte diesem Thema bisher wenig Beachtung geschenkt, denn wie junge Mädchen an sich waren – zwar hübsch anzusehen, aber immer schnippisch und zickig –, das wusste er von seiner Schwester Susanne, und seine Neugierde hielt sich in Grenzen. Wie Frauen »untenherum« gebaut waren, konnte er sich vorstellen, denn er hatte seine jüngeren Schwestern oft genug in den Badezuber steigen sehen, doch wie eine erwachsene Frau nackt aussah, das wusste er nicht. Sah er hübsche Mädchen oder Frauen auf der Straße, suchte er sich immer vorzustellen, wie sie denn ohne Rock und Mieder aussehen würden. So auch bei Henriette, der vielleicht achtzehnjährigen Tochter des Drechslers in der Gabitzstraße, die er von seiner Baustelle aus jeden Tag beobachtete. Der Mann war Ackerbürger und hielt sich Kuh und Schwein, so dass es für die Schöne immer etwas zu tun gab.
Eines Morgens nun war er als Erster oben auf dem Dach und nutzte die Gelegenheit, die Spanten des halbfertigen Dachstuhls nach oben zu klettern, um einen Blick in ihre Kammer erhaschen zu können. Aber es sollte noch viel, viel besser kommen, denn im Innenhof stand eine Wasserpumpe … Und zu der ging nun Henriette – und zwar splitterfasernackt …
August beugte sich weit nach vorn … zu weit. Seine wild rudernden Hände fanden keinen Halt mehr, er stürzte in die Tiefe.
Im Fallen hörte er noch die Wahrsagerin murmeln: »Mit einem Schlag kann alles aus sein.«
Am 21. Juli 1819 schuf Friedrich Wilhelm III. per Kabinettsorder ein Amt, das mit seiner Arbeit das Gewerbe und vor allem die Industrie in Preußen aufblühen lassen sollte: die Technische Deputation für Gewerbe. Sie ging zurück auf eine Initiative von Christian Peter Wilhelm Beuth und sollte sein Instrument werden, Preußen voranzubringen und den Rückstand, den man England gegenüber hatte, wirksam zu verringern.
Beuth war am 28. Dezember 1781 in Kleve zur Welt gekommen, der Stadt am Niederrhein, die seit 1815 wieder zu Preußen gehörte. Als Sohn eines Arztes hatte er beste Bedingungen für eine große Karriere, begann 1798 an der Universität Halle/Saale ein Studium der Rechte und Kameralwissenschaften, um 1801 in den preußischen Staatsdienst einzutreten. 1806 wurde er Assessor in Bayreuth, 1809 Regierungsrath in Potsdam und 1810 Geheimer Obersteuerrath im Finanzministerium zu Berlin. Als es dann darum ging, die französische Fremdherrschaft abzuschütteln, war er ins Lützow’sche Freikorps eingetreten – eine bessere Adresse gab es nicht – und als Reiter durch Deutschland, Belgien und Frankreich gezogen. Eine feindliche Kugel hatte ihn niedergeworfen, doch er hatte überlebt und war mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet worden. Als sich Preußen daranmachte, Lehren aus der Niederlage gegen Napoleon zu ziehen und das Land zu modernisieren, saß er im Büro des Staatskanzlers Karl August von Hardenberg und war Mitglied der Commission für die Steuerreform und für die Reform des Gewerbewesens.
Nun war er, ewig ruhelos, Director der Technischen Deputation für Gewerbe geworden und streifte täglich in seinem altväterlichen blauen Überrock und mit der Soldatenmütze des alten Freiheitskämpfers auf dem Kopf durch die Berliner Straßen, um sich selbst ein Bild davon zu machen, was in den Werkstätten der Residenz geschah. Es reichte ihm nicht, in der Kanzlei zu sitzen und etwas anzuordnen, er musste mit den Männern reden, die an den Ambossen und Werkbänken standen. Wen er für wichtig hielt, den lud er in seine Wohnung in der Klosterstraße ein. Zu diesem Zweck führte er immer kleine Kärtchen bei sich: Wenn ein Mittagessen im Überrock und ohne Ansprüche Ihnen recht ist, so bitte ich Sie, sich am Sonntag, dem … gegen zwei Uhr bei mir einzufinden.
Einer dieser Gäste war auch Franz Anton Egells, geboren am 25. August 1788 im westfälischen Rheine und von Hause aus Kupferschmied. Nachdem sein Versuch, im westfälischen Gravenhorst Dampfmaschinen zu bauen, gescheitert war, war er nach Berlin gekommen und hatte in der Königlich Preußischen Eisengießerei zu Berlin, die im Winkel zwischen Panke und Invalidenstraße gelegen war, als Abteilungsleiter gearbeitet und den Guss von Denkmälern und anderen Kunstwerken überwacht. Er sah sich immer als Mechaniskus und schaffte es, mit der Verbesserung einer Druckluftwaffe, einer sogenannten Windbüchse, Beuth auf sich aufmerksam zu machen. Der hatte ihn dann nach England geschickt, um sich in den englischen Maschinenbau-Anstalten umzusehen. Die waren damals der Nabel der industriellen Welt, und Beuth hatte bei dieser frühen Form der Industriespionage keine Skrupel, hing er doch auch der allgemeinen Maxime an, dass man mit den Augen stehlen dürfe.
Nun war Egells zurück und erstattete Bericht. Was das Gießen von Eisen betraf, da habe man den Engländern gegenüber schon beträchtlich aufgeholt, aber im Hinblick auf die Lokomotiven hinke man ihnen noch erheblich hinterher.
»Schon 1813 hat ein gewisser William Hedley seine Puffing Billy für die Wylam-Zeche konstruiert, und die hat sich so gut bewährt, dass man mittlerweile schon mehrere Lokomotiven dieses Typs gebaut hat. Angeblich soll es schon 1804 eine funktionstüchtige Lokomotive gegeben haben, die war aber zu schwer für die gusseisernen Schienen einer Pferdebahn. Im Augenblick redet alles von George Stephenson, der ausgezeichnete Lokomotiven für die Kohlengruben bei Darlington gebaut hat.«
»Ach ja!« Beuth stieß einen tiefen Seufzer aus. »Während wir gerade mal gelernt haben, vernünftige Dampfmaschinen zu bauen, haben die Engländer längst Dampfmaschinen auf Schienen gesetzt. Und mit diesen Lokomotiven und den vielen angehängten Loren können sie im Handumdrehen ihre Waren an die Küste transportieren und dort auf ihre Dampfschiffe laden, um die Welt mit ihren Produkten zu überschwemmen.« Er richtete die Augen gen Himmel. »Der Herr schenke uns ein Genie, damit wir ihren Vorsprung endlich aufholen können!«
»Wir können das Rad nicht neu erfinden – uns bleibt derzeit nichts anderes übrig, als das englische Rad zu kopieren.«
Beuth stöhnte auf, und Egells tat es ihm nach, denn beide wussten, dass das Kopieren englischer Maschinen auch schiefgehen konnte. So hatte das Brandenburgische Oberbergamt 1814 zwei seiner Beamten, den Oberbergrath Ernst Philipp Ferdinand Eckardt und Johann Friedrich Krigar, den Hütteninspector der Königlich Preußischen Eisengießerei zu Berlin, nach England geschickt, um die dort in Betrieb befindlichen Lokomotiven zu studieren. Sie waren ein Jahr später nach Berlin zurückgekehrt und hatten Pläne des Lokomotivbauers John Blenkinsop mitgebracht. Dabei handelte es sich um eine Zahnradmaschine, da man der Meinung war, der Adhäsionsantrieb sei unzureichend. Die Zahnschiene war nicht zwischen den Gleisen angebracht, sondern neben ihnen. Auf dem Gelände an der Panke entstand nun in den Jahren 1815 und 1816 unter der Leitung Krigars die erste Lokomotive des Blenkinsop-Typs, wenn auch etwas kleiner. Obwohl dieser erste Dampfwagen, wie man in Preußen sagte, in der Minute lediglich fünfzig Meter zurücklegen konnte und nur wenig Zugkraft hatte, wurde er wieder zerlegt und – in fünfzehn Kisten verpackt – auf dem Wasserwege nach Königshütte gebracht, um die Kohlezüge des Bergwerks »Königsgrube« zu ziehen. Leider musste man an Ort und Stelle erkennen, dass die Spurweite der Lokomotive nicht der des vorhandenen Schienenstrangs entsprach und außerdem Kessel und Zylinder nicht dicht waren …
Nach diesem Fiasko war in Berlin eine zweite Lokomotive gebaut und auf dem Seeweg über Amsterdam ins Saarrevier transportiert worden. Am 5. Februar 1819 war sie in Geislautern eingetroffen, um auf einer 2,5 Kilometer langen Versuchsstrecke, dem Friederiken-Schienenweg, ausprobiert zu werden.
»Wir müssen unbedingt nach Geislautern, um zu retten, was zu retten ist«, sagte Beuth.
»Sehr wohl«, sagte Egells und überschlug im Kopf, wie weit es von Berlin nach Völklingen sein würde, der ersten größeren Stadt in der Nähe der Versuchsstrecke. »Ich schätze, bis dahin sind es ungefähr hundert Meilen, und da unsere Postkutschen nur wenig mehr als eine Meile in der Stunde schaffen, werden wir eine ganze Weile unterwegs sein.«
»Dennoch, was sein muss, muss sein.«
Sie machten sich also auf den Weg, doch als sie in Geislautern ankamen, mussten sie feststellen, dass es nicht gelang, die Maschine überhaupt in Bewegung zu setzen. Weder in der ersten noch in der zweiten oder der dritten Woche.
Auf dem Lehrplan standen Zeichnen und Perspektive, Kenntnisse in Grundriss und Aufriss, Planen und Entwerfen und Blick für die Bauten des Altertums und seiner Zeit. Den Schülern der Königlichen Provinzial-Kunst- und Bauhandwerksschule in Breslau wurde also einiges abverlangt, zumal sie gleichzeitig auch bei ihrem Lehrherrn die praktische Arbeit zu verrichten hatten – wobei allerdings der Unterricht in der Hauptsache in den Monaten stattfand, in denen auf den Baustellen nicht viel zu tun war. Langsam gewöhnten sich die kräftigen Handwerkerhände daran, mit dem Bleistift feine Linien auf das gelbliche Papier des Zeichenheftes zu ziehen und zu begreifen, dass die Rechtecke und Quadrate, die man zeichnete, Zimmer und Stuben meinten und sich am Ende zu einem Haus summierten. Aus dem Grundriss wuchs das Werk nach oben, ganz wie in der Wirklichkeit – nur viel schneller und müheloser. Es musste radiert werden, um Türen und Fenstern ihren Platz zuzuweisen.
»Borsig, was du da an Sparren und Pfetten zum Dachstuhl auftürmst, das passt auf den Turmbau zu Babel, aber nicht auf das Wohnhaus eines reich gewordenen Oderschiffers!«, rief Bauinspector Hirt, als er einen Blick auf Augusts Zeichenblatt geworfen hatte. »Und deine Schlangenlinien sind ja fürchterlich!«
Dass August Borsig nur mit Mühe eine gerade Linie zeichnen konnte, lag an seinen immer noch schmerzenden Handgelenken. Die hatte er sich beim Sturz vom Dach verstaucht. Es hätte aber noch alles viel übler ausgehen können, wenn er nicht in einen Misthaufen gefallen wäre. Henriette war zwar schreiend ins Haus gelaufen, als er dicht neben ihr gelandet war, Ihles Gesellen hatten aber schnell mitbekommen, weshalb er in die Tiefe gestürzt war, und hatten nun etwas zum Lästern. Es sei schon etwas ganz Besonderes, mit seiner Liebsten nicht ins Heu oder ins Bett zu gehen, sondern in einen Misthaufen. Harmlos war noch der Reim: Liegt unser August drin im Mist,/ändert sich’s Wetter, oder es bleibt, wie es ist. Nun, er nahm es mit Humor, hätte sich aber doch lieber als tapferen Helden gesehen anstatt als dummen August.
Das Planen und Entwerfen biederer rechteckiger Bürgerhäuser begann ihn bald zu langweilen, und er hätte die Königliche Handwerkerschule verflucht, wenn die Lehrer nicht einen Hang zum Höheren gehabt hätten und das ernst nahmen, was die Buchstaben über dem Eingang verkündeten, nämlich dass hier auch Kunst vermittelt werde. So legte man den Schülern Zeichnungen der griechischen und italienischen Altertümer vor und brachte sie dahin, die Feinheiten einer kannelierten Säule in all ihren Licht- und Schattenwirkungen zu verstehen. Und man machte auch Exkursionen zu den herausragenden Bauwerken Breslaus.
»Obwohl er 1732 in Landeshut geboren worden ist, möchte ich auch Carl Gotthard Langhans zu den Breslauer Künstlern rechnen«, erklärte Hirt. »Warum? Weil er ab 1782 mit seiner Familie das schwiegerelterliche Haus in der Albrechtstraße 18 bewohnt hat und am 1. Oktober 1808 in Grüneiche bei Breslau gestorben ist.« Er blickte in die Klasse. »Und was ist sein berühmtestes Bauwerk?«
Nur einer hob den Arm.
»Ja, Borsig …«
»Das Brandenburger Thor in Berlin.«
»Richtig, sehr gut. Und sein Sohn Carl Ferdinand, hier bei uns in Breslau geboren am 14. Januar 1782, tritt nun in die Fußstapfen seines berühmten Vaters.«
Man zog durch die Stadt, um sich alles anzusehen, was es an architektonischen Prachtstücken gab – angefangen bei der gotischen Sandkirche, die zwischen 1334 und 1440 entstanden war, bis zur Universität und dem Königsschloss aus dem Rokoko –, und hörte sich die Erläuterungen des Lehrers an.
»Wozu brauchen wir ’n das alles?«, fragte leicht maulend ein Klassenkamerad, dem schon bald die Füße weh taten.
Bei Meister Ihle hatte ein Zimmermann angeheuert, Georg Guttentag, der in seinen Wanderjahren auch durch England gezogen war, und als der Polier in der Frühstückspause erzählte, wie sich der Dampfwagen der Königlichen Eisengießerei in Geislautern keinen Fingerbreit von der Stelle bewegt hatte, da lachte er nur.