Kitabı oku: «Mach dir Umsatz auf!», sayfa 4

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Kapitel 2
Den Turnaround bewältigen

Freitag, 3. Januar 2003. Ein Morgen wie jeder andere. Tom, Verkaufsleiter Nordwest, öffnete die Tür zu seinem Büro, stellte seinen Rucksack neben den Schreibtisch, zog die rote Daunenjacke aus und hängte sie an den Garderobenhaken neben der Tür. Dann schaltete er den Computer ein, ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen und putzte seine Brille. Als der Rechner hochgefahren war, öffnete Tom wie jeden Morgen das Programm, das ihm die Verkaufszahlen des Vortages anzeigte. Fieberkurve – so nannten sie die Ansicht, die über ihr aller Schicksal entschied. Sie hatten sich längst daran gewöhnt, dass diese Kurve ziemlich berechenbar war und übers Jahr gesehen angenehm nach oben zeigte. Für den ersten Werktag des Jahres war zwar kein Verkaufsrekord zu erwarten, aber solider Absatz. Tom schaute auf den Bildschirm wie ein Flugkapitän, der kurz die Instrumente checkt, während der Autopilot seine Arbeit macht.

Schlagartig war er hellwach.

Was war das denn? Die Verkaufskurve für den 2. Januar war abgeschmiert wie eine Tontaube nach einem Volltreffer. Für zehn Sekunden starrte Tom nur ungläubig auf den Bildschirm. So eine tiefe Delle hatte er noch nie gesehen, seit er sich vor zehn Jahren das erste Mal an einen Schreibtisch bei der Firma Fichthoff gesetzt hatte.

Tom griff zum Telefonhörer und wählte eine Nummer eines Kollegen. Mark ging sofort ran.

»Ich hab’s schon gesehen«, sagte Mark zur Begrüßung.

»Wir treffen uns gleich alle im Meetingraum 2«, antwortete Tom und knallte den Hörer auf.

Am Abend hatten sich die Wogen wieder etwas geglättet. Tom und seine Kollegen hatten die Zahlen immer wieder durchgekaut und sie sich schließlich schöngeredet wie eine Familie das schlechte Wetter im Urlaub, von dem sie sich nicht die gute Laune verderben lassen will. Alles schien doch gut erklärbar: War da nicht dieses Blitzeis gestern in Niedersachsen? Da lässt der Papa doch den Kombi lieber mal in der Garage. Und lag nicht sogar in den Mittelgebirgen schon Schnee? Da waren bestimmt einige spontan zum Skilaufen gefahren. Eigentlich doch kein Ding, dass die Fieberkurve mal kurz eingebrochen war. Dennoch hatten sie vereinbart, dass sie am nächsten Arbeitstag, dem Montag, die aktuellen Verkaufszahlen sofort gemeinsam anschauen und analysieren wollten.

Als Tom dann am Montag wieder ins Büro kam, hatte er kein gutes Gefühl. Vielleicht war das mit dem Blitzeis in Stadthagen und dem Schnee am Kahlen Asten ja doch keine so schlüssige Theorie gewesen. Deshalb warf er nur kurz die Jacke an den Haken und den Rucksack auf den Schreibtisch und ging direkt in den Meetingraum, obwohl er zu früh dran war. Den anderen war es wohl ähnlich gegangen – denn Tom war der letzte der Verkaufsleiter, der den Raum betrat. Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Es herrschte Stille wie bei einer Gedenkminute. Keiner drehte sich zu ihm um. Alle starrten auf die an die Wand projizierte Fieberkurve. Einer seiner Kollegen musste sie gerade aufgerufen haben.

Und dann brach der Tumult los.

»So eine Scheiße, schaut euch das an!«

»Was machen wir denn jetzt?«

»Da kann doch irgendwas nicht stimmen!«

»Wenn das Atlanta sieht!«

Alle redeten gleichzeitig.

Tom war sofort klar, was jetzt in den nächsten Tagen auf sie zukommen würde. »Checkst du mal bitte, was die Flächen machen?«, sagte er zu Mark, der direkt neben ihm stand. Der nickte und verließ den Raum.

Zehn Minuten später kam Mark wieder. Mittlerweile saßen die anwesenden Verkaufsleiter und ihre Teams am großen Besprechungstisch.

Mark atmete flach. Seine Stimme klang gepresst: »In den großen Supermärkten sind unsere Regalflächen leer. Habt ihr verstanden? Leer! Wir sind raus, wir existieren nicht mehr! Keine einzige Dose haben die mehr drin gelassen. Weil sie nämlich seit dem 2. Januar fast nix mehr verkauft haben. Wahrscheinlich räumen sie heute noch Klopapier rein oder Katzenstreu. Und wisst ihr, was die gesagt haben? Sie haben gesagt, sie müssten schließlich Umsatz machen. Unsere Getränkedosen sind seit letzter Woche Regalblei.«

Denn sie sahen nicht, was auf sie zukam

Was in jenen Januartagen in den deutschen Coca-Cola-Unternehmen geschah, war erst der Anfang. Sie verloren damals Absatz in Höhe des Gesamtabsatzes der Krombacher Brauerei. Die deutschen Coca-Cola-Unternehmen mussten aber nicht nur Umsatzeinbußen hinnehmen: Sie verloren auch massiv Regalflächen in den Verbrauchermärkten – so viele, dass die Verluste bis heute noch nicht vollständig kompensiert sind.

Das wirft zwei Fragen auf. Die erste: Wie konnte das passieren – quasi über Nacht? Und die zweite: Wie ist Coca-Cola in Deutschland nach diesem Alptraum wieder in die Spur gekommen?

Viele Antworten auf die zweite Frage bekommen Sie in den Kapiteln 2 bis 5 dieses Buches.

Und die Antwort auf die erste Frage? Die lässt sich in einem Wort geben: Dosenpfand. Am 1. Januar 2003 wurde in Deutschland das Pfand auf Einwegverpackungen eingeführt.

Wie bitte? Das soll die deutsche Coca-Cola-Organisation derart aus der Bahn geworfen haben, dass sie 30 Prozent Umsatzeinbuße hinnehmen musste?

Ja, genau.

Die Verbraucher sollten 25 Cent Pfand für jede Dose Cola zahlen – und weigerten sich einfach, weiter Dosen zu kaufen.

Hatte das niemand kommen sehen? Kein einziger der Profis, die dort arbeiteten und sich seit Jahrzehnten im deutschen Getränkemarkt auskannten wie ein Löwe in seinem Jagdrevier?

Nein, niemand.

Alle hatten gedacht, dass die Deutschen das Pfandsystem ja grundsätzlich gewohnt seien und sich an dem neuen Pfand nicht stören würden.

Es kam anders.

Wir geben zu: Die Blindheit ist von außen schwer nachzuvollziehen. Ein Blick auf die damalige Situation der deutschen Coca-Cola-Organisation macht jedoch schnell deutlich, woran das lag – im letzten Kapitel haben wir dieses Thema schon angerissen:

Anfang der 1990er-Jahre bestand das deutsche Coca-Cola-System aus ungefähr 60 selbstständigen Unternehmen, die das Recht hatten, Coca-Cola zu produzieren und zu verkaufen. Es waren meist Familienunternehmen, alteingesessen und mit den jeweiligen Regionen tief verwurzelt. Viele betrieben neben der Coca-Cola-Konzession weitere Geschäftsfelder wie Kornbrennereien oder Getränkegroßhandel. Es war ein nicht einheitlicher Verbund von Unternehmern. Insgesamt herrschte hier viel Unruhe – was wie eine heile Welt ausgesehen hatte, war alles andere als das. Irgendwann wurde das der Konzernzentrale in Atlanta zu bunt. Die Amerikaner gaben die Order aus: Ihr müsst euch konsolidieren.

Hinzu kam, dass sich zu dieser Zeit auch der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland stärker zusammenschloss – Edeka und die Rewe-Gruppe intensivierten ihre Zusammenarbeit. Da brauchte es auch für das deutsche Coca-Cola-System eine starke Organisation, die mit dem Handel passende Vereinbarungen treffen und einheitliche Preise und Logistikstandards schaffen konnte. Atlanta machte den deutschen Coca-Cola-Unternehmen entsprechend Druck.

Als 1997 dann die erste große deutsche Gesellschaft gegründet wurde, die Coca-Cola Erfrischungsgetränke GmbH, kam ans Tageslicht, wie sehr die Konzessionäre sich gegen die neue Organisationsform wehrten. Die Abschaffung des Konzessionärssystems war aufreibend und dauerte entsprechend lange: Diese Gesellschaft bestritt anfänglich ein Viertel bis ein Drittel des deutschen Geschäfts und weitete es stetig aus – aber erst etliche Jahre später hatte auch der letzte freie Konzessionär seinen Anteil verkauft. Der Großkonzern war geschaffen – aber das war wie gesagt erst 2007.

Manager mit Tunnelblick

2003, als das Einwegpfand kam, waren ungefähr 50 Prozent des Geschäfts in der Hand der Coca-Cola Erfrischungsgetränke GmbH. Die anderen 50 Prozent hielten nach wie vor die freien Konzessionäre. Die Umbau- und Konsolidierungsarbeiten waren noch in vollem Gang. Ständig gab es Meetings und Strategietage. Neue Organigramme hier, Aufregung da. Diese komische Idee mit dem Einwegpfand fiel dabei irgendwie unter den Tisch. Kein Mensch dachte bei Coca-Cola in Deutschland darüber nach, was alles passieren könnte, wenn das 2002 beschlossene Gesetz am 1. Januar 2003 in Kraft treten würde. Ein Worst-Case-Szenario – »Das Einwegpfand kommt – was ist, wenn deswegen keiner mehr Dosen kauft?« – gab es schlichtweg nicht. Auch keine Risikoanalysen und keine Handlungsstrategien. Wir bei Coca-Cola dachten alle, der unaufhaltsame Aufstieg von Coca-Cola ginge ewig so weiter. Wir waren ein erfolgsverwöhntes Unternehmen. Niemand von uns hatte jemals die Erfahrung gemacht, dass ein großer Teil unseres Absatzes von heute auf morgen wegbrechen würde. Unsere Manager exekutierten mit ihrem typischen Tunnelblick einen ganz speziellen Auftrag aus Atlanta und hatten für alles andere keine Augen mehr.

Wir machten also effizient unseren Job, indem wir unsere interne Konsolidierung konsequent vorantrieben. Aber effektiv waren wir dabei nicht. Denn das hätte bedeutet, dass wir rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und uns um die Auswirkungen des Einwegpfands gekümmert hätten. Aber weil unser Auftrag aus Atlanta lautete: »Bringt die Deutschen unter ein Dach!«, hatten wir den Kopf für nichts anderes frei. Schon gar nicht für so eine abstruse Idee, dass ein Einwegpfand eingeführt werden könnte.

Als das Gesetz dann tatsächlich in Kraft trat, waren wir von den Auswirkungen so überrascht wie ein Kaninchen, das hinter sich auf einmal eine Schlange entdeckt. Wir hatten offensichtlich völlig unterschätzt, wie schwer sich die schon seit den 1960er-Jahren an das Mehrwegpfand gewöhnten deutschen Verbraucher mit dem deutlich teureren Einwegpfand tun würden. 15 oder 25 Cent – was macht das schon für einen Unterschied? So dachten wir – und lagen falsch. Hinzu kam: Die Rücknahmesysteme des Handels steckten noch in den Kinderschuhen und funktionierten kaum irgendwo. Die Verbraucher konnten Dosen und andere Einwegverpackungen nicht unkompliziert zurückgeben. Supermärkte waren überhaupt nicht darauf eingerichtet – denn auch sie hatten bis zuletzt den Kopf in den Sand gesteckt und darauf gehofft, dass dieser Kelch irgendwie an ihnen vorübergehen würde.

Eine Welt bricht zusammen

Das deutsche Coca-Cola-System schlitterte 2003 in den größten Umsatzeinbruch seiner Geschichte. Innerhalb weniger Tage brach unsere Welt zusammen. Dank unserer täglich aufbereiteten und verfügbaren Zahlen – die deutschen Coca-Cola-Unternehmen erhoben schon damals gefühlt mehr Zahlen als das Pentagon – konnten wir den Umsatzeinbruch direkt nachvollziehen. Am ersten Tag machten wir uns damals noch keine großen Sorgen. Aber nach drei, vier Tagen ging es rund. Denn in den Supermärkten waren die Regale geräumt, in denen sonst unsere Einweggetränke standen. Dazu muss man wissen, dass es für Getränkehersteller am meisten zählt, Regalflächen zu belegen – und damit die Möglichkeit, die eigenen Produkte an den Kunden zu bringen. Wenn die Kunden diese Produkte aber nicht kaufen, dann räumt der Supermarkt diese Regalflächen frei, um Platz zu schaffen für Produkte, die die Kunden tatsächlich auch kaufen. Der Absatz ist der gnadenlose Diktator im Handel.

In Nachhinein betrachtet, war selbst das noch nicht so schlimm. Viel schlimmer war: Selbst als die Krise da war, erkannten wir ihre Tragweite nicht. Wir machten uns zwar Gedanken, aber keine wirklich tiefen. Uns ging es nur darum, wie wir die Absatzlücken wieder schließen konnten. Sprich: Wir dokterten an den Symptomen herum. Denn natürlich saßen uns unsere Verkäufer und auch unsere Fahrer im Nacken. Die Verkäufer bekamen am Ende eines Monats eine verkaufsabhängige Provision – und ihnen war spätestens am 10. Januar klar, dass sie für das gesamte Jahr 2003 keine Prämie mehr bekommen würden, wenn nicht ganz schnell etwas geschah. Die Panik unserer Fahrer reichte noch um einiges weiter: Sie wurden zu einem hohen Teil nach ausgeliefertem Volumen bezahlt – und fürchteten nun, aufgrund der aktuellen Entwicklung ihre Jobs gleich ganz zu verlieren. Bestimmt können Sie sich vorstellen, dass der damalige Bundesumweltminister keinen guten Stand bei unseren Mitarbeitern hatte. Gefühlt hatte er unseren Verkäufern mit der Einführung des Einwegpfands ihre Prämie weggenommen, und außerdem bedrohte er ganz akut die Existenz der Fahrer.

Viel Aktionismus, wenig Ergebnis

Zurück zum Jahr 2003. Was sollten wir tun? Damit wir die leeren Flächen in den Supermärkten wieder füllen konnten, mussten wir schnell handeln. Wir brachten innerhalb kürzester Zeit die 0,5-Liter-PET-Mehrwegflasche in den Handel. Die verkaufte sich auch in den Hauptmärkten gut, wo sonst nur die Einwegware stand. Hauptmärkte, das ist in den Supermärkten der Bereich, in dem die Lebensmittel verkauft werden. Die Getränkeabteilung ist meistens separiert, hat einen eigenen Eingang und eine eigene Kasse. Dies hat oft planungsrechtliche Gründe: Wird beim Bau eines Supermarktes eine bestimmte Fläche überschritten, wird er als großflächiger (Einzel-)Handelsbetrieb eingestuft und muss andere Standort-Auflagen erfüllen beziehungsweise die Betreiber müssen nachweisen, dass die Größe des Marktes kein städtebauliches Problem darstellt. Wird der Getränkemarkt getrennt angelegt und genehmigt, dann ist die Größenbeschränkung leichter einzuhalten. In der Realität stellt sich die Situation oft so dar, dass in den Getränkemärkten meist Getränke in Mehrwegbehältern verkauft werden und im Hauptmarkt die Einwegware. Oft wird aber auch gar nicht so streng unterschieden – in den Hauptmärkten können die Kunden dann ebenfalls Mehrwegware kaufen, genauso wie es in den Getränkemärkten Einwegware gibt.

Wir kompensierten also unsere Umsatzeinbrüche bei den Einwegbehältnissen, indem wir die neue 0,5-Liter-PET-Mehrwegflaschen Coca-Cola in den Hauptmärkten platzierten. Zusätzlich stellten wir Kühlschränke auf, in denen diese Flaschen immer gut gekühlt auf die Käufer warteten. Wir platzierten aber auch andere Produkte aus unserem Haus in den Hauptmärkten der Supermärkte – wie beispielsweise Sports Aquarius oder Powerade. Dies riss das Ruder jedoch nicht in dem Maß herum, wie wir uns das vorgestellt hatten. Alle diese Maßnahmen waren eher kosmetischer Natur. Unter dem Strich bleibt die bittere Erkenntnis: Wir verloren in dieser Zeit Regalflächen in den Supermärkten, die wir zum Teil bis heute nicht wiedergewonnen haben.

Nach und nach erkannten wir, dass es keinen einfachen und schnellen Weg gab, diese Krise zu bewältigen – von der wir damals noch gar nicht ahnen konnten, wie lange sie uns in Atem halten würde. Was wir dagegen spürten, war zunächst einmal Ratlosigkeit. Und irgendwann in dieser Zeit fühlten wir es auch: Entweder wir gehen unter oder wir müssen uns umfassend verändern. Einen bequemen Weg dazwischen würde es für uns nicht geben.


Wenn wir heute über diese Tage im Januar 2003 sprechen und über den Wandel, der damals massiv von außen angestoßen wurde, dann fallen uns erneut die Parallelen zur Digitalisierung auf: Auch hier gibt es eine Entwicklung, die viele Unternehmen quasi über Nacht von hinten links erwischt und aus dem Markt fegt.

Und auch hier reagieren viele Unternehmen, indem sie erst einmal den Kopf in den Sand stecken und alle anderen, vor allem die böse Welt da draußen, für schuldig erklären. Auf der Mitarbeiter-Ebene sieht es nicht viel anders aus. Auch dort herrscht neben der Angst die Haltung: »Bloß nicht auffallen – sonst merken sie, dass sie mich eigentlich gar nicht mehr brauchen und meinen Job eigentlich ein Roboter machen kann.«

Auf der Managementebene zeigt sich auch im Zeitalter der Digitalisierung in vielen Unternehmen dasselbe Phänomen wie bei uns damals: effizientes Agieren, das aber alles andere als effektiv ist. Da bekommen die Manager den Auftrag, Mitarbeiter zu entlassen, um Kosten zu reduzieren – dies sorgt jedoch allerhöchstens für kurzfristige Entlastung. Denn in derselben Zeit, die diese Unternehmen brauchen, um zwar effizient, aber höchst kurzsichtig ein letztlich irrelevantes Loch zu stopfen, werden sie von FinTechs und anderen innovativen Start-ups überholt. Und laufen damit in dieselbe Falle, in die wir damals getappt sind, weil wir mit unserer Neustrukturierung so intensiv beschäftigt waren, dass wir die Rahmenbedingungen unseres Geschäfts komplett ignorierten.

»Balance of Power« zwischen Atlanta und Berlin

Es war diese ganz besondere Zeit des Jahres. Tom machte sich an einem kalten Wintermorgen im Januar 2004 bereit, um in die Zentrale nach Berlin zu reisen. Er war spät dran, deshalb biss er nur schnell in ein halbes Brötchen und spülte den Bissen mit dem noch viel zu heißen Kaffee hinunter, den seine Frau für ihn gekocht hatte. Er hatte am Vortag bis zum späten Abend mit seinem Team zusammengesessen und die Gedanken an die heutige Sitzung mit den anderen Vertriebsleitern weit weggeschoben. Doch später, auf der Autobahn, holte ihn das alles wieder ein. Als die A2, wie so oft, hinter Magdeburg leerer wurde und er auf der linken Spur endlich Tempo machen konnte, sah er innerlich Bilder aufflackern wie Schilder am Fahrbahnrand: Er würde bei einer Coke und zuckrigen Keksen gemeinsam mit den anderen Vertriebsleitern im Konferenzraum sitzen und die aktuellen Zahlen wälzen. Auch in den vergangenen Jahren war es immer wieder eine heikle Angelegenheit gewesen, sich die Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Auswertungen anzuschauen; in diesem Jahr aber würde es sich um eine echte Herausforderung handeln. Er sah die Mienen der anderen schon ganz genau, kannte ihre Blicke, wenn mal nicht alles bombig lief. Noch hatte er die genauen Zahlen nicht – aber sie mussten ja den Umsatzeinbruch zu Beginn des vergangenen Jahres widerspiegeln. Tom sah ratlose, gestresste, nachdenkliche Gesichter vor sich. Lange würde Atlanta sich das nicht mehr mit anschauen, das musste ihnen allen klar sein.

In Berlin angekommen, freute sich Tom erst einmal, die Kollegen wiederzusehen. Er spürte jedoch sofort, dass den anderen ähnlich mulmig war wie ihm: Es gab weder die üblichen Scherze noch den gewohnten Austausch über die spannendsten Flurfunkgerüchte. Sie wechselten sofort vom Foyer der Zentrale in den ihnen zugewiesenen Meetingraum und legten los.

Uli hieß der Kollege, der ihnen die Zahlen präsentierte. »Es sieht nicht gut aus«, sagte er, als er die ersten Zahlenkolonnen an die Wand projizierte. »Gar nicht gut.« Er sprach mit ruhiger Stimme, schaute über den Rand seiner Brille hinweg immer wieder in die Runde, verzog aber ansonsten keine Miene. Das änderte sich auch in den nächsten beiden Stunden nicht, in denen er die gesamte betriebswirtschaftliche Auswertung des vergangenen Jahres vorstellte, die ihm der Leiter des Controllings ein paar Tage zuvor geschickt hatte.

Als er fertig war, herrschte Schweigen. Keiner sagte etwas. So lange, bis Frank Luft holte. Er war Vertriebsleiter der Region Süd. »Ist das denn wirklich so wild?«, fragte er. »Uns steht doch sicherlich eine gewisse Beteiligung aus Atlanta zu. Oder?«

»Ja, vielleicht«, sagte Tom. »Aber in diesem Jahr ist etwas anders. Wir haben kein Umsatzwachstum wie sonst. Sondern massive Umsatzeinbrüche. 30 Prozent! Da wird Atlanta nicht so gut darauf zu sprechen sein. Deshalb rechnet mal lieber mit kräftigem Gegenwind. Atlanta wird Forderungen an uns stellen, die sich gewaschen haben. Und wisst ihr mit was? Mit Recht!«

Wenn die Mutter die Suppe auslöffelt, die sich die Tochter eingebrockt hat

Wie alle Storys in diesem Buch, so ist auch diese Szene in Berlin in ihren Details fiktiv, hat aber einen realistischen Kern. Tatsache ist, dass die Konzernzentrale natürlich einsprang, wenn die Konzessionäre in Deutschland Verluste eingefahren hatten. Es steckte auch eine Business-Philosophie dahinter, die mit erwünschten Kräfteverhältnissen zu tun hatte. Wenn ein Weltkonzern dezentral organisiert ist, wird er letztlich immer darauf achten, dass seine Satelliten kein zu reges Eigenleben entwickeln. Und wenn ein Tochterunternehmen auf dem Papier rote Zahlen schreibt, die dann scheinbar großzügig ausgeglichen werden, obwohl in der Gesamtbetrachtung die Gewinne sprudeln, dann hilft das schon sehr, die Tochter an der kurzen Leine zu halten. Typische Konzernpolitik eben. Gut möglich, dass Sie so etwas kennen, wenn Sie selbst einmal bei einem internationalen Konzern waren oder es noch sind. Leider hatte die spezielle »Balance of Power« zwischen Atlanta und Berlin einen Riesennachteil: Als die Hütte brannte, wusste niemand, wo der Feuerlöscher hing. Je komplizierter das Konstrukt, desto schlechter funktioniert das Frühwarnsystem und desto länger dauert es im Ernstfall, bis mal jemand reagiert. Logisch, oder?

Halten wir also fest: Coca-Cola in Deutschland war erfolgsverwöhnt, es ging ausgesprochen familiär zu, die soziale Absicherung der Mitarbeiter war komfortabel und man war finanziell immer mal wieder abhängig von der Konzernzentrale in den USA. Das alles trug dazu bei, dass Coca-Cola Deutschland sich nur langsam an Veränderungen wagte und fünf Jahre nach der Krise immer noch nicht wieder in die alte Erfolgsspur gekommen war. Außerdem hatte das Selbstbewusstsein in Deutschland kaum gelitten: Coca-Cola war immer noch der größte Limonadenhersteller und größte Lieferant des Handels und der Gastronomie in Deutschland. Selbst der verminderte Umsatz reichte locker aus, um die unangefochtene Nummer eins des deutschen Getränkemarktes zu bleiben. Das minderte den Veränderungsdruck erheblich.

Bis es Atlanta zu bunt wurde, dauerte es noch weitere vier Jahre. Das Fass zum Überlaufen brachte dann ein kleines, unscheinbares weißes Kristall: der Zucker. Gegen Mitte der Nuller Jahre rückten Gesundheitsthemen immer mehr in den Fokus der Konsumenten. Bewusste Ernährung wurde wichtig. Vor allem der Zucker wurde als neuer Feind eines gesunden Lebensstils ausgemacht. Ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt. Der Druck der Konsumenten, der sich in dieser Zeit aufbaute, war jedenfalls hoch. Die deutschen Coca-Cola-Unternehmen mussten sich nun definitiv bewegen, vor allem in den Märkten der hoch entwickelten Industrieländer. Die Tochterunternehmen und die Gesellschaften, die rote Zahlen schrieben, wurden nun auf einmal eine Last. Glücklicherweise begriff die The Coca-Cola Company, dass diese Gesellschaften nicht mehr länger finanzielle Unterstützung brauchten, sondern sich aus eigener Kraft neu aufstellen mussten.

Eine unserer Botschaften für das Management anderer Unternehmen lautet deshalb: Es ist erst einmal sehr bequem, andere – seien es nun Tochtergesellschaften oder Mitarbeiter – an der kurzen Leine zu halten und alles zu tun, um deren Eigenständigkeit zu verhindern. Sicher: So lässt sich zunächst einmal die Macht an oberster Stelle konzentrieren.


Aber ein resilientes Unternehmen, das sich ständig aus eigener Kraft und Einsicht heraus verändern und an neue Gegebenheiten anpassen kann, ist definitiv besser für das Gesamtsystem.

Zumal in den heutigen Zeiten die Geschwindigkeit, mit der ein Unternehmen sich verändern kann, ein absolut entscheidender Erfolgsfaktor ist. Deshalb an dieser Stelle die Frage an Sie, liebe Leserinnen und Leser: Was hält Sie davon ab, zeitnah zu reagieren? Eine kapitalstarke Eigentümerfamilie? Ein scheinbar ewig treuer Kundenstamm?

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