Kitabı oku: «Vom Jakobsweg zum Tierfriedhof», sayfa 4
a) „Irrste Hochzeiten“ – Private Events
Für diejenigen, die noch deutlicher als eingangs beschrieben von der Normalvariante der Hochzeitsfeier abrücken wollen, listete eine große und seriöse deutsche Zeitung vor einiger Zeit „die irrsten Hochzeiten“ auf.72 Einige Spots sollen die Palette der Möglichkeiten umreißen: Virtuell kann man heiraten, wenn man im Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ als „Gnom“ seine „Blutelfe“ findet und man in virtuellen Geschäften Seidenballen für das Hochzeitskleid oder den Smoking ergattert. Im Unterschied zu dieser juristisch wertlosen Gameboy-(oder: Gamegirl-)Hochzeit heiratet es sich 200 Kilometer nördlich des Polarkreises im schwedischen Jukkasjärvi eisig. Dort erbaut man jedes Jahr eine neue Hochzeitskirche aus Eisblöcken und gestaltet sie: Eine Kirche aus Eis, überdacht von einer zehn Meter hohen Kuppel aus Schnee, die auf sechs Meter hohen Pfeilern aus Eis ruht, umschlossen von einem kreisförmigen Säulengang, ein majestätischer Altar ebenfalls aus Eis bildet den spirituellen Mittelpunkt. Einige Reiseagenturen bieten die Hochzeitszeremonie auch mit deutscher Übersetzung des Reiseleiters an. Jedenfalls zahlt man 2799 Euro inklusive Anreise für fünf Übernachtungen, davon eine im angeschlossenen Eishotel, für die Hundeschlittenfahrt und für das Hochzeitsdinner zu zweit, wie eine ergänzende Internet-Präsentation kundtut.73
Schwerelos heiratete im Juni 2009 das erste Paar während eines Parabelfluges. Die beiden, die schon seit Kindertagen Astronauten werden wollten, überstanden zusammen mit der Flugzeugcrew und dem Hochzeitsfotografen 15 Parabeln mit je 30 Sekunden Schwerelosigkeit. Meerestief heiratet man vor Mauritius, wenn sich Paare in einem U-Boot der Klasse „BS 600“ in 30 Meter Tiefe die Treue versprechen. Die Unterwasserfahrt von 40-minütiger Dauer kostet inklusive einer Flasche Champagner und einem Hochzeitsvideo 1100 Euro pro Person ohne An- und Abreise.
Als safari-wild oder besser als „Wildnishochzeit“ muss man die Feier des Treueversprechens im bekanntesten Tierschutzgebiet „Masai Mara National Reserve“ in Kenia charakterisieren. Dort, wo im Vergleich zu anderen kenianischen Nationalparks die größte Dichte an wilden Tieren herrscht, wird für das Brautpaar das Camp um ein Wasserloch errichtet. Gegen Mitternacht kämen die Elefanten, werben die Reiseveranstalter spannungssteigernd. Wörtlich heißt es in einem entsprechenden Internet-Inserat: „Ihr Hochzeitstag – der dritte der insgesamt fünftägigen Reise – ist gekommen. Am dekorierten Ort Ihrer Wahl warten der Bräutigam, der Standesbeamte, die Zeugen und die Gäste auf die Braut, die begleitet durch Masai-Krieger dort eintrifft. Die Hochzeitszeremonie beginnt. Nach dem Unterzeichnen der Heiratsurkunde und dem Segen heben Sie Ihre Gläser für einen Toast und schneiden den Hochzeitskuchen an. Der Standesbeamte überreicht Ihnen dann die Heiratsurkunde. Abhängig vom Zeitpunkt der Hochzeit haben Sie Ihr Hochzeitsmittagessen oder ein Abendessen. Hochzeitsnacht und Vollpension im Little Governors Camp.“74
Obwohl die vorgetragenen Angebote ausdrücklich mit ihrer Unvergleichlichkeit werben und sich diese Exklusivität auch in dem dafür jeweils fälligen Preisniveau widerspiegelt, sei hier dennoch gefragt, ob zwischen diesen „irrsten Hochzeiten“ einige Gemeinsamkeiten bestehen. Stehen sie für mehr als das „Entkommen aus dem ganz normalen Heiratswahnsinn“? Die beschriebenen Event-Hochzeiten korrespondieren – darauf kann nicht deutlich genug hingewiesen werden – vor allem in ihrem Hochpreisniveau. Sie verstehen sich als Angebote für Leute mit üppigem Einkommen. Was anderen Menschen per Fernsehen und Medien werbend angeboten wird, können sich solche Besserverdienenden tatsächlich leisten.
Weiterhin fällt auf, dass sich die hier einbezogenen Angebote allein an Brautleute richten, und zwar unter Ausschluss ihres sonstigen sozialen Umfeldes. Auch andere Menschen sind vor Ort nicht im Sinne einer „Ersatz-Feiergemeinschaft“ vorgesehen. Stattdessen sind über die Brautleute hinaus meist allein jene Menschen eingeplant, die zum organisatorischen Gelingen des Festaktes sowie zu seiner Ausgestaltung und Dokumentation beitragen: Flugkapitäne oder U-Boot-Kommandanten, Kultdiener oder Kulissen-Krieger, Standesbeamte oder Hochzeitsfotografen. So gibt auch das mit den Hochzeitevents betraute „Service-Personal“ zu erkennen, dass für die Brautleute die Verlebendigung ihrer sozialen Eingebundenheit im Vergleich zur gewählten Traumkulisse kaum mehr zählt. Diese Beobachtung wiegt umso schwerer, da die Heiratenden mit der Traumhochzeit eine zeitlich unbegrenzte Verpflichtung eingehen.
Während eine Hochzeitsfeier ursprünglich ein Gemeinschaftsereignis war, verändert sich die Trauung hier zur Individualveranstaltung. Sie wird schriftlich bezeugt, filmisch dokumentiert oder durch mitgebrachte Stoßzähne nacherlebbar gemacht. So können sich die Brautleute später gegenüber dem eigenen sozialen Umfeld umso exklusiver, ja umso sozial abgegrenzter präsentieren. Anders gesagt: Ursprünglich feierten die Brautleute ihre Hochzeit gemeinsam mit den Verwandten, Freunden und Bekannten. Bei den „irrsten Hochzeiten“ bekommen die Angehörigen und Freunde erst nach der Rückkehr der Brautleute gezeigt, was diese auf Videofilmen oder Digicam-Fotos von ihrem Traumereignis festgehalten haben. Damit verbleiben Familie und Freunde in der Position abseitiger Zuschauer, die „nacherleben“ statt miterleben.
Kurzum: Gewiss veranschaulichen die gewählten Schlaglichter die Individualität und Exklusivität, die die Gestaltung und Inszenierung von Partnerschaftsfeiern heutzutage oftmals auszeichnen. Ob diese Feiern auch etwas vom Streben nach Ganzheitlichkeit widerspiegeln? Jedenfalls erscheinen sie erlebnisorientiert. Wenn institutionelle Vorgaben – traditioneller Kirchenraum, festgelegter Ritus, Leitung eines Pfarrers – bei den Event-Hochzeiten überhaupt eine Rolle spielen, dann in Unterordnung gegenüber Action und Event.
Setzen die Menschen, die Liebesschlösser öffentlich anbringen, in puncto Individualisierung, Ganzheitlichkeitsstreben und Institutionendistanzierung ähnliche Akzente wie die Anhänger der Event-Hochzeiten?
b) Liebesschlösser – Individualität in der Öffentlichkeit
„Schlösser der Liebe“ – so betitelt ein „Bilderbuch Köln“ die Aufnahme eines Brückengeländers der Hohenzollernbrücke. An dessen Stahlkonstruktion hängen Menschen seit wenigen Jahren mehr und mehr dieser bemalten oder bedruckten Vorhängeschlösser auf. Auch in anderen deutschen Städten ahmen junge und alte Leute diese Liebesschloss-Installationen nach. Umfassender: Ebenso wie „Wikipedia“ die Liebesschlösser mit einem eigenen Artikel bedachte75, entwickeln sie sich inzwischen zu einem weltweiten Phänomen.
Der wahrscheinliche Ausgangspunkt des Liebesschloss-Brauches liegt in Italien. Vor einigen Jahren hatten Absolventen der Sanitätsakademie von Florenz nach absolvierter Kadettenzeit und zum Zeichen neu gewonnener Freiheit ihre Spindschlösser an der Milvischen Brücke in Rom befestigt und die dazugehörigen Schlüssel in den Tiber geworfen. Ortsansässige Liebespaare griffen dieses Ritual auf, um so ihre Partnerschaft öffentlich zu inszenieren. Am Brückengeländer befestigten sie das Vorhängeschloss, auf dem sie ihre beiden Namen oder ihre beiden Initialen eingeritzt oder eingraviert hatten. Im Anschluss warfen sie den Schlüssel zum Zeichen ewiger Treue in den Fluss. Dabei versprachen sie sich gegenseitig: „per sempre“ – „für immer“.
Ohne Frage gelangte der Brauch durch den Bestsellerroman Drei Meter über dem Himmel (Original: Tre metri sopra il cielo) und durch die Fortsetzung Ich steh auf Dich (Original: Ho voglia di te) von Frederico Moccia nebst den jeweiligen Verfilmungen zum internationalen Durchbruch. Riga, Vilnius oder Kaliningrad heißen die betreffenden Orte, wo Menschen täglich Vorhängeschloss-Installationen passieren und damit zu stummen Begleiterinnen und Begleitern von „initials“ oder namentlich benannten Liebesgeschichten werden. Bis hin nach China und Sibirien sind solche „En-passant-Denkmale“ mittlerweile bezeugt.
Viele Liebesschloss-Installationen befinden sich an religiös eingebundenen Orten, ohne dass diese Verbindung für moderne Menschen immer sofort erkennbar ist. Inwieweit hat es für die Liebenden mit ihren Schlössern beispielsweise eine Bedeutung, dass in Köln die Hohenzollernbrücke direkt auf die Mittelachse des Doms hin ausgerichtet ist? Verstehen sie intuitiv die Botschaft der Brückenbauer, die mit der Hohenzollernbrücke gewissermaßen eine „Verlängerung“ des Kölner Doms über den Rhein erreichen wollten? Jedenfalls verfügte die Erinnerungsgemeinschaft der mobilen Zeugen für die Schlösser vor diesem Hintergrund sogar über eine bis in die Antike zurückreichende sinnstiftende Dimension. Zuletzt wurde diese Perspektive beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 2007 aktualisiert, als man die Bögen der Hohenzollernbrücke vorübergehend durch rote Tücher verkleidete, sodass die Brücke wie ein stilisierter Fisch wirkte – das Symbol der antiken Christen.
Mittelalterlich-mystische Wurzeln
Die religiöse Einbindung der Liebesschloss-Installationen bezieht sich nicht allein auf einzelne Orte, sondern ebenso auf geistliche Traditionen. Diese stellten seit hochmittelalterlicher Zeit die personale Nähe zwischen dem Menschen Jesus und einem anderen christlichen Individuum in den Mittelpunkt. So bezog sich das damalige Verständnis von einer ganzheitlichen Lebensgestaltung – wenn man davon rückblickend reden kann – auf den Kontakt zwischen dem menschlichen und dem göttlichen, zwischen dem diesseitigen und dem jenseitigen Leben.
Bereits seit dem 12. Jahrhundert pflegte die mittelalterliche Mystik die symbolische Rede von verriegeltem Schloss und weggeworfenem Schlüssel. Wahrscheinlich reicht das folgende, bis in die Moderne hinein mannigfach weitergereichte Gedicht bis in das Hochmittelalter zurück:
Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solst dû gewis sîn.
dû bist beslozzen in mînem herzen,
verlorn ist das sluzzelîn:
dû muost ouch immêr darinne sîn.76
Eine unbekannte Klosterfrau hat wohl diese mittelhochdeutschen Verse niedergeschrieben. In mystischer Begabung preist sie ihren Liebhaber und bezieht sich auf den von ihr als Bräutigam verehrten Jesus Christus. Im Sinne eines geistlichen Motivs und in der Symbolik von Schloss und Schlüssel ersehnt sie, dass der göttliche Herr in ihr Herz einzieht und darin für immer wohnen bleibt.
Der Germanist Friedrich Ohly hebt die für das Mittelalter beispiellose Häufigkeit der Ding- und Raummetaphern für das Herz hervor. Zugleich erläutert er den umfassenderen Horizont dieser für uns heute eher gewöhnungsbedürftigen Rede- und Vorstellungsweise: „Der Gebrauch der Gebäudemetaphern für das Herz besagt, dass dann das Herz nicht als ein physiologisch funktionierendes Organ, vielmehr als Sitz der Einwohnung von guten oder bösen Kräften, von Gott oder dem Teufel, am Ende auch geliebten Menschen angesehen wird.“77
Die Rede vom Herz als Gebäude für das Göttliche und die himmlischen Kräfte ist seit mittelalterlicher Zeit häufig überliefert. Ein einprägsames Beispiel ist die Herz-Jesu-Litanei des 1568 in Erstausgabe vorgelegten Breviarium Romanum. Darin wird das Herz Jesu als heiliger Tempel Gottes (templum Dei sanctum) charakterisiert, ebenso als Tabernakel des Höchsten (tabernaculum altissimi), als Haus Gottes (domus Dei), als Tor des Himmels (porta caeli), als brennender Ofen der Liebe (fornax ardens caritatis) oder als Gefäß der Gerechtigkeit und der Liebe (iustitiae et amoris receptaculum).78
Die Bildrede von der Einwohnung Jesu Christi im Menschen zeigt sich auch anhand der vielfältig überlieferten Darstellungen und Skulpturen der Maria Gravida – Maria als Schwangere. Diese Werke der geistlichen Kunst, wie sie heutzutage in vielen Mittelalter-Museen zu bestaunen sind, bringen anschaulich zum Ausdruck, dass Jesus den Leib Mariens „bewohnt“.79 Ursprünglich hatten diese Bildwerke eine Appellfunktion gegenüber dem Beter: Ebenso wie Maria soll sich jeder Betrachter der Maria Gravida für die Einwohnung des Jesuskindes zur Verfügung stellen und sich durch Übungen der Frömmigkeit darauf vorbereiten. Tatsächlich hielten die Menschen seit dem 12. Jahrhundert den Einzug des Jesuskindes in ihren Leib für möglich. Aus diesem Verständnis heraus erhofften sie sich – mariengleich – eine geistliche Schwangerschaft und dass sie das Jesuskind schließlich geistlich zur Welt bringen („gebären“) könnten.80
Kurzum: Wenn die Liebesschlösser das Individuelle und die soziale Eingebundenheit der Liebenden gleichermaßen versinnbildlichen, ist dieser Zusammenklang – für heutige Menschen allzumeist unbekannt – bereits in der christlichen Mystik des Mittelalters angelegt. Denn auch die Liebesschlösser bringen im übertragenen Sinne zum Ausdruck, dass die beiden Liebenden beieinander wohnen: Sie tragen einander in ihren Herzen und entlassen sich daraus nicht mehr – so hoffen sie.
Namen als Träger von Kraft und Gegenwart
Mit ihren Namen bringen die Liebenden auf dem Liebesschloss überschriftengleich und je individuell zum Ausdruck, wer mit seiner Biografie im Herzen des anderen wohnt. Insofern die „Namengebung das Suchen einer Überschrift für Geschichten“ ist81, ließe sich das beschriftete Vorhängeschloss mit einer Doppelüberschrift vergleichen, welche in ihren beiden Hälften durch einen Bindestrich getrennt ist.
Für die Liebenden verknüpfen sich die Namenszüge mit persönlichen Hoffnungen auf eine gute gemeinsame Zukunft, für die Passantinnen und Passanten der Vorhängeschloss-Installationen vor allem mit Fantasien. Wer mag sich verbergen hinter „Niko und Karin“, „Ernst & Mara“, „Karmen und Brigitte“, „Jessica und David“, „Sascha und Dennis“, „Pavel und Alexandra“? Vielleicht lassen sich aus den Aufschriften immerhin noch einige Mutmaßungen zur Trägerin bzw. zum Träger des Namens ableiten: Ein „Boris“ könnte nach dem Vorbild des ehedem tennisspielenden Namenspatrons um die dreißig Jahre alt sein; ein „Horst“ gehörte zur Generation „60 plus“; ein „Anselm“ oder ein „Veith“ käme höchstwahrscheinlich aus Bayern; ausländische Namen ließen sich als vorsichtige Hinweise auf eine fremde Herkunft oder auf innerdeutsches „Multi-Kulti“ lesen; zwei gleichgeschlechtliche Namen riefen in Erinnerung, dass Liebesgeschichten kein Privileg heterosexuell Liebender sind.
Obwohl die Namen an den Liebesschlössern eigentlich kaum Informationen über ihre Träger preisgeben, finden sie erstaunlicherweise dennoch Beachtung – sowohl durch die flüchtigen und gehetzten als auch durch die genauen und ruhigen Blicke der Vorübergehenden, nicht zuletzt auch durch das medienwirksame Echo. Wenn die Namen auf den Schlössern schon kein eigentliches Wissen freigeben, so vermögen sie umso mehr zu inspirieren: Sie sind Ausdruck der Einmaligkeit derer, die sich hier miteinander „verewigt“ haben.
Für diesen menschlichen Grundvorgang des individuellen inneren „Angeregt-Werdens“, der durch das Lesen, das Hören oder die Nennung eines Namens in Gang gesetzt wird, gibt es auch in der christlichen Tradition beeindruckende Beispiele. Bernhard von Clairvaux († 1153), der bekannte Zisterziensermönch und einer der bedeutendsten „Bild-Redner“ des Mittelalters, setzt bei der ihm am Herzen liegenden Person Jesus an, wenn er sich von diesem Namen anregen lässt, um ihn in bildlicher Rede mit Öl, Licht, Speise oder Arznei zu vergleichen. Mit Blick auf den Namen Jesus stellt der Theologe vor allem eine kräftigende Wirkung heraus: „Predigt man den Namen Jesus, so leuchtet er. Betrachtet man ihn, so nährt er. Ruft man ihn an, so salbt und lindert er.“82 In der Folge zündet Bernhard von Clairvaux geradezu ein Metaphern-Feuerwerk, wenn er ins Wort bringt, was der Name Jesus bei ihm auslöst: „Doch nicht bloß Licht ist der Name Jesus; er ist auch Speise. Oder fühlst du nicht jede Erinnerung daran wie eine Stärkung? Was kräftigt die Seele gleich wie ihr Seingedenken? Was erquickt so die müden Sinne, stärkt die Tugenden, fördert die guten Sitten, nährt die keusche Liebe so? Saftlos ist jede Seelenspeise, ist sie nicht in dieses Öl getunkt. Geschmacklos ist sie, wenn sie nicht mit diesem Salz gewürzt ist. Schreibst du etwas, es gefällt mir nicht, wenn ich darin nicht den Namen Jesus lese. Sprichst du als Streitredner oder Berater, es behagt mir nicht, wenn dabei nicht der Name Jesus erklingt. Jesus ist Honig im Munde, im Ohre Musik und Jubel im Herzen.“83
Menschen gravieren ihre Namen auf die Vorhängeschlösser ein, weil sie nicht allein mit ihrem eigenen Namen, sondern auch mit dem ihrer Partnerin oder ihres Partners eine erfüllte und inspirierende Begegnungsgeschichte verbinden. Wahrscheinlich könnten sie den Namen des Partners oder der Partnerin als ebenso „heilsam“ preisen, wie es Bernhard von Clairvaux am Beispiel des Namens Jesus feinsinnig ausführt. Freilich bringen die Liebenden auf den Vorhängeschlössern die Inspirationskraft des Namens nicht direkt zum Ausdruck, sondern fassen sich kurz: Durch die öffentliche Nennung der beiden Namen halten die Liebenden fest, dass sie ihre Lebensgeschichte in einer Liebesgeschichte, inspirierend für sich und andere, aufgipfeln sehen. Wenn umgekehrt Menschen die öffentlich installierten Vorhängeschlösser im Vorübergehen bemerken, können die Empfindungen der Passantinnen und Passanten dadurch auf die eigene Lebens- und Liebesgeschichte gelenkt werden. Oder sie verbleiben gedanklich bei den Liebesschlössern – als wahrgenommene Inspiration, womöglich auch als flüchtige Mahnung oder als beiläufige Erinnerung.
Die Namen auf den Vorhängeschlössern bedeuten nicht allein Anregung oder Eröffnung von Fantasieräumen. Nicht weniger stehen sie auch für die Gegenwart der beiden Liebenden: Immer wenn ich die Namen der Liebenden nenne oder die Namen auf den Liebesschlössern lese, werden die Personen präsent. Dieses Ineinander von Name und Person hat eine lange Tradition: „Die Vorstellung einer bis zur Austauschbarkeit reichenden Zusammengehörigkeit von Person und Namen ist Basis einer magischen Instrumentalisierung des Eigennamens“, wie der Religionshistoriker Burkhard Gladigow herausstellt.84 Tatsächlich knüpft die Namensnennung auf den Liebesschlössern an Gepflogenheiten vor-aufgeklärter Kulturen an. Diese kennen nämlich Weisen menschlicher Gegenwart, die uns heute nicht länger selbstverständlich sind: in Bildern, in Bildwerken oder in Namen. Im Mittelalter bezogen beispielsweise die Heiligenbilder oder Heiligenfiguren ihre Kraft aus der Vorstellung der Menschen, dass der Heilige in seinem Bild oder in seiner Skulptur leibhaftig gegenwärtig ist. Religionsgeschichtlich lässt sich die „Realität des weiterlebenden Heiligen“ geradezu als Kern jeder Bilderverehrung hervorheben.85
Entsprechend erstellte ein mittelalterlicher Künstler ein Heiligenbild so, dass er als Erstes die zur Verfügung stehenden kleinen knöchernen Überreste des Heiligen in ein Holzbrett einlegte. Ikonografisch ergänzt um ein mit Pinsel und Farbe aufgetragenes Bild des Heiligen, zeigt sich dem Blick des Betrachters die tatsächliche Gestalt des „ganzen“ Heiligen. Noch heute arbeiten Ikonenmaler kostbare Heiligenreliquien in wertvolle Ikonen ein.86
Eine besondere Präsenz, die mit Hilfe des Namens zustande kommt, geht seit jeher auf die Tradition der „Nachbenennung“ zurück. In diesem Fall macht die Nennung des Eigennamens nicht allein das betreffende Individuum gegenwärtig. Vielmehr bewirkt die Nennung des Eigennamens wegen der generationenübergreifenden Namensgleichheit (Urgroßvater, Großvater, Vater, Sohn etc.) darüber hinaus die Präsenz der gesamten Großfamilie. Zugleich verbanden die Menschen mit der gehäuften Verwendung eines Vornamens innerhalb einer Familie „das uralte Motiv des Zusammenhangs von Nachbenennung und Wesensübertragung“87: „Gleiche Namen tun gleiches Gutes“, lautet einer der Grundgedanken alteuropäischer Nachbenennung. Von der Wiederverwendung des immer gleichen Eigennamens erhoffte man sich also, dass sich das ethisch Wertvolle der mit diesem Namen schon verbundenen Familientradition auf den neuen Namensträger automatisch übertrug: „Die Übereinstimmung in den Taten hat mit der Übereinstimmung im Wesen dem Ursprung nach zu tun.“88 Erst das Zurücktreten von Gemeinschaftsidentitäten (Familie und Verwandtschaft etc.) zugunsten der individuellen Identität hat in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Familien zu einem Ende der Nachbenennung geführt.89 So steht der Eigenname heutzutage nicht länger für eine familiäre Tradition. Wer den Namen auf einem Liebesschloss liest, würde dabei kaum noch an eine im Hintergrund des Liebenden stehende Herkunftsfamilie denken. Doch kann der Name auf einem Liebesschloss vielleicht eine moderne Form der Nachbenennung vergegenwärtigen, die freilich vor allem an die elterliche Verehrung von Musik- oder Sportidolen anknüpft (Rosi, Boris etc.). Auch in dieser Hinsicht bleibt der archaische Gedanke der gegenwartschaffenden Kraft des Namens bis hin zu den Beschriftungen der Liebesschlösser untergründig bedeutsam.