Kitabı oku: «Hilde Domin», sayfa 3

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Deshalb ist ihr die Dankbarkeit so wichtig, das Nicht-Vergessen von erfahrener Hilfe, ohne die sie heute nicht mehr leben würde und die sie deshalb auch anderen Menschen zukommen lassen möchte. Nach ihrer Lieblingstugend befragt, sagte sie einmal: „Eine glückliche Hand für andere zu haben.“ Und welche Fehler sie am ehesten entschuldigen würde? „Die, die aus Hilfsbereitschaft begangen werden.“

Den Glauben an den Menschen nicht zu verlieren, das ist das, was die Dichterin und den Menschen Hilde Domin kennzeichnet.

An das Wunder glauben, davon spricht auch ein kleines Gedicht, das wie die Essenz eines leidgeprüften, eines widerständigen, eines von unverlierbarer Hoffnung geprägten Lebens ist. Es gehört zu den am meisten gelesenen, übersetzten, veröffentlichten, an die Wände vieler Wohnungen gepinnten Gedichte:

Nicht müde werden

sondern dem Wunder

leise

wie einem Vogel

die Hand hinhalten.

So gelang es Hilde und Erwin Palm, doch noch einen halbwegs geregelten Fortgang aus Italien zu schaffen. Um den Transport ihrer Möbel und vor allem der stattlich angewachsenen Zahl an Büchern nach England finanzieren zu können, mussten sie allerdings das elterliche Porzellan und Silber, ihre Hochzeitsgeschenke, verkaufen.

Auf die nächste Station ihres Exils bereiteten sie sich mit der Lektüre von englischen Gedichten vor. Ihre Eltern hatten ihnen, sobald sie das Visum bekommen hatten, Bücher von Keats, Shelley und Swinburne geschickt.

Der Abschied von Italien, von Rom vor allem, fiel ihnen alles andere als leicht, hatten sie hier doch mehr als sechs glückliche Jahre verbracht. Rückblickend sagt Hilde Domin zu jenen Jahren. „Ja, es ist wahr, wir haben dort glückliche Augenblicke gehabt. Nein, auch das ist verkehrt. Es war eine glückliche Zeit, aus der wir ununterbrochen aufgeschreckt und aufgejagt wurden. Für uns, die wir jung und zusammen waren, die wir jeden Morgen die Sonne über Forum und Palatin aufgehen sahen, über der großartigen und geliebten Stadt, und die wir abends miteinander lasen, was er tags geschrieben hatte, war es eine anstrengende Zeit, in der wir jeweils nur kurze Strecken lang unsere Kontinuität mit uns selber bewahren konnten. Versucht haben wir es immer wieder. Objektiv und von außen gesehen, war es eine Hundezeit. Im Politischen wie im Ökonomischen. Aber nur von außen. Nur objektiv.“

Im Februar 1939 verließen die Palms endgültig Italien, um über Frankreich nach England zu emigrieren. Während sie nach Italien noch auf eigenen Entschluss gegangen waren, war das Verlassen Italiens erzwungen. Sie wurden ausgewiesen wie alle Exilanten.

Exil

B

evor ich fortfahre, die weiteren Stationen von Hilde Domins Exil zu schildern, möchte ich hier einige grundsätzliche Überlegungen zum Exil und zum Zustand des Exilierten voranstellen. Hilde Domin hat sich dazu klar ausgesprochen.

In ihrem Aufsatz „Exilerfahrungen“ (1969) beschrieb sie den Vorgang des Exiliertwerdens so: „Es handelt sich um das Herausnehmen eines Menschen aus dem normalen Kontext seines Lebens, und zwar ein gewaltsames und unfreiwilliges Herausnehmen.“ In dem Gedicht „Wen es trifft“ hat sie für diese gewaltsame Herausnahme ein eindrucksvolles Bild verwandt:

Wen es trifft,

der wird aufgehoben

wie von einem riesigen Kran

und abgesetzt

wo nichts mehr gilt,

wo keine Straße

von Gestern nach Morgen führt.

Die Knöpfe, der Schmuck und die Farbe

werden wie mit Besen

von seinen Kleidern gekehrt.

Dann wird er entblößt

Und ausgestellt.

Er wird durch die feinsten

Siebe des Schmerzes gepreßt

Und durch die unbarmherzigen

Tücher geseiht

die nichts durchlassen

und auf denen das letzte Korn

Selbstgefühl

zurückbleibt…

Exil ist die Aufhebung aller Freiwilligkeit, hier im Bild des riesigen Krans versinnbildlicht, der einen packt und hochhebt, um einen dort abzusetzen, wo alle Selbstverständlichkeit verloren, die Gegenwart bedroht und die Zukunft ungewiss ist.

„Er wird durch die feinsten Siebe / des Schmerzes gepresst.“ Das ist zum einen wörtlich zu verstehen. Aber es ist zugleich mehr damit gemeint, etwa in dem Sinne, wie es Nelly Sachs – eine andere große deutsch-jüdische Dichterin, die im Exil ihre bedeutendsten Gedichte schrieb – formulierte: „An uns übt Gott Zerbrechen.“

Mehr noch als für die politisch Verfolgten galt diese Erfahrung und zudem die des Verlustes des „letzte(n) Korn(s) Selbstgefühl“ für die rassisch Verfolgten der Nazidiktatur. Und unter diesen wiederum noch mehr für denjenigen, der sich mit dem Judentum nicht identifizierte, wie es für Hilde Domin und ihre Familie zutraf, weil sie als assimilierte Juden sich weitaus mehr als Deutsche denn als Juden fühlten. Ein solcher Mensch hat „die Schwierigkeit, sich wiederzuerkennen und sich zu identifizieren mit der spezifischen Brandmarkung“, da er „keinerlei ausgesprochene Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe empfunden hat, als deren Mitglied er plötzlich verfolgt und vor die Tür gesetzt und aller Rechte beraubt ist“, schreibt Hilde Domin in „Exilerfahrungen“.

Der Mensch, der im Exil lebt, muss ständig die äußere Heimatlosigkeit erleiden und die innere Heimatlosigkeit bekämpfen.

Als wir im Gespräch auf diese Problematik kommen, lese ich Hilde Domin einen kurzen Text von Heinrich Böll vor: „Der Mensch ist ja ein Gottesbeweis. Ich meine die Tatsache, daß wir alle eigentlich wissen – auch wenn wir es nicht zugeben –, daß wir hier auf der Erde nicht zu Hause sind, nicht ganz zu Hause. Daß wir also noch woanders hingehören und von woanders kommen.“

„Das mit dem Zuhause unterschreibe ich sofort“, sagt sie lebhaft und verweist auf einen Satz von Else Lasker-Schüler: „Nur Ewigkeit ist kein Exil.“

„Ja“, sagt sie, „exilium vita est. Das Exil ist nur die Extremerfahrung der conditio humana.“

Und denjenigen, die einen Glauben haben, gebe dieser sicher auch hier schon so etwas wie Heimat. „Du, Glückliche, du glaubst“, schrieb Hilde Domin in ihrem „Offenen Brief an Nelly Sachs“ und fährt fort: „Aber wenn er nicht den Glauben hätte? Du hast es für uns alle definiert: ›An uns übt Gott Zerbrechen‹, hast Du gesagt… An uns (den Juden; I.S.) wird etwas mehr Zerbrechen geübt als an anderen. Exemplarischer wird es geübt, wieder und wieder, soweit das Gedächtnis des Abendlandes reicht… Den Juden ist häufiger und krasser die Rolle des Ecce homo zugefallen, aufgedrängt worden, als anderen.“

Ihr aber, die im Exil zur Dichterin wurde, die das Exil vielleicht erst zur Dichterin machte, wurde „das Gnadengeschenk des kreativen Worts“ zuteil. Denn, so sagt Hilde Domin: „Exil erhöht den Ausdruckswunsch. Der hart gepreßte Mensch muss sich befreien. Er befreit sich durch Sprache.“

In dem oben genannten Brief an Nelly Sachs schreibt Hilde Domin dazu: „Da wird einer verstoßen und verfolgt, ausgeschlossen von einer Gemeinschaft, und in der Verzweiflung ergreift er das Wort und erneuert es, macht das Wort lebendig, das Wort, das zugleich das seine ist und das der Verfolger. Der vorm Rassenhaß Flüchtende ist nur der Unglücklichste, der am meisten Verneinte unter den Exildichtern überhaupt. Und während er noch flieht und verfolgt wird, vielleicht sogar umgebracht, rüstet sich sein Wort schon für den Rückweg, um einzuziehen in das Lebenszentrum der Verfolger, ihre Sprache. Und so erwirbt er ein unverlierbareres Bürgerrecht, als wenn er friedlich hätte zu Hause bleiben dürfen und vielleicht sein Wort nicht diese Kraft einer äußersten Erfahrung hätte, die es so stark macht.“

Diese „äußerste Erfahrung“ der Flucht führte Hilde Domin und ihren Mann im März 1939 über Paris nach England. Hier nun konnten sie nach sieben Jahren ihre Eltern wieder sehen. In allem Leid des Verfolgtwerdens war diese Wiederbegegnung sicher eine große Freude. Sogleich übernahmen die Eltern die Fürsorge für die Kinder, obwohl sie doch selbst in sehr eingeschränkten Verhältnissen leben mussten. Der Vater hatte für sie ein helles und großes Zimmer gemietet. Und um ihnen den Kummer über den Abschied aus dem geliebten Italien zu nehmen, schickten die Eltern sie in die National Gallery, damit sie sich dort italienische Bilder ansehen konnten.

Der Vater war so korrekt und zuverlässig wie immer. Aber er litt darunter, dass er nicht arbeiten konnte und sich unnütz vorkam. Dennoch beklagte er sich nicht, bemühte sich vielmehr, den Anweisungen der deutschen Emigrantenverwaltung Folge zu leisten. „Auf der Straße sprach er nur englisch“, erzählt mir Hilde Domin, „und er bemühte sich um eine möglichst fehlerfreie Sprache, obwohl es ihm schwer fiel. Auch bei gutem Wetter ging er mit Regenschirm aus, mit der Spitze nach vorne, wie es vorgeschrieben war. Er stellte sich selbstverständlich an die Schlange beim Autobus und verschickte Postkarten, anstatt zu telefonieren.“

In England lebten Hilde Domin und ihr Mann dreisprachig. Deutsch sprachen sie mit den Eltern, italienisch unterhielten sie sich untereinander – es kam sozusagen einer Geheimsprache gleich – und englisch auf der Straße und bei Einladungen, die wegen der missverständlichen englischen Floskeln oft zu einem heiklen Parcours wurden. „I hope to see you again”, bedeutete nämlich keinesfalls, dass der Gastgeber sich auf einen weiteren Besuch freue, sondern dass im Gegenteil irgendwelche unverzeihlichen Formfehler gemacht worden waren. Nirgendwo außer in England hat sich Hilde Domin daher dermaßen in ein Sprachkorsett gezwungen gefühlt.

Mit Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 wurden die in England lebenden Exilanten, die man damals Emigranten nannte, in drei Gruppen aufgeteilt. „Die Gruppe A war für die Engländer unzuverlässig und kam in Lager, wurde interniert. Die Gruppe B musste sich bei der Polizei melden. Und die Gruppe C, das war unsereiner, wir bekamen einen Ausweis ›refugee from Nazi-oppression‹. Damit konnte man sich frei bewegen wie ein Engländer“, erzählt Hilde Domin und fährt fort, „das heißt, man musste sich bewegen wie ein Engländer. Wir sollten uns komplett verhalten wie Engländer. Nie zuerst fragen, sondern warten, bis man gefragt wurde, auch bei schönem Wetter mit dem Regenschirm ausgehen, und so weiter. Man erwartete das einfach von uns in dieser schwierigen Situation, da die Deutschen doch an sich eine Feindnation waren.“

Nach Kriegsbeginn wurde Hilde Domin Sprachlehrerin für Diplomatenkinder am St. Aldwyn’s College in Minehead. Sie unterrichtete dort in Somerset am Bristol Channel in englischer Sprache Französisch und Italienisch. Nachdem sie nach ihrer Ankunft in England – jeweils kurz nur – zunächst in möblierten Zimmern in London und Oxford gewohnt hatten, konnten sie jetzt, gemeinsam mit den Eltern, in Minehead ein Haus beziehen. Die Eltern bewohnten zwei Zimmer unten, Hilde und Erwin Palm zwei Zimmer oben. Nun konnten sie auch endlich ihre Bücher, die in Kisten verpackt aus Italien gekommen waren, wieder auspacken. Weil die Treppe ins Obergeschoss sehr steil und eng war, transportierten sie sie, eine Kette bildend, zu viert nach oben. Zu den mitgebrachten Büchern sollten sich bald neu hinzugekaufte englische Bücher gesellen.

Hier in diesem milden Klima konnten sie sich vorstellen, eine Weile zu bleiben. Sie pflanzten im Garten – aus Heimweh nach dem römischen Glyzinienbaum – Glyzinienstöcke und Pflanzen und Blumen, die sie aus den Wäldern mitbrachten. Hilde und Erwin Palm wollten, wenn sie schon Deutschland hatten verlassen müssen, nie aus Europa weggehen. „Wir haben uns deshalb auch nicht um ein Visum für Amerika bemüht. Meine Eltern hatten es getan. Mein Bruder lebte ja dort. Und das war ihr Glück. Sie durften dann nach Amerika ausreisen“, erzählt mir Hilde Domin.

Mit wachsendem Kriegsdruck und der Furcht vor einer Invasion der Nazis in England wurden die einmal gewährten Freiheiten für die Flüchtlinge der Naziverfolgung nach und nach wieder rückgängig gemacht. Immer befand man sich in der Situation, dass man als Spitzel verdächtigt und verhaftet werden konnte.

Wieder einmal die Gefahr vorausahnend, entschlossen sich die Palms – gerade noch rechtzeitig – England zu verlassen. Das war im Sommer 1940. Ihr drittes und letztes Exilland wurde die Dominikanische Republik.

Die Eltern teilten mit ihnen ihr letztes Geld, damit sie die Überfahrt bezahlen konnten. Nur ein halbes Jahr, nachdem sie ihre Bücher ausgepackt hatten, packten sie sie wieder in Kisten und lagerten sie in der Garage ein. Es war das letzte Mal, dass Hilde ihre Eltern sah.

Am Tag ihrer Abfahrt nach Südamerika wurde der Vater verhaftet und kam in ein Lager. Er musste im Freien schlafen und wurde erst freigelassen, als sein Visum für Amerika kam. Die Eltern gingen nach New York. Doch der Vater, geschwächt durch die Strapazen und Demütigungen während der Jahre der Verfolgung, wurde bald schon krank und starb ein Jahr später in einem New Yorker Krankenhaus. Noch in seinen letzten Lebenswochen hatte er, fürsorglich wie er sein ganzes Leben lang gewesen war, für seinen Schwiegersohn aus der Public Library bibliographische Angaben für eine wissenschaftliche Arbeit herausgeschrieben. Als der Brief die Palms erreichte, war er bereits tot.

England, das als relativ sicheres Exilland für Flüchtlinge vor den Nazis gegolten hatte, erwies sich 1940 als eine weitere Station der „permanenten Flucht“. Die Gefährdung war so groß, dass englische Ärzte den von Hitler Bedrohten Veronal gaben, damit sie sich notfalls das Leben nehmen könnten, um nicht in die Hände ihrer Häscher zu fallen und in ein KZ gesteckt zu werden mit den Folgen, die nur allzu bekannt sind. Auch die Palms trugen das Veronal immer bei sich, eine abscheuliche Lage, die sie ihre Bemühungen, ein neues Exilland zu finden, intensivieren ließen.

Hilde Palm ging damals von Botschaft zu Botschaft, um ein Visum zu bekommen. Doch die meisten Länder von Südamerika kamen nicht in Frage, da sie entweder nur Techniker und Ingenieure, aber keine Geisteswissenschaftler gebrauchen konnten oder man viele tausend Dollar mitbringen musste, die sie nicht besaßen.

Wiederum hatten sie Glück im Unglück. Hilde Domin erzählt: „Ich hatte mich mit dem Vizekonsul der Dominikanischen Republik angefreundet. Er war Schriftsteller. Von ihm erfuhr ich, dass sein Land keine derartigen Einschränkungen für Einwanderer mache. Und so bekamen wir durch diese persönliche Freundschaft das Visum für die Dominikanische Republik, von der ich damals überhaupt nichts wusste, außer dem, was man im Lexikon darüber nachlesen konnte.“

Im Juni 1940 verließen die Palms im untersten Deck eines kleinen Dampfers der „Cunard White Star Line“ England. Es war wieder einmal buchstäblich in letzter Stunde. Am frühen Morgen kam die englische Polizei, um die Männer der Familie zu verhaften. Sicher wäre Erwin Palm auch abgeholt worden. Nur wäre er wahrscheinlich nicht wieder freigekommen, weil er nicht – wie Hildes Vater –auf der Warteliste für die USA stand. Die Palms hatten sich ja wider alle Vernunft nicht eintragen lassen, hartnäckige Europäer, die sie waren. Sie waren erst eine Stunde an Bord, als das geschah.

In Erinnerung an den Vater sagt Hilde Domin: „Es ist sicher leichter, an einen Vater zu denken, der verfolgt und dessen Leben zerstört wurde, als an einen, der Verfolger war. Oder der zusah, oder auch wegsah, als andere verfolgt wurden. Der Verfolgte hat, bei allem Leid, dies eine voraus: Er ist dispensiert vom Dilemma der Verantwortung. Seine Wehrlosigkeit ist eine totale.“

Wie auch zuvor bereiteten sich Hilde und Erwin lesend auf das neue Exilland vor. Die Eltern hatten ihnen Bücher auf Spanisch mitgegeben, von spanischen Dichtern, eine englisch-spanische Grammatik und einen Band „Brush up your Spanish“.

Die Überfahrt in die Dominikanische Republik dauerte ungefähr sechs Wochen und war nicht ungefährlich. Ein Schwesterschiff der kanadischen Linie, die sie zuerst nach Kanada brachte, wurde versenkt. Von Kanada ging es weiter nach Jamaika. Und auch dabei gerieten sie noch einmal in Lebensgefahr. In ihrem Pass war ein Vermerk „for transshipment only“. Von dem Polizeioffizier wurde das so verstanden, dass sie in Jamaika keinen Fuß an Land setzen durften, also auf dem Wasser umsteigen mussten, wenn sie wie vorgesehen weiter nach Kuba und von dort nach Santo Domingo wollten. Rund um die Uhr auf einem Munitionsschiff von Polizisten mit Gummiknüppeln bewacht, sahen sie einer ungewissen Zukunft entgegen.

Dieses Gefühl, nicht landen zu dürfen, hat Hilde Domin später dichterisch verarbeitet in dem Gedicht „Graue Zeiten“:

Menschen wie wir wir unter ihnen

fuhren auf Schiffen hin und her

und konnten nirgends landen

Menschen wie wir wir unter ihnen

durften nicht bleiben

und konnten nicht gehen…

Menschen wie wir wir unter ihnen

standen an fremden Küsten

um Verzeihung bittend daß es uns gab…

Und noch einmal kam Rettung in letzter Minute, weshalb Hilde Domin immer wieder betont, dass sie in allem Unglück doch auch immer wieder Glück gehabt habe. Ein Bote des Gouverneurs von Jamaika kam und veranlasste, dass sie die Insel betreten durften.

„Ein kleines Wasserflugzeug brachte uns in die Dominikanische Republik“, erzählt mir Hilde Domin über ihre Ankunft in Santo Domingo. „Wir waren sechs oder sieben Passagiere an Bord, aber wir waren die Einzigen, die dort ausstiegen, auf dem Wasser, an einem Landesteg aus Holz, der mitten in ein Zuckerrohrfeld führte. Wir hatten nur wenig Gepäck. Das meiste war ja in England geblieben und kam erst später nach. Und da standen wir nun in einem Zuckerrohrfeld, die Zuckerrohre waren größer als wir selbst.“

Natürlich war niemand da, der sie erwartete und in Empfang nahm. Aber immerhin, am äußersten Rande hatten sie landen dürfen. Sie waren angelangt, sozusagen am Ende der Welt, dem äußersten Punkt ihrer Fluchten vor Hitler.

Landen dürfen

Ich nannte mich

ich selber rief mich

mit dem Namen einer Insel.

Es ist der Name eines Sonntags

einer geträumten Insel. …

Sie war eine Küste

etwas zum Landen…

Nennen Sie sich, sagte einer

als ich in Europa an Land ging,

mit dem Namen Ihrer Insel.

Zwischen dem Landen auf der Zufluchtsinsel und dem in Europa sollten zwölf Jahre vergehen.

Da standen die beiden jungen Menschen also inmitten eines Zuckerrohrfeldes mit ihrem kleinen Gepäck und wussten nicht wohin. „Und da kam plötzlich jemand mit dem Auto angefahren, der etwas abholen wollte vom Flugzeug“, erzählt Hilde Domin weiter. „Er nahm uns mit in die Hauptstadt, die damals ›Ciudad Trujillo‹ hieß nach dem Diktator Trujillo, der das Land regierte. Heute heißt sie wieder Santo Domingo, natürlich.“

Über diesen Diktator hatten sie wenig Vertraueneinflößendes gehört. Aber immerhin. Er nahm spanische Republikaner und Kommunisten und Verfolgte des Hitlerregimes auf, obwohl er als Freund Hitlers galt. Und er verlangte keine hohen Geldbeträge von den Flüchtlingen. Auch sortierte er die Asylsuchenden nicht nach verwendbaren Berufen aus. Er hoffte, mit den Ankömmlingen aus Europa sein Land „aufzuweißen“ und ein vernünftiges Bildungssystem aufzubauen. So verdankten ihm viele Flüchtlinge ihr Leben. Die Situation war durchaus ambivalent. „Man konnte dem Diktator nicht dankbar sein, man konnte ihm nicht nicht dankbar sein, er war ein furchterregender Lebensretter“, beschreibt Hilde Domin dieses Gefühl.

Einmal angekommen in einer neuen, für sie fremden Wirklichkeit, nahmen sie beherzt ihr Schicksal in die Hand. Das Leben insgesamt war völlig anders, als sie es von Europa gewohnt waren. Allein das tropische Klima erforderte eine enorme Umgewöhnung. In ihrem kleinen Mietshaus hatten sie weder einen elektrischen Kühlschrank – das Eis wurde in Blöcken geliefert und in Säcke gewickelt – noch eine Waschmaschine. Gekocht wurde weder elektrisch noch mit Gas, sondern auf der offenen Flamme eines Kohlefeuers, das in einer Kochkiste aus Aluminium brannte. Die Wäsche wurde im Hof auf Holzfeuer in einem alten Fünf-Liter-Benzinkanister gekocht und mit Stöcken umgerührt. Alles war also sehr einfach, beinahe archaisch und unterschied sich nicht viel von den Lebensgewohnheiten der dominikanischen Bevölkerung.

Natürlich war auch die Vegetation eine ganz andere. Es gibt dort kaum Laubbäume wie in Europa. Das vermisste Hilde Palm besonders. Für die glatte Oberfläche der Bananenblätter zum Beispiel konnte sie nie Begeisterung aufbringen. Und doch hatten die Abende im Freien auf der Terrasse durchaus auch etwas Schönes. Hilde erinnert sich noch an den dreißigsten Geburtstag ihres Mannes im August 1940. Da waren sie gerade in Santo Domingo angekommen. Sie saßen in ihrem kleinen kahlen Hof unter einem rot blühenden Flamboyant, und Erwin, Gedichte von Rafael Alberti lesend und vorlesend, sagte plötzlich: „Hier bewege ich mich nicht fort, unter diesem Baum bleibe ich.“ Solch ein Satz lässt erkennen, was für ein Zentnergewicht von ihnen genommen war nach ihrer jahrelang andauernden Flucht. Und tatsächlich begannen die Palms recht bald schon ein fast normales Leben zu führen.

Erwin Walter Palm erhielt schon wenige Monate nach der Ankunft eine Professur an der Universität von Santo Domingo. Er hatte nämlich sehr schnell damit begonnen, sich mit den spanischen Baudenkmälern aus der Kolonialzeit zu befassen und dabei entdeckt, dass viele von ihnen nach dem alten römischen Haustyp des Atriumhauses gebaut waren. Palm konnte also erfreulicherweise bei seinen römischen Studienergebnissen wieder anknüpfen. Da sich bisher noch kein Wissenschaftler mit der Architekturgeschichte der dominikanischen Republik befasst hatte, war es nicht verwunderlich, dass Palm und seinen Studien sehr schnell die Türen offen standen.

Seine erste Veröffentlichung „Das Atrium-Haus in der Neuen Welt“ wurde mit Interesse aufgenommen. Und schon bald hatte Palm in ganz Lateinamerika einen Namen als Pionier in ibero-amerikanischer Architektur- und Kulturgeschichte, was im Laufe der Jahre viele Einladungen an Universitäten und zu verschiedenen Kongressen in ganz Südamerika, später auch in den Vereinigten Staaten und Europa zur Folge hatte und ihm letzten Endes einen eigens geschaffenen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg verschaffte. Aber ich greife weit voraus. Denn Letzteres fand erst im Wintersemester 1960/61 statt und besiegelte die endgültige Rückkehr der Palms nach Deutschland.

Obwohl Erwin Walter Palm also in Santo Domingo eine Lehrtätigkeit an der Universität ausüben konnte, war ihre finanzielle Lage bedrängt. Die Vorlesungen wurden stundenweise bezahlt und nicht sehr gut. So waren sie froh, wenn sie ab und zu von amerikanischen Verwandten ein Kuvert mit zehn Dollar geschickt bekamen, die ihnen etwas über die Runden halfen.

Und was machte Hilde Palm in dieser Zeit? Auch hier stellte sie eigene Pläne zurück und half ihrem Mann als Mitarbeiterin. Ohne ihre tatkräftige Hilfe hätte er seinen Beruf gar nicht in dem Maße ausüben können. Hilde Palm tippte alle seine Manuskripte und korrigierte die spanischen und englischen Fassungen seiner Arbeiten und Vorlesungen.

Anfangs war der Zeitaufwand für die Übersetzung der Vorlesungen ins Spanische enorm. Jede Vorlesungsstunde musste schriftlich vorbereitet werden. Eine Stunde Sprechen kostete ein Vielfaches an Vorbereitungszeit. Doch blieben die Palms auch hier nicht ohne Hilfe. Sie verkehrten sehr bald schon mit spanischen Intellektuellen, die bereit waren, mit Hilde Palm gemeinsam die Arbeiten ihres Mannes sprachlich durchzuarbeiten, bis sie selbst immer perfekter im Spanischen wurde und es dieser Hilfe nicht mehr bedurfte.

Bald schon ließ sie sich zur Fotografin ausbilden. Sie konnte nun auch die nötigen Architekturaufnahmen machen, sie entwickeln und abziehen, die ihr Mann für bebilderte Aufsätze und später für seine Bücher benutzte. Beim Erlernen des Fotografierens war ihr ein Passfotograf behilflich. Überhaupt war die Hilfsbereitschaft der Dominikaner sehr groß.

Man kann sich gut vorstellen, dass die junge lebhafte Hilde Palm mit ihrer Offenheit, die stets auf den anderen zugeht, sehr schnell Freundschaften unter den Intellektuellen fand. Viele von ihnen waren Exilspanier, aber auch Südamerikaner oder stammten aus anderen Ländern: Dichter, Musiker, Künstler und Wissenschaftler. Und was die Beziehung zur einheimischen Bevölkerung anging, so hätten sie keine freundlichere Aufnahme, Hilfsbereitschaft und Freundschaft erfahren können.

Es war auf dieser Insel im blauen Pazifik, wo die Palms zum ersten Mal das vorsichtige Gefühl hatten, dass sie nicht mehr unmittelbar verfolgt waren. Sie hatten eine Zuflucht gefunden „am Rande, wo man nicht weiter weglaufen kann, so weit ist man schon gelaufen“ und wo sie nun abwarteten, „ob man weiterleben darf. Ob die Welt wieder aufgeht.“

Ambivalent war denn auch das Gefühl zum Gastland. „Wir liebten das Land, in dem wir gefangen waren, was die Unbehaglichkeit nie verliert. Wir verzweifelten dauernd.“

In dem Gedicht „Apfelbaum und Olive“, dem ersten, das Hilde Domin nach ihrer Rückkehr nach Deutschland schrieb, hat sie dieser Gastfreundschaft ein poetisches Denkmal gesetzt.

Ein Trost ist, zu wissen

wo die Tassen stehn und die Teller

in dem Haus, in dem du zu Gast bist,

und einen Anteil zu haben

an der Zärtlichkeit von Katze und Hund

deines Freunds…

…und in fernen Ländern

schiebt man dir einen Stuhl an den Tisch,

an der Seite der Hausfrau,

und jedes gibt dir von seinem Teller

wenn die Schüssel schon leer ist,

als habe ein Kind sich verspätet…

Und die dunkeln Mangobäume

und die Kastanien

wachsen Seite an Seite

in deinem Herzen…

Die Menschen, die sie – die Flüchtlinge, die Passlosen – so selbstverständlich und herzlich aufnahmen, wurden im Laufe der Jahre tatsächlich so etwas wie eine zweite Familie für sie. „In diesem Hause, wo… wir mit einem Plattenspieler und mit unseren Büchern, Tieren und Freunden lebten und überlebten, da öffnete sich die Welt auf viele Weisen für uns. Materielle und immaterielle“, schrieb Hilde Domin in ihrem Bericht „Meine Wohnungen – ›Mis moradas‹“. Und bekräftigt das, was sie dort erfuhr: „Und nie, in keinem Falle, wurde man von Freunden im Stich gelassen, sondern getröstet, verteidigt, als sei man dort geboren und gehöre dazu.“

Schwierig war es dennoch, im Exilland seine eigene Identität zu bewahren, da natürlich ein hohes Maß an Anpassung von ihnen erwartet wurde. So war es einmal mehr die Sprache – die deutsche Sprache, in der Hilde und Erwin Palm miteinander sprachen, die identitätsstiftend für sie war. Das Sprechen in der eigenen, der deutschen Sprache in der Fremde war für sie auch ein Stück Heimat. Die deutsche Sprache war sozusagen ihr Zuhause. Auch lernten sie gerade durch die Beschäftigung mit anderen Sprachen die eigene in ihrer Bedeutungstiefe noch besser kennen.

Das zweite Haus, das die Palms in Santo Domingo bezogen und in dem sie zehn Jahre lang bis zu ihrer Abreise von der Insel lebten, war ein Haus im Kolonialstil, rundum von Terrassen umgeben, auf denen sie den Tag begannen in Gesellschaft ihrer Kaninchen und Katzen. Nur wenige hundert Meter hinterm Haus lag das karibische Meer. Hilde Palm konnte im Badeanzug aus dem Haus zum Schwimmen gehen. Einheimische warnten sie vor Haien, die es dort reichlich gibt. Aber nie ist sie einem Hai begegnet, nur Pelikanen und anderen freundlichen Tieren wie Schildkröten und Eidechsen.

Die Tage verbrachte sie im Haus bei geschlossenen Fensterläden, tippte oft sogar im Badezimmer, weil es zu heiß war. Mit dem Entwickeln der Fotos musste sie bis zum späten Abend warten, da sonst das Wasser nicht kühl genug war. Hilde Domin bewohnte mit ihrem Mann in der oberen Etage drei Zimmer, die untere Wohnung hatten sie vermietet. Die Abende verbrachten sie wiederum auf der Terrasse, allein oder mit Freunden und illustren Gästen wie zum Beispiel André Breton, der sie mehrmals besuchte oder dem Schriftsteller Emil Ludwig. Er war bekannt durch seine Biographien bedeutender Persönlichkeiten. Hilde Palm, vorzügliche Gastgeberin, die sie auch heute noch ist, bewirtete ihre Gäste mit Ananastorte, die, wie sie erzählt, berühmt war, und kaltem Tee mit dominikanischen Rum. Emil Ludwig war aus den USA nach Santo Domingo gekommen, weil er eine Biographie über Trujillo schreiben sollte. Die Palms waren ihm als offizielle Begleitung zugeordnet. Ludwig war Staatsgast der dominikanischen Regierung. Als er dann die Insel verließ, ohne sich für eine Biografie über Trujillo entschieden zu haben, war das auch für die Palms heikel. Denn der Diktator spaßte nicht, wenn er erfuhr, dass jemand Negatives über ihn sagte oder verbreitete. So wie es dem ehemaligen Rektor der Universität ging, der durch eine missliebige Äußerung in Ungnade fiel und den fortan alle schnitten. Außer die Palms. Auch zu einem Historiker, mit dem Palm zusammenarbeitete, hielten sie weiter Kontakt, obwohl es streng untersagt war. Was sie selbst in Italien erlebt hatten, dass deutsche Freunde an ihnen vorbeigingen und sie nicht grüßten, das – so hatten sie sich damals vorgenommen – wollten sie nie tun. Sie besuchten oder empfingen weiter Freunde, die im diktatorischen Regime in Ungnade gefallen waren. Eine Hecke aus Agaven und Kakteen schützte sie vor den neugierigen Blicken der Polizei, obwohl natürlich die Überwachung so perfekt war, dass diese Besuche nicht unbemerkt blieben. Dennoch ist Hilde und ihrem Mann nie etwas passiert. Die Widerständigkeit, die sie damals praktizierten, wurde zu einem der wichtigsten Postulate der Dichterin Hilde Domin: Zivilcourage.

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