Kitabı oku: «Die Ahnenpyramide», sayfa 5

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Wiederbegegnung mit Orten, an denen man als Kind gewesen ist, später vielleicht noch ein oder das andere Mal, aber die Jahre dazwischen sind untergegangen, vergessen.

In Marktl suchten wir nach dem Haus Nummer neunzehn, in dem Hermann, der Sohn des Waldübergehers, nach seiner Pensionierung gelebt hatte. Ob der Park damals schon so gewesen sei? Die alte Linde stand sicher schon, LINDEN WACHSEN NICHT SO SCHNELL.

Der Vater fotografierte das Haus und die Linde, im Gras neben dem Weg lag ein alter Mühlstein, das Laub der Linde leuchtete gelb im einfallenden Sonnenlicht, auch die Birken vor dem Haus leuchteten.

Mittags aßen wir in dem Gasthof, der früher anders geheißen hatte und der dem Haus Nummer neunzehn gegenüberlag.

HIER HABEN MEINE GROSSELTERN OFT ZU MITTAG GEGESSEN. Statt der Funderplatten an der Wand mußt du dir eine Holztäfelung denken, sagte der Vater, dort, wo die Theke ist, wird ein Ofen gestanden sein, man sieht noch das Abzugsloch in der Wand. Und der Fußboden war auch nicht lackiert, den hat man mit Seifenwasser weiß gerieben.

Wir saßen an einem Tisch, dessen Platte mit Kunststoff belegt war, von den Fußbodenbrettern war der Lack an vielen Stellen abgetreten, die abgeblätterten Stellen waren schwarz und schmutzig, auf dem Fensterbrett lagen tote Fliegen.

DU BAUERNSAU, sagte ein Kartenspieler am Nebentisch zu seinem Nachbarn, DU VERFLUCHTE BAUERNSAU. Er trug eine schwarze Samtjacke und eine auffallend gestreifte Krawatte. Die anderen lachten.

Der Wirt fragte nach unseren Wünschen, wir bestellten das Essen. Meine Großeltern, sagte der Vater, haben hier längere Zeit gewohnt, sie waren mit dem Fabrikanten N. befreundet. Sein Sohn müßte noch leben.

Der ist schon lange tot, sagte der Wirt.

Um 1893 herum muß es gewesen sein, sagte der Vater hartnäckig. Er sprach die Jahreszahl aus, als sei es vorgestern oder gestern gewesen. Der Wirt sah ihn halb belustigt, halb erstaunt an. Die Männer am Nebentisch waren plötzlich still und drehten sich neugierig nach uns um.

Das alles betrifft mich nicht, dachte ich, als wir weiterfuhren, und es geht mich doch an. Wenn der Vater gestorben ist, wird alles, was er gewußt hat, vergessen sein.

Das Haus in Furthof lag direkt an der Straße, neben der Feilenfabrik, es war groß, einstöckig, das in zwei Stufen abfallende Dach war mit grauen Schindeln gedeckt. Zur Eingangstür führten fünf Stufen hinauf, die Tür war von einem kleinen, eisernen Balkon überdacht, der Balkon wurde von eisernen Säulen getragen.

MAN NANNTE ES DAS HERRENHAUS, sagte der Vater, hier war auch die Poststation untergebracht, hier hat die Postkutsche gehalten, sie ist von Schrambach gekommen, um ein Uhr mittags, glaube ich, von weitem hat man den Postfranzl auf seinem Horn blasen gehört.

Er ging auf die andere Straßenseite hinüber, stellte sorgfältig Entfernung, Zeit, Blende ein, fotografierte das Haus von der Vorderseite, ging um das Haus herum, fotografierte es von der Rückseite, den an die Rückseite des Hauses anschließenden, früher wahrscheinlich gepflegten, jetzt verwilderten Garten.

Hier muß es einen Springbrunnen gegeben haben, sagte er, meine Mutter hat mir davon erzählt.

An lauen Sommerabenden sei die Familie oft im Garten beisammengesessen, der Mond habe geschienen, der Springbrunnen habe geplätschert, Hermann, der Großvater, habe einen KURZEN TSCHIBUK geraucht, den Tschibuk habe er mit schwerem türkischen Tabak gestopft. KINDER, IHR WISST NICHT, WIE SCHÖN IHR ES HIER HABT, habe er oft gesagt, auch das habe ihm, dem Vater, seine Mutter berichtet. SIE HAT IMMER EIN WENIG HEIMWEH NACH FURTHOF GEHABT.

Ich suchte den Garten nach den Resten eines Springbrunnens ab, aber ich fand nichts, was auf die Existenz eines Springbrunnens in früheren Zeiten hingewiesen hätte, ich fand nur ein kleines, abgezäuntes Viereck, in dem Karotten, Petersilie und einige Krautköpfe wuchsen. HIER HAT MEINE GROSSMUTTER WAHRSCHEINLICH IHR GEMÜSE GEZOGEN. Die Familie habe einfach gelebt, sagte der Vater, zum Abendessen habe es oft STERZ gegeben, Braten nur sonntags und an Feiertagen. Amalia habe Gänse und Hühner gehalten, sie außer mit dem üblichen Körnerfutter auch mit in Milch getauchten Semmeln gefüttert, um den Geschmack des Fleisches zu verbessern. (Das SCHOPPEN der Gänse sei in ihrer Heimat, der Steiermark, nicht Sitte gewesen und habe als Grausamkeit und Tierquälerei gegolten.)

Den Pferden habe man übrigens, wenn man von einem Ausflug rascher heimkommen wollte, ebenfalls Semmeln zu fressen gegeben, diese Semmeln aber habe man in Wein getaucht.

Dem Feilenfabriksdirektor seien Wagen und Pferde zur Verfügung gestanden, oft habe man Ausflüge unternommen, man sei in das Gasthaus ZUR BRUCK gefahren, nach Marktl, Sankt Egyd, Lilienfeld, man habe Bekannte besucht, aber auch größere Fahrten unternommen, etwa nach Neuberg, Freiland oder Mariazell. Das alles wisse er, sagte der Vater, aus Amalias Tagebuch.

Nach Amalias Tod sei dieses Tagebuch unter den Erben geteilt worden und er, der Vater, habe seinen Teil gewissenhaft abgeschrieben und an die anderen Erben verschickt, seinerseits die Abschrift der anderen Teile von ihnen erbeten, aber auf seine Bitte niemals Antwort erhalten. Außer mir, sagte er, hat sich wahrscheinlich niemand die Mühe des Abschreibens gemacht. WER WEISS, OB SIE ES ÜBERHAUPT GELESEN HABEN, WAHRSCHEINLICH HABEN SIE, WAS SIE BEKOMMEN HABEN, EINFACH WEGGEWORFEN ODER VERBRANNT.

Rückwärts an den Garten schlossen sich kleine Gebäude an, Schuppen und Stall, HIER WAREN DIE KUTSCHEN UND DIE PFERDE UNTERGEBRACHT, MEINE MUTTER LIEBTE PFERDE UND HIELT SICH BESONDERS GERNE IN DER KUTSCHERSTUBE AUF, im Hintergrund stiegen die Wiesen zu einem Hügel an, auf dem Hügel begann der Wald.

HIER GING MAN ÜBER DIE ANNENHÖHE ZUR BRENNALM HINAUF. Ausflüge zur Brennalm, Schlittenpartien, Feuerwehrfeste. Am Fronleichnamstag trugen die Mädchen Blütenkränze im aufgelösten, tags zuvor mit Zuckerwasser befeuchteten und eingedrehten Haar. FRÜHMORGENS BRACHTE DIE WERKSKAPELLE MEINEM GROSSVATER EIN STÄNDCHEN.

Laientheater bei Silvesterfeiern, LEBENDE BILDER, meine Mutter und ihre zwei Schwestern sollten einmal GLAUBE, LIEBE UND HOFFNUNG verkörpern, sagte der Vater, meine Mutter sollte dabei einige Verse sprechen, verlor aber aus Lampenfieber die Sprache und brachte nur die Worte: ICH BIN DIE LIEBE heraus.

Hermann, der Sohn des Waldübergehers aus dem Rosaliengebirge, reiste nach London und brachte von dort moderne Feilenhaumaschinen mit, er stellte die Fabrik auf Maschinenbetrieb um.

Der Vater fotografierte die Feilenfabrik, er fotografierte die Haupt- und Nebengebäude, die Aufschrift über dem Portal.

Er habe nie herausbekommen können, sagte er, warum sein Großvater so früh pensioniert worden sei. In Amalias Tagebuch sei von GROSSEM KUMMER die Rede, Näheres habe wahrscheinlich in den anderen, durch die Nachlässigkeit der Erben verlorengegangenen Teilen gestanden. Er habe sich bemüht, der Sache auf den Grund zu gehen, irgend etwas müsse damals geschehen sein, wovon seine Mutter ihm nie erzählt habe, worüber sie nicht habe sprechen wollen, er habe schon vor vielen Jahren damals noch lebende Bekannte seines Großvaters nach den Zusammenhängen gefragt, aber nie die erwartete Auskunft bekommen. JETZT IST ES ZU SPÄT, sagte er, JETZT SIND ALLE, DIE ES GEWUSST HABEN, SCHON LANGE TOT, JETZT WERDEN WIR NIE MEHR ERFAHREN, WAS DAMALS GESCHEHEN IST.

Ich stand auf der Straße, vor dem Haus, beobachtete den Vater, der mit kleinen, vorsichtigen Schritten hin und her ging, ließ die Zeit zurückspringen, ein ganzes Jahrhundert zurück, dachte an jene, die in diesem Haus gelebt hatten, sah Amalia, wie ich sie von den Bildern her kannte, jung, resolut, lebenslustig und selbstbewußt, Tochter des Gastwirts und Erbpostmeisters aus Mürzhofen, die in ihrem Tagebuch gewissenhaft registrierte, wann sie Wäsche eingeweicht, Kleider zugeschnitten, Jacken genäht, Gemüse geerntet, wann sie Gäste empfangen, Besuche gemacht hat, wann sie mit den Kindern zur Kirche ging, wann sie geweint hatte und wann sie glücklich war, sah vier Kinder, drei Mädchen und einen Jungen, in einem von Ziegenböcken gezogenen Wägelchen sitzen, hörte die Kinder lachen, ließ die Zeit wieder vorwärtslaufen, das Leben dieser Kinder an mir vorbeiziehen, dachte daran, wie jedes von ihnen sein eigenes, ganz persönliches Unglück gehabt hatte.

Ich dachte daran, daß man Helene den Sohn genommen hatte, daß sie von Onkel Pepi, DER EIN GUTMÜTIGER MENSCH GEWESEN IST, aus dem Haus gejagt worden war.

Ich dachte an die schöne, unglückliche Marie, die zweitälteste der Töchter, die von einem im Haus arbeitenden Zimmermaler vergewaltigt worden war, sie mußte das Kind zur Welt bringen, es war ein Sohn, man brachte ihn sofort nach der Geburt zu fremden Leuten, für Marie war das Leben zu Ende, man war glücklich, als sich schließlich ein Mann dazu bereit erklärte, sie trotzdem zur Frau zu nehmen. Der Mann war Witwer, er war so alt wie Hermann, der Feilenfabriksdirektor, er hatte Krebs und hoffte auf Heilung im warmen Klima von Abbazia, Marie durfte ihn dorthin begleiten, Abbazia brachte jedoch, wie sich denken läßt, keine Linderung seiner Leiden, er starb wenige Jahre nach der Heirat, und Marie war wieder allein. Sie versuchte, ihrem verpfuschten Leben einen Sinn zu geben, pflegte Schwerkranke und die Kinder anderer Leute, während ihr eigener Sohn, den sie nicht sehen durfte, selbst krank war und mit sechzehn Jahren an Tuberkulose starb.

Wir besitzen eine Fotografie von Marie aus jener Zeit, große Augen in einem schmalen, immer noch schönen Gesicht, eine Schwesternhaube auf dem hochgekämmten Haar. IN TREUER LIEBE MIT EUCH VERBUNDEN WIRD SEIN UND BLEIBEN SR. MARIE.

Später trat sie in den Orden der Franziskanerinnen ein. Um für die Sünde zu büßen, die andere an ihr begangen hatten, soll sie die niedrigsten Arbeiten verrichtet haben. Beim Waschen der Steinfußböden in den Klostergängen im Winter zog sie sich ein Nierenleiden zu, an dem sie wenige Jahre später starb.

(Darüber nachdenken, von welchen Zufällen, Kleinigkeiten, unüberlegt getroffenen Entscheidungen ein Leben bestimmt wird, der Verlauf eines Lebens abhängt.

Wäre der Malergeselle damals nicht mit der jungen Marie alleingelassen worden, hätte Amalia, aber auch Hermann, der Feilenfabriksdirektor, hätten Maries Schwestern dem fremden Malergesellen nicht vertraut, wäre nur eines der anderen Familienmitglieder im Haus geblieben, hätte die Möglichkeit, dem Mädchen Marie GEWALT ANZUTUN, für den Malergesellen nicht bestanden, hätte Marie kein Kind geboren, hätte sie einen Mann ihrer Wahl heiraten können, wäre sie VIELLEICHT GLÜCKLICH GEWORDEN.

Hätten Amalia und Hermann anders entschieden, hätten sie den Sohn ihrer Tochter Marie nicht zu fremden Leuten gegeben, wäre er vielleicht ein gesunder, tüchtiger Mann geworden, hätte er vielleicht die Tuberkulose nicht bekommen, obwohl Tuberkulose damals sehr verbreitet gewesen ist. Vielleicht wäre er ein guter Schüler gewesen, vielleicht hätte man ihn zum Studium an die Bergakademie nach Leoben geschickt, vielleicht hätte er Überdurchschnittliches geleistet, vielleicht wäre er Feilenfabriksdirektor geworden.)

IN HOHENBERG KÖNNEN WIR JAUSNEN, sagte der Vater.

Wir fuhren nach Hohenberg hinüber, suchten den Gasthof DURST, fanden ihn unter anderem Namen, er hieß jetzt GASTHOF ZUM ROTEN HAHN.

Im Gasthof SINGER war ein SALETTL, sagte der Vater, IN DIESEM SALETTL WAR JEDE WOCHE JOUR FIXE, du kannst es im Tagebuch nachlesen.

Der Vater hätte gerne das Salettl gesehen, aber der Gasthof Singer war geschlossen. Die jetzige Besitzerin ist eine Wienerin, sagte der Wirt vom ROTEN HAHN, sie kommt erst gegen Weihnachten wieder. ZU WEIHNACHTEN KÖNNEN SIE DAS SALETTL SEHEN.

Vielleicht können wir von der Anhöhe hinter dem Gasthof Singer von rückwärts in den Garten und auf das Salettl hinunterschauen, sagte der Vater.

Hinter der Kirche führte ein sehr schmaler Weg auf die Anhöhe hinauf, aber er war steil und steinig. Der Vater versuchte einige Schritte, gab dann auf, wagte sich nicht weiter vor, aber auch nicht zurück. Ich bleibe hier stehen, sagte er, geh du allein weiter und sage mir dann, was du gesehen hast.

Ich wollte ihm nicht sagen, daß mir das Salettl, in dem die Urgroßmutter ihren Jour fixe gehalten hatte, eigentlich gleichgültig war, kletterte ein Stück weiter hinauf, blickte immer wieder zurück, fürchtete, der Vater könnte abrutschen, fallen, sich weh tun, am Ende den Fuß brechen, wagte es nicht, ohne das Salettl gesehen zu haben, umzukehren, sah schließlich wirklich von weitem einen geschnitzten hölzernen Giebel zwischen den Bäumen eines Gartens, aber nicht mehr, der Rest war von den Baumwipfeln verdeckt, mehr als der Giebel war nicht zu erkennen. Ich kehrte um, ging zum Vater zurück, der immer noch auf dem schmalen Weg stand und auf mich wartete.

Es hat keinen Sinn, sagte ich, man sieht nur den Giebel. Wir werden gegen Weihnachten einmal herfahren, wenn der Gasthof geöffnet ist.

Wer weiß, was zu Weihnachten ist, sagte der Vater.

5

Hinhören, wenn die Altgewordenen sich erinnern.

Wir hatten einen Alabasterschirm, sagt die Mutter, in den war eine Frauengestalt mit wehendem Gewand eingraviert. Den Schirm hat man vor eine Kerze gestellt, und dann hat er ein gedämpftes Licht verbreitet, es hat ausgesehen, als ob das Gewand der Frau sich bewegt hätte, wenn die Kerzenflamme geflackert hat.

Nein, sagt die Schwester der Mutter, es war keine Kerze, es war ein Petroleumlicht.

Wir, sagt der Vater, hatten auch so einen Schirm, aber er bestand aus vier zylindrisch aneinandergefügten Alabasterplatten, so daß das Licht von allen vier Seiten eingeschlossen war, er war auch nicht graviert, die Bilder waren erhaben.

Du hast recht, sagt die Mutter, nicht graviert, wenn man mit dem Finger darübergestrichen hat, hat man die Rundungen gespürt.

Ja, sagt der Vater, RELIEFS waren es.

Nachts hat immer ein Öllicht gebrannt, ein Nachtlicht, das war ein Glas mit Öl, in dem Öl ist ein Schwimmer mit einem Docht geschwommen, es war ein ganz schwaches, sanftes Licht.

Man konnte ja auch, wenn man einmal aufstehen mußte, nicht einfach den Lichtschalter andrehen, es gab ja auch noch keine Lichtschalter, es war nicht so einfach, Licht zu machen, deswegen hat das Nachtlicht gebrannt.

Ich erinnere mich genau, sagt die Mutter, einmal bin ich abends beim Tisch gesessen und die Petroleumlampe hat gebrannt, ich habe meine Schulaufgaben gemacht, da hat mir die Mutter über das Haar gestrichen und hat gesagt: Morgen haben wir schon elektrisches Licht.

Sich vorstellen, daß die Altgewordenen Kinder gewesen sind, die kleinen Köpfe über Schulhefte gebeugt, die Finger krampfhaft den Federstiel oder den Bleistift haltend, die ersten Buchstaben mit einem Kreidegriffel auf die schwarze Schiefertafel malend, bei Petroleumlicht, zwei mal zwei ist vier, fünf mal drei ist fünfzehn, man weiß nicht, was aus ihnen werden wird, aber wir, die später Geborenen, wissen, was ihnen widerfahren ist.

Noch hält die Postkutsche, schwarzgelb gestrichen, mittags gegen ein Uhr vor dem Herrenhaus in Furthof, noch bläst der Postfranzl seine Melodien auf dem Posthorn, sind auf den Straßen zweispännig, vierspännig, von Pferden gezogene Wagen unterwegs, aber schon sitzen irgendwo Herren mit schwarzen Halbzylindern oder mit weißleinenen Schirmkappen in hochrädrigen Benzinkutschen, noch nimmt das Postfräulein Helene täglich den Postsack vom Postillion in Empfang, aber bei Siemens und Halske bastelt man schon an der Herstellung eines Tasten-Schnelltelegraphen, noch staunen die Menschen mit verdrehten Hälsen dem riesigen lenkbaren Luftschiff des Grafen Zeppelin nach, aber die Brüder Wright unternehmen bereits, als Verrückte bestaunt und begafft, ihre waghalsigen, selbstmörderischen Flüge in ihren selbstgebastelten Motorflugapparaten. Noch schreiben die Kinder ihr zwei mal zwei ist vier beim Schein der Petroleumlampe aufs Papier, aber Marie und Pierre Curie ist die Entdeckung der Radioaktivität gelungen. Noch flackern Kerzen hinter Alabasterschirmen, verbreiten Öllämpchen in Kinderschlafzimmern sanftes Licht, aber ein neues Zeitalter der Technik und der Chemie hat bereits begonnen, wir, die viel später Geborenen, wissen noch nicht, was daraus werden wird.

Sich vorstellen, daß das Kind, das der Vater werden wird, in einem von Gaslicht erhellten Treppenhaus steht, an der Hand seiner Mutter Friederike, der jüngsten Tochter des Feilenfabriksdirektors, daß der Sarg mit dem toten Großvater an ihm vorbeigetragen wird. Alt geworden, wird sich der Vater an die bogenförmigen Gasflammen im Treppenhaus erinnern.

Das Kind am Fenster der Brünner Wohnung stehen, auf die Geleise der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn hinunterschauen sehen. DIE EIN- UND AUSFAHRENDEN ZÜGE MIT IHREN QUALMENDEN LOKOMOTIVEN ZOGEN MICH AUSSERORDENTLICH AN.

Das Kind, sonntäglich herausgeputzt, mit vor Aufregung roten Wangen im Brünner Stadttheater, neben der Mutter Friederike sitzend, EINE NACHMITTAGSVORSTELLUNG DER OPERETTE PRINZ METHUSALEM VON JOHANN STRAUSS WAR MEIN ERSTES THEATERERLEBNIS. Dieses Kind auf dem eisernen Aussichtsbalkon oberhalb der Mazochaschlucht stehen sehen, erschrocken und fasziniert in die grausige Tiefe blikkend, sich am eisernen Geländer festhaltend. IN DER SOGENANNTEN MÄHRISCHEN SCHWEIZ, UNWEIT VON BRÜNN, KLAFFT EIN ETWA 140 METER TIEFER ABGRUND MIT SCHROFFEN KALKSTEINWÄNDEN UND EINEM WASSERSPIEGEL AM GRUNDE, DER VON DEM FLUSS PUNKWA GESPEIST WIRD.

Alt geworden, wird sich der Vater erinnern, wie sich sein Vater Adalbert für ihn eigens neben das Schwungrad der Lokomotive eines der Prager Schnellzüge stellte, das ihn um ein gutes Stück überragte.

Er wird sich an den schwarzen Landauer erinnern, der vor dem Bahnhofsgebäude in der nordmährischen Kleinstadt Zwittau wartete und ihn mit den Eltern nach Mährisch-Trübau brachte, das 18 Kilometer entfernt von der Hauptstrecke lag.

Die Zeit noch einmal zurückdrehen, zurückspringen lassen. Die Julisonne aufgehen lassen über Furthof, ein schöner Tag, ein sonniger Tag, Amalia hat es in ihrem Tagebuch aufgeschrieben:

(27. Juli 1892, früh aufgestanden, sehr schöner Tag gewesen. Für Friederike den Koffer gepackt.)

Amalia holt den mit Leinen bespannten Koffer vom Dachboden, staubt ihn sorgfältig ab, legt mit Spitzen besetzte Unterwäsche aus Leinen hinein, gestrickte Strümpfe aus Leinen- oder Baumwollgarn, raschelnde Unterröcke, sie holt das tags zuvor gewaschene weiße Batistkleid der jüngsten Tochter aus dem Wäschekorb, besprengt es mit Wasser, erhitzt am Küchenherd den Stahl des Bügeleisens, prüft mit der Spitze des befeuchteten Zeigefingers die Bügelfläche, horcht dem Zischen nach, greift nach dem eingerollten Batistkleid, legt es auf den Bügeltisch, bügelt die Volants, die mit Spitzen besetzten bauschigen Ärmel, die übrigen Teile des Kleides,

(Friederike ihr weißes Batistkleid gebügelt)

geht an den Schrank, holt ein blaues Leinenkleid heraus, setzt sich damit zum Tisch, trennt mit der Schere den Saum des Kleides auf, bügelt den Saum mit dem Bügeleisen, heftet den aufgetrennten, gebügelten Saum neu um, näht ihn mit kleinen Stichen fest,

(Friederike ihr blaues Leinenkleid länger gemacht)

holt weitere Kleider, Jacken, Blusen, Röcke aus dem Schrank, näht hier eine Schlaufe fest, bessert dort einige Stiche aus, näht, besprengt mit Wasser, bügelt, faltet zusammen, packt den Koffer für ihre jüngste Tochter, die von der mit Hermann und Amalie befreundeten Familie des Gutsverwalters und Alaunbergwerksdirektors Ferdinand Weinkopf nach Drnowitz in Mähren eingeladen worden ist.

(Brief von Weinkopf gekommen, Friederike nach Drnowitz eingeladen, große Freude gehabt.

Vormittags viel geplagt, nachmittags mit dem Packen fertiggeworden, Telegramm an Weinkopfs geschickt.

29. Juli 1892, Vater und ich Friederike zum Bahnhof gebracht.

3. August 1892, Brief von Friederike gekommen, ist gut in Drnowitz angekommen.)

Drnowitz oder Drnovice liegt südlich von Eiwanowitz oder lvanovice, östlich von Račice, westlich von Wischau, das heute Viškov heißt. Nordöstlich von Drnowitz liegt Boskowitz oder Boscovice. Aus Boskowitz kam Adalbert, der Sohn des Färbermeisters Josef, nach Drnowitz, er war inzwischen Tierarzt geworden, vielleicht hatte man ihn gerufen, um nach einer erkrankten Kuh, einer Zuchtsau, einem Pferd zu sehen, vielleicht quälte sich eine Stute mit der Geburt eines Fohlens ab, vielleicht lahmte das Lieblingsreitpferd des Alaunbergwerkdirektors, Adalbert kam, sah, diagnostizierte, kurierte, sah aber nicht nur die Kuh, die Zuchtsau, das Reitpferd, er sah auch Friederike aus Furthof bei Lilienfeld, sie war gerade sechzehn Jahre alt geworden, sie trug das dichte hellbraune Haar zu dicken Zöpfen geflochten, auf der Fotografie, die aus der ovalen Aussparung im vergilbten Karton des Albums blickt, fallen ihr kleine Löckchen in die glatte Stirn. Adalbert war beinahe doppelt so alt wie Friederike, er sah die Zöpfe, die Löckchen, verliebte sich in das Mädchen, in seine durch mütterlichen Einfluß leicht steirisch gefärbte niederösterreichische Aussprache, in seine Zwielaute, Umlaute, Vokale, verliebte sich überhaupt in Friederike, fuhr bald darauf nach Furthof, kam wahrscheinlich in Furthof mittags gegen ein Uhr mit der Postkutsche an. Der Postfranzl blies auf seinem Horn, das Postfräulein Helene kam aus dem Herrenhaus, nahm die Post entgegen, blickte erstaunt nach Adalbert hin, Adalbert fragte nach Friederike, fragte nach Hermann, dem Feilenfabriksdirektor, wurde von Helene ins Haus gebracht.

Noch im gleichen Jahr verlobten sich Adalbert und Friederike, zu Beginn des folgenden Jahres fand die Verlobung der älteren Schwester, Helene, mit jenem Mann statt, der später ONKEL PEPI hieß.

In Amalias Tagebuch sind beide Ereignisse eingetragen:

(12. Dezember 1892, sehr schöner Tag, kam Adalbert um Friederike anhalten, haben einen guten Karpfen gehabt, schön gespeist. Adalbert sehr lieber Kerl.

14. Dezember, Schnee und Regen, Adalberts und Fritzerls Verlobung gefeiert.

16. Dezember, Schneegestöber, mit Friederike nach Lilienfeld gefahren, Spitzen einkaufen. Verlobungskarten ausgeschickt. Abends Jägerunterhaltung im Salettl, sehr gut unterhalten.

6. Mai 1893, ziemlich schön, an Fritzerl ihrem blauen Kleid genäht, hergerichtet für den Abend, Vater nach Lilienfeld gefahren, nachmittags wieder zurückgekommen, abends Verlobung Helene und Pepi gefeiert.

15. Mai, Regen, entsetzlicher Kot, Wäsche eingeweicht, Verlobungskarten geschrieben. Abends mit Vater zu Durst gegangen, Kegel geschoben, dann ins Salettl gegangen bis % 12 Uhr. Prächtig unterhalten.)

In Amalias Tagebuch ist auch festgehalten, was in der Zeit nach der Verlobung der Töchter für sie neben der täglichen Hausarbeit noch zu tun gewesen ist:

(Kleider und Blusen für Helene und Fritzerl zugeschnitten, fleißig genäht.

Fleißig gestickt.

Fleißig die Rosakleider für Mädeln fertiggemacht.

Sehr müde gewesen, zeitlich schlafen gegangen. Fritzl ihre Hosen, Nachtkorsetten und Unterröcke zugeschnitten. In Lilienfeld gewesen, Spitzen eingekauft, Nachtkorsetten fertiggemacht.

Polsterziechen genäht.

Duchetziechen gemacht.

Fleißig genäht bei Fritzi und Lenerl ihre Sachen.

Mäderln ihre Hochzeitskleider zugeschnitten, bis abends genäht, sehr müde.

Endlich die Wäsche von die Mäderln fertigbekommen.)

Amalia, die tüchtige Gastwirtstochter aus Mürzhofen, hat nicht nur jedes Kleidungsstück für ihre Töchter selbst zugeschnitten, geheftet, Stich für Stich mit eigener Hand fertiggestellt, sie hat das gleiche mit jedem Wäschestück getan, das die Töchter als Heiratsgut mitbekamen, sie hat diese Wäschestücke mit gestickten Monogrammen versehen, sie hat die Brautkleider der Töchter genäht. Nebenbei hat sie gekocht, gebacken, Wäsche gewaschen, in den Garten zum Trocknen gebracht, gebügelt, in die Schränke gelegt, sie hat ihren Garten bestellt,

(Knoblauch, Zwiferl, Petersil und gelbe Rüben gesetzt, Kartoffeln gelegt, Kohlrüben, Karfiol, Kraut und Kohl gepflanzt, gehackt, gejätet, geerntet, gedüngt, Karfiol ausgeschnitten, Kartoffeln ausgenommen, Blumen gesetzt und gepflegt, Rosen geschnitten)

sie hat Fische gesotten, Kletzenbrot gebacken, die Bücher TROTZKOPFS BRAUTZEIT und GOLDELSE gelesen, sie hat Jour fixe im Salettl gehalten, im Gasthof Durst Kegel geschoben, im Gasthof Singer gejodelt und Pilsner Bier getrunken, sie hat auf der Brennalm getanzt (Große Brennalm-Partie, 15 Personen, Feuerwerk abgebrannt, Musik, sehr lustig gewesen), sie ist mit Hermann nach Mariazell gefahren, auf die Bürgeralpe gegangen, hat Verwandte in Wien besucht, ist in den Prater gefahren, ins Theater und in die Oper gegangen.

Sie hat, ganz heimlich und nebenbei, ihr Geheimnis gehabt.

(Brief von S. bekommen.

Geantwortet.

Kummer gehabt. Viel geweint.

Großer Verdruß mit Hermann, ist mir sehr schwer gewesen.

Brief geschrieben.

Sehr schwerer Abschied von S.)

Friederike und Adalbert wurden zwei Jahre nach ihrer Verlobung in der Stiftskirche von Lilienfeld vom Abt persönlich getraut. Friederike verließ ihre HEIMAT Furthof und folgte Adalbert nach Boskowitz, später nach Brünn, wenige Jahre nachher wurde Adalbert in die nordmährische Kleinstadt Mährisch-Trübau versetzt.

WIR SOLLTEN EINMAL NACH MÄHRISCH-TRÜBAU FAHREN, sagte ich zum Vater.

Obwohl der Vater in Boskowitz geboren wurde und in Brünn die ersten Jahre seiner Kindheit verlebt hat, ist ihm Mährisch-Trübau HEIMAT gewesen.

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