Kitabı oku: «Die Erscheinungen von Kibeho», sayfa 3

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Kapitel 3


Maria wird akzeptiert


Die Muttergottes sollte meine Gebete schon bald erhören.

Es stellte sich heraus, dass wir nicht die einzige Familie waren, die während des Igitaramo über Alphonsines Erscheinungen diskutiert hatte. Nach wenigen Tagen war der Name Alphonsine Mumureke in unserem Dorf in aller Munde. Über Nacht war die Geschichte von ihren Erscheinungen vom winzigen Kibeho in die große ruandische Hauptstadt Kigali gelangt. Auf Radio Ruanda wurde über die Erscheinungen debattiert, und selbst unseren Nachbarländern Burundi, Tansania, Zaire (wie die Demokratische Republik Kongo damals noch hieß) und Uganda war die Nachricht eine Meldung wert. Die Bauern, die rund um Kibeho lebten, verließen ihre Felder und tummelten sich in der Nähe der Schule, die das Mädchen besuchte, um vielleicht einen Blick auf die Muttergottes zu erhaschen.

Die Nachricht von der Ankunft der Jungfrau Maria hatte sich so rasch im ganzen Land verbreitet, dass mir das allein schon wie ein Wunder vorkam. Ich hatte sie gebeten, dafür zu sorgen, dass die Ruander an ihre Erscheinung glaubten, und nun wusste bereits das ganze Land, dass sie gekommen war.

Doch mein Vater blieb skeptisch. »Genau das hat Pater Clement befürchtet«, sagte er, als ich ihn fragte, ob wir jetzt mit der Familie nach Kibeho fahren würden. »Die Menschen hier sind so arm, dass sie gierig jede Art von Wunder ergreifen, weil es ihnen Hoffnung gibt und ihr tägliches Elend lindert. Und doch ist es wahrscheinlich bloß ein Schwindel, wie wir gestern Abend gesagt haben, oder eine Halluzination. Oder Teufelswerk.«

»Aber wenn doch alle glauben, dass es wahr ist, Papa, warum können wir dann nicht einfach nach Kibeho fahren und uns selbst ein Bild machen?«

»Immaculée, nicht alle glauben, dass die Erscheinungen wahr sind. Clement hat mir erzählt, dass die Priester, Nonnen und Schülerinnen an ihrer Schule Alphonsine eine Lügnerin nennen und sie sehr schlecht behandeln. Sie könnte wegen so einer Sache sogar einen Schulverweis bekommen. Pater Clement sagt, dass sich die kirchlichen Behörden damit befassen, also wollen wir davon ausgehen, dass dieses Mädchen einem Trugbild oder einer Täuschung aufsitzt, solange wir nicht gehört haben, was die Kirche dazu sagt.«

Das ist genau dasselbe, was mit den Kindern in der Geschichte geschehen ist, die Miss Odette uns über Fatima und Lourdes vorgelesen hat, dachte ich. Ich wusste, dass es zwecklos war, weiter mit meinem Vater zu diskutieren – er war ein ebenso kluger wie starrköpfiger Mann, und die Überzeugungen einer Elfjährigen würden seine Meinung nicht ändern. Also ging ich in mein Zimmer und nahm meinen Rosenkranz, der in meiner Vorstellung so etwas wie eine Telefonleitung war, die mich mit Maria verband. Ich kniete mich vor ihrer Statue nieder und betete: Liebe Mutter, nächste Woche ist der Geburtstag Deines Sohnes. Bitte, mach Ruanda ein Weihnachtsgeschenk. Gib, dass alle glauben können, dass die Botschaften, die Du Alphonsine anvertraust, wahr sind. Amen.

Auch wenn das Geschenk, um das ich gebeten hatte, nicht zu Weihnachten kam, konnte man es doch als ein wirklich großartiges Geburtstagsgeschenk gelten lassen – Vater machte es mir am 12. Januar 1982, zwei Tage, bevor ich zwölf Jahre alt wurde! Er kam nach Hause, nahm mich in seine starken Arme und sagte: »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Ich glaube, die Muttergottes ist wirklich nach Ruanda gekommen!«

Ich kreischte in den höchsten Tönen und meine Mutter schüttelte belustigt den Kopf und murmelte: »Jetzt geht das schon wieder los.«

Pater Clement hatte gerade erfahren, dass eine zweite Schülerin an der Kibeho High School, die siebzehnjährige Anathalie Mukamazimpaka, behauptete, die Jungfrau Maria sei ihr im Schlafsaal erschienen. Anathalie war ein frommes und gläubiges Mädchen und Vater sagte: »Die Botschaften, die die beiden Mädchen empfangen haben wollen, sind ähnlich – sehr positiv und in Übereinstimmung mit dem, was die Bibel lehrt. Demnach will die Jungfrau Maria, dass wir einander gut behandeln, dass wir die Jungfrau Maria als unsere liebevolle Mutter betrachten und dass wir jeden Tag den Rosenkranz beten, um uns der Liebe ihres Sohnes näherzubringen. Ich gebe zu, dass dies nicht nach dämonischen Botschaften klingt.«

Ich flehte ihn an, mich zu meinem Geburtstag nach Kibeho zu fahren, doch er war noch immer dagegen. »Noch ist nichts sicher«, erklärte er. »Pater Clement hat mir gesagt, dass sich die Kirche an ein amtliches Verfahren hält, wenn sie solche Erscheinungen untersucht, also sollten wir warten, bis der Ortsbischof eine Entscheidung getroffen hat. Kibeho liegt im Erzbistum Butare, der Diözese von Bischof Jean-Baptiste Gahamanyi. Ich kenne Gahamanyi; er ist ein guter Christ, und er ist klug. Wenn er entscheidet, dass die Erscheinungen echt sind, dann fahren wir vielleicht nach Kibeho, falls die Straßen nicht allzu schlecht sind. Und wenn ich vielleicht sage, dann meine ich vielleicht!

Bete weiter den Rosenkranz und lies in der Bibel, Immaculée. Wenn Maria will, dass du nach Kibeho kommst, dann wird es auch geschehen …«

IM MÄRZ ERSCHIEN DIE JUNGFRAU MARIA einer dritten Schülerin an der Kibeho High School: der einundzwanzigjährigen Marie-Claire Mukangango. Alle im Dorf sprachen darüber, und die Nachricht, dass es nun schon drei Seherinnen gab, wurde den ganzen Tag über im Radio verbreitet.

In der Sonntagsmesse kündigte Pater Rwagema an, dass er nach der Regenzeit im April und Mai eine große Wallfahrt nach Kibeho organisieren werde, damit die Gemeindemitglieder die Gelegenheit hätten zu hören, was die selige Jungfrau Maria durch die drei Seherinnen kundtat. Für die, die nicht an der Wallfahrt teilnehmen könnten, werde er seinen Kassettenrekorder mitnehmen und die Botschaften aufzeichnen. Jetzt glaubten alle in der Kirche, dass die Erscheinungen echt waren, und gerieten bei dem Gedanken an die bevorstehende Wallfahrt in freudige Erregung.

Nach der heiligen Messe drängte sich unsere Familie in Vaters kleinen Wagen, um die üblichen Sonntagsbesuche bei den Verwandten zu absolvieren, die über das ganze Umland verteilt wohnten. Die Fahrt zu unseren vielen Tanten und Cousins und Cousinen dauerte Stunden, und noch ehe mein Vater auf den ausgefahrenen Ziegenpfad eingebogen war, der unserer Region als Hauptstraße diente, traktierten meine Brüder und ich uns schon gegenseitig mit den Ellenbogen, um uns ein wenig mehr Platz zu verschaffen. Während der Fahrt fragte ich Vater, ob er nach dem, was wir in der Kirche gehört hatten, nun von der Echtheit der Erscheinungen überzeugt war. Er nahm sich viel Zeit mit der Antwort und wir wussten, dass er im Begriff war, sein Urteil über Kibeho zu sprechen.

»Nun, bis zu dem Zeitpunkt, als mir Pater Clement gestern von der dritten Seherin Marie-Claire erzählt hat, war ich alles andere als sicher.

Pater Clement hat mit einem Priester von der Highschool gesprochen, der keinem der Mädchen geglaubt hatte. Er hatte sie einen Haufen Lügnerinnen genannt und wollte sich dafür einsetzen, sie von der Schule zu verweisen. Doch dann kam Marie-Claire zu ihm und sagte, sie hätte eine Botschaft für ihn.

›Entschuldigen Sie, Herr Pfarrer, ich will nicht respektlos sein‹, sagte sie zu ihm, ›aber die Muttergottes ist mir heute erschienen und hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass Sie die Kinder zu Unrecht quälen und dafür Buße tun müssten. Sie will, dass Sie heute Abend niederknien, sich für Gott öffnen und mit ausgebreiteten Armen drei Rosenkränze beten.‹«

»Echt jetzt, Papa? Sie hat ihm einen Befehl von der Jungfrau Maria überbracht?«, platzte Damascene heraus. Er war schwer beeindruckt. Er und Aimable gingen beide auf katholische Internate und wussten, was es bedeutet, frech zu einem Priester zu sein.

»Was hat der Priester Marie-Claire geantwortet?«, fragte ich und war entzückt, dass wir uns gerade tatsächlich über ein Dreiergespräch zwischen einer Seherin, der Muttergottes und einem Priester unterhielten. Genau wie in der Bibel, als Gott Mose befahl, er solle dem Pharao sagen, dass er sein Volk ziehen lassen solle!, dachte ich.

»Der Priester nannte Marie-Claire eine kleine Lügnerin und befahl ihr, in den Schlafraum zu gehen und dort am nächsten Morgen zu warten, bis er sich eine geeignete Strafe für sie ausgedacht haben würde«, antwortete unser Vater. »Doch am Abend entschied er sich, kein Risiko einzugehen – nur für den Fall, dass die Erscheinungen echt waren, und weil es ja auch nicht schaden konnte, ein bisschen mehr zu beten. Also schloss er sich in seinem Zimmer ein, zog die Vorhänge vor, damit ihn niemand sah, kniete sich auf den Boden und betete mit ausgebreiteten Armen den Rosenkranz, genau wie Marie-Claire es ihm von der Jungfrau Maria ausgerichtet hatte. Als er damit fertig war, legte er den Rosenkranz in seinen Nachttisch und legte einige Bücher und Zeitschriften darüber, ehe er die Schublade schloss.

Am nächsten Morgen ließ der Priester Marie-Claire in sein Büro kommen, um ihr einen weiteren Verweis zu erteilen. Die Schülerin lächelte fröhlich, als sie hereinkam, und ehe der Priester auch nur den Mund aufmachen konnte, sagte sie zu ihm: ›Herr Pfarrer, die Muttergottes ist sehr froh, dass Sie den Rosenkranz genau so gebetet haben, wie sie es Ihnen ausrichten ließ, aber sie hat mir heute Morgen gesagt, Sie hätten nicht all diese Bücher und Zeitschriften auf den Rosenkranz legen sollen, als Sie ihn in Ihre Schublade zurücklegten. Sie sagt, Sie sollten ihn immer bei sich tragen und ihn täglich beten.‹

Pater Clement erzählte mir, dass der Priester sich im selben Augenblick bekehrt habe. Er ist jetzt ein großer Unterstützer der Seherinnen. Also, Immaculée, um deine Frage zu beantworten: Ja, ich glaube, dass die Jungfrau Maria diesen Mädchen in Kibeho erscheint. Ich bin mir dessen so sicher, dass ich mich entschlossen habe, gemeinsam mit Pater Rwagema und den anderen Gemeindemitgliedern dorthin zu pilgern.«

»Oh! Darf ich mitkommen?«, bettelte ich.

»Nein, diesmal nicht. Sieh dir das Land dort draußen an«, sagte er und wies auf die endlosen Hügel, die sich vor unseren Augen erstreckten. Einige der tiefer gelegenen Täler waren selbst jetzt in der Mittagszeit noch dunkel. »Es wird eine Fußwallfahrt sein. Damit werden wir der Jungfrau Maria unsere Verehrung bezeigen und des leidvollen Weges gedenken, den sie gegangen ist, als sie ihrem Sohn nach Golgatha folgte. Es ist eine Reise von vielen Tagen und an einigen Stellen gibt es nicht einmal eine Straße. Wir werden im Busch schlafen und durch den Wald gehen, und für ein kleines Mädchen ist das alles viel zu gefährlich.«

Ich schmollte noch eine ganze Zeit lang, während der Wagen über die Straße holperte und schlingerte. Als ich gerade zu meinem letzten Appell ansetzte, um meinen Vater vielleicht doch noch umzustimmen, drehte meine Mutter, die bis dahin still auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, sich zu mir um. Sie sah die Verzweiflung in meinen Augen und lächelte tröstend, ehe sie das Gespräch beendete. »Wenn du in deinem Zimmer betest, wird die Muttergottes dich genauso gut hören wie in Kibeho«, erinnerte sie mich. »Fang nicht wieder davon an, die Antwort lautet Nein

»Sei nicht traurig, Immaculée«, sagte Vater sanft. »Ich bleibe dabei: Eines Tages kommst du nach Kibeho. Du musst nur Geduld haben.«

Ich würde mich noch über zehn Jahre gedulden müssen, ehe ich Kibehos heiligen Boden betreten konnte. Doch weil Pater Rwagema viele Wallfahrten veranstaltete und sie allesamt aufzeichnete, konnte ich Stunde um Stunde und Woche für Woche hören, was die selige Jungfrau Maria durch die Seherinnen sprach. Ihre Stimmen wurden mir so vertraut, dass es sich anfühlte, als wäre ich mit ihnen aufgewachsen, und schließlich kannte ich auch ihre Lebensgeschichten genauso gut wie die meiner eigenen Familienmitglieder. Ich habe diese wie kleine Juwelen in meinem Herzen bewahrt, und wann immer ich kann, teile ich sie mit anderen Menschen – genau wie jetzt.


Kapitel 4


Die erste Seherin: Alphonsine


Anfangs glaubte niemand an der Kibeho High School, dass Alphonsine Mumureke wirklich die Jungfrau Maria gesehen hatte: Weder die Priester noch die Nonnen noch ihre Mitschülerinnen am Internat nahmen der Sechzehnjährigen ihre Geschichte ab, wonach ihr die Muttergottes mit Botschaften erschienen sei, die angeblich die Welt retten konnten.

Und warum sollten sie auch? Das Mädchen hatte nichts Besonderes an sich, was einen himmlischen Besuch gerechtfertigt hätte. Alphonsine war keine begabte Schülerin (genau genommen waren ihre Noten nicht einmal mittelmäßig), und auch wenn sie ein gutes katholisches Mädchen war, konnte man sie weder als bibelfest noch als auffallend fromm bezeichnen. Sie war ein einfaches, bettelarmes Dorfmädchen, und bis zum 28. November 1981 hatte ihre größte Leistung darin bestanden, dass sie die Grundschule abgeschlossen und dann das unglaubliche Glück gehabt hatte, die weiterführende Schule besuchen zu dürfen.

Alphonsine war am 21. März 1965 zur Welt gekommen und in dem winzigen Dorf Zaza aufgewachsen, einem kleinen Flecken im Osten Ruandas, der nur aus einigen wenigen Lehmhütten, einer einklassigen Grundschule und einer kleinen Kirche bestand. Und sie war das einzige ruandische Scheidungskind, von dem ich je gehört hatte. Scheidung war in unserem Land extrem selten, doch Alphonsines Eltern, Thaddée und Marie, hatten sich noch vor der Geburt ihrer Tochter getrennt. Marie tat alles, damit es Alphonsine gut ging: Trotz drückender Armut und obwohl alleinerziehende Mütter mit tief in der ruandischen Kultur und Gesellschaft verwurzelten Vorurteilen zu kämpfen hatten, sorgte Marie dafür, dass ihr kleines Mädchen genug zu essen hatte und die Grundschule besuchen konnte. Sieben Tage in der Woche arbeitete sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf den Feldern der ansässigen Bauern, pflückte Bohnen und las Kartoffeln.

Trotz familiärer Probleme und finanzieller Sorgen hatte Alphonsine eine glückliche Kindheit. Sie sang gern und beherrschte viele der traditionellen ruandischen Volkstänze. Jeden Sonntag besuchte sie mit ihrer Mutter die heilige Messe und sie glaubte an Gott, auch wenn sie nicht aus eigenem Antrieb in der Bibel las oder wie viele der anderen Mädchen in Zaza einer Gebetsgruppe angehörte. Doch Alphonsine liebte die Muttergottes und immer, wenn sie einsam war oder Schwierigkeiten mit den Schularbeiten hatte, betete sie zur Jungfrau Maria, um Trost und Hilfe zu erlangen.

Es war davon auszugehen, dass Alphonsine nach der Grundschule zusammen mit ihrer Mutter auf dem Feld arbeiten würde. Wegen der Armut war die weiterführende Schule für die überwiegende Mehrheit der ruandischen Kinder ein Ding der Unmöglichkeit und Marie und Alphonsine waren ärmer als die meisten. Im ländlichen Ruanda gab es für eine Frau, die nicht wenigstens die Highschool abgeschlossen hatte, nur eine einzige Karriere: Ehefrau und Mutter zu werden. Und da Alphonsine ein Scheidungskind ohne Mitgift war, hatte sie nur geringe Aussichten, dass jemand sie heiraten wollte.

Doch Marie hatte hart dafür gearbeitet, dass ihre Tochter die Voraussetzungen für die Highschool erfüllte, und sie hatte jahrelang zum Herrn gebetet, damit ihrem Kind der Segen einer höheren Schulbildung zuteilwerden könnte. Mit der Hilfe eines örtlichen Priesters, der Marie schon lange für ihren Glauben und für ihre Entschlossenheit bewunderte, ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen, fanden ihre Gebete schließlich Erhörung. Der Priester hatte Freunde in der Schulbehörde, und als er erfuhr, dass an der staatlich geförderten Highschool in Kibeho (etwa 200 Kilometer von Zaza entfernt) überraschenderweise ein Platz frei geworden war, reagierte er rasch und sorgte dafür, dass Alphonsine diesen Platz bekam. Da es sich um ein katholisches Mädcheninternat handelte, das von Nonnen geführt wurde, war Marie zuversichtlich, dass ihre Tochter dort gut aufgehoben und versorgt sein würde. Doch obwohl der Staat Alphonsines Schulgeld übernahm, brauchte Marie beinahe jeden Groschen, den sie in den vergangenen sechzehn Jahren mühsam zusammengespart hatte, um ihrer Tochter die Reise zu bezahlen.

Alphonsines neue Schule gehörte zu den ärmsten Bildungseinrichtungen im ganzen Land. Da es dort weder fließendes Wasser noch Strom gab, mussten die Schülerinnen einen Großteil ihres Tages damit zubringen, an einem weit entfernten Fluss Wasser zu holen, und wenn der altersschwache Generator der Schule wieder einmal ausgefallen war, mussten sie ihre Schularbeiten bei Kerzenlicht erledigen. Doch allein die Tatsache, dass sie dort aufgenommen worden war, fühlte sich für Alphonsine schon an wie ein Harvard-Stipendium.

Zum ersten Mal überhaupt war sie von zu Hause weg, und verglichen mit Zaza kam ihr Kibeho riesig vor. Sie mitgezählt, lebten an der Schule hundertzwanzig Mädchen, die meisten Katholikinnen, doch es gab auch ein paar protestantische und sogar zwei muslimische Schülerinnen. Die neue Umgebung machte Alphonsine nervös und unsicher, doch dank ihrer offenen und geselligen Art gewann sie rasch neue Freundinnen. Dennoch versuchte sie nicht allzu offen zu sein – in der konservativen ruandischen Kultur erwartete man von Kindern und insbesondere von Mädchen ein ruhiges, wohlerzogenes und sittsames Auftreten.

Alphonsine lernte fleißig, doch es fiel ihr schwer, mit den anderen Schritt zu halten. Wenn sie das Klassenziel nicht erreichte, so ihre Sorge, würde sie nie eine Arbeit finden, um für ihren eigenen oder den Lebensunterhalt ihrer in Armut lebenden Mutter aufzukommen. Wie sie es von Kindheit an gewohnt war, betete das Mädchen zur Jungfrau Maria um Hilfe … und wurde erhört. Und was dann geschah, sollte nicht nur das Leben der jungen Frau, sondern auch das Leben von Hunderttausenden oder sogar Millionen anderer Menschen verändern.

DER 28. NOVEMBER 1981 WAR EIN SAMSTAG und begann genau wie alle anderen Tage. Dann aber überkam Alphonsine wenige Augenblicke nach der letzten Unterrichtsstunde – Erdkunde –, in der sie einen unangekündigten Test geschrieben hatten, ein mächtiger Ansturm merkwürdig gemischter Gefühle. Sie war außer sich vor Freude und doch gleichzeitig voller Angst. Verwirrt und erschrocken sprach sie auf dem Korridor eine Freundin an, beschrieb ihr den emotionalen Aufruhr, den sie empfand, und vertraute ihr an, dass sie fürchtete, den Verstand zu verlieren. Die Freundin lachte und sagte zu Alphonsine, dass sie sich vermutlich nur Sorgen darüber mache, wie sie in dem Test abgeschnitten habe; in ein paar Minuten, wenn sich ihre Nerven beruhigt hätten, werde es ihr ganz bestimmt wieder besser gehen.

Alphonsine stimmte ihr zu, atmete ein paarmal tief durch und fühlte sich tatsächlich schon bald wieder besser. Sie betrat den Speiseraum: Heute war sie an der Reihe, den anderen Mädchen das Essen aufzutragen.

Doch während sie von Tisch zu Tisch ging und Wasser in die Gläser ihrer Mitschülerinnen goss, überkam sie erneut dieselbe Mischung aus glückseliger Freude und beinahe lähmender Furcht. Sie wurde immer ängstlicher und machte sich Sorgen, ob sie wohl eine Prüfung oder einen wichtigen Termin vergessen hätte. Dann hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Sie stellte den Wasserkrug auf einen der Tische und ging langsam in Richtung Hauptkorridor, denn sie glaubte, dass sie genau dorthin gerufen wurde. Ihre Haut kribbelte und ihre Hände zitterten, während sie sich dem Eingangsbereich näherte. Außerdem bewegte sie sich ganz seltsam und wusste plötzlich nicht mehr, wie man einen Fuß vor den anderen setzt. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie überhaupt keine Kontrolle mehr über ihren Körper.

Das laute Gewirr der Mädchenstimmen, das im Speiseraum widerhallte, verklang. Eine sanfte Stimme sprach zu Alphonsine: eine Stimme, wie sie sie noch nie gehört hatte.

»Mein Kind«, sagte die einladende Stimme, mild wie die Luft und süßer als Musik.

Alphonsine verlor jedes Gefühl für Raum und Zeit – sie wusste nicht, wo sie war oder wer nach ihr rief. Sie zögerte, antwortete dann aber mit der höflichen Entgegnung, die ruandische Kinder älteren Respektspersonen gegenüber verwenden: »Ich wünsche Ihnen ein langes Leben.«

Im selben Augenblick verengte sich das Gesichtsfeld des Mädchens und sie sah nichts mehr außer einer hell leuchtenden weißen Wolke, die vor ihr, nur wenige Meter entfernt, mitten in der Luft in Erscheinung trat.

»Mein Kind«, hörte sie die Stimme erneut. Dann tauchte zu Alphonsines Entzücken die schönste Frau, die sie je gesehen hatte, aus der Wolke auf und schwebte, umgeben von einem schimmernden Lichtkranz, zwischen Fußboden und Decke. Sie trug ein fließendes, nahtloses weißes Gewand mit einem weißen Schleier, der ihr Haar bedeckte. Ihre Hände hielt sie vor sich zum Gebet gefaltet, ihre schlanken Finger zeigten himmelwärts.

Die Frau war barfuß wie eine gewöhnliche Frau aus dem Dorf, doch ihre Haut war makellos und so vollkommen, dass Alphonsine ihre Farbe nicht bestimmen konnte. Diese wunderschöne Gestalt näherte sich dem Mädchen, ohne dass ihre Füße den Boden berührten. Liebe strömte in Wellen von der majestätischen Dame aus und umfing Alphonsine wie die liebevolle Umarmung einer Mutter. Die Angst, die sie noch kurz zuvor gefühlt hatte, verschwand, und ihr Herz füllte sich mit einer unvorstellbaren Freude. Sie spürte, dass sie in der Gegenwart des Göttlichen war, sank auf die Knie und fragte: »Wer sind Sie?«

»Ich bin die Mutter des Wortes.«

»Sie sind die Mutter des Wortes?«, wiederholte Alphonsine. Sie verstand nicht ganz, was das bedeuten sollte, doch sie war sich jetzt sicher, dass sie vor der Muttergottes kniete. »Ich heiße Alphonsine«, fügte sie glücklich hinzu. Überraschenderweise fühlte sie sich in der Gegenwart der Dame ausgesprochen wohl und überaus glücklich darüber, dass die Jungfrau Maria sie ausgewählt hatte, um mit ihr zu sprechen.

»Was von allen Dingen im Himmel macht dich glücklich?«

»Ich liebe Gott und ich liebe die Muttergottes, die uns ihren Sohn Jesus schenkte, der uns erlöst hat!«, antwortete Alphonsine, ohne zu zögern.

»Wirklich?«, erwiderte die Dame und die einfache Antwort des Kindes schien ihr sehr zu gefallen.

»Oh ja.«

»Wenn es stimmt, dann sollst du wissen, dass ich deine Gebete erhört habe und dass ich hier bin, um dich zu trösten. Ich wünsche, dass deine Freundinnen und Mitschülerinnen einen Glauben haben werden, der so stark ist wie deiner, denn ihrer ist nicht stark genug.«

»Mutter – wenn Du es wirklich bist –, Du musst uns wirklich sehr lieben, wenn Du extra in unsere Schule gekommen bist, um uns zu sagen, dass wir mehr Glauben haben sollen! Es ist eine solche Freude, Dich mit meinen eigenen Augen zu sehen!«

Die Jungfrau Maria bat Alphonsine, sich der Legion Mariens anzuschließen. Die Mitglieder dieser katholischen Gruppe machen es sich zur Aufgabe, wie die Jungfrau Maria ein Leben in Einfachheit, Demut und Gebet zu führen und mit ihren Taten den Namen Gottes zu verherrlichen. Alphonsine versprach, dass sie das sofort tun wollte.

Dann erklärte Maria, sie wünsche, dass die Menschen in aller Welt sie lieben und ihr vertrauen, denn dann könne sie verlorene Seelen zu Jesus führen, um von ihm erlöst zu werden. »Sieh nun, wie ich in den Himmel zurückkehre, um bei meinem Sohn zu sein«, sagte sie anschließend mit einem Lächeln, indem sie sich langsam nach oben bewegte und in der Wolke, deren Licht dahinschwand, allmählich unsichtbar wurde.

Alphonsine stürzte auf den Boden und blieb dort mehr als zehn Minuten lang halb bewusstlos liegen. Als sie die Augen aufschlug, sah sie in die Gesichter ihrer Mitschülerinnen, die auf sie herabschauten. Einige hatten sie an den Schultern gepackt und schüttelten sie, um sie aufzuwecken, während andere sie mit Fragen darüber löcherten, was denn passiert sei. Nach dem süßen Ton der Worte der schönen Dame klangen die Stimmen der Schulmädchen in Alphonsines Ohren wie ein misstönendes Kreischen, und als ihr bewusst wurde, dass sie sich nicht mehr im warmen Licht der Himmelskönigin befand, brach sie in Tränen aus. Sie versuchte aufzustehen, hatte aber keine Kraft. Alles, was sie tun konnte, war, hilflos und verwirrt auf dem Boden ausgestreckt liegen zu bleiben.

Während der Erscheinung hatte Alphonsine alles um sich herum vollständig vergessen. Die ganze Zeit über hatten ihre Mitschülerinnen sie ungläubig angestarrt, wie sie auf dem Boden kniete, an die Decke stierte und mit der Luft redete. Zuerst hatte sie Kinyarwanda (die ruandische Landessprache) gesprochen, dann war sie zum Französischen übergegangen, und schließlich hatte sie in Sprachen geredet, die selbst die Gebildetsten unter ihren Lehrerinnen nicht hatten erkennen können, auch wenn einige sagten, sie hätten hebräische und lateinische Brocken aufgeschnappt.

Das Gespräch mit der Jungfrau Maria hatte Alphonsines gesamte physische Energie aufgebraucht, aber zugleich eine bleibende Freude in ihrem Herzen hinterlassen. Diese Freude sprudelte jetzt, als sie das Bewusstsein allmählich wiedererlangte, aus ihr heraus, und ihre Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. »Die Muttergottes hat mit mir gesprochen«, sagte sie schließlich und hob den Blick. »Die Muttergottes hat mit mir gesprochen.«

Sofort fingen die anderen Schülerinnen an, sich alle gleichzeitig über Alphonsine lustig zu machen, die noch immer hilflos am Boden lag.

Wortführerin war Marie-Claire, eines der lebhaftesten und beliebtesten Mädchen an der Schule, die fauchte: »Du kleine Lügnerin, was für ein Spiel spielst du da? Unsere kleine Alphonsine will uns für dumm verkaufen!«

»Was waren das für Geräusche, die du da gemacht hast … Hattest du einen Anfall?«, wollte ein anderes Mädchen wissen.

»Warum sollte die Muttergottes ausgerechnet mit jemandem wie dir sprechen?«, fragte eine Dritte.

Eine vierte Mitschülerin warf Alphonsine vor, dass sie Aufmerksamkeit und Mitleid erregen wolle, weil ihre Eltern geschieden seien. Und dann kam Marie-Claire auf die Idee, dass Alphonsine bestimmt ein Voodoo-Ritual vollzogen habe, das sie in Kibungo gelernt habe! Alle Mädchen wussten, dass gemunkelt wurde, Kibungo sei ein Ort, wo es von Hexern und Satanisten nur so wimmelte.

Endlich drängte sich Schwester Blandine durch den Pulk von Schülerinnen, die um Alphonsine herumstanden, und machte der Hetze ein Ende. Die Nonne half dem benommenen Teenager auf die Füße und stützte Alphonsine, als sie miteinander zum Büro der Schuldirektorin gingen.

»Bin ich verrückt geworden, Schwester?«, fragte das Mädchen.

»Wir wollen abwarten, was die Direktorin und die Krankenschwester zu sagen haben«, antwortete Schwester Blandine.

Die Nonne hatte Alphonsine zwar vor dem Verhör durch ihre Mitschülerinnen gerettet, doch die Direktorin hatte selbst eine ganze Reihe gezielter Fragen. Sie erklärte Alphonsine, dass es in einer katholischen Schule eine sehr ernste Angelegenheit sei, wenn jemand behaupte, eine himmlische Erscheinung gehabt zu haben; es grenze an Blasphemie und sie verlange eine Erklärung. Das Mädchen brach in Tränen aus und antwortete der Schulleiterin, dass sie ihr nicht erklären könne, was geschehen sei: Sie verstehe es ja selbst nicht.

»Dann wirst du jetzt in den Schlafsaal gehen, dich vor alle Schülerinnen und das Personal hinstellen und ihnen erklären, dass du die Jungfrau Maria nicht gesehen hast. Und du bittest sie um Verzeihung«, befahl die Direktorin.

Alphonsine trocknete ihre Tränen und erwiderte, dass sie es nicht über ihr Herz bringe, das zu verleugnen, was sie nun einmal gesehen habe: »Ich kann Ihnen nur die Wahrheit sagen. Die Mutter des Wortes ist zu mir gekommen; ich habe mit der Jungfrau Maria gesprochen.«

Die Direktorin schickte Alphonsine zur Krankenschwester. Diese konnte bei der Untersuchung kein körperliches Leiden feststellen. Deshalb schickte sie das Mädchen in den Schlafsaal, um sich dort auszuruhen. Am Abend gab es bei den Schülerinnen kein anderes Thema mehr als Alphonsines »Erscheinung«. Manche erklärten sie kurzerhand für geisteskrank; andere sagten, ihre Noten seien alles andere als gut und sie wolle sich vor den Weihnachtsprüfungen die Sympathie ihrer Lehrerinnen sichern. Das schlimmste Gerücht, das von Mund zu Mund ging und dabei mit jedem Mal düsterer wurde, war, dass Alphonsine von Dämonen besessen sei, die sich im Dschungel von Kibungo ihrer bemächtigt hätten, ehe sie nach Kibeho kam.

Traurig musste Alphonsine einsehen, dass die schönste Erfahrung ihres Lebens sie zu einer Zielscheibe der Verachtung und des Argwohns gemacht hatte. Und dennoch dankte sie der Muttergottes in ihrem Nachtgebet an diesem Abend dafür, dass sie ihr erschienen war und sie eine größere Liebe hatte spüren lassen, als sie es sich hätte je erträumen können.

DIE JUNGFRAU MARIA ERSCHIEN ALPHONSINE GLEICH AM NÄCHSTEN TAG WIEDER. Es war der 29. November, der viertletzte Sonntag vor Weihnachten und damit der erste Advent: Dieser Tag, der der offizielle Beginn des römisch-katholischen Kirchenjahres ist, verweist gleichzeitig auf die Ankunft Christi. Der Advent kündigt nicht nur die Geburt Jesu an, sondern soll die Christen auch daran erinnern, dass sie den Glauben treu bewahren sollen, weil der Sohn Gottes am Ende der Welt wiederkommen wird.

Alle Schülerinnen der Kibeho High School besuchten die heilige Messe und hörten die biblischen Lesungen, die sie aufforderten, freundlich zueinander zu sein und sich mit reinem Herzen und reiner Seele auf die zweite Ankunft Christi vorzubereiten. Doch die Worte waren kaum verklungen, als Marie-Claire schon wieder eine Gruppe von Mädchen um sich scharte und mit ihnen in den Schlafsaal ging, wo sie Alphonsine als Hexe beschimpften und sie aufforderten, ihnen doch ein paar Zauberkunststücke zu zeigen. Die Meute steigerte sich gerade in weitere Gemeinheiten hinein, als Alphonsine plötzlich zu Boden fiel, als ob jemand auf sie geschossen hätte.

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244 s. 8 illüstrasyon
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9783947931743
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