Kitabı oku: «Rayan - Im Auge des Sturms», sayfa 3
02.02.2015 - München - Eilige Abreise
Überraschenderweise schaffte Carina es, sich an die vereinbarten fünfzehn Minuten zu halten und kam mit einer kleinen Reisetasche schnell wieder zum Vorschein, die Tahsin für sie trug, der sie nach oben in die Wohnung begleitet hatte.
Sie hatte es sogar noch geschafft, ihren Ersatzschlüssel zusammen mit einem kleinen Brief bei ihrer Nachbarin einzuwerfen, in dem sie diese bat, sich um ihre Post und ihren Kühlschrank zu kümmern. Dann setzte sie sich zufrieden neben Tahsin hinten ins Auto. Auf ihre Freundin im Apartment nebenan konnte sie sich verlassen.
Jassim und Hanif hatte in der Zwischenzeit wie auf Kohlen gesessen und die Umgebung genau im Auge behalten. Die Erleichterung bei der Rückkehr der beiden war ihnen deutlich anzusehen.
„Was habt ihr denn? War doch gar nicht so schlimm?“, fragte Carina harmlos, was Tahsin zu einem Lachanfall verleitete. Hanif musste daraufhin ebenfalls kurz lächeln. Lediglich Jassim konnte nichts Lustiges an ihrer Situation finden. Trotz Rayans Versicherung, dass er schon klarkomme, machte er sich Sorgen um seinen Herrn. Und mit jeder Minute, die sie später abflogen, verzögerte sich auch die Nachricht an den Mann, der Rayan auf freien Fuß setzen sollte.
Während sie auf Carina warteten, hatten sie dem Piloten die Abflugzeit bestätigt, sowie vier Passagiere angekündigt. Er würde sie an der Sicherheitskontrolle erwarten.
Den Koffer mit dem Gewehr aus dem Flugzeug zu bekommen, war einfach gewesen, denn beim Aussteigen und Verlassen des Sicherheitsbereiches gab es keine Kontrollen des Handgepäcks.
Der Pilot hatte Hanif auf dessen Bitte hin, den Koffer an sein Ankunftsgate gebracht, bevor sie sich vor der Türe ein Taxi gesucht hatten.
Jassim hatte beinahe noch einen Streit mit einem anderen Reisenden gehabt, weil sie sich an der Warteschlange für Taxis schlichtweg vorgedrängelt hatten. Sie wussten, dass Minuten entscheidend sein konnten. Doch Jassims eindrucksvolle Erscheinung hatte den Ausschlag gegeben, dass der Mann nicht auf seinem Vorrecht für das nächste Taxi bestanden hatte. Es gab ja schließlich noch weitere wartende Fahrzeuge.
Jetzt allerdings den Koffer wieder ins Flugzeug zu bekommen, schien ein Ding der Unmöglichkeit. Aber eine Lösung war schnell gefunden: sie packten kurzerhand die Proben alle in Carinas Reisetasche, die zwar angewidert ihr Gesicht verzog, jedoch nicht weiter protestierte, weil sie selbst ja auch die Notwendigkeit einsah.
Dann gaben sie den Gewehrkoffer samt Inhalt zusammen mit Rayans Wertgegenständen im Hotel ab. Er hatte einen Diplomatenausweis, sein Gepäck war für Kontrollen tabu.
Sie unterschrieben gestresst die Bestätigung der Mietwagenfirma, dass das Fahrzeug NICHT wieder vollgetankt worden war – als hätten sie keine anderen Probleme! Und erneut musste Hanif den aufgebrachten Jassim zurückhalten, einen Streit mit dem Mitarbeiter anzufangen, der offenbar der Meinung war, den Lack des VW besonders gründlich auf eventuelle Kratzer in Augenschein zu nehmen. Dann waren sie endlich an der Sicherheitskontrolle, wo der Pilot sie schon ungeduldig erwartete.
Innerhalb von zwanzig Minuten hatten sie das Terminal hinter sich gelassen und befanden sich sicher an Bord. Alle vier sanken erleichtert in die Ledersitze und schnallten sich an.
Als sich daraufhin das Flugzeug in Bewegung setzte, hob Hanif den Hörer des im Flugzeug eingebauten Telefons ab. Dann wählte er, wie durch Rayan angeordnet, die Handynummer, die er auf dem Zettel aufgeschrieben hatte. Der Reiterführer sprach im Gegensatz zu Jassim Englisch, weshalb ihm die Aufgabe des Anrufs zugefallen war.
Einen Moment lang hatte Hanif Angst, es würde niemand antworten, doch bereits nach dem dritten Klingeln wurde sein Anruf entgegengenommen.
Nachdem er sein Anliegen erklärt und von Rayans Verhaftung erzählt hatte, war es einen Moment still an der anderen Leitung. Dann fragte der Mann: „Das ist ein Witz, oder?“
Als Hanif dies höflich, aber mit Nachdruck von sich wies und gemäß Rayans Vorgaben darauf hinwies, dass diese Telefonnummer schließlich in keinem Telefonbuch zu finden sei, bekam er als Antwort lediglich einige Worte auf Deutsch, die er als Fluch interpretierte, dann wurde aufgelegt. Ein wenig verunsichert sah Hanif das Handy weiter an. Hatte er alles richtig gemacht?
Jassim, der ausnahmsweise nicht die Rolle des Copiloten einnahm, denn Rayan war ja ohne ihn mit einer Zwei-Mann-Besatzung in München angekommen, zuckte die Achseln, lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen, um zu schlafen. Sie hatten alles genau nach Plan durchgeführt, wie Rayan es ihnen aufgetragen hatte, mehr konnten sie nicht tun. Es lag nicht in seinem Charakter, sich jetzt noch weitere Gedanken zu machen. Sie würden schon sehen, was weiter passierte.
Tahsin dagegen fragte ungeduldig: „Und was machen wir jetzt?“ Hanif lächelte ihm beruhigend zu: „Jetzt warten wir. Mehr können wir nicht mehr für ihn tun. Dein Vater hat uns ja versichert, dass er uns anrufen wird, sobald er im Hotel ist und sein Telefon wieder hat.“ Er sagte es mit mehr Zuversicht, als er selbst verspürte, denn auch in ihm blieb ein Restzweifel bestehen.
Er sah auf die Uhr und begann zu rechnen. Etwa um 12 Uhr 20 waren sie am Seehaus aufgebrochen. Das war auch die Zeit, als die Polizei dort eingetroffen war. Jetzt war es 15 Uhr.
Also zweieinhalb Stunden plus die Zeit, die der mysteriöse Kontaktmann noch benötigen würde, um Rayan herauszuholen. Hanif schätzte, dass sie noch mindestens eine Stunde auf Rayans Anruf warten mussten, trotzdem starrten sie zu dritt – mit Ausnahme von Jassim - in diesem Moment wie gebannt das Telefon an der Wand des Learjet an, als könnten sie den Anruf herbeizaubern.
Hanif grübelte, wie es ihrem Herrn in dieser Zeit wohl ergangen sein mochte. In einem arabischen Gefängnis konnte diese Zeit sehr lang und durchaus unangenehm werden. Aber er wusste, dass in Deutschland wohl eher moderatere Befragungsmethoden zu erwarten waren. Vermutlich machte sich Rayan gerade ein Spaß aus seiner Situation – das hoffte Hanif zumindest.
2005 - In der Wüste weit vor Alessia - Ein gebrochenes Wort
Am nächsten Tag im Morgengrauen griffen die Männer Mahmouds an. Entgegen ihren Versprechungen waren sie nicht bereit, den Tod ihres Anführers hinzunehmen.
Etwa fünfzehn Mann näherten sich, als es noch fast dunkel war. Wie Schatten glitten sie geduckt heran. Sie hofften, die Tarmanen einkesseln und vom Rand der Senke aus abschießen zu können.
Doch die Wachposten waren auf der Hut. Rayans Männer gelang es, den Spieß umzudrehen: Flach auf dem Rand der Kuppe liegend, nahmen sie ihrerseits die herannahenden Banditen ins Visier.
Es war Ibrahim, der das Zeichen zum Angriff gab. Mit ihren hochmodernen, gut gepflegten Waffen hatten sie auf Mahmouds Männer angelegt und eröffneten nun zeitgleich das Feuer.
Fast die Hälfte überlebte die erste Salve nicht. Als vier weitere Banditen ihr Leben aushauchten, flohen die anderen in panischer Unordnung.
Auf Seiten der Tarmanen dagegen gab es lediglich zwei Verletzte. Einer hatte einen glatten Durchschuss in die Schulter eingefangen, ein weiterer einen Streifschuss am Kopf.
Ismael versorgte die Verwundeten, während sich der Rest der Männer darum kümmerte, die Leichen der Feinde zu begraben.
Drei von Mahmouds Männern waren verwundet zurückgeblieben, doch sie konnten nun mit keiner Gnade mehr rechnen. Ihnen war einmal das Leben geschenkt worden, jetzt wurden sie bedenkenlos mit einem Kopfschuss ins Jenseits befördert.
Taib hatte in seinem Zelt bereits das Schlimmste befürchtet. Er hatte um eine Waffe gebeten, um sich im Zweifelsfalle verteidigen zu können. Doch in seinem Zustand war ihm auch noch ein anderer Punkt durch den Kopf gegangen: Er wollte keinesfalls nochmals in die Hände der Angreifer fallen. Lieber hätte er sich selbst hingerichtet, als noch einmal Ähnliches durchmachen zu müssen.
Rayan hatte seiner Bitte entsprochen und ihm eine Pistole zukommen lassen. Er ahnte, was in ihm vorging.
Entsprechend erleichtert war Taib über den reibungslosen Verlauf des Kampfes. Die Tarmanen hatten ihm somit zum zweiten Mal das Leben gerettet. Auch begriff er nun, dass diese, nur um ihm zu helfen und seinem angeschlagenen Zustand Rechnung zu tragen, ihrer aller Leben riskiert hatten.
02.02.2015 - München: Polizeirevier - Das Verhör
Es war bereits 14 Uhr 15, als sie endlich ankamen. Man verfrachtete Rayan in einen Vernehmungsraum und ließ ihn warten. Der Kommissar nannte das „schmoren lassen“, Rayan nannte es zufrieden „Zeitgewinn“.
Er überlegte, wie lange es wohl noch dauern würde, bis Hanif endlich bei seinem Freund vom Innenministerium anrufen würde. Langsam verging ihm die Lust an diesem Spiel, aber er zwang sich zur Ruhe.
Erst eine halbe Stunde später trat die Beamtin Miriam in das kleine Zimmer.
„Ist es wirklich so furchtbar, mit mir zu sprechen?“, versuchte sie es erneut. „Ich will Ihnen doch nur helfen.“
Weber kam in den Raum mit einem Becher Kaffee, doch anstatt ihn Rayan anzubieten, trank er ihn selber. „Wie albern“, dachte sich Rayan und diesmal machte er sich keine Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Er war inzwischen gelangweilt und wollte sich die Zeit verkürzen, indem er den Mann ein wenig provozierte.
Und prompt funktionierte dies besser als erhofft, denn der polterte an die Frau gewendet los: „Fragen Sie ihn, warum er auf einmal so blöd grinst!“
Als Miriam etwas höflicher die Frage in Arabisch wiederholte, lächelte Rayan erneut. Trotzdem gab er keine Antwort. Das Versteckspiel machte ihm mittlerweile Spaß.
Als er gerade wieder darüber nachgedacht hatte, wie weit er es wohl noch treiben musste, bis endlich der erlösende Anruf kam, riss endgültig der Geduldsfaden des Kommissars. Offenbar hatte sich Rayan sein Vergnügen zu sehr anmerken lassen.
Auf einmal fast knurrend fragte er den Scheich: „Ach so, du findest das alles amüsant, ja? Warte nur, ich bringe dich für Jahre in den Knast wegen dreifachen Mordes - mal schauen, ob du dann immer noch grinsen kannst.“ Mit einer Geschwindigkeit, die Rayan dem Kommissar nicht zugetraut hätte, haute dieser mit der Faust vor ihm auf den Tisch. Einen Moment lang dachte Rayan wirklich, er würde ihn schlagen, doch der Kriminalbeamte hatte sich im Griff.
Als er dann jedoch erneut nur herablassend grinste, stützte Weber sich mit beiden flachen Händen vor ihm auf die Tischplatte. Er kam mit seinem Gesicht ganz nahe an Rayan heran und zischte bedrohlich: „Dich arroganten Kerl kriege ich auch noch klein!“ Dabei war seine Aussprache so feucht, dass es sich nicht vermeiden ließ, dass einige Tröpfchen seines Speichels in Rayans Gesicht landeten. Der Kommissar, der lediglich hoffte, seinen Verdächtigen zu beeindrucken, bemerkte nicht, welche Grenze er damit, eigentlich aus Versehen, überschritt.
Rayan spürte verblüfft den Speichel auf seiner Wange. Schlagartig war für ihn der spaßige Teil vorbei und er empfand diese Behandlung als Demütigung, was seinen Stolz regte.
Er fühlte, wie heiße Wut in ihm hochstieg, die er nur mit Mühe bezwingen konnte. Doch bevor er sich wieder beruhigen konnte, traf ihn ein weiterer Redeschwall, inklusiver feuchter Aussprache. Diesmal hatte Rayan es zwar kommen sehen, doch verhindern konnte er ihn aufgrund seiner am Tisch befestigten Handschellen nicht.
Seine Augen verengten sich. Wie üblich, wenn er wütend wurde, wurde das Blau in ihnen eine ganze Nuance dunkler. „Vorsicht Kommissar - Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie sich anlegen! Der letzte Mann, der es gewagt hat, mir zu drohen, fand sich mit herausgeschnittener Zuge mitten in der Wüste wieder …“, sagte er hasserfüllt auf Arabisch. Obwohl der Kommissar seine Worte nicht verstanden haben konnte, zuckte er zurück. Rayans Körperhaltung strahlte nun unbändigen Stolz aus. Auch ohne weitere Erklärung war ihm klar geworden, dass dieser Mann Macht hatte. Hier saß jemand, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Und der wenig Spaß verstand, wenn diese missachtet wurden.
Einen Moment lang war der Kommissar über die Veränderung in seinem Verdächtigen überrascht. Wen hatte er da nur vor sich? Und vor allem: War er zu weit gegangen?
Miriam war blass geworden. Leise und mit zitternder Stimme übersetzte sie die Worte des Scheichs. Auch ihr war spätestens jetzt klar, dass hier kein gewöhnlicher Mann saß. Sie erklärte ihm, dass sein Verhalten gerade eine schwere Beleidigung gewesen war.
Doch der Kommissar hatte viele Jahre Berufserfahrung und bereits einiges gesehen in seinem Leben. So leicht ließ er sich also nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Rayans Drohung brachte ihn sofort erneut auf die Palme: „Soso! Du kannst also doch sprechen. Na zumindest haben wir jetzt mal eine Reaktion von dir provoziert“, sagte er auf Deutsch mit einem gehässigen Grinsen. Dann wandte er sich an Miriam: „Sagen Sie ihm, dass er mich mit seinen Geschichten nicht beeindrucken kann. Wir sind hier in Deutschland und nicht bei seinen Kamelen. Es ist mir scheißegal wen oder was er dort darstellt. Hier wird nach meiner Pfeife getanzt! Und wenn er nicht bald mitspielt, dann bringe ich ihn in das dunkelste Loch, das ich hier finden kann. Und werfe den Schlüssel weg!“
Er hatte sich richtig in Rage geredet und war laut geworden. Im Gegensatz dazu übersetzte Miriam die Worte ruhig, aber fast wortgetreu.
Rayan lächelte kalt. Ein Lächeln, das sanft seine Mundwinkel umspielte, aber nicht bis in seine Augen gelangte, die ihr kaltes Glitzern nicht verloren hatten. Es entging ihm nicht, dass Miriam fröstelte. Zumindest sie schien sich seiner Ausstrahlung nicht entziehen zu können. Sie war klug genug zu spüren, dass nun Vorsicht geboten war.
Gefährlich sanft und dabei mit einem Tonfall, der verriet, dass er keinerlei Gewissensbisse hatte, einen anderen Mann, wenn es sein musste, zum Tode zu verurteilen, antwortete Rayan: „Na dann wollen wir doch mal hoffen, dass es Sie nicht eines Tages nach Arabien verschlägt. Ich habe ein gutes Gedächtnis …“.
Wieder lief Miriam sichtbar eine Gänsehaut über den Körper, als sie die Worte in Deutsch für den Kommissar wiederholte. Der öffnete den Mund, um etwas Heftiges zu erwidern, als sich just in diesem Moment die Tür öffnete. Ein Beamter steckte seinen Kopf herein. „Weber – Du musst sofort kommen. Es gibt Ärger.“ Der Blick, den der Mann dabei Rayan zuwarf, sagte eindeutig, wen er für den Urheber der Schwierigkeiten hielt.
Einen Moment lang sah der Kommissar von seinem Kollegen zu Rayan und wieder zurück, dann stand er seufzend auf und verließ den Raum.
Rayans Ärger wandelte sich in Genugtuung. „Na endlich!“, dachte er zufrieden, „das wurde auch Zeit.“
Miriam hatte seinen Stimmungswandel beobachtet und dachte für sich: „Er wirkt kein bisschen überrascht, allenfalls ein wenig erleichtert. Er hatte die ganze Zeit noch ein Ass im Ärmel.“ Aber sie sagte nichts, sondern blieb einfach sitzen, wo sie war. Ihr war anzusehen, dass sie sich nicht wohlfühlte in ihrer Haut. Sie hatte selbst genügend Sorgen und wollte nicht in die Angelegenheiten des Kommissars hineingezogen werden. Wenn der keine Angst hatte, weil er nicht vorhatte, jemals nach Arabien zu gehen – schön für ihn. Sie jedenfalls hatte Familie dort.
Miriam überlegte, was sie sagen sollte, um klarzustellen, dass sie lediglich die Dolmetscherin war, doch sie kam nicht mehr dazu, ihre Gedanken in Worte zu fassen.
Ein Mann in einem sichtbar teuren, dunkelblauen Anzug trat ein, gefolgt von einem kleinlauten Kommissar. „Verdammt Weber, was tun Sie hier? Machen Sie den Mann sofort los!“
Er wartete, bis der Kommissar Rayan die Handschellen abgenommen hatte, dann eilte er um den Tisch herum auf ihn zu. „Mein lieber Scheich! Das ist alles ein riesengroßes Missverständnis! Ich muss mich bei Ihnen in aller Form entschuldigen! Bitte kommen Sie mit in ein angenehmeres Büro nebenan.“ Er sprach Englisch, wie sie es bei ihren sonstigen Treffen auch getan hatten.
Zufrieden registrierte Rayan, dass der Kommissar betreten wie ein begossener Pudel neben ihm stand. Von seiner Angriffslust vorher war nichts mehr übrig. Miriam dagegen kam aus ihrer Verwunderung nicht mehr heraus. Was passierte hier gerade? Und offenbar verstand ihr mysteriöser Verdächtiger auf einmal problemlos Englisch? Ein Scheich? Sie beschloss, sich so schnell wie möglich auf den Heimweg zu machen und am besten nie wieder mit diesem Fall in Kontakt zu kommen. Hoffentlich musste sie nicht als Zeugin eine Aussage machen. Und wer war eigentlich dieser Wichtigtuer im Anzug, der Weber offenbar zur Schnecke gemacht hatte?
Es handelte sich bei dem Neuankömmling um Rayans Kontaktmann im Innenministerium, der ihn bei offiziellen Besuchen betreute, dessen Nummer er Hanif gegeben hatte. Und dem im Gegensatz zu Weber sowohl Rayans politischer Status in Deutschland, speziell in München, aber vor allem auch sein Einfluss zuhause in Arabien klar war. Entsprechend respektvoll schüttelte er nun die Hand des Scheichs.
Weber warf er beim Hinausgehen einen wütenden Blick zu, der den Kopf daraufhin noch ein wenig weiter einzog. Weiterhin auf Englisch fuhr er fort: „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Warum haben Sie mich denn nicht sofort verständigt?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, geleitete er Rayan zur Tür hinaus und erkundigte sich dabei: „Scheich, ich hoffe Sie sind wenigstens anständig behandelt worden“, woraufhin Weber ruckartig den Kopf hob. Er war blass geworden. In all der Aufregung hatte er die Beleidigung, die er Rayan vorher laut seiner Kollegin hatte zuteilwerden lassen, schon wieder vergessen.
Kurz verengten sich Rayans Augen, als er Webers Blick erwiderte. Der trat entsetzt einen Schritt zurück. Nachdem der Scheich ihn um einen halben Kopf überragte und mit seinem leichten Bierbäuchlein kaum gegen dessen Muskeln ankäme, fühlte er sich nicht mehr so sicher, jetzt, wo die Handschellen entfernt worden waren.
Zu seiner Erleichterung antwortete Rayan in diesem Moment auf Englisch: „Keine Sorge, mein Freund, alles in bester Ordnung.“ Der Kommissar wollte gerade ausatmen. Sollte er wirklich Glück haben und mit seinem Verhalten durchkommen? Da fuhr Rayan mit deutlichem Sarkasmus fort: „Ich habe Mister Weber sogar gerade in mein Heimatland eingeladen.“
Weber zuckte zurück, als hätte ihn eine Schlange gebissen. Die Drohung war überdeutlich. Er machte sich eine interne Notiz, seine nächsten Urlaube auf jeden Fall weit weg von der arabischen Wüste zu verbringen. Das Nordkap schien ihm auf einmal sehr sympathisch!
Rayan, der die Gedanken des Mannes mühelos erriet, lächelte noch einmal kalt, drehte sich dann weg und verließ den Vernehmungsraum.
2005 - In der Wüste weit vor Alessia - Ein unhöflicher Gast
Wenn Rayan damit gerechnet hatte, in Taib einen dankbaren und entsprechend höflichen Gast vorzufinden, so hatte er sich getäuscht.
Als es Taib besser ging und er bereits kurze Zeit aufstehen konnte, stand er in der Nähe, als sich der Scheich zu seinem üblichen abendlichen Kontrollritt aufmachte. Erstaunt fragte er einen der Männer, wo ihr Anführer um diese späte Zeit hinreite?
Stolz berichtete der Gefragte, dass das Rayans übliche Routine sei. Er mache dies jeden Abend und Morgen, um ihnen so Ärger vom Hals zu halten. Denn die Wüste verrate ihm, sobald Probleme am Herannahen waren. Man sagte, sie spreche sogar mit ihm und er höre ihr zu.
Doch Taib war keineswegs beeindruckt, wie der Tarmane es erwartet hatte. Statt Ehrfurcht zu zeigen, lachte er trocken. Dann machte er eine eindeutige, kreisende Geste mit seinem Finger in der Höhe seines Kopfes und meinte: „Wenn ihr mich fragt, klingt das eher danach, als hätte er zu viel Sonne erwischt.“
Es war Ibrahim zu verdanken, dass der Krieger dem respektlosen Gast nicht auf der Stelle die Kehle durchschnitt. So über ihren Scheich zu sprechen, war nicht nur ungehörig, es grenzte an Selbstmord.
Später am Abend informierte Ibrahim Rayan über dieses Vorkommnis. Wie sollten sie darauf reagieren? Die Männer im Lager sprachen bereits darüber. Größtenteils waren sie geschockt, wie jemand es wagen konnte, sich derart respektlos zu verhalten. Doch der ein oder andere schien auch den Mut des Fremden zu bewundern. Wenn Rayan den Vorfall unbeachtet ließe, bestand die Gefahr, dass die Männer versuchen würden, ihn nachzuahmen. Auf jeden Fall wäre es ein nur schwer einzuschätzender Gesichtsverlust.
Offenbar war es auch nicht die erste Bemerkung dieser Art. Aber weder der Scheich noch sein Leibwächter konnten Taibs Beweggründe nachvollziehen. Was brachte den Mann dazu, sich so wenig dankbar und unhöflich zu verhalten?
Aufgrund der Verletzungen des Anwaltsgehilfen und des Angriffs hatte Rayan noch keine Gelegenheit gehabt, mehr als drei Worte mit ihm zu wechseln. Er beschloss, dass Taib zumindest so fit sei, ihn auf seine morgendliche Runde zu begleiten.
Also wurde der überraschend am nächsten Morgen noch weit vor Sonnenaufgang geweckt.
Einen Moment lang überlegte Rayan, was er tun sollte, wenn der Mann sich weigerte, mit ihm zu kommen, doch diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. Die ersten Minuten ritten sie schweigend nebeneinander her. Der angehende Anwalt war kein erfahrener Reiter und hatte daher seine Mühe, das ihm zugewiesene Pferd zu kontrollieren.
Rayan hielt an und stieg ab. Er untersuchte einige Spuren, die er am Boden gesehen hatte. „Das waren nur wilde Kamele, ohne Reiter, keine Gefahr für uns“, kommentierte er und stieg wieder auf. Schweigend setzten sie ihren Weg fort, bis auf einmal die Sonne über dem Sand emporstieg.
Daraufhin hielt der Scheich inne, um das Schauspiel zu bewundern. Taib war ihm eigentlich nicht einmal so unsympathisch. Wie sollte er ihn aus der Reserve locken?
Es hatte auf jeden Fall keinen Sinn, solange er zu Pferd und entsprechend abgelenkt war und so hielt Rayan schließlich an. Beide stiegen ab und der Scheich zeigte ihm, wie er den Zügel über den Kopf des Pferdes ziehen musste. Ein Zeichen für die Tiere, an diesem Fleck stehenzubleiben.
Dann forderte er Taib auf, sich mit ihm gemeinsam hinzusetzen. Als beide im Sand Platz genommen hatten, begann er damit, genau zu erklären, was er bei seinen morgendlichen Runden machte und warum. Der Aushilfsanwalt hörte staunend zu. Anschließend fragte Rayan unvermittelt: „Wieso provozierst du meine Männer? Hast du solche Todessehnsucht?“
Taib sah ihn einen Moment lang trotzig an und entgegnete dann: „Ich provoziere keineswegs deine Männer, sondern dich.“
Rayan war nicht entgangen, dass sein Gegenüber ganz bewusst nicht die höfliche Anrede gebrauchte, die ihm aufgrund seines Ranges eigentlich zustehen würde. Doch er ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
Er lachte stattdessen trocken über die direkte Aussage seines widerspenstigen Gastes. „Tut mir leid. Um mich zu provozieren, musst du schon schwerere Geschütze auffahren.“ Er war wirklich amüsiert, denn der Mut des Fremden beeindruckte ihn.
In den Augen von Taib blitzte es wütend auf. Er legte Rayans Lächeln als Arroganz aus und das brachte ihn in Fahrt. Und auf einmal brach es aus ihm hervor und er fuhr den Scheich an:
„Du bist kein Deut besser, als dieser Bandit, der meine Sara getötet hat! Auch du spielst mit der Angst deiner Männer. Nein eigentlich bist DU sogar schlimmer! Denn du bist mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ich wette, du hast keine Ahnung, wie es ist, Hunger zu erleiden. Schon dein ganzes Leben lang versteckst du dich hinter einer ganzen Armee von Dienern und Leibwächtern und was weiß ich nicht alles. Wenn ich schon sehe, wie alle in Ehrfurcht erstarren, sobald du auch nur näher kommst – zum Kotzen finde ich das! Wie das Leben wirklich ist, für uns, die wir auf der Straße leben, davon hast DU doch keinen Schimmer! Und du sagst, du hast mich gerettet? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Vermutlich hast du auch nichts anderes vor, als mich an irgendwen weiterzuverkaufen. Welchen Grund sollte ein Egoist wie du sonst haben, sich für mich einzusetzen? Was springt für dich dabei heraus?“
Herausfordernd starrte er Rayan an. Der hatte bei diesen anklagenden Worten jeglichen Humor verloren. Er musste schlucken, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Was fiel diesem Mann eigentlich ein? Das Bild, welches er sich vom Scheich offenbar selbst gemalt hatte, war so falsch und seine Vorwürfe derart ungerecht, dass Rayan das Blut in den Adern kochte. Wie es schien, hatte Taib keine Ahnung von seinem Gegenüber. Aber der Tarmanenführer würde ihm nicht den Gefallen tun, sich zu rechtfertigen, oder gar von den Erlebnissen in seiner Vergangenheit erzählen. Dafür war er zu stolz.
Er bemühte sich, seine Stimme neutral klingen zu lassen, als er entgegnete: „Du scheinst dich ja bestens über mich erkundigt zu haben. Ich nehme deine Haltung zur Kenntnis. Aber es ist tatsächlich so, dass dein Verhalten weniger mich, als vielmehr meine Männer beleidigt. Sie waren es, die ihr Leben für dich eingesetzt haben – bereits zweimal! Damit sind sie nach unseren Gesetzen für dich verantwortlich. Wenn du dich also als Gast nicht benehmen kannst, schlägt das auf sie zurück. Das solltest du in Zukunft im Hinterkopf haben, wenn du weitere Unverschämtheiten versprühst.“
Damit stand er auf, es war alles gesagt.
Nachdenklich sah Taib den Scheich an, als er sich ebenfalls erhob. Er spürte, dass dieser ihm die Wahrheit gesagt hatte.
Und was ihn ebenfalls verblüfft hatte, war, dass dieser die Beleidigungen einfach so hingenommen hatte, ohne sich zu rechtfertigen. Er hatte wortreiche Erzählungen oder Erklärungen erwartet, doch eigentlich war er nun genauso schlau wie vorher. Zudem war Taib nicht dumm. Ihm war völlig bewusst, dass sein Leben auf Messers Schneide gestanden hatte. Denn hätte der Tarmane beschlossen, ihn gleich hier für seine Unverschämtheit zu töten, er hätte es sicher nicht verhindern können. Vielleicht steckte doch mehr in diesem Scheich, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.