Kitabı oku: «Geschichten der Nebelwelt», sayfa 2
Kapitel 8
Die Stadt kam langsam zur Ruhe. Die meisten ihrer Bewohner waren bereits eingeschlafen, und die Nachzügler kehrten aus den Schenken in ihre Häuser zurück. Die Wolken wichen mehr und mehr dem aufziehenden Wind und das Wetter schien endlich umgeschlagen zu sein. Unter dem Licht des roten und grauen Mondes wirkte der Nachthimmel jedoch unheilvoll und so manches alte Weib wünschte sich die Wolkendecke zurück, die sie vor ihren finsteren, wahnsinnigen Blicken verbergen würde. Die Konstellation war ein düsteres Omen, für alle, die die Zeichen am Himmel in Bezug auf die Ereignisse auf der Erde deuten konnten. Ein merkwürdiger, süßlicher Geruch hing in der Luft, tänzelte mit den Windböhen und Luftzügen herum, in inniger Umarmung mit der Wärme, welche die kommende Zeit der Blüte ankündigte.
So verwunderte es Bjarn nicht, seine Frau in ihrer Kammer vor einem intensiv duftenden Häufchen aus glimmendem Räucherwerk in einer tönernen Schale vorzufinden. Sie kniete auf dem Boden, inmitten eines mit Kreide auf den Holzdielen aufgezeichneten, fünfzackigen Sterns, und umgeben von einem dünnen Kreis aus Salz. Kleine, kreisrunde Schälchen aus Ton standen an den Spitzen des Sterns, gefüllt mit klarem Wasser, warmer Asche, lockerer Erde, Honig und nichts als Luft.
Bjarn blieb im Türrahmen stehen und beobachtete sie. Sie schien nicht auf seine Präsenz zu reagieren, summte leise eine Melodie vor sich hin, die sich hypnotisch in sie hinein wand, wie eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz fraß. Er wusste, in solchen Momenten hatte es keinen Sinn, sie anzusprechen. Sie würde ihn in ihrer Versunkenheit nicht hören. Also blieb er geduldig stehen, während sein Gemüt sich immer mehr verfinsterte. Ausgerechnet jetzt den Blutmond zu erblicken, nach den Warnungen des Richters und den unheilvollen Ereignissen im Kloster, das war ihm nicht geheuer. Und zugleich spürte er, wie sich das Blut seiner Vorfahren in ihm regte. Auch wenn Generationen zwischen ihm und seinem legendären Ahnen des Kanidenvolkes Marên lagen, manchmal spürte er das Temperament, den Zorn, die blutrünstige Raserei. Seine Frau war eine der wenigen, die ihn dann zu Sinnen bringen konnte. Sie konnte die Bestie in ihm besänftigen, der er so viele Siege auf dem Schlachtfeld zu verdanken hatte, aber auch so manche unrühmliche Szene abseits davon. Er liebte sie so sehr, dass er niemals die Hand gegen sie erhoben hatte oder je erheben würde. Und nun sollte er sie wegschicken?
Als ob sie spürte, dass seine Gedanken sich um sie drehten, sah sie ihn plötzlich an – doch ohne das besondere Lächeln auf den Lippen, das sie nur für ihn hatte. In ihren Augen standen Sorge und auch der Anflug von Angst. Er hatte noch nie diese Art von Angst in ihrem Gesicht gesehen und das fachte die Glut des Zorns in seinem Inneren weiter an.
„Der Richter sagt, es wäre besser, wenn ich alleine hier bliebe, ohne dich und Rik. Was denkst du?“, grollte er leise in seinem tiefen Bass. An seiner Stimme war klar zu erkennen, dass er in seinem Inneren nach Fassung rang.
Sie seufzte und erhob sich, um zu ihm zu gehen und ihn mit ihren Armen zu umschlingen. Er beugte seinen Kopf nach vorn, um den Geruch ihrer Haare einzuatmen, den er so liebte. Sie nutzte wohlduftende Kräuter bei jeder Haarwäsche, so dass es in ihrer Nähe immer nach der Zeit der Blüte roch. Er drückte sie an sich und wünschte sich, diesen Moment festhalten zu können, bevor alles nur schlimmer werden würde.
„Er ist ein vernünftiger Mann, und so gesehen hat er recht. Ihr beide seid meinetwegen in Gefahr, und ich ohnehin, wenn ich hier bleibe.“ Doch sie drückte sich fester an ihn, als wollte sie ihre Worte Lügen strafen.
Er atmete tief durch: „Dann solltest du morgen aufbrechen, besser noch ihr beide. Zieht nach Osten, weg von diesem Ort, und wartet irgendwo auf mich, wo es sicher ist.“
Sie hob ihr Gesicht, um direkt in seine Augen zu blicken und schüttelte den Kopf: „Ich werde dich nicht verlassen. Du wirst mich brauchen, vielleicht werden viele Menschen hier mich brauchen. Die Schwestern sind nicht die einzigen, die Wunden und Wahnsinn heilen können. Aber unseren Sohn, ihn müssen wir in Sicherheit bringen.“
„Das glaube ich nicht“; hörten sie die Stimme von Osterik aus dem dunklen Gang, schon aus dem Stimmbruch heraus, aber immer noch so jung. Er hatte sich angeschlichen, und anscheinend alles mitgehört.
Bjarn und Selena drehten sich um, und lösten dabei etwas ihre Umarmung. Bjarn sah seinen Sohn prüfend an: „Du bist der Sohn eines Nordmannes und einer Hexe. Du bist eigenwillig und nimmst kein Blatt vor den Mund. Was glaubst du, was die Herrschaften des Rächers mit Burschen wie dir machen?“
Osterik zuckte mit den Schultern: „Ich bin vielleicht eigenwillig, aber nicht blöde. Aber wenn Mutter nicht gehen wird, dann bleibe ich erst recht. Du bist ein Versehrter, und ich habe meine Gliedmaßen alle noch, also muss ich wohl auf euch beide aufpassen.“
Bjarn knurrte als Reaktion auf die freche Rede seines Sprosses, doch die Wahrheit darin war nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn er sich in einer Schlägerei immer noch mehr als gut behaupten konnte, gegen die gut gedrillten Truppen der Rächer zu bestehen würde sich als schwieriger erweisen, sollte es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kommen. Sie würden ihn mit ihren Schwertern vermutlich gar nicht erst in die Nähe lassen, aus der er den Vorteil seiner Größe und Körperkraft ausspielen konnte. Doch seinen Sohn hatte er gut ausgebildet, und er hatte Vertrauen in dessen Fähigkeiten, seinen wachen Verstand, seine aufmerksamen Sinne und seine hervorragende körperliche Verfassung.
Also klopfte er als Reaktion auf die Widerworte anerkennend auf Osteriks Schulter, um ihn dann ebenfalls kurz an sich zu drücken. Ihm gingen viele Worte durch den Kopf, die er vielleicht hätte sagen können, doch kein einziges davon schien auch nur ansatzweise geeignet zu sein, seine Gefühle auszudrücken. Wie so oft blieb er stumm. Doch seine Geste war alles, was zählte, und sein Sohn erwiderte sie.
Dann löste Osterik sich aus der Umarmung, und deutete schief grinsend mit dem Kopf hinter seine Eltern: „Aber so was dort werden wir wohl gut verstecken müssen.“
Selena seufzte: „Wir werden das ganze Haus auf den Kopf stellen müssen, aber ja. Nur Gewürze für Mahlzeiten und Tees sollen sie finden. Alles andere können wir vielleicht im Keller vergraben, tief, unter einem der Fässer.“
Bjarn nickte ihr zu und sah zu seinem Sohn: „Wir machen uns besser gleich daran, mein Junge. Wer weiß, wie viel Zeit uns noch bleibt?“
Osterik nickte stumm und folgte seinem Vater. Selena hielt den Atem an, bis sie die beiden nicht mehr hörte, dann begann sie zu schluchzen, während sie aus ihrer Kammer alles zu vertreiben begann, was ihr wichtig war. Die Monde hatten ihr von Schrecken geflüstert, die sie in der Stadt erwarteten, würde sie bleiben. Doch würde sie gehen, dann würde sie ihren Mann nicht lebend wiedersehen, und das konnte und wollte sie nicht ertragen. Sie gewann die Fassung rechtzeitig wieder, als sie die Rückkehr ihrer am meisten geliebten Menschen hörte. Alles, was ersetzbar war, wanderte wenig später ins Feuer des Kamins. Alles, was verzehrt werden konnte, würde am kommenden Morgen ins Essen wandern. Die wenigen unersetzlichen Habseligkeiten ihrer Zunft schaffte sie mit Hilfe ihres Mannes und ihres Sohnes in den Keller, um sie unter Schichten von Erde zu begraben, die von den schwitzenden Männern immer wieder eingestampft wurde, um genauso fest zu werden wie der Kellerboden um das Versteck herum.
Als der Boden dann wieder ebenerdig war, und unter den prüfenden Blicken ihrer aller Augen sich kein verräterisches Zeichen im Übergang zum restlichen Kellerboden zeigte, schoben die Männer ein volles Weinfass an die Stelle, und stellten weitere Fässer dazu, rundum, dicht an dicht, damit es ordentlich aussah. Manche der Fässer, auch das besondere, bedeckten sie mit Brettern und weiteren Fässern in zweiter Schicht, und umringten manche der Fässer am Boden mit einem Haufen von ansonsten nutzlosem Gerümpel, damit es möglichst so aussah, als würde die Ansammlung von Fässern schon sehr lange in dieser Aufstellung verharren. Nichts sollte darauf hinweisen, welcher gefährliche Schatz unter ihrem Haus lagerte. Erst weit nach Mitternacht konnten sie sich endlich dem Schlaf überlassen, beruhigt von einem Hauch vager, verzweifelter Hoffnung. Selena schmiegte sich an ihren Mann, und schlief in seinen Armen ein.
***
Auch Lans fand in dieser Nacht nicht allzu bald Schlaf. Das hatte jedoch ganz andere Ursachen. Seit er den verrückt gewordenen Söldner in der unglückseligen Nacht vom Tor der Stadt zu den Schwestern gebracht hatte, war ihm bewusst geworden, wie wenig Zeit sie alle doch hatten, und wie schnell sich alle schönen Dinge im Leben ins Gegenteil verkehren konnten. Er wollte nicht eine einzige Stunde mehr vergeuden. So wollte er nach der Erfüllung seiner Pflicht als Wachmann und als Kumpane im Gasthaus die verbleibende Zeit seines Tages seiner Frau widmen, und nur ihr allein.
Darauf freute er sich am meisten, und in letzter Zeit schien es ihr genauso zu gehen. Es war, als hätte sie ihre Schwermut überwunden, die Trauer darüber, noch nicht Mutter geworden zu sein, und hatte nun wieder Hoffnung in den Augen. Hoffnung, und das gewisse Funkeln, das er schon länger nicht mehr in ihnen erblickt hatte. Das Funkeln, das er vor ihrem ersten, verstohlenen Kuss gesehen hatte, und damals, als sie das erste mal allein waren und eine Kostprobe von dem bekamen, was sie in der Hochzeitsnacht und danach erwartete. Als hätten die unwichtigen Dinge des Daseins ihren Einfluss auf sie beide verloren und ihre Leidenschaft sie erneut zueinander geführt.
Sie riss die Tür auf, kaum dass er klopfte, und zog ihn in ihre Umarmung. Er schloss hastig hinter sich, um die Neugier der Nachbarn nicht anzustacheln, und schob den Riegel vor. Danach ergab er sich ihren Händen, die an den Schnallen seiner leichten Rüstung zerrten, die er als Wachmann zu tragen hatte. Er konnte ihre Leidenschaft förmlich glühen sehen, die rötliche Glut ihrer Seele, und er war den Göttern unendlich dankbar für diese Gabe. Seine Lippen legten sich auf ihre, die Zungenspitzen fanden zueinander, und er überließ sich ganz und gar seinen Instinkten.
***
Max, einer der Kameraden aus der Wachmannschaft, der Lans angehörte, war nicht allzu traurig darüber, dass ihre abendlichen Runden im Wirtshaus in letzter Zeit kürzer ausfielen, weil Lans seit neuestem so eine Sehnsucht nach seiner Frau verspürte wie man es sonst nur von Frischvermählten kannte. Das ließ ihm wiederum mehr Zeit, um sich seinen eigenen Spaß zu besorgen. Er war jung, noch ungebunden, fand sich recht stattlich und hatte oft genug die eine oder andere Münze locker, um sie für die Zeit mit einem der Freudenmädchen der Stadt einzutauschen. Er musste jedes Mal grinsen, wenn er sich in das verruchte Stadtviertel begab, in dem diese Frauen ihrem Gewerbe nachgingen. Eigentlich wäre es seine Arbeit gewesen, Etablissements wie diese aufzudecken und aufzulösen, da solch ein Treiben nicht im Sinne der Heiligen Familie war. Doch war er kein Kirchenmann, und fand auch, dass die leichten Mädchen und Frauen nichts verwerfliches taten. Er gehörte zu den Wachleuten, die sich taub und blind stellten, wenn es um solcherlei Dinge ging, und die auf diese Weise deutlich günstiger und damit öfter in den Genuss der Dienste der Schönen der Nacht kamen als gewöhnliche Kunden.
Gewiss wollte auch Max eine Frau ehelichen, eine Familie gründen und Kinder großziehen, die sich dann um ihn kümmern würden, wenn er ein schwacher Greis werden würde. Aber noch war er jung, das Alter fern, und er noch nicht bereit dazu, seine Nächte immer nur mit ein und derselben Frau zu verbringen. Nicht jeder hatte so ein Glück wie Lans, und fand die Richtige im ersten Augenblick. Manche mussten lange auf die Begegnung warten, und da war es besser, sich nicht an die falsche Frau zu binden. Und während man wartete, konnte man auch ein wenig Spaß haben. Womöglich brachte das auch noch den einen oder anderen Vorteil in die kommende Ehe mit ein.
Er blieb vor einem Haus mit zwei Stockwerken stehen, das dem Schild nach angeblich die Werkstatt von Schneidern und Nähern war und neben einem Garnknäuel und einer Nadel auch ein mit einer Rose besticktes Tuch zeigte. Demnach sollte es im Erdgeschoss die Arbeitsräume sowie das Lager im Keller beherbergen, während darüber üblicherweise Wohnkammern der Handwerker liegen sollten. Natürlich wusste Max, dass das nur eine Tarnung war. Er sah aufmerksam nach beiden Seiten der Gasse, um sicher zu sein, dass ihn niemand erblicken würde, und kündigte sich mit dem vereinbarten Klopfzeichen an, mit dem die richtigen Kunden von den falschen unterschieden wurden. Er musste kurz warten, dann öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Er sah das Aufblitzen von aufmerksamen, schwarzen Augen im Dunkel dahinter, dann die hellen Zähne eines makellosen, verruchten Lächelns und die Tür schwang auf, um ihn einzulassen. Rasch trat er ein, und die Tür wurde leise hinter ihm geschlossen.
Es war selbstverständlich Rose, die gertenschlanke, großgewachsene Frau mit südländischer Herkunft, auf die ihr selbst im tiefsten, dunkelsten Monat der Kälte dunklerer Teint und die einen Hauch mandelförmigen Augen hinwiesen. Sie hatte wie immer aufreizend rot angemalte, sinnliche Lippen, die in aufregendem Kontrast zu ihren schwarzbraunen Haaren standen, die sie einem Krieger gleich kurz trug. Rose achtete stets auf die Tür, kannte Max inzwischen gut und er sie ebenfalls. Unter ihrer auf Figur geschnittenen Männerkleidung hatte sie trotz ihrer schlanken Statur gut definierte Muskeln wie ein Kämpfer, der stets im Training war. Sie war sehr gut in der Lage, die Kunden aus dem Haus hinauszubefördern, wenn sie den Mädchen Scherereien machten, oder gar die Hand gegen sie erhoben. Er wusste auch, dass sie hin und wieder selbst Kunden bediente – allerdings nicht auf die übliche Art, sondern vielmehr durch den Gebrauch einer Reitgerte oder eines Rohrstocks, oder auch mal mit der Hand, die zu solchen Gelegenheiten in einem schwarzen Lederhandschuh steckte. Max hatte sich mal mit betrunkenen Kopf von ihr den Hintern versohlen lassen, dann aber befunden, dass diese Spielart nichts für ihn war. Rose war auch eine der beiden Frauen, die das Geld von den Kunden kassierten.
„Guten Abend, Herr Wachmann“, neckte sie ihn mit einer gespielten Unterwürfigkeit. „Wir freuen uns alle sehr über Ihre Besuche. Heute schon eine bestimmte Blume im Sinn?“
Max schmunzelte, er mochte den Klang ihrer dunklen Stimme. In diesem Haus war es Brauch, dass die Damen sich nach Blumen benannten – passend zu ihrer äußeren Erscheinung oder ihrem Naturell. Er wusste nicht, woher diese Sitte kam, hatten die anderen Freudenhäuser doch keine so verspielte Regel. Aber sie gefiel ihm, und darum kam er stets nur dorthin. Max dachte kurz nach: „Gibt es womöglich eine neue im Blumenstrauß?“
Rose schüttelte den Kopf. „Derzeit nicht, mein Herr. Aber ich bin mir sicher, dass eine eurer Lieblingsblumen heute zu Eurer Verfügung stehen wird, auch wenn die meisten Mädchen schon beschäftigt sind. Seit etlichen Tagen laufen die Geschäfte hervorragend. Das ist wohl der Ausgleich für die schlechten Wochen zuvor.“ Dann sah sie ihn - wie immer - erwartungsvoll an.
Max grinste, löste seinen Waffengurt, um ihn der Frau zur Verwahrung zu überlassen, und drückte ihr die vereinbarte Anzahl von Münzen in der Hand, wie immer. Sie nickte lächelnd mit dem Kopf und ließ ihn aus dem Vorraum ins Innere des Gebäudes passieren.
Im nachfolgenden Raum, der durchaus gemütlich eingerichtet war, sogar durch eine Feuerstelle gewärmt und durch Öllampen ausreichend erhellt, kannte er sich inzwischen sehr gut aus. Er ließ sich von Nelke, der blonden Schankfrau mit graugrünen Augen und mit einer fast schon knabengleichen Statur, noch einen Wein reichen – die andere Person, die ihm das Geld abnehmen würde, falls er nicht schon bei Rose gezahlt hätte – und ließ seine Blicke über die drei Mädchen wandern, die gerade keinen Kunden hatten. Er kannte sie inzwischen alle, auch diejenigen, die gerade nicht anwesend waren. Von oben hörte er gedämpft eindeutige Geräusche aus mehreren Räumen. Es hörte sich für ihn wirklich so an, als wären die drei vor ihm die einzigen, die gerade noch verfügbar waren. Rose hatte demnach nicht geflunkert.
Nachdem sein Blick erst in die eine Richtung gewandert war, dann wieder vollständig zurück, war er sich immer noch unschlüssig. Jede der Frauen hatte ihre Vorzüge, auf die eine oder andere Art. Aber zwei von ihnen hatte er in den letzten Tagen schon einmal aufgesucht, und ihm stand der Sinn nach Abwechslung. Also streckte er seine Hand mit einem wie er fand nicht unfreundlichen Grinsen in Richtung der braunhaarigen, blauäugigen Lilie aus, die er wegen ihrer ausgeprägten Kurven schätzte, aber auch wegen ihrer gefügigen Art. Wie die anderen trug sie nichts weiter als ein aufreizendes Nachtkleid aus dünnem Stoff, der sich um ihren Körper schmiegte und beinahe nichts der Fantasie überließ. Mit einem Lächeln erhob sie sich, nahm seinen Arm und ging mit dem Wachmann nach oben, um ihm zu Diensten zu sein.
Ein Mann begegnete ihm, der gerade auf seinem Weg nach unten und Richtung Ausgang war. Max erkannte dessen Gesicht. Er hatte den Mann schon häufiger in diesem Etablissement gesehen. Er nickte ihm zu, die übliche Art von Begrüßung in diesem Haus, wo man einen anderen Mann nicht nach seinem Namen fragte und auch nach nichts anderem sonst. Für einen Moment, mehr durch Zufall denn durch eine Absicht, trafen sich ihre Blicke. Die Härchen auf Max' Unterarmen richteten sich auf, als ihm für wenige Momente ein Schauer über die Haut lief. Doch dann legte Lilie ihren Arm enger um seine Hüfte und seine Aufmerksamkeit wandte sich erneut ihr zu, so dass der Augenblick verflog und in Vergessenheit geriet. Und während Max sich die Freiheit herausnahm, die besonderen Vorzüge von Lilies Gesellschaft zu genießen, begab sich der andere Kunde nach Hause, zu seiner Familie, und zu seiner Frau.
***
Das Abendessen wartete bereits auf dem Tisch, als der Richter sein Haus betrat. Sein Bediensteter hatte sich aber schon vor einer Weile zurückgezogen. Karl roch frisches, selbstgebackenes Brot und lächelte leicht. Der Duft nahm ihm etwas von der Anspannung des Abends, so dass er den Schlaf womöglich doch schneller finden würde als befürchtet. Er ließ sich mit der Mahlzeit dennoch Zeit, obwohl es an diesem Tag später geworden war als sonst. Die Dunkelheit und das Licht der beiden dominanten Monde machten ihn nervös. Normalerweise machte er sich nichts aus den Dingen, die von Menschen in die Konstellation der Gestirne hineingedeutet wurde, obschon er von einer geheimen Kunst wusste, die daraus ihre übernatürliche Macht bezog. Doch im Anbetracht der jüngsten Ereignisse erschienen auch ihm der Graue und der Rote sehr unheilvoll in ihrem gemeinsamen Wirken. Als der Richter sich dann schließlich zu Bett begab hoffte er, dass ihn diese Nacht keine bösen Träume heimsuchen würden - doch das war ihm nicht vergönnt.
Es regnete erneut, noch sehr viel schlimmer als in den Tagen zuvor, und die ganze Stadt schien überflutet zu sein. Karl sah das Wasser in kleinen Wellen über die Schwelle seines Schlafzimmers schwappen. Im Zwielicht des wolkenverhangenen Tages sah er Körper auf dem Wasser vorbeitreiben, das sich in den Straßen aufstaute. Die Flut machte keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen, Alten oder Kindern. Er sah auch eine Ordensschwester, ihr Gesicht war nach oben gerichtet und ihr leerer Blick sah anklagend zum Himmel. Warum habt Ihr uns verlassen, oh Götter?
Das Wasser war dunkel, beinahe schwarz – doch als es dann mit sanften, unerwartet warmen Berührungen seine nackten Füße erreichte und er an sich hinunter sah, waren seine Zehen und die Oberseite der Füße nicht einfach nur nass, sie waren rot. Ein Wimmern des Entsetzens entwich seiner Kehle, das er mit beiden Händen über seinem Mund abzuwürgen versuchte. Dann hörte er ein dumpfes Geräusch und sah sich um – es war der Körper seines Dieners, der mit dem Gesicht nach unten an die Oberfläche des blutigen Wassers aufgestiegen war und gegen die Wand stieß. Dann riss er plötzlich seinen Kopf hoch und fauchte Karl mit einer dämonischen, hassverzerrten Fratze an. Es wurde dunkel.
***
Nachdem Feli sich vom Richter verabschiedet hatte, machte sie sich voller Vorfreude auf den Weg. Egal, was sie herausfinden würde, egal, was noch auf sie zukam – zuerst wartete die Straße auf sie, und die Wiesen und Wälder um sie herum. Das war das wichtigste in ihrem Leben, immerzu in Bewegung zu sein. Ein leichtes Schmunzeln lag auf ihren Lippen, weil sie sich ihrer Wirkung auf den Richter durchaus bewusst war – und es sehr zu schätzen wusste, dass er sich zurücknahm und ihre Beziehung rein geschäftlicher Natur war. Sie hatte schon mehr als einem Mann mit deutlichen Worten erklären müssen, dass sie kein Interesse an einem Heim oder einer Familie hatte. Die Welt war ihr Zuhause. Wer das nicht begreifen konnte, für den hatte sie nichts übrig. Das Haus, in dem sie lebte, war nichts weiter, als eine Zwischenstation, ein Ort zum Lagern von Dingen, die sie nicht immer bei sich brauchte. Sie konnte es sich zwar vorstellen, eine Nacht mit ihm zu verbringen, sowohl aus Sympathie als auch aus der Neugier heraus. Doch sie würde es erst tun, wenn es klar war, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, um jegliche Komplikationen zu vermeiden.
Feli legte nur einen kleinen Umweg ein, um ihren Proviant aufzustocken und auch etwas Hafer für das Pferd zu besorgen. Alles andere war bereits aus der Gewohnheit heraus vorbereitet und musste nur noch eingesammelt und verstaut werden. Wie immer reiste sie mit leichtem Gepäck. Wenig später verließ sie die Stadt über das Westtor. Während sie zunächst noch der Straße folgte, stieg sie in Gedanken hoch wie ein Vogel. Die Truppen des Rächerordens würden sicherlich die Straße nehmen. Die Straße wiederum folgte nicht unbedingt dem kürzesten Weg. Sie musste Ortschaften miteinander verbinden, auf Brücken achten, auf ein Gelände, das geeignet war für Kutschen und Fuhrwerke. In Gedanken legte Feli sich eine Route zurecht, die es ihr erlaubte, eine Abkürzung durch den lichten Wald zu nehmen. Auf diese Weise konnte sie sich selbst und ihrem Pferd eine kurze Rast an einem Bach ermöglichen, und würde dennoch vor dem Einbruch der Dunkelheit ein paar Straßenabschnitte prüfen können. Sollte sie bis dahin auf die Kampftruppen oder ihre frischen Spuren treffen, dann könnte sie spätestens in der Nacht zurückkehren und dem Richter wenigstens mit dem Vorsprung von ein paar Stunden die Informationen bringen. Anderenfalls würde sie ein, vielleicht zwei Tage gewinnen können.
Sie streichelte liebevoll über den Hals ihrer Stute Kari mit dem fuchsfarbenem Fell, die sie wegen ihrer Ausdauer ausgewählt hatte und die mit Sicherheit ihr kostbarster Besitz und ihre treueste Freundin war. Um ein Tier wie sie zu finden, war Feli vor Jahren bis in den Süden des Reiches gereist, ins ferne Fürstentum Kôsian, und hatte zudem Glück, die richtigen Leute zu kennen, so dass sie einen Freundschaftspreis bekommen hatte. Die berühmt-berüchtigten Dragons vergaßen nie ihre Feinde, aber noch weniger ihre Freunde, und Feli hatte genug Gefallen bei ihnen angesammelt für eine solche Kostbarkeit.
Ein leichter Druck mit den Oberschenkeln genügte, damit die Stute Felis Absichten verstand. Wenig später verschwanden Reiterin und Reittier aus der Sicht, auf einem schmalen Pfad zwischen den mit frischem Grün bedeckten Laubbäumen. Die Luft war frisch, und wurde zusehends wärmer. Das Wetter war ihr gnädig, und vielleicht war das sogar ein gutes Zeichen, ungeachtet der bösen Omen, die die finsteren Mondaspekte bei Nacht mit sich brachten.
Die erste Unterbrechung legte Feli um die Mittagszeit ein. Während Kari eine kurze Schonzeit hatte, am klaren Wasser eines Bachs und dem frischen Grün am Ufer, nahm Feli sich die Zeit, um die Beschaffenheit der Straße zu prüfen. Der andauernde Regen der vergangenen Tage hatte ganze Arbeit geleistet, die Erinnerung an die vielen Pilger und Händler auszumerzen, die zum Kloster gezogen waren, um nicht mehr von dort zurückzukehren. Auch die Spuren der Glücksritter, die den verschollenen Pilgern gefolgt waren, wurden vom Regen unkenntlich gemacht. Sie sah nur noch vereinzelte Reste von Abdrücken, die zu schwer beladenen Fuhrwerken gehört hatten, und zugehörige Spuren von Zugtieren und Menschen. Doch diese gehörten wohl kaum zu einem bewaffneten Heer mit Hundertschaften von Fußtruppen und Berittenen, sondern eher zu Leuten, die zwischen den Dörfern und Höfen umherzogen, vermutlich fahrende Händler oder Tagelöhner, die Arbeit auf den Höfen suchten. Feli hatte allerdings auch nicht erwartet, an dieser Stelle bereits die Kampftruppen anzutreffen. Es ging ihr vor allem darum, die Beschaffenheit der Straße etwas abseits der Stadt zu prüfen um abschätzen zu können, wie die relativ unberührten Passagen aussahen.
Die zweite Position prüfte Feli, als der Abend sich anzukündigen begann. Sie hatte ein großes Stück Weg gewonnen, da sie eine ihr bekannte Passage über den Fluss nutzen konnte, während die Straße einen meilenweiten Umweg zu einer Brücke schlug. Auch an dieser Stelle sah sie keine Hinweise auf ein vorbeigezogenes Heer. Nur die üblichen Spuren von einfachen Leuten, die ihren eigenen Tätigkeiten nachgingen und vermutlich nicht die geringste Ahnung davon hatten, in welcher Gefahr sie alle schwebten. Feli seufzte und blickte nach oben, um dem Sonnenstand nach ihre weiteren Möglichkeiten abzuschätzen. Sie hatte die Wahl zwischen einer kleineren Abkürzung, bei der sie noch vor dem Sonnenuntergang in einem kleinen Dorf einkehren konnte, aber nicht viel Zeit für den nächsten Tag gewinnen würde. Sie konnte auch eine längere Strecke einsparen, würde dann aber vom Einbruch der Nacht eingeholt werden. Zudem würde sie sich dann in einer weniger dicht besiedelten Gegend befinden, so dass die Gefahr bestand, an ein Rudel Wölfe zu geraten.
Während sie ihre Optionen abwog wurde ihr klar, dass sie die riskantere wählen musste, wenn sie mehr Zeit für ihre Rückkehr herausholen wollte. Dann fiel ihr eine Hütte entlang des Weges ein, die am Waldrand lag und Reisenden Schutz bieten sollte, die es nicht mehr rechtzeitig in ein Dorf schaffen würden und in keiner größeren Gruppe reisten, die ihnen Schutz bot. Damit war ihre Entscheidung getroffen, und Feli schwang sich rasch in den Sattel.
Da sie ihre Kari bisher noch vergleichsweise geschont hatte, nahm sie sich nun heraus, in den verbleibenden Stunden ein etwas höheres Tempo einzufordern. Die schmalen Wege durch die Waldabschnitte, die von Jägern und Waldläufern genutzt wurden, verlangsamten sie zwar im Vergleich zum offenen Feld, da sie auf peitschende Äste und Zweige achten musste und auch die Wurzeln am Boden waren nicht ungefährlich, doch sie kam immer noch schneller voran als über die gewundene Straße.
Die Sonne senkte sich unaufhaltsam zum Horizont. Als Feli an ihrem letzten Punkt der Straße angekommen war, um dort die Spuren zu prüfen, war sie schon fast hinter den Baumwipfeln verschwunden. Feli hatte gerade noch genug Licht, um sicher zu gehen, dass sie auch an dieser Stelle noch vor den Truppen des Rächerordens war. Einen kürzlich vorbeigezogenen Tross hätte man anhand der Spuren klar erkennen müssen. Darüber hinaus war sie sich sicher, dass die Männer zu dieser Tageszeit das Nachtlager vorbereiten würden. So günstig wie der Wind gerade wehte, würde sie die laute Geräuschkulisse noch meilenweit hören, falls das Lager sich weiter in Richtung Starogrâd befand. Sie war sich sicher, dass die Truppen noch vor ihr waren.
Damit wandte sie sich mit Blicken und Gedanken ihrem nächsten Ziel zu. Auch wenn die Tage inzwischen länger waren, würde sie die Hütte nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Doch zu ihrem Vorteil musste sie dafür die Straße nicht mehr verlassen, außer beim allerletzten Stück, der über eine Wiese führte und an den Wald heran. Für alle Fälle bereitete sie eine kleine Laterne vor, füllte das Öl nach und entzündete den Docht. Solange sie noch halbwegs etwas sehen konnte, trieb sie die Stute an, um Zeit zu gewinnen. Je schneller sie bei der Hütte ankam, desto schneller konnte sie schlafen, desto eher konnte sie am kommenden Morgen aufstehen.
Der graue Mond, auch bekannt als das Chaosgestirn und der rote Mond des Feuers waren bereits am Himmel zu sehen, während die übrigen drei im Zwielicht nur zu erahnen waren. Feli trieb Kari zur Eile an. Die Stute spürte die Nervosität ihrer Reiterin und eilte die Straße entlang. Feli hoffte zwar darauf, dass die Wölfe es inzwischen einfacher hatten, in den Wäldern Beute zu reißen im Vergleich zum kargen Winter, und ihr nicht entlang des Weges auflauern würden, doch man konnte sich nie sicher sein. Menschen waren nicht die einzigen, die zur dunklen Phase des roten Mondes stärker zu finsteren, blutrünstigen Gefühlen und Taten neigten, auch die Raubtiere waren in dieser Zeit gefährlicher. Darum nannte man das Gestirn in solchen Zeiten auch den Blutmond.
Das Sonnenlicht schwand immer mehr zu einem immer schwächeren Glimmen über den Baumwipfeln und erstarb schließlich ganz. Mit ihm zusammen verstummten die tagaktiven Vögel. Das Licht der Monde war zwar hell genug, um die Straße zu erkennen, sobald sich die Augen darauf eingestellt hatten, doch nicht ausreichend, um eine lauernde Gefahr um sie herum zu bemerken. Immerhin war es nicht mehr weit. Noch ein Paar Meilen über die Straße, dann eine kurze Strecke über den Wiesenpfad. Die von ihr angepeilte Hütte stand unweit eines Bachs, wo sie ihren Wasserschlauch befüllen und Kari tränken konnte.
Feli griff zur Laterne, um das schwach glimmende Licht stärker aufzudrehen, da sah sie, wie sich die Ohren der Stute aufstellten und hörte selbst das Knurren der Raubtiere um sie herum. Von beiden Seiten sprangen die lauernden Wölfe sie an. Im Bruchteil eines Augenblicks zählte sie drei Tiere auf der einen Seite und drei auf der anderen. Mit einem Kampfschrei zog sie ihre Waffe, gab Kari aber mit ihren Oberschenkeln zu verstehen, dass sie nach vorne preschen sollte. Zwei der Wölfe versuchten ihnen jedoch den Weg abzuschneiden. Die Stute bäumte sich auf und schlug mit den Hufen aus. Feli hielt sich mit etwas Mühe im Sattel fest und schlug nach dem anderen Wolf. Den Hufen entgingen die Räuber, doch Felis Säbel fand ihr Ziel und schnitt dem Wolf ins Fleisch, zog eine Spur aus frischem Blut hinter sich, das über die Erde und das Gras spritzte. Das Tier heulte auf vor Schmerz und zog sich zurück. Dann gab sie Kari erneut das Zeichen, weiter zu reiten, brüllte laut und knurrte dann mit gefletschten Zähnen, um den Wölfen begreiflich zu machen, dass sie keine leichte Beute war. Dann verteilte sie Hiebe nach links und rechts, um diejenigen Räuber abzudrängen, die nach ihren Beinen schnappten. Der linke Hieb verfehlte den Wolf, der geschickt nach Hinten zurückwich. Der rechte jedoch traf zielsicher, und der nächste Räuber musste Blut lassen, heulte auf und winselte sogar. Kari schlug noch einmal mit ihren Hinterläufen aus, dann preschte sie nach vorne, bevor die nächsten Wölfe nachrücken und ihr abermals den Weg versperren konnten.