Kitabı oku: «Unsichtbare Architektur», sayfa 3
Ein weiterer habsburgischer Erinnerungsort war das kaiserliche Schloss Schönbrunn, Wohn- und Regierungssitz Kaiserin Maria Theresias und Sterbeort Kaiser Franz Josephs. Das habsburgische Vermögen war mit dem sogenannten Habsburgergesetz, einem Verfassungsübergangsgesetz aus 1919, an den Staat gefallen, die Habsburger wurden damals des Landes verwiesen, der Adel in Österreich abgeschafft. Diese republikanischen Gesetze wurden mit ebenso wie das Adelsaufhebungsgesetz in den Rang eines einfachen Bundesgesetzes rückgestuft. 1935 wurde der Landesverweis für die Habsburger aufgehoben und eine Vermögensrestitution der Bundesregierung zur Entscheidung überlassen. Als Zeichen des Bezugs zur Monarchie und des Wunsches nach Kontinuität adaptierte der autoritäre Staat einige habsburgische Symbole und Hoheitszeichen, wie die Kaiserhymne und den Doppeladler. Statt Hammer und Sichel, wie ihn der (einköpfige) Wappenadler der Ersten Republik in den Fängen hielt, wurden nun Kreuz und Schwert eingesetzt.84 Dazu kam 1933 das Kruckenkreuz als Zeichen der Vaterländischen Front (Abbildung 9), das dem nationalsozialistischen Hakenkreuz ähnelte, ihm aber bewusst als Zeichen christlichen Deutschtums entgegengesetzt sein sollte.85 Das Kruckenkreuz ist als Schwertfegermarke auf dem Reichsschwert (Mauritiusschwert) dargestellt, einem Bestandteil der Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reichs. Das Schwert wird in der Weltlichen Schatzkammer aufbewahrt wird und trägt unter anderem die Inschriften „CHRISTVS · VINCIT · CHRISTVS · REIGNAT · CHRISTVS · INPERAT“ sowie an der Scheide eine Reihe von Kaiserdarstellungen, so dass hier mehrfache Anknüpfungspunkte sowohl für den Politischen Katholizismus (Christkönigsideologie) als auch für den Versuch einer Legitimierung der behaupteten Vormachtstellung Österreichs als deutscher Nation, wie sie der Austrofaschismus verfolgte, vorhanden waren.
Abbildung 9: Kruckenkreuz (Wikipedia)
Mehrere Veranstaltungen des Katholikentags fanden im Praterstadion statt. Im Vorfeld der 2. Arbeiter-Olympiade erbaut (der Grundstein wurde am zehnten Jahrestag der Ersten Republik gelegt86) und 1931 eröffnet, war das Stadion ein zentraler Veranstaltungsort der Sozialdemokratie und der Arbeitersportbewegung, nicht nur für Sportereignisse, sondern auch für Manifestationen und Festveranstaltungen.87 Nach einem Wettbewerb, den Otto Ernst Schweizer gewonnen hatte, wurde es mit seiner aufwändigen Stahlbetonkonstruktion und den umgebenden Sportanlagen zu einem Denkmal des Roten Wien, zum Inbegriff sozialdemokratischer Fortschrittlichkeit und Wiener Freizeitkultur. In einem 1935 herausgegebenen Jubiläumsband zum 100-jährigen Bestehen des Stadtbauamts (dessen Beamte wenige Jahre zuvor die Erbauung und Eröffnung des Stadions im sozialdemokratischen Kontext miterlebt hatten) wurde das Stadion jedoch politisch so neutral präsentiert, als wäre es schon immer dagewesen.88
Beim Katholikentag 1933 wurde das Stadion besonders nachdrücklich neu kodiert. Hier hatte ein halbes Jahr zuvor die letzte Maikundgebung der Ersten Republik stattgefunden.89 Am 10. September fand hier die Hauptversammlung des Katholikentags statt, mit einem Zug der Ostmärkischen Sturmscharen, einer 1930 gegründeten paramilitärischen Truppe, deren Fahnen wieder „aus dem Geiste altchristlicher Symbolik“ gestaltet waren.90 Hier sprach Bundeskanzler Dollfuß über die Errichtung eines „christlich-deutschen Staats“. Am 10. September mittags wurden 40.000 Bauern während einer Festmesse auf Kirche und Regime eingeschworen,91 nachmittags folgte die Aufführung des als Massenspektakel inszenierten Weihespiels „St. Michael führe uns!“ von Rudolf Henz. Unter anderem trat dabei eine rote Fahnen schwingende, Arbeiter darstellende Gruppe auf, die vor dem Kreuz zurückschreckte und das Feld räumte. Danach wurde die katholische Jugend Christus geweiht.92 Eine derart nachdrückliche Bespielung mit Weihespielen, Messen, Bekenntnis- und Schwurveranstaltungen sollte das Stadion, bis dahin unter anderem auch Spielort der „Wunderteam“ genannten österreichischen Fußballnationalmannschaft, nachdrücklich im öffentlichen Bewusstsein umdeuten.
Unweit des Stadions, am Trabrennplatz in der Krieau, hielt Bundeskanzler Dollfuß am 11. September 1933 seine Grundsatzrede zum autoritären Umbau des Staates. Der Termin zugleich mit dem ersten Generalappell der Vaterländischen Front hatte mehrfachen „Befreiungs“-Bezug: Es war der Vorabend des Jubiläums der Befreiung Wiens von den Osmanen, die als „Horden aus dem Osten“ als ebenso unchristlich gebrandmarkt werden konnten wie die ebenfalls aus dem Osten kommende Gefahr des Bolschewismus, vor denen das katholische Österreich Europa ebenso bewahren wollte wie 1683.93 Außerdem galt die im Mai 1933 als Nachfolgerin der Christlichsozialen Partei gegründete Einheitspartei der Vaterländischen Front den Machthabern als Befreiung von Demokratie und Parlamentarismus, wie Dollfuß in seiner Rede betonte.94
Der 1878 eröffnete Trabrennplatz in der Krieau im Wiener Prater war bis dahin kein politisch konnotierter Ort gewesen. Die Entscheidung für ihn hat wahrscheinlich mit seiner Nähe zum Messegelände und zur Rotunde zu tun, die als Monumentalbau für die Wiener Weltausstellung 1873 erbaut worden war und dadurch Wien als Weltstadt repräsentierte. Außerdem hatte in der Rotunde im September 1912 der Eucharistische Kongress stattgefunden, eine katholische Großveranstaltung, die mehrere Details des Katholikentags 1933 vorweggenommen hatte: die Anwesenheit eines päpstlichen Kardinallegaten, die Inszenierung als Massenspektakel und eine spektakuläre und sehr erfolgreiche sakrale Musiktheatershow, das „Mirakelfestspiel“.95 In den Augen der Machthaber mag diese historische kirchliche Nutzung der Rotunde ihre an sich liberal motivierte Entstehung überschrieben haben. Außerdem signalisierte die 25. Wiener Herbstmesse 1933, die in der Rotunde zeitgleich mit dem Katholikentag stattfand, dass die „Talsohle der Weltwirtschaftskrise durchschritten war“.96 Der Trabrennplatz lag genau in der Achse der (1937 abgebrannten) Rotunde, deren über 100 Meter hohe, weithin sichtbare Kuppel den monumentalen Hintergrund für die Kanzlerrede darstellte.
Nach der Kundgebung zogen die Anwesenden zum Burgtor, einem weiteren habsburgisch-militärischen Erinnerungsort, wo ein großes historisches Türkenzelt aufgebaut war. Dort, unweit des Reiterdenkmals des Prinzen Eugen, eines weiteren populären barocken Türkenhelden im Dienste Habsburgs, nahm der Kanzler das Defilee der Vaterländischen Front ab. Irene Nierhaus hat darauf hingewiesen, dass dieser Ort beim Wien-Besuch des polnischen Papstes Johannes Paul II. anlässlich des Katholikentags 1983 nochmals ähnlich instrumentiert wurde: Zum 300. Jubiläum der Türkenbefreiung wurde die Papsttribüne neben dem Prinz-Eugen-Denkmal aufgestellt, als „geschichtliche Bezugnahme zum Szenarium“.97 Bei dieser Gelegenheit wurde auch dem Porträtmedaillon des polnischen Königs Jan Sobieski, der das Entsatzheer 1683 befehligt hatte, an der Kirche auf dem Kahlenberg ein Relief-porträt des polnischen Papstes zugefügt.98 Hier erschließt sich eine deutliche Kontinuität in die Zweite Republik.
In Zusammenhang mit den recht salopp „Türkenbefreiungsfeiern“ – eigentlich war es das osmanische Heer unter der Leitung Kara Mustafas gewesen, das Wien belagert hatte, – rückte der Kahlenberg, Ort der Entsatzschlacht von 1683, bei dem die Osmanen geschlagen worden waren, in den Mittelpunkt. Beide Berge sind darüber hinaus auch dynastische Erinnerungsorte. Am Leopoldsberg befindet sich die landesfürstliche Burg der Babenberger, die als Herzöge Vorläufer der Habsburger und über Leopold III. den Heiligen mit der Gründungslegende des bedeutenden, nahe gelegenen Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg verbunden waren. Im Stift befindet sich auch das Grab des Babenbergers. Die Kirchenstiftung Kaiser Leopolds I. von 1679 auf dem Leopoldsberg war der habsburgische Eintrag in die Memorialtopografie des Ortes. Hier (und nicht auf dem heutigen Kahlenberg) hat der Kapuzinerpater Marco d’Aviano die berühmte Messe vor der Entsatzschlacht gelesen,99 bei der der polnische König ministriert haben soll. D’Aviano befand sich den ganzen Tag vor Ort, gehört daher auch zum Personal des austrofaschistischen Türkenbefreiungskults und erhielt bald ein eigenes Denkmal, wie auch Kahlenberg und Leopoldsberg durch die Errichtung der Höhenstraße durch das Regime gewürdigt werden sollten. – Der heutige Kahlenberg wurde von Kaiser Ferdinand III., einem der Protagonisten der Gegenreformation in Österreich, mit einem Kamaldulenserkloster bestiftet, an dessen Kirche St. Josef sich zahlreiche Bezüge zu den Ereignissen von 1683 finden. Alljährlich werden dort bis heute polnische Gedenkfeiern zu den Jahrestagen der Schlacht abgehalten.
Neben der Nutzung ideologisch genehmer und vorteilhafter Erinnerungsorte sollte das Regime in der Folge eine teilweise radikale, teilweise erstaunlich halbherzig gedachte „damnatio memoriae“ an den symbolhaften Orten seiner politischen Gegner durchführen. Mangels entsprechender Manifestationen der Nationalsozialisten betraf das ausschließlich sozialdemokratische Orte und Erinnerungsmale. Diese Aktionen konnten allerdings erst nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) infolge der Ereignisse des Februar 1934 beziehungsweise nach der Erlassung der neuen Verfassung am 1. Mai 1934 durchgeführt werden.100
Abbildung 10: Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (ÖNB/Fenichel)
Anlässlich der Feierlichkeiten zum Katholikentag 1933 traten einige der neuen Protagonisten des politischen Diskurses öffentlichkeitswirksam in den Vordergrund.
Zu Bundeskanzler Dollfuß (Abbildung 10) und der bereits zu seinen Lebzeiten initiierten, nach seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten beim Juliputsch 1934 kulminierenden Mythisierung hat zuletzt Lucile Dreidemy ausführlich gearbeitet.101
Hier soll nur zusammenfassend festgehalten werden, dass in der Person Dollfuß nahezu alle vom Regime gewollten symbolischen, historischen und ideologischen Bezüge zusammenliefen: Dollfuß, ein Bauernsohn aus Niederösterreich, galt als „Sohn der Scholle“, kaisertreuer Soldat (er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft und hielt die programmatische Trabrennplatzrede in der Uniform der Kaiserjäger) und „Führer mit menschlichem Antlitz“; er wurde als volksnaher, sympathischer und tiefgläubiger pater familias präsentiert, und im Verhältnis zur politischen „Schutzmacht“ (und zum austrofaschistischen Vorbild) Italien wurde sein Verhältnis zum Diktator Mussolini als freundschaftlich dargestellt. Überhaupt basierte das zeitgenössische Dollfußbild im Gegensatz zur (Selbst-)Darstellung Hitlers oder Mussolinis „viel weniger auf Furcht als auf Identifikation und Sympathie“: Der „kleine Kanzler“ (Dollfuß war nur 1,53 Meter groß, ein Umstand, den die Hagiografie auszunützen verstand) konnte nach einem missglückten Attentat am 4. Oktober 1933 auf den Titelbildern der Illustrierten als Genesender im Pyjama am Krankenbett abgebildet werden.102 Ebenso wie fast alle Repräsentanten der austrofaschistischen Eliten, vor allem der katholischakademischen,103 war Dollfuß über seine Mitgliedschaft im Cartellverband (CV) exzellent vernetzt. Vom Bundespräsidenten abwärts waren 16 Regierungsmitglieder beim CV, dazu 30 Prozent der Mitglieder des Staatsrats, 35 Prozent des Bundeskulturrats und 72 Prozent des Länderrats. Auch in Kultur, Kirche und Medien war der CV sehr präsent; Mitglieder waren zum Beispiel Friedrich Funder, der Chefredakteur der einflussreichen „Reichspost“, aber auch der „inoffizielle Kulturminister“ Clemens Holzmeister.104
Der Wiener Kardinal Theodor Innitzer (Abbildung 11) war ein weiterer wichtiger Protagonist, der als ranghöchster Vertreter der Kirche vor Ort so gut wie alle offiziellen Gelegenheiten für Weihen, Messen, Eröffnungen, Prozessionen etc. wahrnehmen sollte.
Abbildung 11: Kardinal Theodor Innitzer (Moderne Welt 12 (1933), 7; ANNO/ÖNB)
Nach Dollfuß’ Ermordung unterstützte Innitzer dessen profane und sakrale Verehrung, die in Junktimierung mit der Christkönigsideologie in eine umfassende Sakralisierung des „Helden- und Märtyrerkanzlers“ in Zusammenhang mit dessen Namenspatron, dem hl. Engelbert, münden sollte.105 Führende Rollen nahm der Kardinal bei Weihezeremonien der zahlreichen neuen Kirchenbauten ein, ebenso bei den vom Regime neu belebten und sorgfältig inszenierten Fronleichnamsprozessionen, bei der sich die politischen und kirchlichen Eliten im öffentlichen Raum Wiens im Rahmen des traditionellen kirchlichen Festes alljährlich wieder präsentierten. Fronleichnam, als Gegenbild zu den sozialdemokratischen Umzügen und als Manifestation des christlichsozialen „Christus regnat“ von Künstlern inszeniert und ausgestattet, sollte barocke Festkultur und politische Manifestation mit kirchlicher Legitimation verbinden.106 Kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland sollte Innitzer eilig die Seiten wechseln: Anlässlich einer Volksabstimmung über den Verbleib Österreichs im Deutschen Reich forderte er mit seinen Bischöfen nicht nur alle Christen auf, für den Verbleib bei Deutschland zu stimmen, er unterzeichnete die entsprechende Erklärung der Bischöfe auch noch handschriftlich mit dem Hitlergruß.107
Für die zentrale Regie des Katholikentags verantwortlich war dessen Präsident, der Architekt Clemens Holzmeister (1886–1983) (Abbildung 12), der hier erstmals jene politische Bühne betrat, auf der er die folgenden Jahre hindurch in beispielloser Weise reüssieren sollte. Der Tiroler Holzmeister hatte an der Wiener Technischen Hochschule bei Karl König und Max Ferstel studiert und war mit dem Wiener Krematorium (erbaut 1921–1924), einem Symbolbau der Sozialdemokratie, bekannt geworden. Holzmeister war auch Akademieprofessor in Wien und Düsseldorf und von 1932 bis 1936 Vorsitzender der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs.108 Ab 1927 fungierte Holzmeister zusätzlich als Regierungsarchitekt der Türkei unter Kemal Atatürk; er plante unter anderem das Regierungsviertel von Ankara.109 Später sollte Holzmeister in Österreich auch politische Ämter und Leitungsfunktionen akkumulieren; er war ab 1934 Leiter des Arbeitskreises „Bildende Kunst“ in der Einheitspartei Vaterländische Front, von Juni bis Oktober 1934 Rat der Bürgerschaft der Stadt Wien und von 1934 bis 1938 Staatsrat. Der Multifunktionär Holzmeister war seit seiner Studienzeit gut vernetzt: Als Mitglied der Verbindung Norica und dank der starken politischen Stellung des Cartellverbands, der in großer Mehrzahl hinter Bundeskanzler Dollfuß stand und dessen Mitglieder in Kirche, Staat und Medien den Großteil der Funktionäre stellten,110 war Holzmeister „allen Würdenträgern des Staates“ per Du-Wort verbunden.111 Holzmeisters erfolgreiche Tätigkeit für die sozialdemokratische Gemeinde Wien scheint ihm im Austrofaschismus nicht geschadet zu haben; der Kritik am Entwurf des Gebäudes für die damals von der Kirche verbotene Feuerbestattung entzog er sich durch die Einholung eines theologischen Gutachtens.112
Abbildung 12: Architekt Clemens Holzmeister (Das interessante Blatt, 02.04.1936, 8)
Großen Einfluss hatte Holzmeister in den folgenden Jahren im Kunstbetrieb, ganz besonders im „Neuen Werkbund Österreich“, einer konservativen Abspaltung von dem seit 1913 bestehenden Österreichischen Werkbund. 1933 war Josef Hoffmann (1870–1956), damals arrivierter Architekt, Designer und Professor an der Kunstgewerbeschule, nach einem Konflikt aus dem Werkbund ausgetreten. Im Zentrum dieses Konflikts war die schwindende Bedeutung des handwerklichen Kunstgewerbes gegenüber dem Industriedesign gestanden, der auch ein Konflikt zwischen Individualismus und Kollektivismus, Kunsthandwerk und Serienproduktion, Patriotismus und internationaler Öffnung war. Hoffmann folgten die Vertreter der konservativen Fraktion, unter anderem Max Fellerer, Eduard Josef Wimmer, Michael Powolny, Carl Hagenauer und Clemens Holzmeister, die die Förderung des Kunstgewerbes als eine der „vornehmsten und eigentlichen Aufgaben des Werkbunds“ sahen.113 Bald nach den Februarkämpfen 1934 präsentierte sich der von Hoffmann, Holzmeister und Max Fellerer gegründete „Neue Werkbund Österreich“, der die Rückkehr zu Heimatkunst und Handwerk auf seine Fahnen schrieb und der nichts weniger als das „Kulturgewissen Österreichs“ sein wollte.114 Max Fellerer, ein enger Mitarbeiter Holzmeisters, wurde 1934 zum Rektor der Kunstgewerbeschule ernannt; auch die wichtigen Künstlervereinigungen, wie Secession, Künstlerhaus und Hagenbund, folgten bald willig dem politischen Mainstream. Die österreichische Architektenvereinigung installierte 1933 ein neues regimetreues Organ, die Zeitschrift „Profil“, die bis 1938 bestand, und der 1934 begründete Große Österreichische Staatspreis ging fast durchwegs an politisch genehme Künstler.115 Solche Künstler waren es auch größtenteils, die die Aufträge für österreichische Repräsentationsbauten im internationalen Kontext – Weltausstellungsbeiträge, Ausstellungseinrichtungen, Kulturinstitutsbauten – erhalten sollten.
Von den Verbänden, die rund um den Katholikentag 1933 präsent waren, muss noch die neue Einheitspartei, die Vaterländische Front, erwähnt werden. Ihre damals noch spärlichen Mitglieder bildeten zusammen mit den paramilitärischen Heimwehren und anderen Wehrverbänden die Folie für Dollfuß’ Trabrennplatzrede. Im Frühjahr 1933 von Dollfuß selbst gegründet, sollte die Partei ein Sammelbecken des Regierungslagers sein, getragen von „Vaterlandsliebe, Vaterlandsbewusstsein und Heimatstolz“ für die „Erfüllung seiner [Österreichs, d. A.] Stellung im mitteleuropäischen Raum zum Wohle des gesamten Deutschtums.“ Am 21. Mai 1933 erfolgte der offizielle Aufruf zum Beitritt; als Symbol der Vaterländischen Front wurde das Kruckenkreuz gewählt, als Symbol christlichen Deutschtums und als Gegenpol zum heidnischen Hakenkreuz.116 In der Folge diente die Vaterländische Front als Hintergrundmasse bei den ästhetisierten Spektakeln von Politik und Kirche, aber auch als Promotorin des Dollfußkults. Ihr eigentliches Denkmal, das Haus der Vaterländischen Front, von Clemens Holzmeister im Herzen der Macht am Wiener Ballhausplatz projektiert, sollte nicht mehr zur Ausführung kommen. Eine wichtige Rolle in der Organisation spielte Ernst Rüdiger Starhemberg, der gleichnamige Nachfolger eines Türkenverteidigers von 1683, Heimwehr-Führer und von 1934 bis 1936 Bundesführer der Vaterländischen Front sowie Vizekanzler.117 Auch seine Mutter, Fanny Starhemberg, trat in mehreren politischen Funktionen auf.
Personen, Institutionen, Daten und Orte des Katholikentags 1933 und die mit ihm assoziierten politischen und militärischen Veranstaltungen bilden den „roten Faden“, entlang dessen sich Erinnerungs- und Symbolkultur des Austrofaschismus und damit seine baulichen Interventionen organisieren sollten. Einige dieser Interventionen stehen in Traditionen, die lange in die Zeit vor 1933/1934 zurückreichen, so dass sich zahlreiche Spannungsfelder zwischen Kontinuitäten und Brüchen eröffnen.
DAMNATIO MEMORIAE UND „GEWOLLTE“ DENKMALE
Rasch durchführbare Maßnahmen zur Sichtbarmachung einer Ideologie im Stadtraum sind einerseits die Tilgung und Ersetzung von mit dem politischen Gegner assoziierten Namen und Bezeichnungen im öffentlichen Raum, andererseits dessen Inbesitznahme durch öffentliche Manifestationen, die das alte politische Ritual durch ein neues überschreiben, das neue Feiern, Feste, Gedenktage und Rituale etabliert. Beides geschah in rascher Folge nach dem Februar 1934 und nach der „Legitimierung“ des Regimes durch die oktroyierte Verfassung vom 1. Mai 1934.
Nach der Machtübernahme der Austrofaschisten im Februar 1934 galt es, Erinnerungsorte und Denkmäler mit sozialdemokratischer Prägung rasch umzugestalten oder abzubauen. Oberste Priorität hatte das den Konservativen verhasste Republikgründungsdenkmal an der Ringstraße (Abbildung 13). Die Porträtbüste des sozialdemokratischen Bürgermeisters Jakob Reumann auf einer Stele in der Mittelachse des Reumannhofs in Wien-Margareten wurde 1934 abgenommen, die Inschrift durch eine Fahne mit dem Christusmonogramm XP (Chi Rho), dem Emblem der Ostmärkischen Sturmscharen, ersetzt. 1934 wurde auch das Ferdinand-Hanusch-Denkmal im 3. Bezirk entfernt.118 Unberührt blieb das Stadiondenkmal, ein Monument, das zum zehnjährigen Bestehen des Wiener Stadions und der Ersten Republik aufgestellt worden war, ebenso das Denkmal Anton Hanaks für die Opfer des Justizpalastbrands und das pazifistische Kriegerdenkmal am Zentralfriedhof.
Abbildung 13: Republikgründungsdenkmal
Außerdem erfolgten Straßen- und Gebäudeumbenennungen, allerdings nicht sehr konsequent. Zahlreiche Wohnbauten des Roten Wien, kurz zuvor als Schauplätze des Widerstands im Februar 1934 von der Exekutive beschossen, waren nach marxistischen Theoretikern, Führern und Funktionären benannt. Dementsprechend wurde der Karl-Marx-Hof zunächst nach einem an seiner Eroberung im Februar 1934 beteiligten Heimwehrmitglied inoffiziell in „Biedermannhof“ umbenannt, bevor er zum unverfänglicheren „Heiligenstädter Hof“ wurde. Der Matteottihof, benannt nach dem von Faschisten ermordeten italienische Sozialisten Giacomo Matteotti, wurde zum „Giordanihof“, benannt nach einem von den Kommunisten ermordeten Faschisten.119 Aus dem an sich neutralen Azaleenhof, im Volksmund „Indianerhof“, wurde – nach dem gleichnamigen Heimwehrführer – der „Emil-Fey-Hof“. Neutrale Benennungen wie „Goethehof“ wurden teilweise beibehalten,120 bei Höfen, die nach lokalen sozialdemokratischen Funktionären benannt waren, wurden die Tafeln abmontiert. Jedenfalls scheint es, als hätte man alle Persönlichkeiten, die mit dem gesellschaftlichen Fortschritt zu tun gehabt hatten, aus dem Stadtbild getilgt.121 Unverständlich ist jedoch, wie der nach dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Jakob Reumann benannte Hof die ganze austrofaschistische Periode hindurch seinen Namen behalten konnte, ebenso der Schuhmeierhof in Ottakring, benannt nach einem 1913 ermordeten Gegenspieler Luegers, Volksredners und SP-Politikers, dessen Denkmal allerdings 1934 entfernt wurde.122 Außerdem erfolgte die Tilgung der Namen von George-Washington-Hof, Herwegh- und Heinehof, Kronawetter- unf Jodlhof sowie Robert-Blum-Hof.123 Die wenigen kommunalen Wohnbauten, die die Austrofaschisten selbst in den folgenden Jahren in Wien errichten sollten, erhielten die Namen von Heiligen: St. Engelbert nach dem Kanzler, St. Richard nach Bürgermeister Richard Schmitz, St. Elisabeth, St. Josef und St. Anna nach den Schutzpatronen der Familie usw.124 Die historische Benennung der Familienasyle, die im Eigentum der Gemeinde Wien blieben, wurden zu einem unbekannten Zeitpunkt – wohl schon zwischen 1938 und 1945 – bis auf eine einzige Tafel in der Hauseinfahrt von St. Elisabeth entfernt.
Die Straßenumbenennungen hielten sich in Grenzen: Der republikanisch benannte „Freiheitsplatz“ mit Bezug auf die Republikgründung, mit der Votivkirche auch ein wichtiger habsburgischer Erinnerungsort, wurde zum „Dollfußplatz“, bis er 1938 in „Hermann-Göring-Platz“ umbenannt wurde. 1945 hieß er wieder „Freiheitsplatz“, um 1956 in „Rooseveltplatz“ umbenannt zu werden.125 Ein Teilstück der Wollzeile wurde zur Weiskirchnerstraße, benannt nach dem christlichsozialen Bürgermeister von 1912 bis 1919,126 und Teilstücke des Rings wurden nach Bürgermeister Lueger und nach dem christlichsozialen Bundeskanzler und Priester Ignaz Seipel umbenannt.127
Einer der wichtigen sozialdemokratischen Erinnerungsorte war der Wiener Prater. Die Maiaufmärsche der SDAP hatten zwischen 1890 und 1918 auf der Prater Hauptallee stattgefunden.128 Das Stadion, ein sozialdemokratisches Monument, wurde auch nach dem Katholikentag 1933 immer wieder vom Regime mit Massenveranstaltungen bespielt, unter anderem zum Ersten Mai. Dieser traditionelle Festtag der Sozialdemokratie wurde mit der Verkündung der austrofaschistischen Verfassung am 1. Mai 1934 erstmals als Gründungstag des neuen Staats „überschrieben“ und mit Weihe und Festspielen im Stadion gefeiert. Dabei fanden „Huldigungszüge“ der mittelalterlich kostümierten Stände statt, deren Zeichen Clemens Holzmeister entworfen hatte (Abbildung 14).129
Abbildung 14: Clemens Holzmeister, Zeichen der Berufsstände (Profil 1935, 418)
Für den Festzug am 1. Mai 1934 beschäftigte Holzmeister unter anderem Gudrun Baudisch, Lotte Hahn, Oswald Haerdtl, Otto Hurm, Eduard Wimmer, Franz Zülow und Josef Wenzel, Künstler aus dem Umfeld des Neuen Werkbunds, mit denen er häufig zusammenarbeitete.130 Solche Inszenierungen mögen Holzmeister besonders gelegen gewesen sein; in seiner Autobiografie beschreibt er seine Theaterleidenschaft,131 die sich unter anderem in seiner Tätigkeit für das Festspielhaus und die Fauststadt in Salzburg niederschlug.
Auf Anordnung des Stadtschulrats wurden immer wieder zahlreiche Kinder zu „Kinderhuldigungen“ abkommandiert. Auch diese hatten ein Vorbild in der Propaganda- und Festkultur der Ära von Bürgermeister Lueger: Am 24. Juni 1898 hatte zum 50. Regierungsjubiläum des Kaisers auf der Ringstraße ein Kinderfestzug mit 70.000 mittelalterlich kostümierten Kindern stattgefunden, der bildlichen Niederschlag in einem Wandgemälde im Rathauskeller fand.132 Diese Rückwärtsorientierung der austrofaschistischen Festkultur hatte eine Parallele in der sich erst konstituierenden Festpraxis des frühen Nationalsozialismus: Auch der Münchner Festzug zur Grundsteinlegung des Hauses der Deutschen Kunst 1933, der nur kurz nach dem Katholikentag Mitte Oktober 1933 stattfand, orientierte sich an den Festzügen des 19. Jahrhunderts und thematisierte unter dem Motto „Glanzzeiten deutscher Geschichte“ zahlreiche historische Bezüge zum Mittelalter.133
Bei den jährlich wiederholten Festen im Stadion wurden eigens verfasste „Weihespiele“ aufgeführt, die unter anderem vom linientreuen Rudolf Henz, dem Chef des österreichischen Rundfunks und Clemens Holzmeisters Vorgesetzter im Kulturreferat der Vaterländischen Front, verfasst wurden. Bei diesen Spielen wurden im Sinn des von den Austrofaschisten stark geförderten Laienspiels Sprechchöre unter Beteiligung des Publikums einbezogen, die im Sinn des zeitgenössischen Theaters das Dargestellte, den imaginierten austrofaschistischen Idealstaat, unter der Regie der Machthaber durch aktive Beteiligung der Betroffenen zu deren aktueller Lebenswelt machten und durch historische Bezüge zu legitimieren versuchten.134 Hier manifestierte sich der Einfluss der katholischen Reformliturgie, die die Gläubigen durch gemeinsames Sprechen, Singen und Bewegen (Stehen, Knien, Sitzen) aktiv an der an der Messe beteiligte. Zugleich waren die in diesen Weihespielen durch einen Regisseur vorgeschriebenen Aktivitäten der Masse eine sinnbildliche Darstellung des autoritären Prinzips.
Auch sonst mangelte es nicht an Gelegenheiten für Inszenierungen. Der 27. Mai wurde zum „Tag der Jugend“ proklamiert und 1934 unter der Regie von Holzmeister und unter Mitarbeit von Ceno Kosak, Eduard Wimmer, Albert Paris Gütersloh, Oswald Haerdtl und weiteren Mitgliedern des Neuen Werkbund Österreich gestaltet.135 Überhaupt entstand vor allem nach Ermordung von Kanzler Dollfuß ein dichtes Geflecht an bezugsreichen Jubiläums-, Erinnerungs-, Weihe- und Namenstagsterminen: Geburtstag und Sterbetag Dollfuß’, Befreiung Wiens von den Türken und von der Sozialdemokratie, Vollendung des Stephansdoms, Tag der Verfassung, Namenstage von Kanzler, Bürgermeister etc.
Das Wiener Rathaus, erbaut als Monument der bürgerlich-liberalen Ära, Sitz der sozialdemokratischen Stadtverwaltung und bereits 1934 durch die Aufbahrung des ermordeten Bundeskanzlers Dollfuß symbolisch „umgedreht“,136 wurde nun durch den „Ball der Stadt Wien“ besetzt, dessen Ausstattung 1935 Holzmeister besorgte: „Rot-weiße Fahnen in gedämpften Tönen, 68 goldene Schabraken [sic!] mit den Ständezeichen und ein riesiger Wandbehang hinter der Ehrentribüne, der den goldenen Adler der Stadt Wien auf grauem Grunde zeigt, schmücken den Saal.“137 Das Ambiente war festlich, aber wie die meisten Inszenierungen des Ständestaats von würdig-getragener Grundstimmung.
Ein weites Feld boten die zahlreichen kirchlichen Feiertage. Fronleichnam, schon von den Habsburgern als gemeinsame Demonstration von Kirche und Staat im öffentlichen Raum inszeniert,138 wurde von den neuen Machthabern wieder aufgewertet. Schon 1934 witterte die Zeitschrift „Profil“ hier ein weites Betätigungsfeld für die Künstler, denn es hätte bis dahin ein „künstlerischer Gesamtplan (Spitze des Zuges, vorbereitender Teil mit konsequenter Steigerung der Bedeutung und kräftigen formalen Cäsuren zwischen den einzelnen Abteilungen, etwa Fahnen- oder Figurengruppen, Höhepunkt und formvollendeter Schluss)“ gefehlt, und „nur vollendete künstlerische Gestaltung“ sei einer „Feier der heiligen Eucharistie gemäß“.139 Keine Gelegenheit zum Zelebrieren kirchlicher Feste wurde ausgelassen. Religion wurde keineswegs heiter und positiv betrieben; Feiern und Ambiente waren würdig, ernsthaft und sorgfältig inszeniert. „Ein katholischer Kulturmief, gespreizt und gravitätisch, moralisierend und pathetisch, machte sich überall breit“, schrieb Ernst Hanisch zum Klima, das in den 1930er Jahren in Österreich vorherrschte.140 Dadurch unterschied sich die austrofaschistische Festkultur deutlich von der zukunftsoptimistischen der vorhergegangenen sozialdemokratischen Manifestationen, aber auch von jener des Nationalsozialismus, die, wie S. Behrenbeck schrieb, eine „Erzeugung […] zuversichtlich gestimmter Gefühle oder zielgerichteter Aggressionen“ und die Vermeidung „introvertierter Besinnlichkeit oder trauriger Niedergeschlagenheit“ anstrebte.141