Kitabı oku: «Furchtbare Juristen», sayfa 5

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3. Justiz im Ausnahmezustand

Die sofort nach dem Reichstagsbrand erlassene Verordnung zum Schutz von Volk und Staat war die Proklamation des Ausnahmezustands und damit gleichzeitig wesentliche Grundlage der nationalsozialistischen Herrschaft sowie das Ende des Verfassungsstaates. Carl Schmitt, der Theoretiker des Ausnahmezustands, hatte zu diesem bereits 1922 »die prinzipiell unbegrenzte Befugnis, d. h. die Suspendierung der gesamten bestehenden Ordnung« gezählt: »Ist dieser Zustand eingetreten, so ist klar, dass der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt ... Die Entscheidung macht sich frei von jeder normativen Gebundenheit und wird im eigentlichen Sinne absolut. Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht kraft eines Selbsterhaltungsrechtes.«136 Derlei Gedanken sind also keineswegs erst im Dritten Reich entwickelt worden. Die konservative Staatstheorie war seit jeher fasziniert vom autoritären Staat und »der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm und ... die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«.137

Der Reichstagsbrand hatte einen Vorwand zur Verhängung des Ausnahmezustands geliefert, die Notsituation wurde fingiert, denn unabhängig davon, wer den Brand gelegt hatte, ob die Nazis selbst, van der Lubbe allein oder gar die Kommunisten, ein Notstand war mit dem Brand keineswegs eingetreten. Er musste vielmehr beschworen werden, um die Reichstagsbrandnotverordnung erlassen zu können mit dem angeblichen Zweck, einen kommunistischen Aufstand, für den der Brand nach der NS-Version das Fanal hätte sein sollen, niederzuschlagen. Dementsprechend lautete die Präambel der Verordnung: »Aufgrund des Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet ...« Verordnet wurde die Rechtlosigkeit des Individuums im Dritten Reich. Die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Briefgeheimnis, die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht, sich zu Vereinen zusammenzuschließen und sogar das Eigentumsrecht wurden »bis auf weiteres außer Kraft« gesetzt. »Bis auf weiteres« dauerte übrigens bis zum 8. Mai 1945, die Verordnung wurde erst von der Alliierten Militärregierung aufgehoben.

Die Zweckbindung hatte der Verordnung den Schein der Verfassungsmäßigkeit geben sollen; nach dem Wortlaut der Reichsverfassung waren Notverordnungen nämlich nur zur Bewältigung bestimmter eng eingegrenzter Notsituationen zulässig, und »zur Ausschaltung der politischen Opposition« hätte man (zumindest im Februar 1933 noch) nicht in die Präambel schreiben können. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden verstanden den wahren Zweck der Reichstagsbrandverordnung jedoch richtig. Sie nahmen es mit der Präambel nicht so genau und wandten die Verordnung sehr bald nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen alles an, was im weitesten Sinne als oppositionell galt oder die neuen Machthaber störte. Das Kammergericht in Berlin verbot den nachgeordneten Gerichten sogar die Prüfung, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen der Verordnung tatsächlich vorlagen. Es stellte fest, diese habe sämtliche »reichs- und landesrechtlichen Schranken für polizeiliche Maßnahmen beseitigt«, alle Polizeihandlungen dienten generell der Abwehr der kommunistischen Gefahr, »wobei übrigens die Frage ihrer Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer Nachprüfung durch das Gericht nicht unterliegt«.138 Und das Landgericht Berlin entwickelte – bereits 1933 – die griffige Formel, dass »alle gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerichteten Angriffe als kommunistisch im weitesten Sinne aufzufassen« seien.139

Um die Reichstagsbrandverordnung gegen alle echten oder vermeintlichen Nazi-Gegner anwenden zu können, konstruierten die Gerichte immer neue Varianten der »kommunistischen Gefahr«. Im Münsterland zum Beispiel hatte der Regierungspräsident, gestützt auf diese Verordnung, jede kirchliche Jugendgruppenarbeit verboten. Nachdem einige Mitglieder eines katholischen Jugendvereins dennoch Gruppenfahrten unternommen und gemeinsam Sport getrieben hatten, waren sie nach § 4 der Verordnung (»Zuwiderhandlung gegen Anordnungen der Behörden«) angeklagt worden. Das Landgericht Hagen hatte sie zunächst freigesprochen.140 Das Kammergericht hob den Freispruch jedoch auf, denn »diese Art der Betonung einer (konfessionellen) Spaltung trägt von vornherein den Keim einer Zersetzung des deutschen Volkes in sich, und jede derartige Zersetzung ist geeignet, den kommunistischen Bestrebungen ihrerseits Vorschub zu leisten und ihre Ziele zu unterstützen«. Dass die Katholiken immun gegen den gottesleugnenden Kommunismus seien und ihn sogar bekämpften, ließ das Kammergericht nicht gelten, denn »die so zur Schau getragene eigene Meinung kann nur zu leicht ein Ansporn für die dem Kommunismus anhängenden oder ihm nahestehenden, vielleicht gegenwärtig politisch noch schwankenden Personen sein, die alsdann darauf die Meinung gründen und weiterverbreiten, dass der nationalsozialistische Staat doch nicht das Volk hinter sich habe.«141

Mit dieser Konstruktion der »mittelbaren kommunistischen Gefahr« deckte die Justiz das Vorgehen der Behörden unter anderem gegen die Bekennende Kirche (Kammergericht am 3.5.1935),142 gegen Impfgegner (Reichsgericht, 6.8.1936),143 die Innere Mission (Württembergischer Verwaltungsgerichtshof, 9.9.1936)144 und gegen protestantische Krankenpflegevereine (Badischer Verwaltungsgerichtshof, 9.1.1938).145 Da jedoch die »kommunistische Gefahr im weitesten Sinne«, auf ausgesprochene Antikommunisten angewandt, der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln war und zudem mit jeder Verhaftungswelle diese angebliche Gefahr natürlich geringer wurde, verzichteten die Gerichte bald ganz auf die Präambel. Der Württembergische Verwaltungsgerichtshof entschied in dem oben erwähnten Urteil vom September 1936, die Verordnung diene »nicht bloß dem Schutz gegen kommunistische Bedrohung des Staates, sondern gegen jede Gefährdung seines Bestandes und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, von welcher Stelle sie kommen möge«. Den Bestand des Staates sahen die schwäbischen Verwaltungsrichter schon durch die Satzung eines privaten Kinderpflegeheimes gefährdet, in der festgelegt war, dass das Vereinsvermögen bei einer Auflösung des Vereins der Inneren Mission zufallen solle. Der zuständige Landrat hatte dem Verein unter Hinweis auf § 1 der Reichstagsbrandverordnung auferlegt, die Satzung so zu ändern, dass das Vermögen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) zufiele. Der Verein zog daraufhin mit dem Einwand, seine Satzung könne doch unmöglich den Staat gefährden, vor das Verwaltungsgericht. Er musste sich jedoch eines Besseren belehren lassen, die Klage wurde abgewiesen mit der Begründung: »Zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gehört im heutigen Staat auch die Wahrung der allgemeinen Belange der völkischen Gemeinschaftsordnung«, Grenzen für behördliche Eingriffe in private Rechte könne es nicht mehr geben.146

Mit solchen Konstruktionen legitimierte die Justiz Vereins­auflösungen, Veranstaltungsverbote, Vermögensbeschlagnah­mungen, Verhaftungen und gerichtliche Bestrafungen und führte sich so selbst ad absurdum. Mit der Verweigerung des Rechtsschutzes gegen behördliche Anordnungen überließ sie das Feld der Polizei, der sie zugleich auch das Recht einräumte, allein zu definieren, was legal sei. Dabei wurde eine abweichende Meinung selbst zu den nebensächlichsten Dingen zur »Staatsfeindschaft« aufgeblasen. Der Leipziger Taxenunterneh­mer Franz S. beispielsweise, Vorstandsmitglied der Drosch­kenbesitzer-Genossenschaft, hatte zur Organisation seines Ge­werbes eine andere Auffassung vertreten als das Verkehrs­minis­terium. Auf Verlangen der Polizeibehörde war er darauf­hin kurzerhand aus dem Vereinsregister gestrichen worden. Er erhob Klage gegen diesen Verwaltungsakt und führte aus, er sei doch schließlich kein Staatsfeind, nur weil er über Droschkenorganisation anders dächte. Er wurde jedoch in dritter Instanz vom Oberlandesgericht München147 über seine Rechtlosigkeit belehrt: »Die in der Verordnung aufgeführten verfassungsrechtlichen ... Bestimmungen sind zugunsten der Polizeibehörden schlechthin gegenüber jedermann ihrer bisherigen Bedeutung entkleidet worden ... Insoweit ist daher der bisherige Rechtsschutz ... gegenüber den Polizeibehörden beseitigt.«148

Dass politische Angelegenheiten der Nachprüfung durch die Gerichte entzogen seien, darüber bestand zwischen Polizei und Justiz, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung Einigkeit. Die Gerichte halfen überdies noch tatkräftig, den Bereich des Politischen auf alles und jedes auszuweiten. Das Oberlandesgericht Kiel erhob zum Beispiel den Sachverhalt, dass eine Zeitung in einigen kritischen Artikeln angeblich die Ärzteschaft herabgesetzt und deren Ansehen geschädigt hatte, zur politischen Angelegenheit, da »durch die Zeitung den gesundheitspolitischen Tendenzen und Zielen der Staatsleitung entgegengewirkt« wer­de.149 Das Oberlandesgericht Stettin erklärte sich für den Auto­unfall eines SA-Mannes als nicht zuständig, weil »jede dienst­liche Betätigung eines SA- oder NSKK (Nationalsozialisti­sches Kraftfahrerkorps)-Mannes im Rahmen der NSDAP statt­findet und somit als politische Betätigung im allgemeinen weiten Sinne zu bewerten« sei.150 In dem erwähnten Droschkenfall hatte das Oberlandesgericht München schon hinlänglich erläutert, was nun alles politisch war: »In dem Kampf um die Selbstbehauptung, den das deutsche Volk heute zu führen hat, gibt es auch nicht mehr wie früher einen unpolitischen Lebensbereich.«

Die »schöpferische« Auslegung der Reichstagsbrandverordnung und ihre universelle Anwendung durch die Gerichte ging selbst einigen führenden Nationalsozialisten zu weit. Ausgerechnet der Justitiar der Gestapo, Dr. Werner Best, sah sich 1938 veranlasst, die bei der Interpretation der Verordnung gängige Praxis zu rügen: Wenn die Gerichte nicht anders weiterkämen, versuchten sie »sich durch eine gewaltsam erweiterte Auslegung des Begriffs der Gefahrenabwehr zu helfen, die manchmal geradezu zu innerer Unwahrheit der Begründungen« führe.151

4. Hochverrat und Heimtücke
Die Opposition vor Gericht

Meist unter Berufung auf die Reichstagsbrandverordnung, oft aber auch gänzlich ohne Rechtsgrundlage nahmen in den ersten Monaten nationalsozialistischer Herrschaft SA, SS sowie örtli­che Partei und Polizeidienststellen weitgehend nach Belieben missliebige Arbeiter (»Kommunisten«), Intellektuelle und »Sys­­tempolitiker« fest, sperrten sie ein, folterten sie und beglichen alte Rechnungen. Der damalige Leiter der politischen Abteilung der Polizei (ab 1934: »Geheime Staatspolizei«), Rudolf Diels, beschrieb nach dem Kriege als »Entnazifizierter« das Treiben in Berlin: »Jeder SA-Mann war in jenen Märztagen ›dem Feind auf den Fersen‹, jeder wusste, was er zu tun hatte. Die (SA-)Stürme säuberten die Bezirke ... Nicht nur die Kommunisten, sondern jeder, der sich einmal gegen die Bewegung Hitlers ausgesprochen hatte, war gefährdet ... In diesen Märztagen entstanden die Konzentrationslager um Berlin. Es kamen Nachrichten über Lager bei Oranienburg, Königs-Wuster­hau­sen und Bornil ... In den einzelnen Stadtteilen entstanden ›Privatgefängnisse‹. Die Bunker in der Hedemann- und Voßstraße wurden zu infernalischen Stätten der Menschenquälerei«. Ähn­lich wie in der Reichshauptstadt ging es nach Diels’ Bericht überall zu: »Der Aufstand der Berliner SA elektrisierte die entferntesten Landesteile. In vielen Großstädten, in denen die polizeiliche Macht den örtlichen SA-Führern übertragen worden war, herrschte das revolutionäre Treiben.«152

Nach einigen Wochen ungezügelter Willkürherrschaft war die Staatsführung bemüht, den Terror zu kanalisieren und das staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen. Nachdem der preußische Justizminister am 25. Juli 1933 »aus Anlass der Beendigung der nationalsozialistischen Revolution« eine Amnes­tie für alle Straftaten verkündet hatte, die bei diesen Exzessen von SA- und SS-Angehörigen begangen worden waren, sollten auch die »wilden« Konzentrationslager entweder in staatliche Regie überführt oder geschlossen werden. In den Moorlagern Papenburg/Esterwegen wurden die SS-Wachmannschaften von Truppen der Berliner Polizei abgelöst. Im Januar 1934 wies das Geheime Staatspolizeiamt in einem Runderlass an alle Gestapo-Dienststellen darauf hin, dass auch die Schutzhaft an bestimmte Formalien, zum Beispiel den schriftlichen Schutzhaftbefehl, gebunden sei: »Konnte in der ersten Zeit der Machtübernahme darüber hinweggesehen werden, weil die Sicherung des Staates gegen Anschläge und Umtriebe seiner Feinde damals schnelle, durch formale Vorschriften nicht behinderte Maßnahmen erforderte, so müssen heute die ergangenen Bestimmungen genau beachtet werden.« Unmissverständlich drohte Gestapo-Chef Diels in dem Erlass: »Zuwiderhandelnde setzen sich der Gefahr aus, wegen Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung zur Verantwortung gezogen zu werden.«153

Die Konkurrenz bei der Verfolgung und Unterdrückung des »inneren Feindes«, der politischen Opposition, war groß im Dritten Reich. Nicht nur konkurrierten die staatlichen Instanzen mit den Banden der SA und SS sowie – zunächst noch – des deutschnationalen Frontkämpferbundes Stahlhelm, sondern auch innerhalb des staatlichen Machtapparates die Justiz mit der Polizei. Daher galt es auch nicht nur zwischen staatlichem und privatem Terror einen Grenzstrich zu ziehen, sondern ebenso innerhalb des staatlichen, zwischen Polizei und Justiz. In einem Erlass an alle Landesregierungen betonte der Reichs­innenminister den Charakter der Schutzhaft als rein polizeiliches Mittel gegen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; sie dürfe auf keinen Fall »als ›Strafe‹, d. h. als Ersatz für eine gerichtliche ... Strafe, zudem mit von vornherein begrenzter Dauer verhängt werden«, und es sei »grundsätzlich nicht angängig, dass anstelle der Einleitung eines Strafverfahrens Schutzhaft angeordnet« werde.154

Innerhalb der Justiz wiederum waren nicht weniger als drei Gerichtsbarkeiten für die Verfolgung der politischen Opposition zuständig: das Reichsgericht (am 24. April 1934 als erstinstanzliches Gericht vom Volksgerichtshof abgelöst), die Oberlandesgerichte und die Sondergerichte. In die Zuständigkeit der am 21. März 1933 errichteten Sondergerichte155 fielen die in der Reichstagsbrandverordnung genannten Straftaten: Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Reichsregierung, Aufforderung zu gemeingefährlichen Zuwiderhandlungen, Hochverrat, Brandstiftung, Sabotage, schwerer Aufruhr, schwerer Land­­friedensbruch; außerdem die in der Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung156 aufgeführten Delikte: Missbrauch von NS-Uni­formen und -Abzeichen, Aufstellen unwahrer oder gröblich entstellender Behauptungen, die das Ansehen der Regierung oder der NSDAP schädigten. Allerdings waren die Sondergerichte für all diese Delikte nur zuständig, soweit keine Zuständigkeit des Reichsgerichts oder eines Oberlandesgerichts gegeben war.

Das Reichsgericht hatte bis zur Errichtung des Volksgerichtshofes in Hoch- und Landesverratsverfahren als Gericht erster und einziger Instanz zu entscheiden. Wenn der Oberreichsanwalt als oberster Ankläger einer Sache keine besondere Bedeutung zumaß, konnte er sie aber auch an den örtlich zuständigen Generalstaatsanwalt abgeben, der dann vor einem Strafsenat des Oberlandesgerichts anklagte. Letztlich lag es also im Ermessen des Oberreichsanwalts, ob das Reichsgericht oder ein Oberlandesgericht zuständig war.

Damit die Justiz auch die richtigen Täter verfolgte, hatte alsbald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen zwar einerseits die Strafen für politische Delikte verschärft, andererseits aber eine großzügige Amnestie gebracht für »Straftaten, die im Kampfe für die nationale Erhebung des deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle« begangen worden waren.157 Darüber hinaus forderte der Landgerichtspräsident Dietrich auch noch, die Gerichte sollten den »nationalen Zweck« generell als Schuldausschließungsgrund anerkennen. Er bezog sich dabei auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur »Staatsnotwehr«, die ja solche Gedanken nahelegte. Natürlich sollten die Richter gerechte Urteile fällen, »aber die Objektivität findet nach deutschem Rechtsbewusstsein ihre Grenze da, wo die Sicherheit der Nation in Frage gestellt« werde, denn der Richter sei »ein Sohn seiner Nation« und habe »als solcher die Lebensinteressen der Nation rücksichtslos über das formale Recht zu stellen«. Leidenschaftlich appellierte der hohe Richter an seine Kollegen: »Die restlose Ausrottung des inneren Feindes gehört unzweifelhaft zur Wiederherstellung der deutschen Ehre. An ihr kann der deutsche Richter durch großzügige Auslegung des Strafgesetzbuches teilnehmen.«158

In den Jahren 1933 bis 1935 wurde die Aburteilung kommunistischen und sozialistischen Widerstands soweit wie möglich den jeweils mit fünf Berufsrichtern besetzten Oberlandesgerichten zugewiesen, da deren justizförmiges Verfahren der Verurteilung eine höhere Legitimität verlieh als die abgekürzten Sondergerichtsverfahren. Die Tätigkeit der politischen Opposition konnte auf diese Weise eher als »ganz gewöhnliche Kriminalität« hingestellt werden. Die Machthaber gingen mit der Zuweisung der Verfahren gegen die Linksopposition an die ordentliche Gerichtsbarkeit auch kein Risiko ein: Die Justiz der »Systemzeit« hatte bei der Verfolgung von Kommunisten, Pazifisten und Republikanern ihre »Staatstreue« zur Genüge unter Beweis gestellt. So konnten die Gerichte 1933 in politischen Strafsachen mühelos an ihre Rechtsprechung aus der Weimarer Republik anknüpfen. Wörtlich übernahm zum Beispiel das Reichsgericht aus seiner vormaligen Rechtsprechung die Floskel, es sei gerichtsnotorisch, dass »die Kommunistische Partei Deutschlands ... mit allen Mitteln bestrebt [ist], die bestehende Verfassung des Reichs und der Länder zu beseitigen und an ihrer Stelle auf dem Wege über die Diktatur des Proletariats eine Räteregierung nach russischem Muster zu errichten«.159 Bruchlos verurteilten die Gerichte nach dem 30. Januar 1933 weiterhin zahlreiche Kommunisten wegen des Versuchs, »die bestehende Verfassung des Reichs« zu beseitigen, selbst nachdem die Nazis am 28. Februar mit der Reichstagsbrandverordnung und am 24. März mit dem Ermächtigungsgesetz die Verfassung faktisch außer Kraft gesetzt hatten. Die Mehrzahl der vom Reichsgericht in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und der Errichtung des Volksgerichtshofes als »Vorbereitung zum Hochverrat« abgeurteilten Taten waren noch vor der Machtergreifung begangen worden; fast zwei Drittel der in dieser Zeit gefällten 91 Hochverratsurteile betrafen »Altfälle«,160 das heißt Vorgänge aus den Weimarer Jahren, und das Reichsgericht »schützte« mit diesen Verurteilungen weiterhin eine demokratische Staatsordnung, welche die herrschenden Nationalsozialisten längst beseitigt hatten.

Nach dem Verbot der Kommunistischen Partei änderte sich die Rechtsprechung nur insoweit, als nunmehr jede Tätigkeit, die auch nur entfernt der KPD hätte nützen können – selbst der Verkauf von Beitragsmarken oder das Verteilen von Zeitungen –, als »Vorbereitung zum Hochverrat« gewertet wurde. Am 14. März 1934 verurteilte so der 4. Strafsenat des Reichsgerichts beispielsweise einen Arbeiter, der im Juni 1933 Kurierpost zur nächsten Bezirksleitung der KPD befördert hatte, wegen »Verbrechens der Vorbereitung eines hochverräterischen Unterneh­mens«, und zwar wiederum mit der Begründung, dass »das Ziel der im Verborgenen arbeitenden Parteiorgane die Herbeiführung einer Sowjetrepublik nach russischem Muster auch in Deutschland« geblieben sei.161

Nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei am 22. Juni 1933 weitete die Justiz diese Rechtsprechung auch auf deren Mitglieder sowie auf die der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) aus, einer Gruppe, die sich 1931 von der Sozialdemokratie abgespalten hatte. Der SPD hatte es nichts genützt, dass sie am 30. März aus der Sozialistischen Arbeiter-Internationale ausgetreten war und am 17. Mai sogar dem außenpolitischen Programm der Reichsregierung zugestimmt hatte.162 Ihre Organisationen wurden zerschlagen, ihre Mitglieder verfolgt, verhaftet und ins Exil getrieben. Seit dem Verbot hielt es das Reichsgericht, ohne jemals darüber Beweis erhoben zu haben, für »offenkundig«, dass die SPD hochverräterische Ziele verfolge. Anlässlich der Verurteilung dreier Sozialdemokraten, die Verbindung zum Exilvorstand ihrer Partei in Prag aufgenommen und in Deutschland Flugschriften verteilt hatten, führte es aus: »Dass dieses Treiben der ins Ausland geflüchteten Sozialdemokraten das hochverräterische Unternehmen, die von der neuen, vom Vertrauen des ganzen Volkes gestützten Regierung gewährleistete Verfassung des Reiches [gemeint ist tatsächlich die Weimarer Verfassung!] gewaltsam zu ändern, vorbereiten sollte, ist für jeden erkennbar, der mit den Dingen in Berührung kommt.«163

Auch sämtliche Aktivitäten der SAP waren für das Reichsgericht »offenkundig hochverräterisch«, ohne dass es dazu einer Beweiserhebung bedurft hätte: Hinsichtlich der Ziele dieser Partei übernahm das Gericht einfach seine ursprünglich für die KPD entwickelte Routineformel. Anlässlich der Verurteilung dreier SAP-Mitglieder, die angeklagt waren, »sich im Rahmen der Bestrebungen der SAP durch Abfassung oder Herausgabe von Schriften und auch durch ihre Betätigung als Funktionäre der Parteiorganisation des Verbrechens der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens schuldig gemacht zu haben«, stellte das Gericht fest: »Ihre (der SAP) Ziele erstrecken sich geradeso wie die der KPD auf die gewaltsame Herbeiführung der Revolution, des Umsturzes, der Diktatur des Proletariats und der Schaffung einer Arbeiter- und Bauernrepublik nach russischem Muster.«164

Entsprechend der Auffassung führender NS-Juristen, dass es für politische Überzeugungstäter im Dritten Reich keine Privilegien geben könne, dass, im Gegenteil, der Oppositionelle der »gemeinste Verbrecher« sei, verschärften die Gerichte die Strafen drastisch. Zwar galt für Taten aus der Zeit vor dem 30. Januar 1933 nach wie vor der alte § 86 des Strafgesetzbuches, der für Hochverrat lediglich Festungshaft oder Gefängnis und nur, wenn der Täter aus »niedriger Gesinnung« gehandelt hatte, Zuchthaus vorsah. Doch schon zu Zeiten der Republik war die »Vorbereitung des Hochverrats« regelmäßig nur bei »nationalen« Tätern mit der milderen und nicht entehrenden Festungshaft bestraft worden, Kommunisten waren auch damals nur selten in den Genuss der »Ehrenstrafe« gekommen.165 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung gab es dann nur noch Gefängnis- und Zuchthausstrafen; nicht eine einzige Verurteilung Linksoppositioneller zu Festungshaft ist überliefert. Unter dem Einfluss neuer Gesetze, die für Widerstandshandlungen gegen die »nationale Regierung« sogar die Todesstrafe vorsahen, nahmen die Gerichte stets an, die angeklagten Kommunis­ten und Sozialdemokraten hätten aus »niedriger Gesinnung« gehandelt, und verurteilten sie ausnahmslos zu Gefängnis oder Zuchthaus.

Solcherlei Rechtsprechung wurde dadurch gefördert, dass die Gefährlichkeit des kommunistischen Widerstands von der Staatsführung, allein schon um die Unterdrückung der politischen Opposition zu rechtfertigen, ins Unermessliche aufgebauscht wurde. Im Juni 1933 wandte sich zum Beispiel der Polizeipräsident von Bremen in einem geheimen Schreiben an den »Pg. Dr. Freisler«, um gegen den angeblich »allgemein im Reiche« beängstigend zunehmenden kommunistischen Widerstand »reichsrechtliche Bestimmungen von rücksichtsloser Schärfe, Einrichtung von Standgerichten und Verhängung der Todesstrafe gegen illegale kommunistische Tätigkeit« zu fordern. Freisler, damals Staatssekretär im preußischen Justizministerium, antwortete, dass auch er »die Tätigkeit der KPD ... aufgrund der hier eingehenden Berichte der Staatsanwaltschaften mit besonderer Aufmerksamkeit« verfolge.166 Nach einer Besprechung der Generalstaatsanwälte am 22. Juli 1933 trieben die hohen Ankläger dann ihre nachgeordneten Behörden zu schärferem Durchgreifen an. Der Generalstaatsanwalt von Breslau forderte die Justiz zu »schärfstem, schlagartigen, blitzartigen Zupacken gegenüber allen Feinden des nationalsozialistischen Staates« auf, und der höchste Ankläger in Naumburg/Saale wies seine Oberstaatsanwälte am 8. August an, ständig mit den interessierten Stellen der NSDAP zusammenzuarbeiten.167

Die Hysterie war unberechtigt, in keinem Moment hatte eine der Arbeiterparteien den neuen Machthabern gefährlich werden können. Sie waren auf den subversiven Kampf nicht vorbereitet, und Terrorakte lehnte die traditionell gemäßigte deutsche Arbeiterschaft ab. Die immer wieder in offiziellen Stellungnahmen und Gerichtsurteilen bcschworenen »ungeheuren Verbrechen« waren meist kleine humanitäre Akte zugunsten der am schlimmsten Gepeinigten oder Aufklärung über die nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Nachdem man die KPD noch vor den Märzwahlen 1933 – vor der SPD und allen anderen politischen Parteien (die bürgerlichen wurden mit dem sogenannten Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933168 ausgeschaltet) – weitgehend zerschlagen, ihre Büros geschlossen, fast alle maßgeblichen Funktionäre verhaftet und kommunistische Zeitungen verboten hatte, versuchten überall im Reich einzelne Kommunisten, den regionalen, zumindest aber den lokalen Zusammenhalt der Parteimitglieder aufrechtzuerhalten. In der Illegalität gedruckte Zeitungen wanderten von Hand zu Hand, gelegentlich wurden Flugblätter ver­teilt und Geldsammlungen zur Unterstützung politischer Gefangener veranstaltet. Das alles konnte natürlich nur in größter Heimlichkeit geschehen. Nur selten erlaubte die starke Kontrolle, unter der die Kommunisten standen, Aktionen, die eine Außenwirkung hätten haben können, wie etwa das Beschriften von Wänden mit politischen Parolen oder das demonstrative Aufziehen einer roten Fahne an einem Fabrikschornstein.

Dennoch hatte die Justiz mit den Verfahren gegen oppositionelle Kommunisten und Sozialdemokraten im ersten Jahr nationalsozialistischer Herrschaft alle Hände voll zu tun. Das Oberlandesgericht Hamm verurteilte allein in den zwei Monaten zwischen dem 15. Oktober und dem 15. Dezember 1933 nicht weniger als 300 Personen wegen »kommunistischer Umtriebe«, 124 wegen der Herstellung, Verbreitung oder Aufbewahrung kommunistischer Flugblätter, 46 wegen Agitation für die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO), sieben wegen des Verkaufs von Beitragsmarken für die Partei und zwei wegen »Verheimlichung von Eigentum der KPD«.169 Im August 1933 waren 91 Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei und ihres Jugendverbandes, des SJV, wegen Hochverrats angeklagt und zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen von insgesamt über 110 Jahren verurteilt worden.170 Die Verfolgungswut der Staatsanwaltschaften hatte in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung dermaßen zugenommen, dass die Regierung sich genötigt sah, in das Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 7. August 1934, das als Kernstück eine Amnestie »für Straftaten, zu denen sich der Täter durch Übereifer im Kampfe für den nationalsozialistischen Gedanken hat hinreißen lassen« enthielt,171 auch Bagatellstraftaten politischer Gegner wie zum Beispiel »Beleidigung des Führers und Reichskanzlers« oder »durch Wort und Schrift begangene Verfehlungen gegen das Wohl und Ansehen des Reiches« mit aufzunehmen. Aufgrund dieser Amnestie erledigten sich allein in Preußen 414.407 Verfahren, darunter 238.832, in denen bereits ein Urteil ergangen war.172

Aber auch nach jener Teilamnestie hielt die gerichtliche Verfolgung der politischen Opposition unvermindert an. Die bloße Auflistung der Prozesse gegen Sozialdemokraten füllt unzählige Seiten der vom SPD-Exilvorstand herausgegebenen Deutsch­­land-Berichte. In Berlin wurden zwischen Mai 1934 und April 1935 in zehn Verfahren 112 Sozialdemokraten zu insgesamt 114 Jahren Zuchthaus und 120 Jahren Gefängnis verurteilt. In Hamburg machte man im Juli 1935 gleich 150 SPD-Mitgliedern auf einmal den Prozess.173 Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten versucht, die Sozialdemokratische Partei wiederaufzubauen; die meisten hatten jedoch nur Geld für Angehörige ihrer in Konzentrationslagern oder Gefängnissen eingesperrten Genossen gesammelt oder gespendet. Auf der sogenannten »Brüsseler Konferenz«, der ersten Delegiertenversammlung der KPD nach dem Verbot der Partei, die im Oktober 1935 in der Nähe von Moskau stattfand –, aus Tarnungsgründen war verbreitet worden, sie fände in Brüssel statt –, zog man Bilanz aus knapp drei Jahren Kommunistenverfolgung im Dritten Reich: 393 Mitglieder waren ermordet, 29 zum Tode, 21 zu lebenslänglichem Zuchthaus, 860 – darunter 73 Frauen – zu Zuchthaus und Gefängnisstrafen von insgesamt 3980 Jahren verurteilt worden.174

Seit 1935 wurden dann die Sondergerichte, deren Strafen meist noch drakonischer ausfielen, stärker in die Verfolgung der politischen Opposition eingeschaltet. Im Dortmunder »Ruhrprozess« gegen 34 angeklagte SAP-Mitglieder beispielsweise erhielt der Hauptangeklagte Eberhard Brünen 15 Jahre Zuchthaus, und das Sondergericht Hamm verurteilte, ebenfalls 1935, 18 minderjährige Mitglieder des SJV in einem einzigen Verfahren zu insgesamt über 90 Jahren Zuchthaus.175

Solche Strafhöhen setzten auch für die ordentliche Gerichtsbarkeit neue Maßstäbe. In einer ganzen Serie von Prozessen versuchte 1935 das Hanseatische Oberlandesgericht, den Aufbau neuer Ortsgruppen der KPD in Oldenburg, Delmenhorst und Wilhelmshaven sowie das Bemühen von Kommunisten, alte Kontakte aufrechtzuerhalten, aufzuarbeiten. Ein rundes Dutzend Urteile bemühten sich auf je zirka 50 Seiten aufzuhellen, wo zum Beispiel eine der KPD gehörende Schreibmaschine geblieben war und wer sie bei sich versteckt hatte, wer einen Kranz am Grabe der am 21. Januar 1919 in Wilhelmshaven gefallenen Revolutionäre niedergelegt, wer auf dem Kranz nachträglich eine rote Schleife mit der Aufschrift »Wir denken an Euch und kämpfen weiter! Der Sieg ist uns sicher!« angebracht und ob ein Angeklagter 2 Reichsmark für die Rote Hilfe gesammelt oder aus eigener Tasche gezahlt hatte.176

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