Kitabı oku: «Furchtbare Juristen», sayfa 7

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6. Nazi-Jurisprudenz

Wesentlichen Anteil am Niedergang des Rechts im Dritten Reich hatte die deutsche Rechtswissenschaft. Sie sorgte für die Bemäntelung nationalsozialistischer Willkür und Verbrechen, die ohne rechtliche Verkleidung offen als Gesetzwidrigkeiten erkennbar gewesen wären. Kaum eine Untat der Nazis, die während deren Herrschaft nicht als »höchstes Recht« gepriesen und nach dem Krieg von denselben Juristen mit ebenso abenteuerlichen Rechtskonstruktionen als »vertretbar« oder gar »rechtlich geboten« dargestellt wurde.

Der Beitrag der Jurisprudenz zum Terror des NS-Regimes ist, da ihre führenden Köpfe nach dem Krieg ihre Lehrstühle behielten oder bald wieder einnahmen, also weiterhin die Richtung der rechtswissenschaftlichen Forschung bestimmten, und die heutige Professorenschaft sich fast ausschließlich aus ihren Lieblingsschülern und deren Schülern rekrutiert, über Jahrzehnte sehr unzureichend erforscht und dargestellt worden. Man kann diesen Beitrag freilich nicht hoch genug veranschlagen, denn in dem veröffentlichten Schrifttum fanden die Richter des Dritten Reichs die Leitlinien für ihre Urteile und mörderischen Rechtskonstruktionen, und zwar in desto größerem Maße, je weniger die immer unbestimmter formulierten Gesetze präzise Entscheidungsgrundlagen lieferten. Schon vor 1933 hatten konservative Rechtslehrer offen mit den Forderungen der nationalsozialistischen Bewegung sympathisiert. Als zum Beispiel die Reichstagsfraktion der Nazis 1930 einen hanebüchenen Vorschlag zur Novellierung des Republikschutzgesetzes präsentiert hatte, der vorsah, Kriegsdienstverweigerung und das Verlangen nach Abrüstung als »Wehrverrat« ebenso mit der Todesstrafe zu belegen wie die Behauptung, Deutschland sei am Weltkrieg schuld gewesen, und der das »Verächtlichmachen lebender oder toter Kriegshelden«, den »Rassenverrat« und die »Herabsetzung nationaler Symbole« ebenfalls mit dem Tode bestraft sehen wollte,220 wurde dieser Vorschlag von einigen renommierten Rechtswissenschaftlern begeistert aufgenommen. Georg Dahm lobte den »mutigen Verzicht auf alle tatbestandlichen Abgrenzungen«.221 Und der bis heute als Liberaler geltende Breslauer Strafrechtsprofessor Johannes Professor Nagler222 sah endlich »Defätismus aller Art« wirksam bekämpft; allerdings ging ihm der Entwurf in verschiedenen Punkten nicht weit genug, er forderte, auch den fahrlässigen Landesverrat, »vielleicht sogar die fahrlässige Beihilfe zum Landesverrat«, hart zu bestrafen.223

Am 7. April 1933 vertrieb man die jüdischen und die wenigen nichtkonservativen Rechtslehrer unter entwürdigenden Umständen von ihren Lehrstühlen. Auf einen Schlag wurden von den 378 Rechtswissenschaftlern, die 1932 an den juristischen Fakultäten des Deutschen Reichs lehrten, 120 – also fast ein Drittel – entlassen, die überwiegende Mehrzahl aus rassischen Gründen.224 Ihre Posten waren nun für hoffnungsvolle Privatdozenten mit »nationaler Orientierung« frei. Neben dem in Deutschland hochangesehenen österreichischen Strafrechtslehrer Wenzeslaus Graf Gleispach, der in Wien 1931 wegen nationalsozialistischer Agitation gemaßregelt worden war und daraufhin in Berlin eine Honorarprofessur bekam,225 wurden 1933 allein in Preußen Hermann Bente, Georg Dahm, Ernst Forsthoff, Heinrich Henkel, Heinrich Herrfarth, Fritz von Hippel, Ernst Rudolf Huber, Max Kaser, Karl Larenz, Siegfried Reicke, Paul Ritterbusch, Karl Siegert, Gustav Adolf Walz, Hans Julius Wolff und Hans Würdiger zu Ordinarien ernannt.226 Die meisten von ihnen waren kaum 30 und behielten ihre Lehrstühle bis zum Ende der sechziger Jahre. (Von den Professoren des Jahres 1939 hatten dann bereits zwei Drittel ihre Ernennung 1933 oder später erhalten.) Einige versprengte Liberale, die bei der »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« nicht entlassen worden waren, nahmen ihren Abschied und zogen sich in die innere Emigration zurück. Eines der seltenen Dokumente für Zivilcourage und Charakterfestigkeit in jener Zeit ist das Gesuch des Heidelberger Professors für Öffentliches Recht, Gerhard Anschütz, auf Emeritierung im März 1933. Anschütz bekannte in dem Schreiben an den badischen Kultusminister, dass er die zur Erziehung der Studenten »im Sinn und Geist der geltenden Staatsordnung« erforderliche geistige »Verbundenheit mit dem jetzt im Werden begriffenen neuen deutschen Staatsrecht ... nicht aufbringen« könne und daher um seine Entlassung bitte.227

Die im Verband der Deutschen Hochschulen organisierten Universitäten freilich begrüßten den »Aufstieg des neuen Deutschen Reiches« als »Erfüllung ihrer Sehnsucht und Bestätigung ihrer stets glühend empfundenen Hoffnungen«.228 Nachdem sich die deutsche Professorenschaft leichten Herzens von ihren jüdischen und (sozial-)demokratischen Kollegen getrennt hatte, warf sie die in Jahrhunderten erkämpften Errungenschaften europäischer Wissenschaft – Voraussetzungslosigkeit, Objektivi­tät und Autonomie –, beherzt über Bord. Bereitwillig wollte die Wissenschaft wieder in ihre dienende Funktion zurückkehren, die sie im Mittelalter besaß, und ein von außen an sie herangetragenes Wertsystem akzeptieren. Der Nationalsozialismus hatte – nach den Worten des Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust – ohnehin schon längst »erkannt, dass Wissenschaft ohne wertmäßige Grundlagen überhaupt nicht möglich« sei.229 Für die Rechtswissenschaft konkretisierte Carl Schmitt: »Das gesamte heutige deutsche Recht ... muss ausschließlich und allein vom Geist des Nationalsozialismus beherrscht sein ... Jede Auslegung muss eine Auslegung im nationalsozialistischen Sinne sein.«230

Bei der mehrheitlich antirepublikanisch, antidemokratisch und autoritär eingestellten Professorenschaft fand die antiaufklärerische Stoßrichtung der neuen Machthaber Anklang. Nicht nur junge Aufsteiger, die ihre Karrieren der Personalpolitik der Nazis verdankten, sondern auch die etablierten Rechtswissenschaftler entwickelten in den ersten Jahren des Dritten Reichs eine erstaunliche Produktivität bei der Gestaltung der »nationalsozialistischen Rechtsordnung«, wobei sie sich zur Aufgabe gesetzt hatten, parallel zur personellen Gleichschaltung der Justiz die intellektuelle Gleichschaltung der Juristenschaft zu vollziehen. Dabei versuchte mancher alte Ordinarius, die jungen Kollegen an völkischer Begeisterung noch zu überbieten. Wilhelm Sauer beispielsweise, Rechtsprofessor seit 1919, schlug 1933 im angesehenen Archiv für Rechtsphilosophie vor, »in dem Führer eine Lichtgestalt und einen Helden zu verherrlichen, der die deutsche Seele aus der Tiefe hinaus ans Licht führt, ihr nach Walhall, zu Gott dem Vater in der wahren deutschen Heimat den sicheren Weg aufzeigt, dieses gotische Leben seinen eigenen Brüdern vorlebt, ihnen Hilfe zur Selbsthilfe gewährt, damit alle Deutschen werden können Brüder vor Gott dem Vater«.231

In der Flut rechtswissenschaftlicher Publikationen, Vorträge, Manifeste und Novellierungspläne vermochten die flammenden Bekenntnisse zu »Führertum«, »völkischer Ordnung« und »rassischer Artgleichheit« sowie die Entwicklung »völlig neuer« Methoden, Denkweisen und Rechtskonstruktionen aber nur mühsam darüber hinwegzutäuschen, dass es meist nur darum ging, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und jeglichen zivilisatorischen Fortschritt aus dem deutschen Recht zu tilgen. Unter Berufung auf das vielzitierte Goebbels-Wort, die Aufgabe des Nationalsozialismus sei es, »das Jahr 1789 aus der deutschen Geschichte auszulöschen«, polemisierte die Rechtswissenschaft gegen Menschenrechte, Rechtsgarantien des Individuums gegenüber dem Staat, Beschränkungen staatlicher Machtbefugnisse und Restriktionen staatlicher Strafgewalt. Dabei gab es, wie Friedrich Schaffstein, einer der jungen Hoffnungsträger nationalsozialistischer Jurisprudenz, in seiner Antrittsvorlesung im Januar 1934 feststellte, viel zu tun: »Fast alle Sätze, Begriffe und Unterscheidungen unseres bisherigen Rechts sind vom Geist der Aufklärung berührt und bedürfen deshalb der Umformung und Neugestaltung auf der Grundlage eines neuen Denkens und Erlebens.«232

Die Errungenschaften liberaler Rechtsstaatlichkeit – Gesetzesgebundenheit staatlicher Machtausübung, Gleichheit aller vor dem Gesetz, unantastbare Bereiche individueller Freiheit – waren größtenteils schon während der »nationalsozialistischen Revolution« liquidiert worden. Freilich war in breiten bürgerlichen Kreisen der Begriff »Rechtsstaat« noch lange positiv besetzt, und traditionell verstand man darunter den Staat, der sich dem Recht unterwarf, kurzum: den liberalen Rechtsstaat. In der Frühzeit des Dritten Reichs war nun eine Diskussion entbrannt, in der die Jurisprudenz ihr Verhältnis zum Rechtsstaat klärte. Ernst Forsthoff, der den bürgerlichen Rechtsstaat als »Prototyp einer Gemeinschaft ohne Ehre und Würde« bezeichnet hatte,233 geißelte damals die Verwendung des Begriffs bei Otto Koellreutter als »terminologischen Missgriff«,234 der liberale Assoziationen begünstige. Und Carl Schmitt mahnte, wenn überhaupt, sollte der Begriff – zur Illustration seines Bedeutungswandels – nur noch in Kombinationen wie »deutscher Rechtsstaat«, »nationalsozialistischer Rechtsstaat« oder besser noch »der deutsche Rechtsstaat Adolf Hitlers« verwandt werden,235 denn »wir bestimmen nicht den Nationalsozialismus von einem vorgegebenen Begriff des Rechtsstaates, sondern umgekehrt den Rechtsstaat vom Nationalsozialismus her«.236 Die Staatslehre jener Zeit überschlug sich im Erfinden immer neuer Wortkombinationen, wie etwa »nationaler Rechtsstaat«237 oder »wirklicher Rechtsstaat«,238 und Roland Freisler zeigte dabei den größten Einfallsreichtum. Er verglich den »nationalsozialistischen Rechtsstaat« mit »der zusammengeballten Volkskraft, wie nur die geballte Ladung den frontbedrohenden Tank zu bändigen vermochte«, denn dieses »organisierte Zum-Einsatz-Bringen der geballten Ladung der völkischen Kraft zum Schutz des Volkslebens ist unser Begriff des Rechtsstaats«.239 Mit all diesen Metaphern wurde klargestellt, dass auf keinen Fall Kontinuität zu früherem bürgerlich-liberalen Freiheitsdenken geschaffen und dass der formale Rechtsstaat, der »bloße Gesetzesstaat«,240 durch einen »tiefergreifenden Gedanken der Rechtmäßigkeit«,241 nämlich die »völkische Sinneinheit von Staat und Recht«,242 ersetzt werden sollte. Während der gesamten Kontroverse über den Rechtsstaat war man sich jedoch im Grundsätzlichen völlig einig: »Strittig war nicht die Sache, sondern (nur) ihr Name.«243

Einig wusste sich die deutsche Jurisprudenz insbesondere in der Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates der »Systemzeit«. Er verkörperte für sie eine »Verfallsform des bürgerlichen Rechtsstaats«,244 und seine Grundlagen – Demokratie, Freiheitlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz und Pluralismus der Weltanschauungen –, waren »unserer eigenen deutschen Art, die Welt anzuschauen, entgegengesetzt und widerwärtig«.245 Wohl die bedeutendste Konkretisierung des Rechtsstaatsgedankens in der Justiz ist die Unabhängigkeit des Richters und seine Gebundenheit ausschließlich an das Gesetz. Da die NS-Macht­haber trotz reger Gesetzgebungstätigkeit nicht schlagartig alle Gesetze umformulieren konnten, galt es, die Richterschaft auf eine neue Einstellung zum Gesetz festzulegen, und zwar je nachdem, ob es sich um ein altes, aus der Republik überkommenes, oder um ein neues (Führer-)Gesetz handelte, auf eine jeweils ganz unterschiedliche Haltung. Schon das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums hatte die gesicherte Rechtsstellung des Richters beseitigt, denn es gab der Regierung die Möglichkeit, sämtliche Richter zu entlassen, die politisch missliebig oder nicht »arisch« waren beziehungsweise in Zukunft nicht die Gewähr dafür boten, »jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten«. Aber auch ohne derartige Begründungen konnten Richter aus dem Dienst entfernt werden, selbst »wenn die nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen«.246

Mit den Entlassungen nach dem Berufsbeamtengesetz war ein entscheidender Schritt zur »Säuberung« der Justiz getan. Daneben hatte das Gesetz aber noch eine weitere, in ihren Konsequenzen schwer messbare Bedeutung für die Gleichschaltung der Justiz, indem es auch all jene einschüchterte, die nicht unmittelbar von ihm betroffen waren. Ihnen erläuterte jetzt die deutsche Rechtswissenschaft, dass der Unabhängigkeit der Justiz »im Interesse einer einheitlichen Staatsführung gewisse Grenzen gesetzt werden müssen«247 und dass es nun galt, »sich darüber klar zu sein, dass die Regel von der alleinigen Bindung des Richters an das Gesetz heute etwas anderes besagt als früher«,248 denn »wir suchen eine Bindung, die zuverlässiger, lebendiger und tiefer ist als die trügerische Bindung an die verdrehbaren Buchstaben von tausend Paragraphen«.249

Recht sprechen sollte in Zukunft nur noch, »wer in seinem Volke lebt, mit seinem Volke fühlt und das Recht da sucht, wo es entspringt, im gesunden Empfinden des Volkes«,250 wer »in seiner seinsmäßigen, artbestimmten Weise an der rechtschöpferischen Gemeinschaft teil hat und existentiell zu ihr gehört«251 sowie in »gesinnungsmäßige[r] Übereinstimmung des Fühlens und Wollens aller Rechtsgenossen«252 handelt. Die Arbeit des Richters sollte »nicht durch Willkür und nicht durch ein formalistisch-abstraktes Rechtssicherheitsprinzip beengt [sein], vielmehr ... durch die im Gesetz zutage getretene, vom Führer verkörperte Rechtsanschauung des Volkes feste Linie und ... wo nötig, ihre Schranke finden«.253 Das seit der Aufklärung propagierte Ideal des nüchtern-distanzierten Richters war dieser Art von Rechtswissenschaft suspekt. Das »abstrakt-norma­tivische Denken« erschien ihr als »Ausdruck einer Hilflosigkeit, einer Entwurzelung und Verweichlichung«.254 Die zu entscheidenden Fälle sollte der neue Richter »nicht aufgrund einer analytischen Untersuchung ihrer Elemente, sondern nur aufgrund einer Wesensschau ganzheitlich und konkret erfassen«.255 Die traditionell von Juristen angestrebte »rationalistische Zergliederung« des Sachverhalts und seine »Entwesung«256 durch vorurteilsfreie Betrachtung lehnte sie rundweg ab. Das neue Recht war schließlich »mit dem Verstand allein nicht zu errechnen, ... vielmehr vom Volksgenossen aus der Volksverbundenheit heraus zu erfühlen und zu erleben«.257 Der Richter sollte daher mit »gesundem Vorurteil« an einen Fall herangehen und »Werturteile fällen, die der nationalsozialistischen Rechtsordnung und dem Willen der politischen Führung entsprechen«.258 Über die »in ihrer Übertreibung typisch liberale Furcht vor dem Justizirrtum«259 war diese Rechtswissenschaft erhaben, »emotional-wertfühlende, ganzheitliche Betrachtungsweise«260 und »wesenhaftes, ganzheitliches Rechtsdenken«261 sollten die korrekte Entscheidung des Richters verbürgen. Die wohl schönsten Worte für die Gefühligkeit der neuen Wissenschaftsrichtung fand Justus Hedemann in seinen Ausführungen über Die Wahrheit im Recht: »Und kein deutscher Rechtswahrer, den nicht mindestens in hohen Augenblicken jener Ernst ergriffe, den keine Mühe bleichen darf, und der nicht über den Strom der Mühe hinweg, bald fern, bald nah den Born der Wahrheit rauschen hörte.«262

Den konkreten Hintergrund dieser Irrationalitäten von der »Verwurzelung« des Juristen »in der Substanz, im Volksgeist«,263 seiner »Einfügung in eine auf Artgleichheit begründete Ordnung eines Volkes, zu der auch der Jurist und seine geistige Leistung gehört«,264 enthüllte Erik Wolf mit seiner Ermahnung an die Richterschaft: »Im Alltag des Rechtslebens wird ein echter Nationalsozialismus sich wohl dort am ehesten finden, wo der Idee des Führers wortlos, aber getreulich nachgelebt wird.«265 Die nach der »Befreiung« des Richters von der Gesetzesbindung ungleich engere »Bindung an die leitenden Grundsätze des Führerstaates«266 hatte letztlich zur Konsequenz, dass »der Richter der unmittelbare Gehilfe des Staates«267 wurde, oder, in unnachahmlicher Freisler‘scher Metaphorik ausgedrückt: »Das Gesetz ist der verhaltene Atem des Lebens, ... der Rechtswahrer aber hat der Soldat an der Front des völkischen Lebens zu sein.«268

Die Polemik der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft richtete sich nicht nur gegen jede Humanisierung des Strafrechts, sondern genauso gegen seine rechtsstaatliche Fundierung, vor allem gegen den Grundsatz »Keine Strafe ohne Gesetz« (nulla poena sine lege). In diesem Fundamentalsatz sind gleich mehrere Beschränkungen der staatlichen Strafgewalt zusammengefasst: das Rückwirkungsverbot (nur eine Tat, die schon zum Zeitpunkt ihrer Begehung strafbar war, darf bestraft werden), das Analogieverbot (nur was der Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich für strafbar erklärt, ist strafbar), das Gebot der Gesetzesbestimmtheit (das Gesetz muss präzise formuliert sein und erkennen lassen, was strafbar ist und was nicht) sowie das Strafmonopol einer unabhängigen Justiz, denn mit der Errichtung eines Sanktionensystems außerhalb des Strafrechts lässt sich jedes Justizgrundrecht unterlaufen. Sämtliche Komponenten dieses fundamentalen Justizgrundsatzes waren im Dritten Reich bald zerstört. Das Rückwirkungsverbot fiel bereits mit dem Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe, der sogenannten Lex van der Lubbe, und auch mehr als 20 andere Gesetze und Verordnungen der NS-Zeit sahen eine rückwirkende Bestrafung vor.269 Mit der »Schutzhaft«, über die allein die Polizei zu entscheiden hatte, wurde eine Sanktionsmöglichkeit neben der Strafjustiz geschaffen. Das Analogieverbot schließlich beseitigte man im Juni 1935 durch den neuformulierten § 2 des Strafgesetzbuchs: »Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach dem gesunden Volksempfinden Bestrafung verdient.«270

Der Schriftsteller Ernst Niekisch trifft zwar den Nagel auf den Kopf, wenn er die Rechtsanalogie eine »heimtückische Ver­anstaltung« nennt, zu dem alleinigen Zweck geschaffen, »jeden standhaften Gegner ins Zuchthaus zu schicken, obschon schlechthin kein Gesetz besteht, gegen das er sich jemals vergangen hätte«.271 Allerdings wird die Bedeutung dieser gesetzgeberischen Maßnahme heute oft überschätzt. Natürlich gab sie – wie Roland Freisler lobte – »dem Richter die bisher durch ausdehnende Auslegung der Strafbestimmung nur mühsam und nicht vollständig gewonnene Möglichkeit, jeden Rechtsbrecher zu fassen, auch wenn sein Spezialverbrechen nicht wörtlich unter Strafe gestellt war«,272 dennoch spielte der neue § 2 in der gerichtlichen Praxis nur eine geringe Rolle. Das war vor allem das Verdienst der Strafrechtswissenschaft, die längst eine Strafrechtstheorie und allerlei methodisches Rüstzeug entwickelt hatte, die die Neuformulierung des Strafgesetzes eigentlich überflüssig machten.

Zwar blieb kein Rechtsgebiet von der Durchdringung mit Nazi-Gedankengut verschont, selbst solche scheinbar unpolitischen Bereiche wie Mietrecht, Handelsrecht und Gewerberecht wurden von der Wissenschaft nationalsozialistisch »befruchtet«. Am deutlichsten aber sind die Konsequenzen der neuen Jurisprudenz im Strafrecht zu erkennen, das dem Staat den schärfsten Zugriff auf die Staatsbürger einräumt und wo daher traditionell der Rechtssicherheitsgedanke am klarsten ausgebildet war. Während seit den Zeiten der Aufklärung das Bemühen der Strafrechtswissenschaft darauf gerichtet war, die Grenzen zwischen strafbarem und straflosem Tun deutlich herauszuarbeiten, sahen die Strafrechtsprofessoren des Dritten Reichs erklärtermaßen ihre vornehmste Aufgabe darin, diese Grenze bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen. »Die Volksgemeinschaft gegen den Verbrecher zu schützen«, galt als vorrangigstes Ziel des Strafrechts, und hinter diese Schutzfunktion musste der oberste rechtsstaatliche Grundsatz zurücktreten: »Heute wird jeder den Satz: ›Kein Verbrechen ohne Strafe‹ ... gegenüber dem Satz: ›Keine Strafe ohne Gesetz‹ ... als die höhere und stärkere Rechtswahrheit empfinden.« (Carl Schmitt)273

Wie es nach autoritärer Auffassung »im Strafrecht eben nicht um den Rechtsschutz des Einzelnen vor dem Staat ... , sondern um den Schutz des Staates vor dem Einzelnen«274 ging, kam es dem nationalsozialistischen Strafrecht »weniger auf die Eindeutigkeit der gesetzlichen Bestimmungen als auf die materielle Gerechtigkeit«275 an. Rechtssicherheit und Schutz der Individualrechte wurden zugunsten dieser mystifizierten, angeblich nur in »ganzheitlicher Wesensschau« erfassbaren »materiellen Gerechtigkeit« beiseitegeschoben. Die Gesetze sollten zu diesem Zweck bewusst schwammig und unklar formuliert werden: »Generalklauseln, Zulassung der Analogie, Anerkennung des gesunden Volksempfindens als Rechtsquelle und Zulassung der unmittelbaren Erkenntnis des Rechts ... sind Kriterien des nationalsozialistischen Strafrechts.«276 Der damit verbundene Verlust an Rechtssicherheit war durchaus gewollt, denn »im entscheidenden politischen Fall«, merkte Carl Schmitt an, »bedeutet die Normativierung und Prozessualisierung nur eine Bindung des Führers zum Vorteil des Ungehorsamen«.277 Es wurde sogar erörtert, ob ein Strafgesetzbuch nicht schlechthin entbehrlich sei: »Die Erkenntnis der Unmöglichkeit einer Erfassung aller Tatbestände durch einzelne Gesetzesnormen legt es nahe, ganz von der Aufstellung von Einzeltatbeständen abzusehen und in wenigen allgemeinen Grundsätzen dem Richter nur Richtlinien zu zeigen, nach denen er einen Tatbestand strafrechtlich zu erfassen hat.«278 Dass dadurch für den Einzelnen die »Erkennbarkeit des Gesetzes und die Berechenbarkeit seiner Rechtsfolgen« verschwinden würden, bezeichnete der Strafrechtsprofessor Heinrich Henkel ausdrücklich als wünschenswertes Ziel,279 schuf doch Unsicherheit über die möglichen Folgen einer Tat einen stärkeren Anpassungsdruck. Daher sollte es nicht länger heißen: »Was nicht verboten ist, ist erlaubt, sondern: Was nicht erlaubt ist, ist verboten.«280

So ging es jener neuen Form von Strafrechtswissenschaft nicht mehr darum zu prüfen, ob eine Handlung gesetzlich verboten war, denn der »Nationalsozialismus ersetzt[e]« nach den Worten des Reichsjustizministers Gürtner »diesen Begriff des formellen Unrechts durch den Begriff des materiellen Unrechts ... Das Gesetz verzichtet mithin darauf, alleinige Erkenntnisquelle für Recht und Unrecht zu sein.«281

Worauf dieses immer wieder beschworene »materielle Unrecht« hinauslief, das lediglich mit einer »letztlich nur erlebnis- und glaubensmäßig bestimmten Weltanschauung«282 erkannt werden konnte, hatte der Strafrechtslehrer Wilhelm Sauer bereits 1921 herausgearbeitet: »Rechtswidrig ist ein Verhalten, das nach seiner allgemeinen Tendenz dem Staat und seinen Gliedern gemäß dem Urteil der Rechtswissenschaft mehr schadet als nützt.«283 Von dieser konservativ-etatistischen Position war es nur noch ein kleiner Schritt zu Edmund Mezgers prägnanter Definition: »Materiell rechtswidriges Handeln ist Handeln gegen die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung.«284 Sein höchstes Ziel, den »Schutz der Volksgemeinschaft«, gewährleistete das Strafrecht nach einer damals gängigen, von allen Jurastudenten auswendig zu lernenden Formel »durch die Ausmerzung entarteter oder sonst für die Volksgemeinschaft verlorener und durch die Entsühnung gestrauchelter, aber für die Gemeinschaftsaufgaben noch einsetzbarer ... Gemeinschaftsglieder«.285 Diese Formel zeigte die beiden Haupt­betätigungsfelder der nationalsozialistischen Strafrechts­wissenschaft auf: die Entwicklung eines Disziplinarrechts für den »pflichtvergessenen« deutschen Volksgenossen und eines Instrumentariums zur Vernichtung des Feindes, des Andersartigen, zu dem man auch den »entarteten Kriminellen« zählte. Dabei war es aber keineswegs so, dass nur die exponiertesten Nazis unter den Strafrechtlern das »Kampfrecht« oder »Schutzrecht« betonten und Altkonservative sich eher dem »Disziplinarrecht« zuwandten. Im Gegenteil, eine vorwiegend konservativ besetzte Amtliche Strafrechtskommission unter dem Vorsitz des Justizministers Gürtner hatte in ihren Vorstellungen zu einem künftigen Strafrecht den »Schutzgedanken« in den Vordergrund gestellt, während das Reichsrechtsamt der NSDAP die »völkische Treuepflicht« stärker hervorhob.286

Das »Schutzrecht« intendierte »die Reinigung der Gemeinschaft von minderwertigen Menschen«287 und betonte, dass »dem Strafrecht in ganz besonderem Maße die negative, abwehrende Seite des Schutzes obliegt. Sein letzter Sinn ist die Ausmerze.«288 Der Schutzgedanke galt nicht nur – nicht einmal in erster Linie – gegenüber »entarteten Kriminellen«, sondern vor allem gegenüber Gegnern des Systems, denn aus dem Verständnis des Strafrechts als »Kampfrecht« folgte »selbstverständlich das Ziel dieses Rechts, den Gegner nicht nur zu bekämpfen, sondern zu vernichten«.289 Die ehemals im Strafgesetzbuch garantierte Privilegierung politischer Gesinnungstäter, von der nicht zuletzt Hitler in seinem Hochverratsprozess profitiert hatte, war beseitigt, ja in ihr Gegenteil verkehrt worden: »Für die Anerkennung der Gesinnungstäterschaft ist im nationalsozialistischen Strafrecht kein Raum. Das würde der Bewertung des Täters als zwar gegnerischen, aber doch anständigen Kämpfer entsprechen. Das aber ist im Nationalsozialismus nicht möglich«, erläuterte Roland Freisler. Der politische Gegner wurde zum besonders schweren Kriminellen gestempelt: »Gegen ... den Staatsfeind und den Feind der Volksgemeinschaft gibt es in Strafmaß und Strafverfolgung nur eines: kraftvolle Strenge und erforderlichenfalls völlige Vernichtung.«290 Und nach den Worten Gürtners konnte »kein Zweifel daran bestehen«, dass das deutsche Volk für die Anerkennung der Gesinnungstäterschaft »nie Verständnis« gehabt habe, »denn der Verräter galt immer und überall als der gemeinste Verbrecher«.291

Um zu unterscheiden, ob »kraftvolle Strenge« oder »völlige Vernichtung« angebracht war, entwickelte die Rechtswissenschaft eine Strafrechtssystematik, die sich dem Disziplinarrecht der Berufsbeamten und Soldaten stark annäherte und auf der gesteigerten Treuepflicht gegenüber der Führung basierte. Wie es traditionell auch heute noch – im Disziplinarrecht – weniger darum geht, den Beamten wegen einer bestimmten Unrechtshandlung sühnen zu lassen, sondern vielmehr darum, festzustellen, ob er »nach seinem Gesamtverhalten noch in dem Kreis seiner Kollegen verbleiben kann«, sollte das Strafrecht des Dritten Reichs ein Urteil darüber fällen, ob der »Volksgenosse in der Volksgemeinschaft noch tragbar« beziehungsweise je nach Wiedereingliederungsprognose vorübergehend oder für immer aus dieser auszuschließen war. Und genau wie das Disziplinarrecht, das feudalen Ursprungs und von Ideen der Aufklärung bis heute kaum berührt ist, war das Strafrecht der Nazi-Zeit geprägt von moralisch aufgeladenen Tatbeständen ohne klare Abgrenzungen. Es dominierten feudale Werte wie »Ehre«, »Treue« und »Pflicht«. Die von Rechtswissenschaftlern des Reichsrechtsamtes der NSDAP entwickelten Leitsätze zum Strafrecht forderten pathetisch: »Das nationalsozialistische Strafrecht muss auf der völkischen Treuepflicht aufgebaut sein: Die Treuepflicht ist für nationalsozialistisches und deutsches Denken höchste völkische und daher sittliche Pflicht. Für deutsches Denken besteht Einklang zwischen sittlicher Wertung, Pflichtgefühl und Rechtsempfinden ... Der Verletzung der Treuepflicht folgt grundsätzlich der Verlust der Ehre. Aufgabe des nationalsozialistischen Staates ist es, den Treuebrecher, der durch den Treuebruch aus der Gemeinschaft ausgeschieden ist, durch gerechte sühnende Bestrafung zu treffen. Gerechte Bestrafung dient der Festigung, dem Schutz und der Sicherung der Volksgemeinschaft, dient aber auch der Erziehung und Besserung des Verbrechers und noch nicht verlorenen Volksgenossen.«292 Schon frühzeitig hatten NS-Strafrechtstheoretiker das Verbrechen als »Treuebruch«, »Pflichtverletzung« und »Verrat« gewertet. Eine Straftat galt über den jeweils ihr beigemessenen Unrechtsgehalt hinaus als Verletzung der Pflicht gegenüber der Volksgemeinschaft; Georg Dahm wollte sogar im einfachen Diebstahl bereits einen Treuebruch gegenüber Führer und Volk sehen.293 Freilich konnte einen Treuebruch nur begehen, wer Treue schuldete, wer also teilhatte an der Volksgemeinschaft. Schaffstein forderte daher als Voraussetzung dieses dem Disziplinarrecht angenäherten Strafrechts eine »Verdichtung der Volksgemeinschaft«; der Straftäter sollte »nur in seiner notwendigen Gebundenheit als Gemeinschaftsglied, nicht als Indivuum, sondern als Volksgenosse zum Gegenstand strafrechtswissenschaftlicher Betrachtung« gemacht werden.294 Zur Konsolidierung der Volksgemeinschaft wollte die Jurisprudenz ihren Beitrag leisten, indem sie den Volksgenossen den richtigen Weg wies. Hans Welzel, der stets auf der »sittenbildenden Kraft des Strafrechts« insistierte, sah dessen vordringliche Aufgabe darin, die »bleibenden Werte« im Bewusstsein der Deutschen fest zuverankern: »die Treue gegenüber Volk, Reich, Führung, der Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt, die Wehrbereitschaft, die Wahrhaftigkeit der eidlichen Aussage, die geschlechtliche Zucht, die Achtung vor dem Leben, der Gesundheit, der Freiheit anderer, die Ehrlichkeit gegenüber fremdem Eigentum, die Redlichkeit im Vermögensverkehr usf.«295 Überhaupt betrachteten sich die deutschen Strafrechtswissenschaftler gern als Erzieher des Volkes. Wilhelm Sauer forderte, »ein gesundes Strafrecht [müsse] von den höchsten ethischen Werten durchpulst sein, um das Volksempfinden vor allem sittlich gesund zu erhalten und zu seiner Hebung und Vervollkommnung beizutragen«,296 und Hans Welzel wünschte, dass das Strafrecht die »rechtliche Gesinnung aller Volksglieder aufrichtet«.297

Die Strafen sollten daher in erster Linie Ehrenstrafen und das Strafurteil »ein sittliches Urteil über die Gesinnung als Volksgenosse« sein.298 Die Wissenschaft plädierte bereits frühzeitig für Strafen mit Prangerwirkung wie etwa die »Ehrloserklärung«, deren Wirkung weit über den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte hinausging und die das Verbot, Bauer, Betriebsführer, Vertrauensmann, Vormund, Pfleger, Beistand, Schöffe oder Soldat zu werden, einschloss. Georg Dahm forderte gar eine Ächtung, die den Status des Verurteilten als »Rechtssubjekt« schlechthin beendete: »Er darf auch nicht mehr im bürgerlichen Rechtsverkehr auftreten, und es erscheint unvermeidlich, dass auch seine familienrechtlichen Beziehungen erlöschen.«299 Aber auch die Stigmatisierungswirkung der »normalen« Strafen sollte, da »jede wirkliche Strafe Ehrenstrafe« sei,300 verstärkt werden. Ihr Zweck bestehe darin, das »entehrende Unwerturteil der Gemeinschaft zum sichtbaren Ausdruck zu bringen«,301 und die Zuchthausstrafe sollte nicht nur eine strengere Freiheitsstrafe, »sondern die schwerste Form der Entehrung«302 darstellen. Erst wenn der Verurteilte seine Schuld gesühnt habe, dürfe er »wieder mit allen übrigen Volksgenossen wie bisher in Reih und Glied« stehen.303

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