Kitabı oku: «Eiszeiten», sayfa 2

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Mit der gleichen Leidenschaft, mit der ich dem Eislaufen fröne, arbeitet mein Bruder übrigens in seiner Kanzlei als Anwalt. Wir gehen beide mit großer Hingabe unserer Arbeit nach, darin ähneln wir uns.

Mein Vater und mein Bruder sind die beiden Denker in unserer Familie. Bei mir liegt die Energie, mütterlicherseits vererbt, in meinem großen Bewegungsdrang. Noch als sie in den letzten Monaten mit mir schwanger war, kletterte sie auf Apfelbäume!

In meiner Kindheit brachten unsere Nachbarn mein quecksilbriges Wesen damit in unmittelbaren Zusammenhang. Ich bin einfach kein Bücherwurm, habe weder buchhalterische noch andere herausragende intellektuelle Begabungen. Nein, ich will damit an dieser Stelle nicht kokettieren. Ich bin ein einfacher Mensch mit vielseitigem sportlichem Talent. Nicht der Denker, sondern der Handelnde. Ich muss mich zwingend bewegen. Zwar steht unter meinem Abiturzeugnis ein „Sehr gut“, doch das war reine Übungssache, die mich hin und wieder aus der Haut fahren ließ oder nervte. Sobald ich begriff, dass mit Wiederholungen „etwas zu reißen“ war, erledigte sich das allerdings von selbst.

Gelernt habe ich nur, was wirklich nötig war. Ich war faul in der Schule, das trifft es durchaus. Die meisten Stunden meines Lebens gehörten seit frühester Kindheit dem Eiskunstlaufen.

Für den Fall, dass mir dabei einmal etwas einen Strich durch die Rechnung machen würde, sollte ich natürlich einen vernünftigen Beruf erlernen – auch, weil mein Vater wollte, dass seine Kinder im Leben zurechtkommen. So studierte ich später also Sport, die naheliegende Variante. Als zur Wende nicht klar war, ob die Studienjahre angerechnet würden, beziehungsweise ob es Arbeit für uns geben würde, stieg ich aus.

Diese Aussicht besaß so wenig Charme, dass ich sofort über eine andere Perspektive nachdachte. Zuerst versuchte ich mich in einer Werbeagentur, kurvte mit meinem Manta auf eigene Kosten durch die Gegend und ging auf Akquise. Nach einem Monat war Schluss damit. Ein feuchter Händedruck, ein Danke, das war‘s. So würde meine Zukunft also nicht aussehen, für den Fall, dass ich einmal nicht mehr eislaufen konnte. Lehrer werden wie mein Vater, das wollte ich auch auf keinen Fall. Früh aus dem Haus, mittags heim, Versammlungen, Elternabende – nein, das reizte mich nicht. In meiner Vorstellung sah ich mich auch nicht in eine Firma oder Fabrik stiefeln, 7 Uhr raus, 9 Uhr am Schreibtisch, 17 Uhr nach Haus kommen und morgen und übermorgen und nächste Woche immer so weiter.

Ich wusste, ich wollte auch mit Menschen zusammen sein. Ich lief für mein Leben gern auf dem Eis und hatte – neben einem streng ausgeklügelten Trainingsplan – immer mit Sportlern oder Trainern zu tun. Auf dem Eis, beim Krafttraining, in den Trainingslagern und natürlich bei den Wettkämpfen.

Nach einigem Hin und Her fand ich schließlich einen Ausbildungsplatz. Es musste ja irgendwie weitergehen. Heute kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen, von jetzt auf gleich mussten die Karten neu gemischt werden. Ich brauche immer ein Ziel, denn ich bin so ein Typ, der schwer alle fünfe gerade sein lassen kann. Erst mal schauen – erstes, zweites, drittes Studium –, dafür war ich nicht gemacht. Außerdem war mir bis dahin eine exzellente Ausbildung als Eiskunstläufer zuteilgeworden und es war sonnenklar, dass ich neben der Ausbildung ein Zeitfenster brauchte, um weiter zu trainieren. Jeden Tag wollte, musste ich aufs Eis. Infrage kam schließlich eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann mit theoretischer und praktischer Ausbildung. Und das im Konsum. Wirklich! Groß und blau leuchteten die Buchstaben von der Fassade des Gebäudes. Ganz schön verrückt, dachte ich, vom Sportstudium zum Verkäufer in einer Konsumfiliale. Anfang September 1990 trafen wir vier, fünf junge Menschen uns in einer Kaufhalle und los ging es mit der Lehre.

Man wies die wesentlich jüngeren Kerlchen und mich dort erst einmal ein und in der Folge stand ich das erste Jahr in einem kleinen Eckkonsum im Chemnitzer Beimler-Gebiet. Ein „Tante Emma“-Konsum, 30 Quadratmeter klein, im Keller gelegen. Dort absolvierte ich meine praktische Ausbildung und wurde Teil eines guten kleinen Vier-Mann-Teams. Früh um fünf heizte ich den Ofen der Filiale, damit der Verkaufsraum einigermaßen überschlagen war, und 14 Uhr war Schluss für mich. Ich konnte trainieren gehen. Das war eine gute Zeit, auch wenn ich aufstehen musste, wenn der Tag gerade erst müde aus der Wäsche blinzelte. Ich wusste, das gehörte dazu und würde zudem nicht bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Da ich Abitur und schon ein paar Semester studiert hatte, verkürzten sich meine Lehrjahre von drei auf zwei und so war das Ende ohnehin absehbar. Irgendwann würde mein Wecker für mich auch wieder später klingeln.

Letztendlich hatte ich alle theoretischen und praktischen Prüfungen der Industrie- und Handelskammer in der Tasche. Ganz nebenbei erschloss sich mir auch ein Kapitel aus der Entwicklungsgeschichte des Konsums, der sich damals in extremer Veränderung befand. Vom kleinen Konsum ging es für mich in den Supermarkt und dann doch wieder zurück in die kleine Filiale.

Im zweiten Jahr lernte ich also in einem großen Markt mit strenger Chefin. Es fiel mir schwer, ihr wirklich etwas recht zu machen. So lernte ich einmal mehr, dass immer wieder Menschen unsere Wege kreuzen, mit denen man nicht wirklich gut harmoniert, aber zurechtkommen muss. Zwischen uns stimmte wohl einfach die Chemie nicht. Ich gab mir Mühe, mich etwas zurückzunehmen, denn mein Temperament ließ mich reden, wie mir der Schnabel gewachsen war. Meine Sportler kennen das zur Genüge und ich bin mir ganz sicher, es macht sie nicht immer glücklich. Einmal wurde ich damals, 1991/92, in diesem Markt sogar zur Strafarbeit verdonnert. Für eine Woche sollte ich jeden Morgen die Rampe kehren. Man bedenke, ich war ein fast 26-jähriger Lehrling, ein junger Mann! Während heute junge Männer nicht selten schon Mitte zwanzig sind, wenn sie erstmalig in die Arbeitswelt hineinschnuppern, galt ich damals als Exot in der Lehrlingsgruppe. Mit dem festen Vorsatz, die Lehre zu Ende zu bringen, stellte ich mich dieser liebenswerten kleinen Zusatzaufgabe „Rampe reinigen“. Der Zufall wollte es, dass genau eine Etage über der Rampe ein Zigarettenautomat von reichlich Kundschaft aufgesucht wurde. Eine Diskothek sorgte an jedem Wochenende für Stimmung in den oberen Räumen und beim Münzeneinwerfen am Automaten verfehlte zu später Stunde so manche D-Mark den Geldeinwurf und landete auf der Rampe, die ich allmorgendlich kehrte und vom Kleingeld „befreite“. Und so hat nicht nur jede Münze zwei Seiten, sondern eben auch jede andere Angelegenheit.

Bis dahin hatte ich schon die verschiedensten Arbeiten erledigt: Flaschen putzen, Obst einsortieren, an der Käsetheke aufs Gramm genau Käse am Stück abtrennen. Was für ein Hochgefühl: „Ich hätte gern 150 Gramm Emmentaler!“ – abgeschnitten, auf die Waage gelegt und 149,5 Gramm abgesäbelt! Das ringt mir heute noch Bewunderung ab, wenn ich so geschickt bedient werde. Abenteuerlich war auch der Kassendienst. Den Preis für jedes Lebensmittel hatten wir im Kopf – von wegen Scanner! Jedes Stück Butter, jeden kleinen Schokoriegel preisten wir aus und tippten ihn bei jedem Kunden einzeln in die Kasse. Mir war das ein guter Ausgleich zu meinen Trainingseinheiten. Ganz abgesehen davon lernte ich die Buchhaltung kennen und erfuhr viel über Lebensmittel. Wie lange sind sie haltbar? Was ist drin? Ein Umstand, der später sowohl mir als auch meinen Sportlern half.

Nach zwei Jahren nannte ich mich also Einzelhandelskaufmann. Ich besaß einen soliden Berufsabschluss, mit dem überall etwas anzufangen war.

Verrückt war an der ganzen Sache, dass ich mitten in meinem Aufstieg zum Chemnitzer „Spitzen-Konsumverkäufer“ auf dem internationalen Eis mit Mandy Wötzel Vizeweltmeister wurde! Ich will später in einem Extrakapitel von jener umfassenden Zweisamkeit erzählen.

Man stelle sich vor, Montag an der Kasse im Konsum das Wechselgeld herausgegeben und Samstag im schillernden Dress die Silbermedaille bei den Weltmeisterschaften im Paarlaufen erkämpft. Als das im Supermarkt bekannt wurde, gratulierten mir die verwunderte Chefin und meine Kollegen. Ich glaube, sie sahen mich von da an mit anderen Augen und zollten mir Respekt.

Manchmal schaue ich heute meinen zehnjährigen Sohn Hugo an und versuche, in seine Zukunft zu sehen; ich bin neugierig auf seine Wünsche. Was wird er einmal wollen? Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Talente und Neigungen schon bei unserer Geburt angelegt sind – wie und wo findet er einmal Erfüllung und Glück? Ich bin ganz vorsichtig und will ihn nicht bedrängen, damit alles aus ihm selbst erwächst. Ich will geduldig bleiben, bis er seine ersten wichtigen Entscheidungen trifft.

Bundeswehr

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt, nach Abschluss meiner Lehre, noch einmal eine andere Perspektive ins Auge gefasst.

Von irgendjemandem hatte ich von Sportfördergruppen der Bundeswehr gehört. Diese Gruppen existierten in den alten Bundesländern schon über Jahrzehnte, nur im Osten waren sie noch nicht etabliert und man begann gerade erst, sie ins Leben zu rufen. Mithilfe der Gruppen unterstützt die Bundeswehr erfolgreiche Sportler, indem sie ihnen eine finanzielle Basis schafft.

Wenn ich Teil einer solchen Fördergruppe würde, könnte ich trainieren, ohne parallel dazu als Verkäufer arbeiten zu müssen.

Ich erfuhr, dass in Halle eine solche Fördergruppe aufgebaut werden sollte und bewarb mich dort für den ganz normalen Dienst bei der Bundeswehr – in der Hoffnung, die kleine Spezialeinheit würde tatsächlich irgendwann entstehen und ich könnte Teil derselben werden. Ich wusste, dann würde es mir leichter fallen, gleichzeitig zu trainieren und vernünftig zu existieren. Also reichte ich alle nötigen Unterlagen ein, musste einen Sonderantrag stellen, denn ich war schon älter als 25, und so konnte für mich nur eine bestehende Ausnahmeregelung greifen; kurz darauf wurde ich Soldat der Bundeswehr.

Montagfrüh um vier zog ich in Chemnitz los und schob bis Freitagnachmittag in Holzdorf bei den Fliegern Dienst in der Grundausbildung. Dann sauste ich zurück, denn Mandy Wötzel und ich hatten zu diesem Zeitpunkt schon begonnen, zusammen zu trainieren und hatten jeden Freitagabend ein „Date“ in der Eishalle, ebenso am Samstag und Sonntag. Die Wochenenden gehörten komplett unserem Training, Ausnahmen erlaubten wir uns kaum. Ein Vierteljahr mit Stress ohne Ende verging auf diese Art und Weise, aber ich wusste ja wofür. Im Sommer 1993 war es so weit – gemeinsam mit Hauptfeldwebel Zimmer als Vorgesetztem, der Schwimmerin Silke Otto und mir wurde in Frankenberg eine Sportfördergruppe der Bundeswehr aufgebaut. Ich bekam einen Dienstplan und konnte trainieren. Acht bis zwölf Wochen im Jahr absolvierten wir Sportsoldaten dort einige Lehrgänge, frischten sozusagen unser militärisches Wissen auf und konnten den Rest der Zeit frei von finanziellen Sorgen trainieren. Die ersten Jahre erhielt ich nur den Wehrsold, als Gefreiter wurde es ein wenig mehr und zwei, drei Jahre später, ich war inzwischen Zeitsoldat geworden, ging es mir finanziell sehr gut; ich bekam ein vernünftiges Gehalt und konnte in Ruhe trainieren.

Ich blieb sechs Jahre Sportsoldat der Bundeswehr, wurde 1998 nach den Olympischen Spielen in Nagano verabschiedet und startete meine Profikarriere.

Exakt zur gleichen Zeit

Für mich hat sich auf andere Art und Weise Jahre später mein Wunsch erfüllt, mit Menschen zu arbeiten. Mit vier Semestern Sportstudium und einem riesigen Schatz an Erfahrungen startete ich mehr oder weniger autodidaktisch in meine Trainerlaufbahn: Ich setze meine Ideen um, gerade so wie ich es will und kann. Etwas Besseres konnte mir aus heutiger Sicht kaum passieren.

Manchmal fragt man mich, ob meine Eltern nicht meine größten Fans seien. Nein, eigentlich nicht. In all den Jahren waren sie keine Fans, sondern zu 100 Prozent meine Eltern. Mein Vater konnte mich beispielsweise nie laufen sehen, wenn Wettkämpfe anstanden. Ihm wurde schlecht vor Aufregung, deshalb wartete er draußen vor der Halle. Übertrug man die Entscheidungen im Fernsehen, saß er in der Küche, drückte mir die Daumen und lauschte später den Kommentaren meiner Mutter, die alles genau verfolgt hatte. Heute sind meine Eltern wieder drin in der Geschichte mit Aljona und Robin. Wieder verlässt mein Vater das Zimmer, um sein Herzklopfen einzugrenzen. Beide sind wieder Feuer und Flamme. Unsere Familie war immer mein größter Halt.

Mir gelang Gleiches leider nicht. Unsere kleine Familie zerbrach und mein Sohn lebt bei seiner Mutter. Wir zwei Erwachsenen bleiben für ihn sein Elternpaar, darin sind wir uns einig. Sooft es geht, verbringe ich Zeit mit ihm. Ich hoffe, ich kann mir sein Vertrauen auch in den kommenden Jahren erhalten. Sein Fels in der Brandung sein für immer, das wäre schön.

Zunächst wünsche ich ihm, dass er die Schule gut hinbekommt. Er muss nicht der Beste sein, aber er soll gut zurechtkommen. Für die Naturwissenschaften braucht er allerdings einen anderen Nachhilfelehrer als seinen Vater. Er soll gesund bleiben und viel Freude haben. Keine geschenkte, hingegebene Freude, sondern selbst erarbeitete. Kämpfen soll er lernen.

Mein Sohn soll wissen, dass sein Vater und seine Mutter immer die stabile Basis sein werden, die er braucht, um durchs Leben zu kommen. Genauso wie meine Familie immer zur Stelle war, als ich sie brauchte. Ich habe viel gelacht in meiner Kindheit und eine Menge Spaß gehabt. Das will ich nicht missen. Aber danach gefragt, ob ich mir Gleiches für meinen Sohn wünsche, kann ich nur mit einem klaren „Nein“ antworten.

Ich erinnere mich noch gut an jene Zeit, in der sich die Prioritäten in meinem Leben noch einmal neu fanden. Als Hugo auf die Welt kam, stand mein 37. Geburtstag bevor. Da waren wir gerade mit „Holiday on Ice“ in Berlin, meine Freundin und ich wohnten damals zusammen in der Hauptstadt. Natürlich hatten wir schon ein Krankenhaus ausgesucht, um nichts dem Zufall zu überlassen. In besagter Woche lief ich jeden Tag Doppelshows mit unserem Programm. Abends war ich völlig ausgepowert. Dann, am Samstag, standen drei Durchläufe auf dem Programm: 9, 14 und 19 Uhr. Für den Sonntag galt der gleiche Zeitplan.

Am späten Samstagabend kündigte sich unser Sohn an; ich telefonierte völlig aufgelöst mit dem Krankenhaus und teilte dort mit, dass mir die Fruchtblase geplatzt wäre! Die Schwester in der Aufnahme des Krankenhauses nahm mich trotzdem ernst. Wir fuhren sofort los und ich befand mich wohl in der gleichen Verfassung wie jeder Mann in dieser Situation: hilflos, überfordert und trotzdem gut funktionierend.

Turbulente sieben Stunden später kam 6:35 Uhr unser Sonntagskind zur Welt; zur gleichen Uhrzeit wie 37 Jahre zuvor sein Vater. Ich hielt ihn im Arm, wenige unbeschreibliche Minuten lang – und fuhr dann zur ersten Sonntagsvorstellung in die Eishalle. Vor ausverkauftem Haus liefen meine Partnerin Mandy Wötzel von rechts und ich von links aufs Eis und wir glitten nach vorn. Nie kann ich diesen Augenblick vergessen und niemals habe ich einen schöneren Morgen erlebt. Mein Sohn war auf die Welt gekommen und mit diesem Wahnsinnsgefühl stand ich da, nach durchwachter Nacht mit einer Energie, die von irgendwoher aus dem Universum zu mir kam. Für einen winzigen Augenblick stand ich ganz still und bedankte mich für dieses große Geschenk. Ich erlebte diesen glückseligen Sonntag wie in einer Wolke.

Danach veränderte sich alles für mich, der kleine Knopf wurde zum Zentrum meines Universums. Aber ihm eine Jugend wie meine wünschen? Obwohl ich alles wieder genauso machen würde, wünsche ich es mir für meinen Jungen anders. Alles erleben, was mir geschah und wie es mir ergangen ist – nein. Sein Leben soll mehr Leichtigkeit haben, ohne dass er bequem wird. Mehr Heiterkeit, weniger Druck. Ich will sein Lachen hören, wenn ich mit ihm zusammen bin, sooft es geht.

Es wünscht sich wohl jeder für sein Kind, dass es glücklich ist, weil es jeden Vater, jede Mutter selbst glücklich macht. Ich denke, wenn Kinder nicht glücklich werden, finden deren Eltern auch kein Glück.

Wenn ich mit meinem Jungen zusammen bin, denke ich oft an mein Kinderleben, das so komplett anders verlief. So viel Ernst und Reglement. Zu wenig Zeit für unbeschwertes, einfaches Dasein. Bei allem Erfolg und in dem Wissen, dass ich aus mir selbst heraus immer ehrgeizig getrieben war, kam doch die Unbeschwertheit zu kurz. Ein wenig mehr Entspannung hätte mir sicher nicht geschadet und mir vielleicht schon in jungen Jahren etwas mehr Gelassenheit geschenkt. Manchmal denke ich, das hängt mir heute noch an.

Der Ernst des Lebens kommt früh genug. Wie mein Junge einmal leben wird, wo er seinen Platz findet, das ergibt sich aus seinem ureigenen Weg. Ich versuche ihm zu vermitteln, dass man im Leben nur sehr selten etwas geschenkt bekommt und für alles kämpfen muss. Ob mir das gelingt, weiß ich nicht. Bei meinen Sportlern gelingt mir das meist, aber meinem Sohn kann ich nur Vater, nicht Trainer sein. Vielleicht habe ich das Glück, dass wir uns nie aus den Augen verlieren. Ich möchte mein ganzes Leben lang an seiner Seite sein; mal von Nahem, mal aus der Ferne zuschauen. Ich verfolge seine Entwicklung sehr aufmerksam und bin gespannt, wie er durch die Jahre gehen wird, während denen er alles kompromisslos selbst ausprobieren muss. Stehen mir dann die Nackenhaare zu Berge? Ob ich ihn dann immer noch verstehen kann? Hört er mir dann immer noch zu?

Wir werden sehen.

3. Kapitel Erfolg erfordert harte Arbeit

Ich will sehen, wie du läufst


Ich weiß es noch, als ob es gestern war: Fünfjährig stand ich zum ersten Mal auf dem Eis. Die Halle, die Trainerin, alles stürzte, rauschte ganz ungewohnt auf mich ein. Hinter der Bande standen meine Eltern und schwitzten für mich mit. Laufen sollte ich.

„Lauf“, sagte die fremde Frau, die für lange Zeit meine Trainerin werden sollte. „Lauf und halte dich auf den Beinen – ich will sehen, was du kannst!“

Ich rang dem Eis mit Leichtigkeit ein erstes Stehen und ein vorsichtiges Gleiten ab. Das fühlte sich gut an. Das fühlte sich sehr gut an! Lag es daran, dass ich seit einiger Zeit auf Rollschuhen durch unsere den Rasen begrenzenden Straßen flitzte? Oder daran, dass in mir ein Bewegungstalent schlummerte?

Jedenfalls, der erste Versuch auf dem Eis fühlte sich großartig an wie Musik. Dann stolperte ich und fiel zum allerersten Mal aufs Eis. In diesem Augenblick liefen plötzlich wildfremde Mädchen und Jungen, sich eigenartig einig, im Kreis um mich herum und ließen mich nicht mehr durch. Kichern, Lächeln, Schadenfreude. Nun – damit, dass Kinder grausam sein können, haben wir alle im Laufe unseres Lebens Bekanntschaft gemacht. Da meinte ein anderer kleiner Steppke, er könne das viel besser als ich. Seit dieser Erfahrung weckt alles, was aussichtslos scheint, zu jeder Zeit meinen Ehrgeiz. Selbstmitleid ist nicht meine Stärke. Ich stand auf, putzte mir den Eisstaub von der Hose und dachte: „Denen zeigst du‘s!“ Und ich zeigte es ihnen.

In dieser Eishalle in Chemnitz, gleich in der Nähe der Autobahnauffahrt Chemnitz Mitte, habe ich fast 40 Jahre lang trainiert. Hinter dem kleinen Wäldchen führt ein Weg entlang zur Eissporthalle. Hier habe ich mein blaues Rad der Marke Diamant an die Hallenwand gelehnt und diese nach dem Training mit der Stirn berührt. Mich abgekühlt, obwohl ich aus der Kälte kam. Viel hat sich nicht verändert. Gleich nach der Wende wurde das Dach der Halle erneuert. Sobald genügend Geld zusammengekommen war, erhielt die Halle neue Heizungen und Eisleitungen. Ansonsten blieb beinahe alles beim Alten. Die Umkleideräume, in denen es immer noch riecht wie in allen Umkleiden der Welt. Und da ist diese ganz spezielle Kabine, die einst Katarina Witt gehörte und in der dann Mandy Wötzel und ich unser Domizil hatten. Für einige Jahre war es ein kleiner Klassenraum, den vor drei Jahren Aljona Savchenko bezog; wer weiß, wen er in den kommenden Jahren noch beherbergen wird.

Von den neu gebauten Tribünen überblickt man wie eh und je die Eisfläche. Nichts entzieht sich deinem Blick. Die Tafel, an die Termine, Zeitungsartikel und wichtige Informationen zum Trainingsalltag gepinnt werden, hängt immer noch.


Die Halle von heute unterscheidet sich kaum von ihrer früheren Beschaffenheit. Ich erinnere mich noch ganz genau, denn die Trainingshalle wurde mein zweites Zuhause.

In der Gruppe der kleinen Eisknirpse startete ich in die Welt des Eiskunstlaufs. Ich lief meine Runden vorwärts und lernte übersetzen, vorwärts und rückwärts. Vieles eigneten wir uns spielerisch an, bildeten zwei Riegen und flitzten um die Wette von einer Bande zur anderen. Wir probierten die ersten Pirouetten und versuchten, bei jeder Umdrehung einen ganz bestimmten Punkt zu fixieren. Wem es schwerfällt, beim Laufen verschiedene Bewegungen miteinander zu koordinieren, gewinnt beim Eiskunstlaufen keinen Blumentopf. Also lagen wir anfangs, zack, ständig auf unseren kleinen Hintern. Wir schwebten in der Waage übers Eis, solange wir konnten, und probten „Kanone“ und „Storch“. Wochenlang übten wir, auf einem Bein zu laufen. Wir zogen erste Schlingen, wagten die ersten, klitzekleinen Sprünge. Dann liefen wir nach Musik und sehr viel später präsentierten wir uns in ersten Wettkämpfen.


Körperlich brachte ich gute Voraussetzungen mit: Meine Arm- und Beinlängen befanden sich in der richtigen Proportion. Ich war nicht zu groß, nicht zu klein, weder zu schwer noch zu leicht. Meine Muskeln spielten gut mit und wuchsen, wie es sich gehörte. Ich war ein wendiger und athletischer Bursche mit der richtigen Portion Robustheit. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Bald standen erste Leistungsvergleiche an. Normen mussten erfüllt werden, um weiter trainieren zu können. Im Eiskunstlauf heißt es ja leider nur Hop oder Top; ich schaffte es meist erst im letzten Anlauf, die „Aufstiegsläufe“ gerade noch zu bestehen. Andere nicht.

Es dauerte zwei Jahre und ein halbes dazu, dann blieben von der ersten Eislaufgruppe ganze vier Kinder übrig. Nur zwei Mädchen und zwei Jungen konnten mit den gestiegenen Anforderungen mithalten, die anderen schieden aus. Die Prüfungen hatten es von Jahr zu Jahr mehr in sich. Anfangs mussten wir vorgezeichneten Runden und Schlaufen folgen, später kamen komplizierte Figuren dazu und verschiedene Sprünge: erst einfacher Lutz, dann doppelter; einfacher Toeloop und später der ganze Spaß doppelt gesprungen.

Nur dank der Eltern und Großeltern war das Training in jenen ersten Jahren überhaupt möglich. Schließlich brachten sie uns zum Training und holten uns auch wieder ab – und nicht alle besaßen ein Auto! Sie schnürten uns die Schlittschuhe zu und halfen uns in unsere Trainingsklamotten hinein.


Und genau wie beim Fußball stand während jedes Trainings eine ganze Horde Trainer hinter der Bande. Alle Mütter und Väter nahmen zwangsweise enormen Anteil an unserem jungen Sportlerleben; natürlich machten sie sich ihr Bild und fachsimpelten. Sie beobachteten ihre Sprösslinge und verglichen deren Chancen mit denen der anderen. Bald trainierten wir Knirpse ja immer ernsthafter und auch für unsere Eltern spielte nicht mehr nur die Logistik eine große Rolle.


Unsere Mütter schneiderten uns die Kostüme, als es mit den Leistungsvergleichen losging und die ersten größeren Wettbewerbe bevorstanden. Aus dunkelblauem Silastik entstand für mich ein toller Anzug. Dann schwebten wir kleinen Wichte scharf beäugt übers Eis. Ich habe den Eindruck, dass das geplante Training, mit Athletiktests, Ballett- und Eistests damals viel umfangreicher war als heute. Natürlich auch weil der Sport vor 30, 35 Jahren im Osten Deutschlands eine ganz andere Bedeutung besaß. Mit ihm konnte man dem grauen Alltag entfliehen. Hier sahen wir die Welt- und Europameister im Training hautnah auf dem Eis und wurden immer wieder angestachelt, uns zu recken und zu strecken. Wir hatten immer unsere kleinen Ziele und mussten bestimmte Normen erfüllen, um dann irgendwann festzustellen, dass wir Blut geleckt hatten und wirklich dabei waren. Im Vergleich mit anderen jungen Eiskunstläufern aus der ganzen Welt begriffen wir, dass wir infolge der strengen Ausbildung und auch der zahlreichen jährlichen Leistungstests etwas auf dem Kasten hatten.

tkcl

Von Pflicht und Spiel

All die Jahre dort verbrachte ich gemeinsam mit Nils – dem Jungen, der, als ich in die Trainingsgruppe einstieg, sehr froh war, endlich einen kleinen männlichen Sportler neben sich zu wissen. Fast zehn Jahre sollte man uns zusammen trainieren sehen. Und nicht nur das! Wir verzapften jeden nur vorstellbaren Unsinn, übertrafen einander mit unseren Vorschlägen. Wir sorgten dafür, dass unsere Übungsleiter uns immer gut im Auge haben mussten. Max und Moritz auf dem Eis! Und wenn wir keinen gemeinsamen Streich ausheckten, nahmen wir Kobolde uns gegenseitig ins Visier.

Später waren wir zwei leistungsorientierte Jungen, die begabt genug waren, um zu guten Einzelläufern heranzuwachsen. Wir liefen miteinander übers Eis, folgten gemeinsam den Anleitungen der Trainer und hielten verschworen zusammen, wenn wir, nun 12-, 13-, 14-jährig, versuchten, uns gegen sie aufzulehnen. Als gleichaltrige Platzhirsche stritten wir damals auch viel miteinander. Man darf davon ausgehen, dass es unsere Trainer wahrlich herausforderte, uns beide an der Leine zu halten und unsere Streitereien zu schlichten. Ich will gar nicht wissen, wie viele Nervenstränge wir Streithähne damals kappten.

Vielleicht hätten es uns andere pädagogische Methoden leichter gemacht, Schule, Eislauf und Pubertät miteinander zu verbinden. Vielleicht würde heute manches anders laufen. Aber vielleicht auch nicht, denn Jutta Zickmantel, meine erste Trainerin, und der von uns allen so geschätzte Peter Meyer gaben sich wirklich große Mühe. Es kann gut sein, dass ich unter heutigen Trainingsbedingungen gar nicht so weit gekommen wäre. Ich weiß es nicht, denn ich trainiere fast ausschließlich Erwachsene.

Mancher Trainer kann trotz allem Übungspensum sehr herzlich sein. Ein anderer bleibt kühl und eher unverbindlich.

Ich weiß, dass man mit Kindern und Jugendlichen besonders einfühlsam und geschickt arbeiten muss. Sollte ich jemals eine Rasselbande kleiner, frecher Jungs unterweisen, werde ich versuchen, mich an mich zu erinnern. Monika Scheibe zum Beispiel macht das heute sehr gut in Chemnitz. Die Kinder mögen und achten sie. In dieser Mischung trainiert es sich angenehm und vor allem erfolgreich.

Doch wen wundert‘s, dass junge Burschen, die täglich Gewichte stemmten, Ausdauerläufe schrubbten und auf dem Eis ausgebildet wurden, den Regeln mal trotzen wollten? Also „überraschten“ wir unsere Betreuer immer wieder, indem wir Absprachen schlichtweg übersahen. So selbstverständlich sich mir das aus heutiger Sicht darstellt, so sehr brachte es mich damals in Schwierigkeiten. Dabei haben wir einfach nur Blödsinn gemacht; obwohl wir auf dem Eis tanzten, blieben wir doch die Löwenjungen, die wahlweise anderen oder sich gegenseitig die Tatzen immer mal wieder ins Fell krallen mussten.

Aber nicht nur mit Nils trieb ich Schabernack. Ich erinnere mich an einen Lehrgang. Zwölfjährig, schliefen wir in diesen Tagen im „Chemnitzer Hof“ und brauchten nach all der grauen Theorie unseren Auslauf. Das Zimmer, das ich damals mit Alexander König teilte, lag über einem Taxistand, und mit großer Freude und außerordentlichem Geschick feuerten wir Wasserladungen auf die Wartenden. Wir besaßen Augenmaß und Durchhaltevermögen – bis ein Taxifahrer, der uns zuvor mehrfach drohte, dafür sorgte, dass wir in der Hotellobby landeten. In unseren Schlafanzügen standen wir dort, das Portemonnaie in der Hand, um unsere Schulden zu begleichen, und erwarteten das Abstrafen. Aber nichts geschah; wir wurden nur verwarnt.

Nils und ich verbrachten fast unsere gesamte Eislaufjugend zusammen. In unserer Gruppe wechselte zwar die Anzahl der Mädchen, mal waren es zwei, mal drei. Wir beide aber blieben die männlichen jungen Hoffnungsträger. Mal Rabauken, mal freundliche Schlingel, immer etwas im Hinterstübchen ausheckend. Keinem Trainer fiel es leicht, uns zwei Jungs zu bändigen. Wir mussten dem streng durchgeplanten Alltag unsere Frechheiten entgegensetzen, um ihn zu ertragen. Früh 8 Uhr begann das Pflichttraining in der Eishalle. Nils und ich trafen uns eine Stunde früher im davor gelegenen Wald. Eine kleine Höhle war unser Paradies. Dort schenkten wir uns ein Stückchen ganz normale Kindheit und übernahmen die Hauptrollen unserer Geschichten. Der eine gab den Räuberhauptmann, der andere den wilden Jäger; unser Wäldchen wurde zum Wald, in dem Robin Hood zu Hause war. Für eine kurze Zeit versanken wir ins Spielen wie alle Jungen auf der Welt in diesem Alter.

Dann begannen jeden Morgen zwei Stunden Pflichttraining. Ödes, sterbenslangweiliges Üben. Zwei Stunden lang liefen wir nur Schlingen und Kreise, absolvierten „Dreier“ und lernten, uns abzustoßen ohne nachzustoßen. Über diese monotonen Wiederholungen erlernten wir das ABC des Eiskunstlaufens. Das sogenannte Kantenlaufen, das heute nicht mehr intensiv geübt wird und damit keine abrufbare Fertigkeit der Eiskunstläufer mehr ist. Ich als Trainer bedauere das sehr. Der Wechsel von Einwärtskante auf Auswärtskante und umgekehrt muss ja beherrscht werden, wenn man als Läufer Schritte auf dem Eis macht.

Jüngere Sportler, wie beispielsweise Aljona, haben diese Schule nicht durchlaufen und kennen viele Begriffe wie „Gegenwende“ und „Gegendreier“ nicht. In meiner Jugend gehörte das zum Einmaleins des Eiskunstlaufens. Maximal zogen damals sechs Sportler ihre Kreise auf dem Eis, jeder an seinem Ort. Mehr konnten in einer solchen Übungseinheit nicht zusammen trainieren. Damals war das kein Problem, denn das Eis „kostete“ nichts; heute schlägt der Zwang zur Effizienz zu. Für Trainer sind solche Übungsstunden einfach unrentabel.

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Hacim:
323 s. 140 illüstrasyon
ISBN:
9783906212630
Yayıncı:
Telif hakkı:
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