Kitabı oku: «Carl Friedrich von Weizsäcker», sayfa 2

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Lebenstationen, Grundhaltungen und Wirkungen

Weizsäcker war in erster Linie Physiker, aber auch Philosoph und Friedensforscher. Obwohl er mit Leib und Seele Wissenschaftler war, engagierte er sich doch auch mit großer Kraft für politische Ziele. Als Philosoph erkannte er früh die Notwendigkeit eines umfassenden Bewusstseinswandels. Von ganz eigenständigem Wert und vielleicht wichtiger als alle tagespolitischen Bemühungen der Berufspolitiker sind seine tiefsinnigen Anregungen für eine Weltinnenpolitik. Frei von jeglichen spekulativen Tendenzen, war Weizsäcker davon überzeugt, dass eine übergeordnete politische Vision durchaus notwendig ist. Mit deutlichen Worten zeigte er auf, was im globalen Interesse geschehen müsse, um eine friedliche, lebenswerte Zukunft zu sichern. Dabei verzichtete er darauf, die mögliche, ja aus seiner damaligen Sicht wahrscheinliche Zukunft im Detail auszumalen. Seine sehr vorsichtige Form einer „Vision“ war getragen von einer fundamentalen Analyse aller relevanten Fakten und Problemlagen. Was er herausfand, ist trotz der veränderten und scheinbar immer rascher fortschreitenden weltpolitischen Voraussetzungen von verblüffender Aktualität. So bilden Weizsäckers Überlegungen und Anregungen im Bereich der Weltpolitik, zumal in der Friedensforschung, ein wertvolles Vermächtnis an die Nachwelt.

Von religiösem Empfinden und klarem Denken gleichermaßen tief geprägt, vertrat Weizsäcker einen hohen moralischen Anspruch. Er legte den Finger in die Wunde, übte mutig Kritik, wollte aber niemanden verletzen. In vorbildlicher Denkweise, liberal und philosophisch, gab er niemals vor, im Besitz einer letztgültigen Wahrheit zu sein. Es lag ihm deshalb auch fern, anderen seine Erkenntnisse aufzuzwingen. Er zielte vor allem auf ein eigenständiges Mitdenken seiner Ansprechpartner ab.

Weizsäcker maß sich nicht an, ein völlig neues Gesellschaftssystem zu empfehlen, hielt es nicht einmal für sinnvoll, ein solches auszuarbeiten. Stattdessen mahnte er die mögliche, allein schon durch die Vernunft gebotene Umsetzung einer universellen Ethik an. Dieses Wertesystem wies bei ihm allerdings unverkennbar starke urchristliche Züge auf. Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden hatten in Weizsäckers Ethik einen außerordentlich hohen Stellenwert. Nächstenliebe kann man kaum durch Predigten erzeugen, man muss sie selbst empfinden und praktizieren. Genau das konnte man Weizsäcker deutlich anmerken, in seinen Vorträgen und mehr noch im persönlichen Gespräch. Schon seine Stimme, ihr warmer Tonfall, ließ kaum Zweifel über das innerste Wesen dieses Mannes aufkommen. Die Menschenliebe war in der Tat Weizsäckers stärkste Kraft, welche seine geistigen Energien harmonisch bündelte.

Oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, der Erfolg wäre ihm in die Wiege gelegt worden. Geboren in einer sehr angesehenen Gelehrtenfamilie, wohl behütet, liebevoll erzogen und nach Kräften im Talent gefördert, war der Weg sicher gut vorbereitet. Doch es waren höchst unsichere Zeiten. Schicksalhafte Einflüsse, unvorhersehbare Ereignisse, die Weltwirtschaftskrise 1929 und die Wirren der beiden Weltkriege konnten so manchen Lebensweg nachhaltiger bestimmen als eine noch so gute Bildung. Das altdeutsche Schulsystem wies ohne Zweifel ganz besondere Härten auf, die mit den heutigen Anforderungen schwer vergleichbar sind. Für eine gute Bildung mussten erhebliche Widerstände überwunden werden, durch großen Fleiß, starke Willenskraft und Eigeninitiative. Weizsäckers Weg verlief auch aus einem anderen Grund nicht einfach, denn der Vater war im diplomatischen Dienst tätig und wurde häufig versetzt. Fünfmal musste Carl Friedrich die Schule wechseln, sich auf ganz verschiedene Schultypen einstellen, im In- und Ausland. Schließlich legte er in Berlin das Abitur ab, mit durchwegs guten Noten. Vom Intellekt her bereitete ihm keines der Schulfächer Schwierigkeiten, wobei sich jedoch eine besondere Begabung für Physik und Mathematik schon früh abzeichnete.

Ein Diplomat verdiente damals nicht so viel, wie man meinen könnte, und die Familie empfand sich ganz und gar nicht als reich, erst recht nicht zu jener Zeit, als man in einer wenig komfortablen Berliner Altbauwohnung lebte.

Zu wissen, was man will, kann bereits eine gute Basis für den erfolgreichen Lebensweg sein. Beim jugendlichen Weizsäcker kam dieses „Geschenk“ in Form einer denkwürdigen Begegnung – mit Werner Heisenberg. Weizsäcker war erst vierzehn Jahre alt, als er den späteren Nobelpreisträger zum ersten Mal traf, doch da er bereits einen brillanten Intellekt entfaltet hatte, wurde es ein mehrstündiges Gespräch. Heisenberg überzeugte ihn davon, Physik zu studieren, nicht Philosophie oder womöglich Theologie. Vielseitige Anlagen und Interessen waren in Weizsäcker von früher Kindheit an vorhanden. Daher wollte der junge Mann zuerst Sternenkundiger werden, aus purer Begeisterung für die Größe des Weltalls, mit einem religiös geprägten Empfinden für die unfassbaren Geheimnisse des Kosmos.

Weizsäcker wurde Physiker, mit all den Verwicklungen, die durch die zeitgeschichtlichen Umstände bedingt waren. In der Nachkriegszeit warf man ihm und Heisenberg vor, sich nicht entschlossen genug vom Nazi-Regime distanziert, sich gar mit den Machthabern allzu bereitwillig arrangiert zu haben. Richtig ist dagegen: Carl Friedrich von Weizsäcker war nie konkret an der Entwicklung einer atomaren oder sonstigen Waffe beteiligt, weder theoretisch noch praktisch. In der Tat kam er nie in die furchtbare Zwangslage einer konkreten Gewissensentscheidung, denn die technischen Möglichkeiten und die notwendigen Rohstoffe zur Herstellung einer Atombombe waren während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland nicht gegeben.

Weizsäcker war ein sehr junger Physiker, und der einzige Fehler, den er sich selbst später eingestehen musste, war eine gewisse politische Naivität. Seine moralische Integrität jedoch steht außer Zweifel, wenn man seine Beweggründe und seinen Charakter genauer kennt.

Was für eine Persönlichkeit war der Mensch Carl Friedrich von Weizsäcker? Es wäre völlig verfehlt, ihn nur als Physiker, als unerhört klugen und ehrgeizigen Forscher zu sehen.

Die Existenz der Atombombe hatte die Welt für immer verändert. Jede Form der künftigen Außen- und Weltpolitik würde unter diesem Damoklesschwert ihre Entscheidungen treffen müssen. Den Frieden zu bewahren, war nunmehr das wichtigste Anliegen der Menschheit. Aber reichten die rüstungspolitische Vernunft und das politische Durchsetzungsvermögen der Machthaber dafür aus? Wann würden endlich jene internationalen politischen Strukturen entstehen, die Weizsäcker dringend anmahnte, damit der möglicherweise alles vernichtende Atomkrieg verhindert werden konnte? So intensiv wie kaum ein anderer beschäftigte sich Weizsäcker wissenschaftlich mit diesen lebenswichtigen Fragen. Es galt, jede Spur von Naivität abzulegen und der Gefahr ins Auge zu sehen. Tatsächlich gelang es Weizsäcker in jahrelanger mühevoller Arbeit, sich eine umfassende rüstungspolitische Kompetenz anzueignen und gangbare „Wege in der Gefahr“, so sein Buchtitel aus dem Jahr 1976, aufzuzeigen. Spätestens in den Siebzigerjahren, als Direktor eines interdisziplinär forschenden Instituts, sollte er sich ein außerordentliches Fachwissen im Bereich des politischen Handelns, vor allem die theoretischen Hintergründe betreffend, gezielt aneignen. Er begann, konkreten Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen und reale geistige Macht auszuüben, denn über die Jahre war er zum gefragten Ratgeber aufgestiegen. Bundeskanzler Willy Brandt wandte sich mehrmals an ihn.

Weizsäcker war ein Weltbürger. Er nahm an zahllosen Konferenzen teil und suchte das intensive Gespräch mit Fachleuten. Zeitlebens führte er eine erstaunlich umfangreiche Korrespondenz mit hochrangigen Politikern und Staatsoberhäuptern, Philosophen und Schriftstellern. Mit Henry Kissinger verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis. Mit der geistigen Elite Deutschlands und einigen kirchlichen Würdenträgern stand er in regem Austausch, so etwa mit Martin Buber, dem pazifistischen Rebellen Gollwitzer oder dem theologischen Querdenker Hans Küng. Er setzte sich bei Tschernenko eindringlich für die Freilassung des sowjetischen Regimekritikers und Friedensnobelpreisträgers Andrei Sacharow (1921-1989) ein. Sogar mit Erich Honecker gab es einen Briefwechsel.

Heinrich Böll wollte 1972 die Entspannungspolitik aktiv unterstützen und schlug Weizsäcker vor, sich in Brüssel zu treffen, doch dieser war für spontane Aktivitäten nicht zu haben. Seine Begründung: Mangelnde Vorbereitung und öffentliche Erklärungen, die nicht ausreichend durchdacht sind, schaden nur der Sache.

Mit Martin Heidegger, den er bereits 1935 kennengelernt hatte, traf er sich regelmäßig zu ausgiebigen philosophischen Debatten; auch dem illustren Gesprächszirkel der früheren griechischen Königin wohnte er seit 1960 viele Jahre bei. Dies alles verschaffte ihm einen geistigen Horizont, ein weltpolitisches Wissen und eine profunde Menschenkenntnis, die nur wenige Menschen auf der Welt besitzen. Er war wissenschaftlich, geistig, politisch und gesellschaftlich auf der Höhe des Geschehens.

Zweimal, 1964 und 1979, hatte Weizsäcker selbst die Gelegenheit, aktiv in die Politik einzusteigen und für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. Er lehnte aus persönlichen Gründen ab. 1979 trugen SPD und FDP die Kandidatur an ihn heran, bedrängten ihn förmlich, allerdings erst sechs Tage vor dem Wahltermin. Das zeugt von sehr schlechtem Stil. Weizsäcker reagierte mit sicherem Instinkt, war nicht dazu bereit, der Koalition lediglich aus einer Verlegenheit zu helfen. Bereits 1964 hatte Helmut Schmidt vertraulich mit ihm gesprochen, aber eine prompte Ablehnung erhalten; denn zu jener Zeit ging es beruflich nicht. Die Wissenschaft hatte nach seiner innersten Überzeugung klaren Vorrang.

Als Bundespräsident zu wirken, wäre selbstverständlich eine hohe Ehre und ein weites Betätigungsfeld gewesen, zumal für einen philosophisch hochgebildeten Mann mit unzweifelhafter Moral, feinem diplomatischen Spürsinn und noch dazu großer sprachlicher Ausdruckskraft. Sicher hätte er sich nicht hinter formellen Zwängen versteckt, sondern auch mutig die notwendige Kritik angebracht. Diese Aufgabe übernahm von 1984-1994 Richard von Weizsäcker – in hoch respektierter Art und Weise. Der ehemalige Berliner Bürgermeister füllte das Präsidentenamt mit Bravour aus, so dass gewissermaßen „der Ruhm in der Familie blieb“.

Carl Friedrich von Weizsäcker trat nie in eine Partei ein, wurde aber mehrfach für die SPD aktiv. Obwohl er sich selbst als skeptischen Konservativen einordnete und seine Herkunft weder leugnen konnte noch wollte, fand er anfangs die bürgerliche Welt durchaus fragwürdig. Jeglicher Fanatismus lag ihm fern, was ein unabhängiges Urteilen möglich machte.

Weizsäckers Rolle als Friedensforscher und Rüstungsgegner ist weitreichend gewesen und hatte Bedeutung für Deutschland und Europa. Die Erklärung einiger hochkarätiger Wissenschaftler, der „Göttinger Achtzehn“ im Jahr 1957, bewirkte letztlich, dass Adenauer auf die atomare Rüstung Deutschlands verzichtete. Weizsäcker hat den überaus klaren und eindringlichen Text der Erklärung maßgeblich selbst verfasst, nach Rücksprache mit den berühmten Unterzeichnern. Es war seine erste große politische Aktion – und eine der wirkungsvollsten seines Lebens. Sie bot Gelegenheit, seine hochstehende Ethik in der Praxis zu demonstrieren. Wie er selbst rückblickend feststellte, ging es ihm und den Physiker-Kollegen keineswegs nur um die deutschen Belange, sondern um „einen Schritt in Richtung der Nichtverbreitung der Kernwaffen“.6 Das ethisch motivierte weltpolitische Anliegen schwang in der Erklärung deutlich mit und wurde auch von der Öffentlichkeit genau so aufgefasst.

Weizsäckers beruflicher Aufstieg zeichnete sich sehr früh ab: Promotion mit einundzwanzig, Habilitation mit vierundzwanzig, erfolgreiche Betätigung als Grundlagenforscher auf dem noch neuen Gebiet der Kernphysik, Lehrtätigkeiten als Professor für Physik, später auch im Fach Philosophie. Persönlich und beruflich bedeutsam ist die enge Zusammenarbeit, ja Freundschaft mit Werner Heisenberg. Schon in jungen Jahren hatte er ständigen Kontakt mit Nobelpreisträgern, und dies setzte sich bis weit in die Fünfzigerjahre fort. Praktisch die gesamte Riege deutscher und auch ausländischer Nobelpreisträger im Fach Physik (z.B. Max von Laue, Max Born, Niels Bohr), teilweise auch im Fach Chemie (z.B. Peter Debeye, Otto Hahn), war ihm durch persönlichen Umgang bekannt. Niels Bohr ragte in gewisser Weise heraus, denn er war der wahrhaft entscheidende Gesprächspartner, um die weitreichenden Konsequenzen der Quantentheorie besser zu verstehen. Der dänische Atomforscher war, ebenso wie Weizsäcker, gerade an den philosophischen Konsequenzen der physikalischen Entdeckungen sehr interessiert. Bohrs Denkansätze wirkten so nachhaltig auf Weizsäckers gesamte Physik- und Naturauffassung, dass dieser die persönliche Begegnung im Jahr 1932, vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, als die zweitwichtigste nach Heisenberg empfand.

Schon in der Entwicklung der wegweisenden Quantentheorie wirkte Weizsäcker an der vordersten Forschungsfront mit. Die genialen Forscher jener Zeit inspirierten sich oft gegenseitig. Eine vergleichbare wissenschaftliche Revolution wie in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, als die Quantentheorie entstand, hat es seither in der Physik nicht mehr gegeben.

Weizsäcker, der nach der Ganzheit des Wissens strebte, boten sich vielfältige Möglichkeiten und Kontakte. Nur Einstein hat er nie kennengelernt, obwohl er die zufällige Begegnung in Berlin insgeheim erhoffte. Sie wäre durchaus möglich gewesen, zumal sein Wohnort ganz in der Nähe lag.

1939 bis 1945 (Zweiter Weltkrieg)

Bei Kriegsbeginn, am 1. September 1939, war Weizsäcker bereits zweifacher Familienvater. Knapp einen Monat zuvor hatte sich der emigrierte Albert Einstein durch Unterschrift auf einem brisanten Brief Leo Szilards an den amerikanischen Präsidenten gewandt. Der Briefschreiber drängte darauf, den Bau einer Atombombe zu veranlassen, um mit der sich abzeichnenden Bedrohung durch das Dritte Reich fertig zu werden. In Deutschland ahnte niemand etwas davon, schon gar nicht von den realen Konsequenzen dieses Appells. Selbstverständlich blieb das „Manhattan-Projekt“, wie man das forcierte atomare Forschungs- und Rüstungsprogramm der USA seit 1942 bezeichnete, streng geheim.

Weizsäcker wurde bereits im Herbst 1938 dem Heereswaffenamt in Berlin unterstellt, wie Heisenberg und andere Fachkollegen. Sein bisheriger Arbeitsplatz am ehrwürdigen Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik blieb bestehen, doch nun sollte hier die (militärische) Nutzbarmachung der Kernspaltung erforscht werden. Als Ziel wurde eine kontrollierte Kettenreaktion in einem Uranbrenner vorgegeben. Im Erfolgsfall hätte dies fraglos auch friedfertigen Zwecken dienen können, allerdings waren die näheren Umstände eindeutig: Man forderte von den Forschern ganz konkret, die Möglichkeiten zum Bau einer Kernwaffe abzuschätzen.

Außenstehende können kaum begreifen, dass ausgerechnet Weizsäcker, der philosophisch denkende, friedliebende und mit moralischem Feingespür begabte Wissenschaftler, sich daran beteiligte. Auch Werner Heisenberg, der bis 1942 in Leipzig tätig war, wirkte beim „Uran-Projekt“ mit. Otto Hahn wies eine Beteiligung 1939 schroff zurück. Er antwortete mit persönlicher Entrüstung, drohte gar mit Selbstmord, falls Hitler die Verfügungsgewalt über eine Atombombe erhielte. Er hätte diese Konsequenz als seine persönliche Schuld empfunden! Wie konnte ein moralisch empfindender Wissenschaftler 1939 reagieren? Welche Position war die vernünftige? Bei Weizsäcker war die Gemengelage aus rationalen und irrationalen Motiven offensichtlich komplex. Auswandern kam für ihn allerdings überhaupt nicht in Frage. Es gab sicher keine Absicht, die Atombombe zu bauen, aber auch keinen verschwörerischen Plan, es gegebenenfalls zu verhindern.

Einzelne Beweggründe herauszugreifen, wird der Komplexität der Lage nicht gerecht. Auffällig ist nur Weizsäckers Entschlossenheit, unter offenkundig militärischem Auftrag weiter zu forschen, sie ist eine unzweifelhafte Tatsache. Es bestand die erhebliche Gefahr, Hitler in den Besitz einer Atombombe zu bringen, und dies wurde von den Beteiligten anscheinend in Kauf genommen. Die wissenschaftliche Neugier war sicher ein gewichtiger Grund, aber es gab möglicherweise noch ein stärkeres, wenngleich nur halbbewusstes Motiv: Weizsäckers Vorstellung, mithilfe der künftigen Bombe, deren Entwicklung in Anbetracht des weltweiten wissenschaftlichen Fortschritts ohnehin nicht mehr zu verhindern war, könne die Menschheit schließlich die Institution des Krieges endgültig abschaffen, einfach deshalb, weil sie unter dieser immens zerstörerischen Bedrohung dazu gezwungen sein würde. Natürlich setzte dieses Gedankenspiel ein Obsiegen der Vernunft voraus, was angesichts der weltpolitischen Lage äußerst zweifelhaft erscheinen musste.

1946 bis 1957

In der Zeit von 1946 bis 1957 widmet sich Carl Friedrich von Weizsäcker noch intensiver als bisher der Physik, nämlich als Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut in Göttingen und zusätzlich als ordentlicher Professor für Physik an der Göttinger Universität. Seine fast einjährige Internierung, vor allem das letzte halbe Jahr in Farm Hall (England) bis März 1946, hatte allerdings Spuren hinterlassen, nicht aufgrund auszuhaltender Härten, sondern weil genügend Zeit war, um über den grauenvollen Krieg und die eigene Rolle im Nazi-Deutschland nachzudenken. Wie Weizsäcker sich selbst eingestehen musste, überstiegen die Ereignisse seine „intellektuelle Verarbeitungsfähigkeit“,7 Trotz bewusster geistiger und ethischer Distanz übte Hitler eine mysteriöse Anziehungskraft auf ihn aus, wobei besonders seine Gabe beeindruckte, dem verzagten Volk wieder Hoffnung zu geben inmitten des niederdrückenden wirtschaftlichen Elends in den frühen Dreißigerjahren. Man muss dies richtig verstehen: Für Weizsäcker stand zweifelsfrei fest, dass es sich in der Person Hitlers um einen gefährlichen Scharlatan, einen menschenverachtenden Rassisten, Kriegstreiber und Verbrecher handelte, den Weizsäckers Vater zutiefst hasste und dem auch der Sohn durchaus reserviert gegenüberstand. Aber der Diktator schien „irgendeine Mission8 zu haben.

Ahnungen und unklare Wahrnehmungen waren zwischen 1933-1945 derart vorherrschend, dass die gebotene „rationale Nüchternheit“ erst nachträglich neu erlernt werden musste. Nach Weizsäckers eigener Aussage blieb sein geistiges Verhältnis zu den politischen Zeitproblemen, ja seine gesamte Vorstellung von Politik überhaupt, bis 1952 eher unscharf. Ernst von Weizsäcker, der seinen ältesten Sohn schon als Kind spielerisch und doch sehr gründlich in politischer Theorie unterwies, riet ihm einmal rundheraus, möglichst nicht in die Politik zu gehen.

1945 spürt Weizsäcker deutlich die kollektive Selbstverblendung, die nach Kriegsende in Deutschland weiter andauert. Was offensichtlich fehlt und dringend nachgeholt werden muss, ist eine intensive, heilsame Trauerarbeit. Wer die historischen Fakten leugnet oder nicht anzuschauen bereit ist, kann seine eigene Schuld nicht erkennen. In der Konsequenz wird so auch die Arbeit am notwendigen Bewusstseinswandel verweigert, was für die kulturelle Entwicklung ein ausgesprochenes Hemmnis darstellt. Verdrängung ist ein politisch eminent gefährliches Problem. Neue Krisen sind vorprogrammiert. Dies sind wichtige Überzeugungen, die zu jener Zeit in Weizsäcker heranreifen.

1950 reist er in die USA und stattet der Quäker-Universität in Haverford (Pennsylvania) einen Besuch ab. Von Professor Douglas Steere, den er als Freund bezeichnet, ist er tief beeindruckt, denn dieser Mann ist offenbar ein lebendes Beispiel dafür, wie glücklich eine strikte Glaubensauslegung gemäß der Bergpredigt und das furchtlose, unbeirrte Praktizieren dieses Glaubens machen können. Gern hätte er ebenfalls der inneren Stimme gehorcht, aber zu einem solchen Schritt, die angestammte Zugehörigkeit zu seiner lutherischen Kirche einfach aufzugeben, ist er dann doch nicht bereit. Außerdem ist er davon überzeugt, dass auch die modernen Quäker kaum etwas Konkretes zur Rettung der Welt beitragen können.

Weizsäcker erfuhr viel von den Gräueltaten der Nazis. So verzichtete er auch konsequent auf die gängige Schutzbehauptung, nicht gewusst zu haben, was an Unrecht tatsächlich geschehen war. Zur relativ schonungslosen Selbstkritik gehörte der leise Vorwurf, den er gegen sich erhebt, als die Wahrheit über Auschwitz bekannt wird: „… ich hätte es ja wohl erfahren können. Aber man war ja auch in der Selbstverteidigung begriffen.“9 Auch Weizsäcker war letztlich nicht frei davon, während der Aufarbeitung des Erlebten zugleich nach geeigneten Gründen zu suchen, die ihn entlasten und das eigene Verhalten rechtfertigen konnten. Doch eins wurde ihm allmählich vollkommen klar: Er hatte den Nationalsozialismus zwar überlebt, aber noch längst nicht bewältigt.

Sich seiner Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Oberschicht sehr bewusst, erkennt Weizsäcker das widersprüchliche Problem, dass man trotz aller moralischen Bedenken mit den Nazis zusammenarbeitete. Für dieses Phänomen gibt er zwei Gründe an: „Bewahrung des Bestandes“ und „Hoffnung auf eine Änderung“. Wohl ahnend, dass diese Motive seinen Stand in wenig schmeichelhaftem Licht erscheinen lassen, schiebt er den Hinweis nach: „Einige aus dieser Schicht haben sich dann zum aktiven Widerstand entschlossen, bis zum Opfer der eigenen Person; diese, zu denen ich persönliche Beziehungen hatte, habe ich hoch geachtet, aber ich habe mich ihnen nicht angeschlossen.“10

Ernüchtert von der Gewissensklärung, kommt bald ein neuer politischer Wille zum Vorschein. Allerdings scheitert Weizsäcker zunächst noch an der harten Realität. Nicht zuletzt machen ihm sein immenses Arbeitspensum und die Zersplitterung seiner vielen Interessen sehr zu schaffen. „Ich fühlte einen Auftrag, etwas für eine radikale Veränderung zu tun, aber ich fand die Kraft nicht in mir vor.“11 Er gerät in eine längere Phase depressiver Verstimmungen, die erst 1952 endet. Ausschlaggebend war eine schmerzhafte, aber offenbar sehr heilsame persönliche Krise, eine sogenannte „midlife crisis“, wie er es selbst nannte. Der feste Entschluss, sich auf die familiären und beruflichen Pflichten zu beschränken, zugleich die bewusste Aufgabe einiger bislang gehegter „Größenträume“, machten den Weg frei für reale Erfolge.

1954 gelingt es Weizsäcker, in der Deutung der Quantentheorie einen entscheidenden Durchbruch zu erzielen. Diesem wissenschaftlichen Erfolg folgt 1957 mit der „Göttinger Erklärung“ auch die politische Wirkung.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
292 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783861910329
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