Kitabı oku: «Blaue Diamanten», sayfa 4

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„Mühldorf hat ein hässliches Entlein als Chefin? Das ist nicht euer Ernst!“ Kleinert lachte laut, aber er war der einzige, der lachte. „Frauen haben in unserem Job nichts verloren. Sie sind und bleiben das schwache Geschlecht. Was soll dieser Mist mit der Frauenquote? Frauen sollen hübsch sein, Kinder kriegen und das Haus sauber halten, das ist meine Meinung und dazu stehe ich. Jeder sollte nach seiner Veranlagung und seinen Begabungen seinen Platz finden. Und Frauen gehören nun mal nicht zur Polizei!“ Kleinert sah in die Runde und blickte in betretene Gesichter. „Kommt Leute, jetzt tut doch nicht so, als denkt ihr nicht genauso.“

„Ich dachte mir schon, dass Sie von vorgestern sind,“ sagte Tatjana äußerlich ruhig, obwohl sie innerlich kochte. „Sie sind ein richtiger Neandertaler. Wir müssten uns eigentlich glücklich schätzen, dass wir eine so seltene Ausführung bei uns am Tisch sitzen haben. Wie sieht es aus? Waren Sie heute schon auf der Jagd und haben mit Ihrer Keule Wild erlegt?“

Jetzt lachten alle über Kleinert. Jeder einzelne machte Witze auf seine Kosten, die er überhaupt nicht lustig fand. Irgendwann war es ihm zu dumm und er ging an die Bar. Er wurde von den anderen isoliert und er gab Tatjana die Schuld dafür. Sein Hass auf die Frau, die ihn von oben herab behandelte, stieg. Leo gefiel das überhaupt nicht. Kleinert war einer von den Menschen, die sich viel zu wichtig nahmen und die explodieren konnten, wenn man sie zu sehr reizte.

Am nächsten Tag ging es los. Alle waren überrascht, dass Leo heute einen Anzug und ein einfarbiges Hemd anhatte, nur auf seine altbewährten Cowboystiefel konnte er nicht verzichten. Warum auch? Krohmer sprach nur von angemessener Kleidung, von den Schuhen hatte er nichts gesagt. Auch Tatjana sah heute völlig anders aus und war kaum wiederzuerkennen. Kleinert würdigte sie keines Blickes und setzte sich zum Frühstück demonstrativ an einen anderen Tisch.

Die EU-Energieminister flogen ein und der Autokorso vom Flughafen zur Bayrischen Staatskanzlei verlief reibungslos. Die Besprechung in der Staatskanzlei begann hinter verschlossenen Türen höflich, wurde im Laufe der Zeit immer heftiger, teilweise wurde sogar gestritten. Der Inhalt wurde von den Polizisten nicht wahrgenommen. Sie achteten auf jede Kleinigkeit und jede Regung der Teilnehmer, und ließen die EU-Minister nicht eine Sekunde aus den Augen. Kleinert erwies sich trotz seiner ätzenden Persönlichkeit als guter Polizist, obwohl er Tatjana immer verächtlich ansah. Sie reagierte nicht, sondern behandelte Kleinert wie Luft, was ihn noch mehr verärgerte. In den wenigen Pausen, in denen sich die Polizisten unterhalten konnten, wurde Kleinert isoliert. Niemand wollte mit ihm zu tun haben, was er abermals Tatjana ankreidete.

„Irgendwann bist du dran,“ sagte er von den anderen unbemerkt zu ihr. „Ich erwische dich ohne deine Kollegen, dann werden wir sehen, was du drauf hast. Gegen mich hast du keine Chance.“

„So ein kleines Würstchen schaffe ich mit links,“ sagte Tatjana laut und lachte, obwohl sie jetzt Angst vor Kleinert bekam. Er gab einfach keine Ruhe. Sie musste höllisch aufpassen.

„War was mit Kleinert?“ fragte Hans, der sie gehört hatte. Leo und Werner waren weit weg und hatten nichts mitbekommen.

Tatjana schüttelte nur den Kopf, was hätte sie auch anderes tun können? Die Minister waren zurück und sie mussten arbeiten. Für Privates war keine Zeit. Sie hoffte darauf, dass sich Kleinerts Ego irgendwann wieder beruhigen würde. War sie zu frech gewesen? Hatte sie ihn zu sehr provoziert? Nein, Kleinert hatte sie provoziert und nicht umgekehrt, sie hatte nur darauf reagiert.

Während die Besprechung lief, wurde die Diamantenmesse mit einer Ansprache des 3. Bürgermeisters der Stadt München feierlich eröffnet. Eine solche Messe fand in München bislang noch nicht statt. Die Veranstalter hatten sich sehr darum bemühen müssen, die Rechte dafür zu bekommen. Diamanten zogen ein erlesenes Publikum an, worauf die Stadt München, die Hotelbetriebe, die Gastronomie und die Geschäftswelt an sich sehr stolz und auch scharf waren. Die Umsätze der verschiedenen Branchen würden in den vier Tagen üppig ausfallen. Dass parallel die Konferenz der EU-Energieminister stattfand, stellte die Verantwortlichen vor riesige Probleme. Die Zimmer für Aussteller und Besucher waren nicht das größte Problem, aber die Gewährleistung der Sicherheit. Als der Polizeichef Totzauer bekanntgab, wegen des Ministertreffens keine zusätzlichen Polizeikräfte bereitstellen zu können, waren die Veranstalter sauer. Totzauer und auch die Stadt München hatten zugesagt, auch ihrerseits für die Sicherheit zu sorgen. Vollmundig wurde versprochen, dass man sich darum bemühen würde, die gewünschten Polizisten zur Verfügung zu stellen. Diese Information wurde damals umgehend an die größten und wichtigsten Aussteller weitergegeben. Daraus wurde jetzt nichts und sie mussten schnell reagieren. Sie informierten und diskutierten mit den Ausstellern. Selbstverständlich engagierte die Messeleitung selbst einen privaten Sicherheitsdienst.

Schlussendlich hatte alles geklappt und die Messe konnte eröffnet werden. Auf einem reservierten Teil der ausgewiesenen Parkplätze standen die Fahrzeuge verschiedener Sicherheitsdienste, die aus ganz Deutschland und auch aus Österreich engagiert wurden. Es war offensichtlich, dass die Aussteller ebenfalls in diese Richtung reagierten und selbst für zusätzliche Sicherheit sorgten. Die Veranstalter der Diamantenmesse beteten, dass die Messe reibungslos ablief. Am Freitag war der Spuk vorbei, dann konnten auch sie wieder ruhig schlafen.

7.

Die Diamantenhändler Benthuis & Co. und Sieveding waren die größten der Branche. Sie waren begeistert von der Idee, dass auch in Deutschland eine Diamantenmesse stattfand und hatten das Vorhaben und die Planung tatkräftig unterstützt. Damit wurde ihnen eine weitere Möglichkeit geboten, Kundenpflege zu betreiben und vor allem Neukunden hinzuzugewinnen, denn die Diamantengeschäfte waren seit Jahren rückläufig. Nicht nur wegen des schlechten Images der Diamanten, sondern hauptsächlich wegen des fallenden Goldpreises. Viele Anleger griffen lieber bei Gold zu und legten so ihr Geld an. Benthuis & Co. und Sieveding standen zwar offiziell in Konkurrenz, tätigten aber einige Geschäfte gemeinsam. Die Inhaber und Geschäftsführer der beiden Firmen waren auch freundschaftlich miteinander verbunden. Als die Möglichkeit einer weiteren Diamantenmesse in München bekannt wurde, hatten beide vor allem im arabischen Raum aggressive Werbung für diese Messe betrieben. Für besonders reiche Familien übernahmen sie sogar die Übernachtungskosten, die sich hoffentlich durch lukrative Geschäfte bezahlt machen würden.

Als den Geschäftsführern beider Firmen die Sicherheitsprobleme von Seiten der Messeleitung mitgeteilt wurden, waren beide sauer. Von den vollmundigen Versprechungen der Messeveranstalter war nichts übrig geblieben. Totzauer wusste nichts von diesen Versprechungen. Die Münchner Polizei war gerne bereit, mit zusätzlichen Kräften zu unterstützen; allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie über diese auch verfügte. Natürlich hatte die Messeleitung ihrerseits eine private Sicherheitsfirma engagiert, aber die reichte nicht für die gesamte Messe. Es blieben Benthuis & Co. und Sieveding nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. Schließlich hatten beide für die erlesene Kundschaft aus dem arabischen Raum sehr wertvolle Stücke dabei.

Beide Firmeninhaber waren nach dem ersten Messetag zufrieden. Die Verkäufe übertrafen die Erwartungen bei weitem. Auch die privaten Sicherheitsfirmen erwiesen sich als Glück im Unglück. Deren Mitarbeiter präsentierten sich professionell und vermittelten den betuchten Besuchern ein Sicherheitsgefühl, das der Polizei so nicht gelingen würde.

„Wir sollten das bei Messen und Ausstellungen beibehalten. Ich bin begeistert,“ sagte Jan Benthuis, der das Unternehmen von seinem Vater geerbt hatte und inzwischen in dritter Generation führte. Die Firma Benthuis & Co. hatte ihren Firmensitz im belgischen Antwerpen. Die goldenen Zeiten in der Branche waren längst vorbei. Die Diamantenhändler hatten alle mit dem Ruf der Blutdiamanten und Konfliktdiamanten zu kämpfen. Wo sie auch auftraten, mussten sie sich rechtfertigen und wurden schief angesehen. Nicht von Kunden, die weiterhin gerne erlesene Stücke kauften, sondern von Aktivisten und Menschenrechtlern. Benthuis musste zugeben, dass die Firma in den 50er-Jahren den Abbau der Diamanten unter menschenunwürdigen Bedingungen unterstützt und gefördert hatte. Auch mit Diamanten, von denen seine Vorfahren wussten, dass sie als sogenannte Konfliktdiamanten angeboten und verkauft wurden, wurde gerne gehandelt. Mit diesen Geschäften finanzierte man die gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Diamanten wurden illegal geschürft, um Rebellen und Invasionstruppen zu finanzieren. Dadurch wurde zur Verlängerung und Intensivierung der Konflikte beigetragen. Benthuis hatte sich davon längst distanziert und unterstützte seit Jahren Menschenrechtsorganisationen. Auch, um Jan Benthuis‘ Gewissen zu beruhigen. Er hatte sich in den alten Firmenunterlagen über die Vorgehensweise und Geschäfte seines Vaters und Großvaters informiert, als die Vorwürfe immer lauter wurden. Und ja, es gab einige dunkle Flecken in der Firmenpolitik, die er persönlich nicht zu verantworten hatte. Trotzdem fühlte er sich schuldig und änderte die Geschäftspolitik von Grund auf, als er die Firma von seinem Vater nach dessen frühen Tod übernahm.

Die Firma Sieveding war in Luxemburg ansässig. Sie wurde 1991 verkauft, als die Geschäftspraktiken des Firmeninhabers publik wurden. Der alte Sieveding kaufte nicht nur im großen Stil Konfliktdiamanten, sondern unterhielt selbst eine Diamantenmine im afrikanischen Kongo, deren Betreibung den Menschenrechten widersprach. Die Medien überschlugen sich damals mit Negativberichten, was den Verkauf von Diamanten für einige Monate in den Keller fallen ließ. Sieveding war damals 64 Jahre alt und bekam einen Nervenzusammenbruch. Niemand glaubte ihm, dass er nicht wusste, was im Kongo vor sich ging und beteuerte vergeblich seine Unschuld. Er behauptete, nie mit den Käufen zu tun gehabt zu haben und verwies auf seine Einkäufer. Auch die Geschäftsführung der Mine hatte eine im Kongo ansässige Firma übernommen, Sieveding hatte sich scheinbar nie um die dortigen Umstände gekümmert und gab auch hier an, nichts gewusst zu haben. Ob das der Wahrheit entsprach, konnte nie geklärt werden. Als Sieveding die Firma für ein Butterbrot verkaufen musste, starb er nur sechs Monate später und nahm sein Wissen mit ins Grab. Er hinterließ keine Aufzeichnungen oder Geschäftsunterlagen, was im Nachhinein betrachtet gegen seine Unschuld sprach.

1991 konnte Bertrand Denaux die Firma Sieveding übernehmen und tat seitdem alles, um das Image in der Diamantenbranche zu verbessern. Denaux verabschiedete sich vom afrikanischen Markt. Er konzentrierte sich auf den russischen und kanadischen Markt, wo es die meisten Diamantenvorkommen der Welt gibt. Bei einer seiner ersten Reisen nach Russland hatte Denaux Jan Benthuis kennengelernt. Die beiden verstanden sich sofort und arbeiteten seitdem oft zusammen. Beide waren Ende 50 und beide hatten das Problem, dass sie keinen Firmennachfolger hatten. Weder Jan Benthuis, noch Bertrand Denaux hatten Kinder. Benthuis war nie verheiratet und lebte nur für die Firma, und Denaux machte sich nichts aus Frauen. Oft saßen sie zusammen und dachten darüber nach, was aus ihren Firmen werden würde, wenn sie nicht mehr konnten. Obwohl beide Lebensgeschichten sehr unterschiedlich waren, einte sie einiges: Beide mussten wegen der Vergangenheit ihrer Firmen viel Zeit und Mühe aufwenden, um wieder nach oben zu kommen, was ihnen nach Jahren mühevoller Arbeit auch gelang. Ihrer beider Leben drehte sich nur um Diamanten, beide liebten die funkelnden, wertvollen Steine und waren Experten auf dem Gebiet. Unabhängig voneinander schafften sie es, ihre Firmen aus den roten Zahlen zu holen, was sie sehr stolz machte. Die Geschäfte liefen seit Jahren zwar nicht schlecht, könnten aber sehr viel besser laufen. Eigentlich hätten sich die beiden ihren Ruhestand mehr als verdient, aber sie hatten eine Verantwortung ihren Mitarbeitern gegenüber. Sie waren sich nicht nur in ihrem Geschäftssinn sehr ähnlich, sondern auch in ihrer Einstellung zu Pflicht und Verantwortung.

Auch der nächste Messetag lief reibungslos und war ebenfalls sehr erfolgreich. Dass das vorerst der letzte Tag sein würde, an dem sie unbeschwert miteinander umgingen, konnten sie noch nicht wissen.

8.

Die Gespräche der EU-Energieminister trugen Früchte, wenn sie auch sehr klein waren. Der Bayrische Ministerpräsident ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls daran teilzunehmen und spornte die Teilnehmer immer wieder dazu an, zu Ergebnissen zu kommen. Das lag nicht nur allein an seiner Einstellung zur Umwelt, sondern an den bevorstehenden Pressemitteilungen, die für die diesjährigen Wahlen Gold wert waren. Welche Motivation er auch hatte, sie kam allen zu Gute.

Die Mühldorfer Kriminalbeamten machten ihre Arbeit und waren bisher zufrieden über den Ablauf. Alles lief reibungslos und ohne Störung. Leo betete darum, dass das auch so bleiben würde.

Kleinert machte seinen Job ebenfalls sehr gut. Heimlich nahm er immer wieder einen Schluck aus seinem Flachmann, den er mit Wodka befüllt hatte. Niemand außer Tatjana bemerkte die kleinen Gesten, die er ihr gegenüber immer wieder machte. Anfangs ignorierte sie ihn und ließ ihn links liegen. Irgendwie schaffte er es, sich in ihr Blickfeld zu stellen und sie zu provozieren. Tatjana wurde wütend, schließlich wurde ihr die Arbeit immer unangenehmer. Sollte sie ihre Kollegen informieren? Was sollte das bringen? Kleinert würde alles abstreiten, schließlich konnte sie die Provokationen und Beleidigungen nicht beweisen. Kleinert verhielt sich sehr geschickt, niemand bemerkte etwas. Bis auf Leo. Da er den Blick auf das Fenster leid war, nahm er heute nach einer Pause einfach einen anderen Platz ein. Der Personenschützer des spanischen EU-Ministers wollte protestieren, aber es war zu spät. Die Besprechung hatte begonnen und so musste er wohl oder übel nachgeben und Leos alten Platz einnehmen. Dann bemerkte Leo eine Geste Kleinerts. Hatte er sich getäuscht? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Kleinert war ein arroganter Sack, der es nicht gewohnt war, dass man sich ihm widersetzte. Leo behielt den Typen im Auge. Kleinert kratzte sich am Kopf und sah zu Tatjana. Als er die Hand zurückzog, fuhr er sich mit dem Daumen ganz leicht quer über die Kehle. Spinnt der jetzt völlig? Er drohte Tatjana und glaubte, dass er damit durchkommt? Am liebsten hätte er sich Kleinert sofort geschnappt, aber das hier war nicht der richtige Ort. Dafür war später noch genug Zeit. Kleinerts Provokationen hörten nicht auf. Leo bewunderte Tatjana, wie ruhig sie blieb. Aber wie sah es wirklich in ihr aus?

Tatjana fühlte sich immer unwohler. Natürlich bemerkte sie jede kleine Geste Kleinerts, tat aber so, als würde sie sie nicht sehen, was ihn nur noch mehr reizte.

Nach der Besprechung fuhren alle ins Hotel König Maximilian, wo ein Galadinner vorbereitet wurde. Totzauer hatte kurzfristig entschieden, dass die Personenschützer ebenfalls teilnehmen sollten. Er war sauer, denn dieses Galadinner wurde sehr kurzfristig vom Ministerpräsidenten angeordnet. Dachte der Mann auch irgendwann mal an die Gefahren, die ein solch spontanes Vorhaben verursachte? Wie sollte man darauf so schnell reagieren? Totzauer nahm sich vor, nach dem ganzen Spektakel ein ernstes Wörtchen mit dem Ministerpräsidenten und seinen Beratern zu sprechen.

Außer Kleinert hatte niemand etwas gegen die zusätzliche Arbeit einzuwenden. Die Polizisten sprachen sich kurz ab und jeder ging auf seinen Platz. Bis auf Kleinert, der sich einfach dort hinstellte, wo er Tatjana im Auge hatte. Auch hier hörte er nicht mit seinen Provokationen auf. Ob das daran lag, dass sein Flachmann inzwischen leer war? Es lag auf der Hand, dass Kleinert ein sattes Alkoholproblem hatte, das in Starnberg hinter vorgehaltener Hand hinreichend bekannt war. Auch Tatjana und sogar zwei weitere Kollegen hatten beobachtet, dass Kleinert immer wieder einen Schluck trank. Um seine Alkoholfahne zu kaschieren, kaute er den ganzen Tag Kaugummi. Er hatte seit Stunden nichts mehr getrunken und das Verlangen nach Alkohol wurde immer größer. Er begann, nervös zu werden und zitterte. Das durfte niemand sehen. Er war sich sicher, dass niemand gesehen hatte, dass er ab und zu einen kleinen Schluck trank. Warum sollte er sich nicht immer mal wieder einen kleinen Schluck genehmigen? Der Alkohol ließ ihn ruhiger werden, außerdem konnte er dann klarer denken.

Tatjana bemerkte die körperlichen Veränderungen des Kollegen Kleinert schon allein dadurch, dass die Provokationen weniger wurden. Sie hatte sofort gesehen, dass er trank, sie war quasi mit Alkoholikern aufgewachsen. Ihr Vater hatte immer wieder mit Trinkern zu tun und sie hatte von klein auf gelernt, mit ihnen umzugehen. Warum Kleinert trank, war ihr egal. Die Tatsache, dass er im Dienst trank, war ein Skandal. Sie musste das melden. Sollte sie das wirklich tun? Damit würde sie seine Karriere ruinieren. Noch zögerte sie. Dann machte Kleinert eine obszöne Geste, die sie fast aus der Fassung brachte. Nicht allein die Geste machte sie wütend, sondern die Tatsache, dass Kleinert es wagte, sie hier vor allen zu machen. Sie tippte sich unbemerkt an die Nase und zeigte ihm deutlich, dass sie wusste, dass er trank. Kleinert war erschrocken, er hatte sie verstanden. Diese Struck würde nicht davor zurückschrecken, ihn anzuschwärzen. Er kannte diese selbstbewussten Frauen, die sich in Männerberufe drängten: Die schreckten vor nichts zurück! Seine Wut wuchs und am liebsten hätte er sich die Frau sofort vorgenommen. Aber hier und jetzt musste er sich zusammenreißen. Wenn er wenigstens einen Schluck Wodka hätte.

Das Abendprogramm begann. Es spielte eine Harfenistin, die eine Meisterin auf ihrem Gebiet war. Alle lauschten andächtig der Musik, bevor das Essen aufgetischt wurde. Leo hatte noch keine Chance gehabt, sich Kleinert vorzunehmen. Er konnte sich noch nicht einmal mit Tatjana, Werner und Hans austauschen. Hier im Hotel war das Gefahrenpotential der EU-Energieminister ungleich höher und der Druck auf die Polizisten und Personenschützer war sehr hoch. Neben den Hotelangestellten, zu denen zum Galadiner nur für diesen Abend weiteres Personal eingestellt wurde, gab es noch andere Hotelgäste, die hier ein- und ausgingen. Es gab tatsächlich einige, die ohne Scham auf Minister zugingen und um Autogramme und sogar Selfies baten. Das konnten die Polizisten und Personenschützer nicht erlauben und hatten alle Hände voll zu tun, diese von ihren Vorhaben abzuhalten und die Minister zu schützen.

Endlich war das Galadiner vorbei. Der Großteil der Minister ging zu Bett, vier zogen es vor, noch einen Drink an der Hotelbar zu nehmen. War denen nicht bewusst, dass das viel zu gefährlich war? Die Gefahr schien den Ministern egal. Die vier waren die eifrigsten und nahmen jede noch so kleine Möglichkeit wahr, um mit ihren Kollegen und Kolleginnen in einen Dialog zu treten.

Gegen 2.00 Uhr verließen zwei der Minister die Hotelbar, die anderen beiden, der deutsche und der französische, hatten sich in einer Diskussion festgebissen.

Totzauer stand urplötzlich neben Tatjana.

„Vier von Ihnen können gehen. Es reicht, wenn sich der Rest von Ihnen die Nacht um die Ohren schlägt,“ sagte er zu ihr und verschwand wieder.

Tatjana suchte vier Männer aus, die nur zu gerne zu Bett gingen, unter ihnen war auch Kleinert, den sie endlich loswerden wollte. Kleinert hatte auf weitere Gesten verzichtet. Er war nur noch damit beschäftigt, sein Zittern in den Griff zu bekommen. Seit zwei Stunden schwitzte und fror er abwechselnd. Tatjana war erleichtert, als Kleinert endlich ging.

„Ich bleibe hier,“ entschied Leo, der ebenfalls von Tatjana ausgesucht wurde. „Du gehst gefälligst ins Bett Tatjana, du kannst dich ja kaum noch auf den Beinen halten,“ sagte Leo bestimmt und schob seine Vorgesetzte zur Tür. „Ich habe gesehen, wie Kleinert dich provoziert. Morgen werde ich mir den Kerl vornehmen, darauf kannst du Gift nehmen.“

Tatjana wollte eigentlich protestieren, hatte aber keine Kraft, sich Leo zu widersetzen. Sie hatte in den letzten beiden Nächten kaum geschlafen. Es war für sie ungewohnt, mit ihren drei Kollegen auf so engem Raum zu schlafen, die ihr allerdings immer noch lieber waren als völlig Fremde. Vor allem hasste sie aufgrund ihrer Vorgeschichte Kellerräume. In ihrer Kindheit wurde sie als Tochter einer Frankfurter Milieu-Größe entführt und misshandelt. Die Zeit der Entführung musste sie in einem dunklen Raum verbringen. Seit damals hatte sie Probleme mit solcher Art Räume, vor allem Kellerräume schnürten ihr die Kehle zu. Ihre Kollegen wussten von ihrem Vater und ihrer Vergangenheit, wobei sie sich allerdings mit Details zurückhielt. Niemand ahnte, dass sie mit dem Kellerzimmer die größten Probleme hatte.

Tatjana ging mit Werner, der ebenfalls fix und fertig war. Er schlief neben Hans, der die ganze Nacht schnarchte.

Kleinert war als erster verschwunden. Dass ihn Tatjana ausgesucht hatte, war ihm egal. Ihn interessierte nur, dass sein Dienst endlich zu Ende war. Er hatte genug von den ständigen Diskussionen um Energieeffizienz, Kosten und Risiken. Er interessierte sich nicht die Bohne für die saubere Energie, sie war ihm schlichtweg egal. Ihn verlangte nach Alkohol, den er in seiner Tasche in seinem Zimmer fand. Er nahm einen kräftigen Schluck aus einer der Wodkaflaschen, die er mitgebracht hatte. Vorsichtshalber vergewisserte er sich, dass seine Zimmerkollegen schliefen. Dann trank er noch mehr und befüllte seinen Flachmann für den nächsten Tag. Er legte sich aufs Bett und spürte, wie er langsam ruhiger wurde. Er ging den heutigen Tag in Gedanken durch, er konnte sich an jedes kleine Detail erinnern. Sein gutes Gedächtnis war einer seiner größten Stärken. Selbst nach Jahren konnte er sich noch an jedes Detail eines Falles erinnern. Je länger er über den vergangenen Tag nachdachte, desto wütender wurde er. Diese Struck machte ihm das Leben zur Hölle! Sie hatte ihm deutlich gezeigt, dass sie von seinem Alkoholkonsum während des Tages wusste. Eins war klar: Die Struck würde ihn bei Totzauer anschwärzen. Das konnte er nicht erlauben, er musste ihr einen Denkzettel verpassen und sie warnen. Niemand durfte sich mit ihm anlegen. Die Wodkaflasche war halb leer. Konnte es sein, dass er in der kurzen Zeit so viel getrunken hatte? Warum eigentlich nicht? Er konnte sich einen Schluck genehmigen, sogar zwei oder drei. Er war schließlich erwachsen und hatte einen schweren Tag hinter sich.

Die beiden Minister in der Hotelbar bemerkten nach einer halben Stunde, dass sich die Anzahl der Polizisten reduziert hatte. Außerdem gähnten die, die noch hier waren, immer häufiger. Sie gingen endlich zu Bett und alle hatten Feierabend.

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer konnte Leo endlich mit Hans sprechen und ihm von seinen Beobachtungen Kleinert gegenüber berichten.

„Den Arsch kauf ich mir,“ sagte Hans wütend. Er konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man sich Frauen gegenüber schlecht benahm. Er war bekannt dafür, dass er alle Frauen liebte, was auch seine ständig wechselnden Bekanntschaften bewiesen. Am liebsten wäre er in Kleinerts Zimmer geplatzt und hätte ihn aus dem Bett gezerrt. Aber dann hätte er die anderen Kollegen geweckt, die sich mit Kleinert das Zimmer teilten. Alle hatten nach dem Tag Ruhe redlich verdient. Hans verschob sein Vorhaben auf den nächsten Tag.

Im Zimmer angekommen warf Leo einen Blick in Tatjanas Bett. Es war leer. Werner schlief tief und fest.

„Tatjana ist weg,“ sagte Leo laut und Hans weckte Werner.

„Wo ist Tatjana?“

„Sie wollte duschen gehen,“ murmelte Werner. „Was ist denn los?“

„Kleinert hat es auf Tatjana abgesehen. Leo hat gesehen, wie er sie den ganzen Tag über provoziert hat. Der Typ ist nicht ganz dicht.“

Werner war sofort hellwach und zog sich ein T-Shirt über. Die drei machten sich sofort auf den Weg zum Badezimmer am Ende des Ganges.

„Abgesperrt,“ sagte Werner, als er versuchte, die Tür zu öffnen. „Tatjana? Mach bitte auf!“ rief er und klopfte fortwährend an die Tür. Da sie nicht öffnete, riefen sie den Namen ihrer Kollegin immer lauter. Aus dem Bad drangen Geräusche bis zu ihnen, die sich nicht normal anhörten.

„Da stimmt doch etwas nicht!“

Die Rufe wurden nun immer lauter, was die schlafenden Kollegen weckte, die sich zu ihnen gesellten.

Tatjana hatte sich dazu entschlossen, heiß zu duschen. Um diese Uhrzeit war im Bad nichts los und sie konnte sich Zeit lassen. Sie genoss das heiße Wasser und spürte, wie sich ihr Körper langsam entspannte. Die Duschkabine beschlug und sie konnte nicht sehen, dass sich die Badezimmertür öffnete. Sie hatte zwar den Schlüssel im Schloss gedreht, auf die zusätzliche Verriegelung jedoch verzichtet. Wer sollte um diese Uhrzeit ins Bad? Die Tür war versperrt und der Schlüssel steckte im Schloss. Sie fühlte sich sicher.

Bruno Kleinert hatte beobachtet, wie die ungeliebte Tatjana Struck im Bad verschwand. Sein Alkoholpegel war aufgefüllt und er fühlte sich gut, sehr gut sogar. Hatte die Struck ihn schon angeschwärzt? Das glaubte er kaum. Er musste ihr eine Abreibung verpassen und ihr Angst machen. Sie war nur eine Frau und er wusste, wie man Druck auf sie ausübte, das hatte bei seiner Frau auch funktioniert.

Der Flur war leer, weit und breit war niemand zu sehen. Sicher schliefen alle nach dem anstrengenden Tag. Er ging zum Badezimmer, die Tür war verschlossen. Er hielt ein Ohr an die Tür und hörte das Wasser rauschen. Ob die Tür verriegelt war, konnte er nicht wissen, aber der Schlüssel steckte. Er schob ein Blatt Papier unter die Tür und mit wenigen Handgriffen und mit Hilfe seines Taschenmessers schaffte er es, den Schlüssel aus dem Schloss zu schieben. Während seiner Arbeit hatte er den Flur immer im Auge. Es wäre eine Katastrophe, wenn er entdeckt würde. Daran, dass der Schlüssel auf das Papier fiel, hatte er keinen Zweifel. Würde er auch unter der Tür hindurchpassen? Er löschte das Licht im Kellergang. Jetzt fiel das Licht des Badezimmers unter der Tür durch und er konnte die Stelle ausmachen, wo der Schlüssel am ehesten hindurchpassen würde. Ganz vorsichtig und langsam zog er das Papier zu sich und dann hatte er den Schlüssel in der Hand. Er konnte sein Glück kaum fassen, er hatte den Schlüssel in seinen Händen. Vorsichtig steckte er den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Langsam drückte er die Türklinke nach unten und wartete auf den Widerstand der Verriegelung. Zu seiner Überraschung bekam er ungehinderten Zugang zum Badezimmer. Diese doofe Struck hatte doch tatsächlich den Riegel nicht vorgeschoben. Wie konnte man nur so dumm sein? Sie kommt immer so klug, allwissend und überheblich rüber, dabei vergisst sie die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen. Er zögerte. Noch konnte er sein Vorhaben abbrechen und einfach verschwinden. Tatjana begann zu singen. Ganz leise, aber er konnte sie hören. Als er ihre Stimme hörte und ihre Unbeschwertheit spürte, kam die Wut wieder in ihm hoch. Diese Frau wollte seine Zukunft ruinieren, indem sie ihn bei Totzauer anschwärzte. Das konnte er nicht zulassen! Er trat ins Bad, schloss die Badezimmertür hinter sich und schob den Riegel vor. Nur noch wenige Augenblicke und er konnte dieser Struck einen Denkzettel verpassen. Noch niemals vorher war er von Kollegen so sehr geschnitten worden wie hier. Totzauer sah ihn auch immer so komisch an, dem hatte sie bestimmt auch schon ihr Leid geklagt. Sie würde ihn wegen des Alkohols anschwärzen, davon war er überzeugt. Diese hinterfotzige Schlange!

Der Dampf des heißen Wassers hatte sich im Bad breitgemacht. Auch die Wände der Dusche waren komplett beschlagen und er konnte nur Tatjanas Umrisse erkennen. Mit einem Ruck öffnete er die Dusche. Tatjana erschreckte sich fast zu Tode. Kleinert! Was wollte er hier? Sie war nackt und geriet in Panik. Sie zog am Duschkopf, aber der war festgemacht. Es gab nur ihr Duschgel.

„Was willst du damit machen? Mich einseifen? Sieh es ein, dass deine Lage aussichtslos ist.“ Er musterte Tatjana mehrmals von oben bis unten. „Du bist auch nackt keine Augenweide,“ sagte er und lächelte. Dann schlug er ihr ins Gesicht. Einmal, zweimal. Tatjana war für einen Moment benommen. Die Schläge waren heftig und ihr brummte der Kopf. Kleinert nahm ein Handtuch, ging zum Waschbecken und machte es nass. In die Mitte legte er das Stück Seife des Waschbeckens, das das Hotelpersonal täglich austauschte. Dann nahm er die beiden Enden des Handtuchs in die Hand. Er ging ganz langsam vor und genoss die Angst in Tatjanas Augen, die immer größer wurde. Sie suchte nach einer Fluchtmöglichkeit, aber sie hatte keine Chance zu entkommen. Hilflos und nackt stand sie in der Dusche und wartete darauf, was dieser Irre vorhatte. Er wird doch nicht…?

Kleinert schwang das Handtuch, kam auf sie zu, grinste - und schlug mit voller Wucht zu. Die Seife schlug hart auf Tatjanas Körper auf und sie schrie. Der Schlag hatte höllisch wehgetan. Kleinert holte aus und schlug erneut zu. Diesmal konnte Tatjana dem Schlag ausweichen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und zwang sich, nicht daran zu denken, dass sie nackt war. Sie holte aus und schlug Kleinert das Duschgel, das sie in der Hand hielt, ins Gesicht. Sofort sprang dessen Lippe auf. Er wurde wütend.

„Du Dreckstück,“ sagte er und wischte sich mit dem Ärmel das Blut von der Lippe. „Eigentlich wollte ich dir nur zwei, vielleicht drei Schläge verpassen. Ich bin ja kein Unmensch. Aber jetzt bekommst du die Abreibung, die du verdient hast.“ Er holte aus und traf Tatjana am Oberarm. Der Schmerz durchfuhr ihren Körper. Sofort folgte der nächste Schlag, der sie an der Hüfte erwischte. Tatjana fühlte sich an die Misshandlungen in ihrer Kindheit erinnert und jetzt wurde sie wütend, wobei die Angst verschwand. Als Kleinerts nächster Schlag sie am Oberschenkel erwischte, ging sie auf ihn los. Sie schlug, kratzte und biss ihn sogar. Sie war wie von Sinnen, spürte keinen Schmerz, vergaß ihre Umgebung. Sie hatte nur Kleinert im Visier, in dem sie nicht nur ihn, sondern ihren früheren Peiniger sah. Sie kam erst zu sich, als Hans und Leo sie zurückhielten. Mit roher Gewalt hatten sie die Tür aufgebrochen, wobei ihnen Kollegen halfen, die hinzugeeilt waren. Kleinert und Tatjana sahen schrecklich aus. Überall war Blut. Leo und Hans mussten Tatjana zurückhalten, die völlig die Kontrolle über sich verloren hatte. Die anderen hielten Kleinert in Schach, wobei der eine oder andere ihm einen zusätzlichen Schlag verpasste.

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