Kitabı oku: «Dreckiges Erbe», sayfa 3
Die ersten Kontakte waren schnell geknüpft. Nicht alle sprangen auf die Beutekunst an, vielen war das Eisen zu heiß. Trotzdem rissen sich immer noch genug darum und boten sich gegenseitig hoch. Der Schmuck verkaufte sich sehr gut. Es gab darunter einen Siegelring, den Siegfried behalten wollte. Die üppigsten Stücke mit wertvollen Edelsteinen, wie Karin behauptete, warteten in einer Schatulle auf Interessenten. Zwei Bilder und vier Skulpturen waren ebenfalls bereits verkauft, die erzielten Beträge waren mehr als zufriedenstellend. Dann interessierte sich ein Herr Maier aus Deutschland für den van Gogh Maler auf der Strasse zu Tarascon aus dem Jahre 1888 und bot sagenhafte vierzehn Millionen Euro dafür. Siegfried hatte ihn auf sechzehn hochhandeln können – der Verkauf war perfekt. Alles lief prima, wenn nur nicht diese neugierige Frau aus Deutschland wie aus dem Nichts aufgetaucht wäre. John hatte sie im Lager entdeckt, als sie gerade dabei war, Fotos zu machen. Nach Johns Beschreibung musste es sich um die neugierige, penetrante Journalistin handeln, die sich bezüglich gefälschter ägyptischer Kunst nur zwei Tage vorher an ihn gewandt hatte. Er hatte die Frau abwimmeln können – und dann hatte sie die Raubkunst entdeckt, nachdem sie einfach ins Haus eingebrochen war. John war ihr sofort gefolgt, aber sie konnte durch ein unbewachtes Fenster im Erdgeschoss entwischen. Alle hatten sich angeschrien und sich gegenseitig die Schuld zugeschoben. Dass Siegfried seine Leute ordentlich zusammengestaucht hatte, war selbstverständlich. Aber was geschehen war, konnte er nicht mehr rückgängig machen. Dass die Frau beseitigt werden musste, stand außer Frage. Sie war ein Sicherheitsrisiko, das sie sich nicht leisten konnten.
John McCarthy wollte sich des Problems persönlich annehmen und überzeugte den Boss, ihm das zu übertragen. Zähneknirschend willigte Siegfried ein. Ob John der Richtige für den Job war? Der zarte, intellektuelle Mann sollte versuchen, eine Frau zu stellen und sie notfalls zu beseitigen? Das traute er ihm nicht zu. John gab sich kämpferisch und mutig, aber das war er beileibe nicht. Er war ein Feingeist und aß niemals mit den Fingern. Auch kannte er jedes musikalische Stück, das er ihm vorspielte. John und ein harter Mann? Niemals! Aber John gab nicht auf. Er versuchte, den Boss mit überzeugenden Argumenten weichzuklopfen. Erst, als dieser sich Malcolm als seinen Begleiter erbeten hatte, willigte Siegfried ein. Malcolm war genau der richtige Mann für den Job, ihm vertraute er blind.
John verstand den Boss so, dass er ihm vertraute und war zufrieden, was für die Zusammenarbeit sehr von Vorteil war. Er konnte beobachten, wie das Geld auf seinem Konto stetig anwuchs. Das neue Auto war bestellt. Außerdem hatte er einen Makler damit beauftragt, ihm ein angemessenes Anwesen zu besorgen. Beides wollte er sich von einer übereifrigen Journalistin nicht kaputtmachen lassen. Er würde sie jagen und zur Not selbst beseitigen. Sollte er das nicht schaffen, hatte er ja noch Malcolm an seiner Seite.
4.
Das Hotel in El-Gouna war riesig und machte einen sehr guten Eindruck, Leo war begeistert und pfiff durch die Zähne. Sabine war das Hotel egal. Sie war hier vorerst sicher und nur das war wichtig. Als Leo ausgestiegen war, sog er die salzhaltige Luft tief ein. Auch hier umwehte ihn ein starker, warmer Wind. Sein Kopf brummte. Nicht nur vom Alkohol, von dem er auf dem Flug nach Ägypten viel zu viel getrunken hatte, sondern von der wirren Geschichte, die Sabine erzählt hatte. Er musste sich eingestehen, dass er nicht alles verstanden hatte und musste daher schnell einen klaren Kopf bekommen. Ob es wirklich eine so gute Idee war, sich des Problems der Frau anzunehmen? Seit sein fünfundvierzigjähriger Freund Georg die ganze Geschichte gehört hatte, war er Feuer und Flamme, die anfängliche Ablehnung Sabine gegenüber war verschwunden. Georg wollte mehr Details wissen und löcherte die Frau mit Fragen, die sie ausführlich beantwortete. Leo konnte den Ausführungen schon lange nicht mehr folgen. Er brauchte eine kalte Dusche und sehr viel Kaffee. Sobald er wieder der Alte war, konnte er Sabine seine Fragen stellen. Aber das musste noch warten.
Das Einchecken war keine große Sache. Georg hatte das letzte freie Zimmer gebucht, das sich als Suite herausstellte. Wieviel das wohl kostete?
„Ich brauche eine Dusche. Bestellt bitte viel Kaffee“, sagte Leo und verschwand im Badezimmer, das fast größer war als seine Wohnung in Altötting.
Georg holte den Laptop aus seinem Hotelzimmer, nachdem er Kaffee auf die Suite bestellt hatte. Sabine blieb zurück. Sie setzte sich auf die Couch in Leos Suite und fühlte sich unwohl. Sie war allein mit einem fremden Mann, der nur einen Raum weiter nackt unter der Dusche stand. In welche Situation hatte sie sich begeben? Sie entschied, wieder zu gehen. Gerade, als sie die Türklinke in der Hand hatte, klopfte es. Erschrocken rannte sie ins Schlafzimmer und kroch unters Bett, was bei ihrer üppigen Figur nicht leicht war. Es klopfte wieder und wieder.
Georg hatte den Laptop unterm Arm und näherte sich der Suite. Er sah einen Mann, der mit einem Servierwagen vor der Tür stand und klopfte. Im ersten Moment dachte er, dass das der Zimmerservice mit dem Kaffee sei, den er selbst gerufen hatte. Aber dann bemerkte er eine Waffe, die hinten im Hosenbund des Mannes steckte. Georg war unbewaffnet und griff nach einem Feuerlöscher, der an der Wand hing. Ein Pärchen trat auf den Gang und sprach den vermeintlichen Kellner an, der nach einer gemurmelten Antwort das Weite suchte. Den Servierwagen ließ er stehen, den Georg davonstieß. Er klopfte mehrmals, bis Leo endlich öffnete.
„Was ist passiert?“, fragte dieser erschrocken, als er Georgs Gesichtsausdruck bemerkte.
„Schließ die Tür! Wir sind hier nicht sicher. Eben war ein Mann an der Tür, der eine Waffe bei sich hatte. Wir müssen weg. Wo ist Sabine?“
„Keine Ahnung.“
„Ich bin hier“, rief sie und krabbelte unter dem Bett hervor. Sie hatte jedes Wort gehört. „Es ist besser, wenn ich gehe, ich bringe Sie beide in Gefahr.“
„Dafür ist es zu spät, wir wissen bereits zu viel“, sagte Leo, der nach der eiskalten Dusche endlich wieder klar denken konnte. „Gehen wir ins Restaurant und mischen uns unter die Touristen. Vorher brauchen Sie etwas zum Anziehen, mit dem pinkfarbenen Kleid fallen Sie überall auf. In der Lobby ist eine Boutique.“
„Ich habe kein Geld.“
„Das übernehme ich. Gehen wir.“
Der Einkauf in der Boutique dauerte nicht lange. Während sich Sabine im Laden aufhielt, hielten Leo und Georg Ausschau nach Verdächtigen.
„Du hast uns in Teufels Küche gebracht“, sagte Georg vorwurfsvoll.
„Mach mir doch nichts vor, Georg. Du bist doch heilfroh, dass die Frau an uns geraten ist und wir die Chance haben, ihr zu helfen. Und das mit der Raubkunst interessiert dich doch brennend, stimmt’s? Versuche nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, das funktioniert nicht.“
Georg musste schmunzeln. Endlich war Leo wieder ganz bei sich. Ja, es stimmte, dass er sich für die Raubkunst interessierte. Und es käme ihm auch niemals in den Sinn, Sabine jetzt im Stich zu lassen. Es war für ihn selbstverständlich, dass er ihr helfen wollte. Und das gemeinsam mit Leo. Die Aussicht auf eine Zusammenarbeit mit seinem alten Freund gefiel ihm. Nach den trostlosen vergangenen Wochen gab es endlich wieder eine sinnvolle Aufgabe, in der er aufgehen konnte. Die Cocktails mit Blick aufs Meer konnten warten, dafür war später noch genug Zeit.
Nach zwanzig Minuten kam Sabine aus dem Laden, die beiden Männer hätten sie fast nicht erkannt. Sie trug einen bunten, knielangen Rock, ein blaues T-Shirt mit vielen Glitzersteinen, die ein Herz formten, dazu gelbe Turnschuhe. Die Haare waren zu einem Zopf gebunden. Sogar an eine Sonnenbrille hatte sie gedacht. Sie gab Leo die Kreditkarte zurück.
„Das soll jetzt weniger auffällig sein, als das hübsche Kleid?“ Leo konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.
„Machen Sie sich nur lustig über mich. Das war alles, was es in meiner Größe gab“, versuchte sie, ihr Outfit zu entschuldigen. Sie hatte Größe 44/XL, was offensichtlich in Ägypten keine gängige Größe war. Sie war noch nie schlank gewesen, das hatte sie noch nie sonderlich interessiert. Das waren nur Äußerlichkeiten, mehr nicht. Für sie gab es Wichtigers im Leben, als sich nur wegen der Figur und des Gewichts zu kasteien.
Sie setzten sich in die Ecke des halbvollen Restaurants. Georg öffnete seinen Laptop und Sabine übergab ihm die Speicherkarte. Dafür musste sie in ihren BH greifen, was ihr aber nicht peinlich war. Die drei sahen gebannt auf den Bildschirm. Es folgten Bilder diverser Kunstwerke. Die ersten etwa dreißig Aufnahmen zeigten eindeutig ägyptische Kunst, danach kamen Aufnahmen von europäischen Meistern. Auch Skulpturen, Schmuck und Kunstgegenstände aus verschiedenen Materialien, von denen Leo nur Gold zu erkennen glaubte, waren dabei. Dann waren sie durch und Sabine steckte die Speicherkarte zurück in ihren BH.
„Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Könnt ihr mir helfen? Ich bin mit meinem Latein am Ende.“
„Zuerst müssen wir dir einen Pass besorgen, das hat oberste Priorität. Wenn wir den haben, musst du schnell außer Landes.“ Leo duzte Sabine einfach, schließlich saßen sie im selben Boot.
„Ja, das wäre die beste Lösung. In Deutschland kann ich die Behörden informieren.“
„Der erste Weg in Ägypten ist der zur Deutschen Botschaft, das ist der wichtigste Schritt. Dort bekommst du Ersatzpapiere, die dir die Ausreise ermöglichen. Dafür müssen wir nach Kairo.“ Georg hatte die gewünschten Informationen im Internet rasch gefunden. „Mit dem Flugzeug wäre die Strecke in einer Stunde zu bewältigen, aber du hast keinen Pass. Also müssen wir die Straße nehmen, dafür brauchen wir einen Mietwagen. Es ist jetzt kurz nach drei. Bis wir in Kairo sind, hat die Deutsche Botschaft längst zu.“
„Wir sollten es versuchen.“
„Keine Chance. Erstens haben wir noch keinen Wagen. Und zweitens würden wir für die Strecke locker fünf bis sechs Stunden brauchen. Selbst wenn wir jetzt sofort losfahren würden, kämen wir in Kairo erst sehr spät an und müssten uns dort ein Zimmer suchen. Ich schlage vor, wir bleiben hier und fahren gleich morgen früh.“
„Du willst, dass wir hier im Hotel bleiben? Bist du verrückt geworden?“, rief Sabine.
„Georg hat recht, hier sind wir relativ sicher“, sagte Leo. „Sieh dich doch um, an jeder Ecke steht Wachpersonal.“
„Was den Typen vorhin ja mächtig abgeschreckt hat!“, maulte Sabine.
„Wir müssen nur darauf achten, dass wir uns immer zwischen einer Gruppe Touristen aufhalten und nirgends alleine sind. Nur dann sind wir sicher. Ich werde uns sofort einen Wagen besorgen. Morgen früh um vier Uhr geht es los, die Zeit bis dahin schaffen wir schon irgendwie. Einverstanden?“
Leo schob dem kleinen, schmächtigen Mann an der Rezeption, der sich ihm als Ahmed vorstellte, einen Schein zu.
„Bitte behalten Sie es für sich, dass ich den Wagen gemietet habe. Es soll eine Überraschung für meine Frau sein.“ Ob der Mann nachsehen würde, ob er alleine eingecheckt hatte? Jetzt war die Lüge raus und er konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Leo ärgerte sich, er hätte nachdenken müssen.
„Selbstverständlich“, strahlte der Mann zu Leos Erleichterung. Bei Ahmed war er genau an den Richtigen geraten. Die Formalitäten wurden alle erledigt.
„Können Sie mir für heute einen Ausflug empfehlen? Wir würden gerne aufs Meer.“ Wieder schob er einen Schein über den Tisch. „Ich weiß, dass ich sehr spät dran bin, aber vielleicht können Sie drei Plätze organisieren? Meine Frau und ich würden gerne einen Freund mitnehmen.“
„Ich denke, dass ich da etwas machen kann.“ Ahmed tippte in seinen Computer, dann sprach er laut mit einem Mitarbeiter. Er griff zum Hörer und diskutierte, dann legte er auf.
„Wenn Sie sich beeilen, habe ich drei Plätze auf einem Ausflugsboot für Sie. Eine sehr schöne Tour, die Ihnen gefallen wird. Sie können Delfine beobachten. Ab und zu verirrt sich sogar ein Wal in das Gebiet, allerdings dürfen Sie keine allzu großen erwarten. Ich habe diese Tour gemeinsam mit meiner Familie schon viele Male gemacht und kann sie nur empfehlen. Das Boot legt in einer halben Stunde ab. Am Eingang wartet ein Taxi auf Sie, das Sie zum Hafen bringt. Ich hoffe, das ist Ihnen recht?“
„Ich wusste, dass ich bei Ihnen richtig bin, Ahmed. Sie sind mein Mann. Sie sorgen dafür, dass der Mietwagen so schnell wie möglich bereitsteht? Wir wollen spontan los. Wann genau, kann ich jetzt noch nicht sagen.“
„Sie können sich auf mich verlassen, Herr Schwartz, ich werde mich sofort darum kümmern. Das wird vermutlich heute nichts mehr werden. Morgen früh haben Sie den Wagen, das garantiere ich.“
„Früher nicht?“
„Ich sehe zu, was ich tun kann.“
Leo bezahlte den völlig überhöhten Preis für den Ausflug und legte einen weiteren Schein obendrauf.
„Beeilt euch, es geht auf ein Boot. Ein Taxi bringt uns hin.“
Ohne Fragen zu stellen, standen Sabine und Georg sofort auf und folgten Leo. Inmitten einer Touristengruppe wären sie für die nächsten Stunden sicher.
Während der kurzen Fahrt zum Hafen sahen sie sich immer wieder um. Es schien, als würden sie nicht verfolgt werden. Georg nahm sich fest vor, sich eine Waffe zu besorgen, denn ohne fühlte er sich nicht sicher. Er wusste, dass das riskant war, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Wie sollte er Leo, Sabine und sich selbst schützen?
Die Bootsfahrt konnte keiner der drei genießen. Sie saßen zwischen Touristen, die alle mit Digitalkameras oder Filmkameras bewaffnet waren. Kinder jeden Alters langweilten sich und spielten Fangen, wobei sie den anderen immer wieder auf die Füße traten oder einander schubsten. Die beiden Einheimischen, die sich um die Touristen kümmerten, verkauften Getränke und schenkten ein undefinierbares alkoholisches Getränk aus, das Georg und Sabine dankend ablehnten; Leo hatte vorerst sowieso genug vom Alkohol. Laute Musik lief, wogegen einer der Männer mit einem mittelmäßigen Mikrofon ankämpfte und auf schlechtem Englisch die Umgebung beschrieb. Nach einer halben Stunde hatte Leo Kopfschmerzen. Von den angepriesenen Delfinen sah er nicht einen einzigen, an den von Ahmed erwähnten Wal glaubte er sowieso nicht. Leo mochte Delfine. Sehr schlaue und wunderschöne Tiere, die es offenbar gelernt hatten, sich den Blicken der Touristen zu entziehen.
Die Tour war gegen achtzehn Uhr endlich vorbei, seit einer halben Stunde war es bereits stockdunkel. Unter normalen Umständen hätte keiner der drei diese Tour gebucht, da es weniger um die Landschaft und um die Tiere ging, sondern nur um alkoholische Getränke und laute Musik. Viele der Mitreisenden waren stockbesoffen, einige mussten sich sogar übergeben. Endlich waren sie wieder an Land. Leo und Sabine hielten sich in der Nähe einer großen Gruppe auf, die zu einer Strandparty eines benachbarten Hotels wollten, Georg war in ein Gespräch mit einem Einheimischen vertieft.
„Wo bleibt Georg? Mit wem unterhält er sich?“
„Keine Ahnung.“
Leo wartete ungeduldig. Endlich kam Georg.
„Was laberst du so lange mit dem Mann? Kennst du ihn?“
„Nein.“ Es war offensichtlich, dass Georg nicht vorhatte, sich zu erklären. “Was machen wir jetzt?“
„Wir gehen auf die Party, von der vorhin gesprochen wurde, dort dürften wir sicher sein.“
„Einverstanden, gehen wir.“
Obwohl keiner Lust dazu hatte, schlossen sie sich den anderen an. Die Party war laut, alkohollastig und ging zum Glück fast bis Mitternacht. Keiner der dreien konnte sich amüsieren, obwohl sie von anderen immer wieder zum Tanzen und Singen animiert wurden. Irgendwann gaben die Mitfeiernden auf und ließen sie in Ruhe. Das Warten nagte an den Nerven. Dann löste sich die Gesellschaft auf und sie saßen bis auf wenige, trinkfeste Touristen nur noch alleine an den Tischen.
„Hier sind wir nicht mehr sicher. Was sollen wir jetzt tun? Was schlagt ihr vor?“ Sabine war völlig am Ende.
„Zurück ins Hotel. Dort ist sicher noch irgendetwas geboten.“
Auf dem Weg dorthin stand abseits ein Mann, der auf jemanden zu warten schien. Georg ging zu ihm.
„Was machst du denn da? Bleib gefälligst hier!“ Leo sah sich um. Sie waren hier fast allein, was viel zu gefährlich war.
„Das geht in Ordnung. Geht ihr bitte voraus, ich komme gleich nach.“
Leo war wütend, trotzdem schob er Sabine vor sich her.
„Wir sollten auf Georg warten“, sagte sie.
„Er weiß, was er tut. Geh einfach weiter.“ Was hatte Georg vor? Mit wem traf er sich hier? Was sollte diese Geheimnistuerei? Leo mochte das überhaupt nicht. Sobald er Georg alleine sprechen konnte, musste er ihn zur Rede stellen.
Auf dem Weg zum Hotel wollte sich Sabine immer wieder umdrehen, um nach Georg zu sehen. Leo hinderte sie daran, obwohl auch er selbst versucht war, es ihr gleich zu tun. Kurz vor dem Eingang des Hotels stieß Georg endlich wieder zu ihnen. Er war außer Atem und hatte auch jetzt nicht vor, sich zu erklären.
Im Hotel herrschte gähnende Leere. Der Pianospieler, der sich redlich abmühte, hatte lediglich drei Zuhörer, von denen einer schlief. Draußen auf der Terrasse war mehr los. Eine offensichtlich trinkfeste Gruppe von etwa zwanzig Personen hatte augenscheinlich sehr viel Spaß. Ein dummer Spruch und ein flacher Witz nach dem anderen gingen reihum, was jeweils mit lautem Gelächter quittiert wurde. Eine fröhliche Runde, die den unbeschwerten Urlaub sichtlich genoss. Georg und Sabine setzten sich dazu, Leo ging zu seinem Freund Ahmed an die Rezeption.
„Eine sehr schöne Bootstour, Ahmed, Sie haben nicht zu viel versprochen. Haben Sie bezüglich des Mietwagens etwas erreichen können?“
Ahmed grinste übers ganze Gesicht. Er hatte sich bemüht und stundenlang telefoniert, bis er endlich die Zusage bekam.
„Der Wagen ist unterwegs, Herr Schwartz, er dürfte innerhalb der nächsten Stunde eintreffen. Ich melde mich bei Ihnen, sobald er hier ist. Wo sind Sie zu finden?“
„Auf der Terrasse. Wir nehmen noch einen Schlummertrunk zu uns.“
Leo betrat die Terrasse und ein Schwall Gelächter kam auf ihn zu. Die Touristen schienen sich prächtig zu amüsieren, während Georg und Sabine sich nichts zu sagen hatten und in ihre Drinks starrten. Leo setzte sich dazu.
„Der Wagen ist unterwegs. Keine Ahnung, wann er hier ist, wir müssen warten.“
Er bestellte ein Wasser und einen Kaffee. Hier saßen sie nun; schweigend inmitten lustiger, angetrunkener Touristen. Nach einer halben Stunde löste sich die Gruppe allmählich auf, nachdem der Barkeeper sich nicht mehr erweichen ließ und den Ausschank endgültig einstellte.
Sabine wurde nervös. Nicht mehr lange, und sie saßen alleine auf der Terrasse.
„Wir sitzen hier wie auf dem Präsentierteller“, sagte Georg, dem das überhaupt nicht gefiel. „Wir müssen uns schnell etwas einfallen lassen.“
Leo ging zu seinem neuen Freund Ahmed, der immer noch Dienst hatte.
„Haben Sie Neuigkeiten für mich?“
„Ich wollte eben zu Ihnen, Herr Schwartz. Der Wagen ist hier, er steht auf dem Parkplatz. Wenn Sie wollen, können Sie den Schlüssel sofort haben.“
„Und ob ich den möchte. Ich danke Ihnen vielmals, Ahmed.“ Leo schob ihm einen weiteren Schein zu.
„Hier ist der Schlüssel. Dazu habe ich Ihnen einige Prospekte zusammengestellt, in denen Sie viele Sehenswürdigkeiten finden. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt. Genießen Sie die Ausflüge in unserem schönen Land. Sie werden begeistert sein. Sie können den Wagen behalten, solange Sie wollen. Melden Sie sich bei mir, wenn sie ihn zurückgeben möchten.“
„Das kommt mir sehr entgegen, denn ich weiß wirklich noch nicht, wie lange ich den Wagen brauche. Ich werde Ihnen berichten, was wir uns angesehen haben. Nochmals vielen Dank, Ahmed.“ Der Mann strahlte. Die Bezahlung in seinem Job war zwar nicht schlecht, allerdings hatte er drei Kinder im Teenageralter, die fast täglich mit Sonderwünschen ankamen. Trinkgelder waren stets willkommen. Mit diesem Gast hatte Ahmed besonders viel Glück gehabt, den musste er sich warmhalten. Leo Schwartz hatte allein eingecheckt, das hatte er überprüft. Dass er keine Frau hatte, ging ihn nichts an, das war dessen Privatsache. Herr Schwartz musste reich sein, wozu auch die Suite passte, die sich Gäste nur selten leisteten. Und Reiche hatten ihre Marotten, das wusste er.
„Ich habe den Wagen. Lasst uns irgendwohin fahren, wo wir sicher sind.“
Leo fuhr durch die sternklare Nacht. Es war halb drei und es wurde kühl, trotzdem war eine Heizung überflüssig. Wie kalt es wohl in Deutschland war? Als er gestern abflog, war es noch sehr warm gewesen. Auf dem Boot hatten sich einige der Mitreisenden darüber unterhalten, dass es einen Temperatursturz in der Heimat gab, worüber sich alle freuten. War er auch so schadenfroh? Wenn er ehrlich war, dann musste er es zugeben, dass dem so war. Er freute sich, auch nachts noch im T-Shirt herumlaufen zu können, auch wenn er fast der einzige war. Das war ihm egal. Für ihn war es warm und er weigerte sich, eine Jacke anzuziehen. Wie lange war er in Ägypten? Er war erst gestern gelandet und es schien, als wäre er schon sehr viel länger hier. Trotz seines hohen Alkoholkonsums während des Fluges nach Ägypten war Leo topfit. Georg hatte angeboten, zu fahren, aber er wollte das selbst übernehmen. Die kalte Dusche und die vielen Kaffees wirkten.
Sabine war nach zwanzig Minuten eingeschlafen. Sie hatte in den letzten beiden Nächten nur wenig geschlafen. Mit den beiden deutschen Polizisten fühlte sie sich einigermaßen sicher, auch wenn ihr die ganze Situation unwirklich erschien. Noch niemals zuvor war sie verfolgt worden oder irgendeiner Gewalt ausgesetzt. Wie sollte sie damit umgehen? Am liebsten würde sie davonlaufen und einfach alles vergessen, aber das war nicht ihre Art. Sie war schon immer neugierig gewesen. Außerdem hatte sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der ihr oft im Weg stand. Aber das war es nicht allein. Sie hatte Glück gehabt und war bei ihrer Recherche auf eine Sensation gestoßen. Damit könnte ihr der Durchbruch gelingen und sie konnte sich endlich einen Namen machen. Und das wollte sie sich nicht wegnehmen lassen. Sie musste es schaffen, nach Deutschland zu gelangen und dort den Artikel zusammen mit den Fotos zu veröffentlichen, nachdem sie bei der Polizei war und die Sauerei angezeigt hatte. Sie sprach sich Mut zu, obwohl sie große Angst hatte.
Die Gegend wurde immer einsamer. Irgendwann schien es, als wären sie ganz allein unterwegs. Leo fühlte sich immer noch fit und fuhr einfach weiter. Je näher sie Kairo kamen, desto besser. Georg schlief irgendwann auch ein. Hätte er ihn fragen sollen, wen er vorhin getroffen hatte? Um wach zu bleiben, schaltete Leo das Radio ein. Er musste lachen. Er war nach Ägypten gekommen, um mit Georg gemeinsam den Kummer zu ertränken. Jetzt saß er in einem Leihwagen und war auf dem Weg nach Kairo, um dieser verrückten Frau zu helfen, die auf dem Rücksitz liegend inzwischen sehr laut schnarchte. Leo hatte ihr seine Jacke gegeben, die er nicht brauchte und die von ihr heruntergerutscht war. Er griff nach hinten und legte die Jacke wieder dorthin, wo sie hingehörte. Dann grunzte sie laut, was Leo zum Lachen brachte. Sabine war eine Nervensäge, keine Frage. Trotzdem würde er sie in ihrer jetzigen Lage niemals im Stich lassen, das hätte er sich nie verzeihen können. In was waren er und Georg reingeraten? Wie es Viktoria wohl erging? Ob sie ihre Flucht bereute und sich dafür schämte, ihn einfach im Stich gelassen zu haben? Leo hatte längst begriffen, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war. Er hätte ihr nicht mehr vertraut. Als sie sich von ihm getrennt hatte, ist etwas in ihm zerbrochen, das nicht mehr zu kitten war. Er kannte sich, er würde ihr niemals mehr vorbehaltlos vertrauen können. Die Gedanken an Viktoria schmerzten nicht mehr ganz so sehr. Ob das die Müdigkeit war oder einfach nur die Situation, in der er gerade steckte?
Leo musste sich eingestehen, dass er müde wurde. Sie waren weit gekommen, nach Kairo waren es nur noch gut zwei Stunden. Er wurde unaufmerksam und entschied, eine Pause einzulegen. Er lenkte den Wagen in ein kleines Industriegebiet und stellte den Wagen in der Nähe von Baufahrzeugen ab. Weit und breit war niemand zu sehen.
„Gute Wahl, hier stehen wir gut“, sagte Georg, der aufgewacht war. „Von der Straße aus sind wir kaum zu sehen. Und wenn jemand kommen sollte, sehen wir die Scheinwerfer früh genug.“ Georg sah auf die Uhr und war erschrocken. Hatte er wirklich fast drei Stunden geschlafen? „Ruh dich aus, Leo, ich passe auf. Sobald es hell wird, wecke ich dich.“
Georg behielt die Straße im Auge, ihm entging nichts. Alles war ruhig und Leo konnte sich erholen. Sabine hatte nicht bemerkt, dass der Wagen nicht mehr fuhr; sie schlief tief und fest. Georg dachte an die Raubkunst. Und an den Mann, der im Hotel aufgetaucht war. Es hätte nicht viel gefehlt, und der Typ wäre in die Suite gelangt. Was da alles hätte passieren können! Er bekam eine Gänsehaut und begriff jetzt erst, wie knapp das gewesen war.
In diesem Moment brachen zwei Männer in Leos Hotelsuite in El-Gouna ein, nachdem sie sich erfolglos in Georgs Zimmer umgesehen hatten.
„Die sind getürmt“, sagte einer.
„Verdammter Mist! Wären wir gestern hiergeblieben, wäre das Problem längst beseitigt.“
„Du weißt genau, dass wir keine andere Wahl hatten, als abzuhauen, das Militär drehte seine Runden. Seitdem die Regierung beschlossen hat, diese gottverdammten Touristen umfangreicher zu schützen, tauchen überall Soldaten und Polizisten auf. Sei froh, dass ich deren Kommen noch rechtzeitig bemerkt habe. Es war besser für uns, so schnell wie möglich zu verschwinden. Hättest du kontrolliert werden wollen?“
„Natürlich nicht.“
„Dann hör auf zu jammern. Ruf den Boss an und erkläre ihm die Situation. Er wird nicht erfreut darüber sein.“
„Warum soll ich ihn anrufen?“
„Weil ich das letzte Gespräch übernommen habe, als uns die Frau in Hurghada durch die Lappen ging. Mir klingeln jetzt noch die Ohren. Nein, John, diesmal bist du dran.“
John McCarthy hatte den Job, Sabine Kofler zu finden und auszuschalten, persönlich übernommen. Diese neugierige Frau brachte durch ihr Auftauchen Probleme mit sich, die sie nicht gebrauchen konnten. Der Boss, Karin und er hatten beschlossen, alle Geschäfte ruhen zu lassen, bis dieses Problem aus der Welt geschafft worden war. Diese Frau musste weg; je eher, desto besser. Er hatte Malcolm ausgewählt, ihn zu begleiten. Malcolm war nicht dumm und außerdem hatte er keine Skrupel, eine Frau einfach so zu töten. Er hatte ihn selbst dabei beobachtet, wie er einer Frau mit bloßen Händen das Genick brach, das war erst vor wenigen Tagen gewesen. Malcolm und er hatten den Boss begleitet, als er einen Deal abschloss. Dabei kam ihnen eine alte Bekannte Malcolms in die Quere, die nicht aufhörte, auf ihn einzuquatschen. Malcolm hatte sie gewarnt, aber die Frau nahm ihn nicht ernst. Der Boss wurde wütend und Malcolm musste handeln. Er zog die Frau zur Seite, brach ihr das Genick und legte die Leiche hinter ein Gebüsch. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Kunde kam und der Deal über die Bühne gehen konnte. Malcolm verzog keine Miene und erwähnte den Vorfall mit keinem Wort. Niemand hatte davon etwas mitbekommen; niemand, außer ihm. Er hatte alles gesehen. John war erschrocken gewesen, befand aber, dass das richtig gewesen war, schließlich verdiente auch er an dem Deal ordentlich mit, der durch die penetrante Frau fast in die Hosen gegangen wäre. Malcolm war der Richtige für den Job, die Deutsche endlich aus dem Weg zu räumen. Aber dafür mussten sie sie erst einmal in die Finger bekommen.
John nahm das Smartphone und erklärte wieder und wieder die momentane Situation.
„Wir mussten weg, Siegfried. Das Militär…“
„Das ist mir scheißegal! Wie konnte das passieren? Durch einen glücklichen Umstand haben wir die Frau gefunden und sie ist euch schon wieder durch die Lappen gegangen. Das gefällt mir nicht, das gefällt mir überhaupt nicht!“ Siegfried schnaubte vor Wut. „Sucht diese Frau und seht zu, dass sie endlich für immer verschwindet. Ich habe einen Interessenten für den van Gogh. Wenn der mitbekommt, dass die Sache die Runde machen könnte, springt er ab. Tötet die Frau!“
„Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Die Kofler hat offensichtlich Hilfe bekommen.“
„Hilfe? Von wem?“
„Zwei Deutsche, einer davon ist schwarz. Wir haben noch nicht herausbekommen, wer das ist, wir haben lediglich ihre Namen. In welchem Verhältnis sie zu der Kofler stehen, wissen wir nicht.“
„So eine Scheiße! Die Kofler hat geplaudert und hat Mitwisser, die wir nicht brauchen können.“ Siegfried machte eine Pause. Das war eine Information, die alles nur noch schlimmer machte. Jetzt hatten sie es nicht nur mit einem, sondern mit drei Mitwissern zu tun. Und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Er wollte den van Gogh unbedingt verkaufen. „Beseitigt alle drei, hast du mich verstanden? Ich will keine Ausflüchte und Entschuldigungen mehr hören. Ruf erst wieder an, wenn das Problem endgültig erledigt ist.“
„Ja, Boss.“
John hatte aufgelegt und sah Malcolm an.
„Sag nichts. Wir sollen alle drei suchen und sie töten?“ Malcolm war klar, dass das die einzig vernünftige Lösung des Problems war.
John nickte nur. Siegfrieds Anweisung hatte ihn schockiert. Er war kein kaltblütiger Mörder, aber bei der Kofler machte er gerne eine Ausnahme. Sie brachte ihn nicht nur um jede Menge Kohle, sondern hatte einen neuen Deal unmöglich gemacht, den er mühsam aufgebaut hatte. Der Handel mit diesen Kunstwerken, auf die er durch Zufall gestoßen war, war sehr heikel. Da es sich dabei um Raubkunst aus dem zweiten Weltkrieg handelte, die nur für Kunden geeignet war, für die der Besitz allein wichtig war, war der Verkauf mühsam und riskant. Öffentlich durfte diese Kunst nicht auftreten, da sich sonst auf der ganzen Welt vermeintliche Besitzer melden würden, die die Geschäfte ruinierten. An einen Verkauf wäre dann überhaupt nicht mehr zu denken. Gerade, als er den Bellini „Madonna mit Kind“ zum Kauf anbieten wollte, der mit einem fetten zweistelligen Millionenbetrag zur Debatte stand, tauchte diese fürchterliche Frau Kofler auf. Der Deal lag vorerst auf Eis, das Risiko war einfach zu groß. Die Entscheidung, alle Verkäufe vorerst zu stoppen, war absolut richtig. Was hatte die Kofler gesehen? Und was hatte sie fotografiert? Wo waren die Aufnahmen? Dass sie welche gemacht hatte, stand außer Frage, die Kameraaufzeichnungen waren eindeutig, außerdem hatte er sie selbst beim Fotografieren erwischt. Was hatte die Frau mit den Fotos vor? Er kannte Sabine Kofler nicht persönlich und er hatte ihr nie etwas getan. Warum war sie hier und machte ihm die Geschäfte kaputt? Gut, die Kofler musste weg, das war klar. Aber was haben die beiden Männer damit zu tun, die offensichtlich Touristen waren und in Ägypten ihren Urlaub verbringen wollten? Konnte er die beiden auch einfach töten? Wer waren sie und was hatten sie mit der Kofler zu schaffen? Wäre es nicht klug, vorher Erkundigungen einzuziehen? Schließlich wollte er wissen, wessen Tod er zu verantworten hatte. War dafür überhaupt genügend Zeit?
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.