Kitabı oku: «DUNKLE GEHEIMNISSE», sayfa 2

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„Dr. Bentz“, stellte er sich Hans knapp vor. „Wo sind die Patienten?“

„Sie kommen reichlich spät!“ Tatjana konnte sich den Vorwurf nicht verkneifen.

„Das tut mir sehr leid, aber es ging nicht anders. Ich stehe auf der Bereitschaftsliste, habe aber trotzdem Patienten, die Vorrang haben. Wenn Sie mir jetzt freundlicherweise sagen würden, wo sich meine Patienten befinden?“

„Die beiden Buben sind dort hinten, die Eltern sind bereits da.“

„Das hätten Sie nicht erlauben dürfen. Soweit ich informiert bin, gibt es Anlass für Vorwürfe von Seiten der Eltern, was man nicht zulassen darf. Die Kinder befinden sich in einem Schockzustand, aus dem man sie langsam und behutsam herausführen muss!“ Dr. Bentz war sauer. Er hasste es, wenn man sich in seine Arbeit einmischte.

„Dann hätten Sie früher hier sein müssen!“

„Das machen Sie sich zu einfach, Frau Kommissarin. Sie wären dafür verantwortlich gewesen, die Kinder zu separieren.“

„Sie können mich mal. Gehen Sie endlich zu den Jungs und machen Sie Ihre Arbeit!“

Tatjana drehte sich um und ging.

„Dem hast du es aber gegeben“, lachte Hans, der wie alle anderen die Unterhaltung verfolgt hatte. „Was für ein Wichtigtuer.“

„Bereits der dritte heute, der mir blöd kommt. Mal sehen, was der Tag noch bringt.“

3.

Das Zuhause der Toten lag abgelegen am östlichen Rand Mühldorfs. Die Zufahrt war abenteuerlich, denn es ging über einen holprigen Weg voller Schlaglöcher. Diana sah sich um und war erschrocken, denn die Wiesen und Felder waren schon lange nicht mehr bewirtschaftet worden. Alles sah heruntergekommen und verwahrlost aus. Leo Schwartz und Diana Nußbaumer standen vor einem alten Bauernhaus, das schon bessere Tage gesehen hatte. Mit einer solchen Bruchbude hatten beide nicht gerechnet. Es gab keine Klingel, also klopfte Leo – und das viel zu heftig für die morsche Tür, die drohte, nachzugeben.

„Was wollt ihr hier?“ Eine Frau um die siebzig stand vor ihnen. Sie trug eine Latzhose, ein altes, farbverschmiertes T-Shirt und hatte ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen. In ihrem Mundwinkel hing eine selbstgedrehte Zigarette.

„Frau Giesinger?“

„Wer will das wissen?“

Die beiden wiesen sich aus. Leo konnte den Alkohol riechen. Unwillkürlich sah er auf die Uhr. Es war noch nicht mal Mittag.

„Was wollt ihr Bullen hier?“

„Es geht um Ihre Tochter“, begann Leo vorsichtig, obwohl er nicht den Eindruck hatte, dass diese unfreundliche Frau zart besaitet war.

„Hermine ist nicht hier. Es sind Osterferien und sie hatte irgendetwas vor. Was, weiß ich nicht mehr, ich habe ihr nicht zugehört. Was ist mit Hermine? Hat sie etwas angestellt? Das kann ich mir nicht vorstellen. Meine Tochter ist immer korrekt und anständig, was ich stets bedauert habe. Sie kommt ganz nach ihrem Vater, von mir hat sie rein gar nichts. Ich bin schon immer ein Freigeist gewesen, der sich an keine Vorschriften hält und der sich nichts vorschreiben lässt. Ich lebe in und durch meine Kunst.“

„Sie sind Malerin?“ Diana sah sofort, dass sie es mit einer dominanten Persönlichkeit zu tun hatten.

„Ich bin Künstlerin. Ich male, lege mich aber nicht nur darauf fest. Sobald ich eine Inspiration habe, muss ich sie umsetzen, egal mit welchem Material. Dabei ist mir der Tag, der Ort oder die Uhrzeit völlig egal. Ich bin ein spontaner Mensch, der sich in seiner Kreativität auslebt. Es gibt Gefühle und Eingebungen, die ich nur in Ton oder Holz ausdrücken kann, oder auch in Bildern. Das kann man nicht erklären, das muss man fühlen. Es ist eine Gabe, die nicht viele haben. Ich habe in Paris, Rom und London gelebt, habe viele Künstler kennengelernt, einige davon habe ich auch geliebt.“ Sie lachte und zog an ihrer Zigarette. „Ich gehöre zu der Generation der 68er und propagiere die freie Liebe, was sich auch auf meine Werke niederschlägt.“ Das laute Lachen hallte auf dem chaotischen Innenhof.

Diana war davon überzeugt, dass diese Frau sehr egoistisch war. So einem Menschen war sie noch nie begegnet und war dementsprechend begeistert. Leo war nur genervt von dem Gehabe und dem Gefasel der Frau, die sich um ihre Tochter offenbar keine Gedanken machte.

„Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter….“ Weiter kam Leo nicht, denn Frau Giesinger unterbrach ihn. Auch wenn offensichtlich war, dass es nicht um sie, sondern um ihre Tochter ging, schien ihr das egal zu sein.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen einige meiner Werke.“ Sie ging ins Haus. Auf dem Flur warf sie ihre Zigarettenkippe einfach auf den gefliesten Boden und ging achtlos weiter. Leo konnte nicht anders. Er hob sie auf, drückte sie aus und steckte sie in einen Blumentopf, in dem schon längst nichts Lebendiges mehr war.

Frau Giesinger führte die Beamten in einen riesigen Raum, der aus mehreren Zimmern bestand, zwischen denen einfach die Wände herausgerissen wurden. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, die offenen Ziegel zu verputzen, was Leo abermals sauer aufstieß. Der riesige Raum war voller Bilder, Skulpturen und Gegenständen aus Holz und Metall, die Leo nicht alle identifizieren konnte. Wenn man einige Bilder genauer betrachtete, konnte man mit viel gutem Willen ein Gesicht oder eine Hand erkennen, aber bei den Skulpturen musste er passen. Für ihn war das alles nur Müll.

Während sich Diana für die Kunstwerke zu interessieren schien, sah sich Leo in dem Raum um. Er registrierte die vielen Tassen, Teller und Gläser, die auf jeder noch so kleinen, freien Ablagefläche abgestellt wurden. In einem Eck stapelten sich Pizzakartons und leere Flaschen. Dass es sich vorwiegend nur um Alkohol handelte, wunderte ihn nicht. Frau Giesinger schien es egal zu sein, was sie trank, denn auf eine Richtung schien sie nicht festgelegt zu sein, auch beim Wein nicht. Er wollte einen Blick aus dem kleinen Fenster werfen, trat aber unwillkürlich zurück, als er die vielen Spinnweben und toten Fliegen sah. Leo hätte kotzen können, was die Künstlerin zu bemerken schien.

„Ich brauche das Chaos für meine Inspirationen. Meine Tochter meckert deswegen schon seit Jahren. Sie ist spießige Beamtin, was weiß die denn schon von Kunst! Ich habe mehrfach versucht, Hermine an die Kunst heranzuführen, wofür sie aber kein Gespür hat, leider. Was glauben Sie, was wir hätten gemeinsam schaffen können? Stattdessen machte sie ihr Abitur und hat studiert. Jetzt unterrichtet sie die Kinder fremder Menschen und ist einem engen Beamtenkorsett gefangen, anstatt das Leben zu genießen. Aber jeder so, wie er will!“ Sie lachte und trank den Wein aus dem Glas in ihrer Hand in einem Zug. Dann ging sie auf die Suche nach der Flasche.

„Was sagen Sie nun zu meinen Kunstwerken? Verstehen Sie etwas davon, oder tun Sie nur so?“ Frau Giesinger hatte die Flasche gefunden und nachgeschenkt. Dann sah sie Diana abschätzend an.

„Ich interessiere mich für Kunst, verstehe aber nicht so viel davon wie Sie, das müssen Sie mir nachsehen. Einige Ihrer Werke sind sehr ansprechend.“

Diana warf Leo einen flehenden Blick zu. Er musste sie aus der Situation befreien, was er sehr gerne machte. Er musste endlich darauf zurückkommen, warum sie hier waren. Diese vermeintliche Kunst war ihm völlig egal.

„Ihre Tochter Hermine wurde heute tot aufgefunden“, sagte er laut.

Frau Giesinger starrte ihn an.

„Hermine ist tot?“ Sie nahm einen Schluck aus der Flasche und füllte das Glas in ihrer Hand. „Aber das geht doch nicht, Hermine darf nicht tot sein. Wer kümmert sich jetzt um mich?“ Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Diana war nicht sicher, ob sie der Tochter oder sich selbst galten.

Leo und Diana warteten. Normalerweise gab es jede Menge Fragen von Seiten der Hinterbliebenen, aber die gab es nicht. Frau Giesinger stand nur da. Sie rauchte und trank, zu mehr schien sie nicht fähig zu sein.

„Dürfen wir uns im Zimmer Ihrer Tochter umsehen.“

Frau Giesinger nickte.

„Wo ist das Zimmer?“, hakte Diana nach.

„Ihr Bereich ist in der oberen Etage, ich bewohne das Erdgeschoss.“

Leo ging zur Tür.

„Können wir die Frau allein lassen?“, flüsterte Diana ihm zu.

„Warum nicht? Sie hat ihren Alkohol und ihr Selbstmitleid, mehr braucht sie im Moment nicht.“

Diana war erschrocken, so hart kannte sie Leo bisher nicht. Sie folgte ihm die Treppe nach oben, wo ihnen ein ganz anderes Bild geboten wurde. Hermine Giesinger lebte sehr gemütlich. Alles war ordentlich und sauber, was Leo sehr gefiel. Er hatte schon Angst gehabt, sich auch hier durch Dreck und Chaos wühlen zu müssen. Die Durchsuchung dauerte nicht lange. Leo nahm einige Ordner und Fotos mit.

„Kein Handy und keine Handtasche.“

„Ich habe auch nichts dergleichen gefunden.“

„Lass uns gehen, ich möchte nur noch weg. Ich ertrage Frau Giesinger nicht länger.“

„Was ist denn los mit dir?“

„Diese Frau ist eine Egoistin, die sich einen Dreck für ihre Tochter interessiert hat. Sie auf ihre Kosten gelebt hat und hat sie nur ausgenutzt.“

„Das weißt du doch noch nicht.“

„Wollen wir wetten? Diese Unterlagen werden es beweisen. Das Schicksal ihrer Tochter kümmert sie nicht, sie macht sich nur Sorgen um sich selbst. Das widert mich an.“

„Vielleicht kann sie ihre Gefühle nicht ausdrücken oder ist geschockt von der Todesnachricht, die du ihr nicht gerade schonend mitgeteilt hast.“

„Die Frau versteht nur klare Ansagen, mit Mitgefühl brauchst du bei ihr nicht zu rechnen.“

„Und wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Du magst einige Psychologiekurse besucht haben, die sicher nicht schlecht waren. Aber ich habe etwas, das du noch nicht haben kannst: Menschenkenntnis. Ich sage dir, dass sie die erste ist, die sich nach dem Erbe erkundigt. Wollen wir wetten?“

„Bist du heute zum Wetten aufgelegt?“ Diana drehte sich um und ging. Konnte sie sich in der Frau so täuschen? Nein, das war nicht möglich, so kalt konnte keine Mutter sein. Oder doch? Sie brauchte Gewissheit und startete einen letzten Versuch.

„Wir sind soweit fertig. Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen, Frau Giesinger. Wenn Sie Ihren ersten Schock überwunden haben und Fragen zum Tod Ihrer Tochter auftauchen, können Sie mich gerne jederzeit anrufen.“ Sie gab ihr eine Visitenkarte, die Frau Giesinger achtlos zur Seite legte. „Sie sollten in Ihrem Zustand nicht allein bleiben. Gibt es Familie oder Freunde, die Ihnen beistehen können?“

„Jaja“, sagte sie nur. Sie suchte nach Leo. „Sie sind doch auch Beamter, oder irre ich mich?“

„Ja, ich bin Kriminalbeamter.“ Leo ahnte bereits, was jetzt kommen würde.

„Ich habe keine Ahnung, wie das Gesetz das bei Tod regelt. Wie lange nach dem Tod werden Bezüge weiterbezahlt? Gibt es da eine einheitliche Regelung oder gelten für Beamte im Schuldienst eigene Richtlinien? Und gibt es einen Zuschuss für die Beerdigungskosten? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich habe nicht die Mittel für eine Beerdigung, die ja wohl ich übernehmen muss.“

Leo zuckte nur mit den Schultern, drehte sich um und ging.

Diana war erschrocken, mit solchen Fragen hatte sie nicht gerechnet. Leo lag völlig richtig mit seiner Einschätzung.

„Das ist die gefühlskälteste Frau, die ich je getroffen habe. Du hattest Recht, Leo, du hast die Wette gewonnen.“

„Ich wäre sehr froh gewesen, wenn ich mich geirrt hätte, das kannst du mir glauben. Mir tut die Tochter leid, die mit einer solchen Mutter leben musste.“ Leo dachte an seine eigene Kindheit in einem liebevollen Elternhaus. Für ihn war das immer selbstverständlich gewesen, was es aber nicht war. Er hatte das Glück gehabt, seinen Eltern noch zu Lebzeiten dafür danken zu können. Noch immer hatte er das verlegene Gesicht seines Vaters vor Augen. Die Tränen seiner Mutter sah er, bevor sie sie rasch abwischen konnte und das Thema wechselte. Warum konnten nicht alle Eltern so sein?

„Seppilein?“

„Monika? Was willst du?“ Sepp Laubmayer erschrak, als er die Stimme der Frau hörte, der er am liebsten den Hals umdrehen würde: Monika Giesinger. Seit einem kurzen, aber heftigen Verhältnis vor sechsunddreißig Jahren meldete sie sich sporadisch immer wieder. Nicht, weil sie an ihm hing, sondern nur, weil sie Geld wollte. Sepp Laubmayer bereute nur eine Sache in seinem Leben: Dass er sich auf diese Blutsaugerin eingelassen hatte. Seit dieser Erfahrung war er mit der Wahl seiner Geliebten vorsichtiger gewesen, er hatte aus seinem Fehler gelernt.

„Deine Tochter ist tot.“

„Was? Aber….“

„Die Polizei war gerade hier. Hermine wurde ermordet. Sie ist tot! Hast du verstanden?“

„Das ist traurig für dich, Monika, mein aufrichtiges Beileid.“

„Das kannst du dir sparen. Du hast dich nie für deine Tochter interessiert und mir brauchst du kein Theater vorzuspielen. Insgeheim bist du doch froh darüber, dass sie tot ist.“

„Rede doch keinen Blödsinn!“ Sepp Laubmayer musste sich beeilen. Seine Frau kam jeden Moment und sie durfte unter keinen Umständen von Monika und Hermine erfahren. Der kleine Ausrutscher mit Monika fand während dem Mühldorfer Stadtfest statt. Und zum damaligen Zeitpunkt war er schon verheiratet. Jahrelang hatte er nichts von Monika gehört gehabt. Irgendjemand hatte ihm erzählt, dass sie im Ausland sei – und dort sollte sie auch gefälligst bleiben. Vor knapp zwanzig Jahren meldete sie sich zum ersten Mal bei ihm und forderte Geld; für eine Tochter, von der er nichts wusste und mit der er nichts zu tun haben wollte. Monika drohte mit einem Skandal, wenn er ihr nicht finanziell unter die Armen greifen würde. Sie hatte drei Polaroid-Fotos, was ihm bis dato neu war. Diese Fotos durften nicht in die falschen Hände gelangen! Was hätte er tun sollen? Einen Skandal konnte er sich nicht leisten. Nicht als Geschäftsmann und nicht als aussichtsreicher Kandidat für den Mühldorfer Stadtrat, der er vor zwanzig Jahren war. Mühldorf war im wahrsten Sinne des Wortes ein Dorf, da war man mit einem solchen Skandal erledigt. Er dachte keine Sekunde darüber nach, gegen Monika zu kämpfen und zu dem Kind zu stehen. Warum hätte er das tun sollen? Er hatte ein Verhältnis mit dieser lebenslustigen Frau gehabt, und dass daraus ein Kind entstanden war, war eben Pech. Monika wollte Geld und davon hatte er genug, auch wenn ihm jeder Cent leidtat. Wenn diese unsägliche Geschichte herauskäme, wäre er erledigt. Seine Frau würde ihm niemals verzeihen und hätte ihn verlassen – und dabei die Hälfte des Vermögens mitgenommen. Und das alles wegen eines Fehlers in der Vergangenheit, an den er sich nur dunkel erinnern konnte? Er hatte gezahlt, und das nicht wenig. Da alles ganz schnell gehen musste, dachte er nicht an die Polaroids, was sich als großer Fehler herausgestellt hatte. Monika hatte ihm versprochen, dass sie sich nie wieder melden würde, aber sie hielt sich nicht daran. Alle paar Jahre rief sie ihn an, einmal stand sie sogar vor seiner Haustür. Das war vor neun Jahren gewesen. Sie teilte ihm mit, dass sie einen Bauernhof gekauft hätte und ihr Erspartes nicht ganz reichen würde. Ausgerechnet in Mühldorf! Er ließ sich erweichen, ihr noch eine letzte Summe zu geben und hatte ihr das Versprechen abgenommen, ihn nie wieder zu belästigen. Dabei hatte sie ihm versprochen, die Polaroids endgültig zu vernichten – und er hatte ihr geglaubt. Wie hatte er nur so dumm sein können? Sie hatte Wort gehalten und hatte sich nicht mehr gemeldet. Sie hielt sich zurück und ließ ihn in Ruhe. Hermine aber nicht. Irgendwie muss sie herausgefunden haben, dass er ihr Vater war. Sie hatte ihn während eines Einkaufs mit seiner Frau einfach angesprochen und sich vorgestellt. Das war vor einem halben Jahr gewesen. Er hatte sie schroff abgewiesen und davongejagt. Warum konnte man ihn nicht endlich mit dieser alten Geschichte in Ruhe lassen?

„Was willst du?“ Sepp Laubmayer drängelte. Er konnte nicht einfach auflegen, Monika ließ sich nicht abwimmeln. Wenn sie etwas wollte dann bekam sie es auch.

„Das Kind muss beerdigt werden.“

„Aha. Und da kommst du zu mir?“

„Zu wem denn sonst? Es ist deine Tochter.“

„Habe ich nicht schon genug gezahlt? Lass mich endlich in Ruhe! Du wirst keinen Cent mehr bekommen.“

„Überleg dir das gut, Seppilein. Denk an die Polaroids. Die sind zwar farblich nicht mehr ganz so gut, aber man kann dich immer noch gut erkennen.“

„Du hast sie also doch noch! Du verlogene Schlange hast mir versprochen, sie zu vernichten!“

„Du müsstest mich besser kennen.“

„Gut. Wenn ich zahle, dann nur unter einer Bedingung: Ich möchte im Gegenzug die Polaroids haben.“

„Darüber können wir reden, Seppilein.“

Sepp Laubmayer wusste, dass er zahlen musste. Aber wie sollte er das anstellen? Seit er im Ruhestand war gab es nur noch ein Konto, das er sich mit seiner Frau teilte. Seine Frau hatte darauf bestanden und er hatte sich überreden lassen. Er musste sich etwas überlegen. An Hermine verschwendete er keinen Gedanken. Sie war tot – und das war gut so. Wenn sie nicht mehr war, hatte er auch endlich Ruhe vor Monika. Sollte sie dennoch irgendwann auftauchen und weitere Forderungen stellen, hatte sie kein Druckmittel mehr, denn die Polaroids wären in seinem Besitz. Und wer würde einer durchgeknallten Künstlerin ohne Beweise glauben?

Monika Giesinger wählte die nächste Nummer.

„Hallo Peter, hier ist die Moni-Maus.“

„Moni? Ich bin überrascht. Ich dachte, nach der letzten Zahlung würde ich nie wieder von dir hören.“

„Ich habe eine traurige Nachricht für dich: Deine Tochter ist tot.“

Dieses Gespräch verlief nicht ganz so negativ wie das vorherige. Peter war bei weitem freundlicher, allerdings war bei ihm nicht viel zu holen. Es gab vielleicht mal ein paar hundert Euro, während der Sepp stinkreich war und sehr viel mehr locker machte.

„Das tut mir sehr leid, Moni. Schade, dass ich Hermine nie kennenlernen konnte.“ Ein Kennenlernen hatte Monika Giesinger nicht zulassen können, denn sonst hätte Peter den Braten gerochen. Peter war schwarz und Hermine weiß. Es wäre dem Dümmsten aufgefallen, dass da etwas nicht stimmte. Monika hatte ihm vor vielen Jahren einmal ein Foto eines farbigen Mädchens zukommen lassen und Peter war damit zufrieden.

„Das Kind muss beerdigt werden“, sagte Monika leise.

„Und du bist wie immer klamm.“

„Richtig.“

„Ich würde dir gerne helfen, aber mir geht es momentan selbst nicht gut.“ Er erzählte von einem Arbeitsunfall, der Monika nicht interessierte. Während er sprach, öffnete sie eine weitere Flasche. Sie holte eine Packung Debreziner Würste aus dem Kühlschrank und aß eine Wurst nach der anderen. Sie sagte kein Wort, was Peter nicht zu stören schien. Als er eine Pause machte, hakte sie sofort ein.

„Kannst du überhaupt nichts zahlen? Es ist deine Tochter!“

„Ich sehe zu, was ich machen kann. Aber viel wird es nicht werden, sorry.“

Monika war nicht überrascht und wählte die nächste Nummer. Die Namen auf ihrer Liste hatte sie nicht willkürlich in dieser Reihenfolge aufgeschrieben. Sie hatte sieben potenzielle Väter in all den Jahren bei extremer Geldnot sporadisch angezapft, die ihr alle die vermeintliche Vaterschaft abnahmen. Dass keiner von ihnen der leibliche Vater war, behielt sie für sich.

Jean-Pierre war Hermines Vater. Wie hatte sie den Franzosen geliebt! Aber er war schon lange tot. Er starb, als Hermine noch nicht einmal zwei Jahre alt war. Jean-Pierre war kein Freigeist wie sie, sondern sehr zielstrebig und fleißig. Er war Banker und wollte ganz nach oben. Dafür schuftete er Tag und Nacht. Diesen Stress hielt er nur mit Kokain aus - und an diesem Teufelszeug verstarb er. Ob es eine zu hohe Dosis war oder das Kokain verdreckt war, wusste sie nicht. Die Polizisten wollten oder konnten es ihr nicht sagen, und letztendlich war es auch egal. Tot war tot. Monika wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Jean-Pierre war ihre große Liebe gewesen, aber das war lange vorbei. Wie wohl ihr Leben verlaufen wäre, wenn Jean-Pierre auf sie gehört hätte und dieses verdammte Kokain nicht genommen hätte? Sie wischte diese Gedanken beiseite. Es war nun mal so, wie es war, damit musste sie zurechtkommen. Während sie ein weiteres Glas Wein einschenkte, blickte sie auf ihre Überlebensliste, wie sie sie gerne nannte.

Sepp stand ganz oben, denn er war reich. Danach folgte Peter, der spendabel war, wenn er gerade einen Job hatte. Bei den restlichen Namen handelte es sich um arme Schlucker, von denen nicht viel zu holen war. Es gab mal hier und da hundert Euro, aber das war es auch schon. Sie hätte sich ihre Liebhaber sorgfältiger aussuchen müssen! Außer Peter hatte keiner von ihnen jemals Ambitionen gezeigt, zur Familie zu gehören oder die Tochter sehen zu wollen. Auch das überraschte Monika nicht, denn für sie bestand die ganze Welt aus Egoisten, zu denen sie sich auch zählte. Gefühlsduseleien waren ihr zuwider. Seit Jean-Pierre tot war, hatte sie jegliche Gefühle anderen gegenüber ausgeschaltet, auch die zu ihrer Tochter. Wenn sie nur an sich dachte, war sie am besten dran. Deshalb hatte sie Hermine zu ihrer Mutter gegeben, die sich liebevoll um die Kleine gekümmert hatte. Wie hätte sie sich um ein kleines Kind kümmern können? Sie wusste ja oft selbst nicht, wie sie über die Runden kommen sollte.

Vor acht Jahren hatte sie das Glück gehabt, einen Galeristen zu finden, der ihre Kunstwerke nicht nur ausstellte, sondern sogar einige Stücke verkaufen konnte. Auf einen Schlag hatte sie viel Geld in der Hand, das sie diesmal sinnvoll investieren wollte. Sie fand im Internet einen alten Bauernhof in Mühldorf, der zum Verkauf stand. Sie erinnerte sich an das Grundstück und schlug sofort zu. Dass das Haus und alles drum herum in einem derart desolaten Zustand war, interessierte sie nicht. Den Kauf konnte sie mit Sepps Hilfe gerade so stemmen, aber für große Renovierungen hatte sie keinen Cent mehr übrig. Mit dem Galeristen hatte sie sich überworfen. Bei einem Streit hatte sie ihn mit einer Weinflasche angegriffen, weshalb er sich weigerte, weitere Kunstwerke für sie zu verkaufen. Sie war mittellos und hatte einen Zusammenbruch. Da erschien plötzlich ihre Tochter, die ihr wie selbstverständlich half. Nicht nur das, sondern seitdem kümmerte sie sich um sie und war immer für sie da. Das war sehr praktisch, denn Hermine sah zu, dass nicht alles verwahrloste. Sie übernahm dringende Reparaturen und beglich Rechnungen, die längst fällig gewesen waren. Als Hermine dann auch noch anbot, zu ihr zu ziehen, war das ein Glücksfall gewesen. Menschlich konnten sie nichts miteinander anfangen, dafür waren sie zu unterschiedlich. Aber sie hatten einen Weg gefunden, irgendwie miteinander zurecht zu kommen. Und jetzt war Hermine tot und sie war wieder allein.

Nach vier Stunden hatte Monika Giesinger endlich alle Telefonate erledigt. Man versprach ihr einige hundert Euro, die für eine Beerdigung nicht ausreichen würden. Sie musste nochmals mit Sepp sprechen, nur er konnte ihr das fehlende Geld geben. Aber das musste bis morgen warten, heute hatte sie keine Kraft mehr dazu. Ihre Situation war beschissen. Nur noch ein einziges Mal konnte sie Gelder von ihren Gönnern fordern, danach waren die Quellen versiegt, das war ihr klar. Wie sollte es dann weitergehen? Von was sollte sie leben? Die Lebenshaltungskosten hatte Hermine übernommen, darüber hatte sie sich in den letzten Jahren keine Sorgen machen müssen. Wie sollte sie jetzt ohne sie überleben? Sie hatte keinen Cent zurückgelegt und auch nie in irgendwelche Versicherungen einbezahlt. Das war ihr zum einen immer zu spießig gewesen, und zum anderen hatte sie kein Geld dafür übrig. Der Weg aufs Sozialamt würde ihr nicht erspart bleiben. Ob sie das fertigbrachte? Sie öffnete die nächste Flasche und weinte bittere Tränen.

Morgen musste sie nochmals mit Sepp sprechen. Und mit dem Nachlassgericht, wo sie heute noch keine Auskunft erhalten konnten. Mit viel Glück hatte ihr ihre Tochter etwas hinterlassen, mit dem sie vielleicht einige Zeit überleben konnte. Wenn nicht, wusste sie auch nicht weiter. Vielleicht war es dann an der Zeit, ihrem armseligen Leben ein Ende zu setzen.

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