Kitabı oku: «Engelchen...», sayfa 4
„Was wollte sie in der Kanzlei?“
„Keine Ahnung.“
„Bitte versuch, irgendetwas über den Termin herauszubekommen. Auch Informationen über das Möbelhaus und über Elfriede und Susanne Ettl wären sehr wichtig.“
„Da bin ich bei meiner Mutter genau richtig. Sie kennt alle wichtigen Geschäftsleute in Mühldorf und Umgebung. Natürlich werde ich auch versuchen, etwas über Majas Termin bei meinem Vater herauszubekommen. Versprechen kann ich allerdings nichts. Mein Vater ist in solchen Dingen sehr verschlossen.“
„Einen Versuch ist es allemal wert. Solltest du nichts herausfinden, fragen wir Maja. Hier ist Christines Handynummer. Nur zur Sicherheit.“
„Krohmer lassen wir draußen?“, wollte Werner wissen, dem das überhaupt nicht schmeckte. Der Chef mochte es nicht, wenn hinter seinem Rücken etwas ablief.
„Bevor wir keine Beweise haben, halte ich es für besser, ihm noch nichts zu sagen,“ sagte Hans. „Ich weiß, dass er Elfriede Ettl persönlich kennt. Krohmer war ein enger Freund vom alten Ettl.“
Leo und Hans fuhren zu Sandro Ettl, während Werner zu seinen Eltern fuhr.
Elena öffnete die Haustür und strahlte die Männer an. Als sie deren Ausweise sah, entglitten ihr die Gesichtszüge. Polizei! Warum waren sie hier? Was wollten sie? Sowohl Leo als auch Hans bemerkten das schlechte Gewissen in den Augen der jungen Frau.
„Wir möchten Herrn Ettl sprechen,“ sagte Leo.
Elena bat die beiden herein. Sandro saß mit der Tageszeitung im Wintergarten, vor ihm stand eine Kanne Kaffee und eine Schale mit frischen Croissants.
„Polizei? Haben Sie meine Frau gefunden?“, rief er erschrocken, als er die Ausweise sah.
„Noch nicht, was ein gutes Zeichen ist. Wo vermuten Sie Ihre Frau? Wohin könnte sie geflohen sein?“
„Geflohen? Was reden Sie denn da! Das hört sich ja so an, als wäre meine Frau eine Gefangene gewesen.“
„Sie war in einer Privatklinik am Chiemsee in einer Abteilung für psychisch Kranke. Wie würden Sie das bezeichnen?“, sagte Hans und sah Sandro in die Augen.
„Sind Sie nicht… ja, Sie sind Hans Hiebler, einer der größten Schürzenjäger, die Mühldorf zu bieten hat.“ Sandro Ettl kannte Hans von vielen Veranstaltungen aus seiner Jugend. Es gab in seinem Umfeld sehr viele Frauen, die hinter Hans her waren und ihn sehr gerne näher kennengelernt hätten. Während seiner Abi-Zeit war es am schlimmsten. Wie alt war Hans Hiebler damals? Ganz sicher war er gute zehn Jahre älter als er. Es gab keine Mitschülerin, die ihn nicht aus der Ferne anhimmelte und ihm nachstieg. Sandro mochte den Mann nicht. Vielleicht wegen seines Schlages bei Frauen, bei denen er nie eine Chance gehabt hatte?
„Kommen wir aufs Thema zurück,“ sagte Leo. „Warum die Privatklinik von Dr. Salzberger?“
„Das habe ich nicht entschieden. Ich erfuhr erst davon, als meine Frau längst dort war.“
„Wie bitte?“
„Meine Mutter war so lieb und hat sich darum gekümmert. Sie kennt Dr. Salzberger von früher. Ich war mit der Situation völlig überfordert. Majas Zustand wurde immer schlimmer. Meine Mutter hat alles Erforderliche in die Hand genommen und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Ich war nicht fähig, zu reagieren oder eine Entscheidung zu treffen. Dafür braucht man einen kühlen Kopf, für den meine Mutter bekannt ist. Sie hat in kürzester Zeit einen Platz in Dr. Salzbergers Klinik organisiert.“
„Wollte Ihre Frau in der Klinik bleiben?“
„Das weiß ich nicht. Ich durfte sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht besuchen.“
„Bitte?“, rief Hans entsetzt. „Deine Frau liegt in der Klinik und du besuchst sie nicht? Wie bist du denn drauf?“ Hans kannte Sandro und dachte nicht im Traum daran, ihn zu siezen.
„Ich habe mich den Anweisungen des Arztes nur widerwillig gebeugt,“ flüsterte Sandro. „Natürlich wollte ich sie besuchen und nach ihr sehen, aber Dr. Salzberger hat keine Besuche erlaubt.“
„Wie hat er das erklärt? Was hat er genau gesagt?“
„Er gab mir zu verstehen, dass meine Frau Ruhe brauche und er noch keinen Besuch erlauben könne. Meine Mutter hat Dr. Salzberger in der Entscheidung unterstützt.“
„Du solltest dich schämen,“ entfuhr es Hans und erntete von Leo einen verärgerten Blick. „Ist doch wahr! Wie kann man seine Frau dermaßen im Stich lassen? Ich an deiner Stelle wäre sofort zu meiner Frau geeilt und hätte mir einen Besuch von niemandem verbieten lassen. Wie kann man das alles seiner Mutter überlassen? Wie alt bist du eigentlich? Werde endlich erwachsen und übernimm Verantwortung!“
„Das brauche ich mir von dir nicht sagen lassen,“ sagte Sandro wütend. „Wie ich mich verhalte, geht dich einen feuchten Dreck an. Ich weiß sehr gut, dass du früher hinter meiner Frau her warst.“
„Das hat sie dir erzählt?“
„Nein, das hat sie nicht, dafür ist sie viel zu taktvoll. Aber alle anderen haben es gewusst. Es war peinlich, wie du ihr hinterhergelaufen bist.“
„Wenn ich mich für eine Frau interessiere, ist das nicht peinlich. Ja, ich mochte Maja und hätte mich glücklich geschätzt, wenn sie sich für mich entschieden hätte. Aber statt meiner hat sie dich gewählt, was ich nie verstanden habe. Sieh dich doch an! Selbst als erwachsener Mann versteckst du dich hinter deiner Mutter und schaffst es nicht einmal, deine Frau im Krankenhaus zu besuchen. Sie war eine Woche dort! In meinen Augen bist du kein Mann, sondern ein Waschlappen.“
Hans musste gehen, bevor er noch wütender wurde. Er rauschte vorbei an Elena, die an der Tür gelauscht hatte. „Haben Sie alles verstanden?“, maulte er sie an.
Elena wusste nicht, was sie sagen sollte, und fühlte sich ertappt. „Ausweis,“ fügte er hinzu. Er musste einige Minuten warten, bis sie ihn geholt hatte und er ihren Ausweis in Händen hielt. „Sie haben einen deutschen Pass?“
„Selbstverständlich. Ich bzw. meine Eltern sind Deutsche,“ verteidigte sie sich. Ja, sie hatte einen russischen Akzent und fand sich in der deutschen Grammatik immer noch nicht zurecht. Aber sie war Deutsche, wie ihre Eltern es auch sind. In dem Punkt war sie sehr empfindlich. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass sie und ihre Familie in Russland immer und überall als Deutsche verhöhnt und schlecht behandelt wurden. Es kam sogar vor, dass sie in der Schule deshalb verprügelt wurde. Als endlich die Ausreise nach Deutschland anstand, war die Freude groß. Damals war sie elf Jahre alt. In ihren Träumen war Deutschland ein Schlaraffenland, wo sie endlich zuhause war und davon überzeugt war, mit offenen Armen empfangen zu werden. Die Enttäuschung war groß, als sie hier zum ersten Mal als Russin bezeichnet wurde. Mit Fleiß hatte sie sich darangemacht, so viel wie möglich zu lernen, scheiterte aber immer wieder an der Sprache und an der Tatsache, dass sie überall nur die Russin war, so wie bei dem Polizisten vor ihr. Was fiel diesem Mann eigentlich ein?
„Elena Wert, wohnhaft in Mühldorf,“ las Hans von dem Ausweis ab. „Seit wann arbeiten Sie für die Familie Ettl?“
„Seit fast einem Jahr. Ich spare für ein Studienjahr in den USA,“ sagte sie voller Stolz.
„Als was arbeiten Sie hier?“ Hans‘ Worte waren voller Vorurteile, was Elena spürte. Dadurch wurde sie noch wütender.
„Ich wurde als Kindermädchen eingestellt und kümmere mich in erster Linie um die beiden Kinder. Natürlich übernehme ich auch Hausarbeiten, wenn es die Zeit erlaubt.“ Elena sprach betont langsam und hochdeutsch.
Hans sah sich um.
„Wo sind die Kinder? Ich sehe keine.“
„Seit Frau Ettl in die Klinik gebracht wurde, sind sie bei der Großmutter untergebracht, was natürlich nur vorübergehend ist. Es wird nicht mehr lange dauern und die Kinder kommen wieder nach Hause.“
„Verstehe. Dann haben Sie momentan nichts zu tun?“
„Der Haushalt muss weiterlaufen. Außerdem ist Herr Ettl auch noch da,“ sagte Elena irritiert. Was wollte der Polizist von ihr?
„Wie läuft ein normaler Arbeitstag ab, wenn die Kinder zuhause sind? Wie muss ich mir das vorstellen?“
„Normalerweise ist Lina um die Zeit in der Schule, sie besucht die erste Klasse der Grundschule Mühldorf in der Konrad-Adenauer-Straße. Marco ist im Kindergarten.“
„Der Kindergarten ist ebenfalls in Mühldorf?“
„Nein. Marco ist Autist und besucht eine Einrichtung in München, die sich auf Kinder mit Autismus spezialisiert hat.“
„Er fährt jeden Tag nach München?“
„Ja. Sonst hat ihn Frau Ettl immer persönlich gefahren und auch abgeholt. Aber in letzter Zeit war sie dazu nicht mehr in der Lage. Seitdem wird Marco von einem Taxiunternehmen abgeholt und abends auch wieder gebracht. Wenn Sie mich fragen, ist das kein Dauerzustand. Aber mich fragt ja keiner.“
„Dann sind Sie nur für das Mädchen zuständig? Ist das nicht zu wenig?“
„Was soll das heißen? Denken Sie, dass ein Kind keine Arbeit macht? Lina ist sehr aufgeweckt und möchte alles wissen. Ich gehe mit der Kleinen in den Zoo, in alle möglichen Museen und zu allen Veranstaltungen, auf die sie Lust hat. Frau Ettl hat ihre Tochter immer dazu ermuntert, das zu tun, was sie will. Und das macht die Kleine. Sie ist zwar sehr anstrengend und fragt einem Löcher in den Bauch, aber ich mag sie sehr gerne.“ Das glaubte Hans ihr sogar. Trotzdem fand er ein Kindermädchen bei der Konstellation völlig übertrieben. Aber das ging ihn nichts an, das war allein die Angelegenheit der Familie Ettl. Er gab Elena ihren Ausweis wieder zurück, woraufhin diese beleidigt davonrauschte.
„Was sollte das vorhin?“ Leo war wütend auf Hans, der am Wagen auf ihn wartete.
„Sorry, aber mich hat Sandro wütend gemacht. Wie kann man nur so lasch sein? In meinen Augen ist er ein richtiger Trottel.“
„Das finde ich auch, aber deshalb sind wir nicht hier. Wir versuchen herauszufinden, warum Maja in eine Klinik weggesperrt wurde. Dein Auftreten ist nicht hilfreich. Wenn du dich nicht zusammenreißen kannst, blasen wir das alles hier ab. Werner und ich unterstützen dich, weil du Maja Ettl glaubst. Wenn du dich weiterhin wie ein Elefant im Porzellanladen aufführst, ist die Sache gestorben. Haben wir uns verstanden?“
„Entschuldige. Ich verspreche dir, dass ich mich in Zukunft zusammenreiße.“
Leo fuhr los. Das, was Sandro von sich gegeben hatte, schmeckte ihm nicht. Er konnte noch nicht beurteilen, ob ihm der Mann etwas vormachte oder ob seine Mutter tatsächlich alle Strippen zog und damit auch verantwortlich für die Unterbringung der Schwiegertochter war. Er fuhr in das Möbelhaus Ettl, in dem er selbst schon einige Stücke gekauft hatte. Das Traditionsmöbelhaus unterschied sich von anderen, marktführenden Häusern. Hier wurde nicht nur auf Qualität und Nachhaltigkeit größten Wert gelegt, sondern auch auf umfangreiche Beratung und individuellen Umgang mit den Kunden. Als Kunde wurde einem das Gefühl vermittelt, wertgeschätzt zu werden.
Werner wurde zuhause bei seinen Eltern mit offenen Armen empfangen. Das war nicht immer so, denn sie waren mit seiner Berufswahl überhaupt nicht einverstanden gewesen und hatten ihn das sehr viele Jahre spüren lassen. Werner sollte die Firmentradition fortführen und zu gegebener Zeit die Anwaltskanzlei übernehmen, worauf ihr Sprössling allerdings keine Lust hatte. Auch die Wahl seiner Ehefrau stieß nicht auf Gegenliebe. Seit der Geburt von Werners kleiner Tochter hatten sich die Wogen geglättet.
„Du kommst allein? Wo ist die Kleine?“, fragte Frau Grössert enttäuscht.
„Sie ist zuhause. Heute bin ich nicht privat hier, ich brauche Informationen,“ sagte Werner und setzte sich an den üppig gedeckten Frühstückstisch. Seine Eltern frühstückten immer sehr umfangreich und lange, bevor beide in die Kanzlei gingen. Einen Termin vor 10.00 Uhr bei beiden zu bekommen war schier unmöglich.
„Informationen? Über wen?“ Dr. Wilhelm Grössert legte die Zeitung zur Seite. Wenn sein Sohn extra hier auftauchte, musste es wichtig sein.
„Möbelhaus Ettl, Elfriede, Susanne und Sandro Ettl,“ sagte Werner nur und nahm sich eine Brezel. Werners Mutter sprang sofort darauf an.
„Eine sehr angesehene Familie. Elfriede führt die Firma tadellos, wobei ihr die beiden Kinder immer zur Seite stehen.“
„Das weiß ich längst. Mich interessieren Einzelheiten. Gab oder gibt es Skandale, irgendwelche Geschichten über die Firma Ettl?“
„Du möchtest Klatsch und Tratsch hören? Warum interessiert sich die Kriminalpolizei dafür?“ Dr. Grössert war skeptisch.
Werners Mutter waren die Gründe gleichgültig.
„Elfriede ist menschlich ein sehr harter Knochen. Als ihr Mann noch lebte, war sie ganz anders. Sie ist erst durch Waldemars Tod und der plötzlichen Verantwortung so geworden. Es gab nie Skandale. In der Öffentlichkeit ist sie fast nie zu sehen. Sie zieht sich in ihrer Freizeit ins Privatleben zurück. Natürlich war und ist sie eine gute Partie und es gab viele Werber um sie. Aber Elfriede hat kein Interesse an einer neuen Partnerschaft. Sie lebt nur für die Firma und ihre Kinder.“
„Allerdings munkelte man, dass es mit dem Möbelhaus bis vor drei Jahren nicht zum Besten stand. Man sprach sogar schon von Insolvenz,“ sagte Dr. Grössert.
„Das ist interessant. Lief das Geschäft nicht mehr?“
„Das Geschäft lief prima. Allerdings ging Waldemar in Spielcasinos sehr großzügig mit seinem Geld um.“
„Er war ein Spieler?“
„So munkelt man, ja. Nach Waldemars Tod hat Elfriede die Geschäfte übernommen und das Möbelhaus erfolgreich aus den roten Zahlen geführt.“
„Sind das Gerüchte oder entspricht das der Wahrheit?“
„Du kannst dich darauf verlassen, dass das stimmt. Heute steht das Möbelhaus besser da denn je.“ Dr. Grössert hatte Elfriede die Geschäftsführung eines so riesigen Unternehmens nicht zugetraut und hatte Respekt vor ihrem Erfolg.
„Neben der Spielsucht hatte Waldemar auch ein Faible für sehr, sehr junge Frauen,“ sagte Frau Grössert angewidert. „Es gab in den 80er-Jahren einen unschönen Vorfall, den die Familie mit einer großzügigen Zahlung aus der Welt geschafft hat. Man sprach von einem Verhältnis zu einer Minderjährigen. Das Mädchen muss damals erst 15 Jahre alt gewesen sein.“
„Das sind doch olle Kamellen und längst verjährt,“ sagte Dr. Grössert. „Wenn du mich fragst, war an der Sache nie etwas dran.“
Werner musste schmunzeln. Er musste seinen Eltern, vor allem seiner Mutter, nur lange genug Zeit geben, bis alle Informationen auf dem Tisch lagen.
„Um wen ging es damals?“
„Das kam nie raus,“ sagte Frau Grössert. „Aber man nahm an, dass es ein Mädchen aus Mühldorf war: Eines der Sindermann-Familie, die nach dem Vorfall weggezogen ist.“
„Familie Sindermann?“
„Die wohnten in der Elbestraße. Eine Familie mit sieben Kindern. Wie gesagt, die Familie ist weggezogen und man hat nichts mehr von ihr gehört.“
„Was ist mit Sandro?“
„Ich möchte ihn nicht beleidigen, aber in meinen Augen ist er nicht der Intelligenteste, obwohl er sich sehr viel Mühe gibt. Er hat die kleine Maja geheiratet. Erinnerst du dich an sie? Ihr beide seid etwa gleich alt und wart zusammen auf dem Gymnasium. Sie war immer eine Revoluzzerin, die sich für alle eingesetzt hat. Ich kann mich noch erinnern, dass sie mit drei Mitstreitern einen Sitzstreik auf dem Mühldorfer Stadtplatz organisiert hat. Damals ging es um den Hunger in der Dritten Welt. Die Presse ist darauf aufmerksam geworden, tagelang wurde über nichts anderes berichtet.“
„Stimmt. Saßen sie und ihre Mitstreiter damals nicht nackt auf dem Stadtplatz?“ Dr. Grössert musste lachen, denn die Spießbürger hatten sich damals mächtig darüber aufgeregt.
„Stimmt. Die kleine Maja hat damals oft ordentlich Staub aufgewirbelt. Als ich hörte, dass sie Sandro heiratet, dachte ich, dass die beiden nicht zusammenpassen. Aber mich hat keiner gefragt. Auch Sandros Eltern waren von der Heirat wenig begeistert. Er hätte die Tochter der Sedlmaiers heiraten sollen. Das arme Ding ist bis heute ledig. Erinnerst du dich an Maja?“
„Klar.“
„Sandro und Maja haben zwei Kinder. Der Junge leidet unter Autismus. Kannst du dich noch daran erinnern Wilhelm, dass die Stadt Mühldorf eine Einrichtung für autistische Kinder und Jugendliche geplant hatte?“
„Ja. Aber daraus ist leider nichts geworden. Warum eigentlich? Zu wenig Bedarf?“
„Vermutlich.“
„Was weißt du über Susanne?“, kam Werner wieder auf den Kern des Themas zurück.
„Als Waldemar starb, lebte sie in der Schweiz. Ihre Eltern haben sie damals während des Schuljahres aus der Schule genommen und sie kam dann auf ein Internat in der Schweiz. Warum, weiß man nicht. Gerüchte gab es viele, aber die Familie hielt sich in dem Punkt immer bedeckt. Soweit ich weiß, war Susanne nicht bei der Beerdigung ihres Vaters. Auch vorher hat man sie nicht mehr in Mühldorf gesehen. Kurz nach dem Tod ihres Vaters tauchte sie wieder an der Seite ihrer Mutter auf und arbeitet seither im Möbelhaus mit. Was sie dort genau macht, weiß ich nicht. Ich glaube, ich würde Susanne nicht mehr erkennen, wenn ich ihr begegnen würde.“
„Was hat sie vorher gemacht?“
„Das weiß man nicht genau. Sie muss irgendetwas studiert haben. Genaueres hat man nie erfahren und somit konnten auch keine Gerüchte aufkommen.“
„Sie war nicht bei der Beerdigung und kam nie nach Hause? Merkwürdig. Ist Susanne verheiratet?“
„Sie war verheiratet. Und so, wie sie jetzt aussieht, nimmt sie kein Mensch mehr,“ mischte sich jetzt Dr. Grössert ein.
„Wie meinst du das?“
„Susanne war als Jugendliche keine Schönheit gewesen, aber sie war nicht hässlich. Trotzdem muss sie sich einem Chirurgen anvertraut haben, der sie bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet hat. Vor zwei Jahren hatte ich einen Termin bei Elfriede Ettl, bei dem ich auch Susanne begegnete. Ich war sehr erschrocken, als ich sie sah.“
„Das hast du mir überhaupt nicht erzählt,“ beschwerte sich Frau Grössert. „Warum sagst du mir so etwas nicht?“
„Weil es mir damals nicht wichtig schien. Was es heute auch nicht wäre, wenn Werner nicht gefragt hätte. Susannes Gesicht gleicht einer Maske. Keine Mimik, keine Falte, nichts. Alles wie glattgebügelt. Die Lippen sind bis zum Bersten aufgespritzt und das ganze Gesicht ist mit Make-up zugekleistert. Eine furchterregende, gespenstisch wirkende Fratze. Widerlich.“
„So schlimm wird es schon nicht sein, du übertreibst,“ lachte Frau Grössert. „Was wolltest du damals bei Elfriede?“
„Du weißt doch, dass ich über meine Mandanten nicht spreche.“
„Ich habe erfahren, dass Maja kürzlich bei dir war,“ sagte Werner an seinen Vater gewandt. „Was wollte sie?“
„Woher weißt du das?“
„Sie war also bei dir. Um was ging es?“
Dr. Grössert druckste herum. Ihm war das unangenehm. Am liebsten hätte er hinausposaunt, worum es ging, aber das durfte er nicht.
Werner spürte, was in seinem Vater vorging.
„Ging es um ihre Ehe?“
„Nein.“
„Um das Haus? Ein Testament?“
„Nein.“
„Die Kinder, es ging um die Kinder,“ sagte Frau Grössert. Sie kannte ihren Mann sehr gut.
„Hört auf mit den Fragen,“ rief er.
„Es ging also um die Kinder. Ist Elfriede der Grund dafür? Möchte sie sich die Kinder unter den Nagel reißen?“
„Ich sage nichts mehr. Ich fahre in die Kanzlei,“ sagte Dr. Grössert und ging davon. Bezüglich seiner Mandanten war er immer verschwiegen gewesen, was ihm in diesem Fall sehr schwerfiel. Dr. Wilhelm Grössert war ein knallharter Anwalt, den nichts so leicht aus der Bahn warf. Wenn es aber um Kinder ging, wurde er weich.
„Was ist mit der Familie Ettl? Warum fragst du nach ihnen? Gibt es Schwierigkeiten? Warum interessiert sich die Kriminalpolizei für sie?“
„Laufende Ermittlungen,“ sagte Werner, stand auf und ging. Jetzt war es höchste Zeit, das Feld zu räumen, bevor ihn seine Mutter nicht mehr aus ihren Fängen ließ. Werner musste schmunzeln, als er in seinen Wagen stieg. Seine Eltern hatten sich seit der Geburt seiner Tochter sehr zu ihrem Vorteil verändert. Bis vor gut einem Jahr waren beide noch versnobt und viel zu sehr von sich eingenommen. Jetzt öffneten sie sich und waren fast schon normal. Werner hätte sich den Zustand schon sehr viel früher gewünscht. Aber besser jetzt, als nie!
Frau Grössert stand am Fenster und sah ihrem Sohn hinterher. Seit der Geburt der Enkeltochter war sie mehreren Vereinen und Organisationen beigetreten, um rechtzeitig einschreiten zu können, falls es ihre Enkeltochter betraf. Sie wollte nichts dem Zufall überlassen und musste feststellen, dass ihr die vielen Termine sogar Spaß machten. Sie kam mit Menschen zusammen, mit denen sie vorher nie zu tun gehabt hatte. Frau Grössert sah auf die Uhr. Sie hatte einen Termin um 11.00 Uhr und zwei heute Nachmittag. Dazwischen hatte sie zwei Stunden frei. Sie entschied, ihrer alten Bekannten Elfriede einen Besuch abzustatten. Vielleicht erfuhr sie mehr von ihr. Wenn nicht, musste sie sich wohl oder übel an Rudolf Krohmer und dessen Frau halten. Aber davor musste sie unbedingt herausfinden, warum Maja Ettl die Kanzlei Grössert aufgesucht hatte. Wilhelm würde sich nicht so leicht in die Karten schauen lassen und war sehr bedeckt, wenn es um seine Mandanten ging. Sie musste geduldig sein und eine günstige Gelegenheit abwarten.
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