Kitabı oku: «Existenzielle Psychotherapie», sayfa 10
Gegentheorien
Bald erschienen Gegentheorien. Freuds kreativste Studenten nahmen sich die Libidotheorie vor; und um 1910 herum hatten Carl Jung, Alfred Adler und Otto Rank sich entschlossen, die Gnade ihres Meisters hinter sich zu lassen, statt sein mechanistisches dualistisch-instinkthaftes Menschenbild zu akzeptieren. Jeder dieser Abtrünnigen schlug eine andere Quelle der Motivation vor. Jung forderte einen spirituellen Lebenskraft-Monismus. Adler betonte die Sorge des Kindes um das Überleben und seine Kleinheit und Hilflosigkeit angesichts einer makroskopischen Erwachsenenwelt und eines umfassenden Universums. Rank betonte die Bedeutung der Todesangst und behauptete, dass das menschliche Wesen sich zwischen zwei Ängsten ständig hin- und herwindet – der Angst vor dem Leben (und dessen intrinsischer Isolation) und der Angst vor dem Tod. Diese Ansichten und die Beiträge solcher jüngeren Theoretiker wie Fromm, May, Tillich, Kaiser und Becker ergänzen alle die Freudsche strukturelle Theorie, aber ersetzen sie nicht. Freuds großer Beitrag war seine Formulierung eines dynamischen Modells des Geistes. Den Tod in das Freudsche dynamische Modell einzuführen, sowohl als Furcht vor dem Tod als auch als ein Begreifen des Todes, ist lediglich eine Wiedereingliederung: Der Tod war immer da, unterhalb der Kastration, unterhalb der Trennung und Verlassenheit. In diesem einen Fall blieben Freud und die ihm folgende analytische Tradition zu oberflächlich; nachfolgende Theoretiker haben eine korrektive Kraft zur Verfügung gestellt und haben so zur Vertiefung unserer Sichtweise vom menschlichen Wesen beigetragen.
3. Kapitel: Der Todesbegriff bei Kindern
Unsere Sorgen über den Tod und unsere Art, mit Todesangst umzugehen, sind keine Oberflächenphänomene, die leicht zu beschreiben oder zu verstehen wären. Sie treten im Erwachsenenalter auch nicht neu auf. Sie sind vielmehr tief in der Vergangenheit verwurzelt und werden im Verlauf des Lebens, während wir mit Sicherheit und Überleben beschäftigt sind, rundlich umgeformt. Das Studium des Kindes liefert uns eine einzigartige Möglichkeit, das Ringen des menschlichen Wesens mit dem Tod in der ursprünglichen Form zu untersuchen. Der Zweck dieses Kapitels ist es, die Begegnung des Kindes mit Sterblichkeit, sein Begreifen des Todes, sein Entsetzen, seine Vermeidungen und Schutzmechanismen und schließlich seine Entwicklung angesichts der Furcht vor dem Tod zu untersuchen.
Meines Erachtens gibt es eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Todes für das Kind und der Aufmerksamkeit, die dem Tod in der Kindesentwicklung durch Wissenschaftler gegeben wird. Die relevante Literatur ist dünn, und wenn man sie mit der umfangreichen Literatur über andere Fragen der Kindesentwicklung vergleicht, scheint sie bestenfalls oberflächlich zu sein. Empirische Studien über den Todesbegriff beim Kind sind besonders selten; psychoanalytisch orientierte Kliniker haben gelegentlich versucht, die Frage zu untersuchen, aber, wie wir sehen werden, mit einer Voreingenommenheit, die die Genauigkeit der Beobachtung oft untergräbt. Darüber hinaus ist viel einschlägiges Material in alten Veröffentlichungen zu finden und oft außerhalb der Hauptströmung der Literatur über die Kindesentwicklung oder die Kinderpsychiatrie. Vieles verdanken wir Sylvia Anthony, die die Forschung und die beschreibende Literatur in ihrer Monografie The Discovery of Death in Childhood and After1 so kundig durcharbeitete und analysierte.
Sowohl meine klinische Arbeit als auch die Durchsicht der Arbeiten von anderen lässt mich zu verschiedenen Schlussfolgerungen kommen:
1. Wenn Verhaltensforscher sich entschlossen, die Frage gründlich zu untersuchen, entdeckten sie übereinstimmend, dass Kinder außerordentlich stark mit dem Tod beschäft igt sind. Sorgen der Kinder über den Tod sind durchgängig vorhanden und üben weitreichenden Einfl uss auf ihre Erfahrungswelt aus. Der Tod ist für sie ein großes Rätsel, und eine ihrer größten Entwicklungsaufgaben besteht darin, mit der Furcht vor Hilfl osigkeit und Vernichtung umzugehen, während sexuelle Angelegenheiten sekundär und davon abgeleitet sind.2
2. Kinder sind nicht nur gründlich mit dem Tod beschäftigt, sondern diese Beschäftigung beginnt in einem früheren Alter als gemeinhin angenommen.
3. Kinder durchlaufen regelmäßige Entwicklungsstufen in ihrer Bewusstheit des Todes und in den Methoden, die sie verwenden, um mit ihrer Todesfurcht umzugehen.
4. Die kindlichen Bewältigungsstrategien beruhen unweigerlich auf Verleugnung: Es scheint, dass wir nicht in Toleranz gegenüber den nackten Tatsachen von Leben und Tod aufwachsen, vielleicht nicht aufwachsen können.
Das verbreitete Interesse von Kindern am Tod
Freud glaubte, dass die heimlichen sexuellen Erkundungen, die Beschäftigung mit der Frage ›Woher?‹ ein vorherrschendes Interesse von Kindern sei, und begründete damit die Generationenkluft, die zwischen Kind und Erwachsenen besteht. Es gibt jedoch genügend Beweise, dass die Frage ›Wohin?‹ unseren Geist auch als Kind intensiv beschäftigt und uns ständig während unseres gesamten Lebens in den Ohren summt: Man kann sich ihr stellen, kann sie fürchten, ignorieren, unterdrücken, aber man kann nicht frei von ihr sein.
Nur wenige Eltern oder Beobachter junger Kinder waren nicht erstaunt über das Auftauchen plötzlicher, unerwarteter Fragen eines Kindes über den Tod. Als mein fünfjähriger Sohn und ich einmal still am Strand entlang spazierten, wandte er plötzlich sein Gesicht zu mir hoch und sagte: »Weißt du, meine beiden Großväter starben, bevor ich sie je gesehen habe.« Es erschien mir wie eine Bemerkung, die die Spitze eines Eisbergs andeutete. Ich war sicher, dass er lange im Stillen über die Frage nachgesonnen hatte. Ich fragte ihn, so sanft ich konnte, wie oft er über solche Dinge wie den Tod nachdachte, und ich war verblüfft, als er in einer seltsam erwachsenen Stimme antwortete: »Ich denke ständig darüber nach.«
Ein anderes Mal bemerkte er unschuldig, aus Anlass der Abreise seines Bruders ins College: »Jetzt sind nur noch drei von uns zu Hause, du und ich und Mami. Ich bin gespannt, wer zuerst sterben wird.«
Ein viereinhalbjähriges Kind sagte plötzlich zu seinem Vater, »Ich fürchte mich jeden Tag vor dem Sterben; ich wünschte, ich würde niemals alt werden, denn dann würde ich niemals sterben.«3 Ein dreieinhalbjähriges Mädchen bat darum, dass man einen Stein auf seinen Kopf lege, so dass es aufhören würde zu wachsen und nicht alt werden und sterben müsste.4 Ein kleines vierjähriges Mädchen weinte vierundzwanzig Stunden lang, als es erfuhr, dass alle lebendigen Dinge sterben. Seine Mutter war nicht anders in der Lage, es zu beruhigen, als dass sie ihm versprach, dass es niemals sterben würde.5 Ein paar Tage nach dem Tod seiner Großmutter väterlicherseits kam ein vierjähriges Kind in die Küche der Wohnung seiner Familie und sah auf dem Tisch eine tote Gans, deren blutiger Kopf bewegungslos vom langen Hals herunterhing. Das Kind, das vom Tod seiner Großmutter gehört hatte, aber keine besondere Reaktion gezeigt hatte, schaute nun kurze Zeit ängstlich auf die Gans und sagte zu seiner Mutter: »Ist das, was du tot nennst?«6
Erik Erikson berichtet von dem Fall eines vierjährigen Kindes, dessen Großmutter starb, und das in der Nacht, nachdem es ihren Sarg gesehen hatte, einen epileptiformen Anfall hatte. Einen Monat später fand es einen toten Maulwurf, fragte nach dem Tod und hatte wieder Krämpfe. Zwei Monate später hatte es eine dritte Serie von Krämpfen, nachdem es versehentlich einen Schmetterling in seiner Hand zerdrückt hatte.7
Die unschuldige Art der Kinderfragen kann uns den Atem verschlagen. Das junge Kind fragt direkt: »Wann wirst du sterben?« »Wie alt bist du?« »Wie alt sind Menschen, wenn sie sterben?« Das Kind behauptet, »Ich will so lange leben, bis ich tausend Jahre alt bin. Ich will so lange leben, bis ich der älteste Mensch auf der Erde bin.« Dies sind Gedanken in einem Alter der Unschuld, und sie können durch einen Tod ausgelöst sein – den Tod eines Großelternteils, eines Tieres, vielleicht sogar einer Blume oder eines Blattes; aber oft tauchen sie unvermittelt, ohne irgendeinen äußeren Anreiz, auf: Das Kind reagiert nur die inneren Sorgen, über die es lange meditiert hat, ab. Später, wenn das Kind lernt, »des Kaisers neue Kleider« zu sehen, wird es auch dazu übergehen zu glauben, dass der Tod eine Angelegenheit ohne große Bedeutung ist.
Anthony hat uns einen objektiven Maßstab für die Todesbesorgnis von Kindern geliefert, indem sie bei neunundachtzig Kindern im Alter von fünf bis zehn Jahren einen Geschichten-Vervollständigungs-Test durchführte.8 Die Geschichten hatten ein offenes Ende und nahmen nicht ausdrücklich Bezug auf den Tod. (Beispiel: »Als der Junge abends ins Bett ging, worüber dachte er nach?« oder »Ein Junge ging zur Schule; in der großen Pause spielte er nicht mit den anderen, sondern blieb ganz allein in einer Ecke. Warum?«) Bei der Vervollständigung der Geschichten bekundeten die Kinder ein beachtliches Maß an Auseinandersetzung mit dem Tod oder der Vernichtung. Ungefähr 50 Prozent der Kinder bezogen sich in ihrer Vervollständigung der Geschichte auf den Tod, auf Beerdigungen, Tötungen oder Geister. Wenn etwas indirekte Antworten auch eingeschlossen wurden (»Er wurde überfahren« oder »Sie verlor eines ihrer Kinder«), stieg der Anteil auf über 60 Prozent. Zum Beispiel gaben die Kinder auf die Frage, »Als der Junge abends ins Bett ging, worüber dachte er nach?«, Antworten wie »Jemand kam in sein Zimmer und tötete ihn« oder »Schneewittchen, ich habe sie nicht gesehen, aber ich habe sie tot in einem Bilderbuch gesehen« oder »Jemand kam in sein Haus, sein Vater starb, und dann starb er auch.« Eine Geschichte erzählte von einer magischen Fee, die das Kind fragte, ob es erwachsen sein wollte oder ein Leben lang jung bleiben wollte, vielleicht für immer. Im Gegensatz zu dem verbreiteten Glauben, dass das Kind begierig ist, zu wachsen und stark und einflussreich zu werden, drückten 35 Prozent der Kinder in ihren Vervollständigungs-Geschichten eine Vorliebe dafür aus, jung zu bleiben, da sie Altwerden mit dem Tod in Verbindung brachten.
Der Todesbegriff: Entwicklungsstufen
Auf der Grundlage umfassender Belege für die Beschäftigung von Kindern mit dem Tod werde ich nun die Ontogenese des Todesbegriffs betrachten. Viele Forscher haben bemerkt, dass die Gedanken und Ängste der Kinder über den Tod und ihre Methoden, mit ihrer Furcht umzugehen, für bestimmte Entwicklungsstufen spezifisch sind.
Hindernisse bei der Erkundung dessen, was ein Kind über den Tod weiß
Unserem Wissen über das, was das sehr junge Kind über den Tod weiß, steht viel im Wege; deshalb gibt es in diesem Bereich auch viele Kontroversen.
Das Fehlen der Sprache und der Fähigkeit für abstrakte Gedanken. Das Fehlen der Sprache bei sehr kleinen Kindern ist ein gewaltiges Hindernis für das Verständnis des Erwachsenen vom inneren Erleben des Kindes. Deshalb werden von den Experten Annahmen darüber gemacht, was das Kind weiß und nicht weiß, die oft sehr einseitig sind. Ein anderer Faktor ist, dass Entwicklungstheoretiker, besonders Jean Piaget, gezeigt haben, dass es sehr jungen Kindern an der Fähigkeit für abstraktes Denken mangelt. Selbst noch im Alter von zehn Jahren ist das Kind in einem Stadium konkreter geistiger Operationen und beginnt gerade, das, was »möglich« ist, in Betracht zu ziehen.9 Da der Tod, der eigene Tod, Sein und Nicht-Sein, Bewusstsein, Endlichkeit, Ewigkeit und die Zukunft abstrakte Begriffe sind, haben viele Entwicklungspsychologen den Schluss gezogen, dass junge Kinder überhaupt keinen genauen Begriff vom Tod haben.
Freuds Standpunkt. Ein weiterer wichtiger Faktor, der die professionellen Ansichten über den Begriff des jungen Kindes vom Tod beeinflusste, war der harte Standpunkt Freuds, der überzeugt war, dass das junge Kind die wahren Implikationen des Todes nicht begreift. Da Freud die sehr frühen Jahre des Lebens als diejenigen betrachtete, die am wirksamsten für die Bildung des Charakters sind, sah er genau aus diesem Grund den Tod als ein unwichtiges Motiv in der psychischen Entwicklung an. Die folgenden Passagen aus Die Traumdeutung vermitteln seine Position:
… dass die Vorstellung des Kindes vom »Totsein« mit der unsrigen das Wort und dann nur noch wenig anderes gemein hat. Das Kind weiß nichts von den Greueln der Verwesung, vom Frieren im kalten Grab, vom Schrecken des endlosen Nichts, das der Erwachsene, wie alle Mythen vom Jenseits zeugen, in seiner Vorstellung so schlecht verträgt. Die Furcht vor dem Tode ist ihm fremd, darum spielt es mit dem grässlichen Wort und droht einem anderen Kind: »Wenn du das noch einmal tust, wirst du sterben, wie der Franz gestorben ist«, wobei es die arme Mutter schaudernd überläuft, die vielleicht nicht daran vergessen kann, dass die größere Hälfte der erdgeborenen Menschen ihr Leben nicht über die Jahre der Kindheit bringt. Noch mit acht Jahren kann das Kind, von einem Gang durch das Naturhistorische Museum heimgekehrt, seiner Mutter sagen: »Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, lasse ich dich ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit ich dich immer, immer sehen kann!« So wenig gleicht die kindliche Vorstellung vom Gestorbensein der unsrigen. Von einem hochbegabten zehnjährigen Knaben hörte ich nach dem plötzlichen Tode seines Vaters zu meinem Erstaunen folgende Äußerung: Dass der Vater gestorben ist, verstehe ich, aber warum er nicht zum Nachtmahl nach Hause kommt, kann ich mir nicht erklären. Gestorben sein heißt für das Kind, welchem ja überdies die Szenen des Leidens vor dem Tode zu sehen erspart wird, so viel als »fort sein«, die Überlebenden nicht mehr stören. Es unterscheidet nicht, auf welche Art diese Abwesenheit zustande kommt, ob durch Verreisen, Entlassung, Entfremdung oder Tod … Dass das Kind die Abwesenden nicht sehr intensiv vermisst, hat manche Mutter zu ihrem Schmerz erfahren, wenn sie nach mehrwöchentlicher Sommerreise in ihr Haus zurückkehrte und auf ihre Erkundigung hören musste; Die Kinder haben nicht ein einziges Mal nach der Mama gefragt. Wenn sie aber wirklich in jenes »unentdeckte Land« verreist ist, »von des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt«, so scheinen die Kinder sie zunächst vergessen zu haben und erst nachträglich beginnen sie, sich an die Tote zu erinnern.10
Danach weiß das Kind sogar im Alter von acht oder neun laut Freuds Ansicht wenig über den Tod (und fürchtet ihn daher auch wenig). Freud wies dem Tod in seinen Formulierungen über die grundlegenden Sorgen des Kindes einen relativ späten Platz in der Entwicklung zu und gab den Sorgen bezüglich der Sexualität eine frühere und primäre Position. Seine Schlussfolgerungen über die Rolle des Todes in der persönlichen Entwicklung waren höchst einflussreich und führten dazu, dass die Frage eine Generation lang vorzeitig ausgeklammert wurde. Es gibt, wie ich im letzten Kapitel ausführte, nicht nur persönliche und theoretische Gründe für Freuds Irrtum, sondern auch methodologische: Er arbeitete niemals direkt mit jungen Kindern.
Erwachsene Voreingenommenheit. Die Voreingenommenheit ist eine andere wichtige Barriere für unser Wissen darüber, was das Kind über den Tod weiß. Ob die Untersuchungen beobachtend, psychometrisch oder projektiv sind, die Daten müssen von einem Erwachsenen gesammelt und interpretiert werden; und die persönliche Angst und Verleugnung des Todes durch diesen Erwachsenen kontaminiert oft die Ergebnisse. Die Erwachsenen sprechen mit Kindern nur widerwillig über den Tod, sie vermeiden das Thema, sie akzeptieren oberflächliche Daten unhinterfragt, weil sie nicht bereit sind, beim Kind weiter nachzufragen, und nehmen die Erfahrung des Kindes in systematischer Weise falsch wahr, und sie täuschen sich auch, wenn sie annehmen, dass das Kind weniger Bewusstheit vom Tod und daher weniger Angst hat, als es tatsächlich der Fall ist.
Eine oft zitierte Forschungsarbeit über die Ängste der Kinder durch Rema Lapouse und Mary Monk veranschaulicht die Bedeutung dieser Voreingenommenheit.11 Die Autorinnen untersuchten eine große Stichprobe (N = 482) normaler Kinder im Alter von sechs bis zwölf mit dem Ziel, die Art und das Ausmaß der Ängste von Kindern festzustellen – aber weil sie das Gefühl hatten, dass es unmöglich wäre, hunderte von Interviews mit Kindern durchzuführen, interviewten sie stattdessen die Mütter! Die Mütter hielten die zwei Angst-Items, die am engsten mit dem Tod in Verbindung standen (»krank werden, einen Unfall haben oder sterben« oder »Sorgen über die Gesundheit«) für am wenigsten bedeutsam: Nur 12 Prozent der Mütter schätzten das erste Item als eine wichtige Sorge ein, und 16 Prozent das zweite. (Im Gegensatz dazu schätzten 44 Prozent »Schlangen« und 38 Prozent »Schulnoten« als wichtige Sorgen ein.)
Die Autorinnen wählten dann eine Unterstichprobe (N = 192) aus und interviewten sowohl die Kinder als auch die Mütter. Die Ergebnisse zeigten, dass die Mütter die Häufigkeit der Ängste der Kinder im allgemeinen unterschätzten. Die zwei auf den Tod bezogenen Items zeigten besonders hohe Diskrepanzen: Bei diesen Items stimmten Mütter und Kinder in ihren Antworten nur in 45 Prozent der Fälle überein: Von den Fehleinschätzungen waren 90 Prozent das Ergebnis der Unterschätzung der Sorgen der Kinder um den Tod durch die Mütter. (Die Mütter unterschätzten im selben Maß auch andere Items, die indirekter mit Tod in Beziehung standen: »Jemand in der Familie wird krank oder stirbt«, »Krankheitserreger«, »Feuer«) Die Ergebnisse legen nahe, dass die Mütter dazu neigen, sich des Grades, in dem ihre Kinder mit dem Tod beschäftigt sind, nicht bewusst zu sein.
Eine andere Studie berichtet von Reaktionen auf den Tod von John F. Kennedy in einem Kinderkrankenhaus.12 Die Forscher merken an, dass hoch ausgebildetes Krankenhauspersonal in unerwarteter Weise unzuverlässig war bei der Beobachtung der Reaktionen von Kindern auf den Tod. Diese Mitglieder des Personals differierten sehr stark, nicht nur in ihren Beobachtungen dieser Reaktionen, sondern auch in ihren Meinungen darüber, wie viele Informationen Kindern gegeben werden sollten und wie sehr man erwarten konnte, dass Kinder starken emotionalen Stress ertragen.
Piaget, der sein ganzes Berufsleben lang mit Kindern gearbeitet hatte, meinte, dass psychologische Tests, auch die von hoch differenzierter Art, häufig unvollständige und irreführende Daten erbringen, und dass die befriedigendste Art der Befragung eine »allgemeine Untersuchung« (oder ein »klinisches Interview«) ist – und die meisten Kliniker würden dem zustimmen. Tiefeninterviews mit Kindern haben in der Literatur jedoch Seltenheitswert. Unser Fürsorgeinstinkt wird geweckt beim Anblick der Jungen fast jedweder Säugetierspezies, angefangen von kleinen Kätzchen, jungen Hunden und Fohlen bis hin zu Menschen. Es ist schwierig, gegen den biologischen Strich zu gehen, ein Kind der nackten Wahrheit über den Tod auszusetzen; und diese Schwierigkeit ist, glaube ich, der Hauptfaktor für die Seltenheit professioneller Untersuchungen. Tatsächlich habe ich ernsthaft Zweifel darüber, ob ein Forschungsprojekt, in dessen Design eine ausdrückliche Befragung kleiner Kinder über den Tod enthalten ist, heute von einem Komitee für sozialwissenschaftliche Humanforschung genehmigt werden würde; zweifellos würde solch ein Projekt auf starken Widerstand der Eltern stoßen.
Folglich sind die Untersuchungen im Allgemeinen indirekt und oft oberflächlich. Es gibt nur wenige Berichte über Untersuchungen, die auf direkten Interviews basieren,13 und die gründlichsten von ihnen sind mehrere Jahrzehnte alt. Maria Nagy und Sylvia Anthony berichteten von Arbeiten, die in den vierziger Jahren durchgeführt wurden. Nagy (die den Kindern in der Schule, wo sie ihre Untersuchungen durchführte, als »Tante Tod« bekannt war) bat Kinder, Bilder über den Tod zu malen, Aufsätze über den Tod zu schreiben und ihre Gedanken über den Tod mündlich zu äußern.14 Anthony fragte nach Definitionen von Wörtern, die mit dem Tod zusammenhängen, und benutzte einen Geschichten-Vervollständigungs-Test.15 1935 legten Paul Schilder und David Wechsler Kindern eine Serie von Bildern mit Todesbezug vor und fragten nach ihren Reaktionen.16 Obwohl die Bilder sehr deutlich, ja sogar makaber waren, machten die Autoren Konzessionen gegenüber der Empfindsamkeit der Kinder und akzeptierten und berichteten die Reaktionen ohne nachzufragen. Wären die Versuchspersonen Erwachsene gewesen, hätten die Forscher dieses Vorgehen niemals geduldet; stattdessen hätten sie nachgefragt, nachgeforscht und die Reaktionen in großer Tiefe interpretiert. Was dem Kind beigebracht wird. Es gibt noch etwas, was unser Wissen über das, was ein Kind über den Tod weiß, beeinträchtigt. Ein Kind bleibt selten lange im ersten Zustand seines Wissens über den Tod, denn die Erwachsenen sind außerordentlich verängstigt bei dem Anblick eines Kindes, das mit Gedanken an den Tod ringt, und springen ein, um das Kind zu schonen. Das Kind nimmt die Angst des Erwachsenen wahr und entdeckt dementsprechend, dass es notwendig ist, Sorgen über den Tod zu unterdrücken: Es wird wenig echte Unterstützung von seinen Eltern erhalten. Viele Eltern kommen angesichts des Kummers eines Kindes ins Wanken und zwar trotz eines beträchtlichen Maßes an Aufklärung und des festen Entschlusses, ehrlich zu sein. Anthony berichtet von einer kurzen anschaulichen Unterhaltung zwischen einem fünfjährigen Kind und seiner Mutter, die Universitätsprofessorin war:
Kind: »Sterben Tiere auch?«
Mutter: »Ja, Tiere sterben auch. Alles was lebt, stirbt einmal.«
Kind: »Ich will nicht sterben. Ich würde gerne länger leben als irgendjemand auf der Welt.«
Mutter: »Du brauchst nie zu sterben; du kannst ewig leben.«17
Im Allgemeinen versuchen die Eltern, die Ängste eines Kindes zu besänftigen, indem sie eine Form der Verleugnung anbieten, entweder ein eigentümliches Verleugnungssystem oder einen sozial sanktionierten Unsterblichkeitsmythos.
Was der Forscher oft entdeckt, ist also nicht die natürliche Neigung eines Kindes, sondern eine komplexe Mischung aus dem Wissen des Kindes, Angst und Verleugnung, vermischt mit der Angst und den verleugnenden Abwehrmechanismen des Erwachsenen. Was man einem Kind erzählen sollte und was nicht, ist eine Frage, die ich später besprechen werde, aber wir müssen verstehen, warum wir unterschiedliche Formen der Wissensvermittlung bezüglich des Todes wählen. Ist es zum Nutzen des Kindes oder des Erwachsenen? Erma Furman, die junge Kinder, die einen Elternteil verloren hatten, genau untersuchte, schlussfolgerte, dass »konkrete Information über den Tod zu bestimmten Zeiten hilfreich für sie war, und dass die Aufgabe des Kindes schwieriger gemacht wurde, wenn die Erwachsenen in seiner Umgebung bewusst oder unbewusst Fehlangaben über die objektiven Tatsachen machten oder diese vertuschten.«18