Kitabı oku: «The sound of your soul», sayfa 4

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Es war erschreckend wie wunderschön … beängstigend wie erregend … aufwühlend wie beruhigend.

Oder trug gar mein hämmernder Kopfschmerz an dieser eigenartigen Reaktion Schuld?

»Geht es?«

Zögerlich richtete ich mich auf, suchte des Musikers Angesicht. Seine Hände hielt er weiterhin um meine Gesichtskonturen gelegt.

Himmel …

Tom war mir so nah … vielleicht zehn Zentimeter trennten unsere Nasenspitzen … dazu gesellte sich sein markanter wie besorgter Augenausdruck, von welchem mir zu allem Überfluss schwindlig wurde.

»Falls ich keinen Hirnschlag erlitten habe«, antwortete ich gepresst. »War dies wohl der Beginn eines Clusterkopfschmerzes … oder so …«

Engelsgleiche Güte trat in Erscheinung. »Zwar bin ich kein Humanmediziner, dennoch kann ich Ihnen garantieren, nicht an Clusterkopfschmerzen zu leiden.«

»Na, das beruhigt mich.« Wenigstens gelang es mir, mich gefasst und unbeeindruckt anzuhören. Mein Herz hingegen schien nahezu zu zerspringen. Und meine Nerven? Diese waren nicht mehr angespannt, sondern längst zerrissen.

Diese psychische Ausnahmesituation kompensierte mein Verstand, indem er just eigenwillige Fragen auftreten ließ.

Wie würde sich ein Kuss mit Tom anfühlen? Wie würde er schmecken? Genauso gut wie sein zartes Aftershave vermengt mit diesem minimalistisch herben, mich verrückterweise an Stroh erinnernden Eigengeruch?

Ich räusperte meine behämmerten gedanklichen Ergüsse davon. »Und wissen Sie, was mir fehlt?«

Ein breites Grinsen verlieh Tom diesen spitzbübisch-charmanten Zauber. »Sie haben mir eben einen Kopfstoß versetzt. Das ist alles.«

Ich blinzelte. »Wie … was?«

Er begann zu kichern.

Es hörte sich unwahrscheinlich an – unwahrscheinlich schön, niedlich, wunderbar …

»Ich wollte selbst nach meinem Schal greifen, doch Sie waren schneller und erhoben sich exakt in dem Moment, als ich mich zu Ihnen herabgebeugt hatte.«

Der Schal … natürlich!

Da spürte ich das gestrickte Kleidungsstück in meinen Händen – und erst dadurch verstand ich, was Tom mir zu sagen versuchte.

»O nein! Nicht auch noch das!« Meine Wangen erhitzten. »Habe ich Sie verletzt?«

Er ließ von mir ab, um sein Kinn zu umfassen. »Nun, Zähne sind noch alle beisammen … wehgetan hat es dennoch.«

»Das ist mir äußerst peinlich.«

Erst warf ich ihn zu Boden, und dann verpasste ich ihm überdies einen Kopfstoß. Das Ganze entwickelte sich allmählich zu einer Katastrophe!

Wackelig stand ich auf – und Tom war sofort dabei, mir aufzuhelfen, indem er seinen rechten Arm um meinen linken schlang. »Warten Sie, ganz langsam. Sonst fallen Sie mir noch um.«

»Keine Sorge.« Ich strich mir ein paar Haarsträhnen hinters Ohr und aktivierte den Rest meiner kaum vorhandenen Schlagfertigkeit. »Ich lasse es bestimmt nicht so weit kommen, dass ich in die Arme eines Mannes fallen werde.«

Das würde dieser Situation die Krone aufsetzen!

Toms Seelenerkundungsblick intensivierte sich zunehmend. »Nun, ich hätte nichts dagegen einzuwenden.«

Ich krauste die Stirn. »Wenn Sie in die Arme eines Mannes fallen?«

Meine Aussage entlockte ihm ein herzallerliebstes Schmunzeln. »Darauf haben Sie gewartet, geben Sie es zu!«

Nun konnte selbst ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen.

Er hüstelte leise. »Spaß beiseite … Damit meinte ich selbstredend Sie.«

Frische Hitze kletterte mir in mein Haupt.

Flirtete dieser Kerl etwa ständig? Gab es nichts anderes für ihn?

Seine nach wie vor meinen linken Arm festhaltenden Hände drängten meine Überlegungen in eine andere Richtung.

Wollte Tom mich nicht mehr loslassen?

Sein unbekümmerter fröhlich-zufriedener Ausdruck sagte eher »Ja« …

Das bedeutete wohl, ein weiteres Mal selbst aktiv zu werden.

Durch einen langen Schritt nach hinten war es mir möglich, seinen warmen Händen zu entkommen – und die mir altvertraute Leere trat schlagartig zurück in mein Inneres.

Eigentlich wollte ich gar nicht weg von Tom. Dieser verrückten Tatsache wurde ich mir blöderweise erst gewahr, nachdem ich meinen Einkaufswagen ergriffen hatte.

Kruzitürken noch einmal!

Welchen Irrsinn fühlst du da?

Dieser Flirtmeister hatte es neuerlich geschafft, mich mit einem einzigen Blick einzulullen!

»Darf ich meinen Schal zurückhaben?«

Wie?

Verdutzt blickte ich auf meine rechte Hand … und erstarrte.

Fest umklammert hielten meine Finger das schwarze Kleidungsstück wie den Griff des Einkaufwagens.

Verdammt …

Ich hatte nicht bemerkt, diesen nach wie vor bei mir zu tragen.

Himmel … was war los mit mir?

Dass ich grundsätzlich schnell aus dem Konzept gebracht werden konnte, war kein Geheimnis. Gegen solche Verwirrtheitszustände hatte ich aber noch nie kämpfen müssen … und meine Beschämung? Die war längst mit vierzig Zehnerpotenzen multipliziert worden.

Ich antwortete Tom mit einem knappen »Natürlich« und reichte ihm den kuscheligen Halswärmer.

Was hätte ich sonst entgegnen sollen? Jede Erklärung, Abschwächung oder Negierung meiner offenkundigen Blödheit hätte mich bloß weiter ins Abseits manövriert.

Dankend nahm Tom den Schal entgegen und wickelte diesen sogleich um seinen schlanken Hals. »Normalerweise mag ich Tücher und Schals nicht besonders … Irgendwie fühle ich mich da … nun ja … wie vom anderen Ufer.«

Angesichts möglicher Beleidigungen durch eine unbedachte Stellungnahme meinerseits wollte ich ihm ursprünglich ein gekünsteltes Lächeln zuwerfen und nicht weiter darauf eingehen.

Doch was geschah stattdessen?

Ich verfiel in ein herzliches, unbefangenes Gelächter. Auf Biegen und Brechen – es gelang mir nicht einmal im Ansatz, dieses einzudämmen.

Verflixt und zugenäht!

Ich verstand mich einfach nicht mehr. Besser gesagt: Ich verstand rein gar nichts mehr.

Und Tom …

War er sich seiner Situationskomik eigentlich bewusst?

Letztgenanntem jedenfalls schien mein Lachanfall deutlich zuzusagen, davon bezeugte sein bombastisches, in seinen Augen explodierendes Seelenlicht.

Es dauerte etwas, bis mein emotionaler Ausreißer gänzlich abgeebbt war und ich zu einer Erwiderung ansetzen konnte. »Sie sehen nicht schwul aus.«

Ein spitzbübisches Grinsen Toms trat selbstbewusst in Erscheinung. »Das freut mich … Es wäre ärgerlich, wenn plötzlich ausnahmslos Homosexuelle an mir Interesse zeigen würden.« Unversehens vollführte er beschwichtigende Handgesten. »Damit will ich aber unter keinen Umständen eine Aversion gegen Personen mit divergenten Vorlieben andeuten. Solange Menschen keine Straftaten begehen, ist es mir völlig gleich, was sie tun, mögen oder lieben.«

Das war eine Ansage!

Nicht einmal alle Menschen in meinem Umfeld zusammengerechnet konnten mit einem solchen Weitblick aufwarten.

Tom sah das große Ganze – nicht bloß einen winzigen Ausschnitt des Bildes … oder wie in diesem Fall, des Gesagten.

Ich straffe die Gestalt. »Nein, ernsthaft. Sie sehen damit nicht schwul aus. Der Schal und der Mantel steht Ihnen, ebenso der Anzug letzten Samstag. Sie haben einen ausgeprägten Geschmack für elegante Kleidung. Das ist eine Seltenheit heutzutage. Insbesondere Männern gelingt es kaum, sich vernünftig anzuziehen. Sie bilden eine gern gesehene Ausnahme.«

Seine Wangen färbten sich Rot.

Im hellen Licht wirkte Tom damit noch weitaus niedlicher … Nein. Er wirkte bezaubernd.

»Ich …« Seine Pupillen wanderten etwas zur Seite. »Ich bekomme leicht Halsschmerzen.«

Meine Güte!

Mein Kompliment beschämte ihn.

Dieser Charakterzug passte ähnlich wenig zu einem Musiker wie seine angebliche Menschenscheue.

»Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen, weshalb Sie einen Schal tragen«, beruhigte ich. »Andere Leute interessiert dies ohnehin nicht. Die bemerken solche Nebensächlichkeiten erst gar nicht.«

Jegliche Verlegenheit Toms wurde augenblicklich von Ernsthaftigkeit verdrängt. Gleichzeitig hüpfte sein intensiver Blick zu mir zurück. »Und Sie? … Interessiert es Sie?«

Ich schluckte.

Was sollte ich darauf antworten?

Für gewöhnlich interessierte ich mich rein gar nicht dafür, wie Menschen sich kleideten, verhielten oder welche Meinungen sie vertraten – insbesondere nach der Geschichte mit meinem Ex. All die harten Worte, das grausame Verhalten, meine Einsamkeit – wozu sollte ich mir den Kopf zerbrechen, weshalb diese oder jene Leute dieses oder jenes anzogen? Meinem Erfahrungsschatz zum Trotz wollte ich Tom nicht mit einer kaltschnäuzigen Aussage verletzten. Dieser Mann mutete hochgradig empfindsam an. Zudem gaben vergangene Verletzungen und Erniedrigungen mir nicht das Recht, meinen Frust an Mitmenschen auszulassen – vor allem nicht an Personen, die mich nicht kannten und nicht über mein Seelenleben und meine negativen Erlebnisse Bescheid wussten. Des Weiteren wollte ich unter keinen Umständen lügen. Unwahrheiten zu sprechen war für mich ähnlich schwerwiegend wie Mord oder ein Seitensprung. Demzufolge blieb mir wohl nichts anderes übrig, als Tom die Wahrheit abgeschwächt mitzuteilen.

»Ich interessiere mich nicht besonders für den Kleidungsstil anderer. Außerdem geht es mich nichts an. Kleidung, Musik, Bücher, Filme – solche Dinge zählen zu den persönlichen Vorlieben. Niemand hat dazu das Recht, ein Urteil zu fällen.«

Seine Züge wurden weich. »Danke für Ihre Aufrichtigkeit.«

Hatte er mein Zögern bemerkt?

Nein, so etwas gab es nicht! Das war reiner Zufall gewesen.

Tom klopfte sich Mantel und Hose ab.

»Sie sind meinetwegen schmutzig geworden. Das tut mir furchtbar leid. Wenn Sie wollen, zahle ich Ihnen die Reinigung.«

Irgendwie musste ich mich für meinen Einkaufswagen-Bodyslam entschuldigen … Da schien eine Reinigung angebracht, oder? Zumindest hoffte ich das. Immerhin konnte Tom – wenn er ein Mistkerl war – mich auf Schadensersatz sowie Körperverletzung klagen.

Sein sänftiglicher Augenausdruck zog mich aus meinen Grübeleien und machte mich leicht schwindlig.

»Nein, nein«, erwiderte er gütlich. »Es handelte sich bloß um ein wenig Staub.«

»Dennoch tut es mir aufrichtig leid. Ich wollte Sie nicht zu Boden stoßen.«

»Das hoffe ich.« Der überraschend freche Ton sowie das verschmitzte Grinsen ließen mich unwillkürlich erschauern. »Ansonsten müsste ich Ihnen dieses Verhalten nämlich noch übel nehmen.«

Meine Hände knetend blickte ich zu meiner im Einkaufswagen liegenden schwarzen Tasche.

Was sollte ich jetzt tun?

Wollte er mich womöglich doch anzeigen? Wartete er darauf, mich auszunehmen?

»Kommen Sie heute Abend in die Bar?«

Seine mit Hoffnung getränkte Stimmlage nötigte mich dazu, mich ihm zuzuwenden. »Eigentlich habe ich keine Zeit.«

Er zog die rechte Augenbraue nach unten. »An einem Samstag haben Sie keine Zeit?«

»Ich plante andere Dinge ein, wie meine Vorhänge zu waschen.«

Und mich auszuruhen, komplettierte ich gedanklich. Oder mir einen Film anzusehen, anstatt mir meinen Schlaf durch Menschenansammlungen zu vermiesen.

Selbstredend wollte ich mich entschuldigen … ein weiteres Flirt-Gespräch wie das gestrige führen lag jedoch nicht in meiner Absicht.

Nun krauste er die Stirn. »An einem Samstag?«

»Ja.«

»Sind Sie da ganz sicher?«

»Ja.« Ich besah ihn kritisch. »Dies soll keine Ausrede darstellen, falls Sie das vermuten. Ich putze grundsätzlich am Wochenende, da ich unter der Woche zu müde dafür bin.«

Vor allem außertourliche Reinigungsarbeiten verschob ich gerne auf meinen persönlichen Ruhetag. Zum einen, um mit der Arbeit fertig zu werden, zum anderen, um mich sonntags nicht zu sehr zu übernehmen.

»Und in diesem Fall existiert keine Möglichkeit zu einer Ausnahme?«

Ich wollte etwas entgegnen, da fuhr Tom fort. »Nicht einmal, wenn ich Ihnen diesen –« Er nickte zur Seite – zu der Stelle, wo ich ihn zu Boden befördert hatte. »Barbarischen Akt lediglich dann verzeihe, wenn Sie mich heute Abend besuchen kommen?«

Ich hätte es mir sofort denken können!

Da zeigte ich Reue – und flugs glaubte die männliche Gattung Mensch, sie könne sich jegliche Freiheiten herausnehmen.

»Das klingt stark nach Erpressung.«

Seine Augen erstrahlten im kindlichen Glanze. »Nun … ich weiß nicht. Erpressung besitzt einen solch harten Unterton.« Nochmals legte er die Stirn in Falten. »Nennen wir es lieber –« Er deutete Gänsefüßchen mit Zeige- und Mittelfinger an. »Den Vorschlag für eine Entschuldigung – und den Appell an Ihr Gewissen.«

Das war die Oberfrechheit schlechthin!

Nahm er an, ich würde ob seines delikaten Äußeren sofort spuren? Litt er unter Realitätsverlust ausgelöst durch ihn anhimmelnde Fans – falls es denn welche gab – oder glaubte er, er sei etwas Besseres, weil er Saxofon spielte?

»Ich kann ausgesprochen gut selbst entscheiden, wie ich mich bei jemandem entschuldige.« Meinen Frust versuchte ich erst gar nicht zu verstecken, dementsprechend forsch fuhr ich ihn an. »Und am Rande erwähnt: Ich bot Ihnen an, die Kosten für die Reinigung Ihrer Wäsche zu übernehmen.«

»Ich verlange keine Reinigung, keinen Schadenersatz – lediglich ein Gespräch in der Bar.« Sachte gestikulierte er mit der rechten Hand. »Ist das schlimm?«

Entgegen meiner Annahme, Tom durch mein dreistes Verhalten wütend oder beleidigt gestimmt zu haben, bedachte er mich mit einem ausgeprägten Dackelblick. Ein mitten in mein kühles Herz einschlagender Anblick. Ein Anblick, derart verloren, sehnsüchtig und lieblich … ich wusste bei Gott nicht, wie ich darauf reagieren sollte.

»Bitte kommen Sie heute vorbei.« Sein bettelnder Tonfall war nicht eben hilfreich, meinen Mitleidspegel und in weiterer Folge mein Reuegefühl zu mindern.

»Das Gespräch letzte Woche gefiel mir sehr«, übergoss er seine Überredungskünste mit Zuckerguss. »Ich fand es schade, dass Sie so schnell verschwanden.«

Ich seufzte.

Was sollte ich machen?

Einerseits lag er im Recht. Ich hatte ihn zu Boden geworfen. Andererseits war es eine Frechheit, dies auf eine solche unverschämte Methode einzufordern.

Und dann erst dieser Dackelblick!

Bestimmt war es ihm genauestens bewusst, wie sehr seine Gesichtsakrobatik bei Frauen zog.

Verdammt noch einmal!

»Wie lange wollen Sie mich derart intensiv anstarren?«

»Bis Sie nachgeben.«

Ha! Da hatten wir es! Alles ein perfekt kalkuliertes Schauspiel!

Aber okay. Ich würde ihm diese Bitte erfüllen. Danach war jedoch Schluss. Kein weiterer Lokalbesuch mehr, keine Gedankenspielereien über Tom mehr. Gar nichts mehr!

»Nun gut.« Ich kratzte mich an der Nase. »Ich werde kommen.«

In Toms Angesicht ging die Sonne auf. »Wirklich? Ja? Das freut mich unwahrscheinlich!«

»Aber mehr brauchen Sie nicht einzufordern.«

»Natürlich nicht.« Beschwichtigend hob er die Hände. »Ausschließlich dieser Abend.«

»In Ordnung. Wann soll ich vorbeischauen?«

»Ab zehn.«

»So spät?«

Ich war kein Nachtmensch. Ganz und gar nicht. Bereits deshalb ging ich abends äußerst ungern außer Haus.

»Wann öffnet die Bar denn?«

»Um neun. Doch ab fünfzehn nach neun spiele ich für eine knappe dreiviertel Stunde.« Unbeholfenes Herumfuchteln seiner rechten Hand evozierte eine sachte Nervosität in mir. »Da ich mich mit Ihnen unterhalten möchte, ist es somit besser, wenn Sie erst ab zehn Uhr eintreffen.«

Weshalb wollte Tom nicht vor mir spielen? War er solcherweise schlecht?

»Schämen Sie sich, vor mir zu musizieren?«

Offenkundiger Schock flog über seine Züge und wurde unmittelbar darauf von eklatanter Unsicherheit verdrängt. Hiervon bezeugten seine sich wellenden Augenbrauen wie der sich senkende Blick Richtung Boden. »Nun … ich mag es nicht sonderlich, wenn Leute mir zuhören, die mich kennen.«

Hä?

»Ihnen ist bewusst: Es gibt Stammgäste im Lokal, oder?«

Er errötete. »Ja, allerdings spreche ich in diesem Fall nicht von diesen.«

Aha …

»Von welcher Klientel sprechen Sie dann?«

»Für Personen, welche sich nicht sonderlich für meine Wenigkeit interessieren –« Er stockte. »Oder für Personen, welche mich nicht sonderlich interessieren, spiele ich grundsätzlich gerne. Bei allen anderen dagegen nimmt der Druck zu große Ausmaße an. Dadurch passieren mir Fehler. Ich hasse es, wenn mir Fehler passieren.« Die letzten drei Sätze ratterte er in einem irrsinnigen Tempo herunter, ich wäre beinahe nicht mitgekommen. »Kommen Sie einfach um zehn.« Dies gesprochen drehte er sich um und eilte davon.

Was, zur Hölle, sollte das nun bedeuten?

Anscheinend hatten einige Kunden unser Gespräch belauscht, starrten diese mich gefühlsmäßig genauso verdattert an wie ich dem davoneilenden Tom.

Wie war das gewesen … was hatte Tom exakt erwidert? Er spielte einzig für Leute gerne … die sich nicht für ihn interessierten … oder für die er sich nicht interessierte?

Allmählich begann ich zu verstehen – womit eine brutale Hitzewelle über mich herniederbrach.

Interessiert Tom sich für mich … ?

Hatte ich das richtig deduziert?

Gesenkten Hauptes schob ich meinen Einkaufswagen zur Obstabteilung, gleichermaßen wie ich sämtliche Überlegungen beiseiteschob.

Ziehe keine voreiligen Schlüsse! Sei kein Naivling, sondern eine erwachsene Frau!

In einem tranceartigen Zustand erledigte ich meine restlichen Einkäufe und fuhr nach Hause. Ob ich an roten Kreuzungen anhielt oder Fußgeher über Zebrastreifen passieren ließ, war mir unmöglich zu sagen.

Dieser unwirkliche Zwischenfall war zu viel für meine Nerven.

Unterdessen ich die Lebensmittel verstaute, nahm mein vernebeltes Gehirn stückchenweise an Fahrt auf.

Bedeutete ich Tom tatsächlich etwas? Ging es ihm womöglich gar nicht um einen One-Night-Stand?

Ich verwarf diesen aus Dummheit, Unbedarftheit und Wunschdenken geborenen Irrsinn.

Hier ging es um gar nichts. Gewiss hatte ich es falsch aufgefasst – genauso wie ich in der Vergangenheit dutzende menschliche Reaktionen falsch aufgefasst hatte.

Nach einem schmackhaften Mittagessen, welches aus gebratenem Hühnerfleisch mit einer dunklen Soße und Jasminreis bestanden hatte, hockte ich mich auf die verhasste Couch und griff nach dem Taschenbuch.

Ein wenig lesen und ausrasten, dachte ich. Dann kümmere ich mich um die Vorhänge.

Jäh erschien Tom mitsamt flehentlichem Gesichtsausdruck vor mir.

Sollte ich ihn besuchen?

Die tiefen Temperaturen und die späte Uhrzeit gingen mir gehörig gegen den Strich. Diese beiden Dinge außer Acht gelassen, liebte ich Saxofonklänge.

Dies war einmal anders gewesen. In meiner Kindheit hatte ich dieses Instrument regelrecht gehasst. Wahrscheinlich aufgrund seines romantisch-sexuellen, verträumten Klangs. Töne, Klangfarben, Stimmen – seit jeher war ich überdurchschnittlich empfänglich für Geräusche aller Art. Ebendrum hielt ich lautes Menschengetratsche, extrem aufgedrehte Musik sowie Straßen- und Maschinenlärm nicht lange aus.

Da Verwandte, Schulkollegen und Bekannte regelmäßig über meine Vorlieben und Meinungen hergezogen waren und Lehrer mir auf erniedrigende psychologische Weise meine Andersartigkeit – aber vor allem Dummheit – unter die Nase gerieben hatten, hatte ich gelernt, mich abzukapseln. Ich hatte gelernt, nichts über meine Wünsche oder Sehnsüchte zu verlauten. Ich hatte gelernt, keine Fragen zu stellen und nicht aufzufallen. Und ich hatte gelernt, alles zu verachten, was mit Schwäche, Romantik und zwischenmenschlichen Kontakten zusammenhing. Neben Verliebtheit und Schwärmereien fiel in diese Rubrik ebenfalls das Saxofon.

Vor einigen Jahren hatte sich diese Aversion gelegt. Höchstwahrscheinlich trug meine Begierde nach Liebe und Geborgenheit daran Schuld sowie das Wissen, in meinem nunmehrigen Alter nicht mehr veräppelt werden zu können. Besonders dann nicht, wenn ich weiterhin nichts von meinen Sehnsüchten offenbarte.

Ich legte das Buch in meinen Schoß und massierte mir die Schläfen.

Manchmal hasste ich mich dafür, meiner Schwäche nachgegeben zu haben, ab und an versucht zu haben, einen Freundeskreis aufzubauen. Andauernd hatte man mich versetzt, mich stehengelassen, mich belogen, mich ignoriert, mich belächelt.

Menschen sprachen von Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen. Doch wozu durchhalten und es immer wieder versuchen, wenn es in all den Jahrzehnten nie funktioniert hatte? Andere Menschen mussten sich vielleicht mit ein oder zwei Rückschlägen abfinden. Ich hingegen war nie ernsthaft gemocht worden. Hatte ich beispielsweise einen Schulkollegen nett gefunden, war der nicht an mir interessiert gewesen. Hatte ich einen Kursteilnehmer nett gefunden, war der nicht an mir interessiert gewesen. Hatte ich einen Arbeitskollegen nett gefunden, war der nicht an mir interessiert gewesen. Nun war ich dreißig Jahre alt, und alles, was ich durfte, war auf eine mich ausbeutende Beziehung zurückzublicken.

Und dann tauchte da plötzlich Tom auf, dem ich möglicherweise ein klitzekleines Bisschen gefiel.

Was sollte ich von alldem halten?

Ich schloss die Lider.

Irgendwie hätte ich Tom gerne spielen gehört. Seine introvertierte wie extrovertierte Art in einem Musikstück zu erleben, erweckte eine selbst mich überraschende Neugier in mir.

Ach, vergiss es!

Ich lehnte mich zurück und suchte die Taschenbuchseite, auf welcher ich letztens stehengeblieben war.

War es Seite neunzig oder hundertzehn gewesen?

Kommen Sie einfach um zehn, halte Toms jugendlich-sanfte Stimme durch meine Reflexbögen, weiter zu meinen Synapsen, um mir im Anschluss daran ein neues Bild von seinem durchdringend-gütigen Gesichtsausdruck zu generieren.

Wie wertschätzend und respektvoll er mich betrachtet hatte. Auf eine absurde Weise hatte es für mich den Anschein erweckt, für ihn etwas Besonderes darzustellen. Dies wiederum klang dermaßen infantil und breithirnig, ich hatte große Lust, mir mit dem Taschenbuch zwanzig Mal gegen die Stirn zu dreschen.

All diesen Liebesirrsinn hatten wir bereits einmal!, rügte ich mich. Sei nicht abermals blauäugig!

Einen weiteren mich ausnutzenden Freund brauchte ich nicht. Einzig Liebe, Mitgefühl und Verständnis benötigte ich.

Ich begann zu lesen. Doch alles, was ich vor mir sah, war Tom. Alles, was ich fühlte, war diese wundervolle Einigkeit …

Himmelherrgottsakrament!

Ich schleuderte das Buch auf den quadratischen Glastisch.

Dann kümmere ich mich eben sofort um diese verfluchten Vorhänge und fange mit dem Fensterputz an!

Aber selbst diese Tätigkeit half nicht, den Musiker aus meinen Gedanken zu verscheuchen. Alle paar Minuten sah ich sein hoffnungsvolles Flehen vor mir aufblitzen.

Das konnte alles nicht mehr wahr sein!

Offenbar war es wohl das Beste, Tom einen Besuch abzustatten. Dann würde ich mich dadurch bei ihm entschuldigen und meiner naiven Seele beweisen können, dass auch er mit mir spielte.

Jawohl!

Ich warf den Putzlappen in den Wassereimer, klappte die Stehleiter zusammen, trug diese zurück ins Bad und verräumte sie hinter der Tür. Anschließend holte ich den Eimer, entleerte diesen, trocknete ihn mit dem ausgewrungenen Lappen ab, räumte beides in den unter der Spüle befindlichen Schrank und zog mich um.

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