Kitabı oku: «Vom Dorfmädchen zur Weltbürgerin», sayfa 3

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VORBEREITUNG AUF DIE ABREISE

Da kam ein Brief in unser Appartement in Paddington geflattert. Der Absender war die University of California, Berkeley — Graduate Admissions Office. Als mein Verlobter zur Mittagszeit zu Hause anrief, erwähnte ich den Brief. Es herrschte plötzlich Schweigen in der Leitung. Eine gewisse Spannung war fühlbar.

"Kannst du das Ding geöffnet machen?", bat er.

Ich beeilte mich. "Du bist in das College of Environmental Design Graduate Program aufgenommen worden."

Er machte einen Lärm, der über das Telefon wie ein Schrei verhalten zivilisierter Art klang. Mit vor Freude vibrierender Stimme sagte er: "Heute ist ein guter Tag."

Durch seine Beschreibung des Prozedere für das Graduate Program, das notwendig ist und verlangt wird, um von dieser Universität im Allgemeinen und in diesem College im Besonderen aufgenommen zu werden, verstand ich seine Freude und Erleichterung gut. Ich freute mich mit ihm.

Das nächste Aufnahmeverfahren, das ins Haus stand, galt mir. Wir hatten uns entschlossen in Berkeley zu heiraten. Dafür musste ich einige medizinische Tests, ein Führungszeugnis aus Deutschland und dergleichen Papiere mehr einreichen. Schließlich wurden wir beide zu einem Gespräch in das US-Konsulat in Sydney eingeladen.

"Warum heiraten Sie nicht hier und gehen dann in die USA?", fragte der Konsulatsangestellte. "Es würde so viel einfacher sein."

Wir überlegten uns seinen Vorschlag nur kurz und lehnten ab. Berkeley und Kalifornien waren die Heimat meines zukünftigen Mannes. In Australien fühlten wir uns immer noch fremd, obwohl einige Gewöhnung stattgefunden hatte. Der Mann vom Konsulat gab sich verständnisvoll. Seine Frau wäre auch deutsch, meinte er. Es hörte sich an, als ob er dachte, er wüsste wie die Deutschen denken."

Nachdem ich realisierte, dass wir Australien verlassen, in die USA, nach Kalifornien und in die Universitätsstadt Berkeley ziehen würden, wurde ich von einer Gedankenlawine überschüttet. Zuerst fühlte ich Erleichterung, dass ich meiner Platzangst und dem Gefühl, in der untersten Ecke der Erde festzustecken, entfliehen konnte. Paradoxerweise meldeten sich auch Traurigkeit und Bedauern, diesen exotischen, stimulierenden und für uns weithin unentdeckten Kontinent verlassen zu müssen. Ich habe nicht genug Zeit für dieses Land gehabt, dachte ich.

Ohne seine Reaktion abschätzen zu können, händigte ich meinem Chef die Kündigung aus. Schließlich überraschte und verwirrte mich seine Haltung. Er versuchte, mich von meinem Vorhaben abzubringen, indem er das Leben in Australien in leuchtenden Farben beschrieb. Allerdings war er nicht der Einzige, der mich umzustimmen versuchte. Ich begriff, dass dies in der Tat ein Land für Emigranten war. Wer kam, blieb! Es schien, als ob viele unserer neuen Bekannten nie die Möglichkeit in Betracht gezogen hatten, dass wir wieder woanders hingehen könnten. Wer würde so verrückt sein und dieses Land und Leben wieder verlassen zu wollen? Mein Chef akzeptierte die Tatsache meiner Abreise halbherzig. Als seine Frau das Büro besuchte, deutete er mit dem Finger auf mich und erklärte ihr: "Sie desertiert, direkt in das Gesicht des Feindes!" Hörte ich Feindseligkeit in diesem Ausruf mitschwingen oder nur Sarkasmus — oder Ärger, dass er eine neue bilingual Secretary suchen musste? Ich unterließ es, nach der Bedeutung dieses Satzes zu fragen.

Mein Gehirn lief auch Hochtouren, ganz von selbst. Alle Statements und stereotypischen Urteile, die ich je in Bezug auf Amerika und den Staat Kalifornien gehört hatte, schienen mich zu bombardieren. Eigentlich wollte ich nie in die Vereinigten Staaten gehen, denn dort gab es hohe Kriminalität, keine Sozialversicherung, alles passierte schnell — einschließlich das Feuern von Arbeitnehmern. Ich hatte Angst.

Aber natürlich war ich über den Staat Kalifornien gut informiert. Ich wusste vom egozentrischen Hollywood mit seinen schönen Frauen als Konkurrenz für mich, von den Krawallen in Berkeley, Autos von der Größe der Queen Mary, von der Unmöglichkeit eines Spaziergangs wegen fehlender Bürgersteige und der Möglichkeit, wegen der Seltenheit eines solchen Spazierganges, verhaftet zu werden, von Erdbeben und außer Kontrolle geratenen Feuern, die ganze Canyons niederbrannten … ich sollte freiwillig in dieses Land gehen? Aber dann die Verlockungen: dieses so differenzierte, hoch entwickelte Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die berühmte Golden Gate Brücke, San Francisco, die sagenhafte Stadt, die Flower Power, das Goldrauschland, das historische Sacramento. Vielleicht zufällig oder auch nicht, hatte ich Buch um Buch über diesen Staat gelesen, lange bevor ich meinen Mann kennenlernte. Johann August Sutter, ein Mann aus der schönen, sicheren Schweiz, emigrierte im 19. Jahrhundert dorthin, um dort sein Imperium in Nord Kalifornien aufzubauen. Er blieb. Welches Wissen hatte er, das mir noch fehlte?

Wo ist eigentlich Berkeley und was werde ich dort tun? Ich legte meinem zukünftigen Mann meine Unsicherheiten dar und sprach mit ihm über meine Zukunft in seinem Land. Das Buch Der Mensch und seine Symbole lag zwischen uns auf dem Tisch.

Er warf einen Blick darauf und forderte mich heraus: "Was willst du tun?"

"Well, mein Englisch ist nicht allzu flott. Ich könnte in einem Büro oder einer Bank …"

"Ich habe nicht gefragt, was du tun kannst. Ich weiß, was du tun kannst. Ich habe gefragt, was du tun willst", unterbrach er mich.

"Well, wollen ist nicht wichtig. Ich weiß, was ich wollte, aber das ist nicht mehr möglich, der Zug ist schon abgefahren. Wir sollten damit keine Zeit verschwenden", antwortete ich.

"Was ist es denn?", insistierte er.

"Ich wollte Psychologie studieren."

Noch heute habe ich diese seine Handbewegung und seine feste Stimme in meiner Erinnerung. Er ließ seine Faust auf den Tisch niedersausen — als symbolisches Zeichen für die gerade getroffene Entscheidung: "Okay", sagte er mit englischer Grammatik und deutschen Worten: "Psychologie es ist!"

Eine Weile versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass das unrealistisch sei. Ich führte mein schlechtes Englisch, mein Alter, unsere begrenzten finanziellen Möglichkeiten, nachdem wir ja dann beide Studenten wären, als Gegenargumente an, aber er blieb felsenfest: "Ich kenne mein Land, ich kenne unsere Universitäten und ich kenne dich. Mach dir keine Sorgen und vertraue mir."

Ich muss gestehen: Ich war froh, dass er mich überzeugte.

So, das war's dann! Das Ende der Klaustrophobie war in Sicht — die war ohnehin nicht sooo stark gewesen, vielleicht sollte ich nicht dramatisieren, vielleicht hatte ich es nicht wirklich erlitten? Was war dann dieses zittrige, unsichere Gefühl, das ich jetzt fühlte? Es sollte nicht sein, mein Problem war gelöst. Würde eine neue Angst die alte ersetzen? — Mit Sarkasmus versuchte ich zu verleugnen, was sich manifestierte, zumindest für den Moment. Ich zog das jetzt nicht mehr unbekannte Leben in Australien dem Unbekannten, das da kommen sollte, vor — zumindest für den Moment.

Jedoch folgten wir unserem Plan und tätigten die notwendigen Schritte: wir zahlten unsere restlichen Steuern, verkauften unser Auto, kündigten unseren Mietvertrag. Schließlich kam die Zeit des Packens und der vielen Goodbyes. Während mein Verlobter noch bei seiner Firma arbeitete, hatte ich meinen Arbeitsplatz schon verlassen und begonnen zu packen. Jeden Abend aber übernahm er dann diesen Job, während ich das Abendessen zubereitete. Er schien unter keinerlei Stress zu stehen. Schließlich ging er nach Hause und seine Arbeit für die nächsten zwei Jahre, so dachte ich, war schon vorbereitet, mit einem klaren Ziel. Er demonstrierte seine entspannte Art unbemerkt, in dem er erst das Stück Zeitungspapier las, in das er einen Gegenstand einwickeln wollte.

So viel Ruhe war mir nicht gegeben. Neben dem Schmerz und der Freude einen Lebensstil, den ich gerade erst durch beträchtliche emotionale und soziale Schwierigkeiten erworben hatte, zu verlassen, musste ich mich auch mit Zukunftsangst auseinandersetzen. Als ich Deutschland verließ, hatte ich nicht ernsthaft mit einer Weiterreise in die Vereinigten Staaten gerechnet. In jenen Tagen fühlte ich einen starken Wunsch, in mein eigenes Land zurückzukehren. Innerlich war ich nicht bereit für eine Wiederholung der Anpassung an ein neues und fast furchterregendes Land.

Als wir schließlich in einem Taxi saßen, das uns zum Flughafen bringen sollte, fühlte ich mich schier erschöpft von all den Dingen, die zum Abschluss zu erledigen waren und den Emotionen, die der Abschied von lieb gewordenen Menschen nun einmal hervorruft. Während ich am Anfang dieser Freundschaften natürlich nicht an das Ende dachte, so bedachte ich nun doch die kurze Zeit, in der ich mein Leben mit diesen Menschen teilte. Wir waren zusammen auf die Uni von New South Wales zu unseren Englischkursen gegangen, hatten zusammen gefeiert, geschimpft und uns zusammen beschwert, überlegt, wie man am besten mit einem engen Budget zurechtkommt und von unserer Zukunft geträumt. Jetzt aber war es ziemlich klar, dass ich sie nie wiedersehen würde. Wir sind ein Stück unseres Lebensweges gemeinsam gegangen, waren ein Mosaiksteinchen füreinander im großen Bild unserer Lebensgeschichte. Auf Wiedersehen dann, behaltet mich in eurer Erinnerung!

Der Taxifahrer sah in den Rückspiegel. "Sie sind eine nervöse Reisende", sagte er zu mir.

Dass er mich so durchschaute überraschte mich und ich erlaubte mir die Frage, wie er das festgestellt hatte.

"Ich fahre ständig Leute zum Flughafen", erklärte er.

Wenn er wüsste, was ich vorhatte!

In der Wartehalle des Flughafens wurde mir schlecht. Glücklicherweise wurden meine sich wie ein Mühlrad drehenden Gedanken von einer freundlichen Dame unterbrochen. Sie arbeite für die australische Regierung, stellte sie sich vor, und war beauftragt, eine Umfrage durchzuführen. Sie fragte nach unseren positiven und negativen Eindrücken in Bezug auf dieses Land und wollte wissen, warum wir es wieder verlassen. Was für einen Job sie hatte! Menschen, die in einer Stunde oder zwei abreisten, hatten so eine Möglichkeit, Frustration und unangenehme Erfahrungen, die sie vielleicht gemacht hatten, an dieser Frau auszulassen. Ich gestehe, dass ich das so oft irritierende Thema Oh, du wirst dich daran gewöhnen in diesem Sinne abwägte. Aber nachdem ich die Australier als sehr sensibel, was Kritik an ihrem Land betraf, kennengelernt hatte, hielt ich mich an Positives, wovon es genug gab. Zum Abschluss gab die Frau jedem von uns eine Anstecknadel in Form eines Kängurus. Diese Geste berührte mich sehr. Ich empfand sie als freundlich, positiv, friedlich, vergebend und tolerant. Heute, Jahrzehnte später, habe ich dieses Geschenk immer noch in meinem Schmuckkästchen. Das war ein schönes, positives Ende eines faszinierenden Jahres. Well done, Australia!

QUER ÜBER DEN PAZIFIK

Schließlich war es so weit, dass wir den Quantas-Flug nach Auckland, Neuseeland, besteigen mussten. Dieses Ziel rief wiederum, wie Australien zuvor, das Gefühl des Staunens hervor, dass es tatsächlich ich war, die auf dieser exotischen Insel am Ende des Globus stand. Der Flughafen Auckland, im Jahr 1972, erschien provinziell, aber auch romantisch.

Um uns die Zeit bis zum Weiterflug zu vertreiben, wanderten wir durch das Gebäude und kamen dabei an einer Kneipe vorbei. Eine Gruppe Männer saß um einen runden Tisch, unterhielt sich lebhaft und lachte laut. Die Männer sahen nicht wie Passagiere, sondern eher wie Einheimische aus, die sich zu einem Stammtisch getroffen hatten und sich dabei vergnügten. Seltsam neidisch betrachtete ich sie, denn sie waren zu Hause und ich war fremd. Wir gingen durch die Tür nach draußen und befanden uns mit diesem Schritt in atemberaubend schöner Landschaft, von Bergen umgeben. Es lag Nebel in der Luft. Schafe grasten friedlich direkt vor uns. Augenblicklich fühlte ich eine Mischung von innerem Frieden und, paradoxerweise, die bekannte phobische Reaktion auf solch ein Land, weitab von meinem Zentrum der Erde. Da der Nebel aber in Bayern auch heimisch ist, hatte diese Stimmung vielleicht auch einen beruhigenden Einfluss auf mich.

All diese Gefühle machten auf dem Flug von Auckland nach Pango Pango, der Hauptstadt von American Samoa, einem neuen Set platz. Als die Schafe kleiner und kleiner wurden und schließlich im Nebel und in der Ferne verschwanden, wurde mir akut bewusst, dass eine abenteuerliche Zeit in meinem Leben zu Ende ging. Überraschenderweise hatte ich nun auch das Gefühl, dass ich eine glückliche Ecke der Erde zurückließ, schließlich hatte auch ein sehr weit entfernter Ort seine Vorteile. Es sind zwar geliebte Dinge der Heimat nicht erreichbar, aber genauso sind heimatliche Probleme so weit entfernt, dass man sie leicht ignorieren kann. Das ist eine gewisse Freiheit. Nun aber würde ich wieder in den Mainstream des Lebens mit all seinen Herausforderungen zurückkehren.

Mit den im Schneckentempo fortschreitenden Flugstunden beruhigten sich meine Gefühlsstürme und schalteten stattdessen auf Ferien um. Langsam machte sich der Gedanke breit, dass ich in ein paar Stunden eine Insel betreten würde, von der ich nie geglaubt hatte, dass ich einmal meinen Fuß darauf setzen könnte. Die Inseln der Südsee schienen einfach zu weit von München entfernt. Sie bedeuteten für mich Romantik, ein leichtes Leben, märchengleich. Mein Wissen über sie hatte ich aus der Literatur, von romantischen Liedern, von Reisebüros, von Dokumentarfilmen, vom Geografieunterricht während meiner Schulzeit und, last, not least, von den Gemälden von Paul Gauguin bezogen. Bilder von tropischen Blumen und Vögeln, von blauem Himmel der sich im Meer spiegelte, von tanzenden, singenden Polynesiern erschienen vor meinem mentalen Auge. Ich freute mich und war bereit für die Tropen. Dort würde ich mich frei und leicht fühlen. Schließlich blieben Touristen nur vorübergehend und mussten sich nicht einleben und anpassen.

INSEL DER SÜDSEE

Auf dem Flughafen in Pango Pango mussten wir die Maschine auf dem Tarmac über eine Treppe verlassen. Schon beim ersten Schritt ins Freie schmeichelten tropische Gerüche meinen Sinnen. Ich fühlte mich leicht, fröhlich und ruhig. Von der Gangway aus sah ich ein Gebäude, aber keine Stadt. Der Ort entpuppte sich als ein großes Dorf, welches von tropischen Bäumen beschattet wurde. Meine Erwartungen an ein paar stressfreie, entspannte, sorglose Tage waren hoch. Was könnte hier schon schief gehen? Wir standen auf einer Trauminsel, weit weg vom Ernst des Lebens. Entschlossen verdrängte ich alle antizipierenden Ängste bezüglich meines neuen Lebens in Kalifornien. Nichts würde meine Euphorie, stimuliert durch eine sagenhaft schöne tropische Umgebung trüben. Und überhaupt, das waren doch sozusagen unsere Flitterwochen vor der Eheschließung. Auch die Tatsache, dass das nächste Flugzeug, welches uns von diesem paradiesischen Ort wegbringen könnte, erst in ein paar Tagen hier landen würde, war ein besonders aufregender Gedanke. Pan American, wurde mir gesagt, kam nur zweimal pro Woche nach Samoa. Hier gestrandet zu sein, schien mir im Moment großartig!

Aber bevor wir uns in dieses selige Nichtstun in paradiesischer Umgebung fallen lassen konnten, mussten wir erst noch durch den Zoll gehen. Mein zukünftiger Ehemann schritt voran, mit mir im Schlepptau. Wir legten beide Pässe, einen amerikanischen und einen deutschen, gleichzeitig vor. Der Passkontrolleur betrachtete abwechselnd das eine und dann das andere Dokument. Offensichtlich zufriedengestellt, stempelte er beide ab. Freundlich gab er den US-Pass in die Hand des Eigentümers zurück. Meinen klatschte er mit Wucht auf den Tresen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, machte er eine Handbewegung, die meinem Verlobten andeutete, meinen Pass an sich zu nehmen. Was er sagte verstand ich nicht. Dennoch alarmierte mich dieser Austausch. Ich ahnte, dass ich hier in Samoa aus irgendeinem Grund nicht willkommen war.

"Was hat er gesagt und was sollte das Ganze?", fragte ich, als wir weitergingen.

"Oh, nichts. Ich glaube, er war in schlechter Stimmung", antwortete mein Verlobter.

Aber ich war damit nicht beruhigt. Nachdem ich europäische und nun auch australische Grenzen passiert hatte, wusste ich, dass Zollbeamte eine besondere Klasse Mensch und nicht einschätzbar waren. Aber eine solche Demonstration von Abscheu hatte ich noch nie erlebt. War es meine Nationalität, mein Geschlecht, mein als Single mit einem Mann reisen, mein Gesicht, die falschen Kleider oder etwas anderes? Oder wurde ich wieder einmal für den Zweiten, wenn nicht gar für den Ersten Weltkrieg verantwortlich gemacht? Meine Glücksgefühle verflüchtigten sich rasch. Die Antwort blieb aber, in relativer Ruhe, bis zum heutigen Tag ausstehend. Meine innere Balance fand ich durch das höfliche Lächeln der Einwohner der Insel und die realistische Denkweise meines Verlobten wieder: "Who knows?"

Zusätzlich hatte die exotische, tropische Natur um mich herum einen mächtig heilenden Effekt. Vögel in den buntesten Farben, riesige Blumen überall, das stete Geräusch der Meeresbrandung und der Geruch von Salz und Seegras in der Luft, ließen die beleidigende Art des Zollbeamten schnell in die Trivialität absinken. Nachts allerdings drang sie wieder in meine Gedanken vor. Aber in meditativer Anstrengung horchte ich der Brandung und dem Rascheln der Palmenblätter in der Seebrise zu und schlief ein.

Am nächsten Morgen wurde ich von den Tönen der Insel Samoa geweckt. Der immerwährende Schlag der Wellen gegen den Strand, die durchdringenden Schreie jener so bunten Vögel und menschliche Stimmen vom Schwimmbad, drangen allmählich in mein Bewusstsein. Vom Bett aus bemerkte ich einen Mann, der in den knietiefen Wellen wie verrückt hin und her lief. Könnte das mein Mann sein? In der Tat — was machte er? Verblüfft stellte ich fest, dass er einem Schwarm kleiner Fische nachlief. Bislang hatte ich ihn noch nicht bei so einem Kleine-Jungen-Spiel beobachten können. Ich kannte ihn als humorvollen Menschen, der selten verärgert war, der das Leben annahm wie es kam — realistisch. Seine so zielorientierte, hart arbeitende und analytische, auf Fakten bezogene Art, konnte ich nicht mit dieser spielerischen Aktivität in Verbindung bringen. Aber es war auch Tatsache, dass dieser Natur liebende Mensch selten die Gelegenheit hatte so loszulassen. Ich liebte, was ich sah!

Nachdem ich gerade die riesige Landmasse Australiens und meine Klaustrophobie verlassen hatte, befand ich mich nun im oppositionellen Element. Ich war in der Mitte eines fast unvorstellbar großen Körpers von Wasser. Diese Tatsache wurde überwältigend klar, als wir auf dem höchsten Punkt der Insel, Rainmaker Mountain standen. Einheimische Mythologie besagt, dass dieser Berg eben eine Menge Regen macht. Meteorologischen Messungen zufolge regnet es 500 Zentimeter pro Jahr. Eine Gondel ließ uns sanft zum Gipfel schweben, wo sich eine wunderschöne Aussicht bot. Wenn man sich um die eigene Achse drehte, konnte man die gesamte Insel sehen. Ein weißer Ring schaumigen Wassers umgab das Atoll. Die Insel Western Samoa war allerdings im Dunst verschwunden. Nichts als Wasser traf sich mit dem Horizont. Auf vulkanischer Erde stehend, mit der Insel unter mir und um mich rum, hatte ich den amüsanten Gedanken, dass ich gerade noch mit den Füßen auf dem Trockenen stand. Die immensen Ausmaße des majestätischen Pazifiks konnte ich nur schwer begreifen. Diese Insel, so sinnierte ich, ist ein Geschenk eines Vulkans, bis zu dem Tag, an dem er mal wieder Lava ausspuckt. Interessanterweise riefen diese Gedanken keine Platzangst hervor, nicht einmal ihre Abwesenheit fiel mir auf. Immer noch spürte ich dieses friedliche Gefühl in mir, wie illusorisch es auch sein mochte, dass die Welt eben da draußen war und ich durch die gewaltige Entfernung von ihr geschützt wäre. Gleichzeitig aber war mir auch bewusst, dass wir in ein paar Tagen vor hier abgeholt werden würden.

Die Gondelbahn wurde von einem einheimischen Mann geführt, der etwas gesprächiger war, als so manche seiner Landsleute. "Wo kommen sie her?", fragte er die Frage, die so sicher war wie das Amen in der Kirche, wie ich noch lernen sollte. Schon zu dieser Zeit in unserer internationalen Karriere, schauten mein Verlobter und ich uns an und bedachten die Antwort: Wo sind wir denn her? Deutschland, Australien, USA? "San Francisco", wählten wir, denn es war genauso wahr. Er habe einmal versucht in dieser Stadt zu leben, erzählte der Mann. Aber in all der Zeit, die er dort verbrachte, konnte er sich nicht an den Verkehrslärm und die hastenden Menschen gewöhnen. Die Vögel zwitscherten so anders, wenn man sie überhaupt hören konnte, und es gab nicht viele Farben im Leben. Und, um dem allem noch die Krone aufzusetzen, San Francisco wäre auf der falschen Seite des Pazifiks! "Nein, nein, ich kam wieder zurück nach Samoa", bestätigte er das Offensichtliche und grinste dabei wie jemand, der die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Eines Tages wurde mein Gefühl der Abgeschiedenheit von der Außenwelt und des Friedens jäh gestört. Moderne Technologie der 70er-Jahre zerstörte die Ruhe. Mein Verlobter und ich hielten uns in der Hotelhalle auf, sprachen mit einem netten Mann aus San Francisco. Er wartete auf einen PanAm-Flug. Seine Frau war als Stewardess auf diesem Flug dabei. Beide wollten sich für kurze Zeit treffen, bevor sie weiter musste, denn sie flog World Tours. Was für ein modernes Nomadenleben, dachte ich. Und plötzlich, während unseres leichten Geplauders, fing der Fernschreiber in der Hotelhalle, der dort für die Gäste die neuesten Nachrichten brachte, an zu rattern. Nachdem schon eine Länge Papier den Boden erreicht hatte, gingen wir nachsehen, was so wichtig war. Ich konnte nicht glauben was da stand: Die Olympischen Sommerspiele 1972 in München sind gestoppt worden. Bewaffnete Männer waren in das Quartier der israelischen Olympiamannschaft eingedrungen und hielten Athleten als Geiseln. Langsam setzten Schock und Trauer ein. Das war meine Stadt! Ich erinnerte mich an die sechs Jahre vorolympischer Vorbereitungen. Für uns Bürger hatte dies sechs Jahre Verkehrsprobleme, sich über Nacht ändernde Einbahnstraßen, Umleitungen, Baustellenschmutz und vom Regen begünstigten Schlamm bedeutet. Das Gefühl der Einstimmigkeit, dass die Olympiade dann die große Belohnung sein werde, hatte in der Luft gelegen. Die Jugend der Welt würde in unsere Stadt kommen, zu fairem sportlichem Wettbewerb. In jenen Tagen wusste ich natürlich noch nicht, dass ich dieses Spektakel völlig verpassen würde.

Ein weiteres Gefühl, auf das ich erst langsam aufmerksam wurde, mischte sich in mein Entsetzen: Ich sollte dort sein, mit meinen Leuten, und helfen die Gefühle zu tragen, zu beruhigen, zu trauern. Es war nicht fair, dass ich so weit weg war und mich vergnügte. Aber zur gleichen Zeit schätzte ich mich glücklich, nicht involviert zu sein. Ich war hin und her gerissen, aber schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich am besten doch diesen einmaligen Kurzurlaub genießen sollte. Zusätzlich sollte er ja auch dazu dienen, mich auf mein neues Leben in den USA und die Dinge, die mich dort erwarteten, vorzubereiten. Am Ende — seltsamerweise — half die Technik, meine Gefühle zu beruhigen: Dieser Streifen Papier aus dem Fernschreiber war die einzige Information, die wir erhielten. Als die Maschine verstummte schien es, als ob der Rest der Welt abgeschaltet worden wäre, zumindest während des Tages. Die Stille der Nacht war eine andere Sache.

Schließlich richteten wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf unsere unmittelbare soziale und natürliche Umgebung. Wir ließen die Farben, die Seebrise, die Düfte der Tropen und die Eidechse, die uns beim Essen beobachtete, unsere Sinne ins Gleichgewicht bringen. Ich schwelgte in dem Bewusstsein, gerade mal rechtsseitig der internationalen Datumsgrenze zu sein. Wenn ich sie hin und her überqueren würde, könnte ich einen Tag mehr oder weniger haben, je nachdem, ob ich westlich oder östlich davon stand — ein faszinierender Gedanke. Ich beobachtete mit Spannung meinen Verlobten, der ein Dateline Sandwich zum Lunch bestellte. Die Speisekarte empfahl, die gewünschte Länge Stangenbrot zu bestellen, jedwede Länge könne serviert werden. Aber wie viele Zentimeter konnte man essen? Die Bedienung lächelte mysteriös und bot keine Hilfe an.

Der Tag war gekommen, an dem uns der PanAm-Flug wieder von der paradiesischen Insel in der Mitte des Pazifischen Ozeans abholte. Ein letzter Blick zurück: Es sah alles genauso aus, wie vom Gipfel des Rainmaker Mountains, klein und schutzlos (oder beschützt?) inmitten des größten Wassers der Erde und als Atoll auch auf vulkanische Art bedroht. Die positiven Seiten aber überwogen die negativen weit, ich war dort glücklich gewesen. Die notwendige Heilung meiner inneren Wunden hatte stattgefunden und ich fühlte Wärme und Dankbarkeit für diese Insel. Wieder bedachte ich, dass dies ein Abschied für immer sein würde. Bislang ist das der Fall.

Wie lange sind wir nun schon in der Luft? Kann sich denn ein Ozean so weit erstrecken? Wie kann jemand in dieser grauen Suppe unter uns Hawaii finden? Endlich erschien ein dunkler Fleck im Grau. Was ist das dort im Nebel? "Das ist Oahu", sagte er. Was? "Das ist die Insel, auf der wir landen werden, Honolulu, verstehst du?" Plötzlich wäre ich doch gerne noch etwas länger geflogen, für den kleinen Preis von steifen Gliedern und ein paar Thrombosen vielleicht, denn es wurde ernst. Das da unten waren die Vereinigten Staaten von Amerika, das Powerhouse mit den Power-Menschen. Und ich wollte dort heiraten und meine Zukunft beginnen. Angst rollte wie eine heiße Welle durch mich hindurch und Schuldgefühle zerrten an mir. Ich würde nicht nach Hause gehen, zu meiner Mutter. Sie musste noch warten.

Honolulu begrüßte erschöpfte Passagiere mit den stimulierenden Düften der Tropen, genau wie Samoa. Wenn das kein vielversprechender Anfang war! Das Passieren des Zolls dauerte etwas, da ich ein spezielles Visum hatte: "Sie haben drei Monate Zeit, um zu heiraten", sagte der Zollbeamte.

Der beeindruckendste, stimmungsaufhellendste Moment aber kam von meinem zukünftigen Ehemann, als er ein Lei um meinen Hals hing. Ich weiß nicht wo er es erworben hatte, denn ich hatte nicht gemerkt, dass er auch nur einmal von meiner Seite gewichen wäre. Immer noch kann ich den kühlen Touch der Blumen auf meiner Haut fühlen. Ihren Duft rieche ich bis heute. "Willkommen in den USA", sagte er.

Diese liebevolle Geste ließ Tränen in meine Augen treten und zauberte gleichzeitig ein Lächeln auf meine Lippen. Ein paar dieser Tränen lagen aber auch an meiner Erschöpfung. In diesem Moment fühlte ich nicht die notwendige Energie für eine neue Runde von Anpassung an ein neues Land.

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