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Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 40

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Oljga kannte nicht diese Logik der Unterwürfigkeit dem blinden Schicksal gegenüber und begriff die weiblichen kleinen Leidenschaften und Freuden nicht. Sowie sie in dem erwählten Mann einmal gewisse Eigenschaften und Rechte sich gegenüber erkannt hatte, glaubte sie an ihn und liebte ihn folglich auch, sowie sie aber an ihn zu glauben aufhörte, war auch ihre Liebe zu Ende, wie es mit Oblomow geschehen war. Aber damals waren ihre Schritte noch unsicher und ihr Wille schwankend gewesen; sie hatte soeben begonnen, das Leben zu beobachten, darüber nachzudenken, sich der Elemente ihres Geistes und Charakters bewußt zu werden und Material zu sammeln; die Arbeit des Schaffens war noch nicht erwacht und die Wege des Lebens waren noch nicht enträthselt. Doch jetzt glaubte sie nicht blind, sondern bewußt an Andrej und er verkörperte ihr Ideal der männlichen Vollkommenheit. Sie glaubte immer bewußter an ihn und es wurde ihm immer schwerer auf der gleichen Höhe zu bleiben, und der Held nicht nur ihres Verstandes und Herzens, sondern auch ihrer Phantasie zu bleiben. Und sie glaubte an ihn so, daß sie zwischen ihm und sich, außer Gott, keinen andern Vermittler, keine andere Instanz zuließ. Darum hätte sie es nicht ertragen, wenn die von ihr anerkannten Eigenschaften sich auch nur um ein Haar verringert hätten; jede falsche Note seines Charakters oder Verstandes würde einen erschütternden Mißklang hervorgerufen haben.

Das zerstörte Ideal des Glückes würde sie unter seinen Trümmern begraben haben, oder wenn ihre Kräfte sie nicht verließen, würde sie weiter suchen. . . Aber nein, solche Frauen irren sich nicht zweimal. Nach dem Versagen eines solchen Glaubens, einer solchen Liebe ist eine Auferstehung unmöglich.

Stolz war durch sein inhaltreiches, bewegtes Leben hoch beglückt und hütete, schützte und pflegte es eifrig und wachsam. Vom Grunde seiner Seele stieg nur dann Entsetzen auf, wenn er daran dachte, daß Oljga sich am Rande des Abgrundes befunden hatte, daß dieser glücklich errathene Weg, auf dem ihre beiden Existenzen sich vereinigt hatten, hätte verfehlt werden können, daß die Unkenntnis des Lebens den verhängnisvollen Irrthum ungehindert fast erfüllt hätte, daß Oblomow. . . Er fuhr zusammen. Wie!. . . er sollte sich Oljga in dem ihr von Oblomow zugedachten Leben, von einem Tag zum andern hinvegetierend, als Dorfdame, als Kindsfrau und Hausfrau denken! Alle Fragen, Zweifel, das ganze Fieber des Lebens würde sich auf die wirtschaftlichen Sorgen, auf die Erwartung der Feiertage, der Gäste, der Familienzusammenkünfte, auf Geburten, Taufen, auf die Apathie und den Schlaf des Mannes beschränken! Die Ehe wäre nur eine Form, aber kein Inhalt, ein Mittel, aber kein Ziel; sie würde als breiter, unveränderlicher Rahmen für Besuche, Empfang von Gästen, Diners, Abende und leeres Geschwätz dienen?. . . Wie würde sie ein solches Leben ertragen? Zuerst würde sie sich mit dem Suchen und Errathen des Räthsels des Lebens abquälen, weinen und trauern, dann würde sie sich gewöhnen, dick werden, essen, schlafen und abstumpfen . . Nein, es würde anders sein; sie weint, quält sich, welkt dahin und stirbt in den Armen des liebenden, guten, aber kraftlosen Mannes . . . Arme Oljga!

Und wenn das Feuer nicht erlosch, das Leben nicht erstarb, wenn die Kräfte standhielten und nach Freiheit verlangten, wenn sie wie ein starkes, in die Ferne strebendes Adlerweibchen, das für einen Augenblick von schwachen Händen gefesselt wurde, die Flügel regt und auf jenen hohen Felsen schwebt, auf dem sie einen noch stärkeren und scharfsichtigeren Adler erblickt hat? . . . Armer Ilja!

– Armer Ilja! – sagte Andrej einmal laut, an die Vergangenheit denkend.

Oljga ließ bei diesem Ausruf die Hände mit der Arbeit plötzlich auf die Knie sinken, warf den Kopf zurück und vertiefte sich in ihre Gedanken. Der Name weckte in ihr Erinnerungen hervor.

– Was ist mit ihm? – fragte sie dann. – Könnte man das nicht erfahren?

Andrej zuckte die Achseln.

– Man könnte meinen, – sagte er, – daß wir zu einer Zeit leben, da es noch keine Post gab und da die Menschen, die nach verschiedenen Gegenden verstreut waren, einander für todt hielten und ohne jedes Lebenszeichen verschwanden.

– Du solltest wieder einem Deiner Freunde schreiben, dann werden wir es wenigstens wissen. . .

– Wir würden nichts anderes erfahren, als wir jetzt wissen. Er lebt, ist gesund und wohnt in derselben Wohnung – das weiß ich auch ohne Freunde. Was aber mit ihm vorgeht, wie er sein Leben erträgt, ob er schon geistig todt ist oder ob in ihm noch ein Funken von Leben glüht – das wird kein Fremder erfahren. . .

– Ach, sprich nicht so, Andrej! Das erschreckt mich und thut mir weh. Ich möchte das alles gerne wissen und zugleich fürchte ich mich davor. . .

Sie war nahe daran, zu weinen.

– Wir werden im Frühjahr in Petersburg sein und können uns dann selbst davon überzeugen.

– Es genügt nicht, das zu erfahren, man muß auch irgendetwas thun. . .

– Habe ich denn nicht alles gethan? Habe ich ihn denn nicht zu überreden gesucht, nicht für ihn gearbeitet, nicht seine Angelegenheiten geordnet – und er hat auf all das keinen Ton erwidert! Wenn man ihn sieht, ist er zu allem bereit, sowie man aber fort ist, hat alles ein Ende, und er schläft wieder ein. Man muß mit ihm wie mit einem Säufer umgehen!

– Warum gehst Du denn von ihm fort? – entgegnete Oljga ungeduldig. – Man muß mit ihm energisch vorgehen, ihn in den Wagen setzen und fortführen. Wir übersiedeln ja jetzt auf unser Gut; er wird in der Nähe sein. . . nehmen wir ihn mit.

– Was für Sorgen er uns macht! – sagte Andrej, im Zimmer auf- und abgehend. – Das nimmt kein Ende!

– Wird Dir das lästig? – sagte Oljga – Das ist mir neu! Ich höre Dich zum erstenmale darüber murren.

– Ich murre nicht, – antwortete Andrej, – sondern ich überlege es mir.

– Woher kommt denn dieses Überlegen? Du hast Dir selbst eingestanden, daß das alles langweilig und lästig ist, ja?

Sie blickte ihn forschend an. Er schüttelte verneinend den Kopf.

– Nein, es ist nicht lästig, sondern unnütz; das fällt mir manchmal ein.

– Sprich nicht so! – unterbrach sie ihn. – Sonst werde ich wieder wie vorige Woche den ganzen Tag daran denken und traurig sein. Wenn in Dir die Freundschaft zu ihm erloschen ist, mußt Du diese Sorge aus Liebe zur Menschheit tragen. Wenn Du müde wirst, gehe ich selbst hin und komme ohne ihn nicht zurück; meine Bitten werden ihn rühren; ich fühle, daß ich bitterlich weinen werde, wenn ich ihn leblos und todt sehe! Vielleicht werden die Thränen. . .

– Ihn ins Leben zurückrufen, glaubst Du? – fragte Andrej.

– Nein, sie werden ihn nicht zu irgendeiner Thätigkeit antreiben, vielleicht werden sie ihn aber wenigstens dazu bringen, um sich zu schauen und sein Leben mit etwas Besserem zu vertauschen. Er wird nicht mehr in einem Sumpf stecken, sondern mit uns, mit seinesgleichen zusammen sein. Ich habe mich damals nur zu zeigen gebraucht, und er ist in einem Augenblick erwacht und hat sich geschämt. . .

– Vielleicht liebst Du ihn noch, wie einst? – fragte Andrej scherzend.

– Nein! – sagte Oljga ernsthaft und sinnend, als blicke sie in die Vergangenheit zurück. – Ich liebe ihn nicht wie früher, aber es ist etwas in ihm, was ich liebe, dem ich, wie mir scheint, treu geblieben bin und das ich nicht wie manche andere vergessen werde. . .

– Wer sind denn diese anderen? Sagʼ, Du giftige Schlange, beiße, steche. Meinst Du mich? Du irrst Dich. Und wenn Du die Wahrheit wissen willst, werde ich Dir sagen, daß ich Dich gelehrt habe, ihn zu lieben, und beinahe etwas Schönes angerichtet habe. Ohne mich würdest Du an ihm vorübergehen, ohne ihn zu beachten. Ich habe Dir aber darauf hingewiesen, daß er nicht weniger Verstand als die andern besitzt, daß dieser nur verborgen, mit allerlei Unrath verschüttet ist und im Müßiggang schlummert. Willst Du, daß ich Dir sage, warum er Dir theuer ist und warum Du ihn liebst?

Sie nickte bejahend mit dem Kopf.

– Weil er etwas besitzt, das wertvoller als jeder Verstand ist, ein ehrliches treues Herz! Das ist sein natürlicher Schatz, den er unversehrt durchs Leben getragen hat. Er hat sich von Stößen umwerfen lassen, ist erkaltet und ist endlich vernichtet, enttäuscht, ohne Kraft zu leben eingeschlafen, ohne seine Ehrlichkeit und Treue zu verlieren. Sein Herz hat nie einen falschen Ton von sich gegeben und hat keinen Schmutz in sich aufgenommen. Keine noch so glänzende Lüge wird ihn bethören und ihn auf einen falschen Weg locken; wenn um ihn herum ein ganzer Ocean von Schmutz und Bösem wogt, wenn die ganze Welt von Gift erfüllt wird und eine verkehrte Richtung einschlägt, wird Oblomow doch nie den Götzen der Lüge anbeten, und in seiner Seele wird es stets rein und licht ausschauen. . . Das ist eine krystallähnliche, durchsichtige Seele; es gibt wenig solche Menschen; sie sind selten, das sind die Perlen der Menge! Sein Herz ist unbestechlich; man kann sich auf ihn stets und überall verlassen. Darum bist Du ihm treu geblieben und darum wird die Sorge um ihn mir nie zur Last fallen. Ich habe viele Menschen mit glänzenden Eigenschaften gekannt, ich bin aber niemals einem reineren, lichteren und einfacheren Herzen begegnet; ich habe viele geliebt, aber niemand so unwandelbar und treu wie Oblomow. Wenn man ihn erkannt hat, kann man ihn nicht mehr zu lieben aufhören. Ist es so? Habe ichʼs errathen?

Oljga schwieg, indem sie ihre Augen auf die Arbeit senkte. Andrej vertiefte sich in seine Gedanken.

– Ist das denn noch nicht alles? Was denn noch? Ach!. . . – fügte er dann sich aufrüttelnd lustig hinzu, – ich habe ganz an die »taubenhafte Zärtlichkeit« vergessen. . .

Oljga lachte, warf ihre Arbeit fort, lief an Andrej heran, umschlang seinen Hals mit den Armen, blickte ihm ein paar Minuten lang mit ihren strahlenden Augen ins Gesicht, wurde dann nachdenklich und legte den Kopf auf die Schulter ihres Mannes. In ihrer Erinnerung erstand Oblomows sanftes, sinnendes Gesicht, sein zärtlicher Blick, seine Demuth und dann sein klägliches, schamerfülltes Lächeln, mit dem er beim Abschied ihren Vorwurf beantwortete. . . es wurde ihr so wehmüthig ums Herz und er that ihr so leid. . .

– Du wirst ihn nicht verlassen und vergessen? – sagte sie, ohne ihre Arme vom Halse ihres Mannes loszulösen.

– Niemals! Da müßte sich zwischen uns unerwartet ein Abgrund aufthun, oder eine Mauer erheben. . .

Sie küßte ihren Mann.

– Wirst Du mich zu ihm mitnehmen, wenn wir in Petersburg sind?

Er schwieg unschlüssig.

– Ja? Ja? – verlangte sie ihm beharrlich eine Antwort ab.

– Höre, Oljga, – sagte er und bestrebte sich seinen Hals von ihren ihn fesselnden Armen zu befreien, – zuerst muß man. . . .

– Nein, sage ja, versprich es mir, ich werde nicht ablassen!

– Gut, antwortete er, – aber nicht beim ersten, sondern erst beim zweitenmale; ich weiß, was mit Dir sein wird, wenn er. . .

– Sprich nicht davon, sprich nicht! – unterbrach sie ihn. – Wir beide werden alles zustande bringen; Du allein wirst es nicht können und nicht wollen!

– Gut; Du wirst aber vielleicht für lange Zeit verstimmt sein! – sagte er nicht ganz zufrieden, daß Oljga ihm seine Zustimmung abgenöthigt hatte.

– Also denke daran, – schloß sie, sich auf ihren Platz setzend, daß Du ihn nur dann verlassen wirst, wenn sich zwischen Dir und ihm »ein Abgrund aufthut oder eine Mauer erhebt«. Ich werde diese Worte nicht vergessen.

IX

Friede und Stille ruhen über der ungepflasterten Wiborgskajastraße, über ihren hölzernen Trottoirs, den spärlichen Gärten und den mit Brennesseln überwucherten Rinnstöcken, wo unter dem Zaun irgendeine Ziege mit einem abgerissenen Strick auf dem Hals fleißig Gras zupft oder stumpf hindämmert, wo um die Mittagsstunde die geckenhaften, hohen Absätze eines über das Trottoir gehenden Schreibers vorüberstampfen, sich an dem Fenster ein Tüllvorhang bewegt und zwischen den Geranien eine Beamtensfrau hervorschaut, oder es erscheint plötzlich über dem Gartenzaun für einen Augenblick ein lustiges, frisches Mädchengesicht, um sofort wieder zu verschwinden; gleich darauf tauchte ein zweites, ebensolches Gesicht auf und verschwindet auf dieselbe Weise, dann erscheint wieder das erste und wird vom zweiten abgelöst, und es ertönt das Quietschen und Lachen der sich schaukelnden Mädchen.

Auch im Hause der Pschenizina ist alles still. Wenn man auf den Hof tritt, stößt man auf eine lebende Idylle: die Hühner und Hähne laufen geschäftig hin und her und verstecken sich in die Winkel; der Hund beginnt an der Kette zu zerren und wüthend zu bellen; Akulina hört die Kuh zu melken auf, der Hausmeister hält beim Holzhacken inne, und beide blicken neugierig den Besucher an. »Wen wünschen Sie?« frägt der Hausbesorger und zeigt, wenn er den Namen Ilja Iljitschs oder der Hausfrau vernimmt, schweigend auf den Hauseingang hin, und fängt wieder Holz zu hacken an, während der Besucher über den reinen, mit Sand bestreuten Weg zur Stiege geht, deren Stufen mit einem einfachen, reinen Teppich bedeckt sind und an den blank geputzten Messinggriff der Klingel zieht wonach ihm Anissja, die Kinder, manchmal die Hausfrau selbst oder Sachar, dieser aber zu allerletzt, öffnet.

Alles im Hause der Pschenizina wies auf eine Fülle und einen Umfang der Wirtschaft hin, die dort auch zu der Zeit, als Agafja Matwejewna mit ihrem Bruder zusammen wohnte, nicht zu sehen waren. Die Küche, die Vorrathskammern und die Credenz – alles war mit Geschirrbrettern angefüllt, auf denen große und kleine, runde und ovale Platten, Sauciéren, Tassen und Berge von Tellern, von gußeisernen, kupfernen und irdenen Töpfen standen. In den Schränken lag das Silber der Hausfrau, das längst eingelöst und nie mehr wieder versetzt wurde, und das von Oblomow. Dann waren dort ganze Reihen von riesengroßen, bauchigen und winzigen Theekannen und ein paar Reihen von einfachen, bemalten, vergoldeten, mit Sprüchen und flammenden Herzen und mit Chinesen verzierten Porzellantassen aufgestellt. Daneben standen Glasbehälter für Kaffee, Zimmt, Vanille, Krystallschüsseln, Öl- und Essigflaschen. Außerdem waren ganze Bretter mit Paketen, Flaschen und Schächtelchen mit Hausmitteln, Kräutern, Wasser, Pflastern, Spiritus, Kampfer, mit Pulvern und Räucherkerzen bedeckt; dabei befand sich Seife, Putzmittel für Spitzen und Flecken u.s.w., u.s.w., alles was man bei jeder sorgsamen Hausfrau in jedem beliebigen Hause in der Provinz vorfindet. Wenn Agafja Matwejewna plötzlich den mit diesen Gegenständen gefüllten Schrank öffnet, kann sie selbst dem Bouquet all dieser narkotischen Gerüche nicht widerstehen und wendet im ersten Augenblick das Gesicht zur Seite hin.

An der Vorrathskammer hiengen an der Decke, um vor den Mäusen geschüzt zu sein, ganze Schinkenkeulen, Käse, Zuckerhüte, gedörrte Fische, Säcke mit getrockneten Pilzen und mit bei einem Finnen gekauften Nüssen. Auf dem Fußboden standen Kübel mit Butter, große, zugedeckte Töpfe mit Rahm, Körbe mit Eiern und noch tausend andere Sachen! Man müßte über die Feder eines Homer verfügen, um alles, was in den Ecken und auf den Wandbrettern dieser kleinen Arche des häuslichen Lebens versammelt war, genau und voll wiederzugeben. Die Küche war das wahre Palladium der Thätigkeit der großen Hausfrau und ihrer würdigen Stütze Anissja. Alles befand sich im Hause bei der Hand und auf seinem Platz; man könnte sagen, daß überall Ordnung und Reinlichkeit herrschten, wenn es im Hause nicht eine Ecke gegeben hätte, wohin niemals weder ein Lichtstrahl, noch ein frischer Lufthauch, noch das Auge der Hausfrau, noch die flinke, alles reinigende Hand Anissjas drang. Das war Sachars Ecke oder Nest. Seine Kammer besaß kein Fenster und die ewige Dunkelheit begünstigte das Verwandeln dieser menschlichen Wohnung in eine Höhle. Wenn Sachar dort manchmal die Hausfrau mit irgendwelchen Verbesserungs- und Reinigungsplänen antraf, erklärte er resolut, es sei keine weibliche Beschäftigung, die Bürsten, die Wichse und die Stiefel zu ordnen, es gehe niemand etwas an, weshalb seine Kleider in einem Haufen auf dem Fußboden lagen und sein Bett sich im Staub hinter dem Ofen befand, daß ja er und nicht sie diese Kleider trug und auf diesem Bette schlief. Was aber den Besen, die Bretter, die beiden Ziegelsteine, den Boden eines Fasses und die Holzstücke betraf, die er in seinem Zimmer hatte, könnte er ohne dieselben in der Wirtschaft nicht auskommen, er erklärte aber niemals, wozu er das alles verwendete; außerdem meinte er, daß der Staub und die Spinnen ihn nicht stören, daß er übrigens seine Nase nicht in ihre Küche steckte und folglich auch nicht wünschte, daß sie sich um ihn kümmerten. Als er einmal Anissja bei sich antraf, überschüttete er sie mit solcher Verachtung und bedrohte ihre Brust so ernsthaft mit dem Ellbogen, daß sie sich nie mehr zu ihm hineintraute. Als die Angelegenheit der höheren Instanz, Ilja Iljitschs Entscheidung überlassen wurde, gieng dieser hin, um sich die Sache anzuschauen und diesbezüglich strenge Befehle zu erlassen, nachdem er aber zu Sachar den Kopf hineingesteckt und für einen Augenblick alles, was sich dort befand in Augenschein genommen hatte, spuckte er nur aus und sagte kein Wort. »Nun, was habt ihr erreicht?« sagte Sachar zu Agafja Matwejewna und zu Anissja, die mit Ilja Iljitsch gekommen waren und durch dessen Verwendung irgendeine Reform zu erreichen hofften. Dann lächelte er auf seine Art, so daß die Brauen und der Backenbart sich seitwärts auseinanderschoben.

In allen übrigen Zimmern war es hell, rein und frisch. Die alten verblaßten Vorhänge waren verschwunden, und die Fenster und Thüren des Salons und des Arbeitszimmers waren von blauen und grünen Draperien und Tüllvorhängen mit rothen Zacken – alles Agafja Matwejewnas Arbeit umrahmt. Die Kissen waren weiß wie Schnee und erhoben sich wie ein Berg fast bis zum Plafond; die Decken waren aus gesteppter Seide. Das Zimmer der Hausfrau war im Laufe von einigen Wochen mit aneinandergereihten und auseinandergezogenen Lʼhombretischen gefüllt, auf denen diese Decken und Ilja Iljitschs Schlafrock ausgebreitet lagen. Agafja Matwejewna schnitt alles eigenhändig zu, fütterte es mit Watte und steppte es, indem sie ihre feste Brust an die Arbeit preßte, sie mit den Augen verschlang und sogar mit dem Mund thätig war, wenn sie einen Faden abbeißen wollte; sie arbeitete mit Liebe und mit unermüdlichem Fleiße, sich bescheiden mit dem Gedanken belohnend, daß der Schlafrock und die Decken den theuren Ilja Iljitsch bedecken, wärmen und verwöhnen würden, und daß er sich darin behaglich fühlen würde. Er bewunderte, tagelang auf dem Sofa liegend, wie ihre nackten Ellbogen sich, der Nadel und dem Faden folgend, hin und her bewegten. Er schlummerte mehr als einmal wie in Oblomowka beim Zischen des eingefädelten und dem Knistern des abgebissenen Fadens sein.

– Hören Sie doch zu arbeiten auf, Sie werden müde werden; – versuchte er ihrem Eifer Einhalt zu gebieten.

– Gott liebt die Arbeit! – antwortete sie, ohne die Augen und die Hände von der Arbeit zu wenden.

Der Kaffee wurde ihm ebenso sorgsam, appetitlich und schmackhaft zubereitet wie anfangs gereicht, als er vor ein paar Jahren in die Wohnung eingezogen war. Suppe mit Gekröse, Makaronen mit Parmesan, Fischpasteten, Beetensuppe und selbstgezüchtete junge Hühner lösten einander in strenger Reihenfolge ab und brachten in die eintönigen Tage des kleinen Hauses angenehme Abwechslung hierein. In die Fenster schienen von früh bis spät freudige Sonnenstrahlen, die eine Hälfte des Tages von der einen und die zweite Hälfte von der anderen Seite, dank den Gemüsegärten von beiden Seiten ganz unbehindert.

Die Kanarienvögel sangen lustig, die Geranien und die manchmal von den Kindern aus dem gräflichen Garten mitgebrachten Hyacinthen strömten in das kleine Zimmer ihren starken Duft aus, der sich auf eine angenehme Weise mit dem Rauche einer echten Havannacigarre und dem Geruch des Zimmts oder der Vanille vermengte, welche die Hausfrau, energisch die Ellbogen bewegend, stieß.

Ilja Iljitsch schien sein Leben in einem Goldrahmen zu verbringen, in dem die Phasen des Tages, der Nacht und der Jahreszeiten wie in einem Diorama abwechselten; es gab sonst keine anderen Veränderungen und keine besonderen Vorfälle, die vom Grund des Lebens den ganzen, oft bitteren und trüben Satz aufsteigen lassen würden. Von dem Augenblick an, da Stolz Oblomowka vom diebischen Schuldbrief des Bruders befreit hatte und dieser mit Tarantjew für immer verschwunden war, hatte sich auch alles Feindliche aus Ilja Iljitschs Leben entfernt. Ihn umgaben jetzt einfache, gute, liebende Gesichter, die es zum Ziel ihres Daseins machten, sein Leben zu stützen und ihm dazu zu verhelfen, dasselbe nicht zu bemerken und zu fühlen. Agafja Matwejewna stand im Zenith ihrer Existenz; sie lebte und fühlte, daß sie sich auslebte, was sie nie früher gethan hatte, sie konnte das aber wie bisher niemals in Worte kleiden, oder das fiel ihr, besser gesagt, auch gar nicht ein. Sie flehte nur Gott an, er möchte Ilja Iljitsch ein langes Leben schenken und ihn von allem Leid, vor seinem Zorn und von Noth verschonen, und sich, die Kinder und das ganze Haus vertraute sie Gottes Gutdünken an. Aber ihr Gesicht äußerte stets ein und dasselbe Glück, das voll, befriedigt, wunschlos und folglich selten und bei einer jeden andern Natur unmöglich wäre. Sie hatte zugenommen; die Brust und die Schultern strahlten gleichfalls Zufriedenheit und Fülle aus, in den Augen leuchtete Sanftheit und nur wirtschaftliche Sorgen. Zu ihr war dieselbe Ruhe und Würde zurückgekehrt, mit denen sie früher über das Haus und die gehorsame Anissja, über Akulina und über den Hausbesorger geherrscht hatte.

Sie geht nicht, sondern schwebt wie früher vom Schrank in die Küche und von der Küche in die Vorrathskammer und ertheilt langsam und gleichmäßig Befehle mit dem vollen Bewußtsein dessen, was sie thut.

Anissja ist noch flinker als bisher, weil es mehr Arbeit gibt; sie bewegt sich, läuft, arbeitet und sorgt sich um alles, auf den Wink der Hausfrau. Ihre Augen sind sogar leuchtender geworden und die Nase, diese sprechende Nase, eilt immer ihrer ganzen Person voraus, glüht vor Sorgen, vor Gedanken und Absichten und spricht, wenn die Zunge auch schweigt. Beide sind der Würde ihrer Stellung und ihres Amtes angemessen gekleidet. Die Hausfrau hatte sich einen großen Schrank mit einer Reihe von Seidenkleidern, Mänteln und Mantillen angeschafft; sie bestellte ihre Hauben in der Stadt, fast auf der Litejnajastraße, ihre Schuhe stammten nicht mehr aus dem Markt, sondern aus einem guten Geschäfte, und ihr Hut sogar aus der Morskajastraße! Und Anissja zog, wenn sie mit dem Kochen fertig war, und besonders am Sonntag, ein wollenes Kleid an. Nur Akulina gieng noch immer mit dem in den Gürtel gesteckten Kleidersaum herum, und der Hausbesorger konnte sich selbst während der Sommerferien nicht von seinem Schafpelz trennen. Von Sachar ganz zu schweigen. Dieser hatte sich aus dem grauen Frack eine Joppe gemacht und man konnte nicht bestimmen, welche Farbe seine Beinkleider hatten und woraus seine Cravatte gemacht war. Er putzte die Schuhe, schlief dann, saß am Hausthor, die wenigen Passanten stumpf betrachtend, oder begab sich in den Krämerladen und that alles ebenso, wie er es früher, zuerst in Oblomowka und dann auf der Gorochowajastraße gethan hatte.

Und Oblomow selbst? Oblomow war das vollkommene und natürliche Spiegelbild und die Äußerung des ihn umgebenden Wohlstandes, der Ruhe und ungetrübter Stille. Er beschloß, sein Leben betrachtend, darüber sinnend und sich immer mehr hineinversenkend, daß er nirgends mehr hinzugehen und nichts zu suchen hatte, daß sein Ideal vom Leben sich verwirklicht hatte, wenn es auch ohne Poesie und ohne jene Strahlen geschehen war, mit denen seine Phantasie ihm einst das sorglose, herrschaftliche Leben, auf großem Fuße auf dem eigenen Gute, inmitten von Bauern und von Dienstboten, geschmückt hatte. Er sah seine jetzige Existenz für die Fortsetzung des Lebens in Oblomowka an, die nur ein anderes Colorit des Ortes und theilweise auch der Zeit aufzuweisen hatte. Es war ihm hier, wie früher in Oblomowka, gelungen, im Leben billig fortzukommen, und sich bei demselben ungetrübte Ruhe zu erhandeln und zu sichern. Er triumphierte innerlich, weil er den qualvollen, störenden Forderungen und Stürmen entgangen war und sich von dem Horizonte entfernt hatte, unter dem die Blitze großer Freuden flammen und die Schläge großer Schmerzen herabsausen, wo trügerische Hoffnungen und majestätische Glücksphantome schweben, wo an dem Menschen die eigenen Gedanken nagen und wo ihn die Leidenschaft tödtet, wo der Geist fällt oder triumphiert, wo der Mensch einen steten Kampf führt und gemartert, aber doch unbefriedigt und ungesättigt den Kampfplatz verläßt. Er hatte den Freuden, die der Kampf bietet, im Geiste entsagt, bevor er sie genossen hatte und fühlte in seiner Seele nur in dem entlegenen Winkel, der aller Bewegung, allem Kampf und Leben fremd war, Ruhe. Und wenn seine Phantasie zu arbeiten begann, vergessene Erinnerungen und unerfüllte Träume auferstanden, wenn sich in seinem Gewissen Vorwürfe regten, warum er das Leben so und nicht anders verbrachte, schlief er unruhig, erwachte, sprang vom Bette auf und beweinte manchmal mit kalten Thränen der Hoffnungslosigkeit das lichte, für ewig erloschene Lebensideal, wie man einen theuren Todten beweint, mit dem Bewußtsein für ihn, als er lebte, nicht genug gethan zu haben.

Dann blickte er seine Umgebung an, genoß die zeitlichen Güter und beruhigte sich, indem er sinnend zusah, wie still und friedlich die Sonne in den Flammen des Abendroths untergieng und beschloß endlich, daß sein Leben sich nicht nur so geformt hatte, sondern dazu geschaffen und sogar vorher bestimmt war, so einfach und schlicht zu sein, um die Möglichkeit der idealen Ruhe im menschlichen Sein zu verkörpern. Andern, dachte er, fiel das Schicksal zu, dessen stürmische Elemente zu äußern und die schaffenden und zerstörenden Kräfte in Bewegung zu setzen; jeder hatte seine Bestimmung! Dieser Oblomower Plato arbeitete sich diese Philosophie aus, die ihn inmitten der Fragen und strengen Forderungen der Pflicht und der Bestimmung sanft einwiegte! Er war nicht als Gladiator für eine Arena, sondern als friedlicher Zuschauer des Kampfes auf die Welt gekommen und erzogen worden; seine ängstliche, träge Seele hätte weder die Erregungen des Glückes, noch die Schicksalsschläge ertragen – folglich hatte er die eine Seite des Lebens verkörpert und brauchte nichts mehr darin zu erstreben, zu ändern oder zu bereuen. Mit den Jahren kamen diese Gedanken und die Reue seltener, und er legte sich allmählich still in den einfachen, breiten Sarg seiner übrigen Existenz, den er sich mit seinen eigenen Händen nach dem Beispiel der Eremiten vorbereitet hatte, welche sich vom Leben abwenden und sich selbst ihr Grab schaufeln. Er hatte schon aufgehört, von der Einrichtung des Gutes und von der Übersiedlung dorthin mit dem ganzen Hause zu träumen. Der von Stolz eingesetzte Verwalter schickte ihm regelmäßig einen ziemlich bedeutenden Betrag, zu Weihnachten brachten die Bauern Mehl und Geflügel und das Haus war von Wohlstand und Frohsinn erfüllt. Ilja Iljitsch kaufte sich sogar Pferde, aber aus der ihm eigenen Vorsicht schaffte er sich solche an, die sich erst nach dem dritten Peitschenschlag in Bewegung setzten, beim ersten und zweiten Schlag rührte sich das erste Pferd und machte einen Schritt zur Seite, dann rührte sich das zweite Pferd und machte einen Schritt zur Seite und dann erst zogen alle drei mit gespannt gestrecktem Hals, Rücken und Schwanz auf einmal an und begannen, mit dem Kopfe nickend, zu laufen. Auf ihnen fuhr Wanja ins Gymnasium auf das gegenüberliegende Ufer der Newa und besorgte die Hausfrau ihre Einkäufe. Am Carneval und zu Ostern fuhr die ganze Familie mit Ilja Iljitsch spazieren und zu den Marktbuden hin, ab und zu wurde eine Loge genommen und das ganze Haus gieng ins Theater. Im Sommer begab man sich in die Umgegend der Stadt, am Eliasfreitag zu den Pulvermühlen; das Leben wechselte in seinen gewohnten Erscheinungen ab, und man könnte sagen, daß darin keine verhängnisvollen Veränderungen eintraten, wenn die Schicksalsschläge die kleinen, friedlichen Winkel nicht erreichen würden. Aber unglücklicherweise tönt der Donnerschlag, der die Berge und die ungeheuren Luftschichten erschüttert, auch in einem Mauseloch wieder, zwar geschieht es schwächer und dumpfer, aber doch empfindlich für das Loch.

Ilja Iljitsch aß viel und mit Appetit, wie in Oblomowka, und arbeitete wenig und träge auch wie in Oblomowka. Er trank, trotzdem die Jahre vorübereilten, sorglos Johannisbeerschnaps und schlief lange und noch sorgloser nach Tisch. Plötzlich veränderte sich das alles. Als er eines Tages nach dem Nachmittagsschlafe vom Sofa aufstehen wollte, gelang es ihm nicht, und als er ein Wort sagen wollte, gehorchte ihm die Zunge nicht. Er winkte nur erschrocken mit der Hand, man möchte ihm zu Hilfe kommen. Wenn er allein mit Sachar gewohnt hätte, könnte er bis zum Morgen mit der Hand telegraphieren und endlich sterben, was man am nächsten Tage erfahren würde; doch das Auge der Hausfrau wachte gleich der Vorsehung über ihm; sie brauchte keinen Verstand, ihr genügte die bloße Ahnung des Herzens, daß Ilja Iljitsch nicht ganz wohl sei. Und sowie diese Ahnung über sie gekommen war, flog Anissja in einer Droschke zum Arzt hin und sie selbst belegte ihm den Kopf mit Eis und schleppte aus dem geheimnisvollen Schrank alle Mittel herbei, die die Gewohnheit und die Überlieferung ihr anzuwenden vorschrieben. Sogar Sachar hatte Zeit gehabt, einen Stiefel anzuziehen und pflegte mit dem Arzte, mit der Hausfrau und Anissja zusammen seinen Herrn. Man brachte Ilja Iljitsch zum Bewußtsein, ließ ihm zur Ader und der Arzt erklärte, das sei ein Schlaganfall gewesen, und er müsse eine andere Lebensweise beginnen. Ihm wurde Schnaps, Bier, Wein und Kaffee, mit wenigen und seltenen Ausnahmen, dann jede Fleischkost, alles Fette und Gewürzte verboten, und wurde tägliche Bewegung und mäßiger Schlaf nur in der Nacht vorgeschrieben.

Ohne Agafja Matwejewnas Fürsorge würde das alles nicht eingehalten werden, doch sie verstand es, dieses System dadurch einzuhalten, daß sie demselben das ganze Haus unterordnete und Oblomow bald durch List und bald durch Güte vom verführerischen Wein, von dem Nachmittagsschlaf und den fetten Pasteten ablenkte. Sowie er einnickte, fiel wie von selbst ein Stuhl zur Erde oder es wurde im Nebenzimmer mit großem Lärm altes Geschirr zerbrochen oder die Kinder tollten so herum, daß es zum Davonlaufen war.

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04 aralık 2019
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