Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 42

Yazı tipi:

X

Es waren fünf Jahre vergangen. Auch auf der Wiborgskajastraße hatte sich vieles verändert: die leere Straße, die zum Hause der Pschenizina führte, war mit Landhäusern verbaut, zwischen denen sich ein langes, steinernes Staatsgebäude ausstreckte, das die Sonnenstrahlen daran verhinderte, lustig in die Fenster des stillen Obdaches der Trägheit und Ruhe zu scheinen. Auch das Häuschen selbst war ein wenig gealtert und sah nachlässig und schmutzig aus, wie ein unrasierter und ungewaschener Mensch. Die Farbe war verblaßt, die Dachrinnen waren theilweise zerbrochen; infolge dessen befanden sich auf dem Hofe große Pfützen, über die wie früher ein schmales Brett gelegt war. Wenn jemand auf den Hof trat, zerrte die alte Arapka nicht mehr an der Kette, sondern bellte heiser und träge, ohne seine Hütte zu verlassen. Und welche Veränderungen waren im Innern des Hauses vorgegangen! Dort herrschte eine fremde Frau und spielten fremde Kinder. Dort erschien ab und zu manchmal das rothe Säufergesicht des streitsüchtigen Tarantjew, aber der sanfte, bescheidene Alexejew läßt sich dort nicht mehr blicken. Weder Sachar noch Anissja sind zu sehen. Die neue, dicke Köchin herrscht in der Küche und erfüllt ungern und ungenau die stillen Befehle Agafja Matwejewnas und Akulina wäscht mit dem in den Gürtel gesteckten Kleidersaum die Tröge und Töpfe; derselbe schläfrige Hausbesorger beendet seine Tage müßig in demselben Schafpelz in seiner Ecke. An dem Gitterzaun huscht zu den bestimmten Stunden des frühen Morgens und der Mittagszeit wieder die Gestalt des Bruders mit einem Paket unter dem Arm und Sommer und Winter in Gummigaloschen vorüber. Was ist denn aus Oblomow geworden? Wo ist er? Seine irdische Hülle ruht auf dem nahen Friedhofe, unter einer bescheidenen Urne, an einem stillen Ort zwischen dem Gebüsch. Die von einer Freundeshand gepflanzten Fliederzweige schlummern über dem Grabe und darüber duftet friedlich der Wermuth. Es schien, daß der Engel der Stille selbst seinen Schlaf bewachte. So wachsam das liebende Auge der Frau jeden Augenblick seines Lebens auch behütet hatte, wurde die Maschine seines Lebens durch die ewige Ruhe und Stille und durch das träge Hinkriechen der Tage doch aufgehalten. Ilja Iljitsch schien ohne Schmerzen und ohne Qualen verschieden zu sein, wie eine Uhr, welche stehen bleibt, weil man sie aufzuziehen vergessen hat. Niemand sah seine letzten Augenblicke und hörte seinen letzten Seufzer. Der Schlaganfall wiederholte sich nach einem Jahre und gieng wieder glücklich vorüber; aber Ilja Iljitsch wurde bleich und schwach, begann wenig zu essen, gieng selten in dem Garten spazieren, wurde immer schweigsamer und sinnender und weinte sogar manchmal. Er ahnte den nahen Tod und fürchtete ihn. Er fühlte sich ein paarmal unwohl, doch das vergieng. Eines Morgens brachte ihm Agafja Matwejewna wie gewöhnlich den Kaffee und traf ihn auf seinem Sterbelager ebenso sanft ruhend an, wie er im Schlafe aussah, nur sein Kopf war ein wenig vom Kissen herabgeglitten und er hatte die Hand krampfhaft ans Herz gepreßt, wo sich offenbar der Schmerz concentrierte und das Blut zu circulieren aufgehört hatte.

Agafja Matwejewna war schon seit drei Jahren Witwe; während der Zeit hatte ihr Leben seinen ursprünglichen Gang wieder aufgenommen. Der Bruder hatte sich in verschiedene Speculationen eingelassen, verlor aber dabei sein ganzes Geld, und es gelang ihm durch List und Unterwürfigkeit seinen früheren Posten als Secretär in der Kanzlei, »in der man die Bauern eintrug«, wieder zu bekommen, jetzt gieng er wie früher zu Fuß ins Amt und brachte zwanzig, fünfundzwanzig und fünfzig Kopekenstücke mit, die er in einen wohlverwahrten Koffer einfüllte. Die Wirtschaft wurde ebenso ordinär und einfach, aber auch ebenso reichlich geführt, wie früher vor Oblomows Zeit. Die Hauptrolle im Hause spielte die Frau des Bruders, Irina Pantelejewna, d, h., sie nahm sich das Recht, spät aufzustehen, dreimal am Tage Kaffee zu trinken, dreimal die Kleider zu wechseln und sich in der Wirtschaft nur um das eine zu kümmern, daß ihre Röcke möglichst steif gestärkt wurden. Sonst kümmerte sie sich um nichts, und Agafja Matwejewna war wie früher der lebendige Pendel des Hauses; sie befaßte sich mit der Küche, bereitete für das ganze Haus den Thee und den Kaffee, nähte für alle, hielt die Wäsche in Ordnung, und beaufsichtigte die Kinder, Akulina und den Hausbesorger. Aber warum that sie es? Sie war ja Frau Oblomowa, eine Gutsbesitzerin; sie könnte ja allein und unabhängig leben, ohne sich um irgendjemand zu kümmern! Was hatte sie denn dazu gezwungen, die Last einer fremden Wirtschaft, der Sorge um die fremden Kinder und um all die Kleinigkeiten auf sich zu nehmen, der eine Frau sich nur entweder aus Liebe, aus Pflichtgefühl oder aus Sorge um das liebe Brot unterwirft? Wo waren denn Sachar, Anissja und die ihr nach allen Rechten zukommenden Diener? Wo war endlich das lebendige Vermächtnis ihres Mannes, der kleine Andrjuscha? Wo waren die Kinder ihres ersten Mannes?

Ihre Kinder waren versorgt, d. h Wanjuscha hatte den Lehrcursus absolviert und einen Posten bekommen; Maschenjka hatte den Verwalter eines Staatsgebäudes geheiratet, und Andrjuscha war von Stolz und dessen Frau an Kindesstatt angenommen worden und wurde dort erzogen. Agafja Matwejewna hatte Andrjuschas Zukunft nie mit dem Schicksal ihrer anderen Kinder vermengt und den ihrigen gleichgestellt, wenn sie vielleicht auch unbewußt in ihrem Herzen ihnen allen den gleichen Antheil zusprach. Aber sie theilte die Erziehung, die Lebensweise und die Zukunft Andrjuschas durch einen ganzen Abgrund vom Leben Wanjuschas und Maschenjkas ab.

»Was sind denn die? Ebensolche Aschenbrödel wie ich selbst,« sagte sie wegwerfend, »sie sind von gemeinem Blut, und dieser,« fügte sie fast mit Hochachtung an Andrjuscha denkend hinzu, indem sie ihn wenn nicht schüchtern, so doch vorsichtig liebkoste, »dieses herrschaftliche Kind! Wie weiß er ist, wie ein Glasapfel! Was für kleine Händchen und Füßchen und was für seidene Haare er hat! Er ist ganz dem Verstorbenen nachgerathen!«

Darum gieng sie ohne jeden Widerspruch und sogar mit einer gewissen Freude auf Stolzs Vorschlag, ihn zu erziehen, ein, da sie glaubte, daß er sich dort, und nicht hier in der »Gemeinheit«, zusammen mit ihren schmutzigen Neffen, den Kindern des Bruders, in der ihm gebürenden Umgebung befinden würde.

Ein halbes Jahr lang nach Oblomows Tod lebte sie mit Anissja und Sachar in ihrem Hause, in tiefen Gram versunken. Sie hatte zum Grabe ihres Mannes einen Weg ausgetreten und sich die Augen ausgeweint, sie aß fast nichts, nährte sich nur von Thee, schloß manchmal ganze Nächte lang kein Auge und ermattete ganz. Sie beklagte sich nie bei jemand und schien sich in dem Maßstabe, als sie dem Augenblicke der Trennung ferner rückte, immer mehr in sich und in ihre Schmerz zu verschließen und theilte sich niemand, nicht einmal Anissja mit.

»Ihre Gnädige beweint noch immer ihren Mann,« sagte der Händler auf dem Markte, bei dem die Hausvorräthe gekauft wurden, zu der Köchin. »Sie trauert noch immer um ihren Mann,« sagte der Küster in der Friedhofskirche der Hostienverkäuferin, auf die trostlose Witwe hinweisend, die jede Woche beten und weinen kam. »Sie grämt sich immer noch!« sprach man im Hause des Bruders.

Eines Tages kam zu ihr unerwartet die ganze Familie des Bruders mit den Kindern und sogar mit ihr Tarantjew, unter dem Vorwande, Trost zuzusprechen. Sie wurde mit banalen Rathschlägen überschüttet, »sich nicht zugrunde zu richten und der Kinder wegen zu schonen,« alles das, was ihr vor fünfzehn Jahren, aus Anlaß des Todes ihres ersten Mannes gesagt wurde und was damals die gewünschte Wirkung erzielte, ihr jetzt aber Langeweile und Ekel einflößte. Es wurde ihr aber viel wohler ums Herz, als man von etwas anderem zu sprechen begann und ihr mittheilte, sie könnten jetzt wieder zusammen leben, es würde ihr viel leichter sein, unter den Ihrigen den Schmerz zu vergessen, das würde auch ihnen angenehm sein, denn niemand verstehe es so wie sie, das Haus in Ordnung zu halten. Sie bat um Bedenkzeit, grämte sich noch zwei Monate lang und willigte endlich ein, mit ihnen zusammen zu leben. Um diesen Zeitpunkt nahm Stolz Andrjuscha zu sich.

Jetzt geht sie im dunklen Kleide, mit einem schwarzen Tuch um den Hals, wie ein Schatten aus dem Zimmer in die Küche, öffnet und schließt wie früher die Schränke, näht, bügelt Spitzen, sie thut es aber langsam und ohne Energie, sie spricht ungern, mit leiser Stimme und blickt nicht mehr mit sorglos von einem Gegenstand zum andern irrenden Augen, sondern mit einem innerlichen Ausdruck und einem verborgenen tiefen Inhalt darin. Dieser Ausdruck schien in dem Augenblick, als sie bewußt und lange das todte Gesicht ihres Mannes betrachtete, unsichtbar in ihr aufzusteigen und verließ sie seitdem nicht. Sie gieng im Hause herum, besorgte alles, was nöthig war, eigenhändig, doch ihre Gedanken nahmen an alledem nicht theil. Als sie ihren Mann verloren hatte und über seiner Leiche stand, begriff sie plötzlich ihr Leben und dachte über dessen Sinn nach und dieser Gedanke legte sich für immer wie ein Schatten auf ihr Gesicht. Als die Thränen dann ihren Schmerz erleichtert hatten, vertiefte sie sich in das Bewußtsein ihres Verlustes; alles außer dem kleinen Andrjuscha war für sie gestorben. Sowie sie ihn erblickte, erwachten in ihr Anzeichen des Lebens, die Gesichtszüge erhellten sich, die Augen erfüllten sich mit freudigem Strahlen und dann mit Thränen der Erinnerung. Ihre ganze Umgebung war ihr fremd; sie beachtete es nicht, wenn der Bruder ihr eines verausgabten oder nicht erhandelten Rubels, eines angebrannten Bratens oder nicht frischen Fisches wegen zürnte, wenn die Schwägerin eines nicht genügend gestärkten Rockes oder des zu schwachen, kalten Thees schmollte oder wenn die dicke Köchin mit ihr grob war, als ob es sich gar nicht um sie handelte, sie hörte nicht einmal das giftige Flüstern: »Gnädige Frau Gutsbesitzerin!« Sie beantwortete alles mit der Würde ihres Schmerzes und mit stolzem Schweigen. An Feiertagen, zu Ostern, an den lustigen Carnevalsabenden, da alles im Hause jubelte, sang, aß und trank, brach sie plötzlich, inmitten der allgemeinen Fröhlichkeit, in heiße Thränen aus und versteckte sich in ihre Ecke. Doch dann sammelte sie sich wieder und blickte sogar manchmal den Bruder und dessen Frau gleichsam bedauernd und stolz an. Sie begriff, daß es mit ihrem Glück vorüber war, daß Gott diesem Leben eine Seele eingehaucht und sie ihm wieder genommen hatte; daß die Sonne in ihr aufgeleuchtet hatte und für immer wieder erloschen war. . Ja, für immer; aber dafür hatte ihr Leben einen Sinn erhalten, jetzt wußte sie schon, warum sie gelebt hatte, und daß es nicht vergeblich war.

Sie hatte so viel und so aus ganzer Seele geliebt; sie hatte Oblomow als Geliebten, als Gatten und als ihren Herrn geliebt doch sie konnte das niemals jemand erzählen. Es würde sie auch niemand von ihrer Umgebung verstanden haben. Wo würde sie die nöthigen Ausdrücke hernehmen? Im Lexikon ihres Bruders, Tarantjews und der Schwägerin gab es keine solchen Worte, weil es keine solchen Begriffe gab; nur Ilja Iljitsch hätte sie verstanden, doch sie hatte das ihm gegenüber niemals geäußert, da sie es damals noch selbst nicht begriff. Mit den Jahren wurde ihr die Vergangenheit immer verständlicher und klarer, sie verbarg sie immer tiefer und wurde immer schweigsamer und verschlossener. Die wie ein Augenblick vorübergeflogenen sieben Jahre hatten ihr ganzes Leben wie mit Strahlen und stillem Licht erfüllt, und sie hatte keine Wünsche und keine Ziele mehr. Nur wenn Stolz im Winter vom Gut kam, lief sie in sein Haus, blickte Andrjuscha gierig an, liebkoste ihn mit zärtlicher Schüchternheit und wollte dann Andrej Iwanitsch etwas sagen, ihm danken und ihm endlich alles das, was unwandelbar in ihrem Herzen lebte und sich darin angesammelt hatte, mittheilen; er würde das verstehen, sie konnt es aber nicht sagen, stürzte nur zu Oljga hin, schmiegte ihre Lippen an deren Hände und brach in einen Strom so heißer Thränen aus, daß auch Oljga unwillkürlich mit ihr zu weinen begann und Andrej erregt und eilig das Zimmer verließ. Sie alle waren durch eine allgemeine Sympathie und durch die Erinnerung an die krystallreine Seele des Verstorbenen verbunden. Sie baten sie, mit ihnen aufs Gut zu reisen und mit ihnen zusammen neben Andrjuscha zu leben, sie antwortete aber immer nur das eine: »Man muß dort sterben, wo man geboren ist und wo man das ganze Leben verbracht hat.« Stolz berichtete ihr vergeblich über die Verwaltung des Gutes und schickte ihr die ihr zukommenden Einkünfte, sie gab alles zurück und bat, es für Andrjuscha aufzuheben. »Das gehört ihm und nicht mir,« wiederholte sie eigensinnig, »er wird das brauchen, er ist ein Edelmann, und ich werde mein Leben auch so fristen.«

XI

Eines Tages um die Mittagsstunde schritten über das Holztrottoir der Wiborgskajastraße zwei Herren; hinter ihnen fuhr langsam ein Wagen. Der eine dieser Herren war Stolz, der zweite, sein Freund, ein Schriftsteller von ziemlicher Leibesfülle, mit apathischem Gesicht und sinnenden, gleichsam schläfrigen Angen. Sie erreichten die Kirche; die Messe war zu Ende und die Menge strömte auf die Straße hinaus; allen voran die Bettler, die eine große, verschiedenartige Sammlung bildeten.

– Ich möchte wissen, woher so viele Bettler kommen, – sagte der Schriftsteller, die Menge anblickend.

– Wieso woher? Sie kriechen aus ihren Höhlen und Winkeln hervor.

– Ich meine das nicht so, – entgegnete der Schriftsteller, – ich möchte wissen: wie man zu einem Bettler werden und sich dieser Gesellschaftsclasse anreihen kann? Ob das wohl plötzlich oder allmählich, aufrichtig oder heuchlerisch geschieht. . . .

– Wozu brauchst Du das? Willst Du vielleicht »Mystéres de Petersbourg« schreiben?

– Vielleicht. . . . – sagte der Schriftsteller träge gähnend.

– Jetzt hast Du eine gute Gelegenheit; frage den ersten besten, er verkauft Dir für einen Rubel seine ganze Geschichte, notiere sie Dir dann und verkaufe sie mit Gewinn wieder. Hier ist ein alter, ein typischer und ich glaube ein ganz normaler Bettler. He, Alter! Komm her!

Der Alte wandte sich auf ihren Ruf um, zog den Hut und trat an sie heran.

– Gütige Herrschaften! – krächzte er, helft einem armen, in dreißig Kämpfen verwundeten Krieger. . . .

– Sachar! – sagte Stolz verwundert, bist Du es?

Sachar verstummte plötzlich, schützte sich die Augen mit der Hand vor der Sonne und blickte Stolz starr an.

– Verzeihen Sie, Euer Wohlgeboren, ich erkenne Sie nicht. . . ich bin ganz erblindet!

– Hast Du Stolz, den Freund Deines Herrn, vergessen? – warf ihm Stolz vor.

– Ach, ach, Väterchen Andrej Iwanitsch! Meine Augen sehen nichts mehr! Väterchen!

Er lief hin und her, haschte nach Stolzʼ Hand und küßte, da er sie nicht fangen konnte, seinen Rockschoß.

– Gott hat mich elenden Hund eine solche Freude erleben lassen. . . brüllte er zwischen Lachen und Weinen. Sein Gesicht war von der Stirne bis zum Kinn gleichsam mit einem feuerrothen Siegel gezeichnet. Die Nase hatte außerdem eine bläuliche Tönung angenommen. Sein Kopf war ganz kahl; der Backenbart war dicht wie früher, er war aber ganz zerzaust und wirr wie Filz und in jede seine Hälfte schien ein Schneeklumpen gelegt worden zu sein. Er trug einen alten, ganz verblaßten Überzieher, dem ein Schoß fehlte; an den Füßen hatte er nichts als alte, schiefgetretene Galloschen; in den Händen hielt er eine ganz abgetragene Pelzmütze.

– Ach, Du lieber Gott! Welche Gnade hast Du mir am heutigen Feiertag erwiesen. . . .

– Warum siehst Du so aus? Was ist geschehen? Schämst Du Dich nicht? fragte Stolz strenge.

– Ach, Väterchen Andrej Iwanitsch! Was soll ich denn thun? – begann Sachar schwer seufzend. – Wovon soll ich mich nähren? Als Anissja noch am Leben war, habe ich mich nicht so herumgetrieben, da habe ich mein Stück Brot gehabt, als sie aber im Cholerajahr gestorben ist – Gott habe sie selig! – hat mich der Bruder von der Gnädigen nicht länger behalten wollen, er hat mich einen Müßiggänger genannt und Michej Andreitsch Tarantjew hat im Vorübergehen immer versucht, mich von rückwärts mit dem Fuß zu stoßen; das war nicht zu ertragen! Wie viel Vorwürfe ich zu schlucken hatte! Wissen Sie, gnädiger Herr, jeder Bissen ist mir im Hals stecken geblieben. Wenn die Gnädige nicht wäre, Gott möge ihr Gesundheit schenken! – fügte Sachar sich bekreuzend hinzu, – würde ich längst erfroren sein. Sie gab mir im Winter Kleider, so viel Brot als ich nur wollte und eine Ecke auf dem Ofen, – das alles habe ich ihrer Güte zu verdanken. Man hat ihr aber meinetwegen Vorwürfe gemacht, da bin ich fortgegangen und treibe mich nun herum. Jetzt istʼs schon das zweite Jahr, daß ich so herumirre. . . .

– Warum hast Du keine Stellung angenommen? – fragte Stolz.

– Wo kann man denn jetzt eine Stellung finden, Väterchen Andrej Iwanitsch? Ich war in zwei Häusern, konnte es aber niemand recht machen. Jetzt ist alles anders und schlechter als früher. Man will Lakaien haben, welche Lesen und Schreiben können, und es ist jetzt auch bei vornehmen Herrschaften nicht mehr Sitte, daß das Vorhaus voller Dienstboten steckt. Man hat meistens einen und nur selten zwei Lakaien. Man zieht sich selbst die Stiefel aus und hat sich dafür eine Maschine ausgedacht! – fuhr Sachar traurig fort, – es ist eine Schande und ein Jammer, es gibt gar keine Edelleute mehr!

Er seufzte.

– Ich bin zu einem deutschen Kaufmann ins Haus eingetreten, ich sollte im Vorzimmer sitzen; alles gieng gut, er hat mich aber servieren lassen; ist denn das eine Arbeit für mich? Einmal habʼ ich irgendein böhmisches Geschirr getragen, die Fußböden waren aber so glatt, zum Teufel mit ihnen! Plötzlich sind mir meine Füße auseinandergerutscht, das ganze Geschirr ist zusammen mit dem Präsentierbrett auf die Erde gestürzt, und man hat mich fortgejagt! Ein anderesmal hat mein Gesicht einer alten Gräfin gefallen. »Er sieht so ehrwürdig aus,« hat sie gesagt, und hat mich als Portier angestellt. Das ist eine schöne, ehrwürdige Stellung; man muß nur mit wichtiger Miene dasitzen, die Füße aufeinanderlegen und wiegen und nicht gleich antworten, wenn jemand kommt, sondern ihn zuerst anbrüllen und erst dann durchlassen oder hinauswerfen; und wenn vornehme Gäste kommen, muß man mit dem Stab so salutieren! Sachar salutierte mit der Hand. – Das ist ehrenhaft, da kann man nichts dagegen sagen! – Aber die Gnädige war so genau, Gott sei mit ihr! Sie hat einmal in meine Kammer hereingeschaut, hat dort eine Wanze erblickt und hat zu schreien und zu stampfen angefangen, als ob ich die Wanzen ausgedacht hätte! In welcher Wirtschaft gibt es denn keine Wanzen! Ein anderesmal ist sie an mir vorbeigegangen und es hat ihr geschienen, daß ich nach Wein rieche. . . . so eine war sie! Und da hat sie mir gekündigt!

– Du riechst aber wirklich nach Wein, und noch wie! – sagte Stolz.

– Vor Leid, Väterchen Andrej Iwanitsch, bei Gott, vor Leid! – krächzte Sachar, sein Gesicht in Falten ziehend. – Ich habe auch versucht Kutscher zu sein. Ich habe den Posten angetreten, mir sind aber meine Füße erfroren; ich habe wenig Kraft, ich bin schon alt! Das Pferd war so wild; einmal hat es sich unter einen Wagen gestürzt und hätte mir beinahʼ alle Knochen zerbrochen; ein zweitesmal hat es eine alte Frau überfahren, man hat mich auf die Polizei geschleppt. . . .

– Höre jetzt zu vagabundieren auf, komm zu mir, ich werde für Dich einen Winkel finden und dann fahren wir aufs Gut – hörst Du?

– Ich höre, Väterchen Andrej Iwanitsch, aber. . . .

Er seufzte.

– Ich habe keine Lust von hier, vom Grab, fortzufahren! Ich habe heute wieder für unsern Ernährer, Ilja Iljitsch, gebetet, – heulte er auf, – Gott habʼ ihn selig! Er hat gelebt, um den Menschen Freude zu machen, er hätte hundert Jahre leben sollen. . . – sagte Sachar schluchzend und die Stirn runzelnd. – Heute war ich auf seinem Grab; sowie ich in diese Gegend komme, gehe ich dorthin und setze mich nieder; die Thränen rinnen mir nur so herunter. Manchmal denke ich so vor mich hin, alles herum ist so still und es scheint mir, daß jemand »Sachar! Sachar!« ruft. Da läuft es mir kalt über den Rücken! Man findet keinen zweiten solchen Herrn! Und wie er Sie geliebt hat! Gott möge sich seiner Seele annehmen!. . . .

– Dann komme Andrjuscha anschauen, ich werde Dir Essen und Kleider geben lassen und thue dann, was Du willst! – sagte Stolz, ihm Geld reichend.

– Ich werde kommen; wie sollte ich Andrej Iljitsch nicht anschauen kommen? Er ist wohl schon groß geworden! O Gott! Welche Freude der Herr mich erleben läßt! Ich komme, Väterchen, Gott soll Ihnen Gesundheit und langes Leben schenken. . . . – brummte Sachar dem davonrollenden Wagen nach.

– Nun, hast Du der Geschichte dieses Bettlers zugehört? – fragte Stolz seinen Freund.

– Und wer ist dieser Ilja Iljitsch, den er erwähnt hat? – fragte der Schriftsteller.

– Das ist Oblomow, von dem ich Dir oft erzählt habe.

– Ja, ich entsinne mich dieses Namens; das ist Dein Freund und Kamerad. Was ist aus ihm geworden?

– Er ist zugrunde gegangen, und das ohne jede Ursache. Stolz seufzte und sann nach.

– Und war nicht dümmer als manche andere, seine Seele war rein und klar wie Glas; er war edel, zart und ist zugrunde gegangen!

– Warum denn? Was war die Ursache?

– Die Oblomowerei! – sagte Stolz.

– Die Oblomowerei! – wiederholte der Schriftsteller erstaunt, – was ist das?

– Das werde ich Dir gleich erzählen; laß mir nur Zeit, meine Gedanken und Erinnerungen zu sammeln. Und schreibe es dann auf, vielleicht nützt es jemand. Und er erzählte ihm das, was hier steht.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
04 aralık 2019
Hacim:
750 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Ses
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 4,5, 2 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 4, 1 oylamaya göre