Kitabı oku: «Die erste Liebe», sayfa 3
VIII
Am nächsten Morgen, als ich zum Thee heruntergekommen war, schalt mich meine Mutter, weniger jedoch, als ich erwartet hatte – und hieß mich ihr erzählen, wie ich den Abend zuvor verbracht hatte. Ich antwortete ihr in der Kürze, überging viele Nebenumstände und war bemüht, dem Ganzen einen unschuldigen Anstrich zu geben.
– Es sind aber dennoch keine Leute comrne il faut, bemerkte die Mutter, und Du brauchst nicht hinüber zulaufen, statt Dich zu beschäftigen und zum Examen vorzubereiten.
Da ich wußte, daß die ganze Besorgniß meiner Mutter wegen meiner Beschäftigung, auf diese wenigen Worte beschränkt bleiben würde, so hielt ich es nicht für nöthig, ihr etwas zu erwidern; nach den Thee aber faßte mein Vater mich unter den Arm, ging mit mir in den Garten und ließ mich Alles erzählen, was ich bei Sassekins erlebt hatte.
Eine eigenthümliche Wirkung übte mein Vater auf mich aus, – und eigenthümlicher Art waren unsere gegenseitigen Beziehungen. So beschäftigte ihn meine Erziehung fast gar nicht; doch niemals fügte er mir eine Demüthigung zu. Er respectirte meine Freiheit, – ja er war, möchte ich fast sagen, höflich gegen mich . . . dennoch aber hielt er mich stets in einer gewissen Entfernung. Ich liebte ihn, ich war Feuer und Flamme für ihn, er erschien mir als das Muster von einem Manne – und, oh mein Gott! wie leidenschaftlich würde ich ihm angehangen sein, wenn ich nicht beständig seine abwehrende Hand gespürt hätte! Dafür aber war er augenblicklich im Stande, wenn er es wollte, durch ein einziges Wort, eine einzige Miene, in mir unbegrenztes Zutrauen zu sich zu erwecken. Meine Seele schloß sich vor ihm auf – ich schwatzte mit ihm, wie mit einem bedächtigeren Freunde, wie mit einem nachsichtigen Erzieher, . . . dann wieder, trat er ebenso rasch von mir zurück, – seine Hand wehrte mich – freundlich und zart, – aber dennoch wieder ab.
Zu Zeiten, wenn er fröhlich gestimmt war, konnte er Muthwillen mit mir treiben und sich umhertummeln wie ein Knabe, denn er war ein Freund von jeder Art körperlicher Bewegung; ein Mal – aber auch nur ein einziges Mal! – hat er mich mit solcher Zärtlichkeit geliebkost, daß mir fast die Thränen in die Augen traten. . . Doch Heiterkeit wie Zärtlichkeit verschwanden bei ihm ohne Spuren zu hinterlassen – und was auch zwischen uns vorfallen mochte, nichts berechtigte mich zu Hoffnungen für die Zukunft, – wie wenn Alles nur ein Traumbild für mich gewesen wäre. Zuweilen, wenn ich sein kluges, schönes, offenes Gesicht betrachtete . . . bebte mir das Herz und mein ganzes Wesen fühlte sich zu ihm hingezogen . . . dann schien er zu fühlen, was in mir vorging, streichelte mir im Vorbeigehen die Wange – und ging dann entweder davon, oder nahm irgend Etwas vor, oder wurde plötzlich kalt, wie er allein es zu werden verstand, und sofort zog auch ich mich zurück und fühlte mich verlassen. Die wenigen Aeußerungen seines Wohlwollens für mich waren niemals durch meine stummen, aber verständlichen Bitten hervorgerufen: sie traten jedes Mal unerwartet ein. Wenn ich später tiefer über den Charakter meines Vaters nachdachte, kam ich zu dem Schlusse, daß ihm wenig an mir und dem Familienwesen gelegen war; seine Neigung war Anderem zugewendet, und diesem Anderen gab er sich vollständig hin. »Greife zu, wie Du kannst, lasse Dich nur selbst nicht greifen; sich selbst angehören, – hierin liegt der Kern des Lebens,« – sagte er ein Mal zu mir. Ein anderes Mal schwatzte ich, als angehender Demokrat, in seinem Beisein von der Freiheit, (er war an jenem Tage, wie ich es nannte, »gut«; und in solchen Augenblicken konnte man mit ihm reden, was man wollte). – Freiheit! sagte er, weißt Du aber auch, was dem Menschen Freiheit giebt?
– Was?
– Der Wille, der eigene Wille, er auch giebt Macht, die besser als Freiheit ist. Verstehe zu wollen – und Du wirst frei sein und gebieten.
Das Leben genießen, das wollte mein Vater vor Allem – und er genoß dasselbe . . . Vielleicht hat er eine Vorahnung gehabt, daß er sich nicht lange am »Lebenskerne« erfreuen werde: er starb, zweiundvierzig Jahre alt.—
O Ich erzählte meinem Vater ausführlich von meinem Besuche bei Sassekins. Halbaufmerksam, halbzerstreut hörte er mir zu, indem er dabei, auf einer Bank sitzend, mit der Spitze seiner Reitgerte Figuren in dem Sande zeichnete. Von Zeit zu Zeit lachte er zu meiner Erzählung, blickte mich auf eigene Weise, offen und scherzhaft, an und reizte mich durch kurze Fragen und Einwände. Anfänglich getraute ich mich nicht einmal den Namen Sinaïdes auszusprechen, konnte mich dessen aber endlich doch nicht enthalten und begann sie höchlich zu rühmen. Der Vater fuhr fort zu lachen, verfiel darauf in Nachdenken, reckte sich und stand auf.
Ich erinnere mich, daß er, als wir das Haus verließen, Befehl gab, sein Pferd zu satteln. Er war ein vortrefflicher Reiter – und verstand, noch lange vor Herrn Rarey, die wildesten Pferde zu bändigen.
– Reiten wir zusammen, Papa? fragte ich ihn.
– Nein, erwiderte er, und sein Gesicht nahm den gewohnten, gleichgültig-freundlichen Ausdruck an. – Du kannst allein ausreiten, wenn Du willst; dem Kutscher aber sage, daß ich nicht ausreiten werde.
Er drehte mir den Rücken zu und entfernte sich rasch. Ich folgte ihm mit dem Blicke, – er verschwand hinter dem Thore. Ich sah über dem Zaune, wie sein Hut vorüberzog: er war zu Sassekins gegangen.
Er blieb nur etwa eine Stunde dort, fuhr darauf aber sogleich zur Stadt und kehrte erst gegen Abend zurück.
Nach dem Essen ging ich selbst zu Sassekins. Im Gastzimmer traf ich die alte Fürstin allein. Als sie mich erblickte, kratzte sie sich mit der Stricknadel unter der Haube den Kopf und fragte mich plötzlich, ob ich ihr nicht eine Bittschrift in’s Reine schreiben könne.
– Mit Vergnügen, gab ich zur Antwort und ließ mich auf die Ecke eines Stuhles nieder.
– Nur geben Sie Acht, machen Sie die Buchstaben recht groß, sagte die Fürstin, indem sie mir ein beschmutztes Papier überreichte; und dann, könnten Sie es nicht noch heute fertig machen, mein Guter?
– Ich werde es heute noch in’s Reine schreiben.
Die Thüre des Nebenzimmers wurde ein wenig geöffnet, und in der Spalte Sinaïdes Gesicht, – bleich, nachdenkend mit nachlässig zurückgeworfenem Haare, sichtbar: sie sah mich mit großen, kalten Augen an und verschwand wieder, die Thüre leise hinter sich schließend.
– Sina, – he Sina! rief die Alte. Sinaïde gab keine Antwort. Ich nahm die Bittschrift der Alten mit nach Hause und arbeitete an derselben den ganzen Abend.
IX
Meine »Leidenschaft« begann mit jenem Tage. Ich, empfand, erinnere ich mich, damals, was vermuthlich ein Mensch, der ein Amt antritt, empfindet: ich hatte aufgehört Knabe zu sein; ich befand mich officiell in dem Zustande eines Verliebten. Ich sagte, mit jenem Tage habe meine Leidenschaft begonnen; ich könnte hinzusetzen, das jener Tag auch den Anfang meiner Leiden bezeichnet Ich verzehrte mich vor Gram, wenn ich nicht bei Sinaïde war; Nichts wollte mir in den Sinn, zu Nichts war ich fähig, Tagelang dachte ich mit Spannung nur an sie . . . Ich verzehrte mich fern von ihr . . . aber auch in ihrer Gegenwart wurde es mir nicht leichter um’s Herz. Ich war eifersüchtig, ich sah meine Richtigkeit ein, ich schmollte und lag vor ihr auf den Knieen, Beides auf gleich dumme Weise – und dennoch zog mich eine unwiderstehliche Macht zu ihr hin – und mit unwillkürlichem Glücksschauer trat ich jedes Mal über die Schwelle ihres Zimmers. Sinaïde erkannte sogleich, daß ich verliebt in sie war, übrigens fiel es mir auch nicht ein, ein Geheimniß daraus zu machen; meine Leidenschaft machte ihr Spaß, sie neckte, hätschelte und peinigte mich. Es ist ein süßes Gefühl, der einzige Ursprung, die einzige selbstbewußte, mächtige, unverantwortliche Ursache der größten Freuden, wie der tiefsten Trauer Anderer zu sein, – und ich, ich war in Sinaïdes Händen wie ein Stück weiches Wachs. Uebrigens hatte nicht ich allein mich in sie verliebt; alle Männer, denen ihr Haus offen stand, waren es bis über die Ohren – und sie hielt dieselben Alle an der Kette, – zu ihren Füßen. Es machte ihr Vergnügen, bald Hoffnung, bald Befürchtung in ihnen zu erregen, mach ihren Launen mit ihnen umzuspringen (das nannte sie: die Leute aneinanderstoßen), – und es fiel Niemandem ein, sich ihr zu widersetzen, Jedermann unterwarf sich ihr gern. In ihrem ganzen, lebenslustigen und schönen Wesen war auf eigenthümlich bezaubernde Weise, Schlauheit mit Sorglosigkeit, Erkünsteltes mit Natürlichkeit, Ruhe mit Ausgelassenheit gepaart; jede ihrer Handlungen, alle ihre Reden und Bewegungen, waren von lebendigem, leichtem Liebreize wie angehaucht, aus Allem sprach eine ihr eigenthümliche, tändelnd hinreißende Kraft. Und auch ihr Gesicht war beständig ein anderes, es tändelte gleichfalls: fast zu gleicher Zeit drückte es – Spott, Nachdenken und Leidenschaftlichkeit aus. Die verschiedenartigsten Empfindungen spielten beständig, gleich den leichten, fliehenden Schatten der Wolken, an einem sonnigen Tage, in ihren Blicken, um ihre Lippen.
Jeder einzelne ihrer Verehrer war ihr nöthig. Belowsorow, den sie bisweilen »mein Thier« nannte, zuweilen auch ohne Weiteres »Meinen,« – würde gern für sie in’s Feuer gegangen sein; auf seine eigene geistige Begabung und seine sonstigen Vorzüge nicht sehr vertrauend, ging er sie mit Heirathsanträgen an, um damit anzudeuten, daß die Andern doch nur mit ihr spielten. Maidanow berührte die poetischen Saiten ihrer Seele; ein ziemlich, kalter Mensch, wie fast alle Schriftsteller, suchte er sie, vielleicht aber auch sich selbst, zu überreden, er sei sterblich verliebt in sie, er sang ihren Ruhm in ellenlangen Gedichten, die er ihr dann mit einer gewissen unnatürlichen und doch wirklichen Begeisterung vorlas. Sie ließ ihn gewähren und machte sich dabei ein wenig lustig über ihn; sie hatte keine hohe Meinung von seiner Dichtergabe und nach seinen Herzensergüssen pflegte sie sich durch ihn aus Puschkin vorlesen zu lassen, um, wie sie sagte, die Luft zu reinigen. Luschin, der spöttelnde und in seinen Reden cynische Doctor, kannte sie besser – und liebte sie mehr, als Alle, obgleich er sie in ihrem Beisein und auch wenn sie nicht zugegen war, zu schelten pflegte. Sie achtete ihn, sah ihm jedoch Nichts nach – und ließ ihn mit besonderer Schadenfreude von Zeit zu Zeit fühlen, daß sie ihn in ihren Händen hielt, »Ich bin eine Koquette, bin herzlos, bin eine Schauspielerseele,« sagte sie einmal in meiner Gegenwart zu ihm: – »nun gut! so geben Sie Ihre Hand her, ich werde eine Stecknadel hineinstecken. Sie werden sich vor diesem jungen Manne schämen, es wird Ihnen wehe thun, Sie müssen aber dazu lachen, mein wahrheitsliebender Herr.« Luschin erröthete, wandte sich ab, biß sich in die Lippen und mußte endlich doch die Hand hinhalten. Sie stach ihn mit der Nadel, und in der That lachte er dazu . . . sie lachte auch, indem sie die Nadel noch tiefer hineindrückte und ihm in die Augen blickte, die er vergebens abzuwenden bestrebt war . . .
Weniger deutlich waren mir die Beziehungen, in welchen Sinaïde zum Grafen Malewsky stand. Er war schön von Gestalt, gewandt und klug, und doch däuchte mir sechzehnjährigem Jungen sogar, es läge in ihm etwas Zweideutiges, etwas Falsches und ich wunderte mich, daß Sinaïde es nicht bemerkte. Vielleicht aber bemerkte sie diese Falschheit, ohne Abscheu vor ihr zu fühlen. Eine regellose Erziehung, sonderbare Bekanntschaften und Gewohnheiten, die beständige Gesellschaft der Mutter, Mangel und Unordnung im Hausstande, Alles zusammen, und vor Allem die Freiheit, die das junge Mädchen genoß und das Bewußtsein ihres Uebergewichtes über ihre Umgebung, hatte in ihr ein gewisses halbverächtliches Sichgehenlassen und Gleichgültigkeit erzeugt. Fiel Etwas vor, – mochte z. B. Bonifacius melden, der Zucker sei alle geworden, oder es kam irgend eine Klatschgeschichte zum Vorschein, oder es hatten die Gäste Streit mit einander gehabt, – sie schüttelte bloß die Locken und nannte es: Dummheiten! – es kümmerte sie nicht.
Mir dagegen aber wurde das Bluts heiß, wenn z. B. Malewsky sich ihr näherte, sich schlau wie ein Fuchs krümmend und graziös auf die Lehne ihres Stuhles gestützt, mit selbstgefälligem und einschmeichelndem Schmunzeln ihr Etwas in’s Ohr flüsterte, während sie mit über die Brust gekreuzten Armen ihn aufmerksam anblickte, lächelte und mit dem Kopfe nickte.
– Wie können Sie Vergnügen darin finden, den Herrn Malewsky bei sich zu empfangen? fragte ich sie einst.
– Er hat ein so schönes Schnurbärtchen – erwiderte sie. – Aber: was geht das Sie an?
– Sie glauben vielleicht ich liebe ihn, – sagte sie mir ein anderes Mal; – nein, ich kann solche Leute nicht lieben, auf die ich herabsehen muß. Ich brauche einen Mann, der mich selbst zahm machen könnte . . . Aber auf einen solchen hoffe ich nicht zu stoßen! Ich werde Niemandem in die Hände fallen, nimmermehr!
– Sie werden also niemals lieben?
– Nun und Sie? Liebe ich Sie denn nicht? sagte sie und schlug mich mit der Spitze ihres Handschuhes aus die Nase.
Ja, Sinaïde machte sich oft über mich lustig. Während drei Wochen sah ich sie jeden Tag – und was, was hat sie nicht Alles mit mir angestellt! Zu uns kam sie selten, und das war mir nicht unangenehm: in unserem Hause nahm sie die Miene eines Edelfräuleins, einer Fürstentochter an – und ich hatte Scheu vor ihr. Auch fürchtete ich, mich im Beisein der Mutter zu verrathen; sie war Sinaïde durchaus nicht gewogen und beobachtete uns mit argwöhnischen Blicken. Vor dem Vater hatte ich weniger Furcht: er schien nicht Acht auf mich zu geben und sprach wenig mit ihr, aber immer ganz besonders gewählt und geistreich. Ich hatte ganz aufgehört zu arbeiten, zu lesen, – sogar in der Umgegend herumzuschlendern, zu reiten. Wie ein Käfer am Zwirnsfaden, schwirrte ich beständig um das kleine Nebengebäude herum: ich wäre, glaube ich, am liebsten für immer dort geblieben . . . das ging aber nicht an; die Mutter brummte, zuweilen schickte mich Sinaïde selbst fort. Dann schloß ich mich in meinem Zimmer ein, oder zog mich an’s äußerste Ende des Gartens zurück, kletterte auf die Trümmer eines hohen, steinernen Treibhauses, ließ meine Beine an der Mauer, die auf die Gasse hinausging, herabhängen und blickte stundenlang vor mich hin, ohne Etwas zu sehen. Neben mir, über den staubbedeckten Nesseln, flatterten weiße Schmetterlinge träge dahin; ein kecker Sperling ließ sich auch wohl mitunter nicht weit von mir auf einem verwittert rothen Ziegelsteine nieder und zwitscherte, ungehalten sich mit dem Körper beständig herumdrehend und das Schwänzchen ausspreizend; mißtrauische Krähen krächzten von Zeit zu Zeit, ganz hoch, von dem höchsten blätterlosen Wipfel der Birken herab, während Sonnenschein und laue Lüftchen in dem lichten Geäste derselben spielten; dann und wann hallte Glockenton, ruhig und melancholisch, aus dem benachbarten Kloster der Donischen Mutter Gottes herüber, – ich aber saß, blickte hinaus, horchte – und das Herz wurde mir voll von einem namenlosen Gefühle, das Alles umfaßte: Gram und Freude, Vorahnung des Zukünftigen, Lebenslust und Furcht vor dem Leben. Damals aber begriff ich Nichts davon und hätte Nichts von Allem dem, was in mir wogte, mit Namen zu nennen vermocht, – oder würde Alles in einen Begriff, – den Namen Sinaïdes – zusammengefaßt haben.
Sinaïde fuhr inzwischen fort mit mir zu spielen, wie die Katze mit der Maus. Bald coquettirte sie mit mir – und ich gerieth in Wallung und ging in Wonne auf, – dann wieder stieß sie mich von sich, – und ich wagte es nicht, mich ihr zu nähern, ja sie auch nur anzublicken.
Einige Tage hinter einander war sie, erinnere ich mich, sehr kalt gegen mich; ich war ganz muthlos geworden, und als ich mit ängstlichem Herzen in’s Nebengebäude hinübergegangen war, hielt ich mich an die alte Fürstin, trotzdem, daß sie in jenem Augenblicke gerade heftig schalt und schrie: ihre Wechselangelegenheiten standen schlecht und sie hatte bereits zweimal deßhalb Erörterungen mit dem Quartalofficiere gehabt.
Eines Tages, als ich längs dem wohlbekannten Zaune im Garten hinging – wurde ich Sinaïde gewahr: aus beide Hände gestützt, saß sie regungslos auf dem Grase. Ich wollte« mich vorsichtig zurückziehen, sie hob jedoch plötzlich den Kopf empor und machte mir ein gebieterisches Zeichen. Ich blieb wie festgebannt stehen: ich hatte ihren Wink nicht sogleich verstanden. Sie wiederholte ihn nochmals. Unverzüglich sprang ich über den Zaun und eilte freudig auf sie zu; sie hielt mich aber durch einen Blick zurück, und deutete auf einen Gartenweg zwei Schritte von ihr. Verwirrt und nicht wissend, was ich beginnen sollte, fiel ich am Saume des Weges auf die Kniee. Sie war so außerordentlich bleich, ein so herber Schmerz, eine so tiefe Erschöpfng sprach aus allen ihren Zügen, daß es mir das Herz zusammenpreßte und ich unwillkürlich hervorstotterte: was fehlt Ihnen?
Sinaïde streckte die Arme aus, riß ein Kräutchen ab, zerbiß es zwischen den Zähnen und warf es dann fort, weit fort.
– Haben Sie mich sehr lieb? fragte sie endlich. – Ja? Ich antwortete Nichts – wozu hätte es auch einer Antwort bedurft?
– Ja, wiederholte sie, mich wie zuvor anblickend. – So ist es. Dieselben Augen, setzte sie hinzu, wurde nachdenkend und bedeckte das Gesicht mit den Händen – Alles widert mich an, flüsterte sie, ich möchte an’s Ende der Welt fliehen, ich kann es nicht ertragen, kann nicht . . . Und was steht mir bevor! . . . Ach, wie ist mir so schwer . . . Mein Gott! wie schwer!
– Wovon? fragte ich schüchtern.
Sinaïde gab mir keine Antwort, sondern zuckte nur mit den Achseln. Immer noch aus den Knieen liegend, betrachtete ich sie mit tiefer Schwermuth. Jedes ihrer Worte schnitt mir in’s Herz. In diesem Augenblicke, glaube ich, hätte ich mein Leben darum gegeben, wenn ich im Stande gewesen wäre, sie ihrer Trauer zu entreißen. Ich blickte sie an – und ohne zu wissen, was sie bedrückte, stellte ich mir lebhaft vor, wie sie plötzlich, in einem Anfalle unbezwinglicher Trauer, in den Garten geeilt, zusammengeknickt und auf die Erde gesunken sei. – Rings umher war Alles hell und grün; der Wind spielte in den Zweigen der Bäume und bewegte dann und wann einen langen Himbeerzweig über Sinaïdes Kopfe. Nicht weit davon girrten Tauben und summten Bienen in ihrem niedrigen Fluge über das spärliche Gras Hoch oben war der Himmel so freundlich blau – und mir war so traurig zu Muthe . . .
– Declamiren Sie mir ein Gedicht, sagte Sinaïde halblaut, auf ihren Ellenbogen gestützt. – Ich habe es gern, wenn Sie Gedichte vortragen Sie singen etwas dabei, das thut aber Nichts, das paßt zu Ihrer Jugend. Ich möchte: »Auf Grusiens Hügeln,« hören. – Vorher aber setzen Sie sich.
Ich setzte mich nieder und declamirte Puschkins Gedicht: »Auf Grusiens Hügeln«:
»Auf Grusiens Hügeln ruht die Nacht schon dicht,
Vor mir Aragwa‘s Wogen schäumen;
Mir ist so trüb und leicht, mein Gram ist voller Licht,
Mein Gram ist voll von süßen Träumen
Von Dir, von Dir allein! Es wird mein holder Schmerz
Durch Nichts zerstört, durch Nichts vertrieben . . .
Aufs Neue wallt und wogt von Liebesglut mein Herz:
Weils ihm unmöglich, nicht zu lieben.«
– »Weil’s ihm unmöglich, nicht zu lieben« wiederholte Sinaïde den letzten Vers. – Das ist das Schöne an der Poesie: sie spricht zu uns von Dem, was nicht ist, und was nicht bloß besser ist, als in Wirklichkeit, sondern auch der Wahrheit viel näher kommt . . . Weils ihm unmöglich, nicht zu lieben – und wenn es auch möchte, das arme Herz, es ist ihm nicht möglich! – Sie schwieg wieder, fuhr dann plötzlich zusammen und stand auf. – Kommen Sie. Maidanow sitzt jetzt bei meiner Mutter; er hat mir sein Gedicht gebracht und ich habe ihn sitzen lassen. Er ist jetzt auch verstimmt . . . was ist dabei zu machen! Ein Mal sollen Sie es erfahren . . . Sie dürfen mir aber nicht böse werden!
Sinaïde drückte mir in der Eile die Hand und lief voraus. Wir kehrten in’s Nebengebäude zurück. Maidanow begann uns seinen eben erst gedruckten »Mörder« vorzulesen, ich hörte aber nicht darauf. In singendem Tone schrie er seine vierfüßigen Jamben ab, in denen die alternirenden Reime wie Schellengeläute klangen, hohl und grell; ich betrachtete unterdessen Sinaïde und zerbrach mir den Kopf, den Sinn ihrer letzten Worte zu ergründen.
»Es hat vielleicht ein Nebenbuhler
»Dich plötzlich insgeheim berückt?«
recitirte plötzlich Maidanow durch die Nase – und meine und Sinaïdes Augen begegneten sich. Sie senkte den Blick und leichte Röthe überflog ihr Gesicht. Ich sah es und wurde starr vor Schreck. Schon früher war ich eifersüchtig auf sie gewesen, doch erst in diesem Augenblicke stieg wie ein Blitz der Gedanke in mir aus, daß sie verliebt sei. »Mein Gott! sie liebt!«