Kitabı oku: «Die erste Liebe», sayfa 5
XIV
Am folgenden Morgen stand ich früh auf, schnitt mir einen Stock und begab mich zur Stadt hinaus. Ich will mir, dachte ich, den Kummer vertreten. Es war ein herrlicher Tag, hell und nicht zu heiß; ein munterer, frischer Wind strich über die Erde hin, rauschte spielend durch die Bäume, Alles bewegend und nichts zerstörend. Ich schleuderte lange über Berg und Thal; ich fühlte mich nicht glücklich; ich hatte das Haus verlassen, um mich meiner Schwermuth hinzugeben; – aber die Jugend, das schöne Wetter, die frische Luft, das Vergnügen am raschen Gehen, die Wonne des einsamen Liegens auf dem üppigen Grase thaten das Ihrige; die Erinnerung an jene unvergeßlichen Worte, an jene Küsse, drängte sich wieder in meine Seele. Wohlthuend wirkte der Gedanke auf mich, daß Sinaïde doch trotz Allem meiner Entschlossenheit, meinem Heldenmuthe, Gerechtigkeit, widerfahren lassen müsse . . . Sie mag Andere mir vorziehen, dachte ich, sei es! Dafür sprachen die Andern nur von Dem, was sie thun wollen, ich aber habe es schon vollbracht! Und noch ist das lange nicht Alles, was ich für sie zu thun im Stande bin! – Meine Einbildungskraft hatte einen hohen Flug genommen. Ich begann mir vorzustellen, wie ich sie aus Feindeshänden erretten, wie ich ganz von Blut bedeckt sie dem Gefängniß entreißen, wie ich zu ihren Füßen meinen Geist aufgeben wollte. Ich gedachte eines Wildes, das bei uns im Gastzimmer hing: Malek-Adèl2 wie er Mathilde entführt, – und wandte sogleich meine ganze Aufmerksamkeit einem herbeigeflogenen großen Buntspechte zu, der geschäftig den schlanken Stamm einer Birke hinaufhüpfte und unruhig, bald rechts, bald links, hinter demselben hervorguckte, ganz wie ein Musikant hinter dem Halse seiner Baßgeige .
Dann stimmte ich das: »Nicht weißer Schnee ist’s was dort schimmert« an und sprang dann zu einer damals vielgesungenen Romanze: »Ich harre Dein, wenn Zephyr’s sanfter Hauch,« über; darauf declamirte ich laut Jermak’s Anrede an die Sterne, aus Chomjakows Trauerspiel; ich versuchte sogar Etwas Rührendes zu dichten, hatte auch den Vers, mit welchem das Gedicht schließen sollte, gefunden: »oh, Sinaïde,Sinaïde!« es kam jedoch weiter Nichts heraus.
Inzwischen war die Stunde des Mittagessens gekommen. Ich stieg in’s Thal hinab; ein enger, sandiger Fußweg schlängelte sich durch dasselbe und führte in die Stadt. Ich schlug diesen Fußweg ein . . . Dumpfer Hufschlag ließ sich plötzlich hinter mir hören. Ich blickte mich um, blieb unwillkürlich stehen und zog die Mütze ab. Es waren mein Vater und Sinaïde. Sie ritten neben einander. Mein Vater, mit dem ganzen Oberleibe zu ihr hinübergebeugt und die Hand auf den Hals ihres Pferdes gestützt, sagte ihr Etwas; er lächelte, Sinaïde hörte ihn schweigend, mit gesenktem, strengem Blicke und geschlossenen Lippen an. Anfänglich hatte ich nur die Beiden gesehen, doch einige Augenblicke daraus zeigte sich hinter einer Biegung des Thales Belowsorow, in Husarenuniform und Dolman, auf einem schaumbedeckten Rappen. Das stattliche Pferd schüttelte den Kopf, schnaubte und tanzte, während der Reiter es zugleich zügelte und spornte. Ich trat aus die Seite. Mein Vater nahm die Zügel zusammen, richtete sich wieder empor, Sinaïde erhob langsam die Augen zu ihm und – Beide flogen dahin . . . Mit Säbelgeklirre setzte Belowsorow ihnen nach. »Er ist roth wie ein Krebs, dachte ich – und sie . . . Warum ist sie so bleich?«
Ich beschleunigte meinen Schritt und langte kurz vor dem Essen zu Hause an. Mein Vater saß bereits umgekleidet, gewaschen und mit frischem Gesichte neben dem Armstuhle meiner Mutter und las derselben mit seiner gleichmäßigen, klangvollen Stimme das Feuilleton des »Journal des Débats« vor; meine Mutter hörte ihm jedoch zerstreut zu; und mich gewahr werdend, fragte sie, wo ich denn den ganzen Tag gewesen sei, und setzte hinzu, sie liebe es nicht, wenn man sich den ganzen Tag, Gott weiß wo und mit wem, umhertreibe. Ich bin ja allein spazieren gegangen, wollte ich entgegnen, mein Blick fiel jedoch auf meinen Vater, und ich verstummte.
XV
Im Laufe der folgenden fünf, sechs Tage bekam ich Sinaïde fast nicht zu Gesichte: sie schützte Krankheit vor, was jedoch die gewohnten Gäste nicht abhielt, ihrem, – wie sie es nannten, – Dujourdienste, – obzuliegen; Maidanow ausgenommen, der sogleich muthlos zu werden und sich zu langweilen pflegte, wenn er keine Gelegenheit fand in Entzücken zu gerathen. Belowsorow saß düster, roth im Gesicht und bis an den Hals zugeknöpft, in einem Winkel; auf dem seinen Gesichte des Grafen Malewsky spielte beständig ein böses Lächeln; er war in der That bei Sinaïde in Ungnade gefallen und suchte sich mit besonderem Eifer bei der alten Fürstin einzuschmeicheln, die er sogar in einer Staatskutsche zum Generalgouverneur begleitet hatte. Was jedoch diesen Besuch anbetrifft, so war er erfolglos, für Malewsky aber sogar mit einer Unannehmlichkeit verknüpft gewesen: es ward ihm ein gewisser Vorfall mit gewissen Offizieren der Wegecommunication in’s Gedächtniß gerufen – und er hatte sich gezwungen gesehen, sich, zur Rechtfertigung, auf seine Unerfahrenheit zu berufen. Luschin besuchte täglich zwei Mal das Haus, blieb aber nicht lange da; seit unserer letzten Erörterung fürchtete ich ihn ein wenig und fühlte doch zu gleicher Zeit aufrichtige Zuneigung für ihn. Eines Tages spazierten wir zusammen im Neskuschnigarten; er war sehr herzlich und freundlich gegen mich, theilte mir die Namen und Eigenschaften verschiedener Gräser und Pflanzen mit, als er sich plötzlich, ohne sichtbaren Grund vor die Stirn schlug und rief: und ich, ich Narr, glaubte, sie wäre eine Koquette! Ja, – es muß für gewisse Personen süß sein, sich für Andere zu opfern.
– Was wollen Sie damit sagen? fragte ich.
– Ihnen habe ich gar nichts sagen wollen, gab er mir trocken zur Antwort.
Sinaïde vermied mich: meine Erscheinung, – es war mir unmöglich es nicht zu bemerken, – machte auf sie einen unangenehmen Eindruck. Unwillkürlich wandte sie sich von mir ab . . . Unwillkürlich! das eben war das bittere, das war es, was mir Kummer verursachte! Dabei war jedoch Nichts zu machen – und ich bemühete mich, ihr nicht vor Augen zu kommen und sie nur aus der Ferne zu beobachten, was mir nicht eben immer gelang. Es ging in ihr, wie schon früher, Etwas Unbegreifliches vor; ihr Gesicht war verändert, sie selbst war ganz umgewandelt Besonders auffallend däuchte mir diese Veränderung an einem warmen, stillen Abende. Ich saß auf einer niedrigen Bank unter einem breiten Fliederbusche; jenes Plätzchen war mir lieb geworden: ich konnte von dort aus das Fenster von Sinaïdes Zimmer sehen.
Ich saß still da; über meinem Kopfe trieb ein kleiner Vogel in dem dunkeln Laubdache sein rühriges Wesen; eine graue Katze schlich langgestreckt, vorsichtig in den Garten und die ersten Maikäfer summten in der noch lichtgetränkten, aber doch nicht mehr hellen Luft, schwerfällig umher. Ich saß und hatte den Blick aus das Fenster gerichtet und wartete, ob es sich nicht auftun werde: richtig, – es öffnete sich und an demselben erschien Sinaïde. Sie hatte ein weißes Kleid an und war selbst, an Gesicht, Schultern, Armen – bleich wie Kreide. Sie stand lange regungslos da und blickte starr und gerade vor sich hin, unter den zusammengezogenen Brauen hervor. Diesen Blick kannte ich an ihr noch nicht. Daraus preßte sie die Hände zusammen, fest, fest zusammen, führte sie an die Lippen, an die Stirn, – riß sie plötzlich wieder von einander, warf das Haar hinter die Ohren zurück, schüttelte dasselbe und schlug, nachdem sie mit einer gewissen Entschiedenheit mit dem Kopfe von oben hinab genickt hatte, das Fenster zu.
Drei Tage darauf begegnete ich ihr im Garten. Ich wollte ihr ausweichen, sie selbst jedoch hielt mich an.
– Geben Sie mir die Hand, – sagte sie mit der früheren Freundlichkeit, – wir haben lange nicht mit einander geplaudert. Ich warf einen Blick auf sie: ihre Augen leuchteten sanft und ihr Gesicht lächelte, aber gleichsam wie durch einen Schleier.
– Sind Sie noch immer unwohl? fragte ich sie.
– Nein, jetzt ist Alles vorüber, erwiderte sie und brach eine kleine rothe Rose ab. – Ich bin noch etwas matt, das wird aber auch vorübergehen.
– Und werden Sie dann wieder sein, wie früher? fragte ich.
Sinaïde führte die Rose an’s Gesicht und – mir däuchte, der rothe Widerschein der Blättchen röthete ihre Wangen. – Habe ich mich denn verändert? fragte sie mich endlich.
– Ja, das haben Sie, – gab ich halblaut zurück.
– Ich bin kalt gegen Sie gewesen, – ich weiß es, begann Sinaïde, – Sie hätten das aber nicht so ernst nehmen sollen . . . Ich konnte nicht anders . . . Doch, wozu davon reden!
– Sie wollen nicht, daß ich Sie liebe, – das ist es! rief ich in düsterer Aufregung.
– Nein, lieben Sie mich, aber nicht wie bisher.
– Wie denn?
– Lassen Sie uns Freunde sein – weiter nichts! – Sinaïde gab mir die Rose. daran zu riechen. – Hören Sie mich, ich bin ja viel älter als Sie, – ich könnte Ihre Tante sein, wahrhaftig! Nun, wenn auch nicht das, so doch Ihre ältere Schwester. Und Sie . . .
– Ich bin in Ihren Augen nur ein Kind, unterbrach ich sie.
– Nun ja, aber ein liebes, gutes, kluges Kind, das ich sehr gern habe. Wissen Sie was? Vom heutigen Tage an ernenne ich Sie zu meinem Pagen; vergessen Sie nun aber nicht, daß Pagen ihre Herrin nicht verlassen dürfen. Da, nehmen Sie dies als Zeichen Ihrer neuen Würde, – fügte sie hinzu, indem sie die Rose in das Knopfloch meines Jäckchens steckte, – das Zeichen unserer Gewogenheit.
– Früher bekam ich von Ihnen andere Beweise Ihrer Gewogenheit, stotterte ich.
– Ah! sagte Sinaïde und blickte mich von der Seite an . . . Was für ein Gedächtniß er doch hat! Nun, ich bin auch jetzt bereit . . .
Und, sich zu mir niederbeugend, drückte sie mir einen keuschen, ruhigen Kuß auf die Stirne.
Ich sah sie an, – sie aber wandte sich ab, indem sie sagte: folgen Sie mir, mein Page – und begab sich in ihre Wohnung. Ich folgte ihr – und fühlte mich betroffen. Ist denn wirklich, dachte ich, – dieses sanfte, bedächtige Mädchen dieselbe Sinaïde, die ich gekannt habe? Selbst ihr Gang schien mir langsamer geworden zu sein, – ihre ganze Gestalt majestätischer und schlanker . . .
Und, o mein Gott! mit welcher neuen Stärke entflammte die Liebe in mir!
XVI
Nach dem Essen versammelten sich wiederum die Gäste im Nebengebäude, und die junge Fürstin zeigte sich denselben. Die ganze Gesellschaft war genau dieselbe, wie an dem ersten, mir unvergeßlichen Abende: selbst Nirmatzky hatte sich eingefunden, Maidanow war dies Mal früher erschienen, als die Anderen, – er hatte neue Gedichte mitgebracht. Das Pfänderspiel ward wieder vorgenommen, jedoch ohne die frühere Ausgelassenheit, ohne Narrheiten und Lärm, – das Zigeunerhafte war daraus verschwunden. Sinaïde gab unserer Zusammenkunft eine neue Stimmung. In meiner Eigenschaft als Page saß ich neben ihr. Unter Anderem schlug sie vor, es solle Derjenige, dessen Pfand herauskäme, einen Traum erzählen; das hatte jedoch keinen Erfolg. Entweder waren die Träume nicht interessant (Belowsorow z. B. hatte geträumt, er habe sein Pferd mit Karauschen gefüttert, und das Thier einen hölzernen Kopf gehabt), oder sie waren nicht natürlich, sondern erdichtet. Maidanow hatte uns eine ganze Novelle zum Besten gegeben: es kamen darin Grabgewölbe, Engel mit Harfen vor, redende Blumen und fernherzitterude Töne. Sinaïde ließ ihn nicht auserzählen. Wenn nun doch einmal Dichtungen an die Reihe gekommen sind. – sagte sie, – so mag Jeder irgend Etwas unbedingt Erfundenes erzählen. – Der Erste, an den die Reihe kam, war wiederum Belowsorow.
Der junge Husar wurde verwirrt. – Ich kann Nichts erfinden! rief er aus.
– Unsinn! warf Sinaïde ein. – Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie wären verheirathet, und erzählen Sie uns, wie Sie mit Ihrer Frau die Zeit verbringen würden. Würden Sie dieselbe unter Schloß und Riegel halten?
– Ja, das würde ich.
– Und würden ihr selbst Gesellschaft leisten?
– Gewiß!
– Vortrefflich. Und wenn ihr nun aber ein solches Leben lästig fiele, und sie Ihnen untreu würde?
– Ich würde sie tödten.
– Wenn sie aber entflöhe?
– So würde ich sie einholen und dennoch tödten.
– Gut, Gesetzt nun, ich wäre Ihre Frau, was thäten Sie dann wohl?
Belowsorow schwieg einen Augenblick. – Ich würde mich umbringen . . .
Sinaïde lachte auf. – Ich sehe Sie machen kurzen Proceß.
Das zweite Pfand sollte Sinaïde auslösen. Sie hob den Blick zur Decke und wurde nachdenkend. – Nun, hört, sagte sie nach einer Weile, was ich erdichtet habe. Stellen Sie sich einen prunkvollen Palast vor, eine Sommernacht und einen zauberhaften Ball. Diesen Ball giebt eine junge Königin. Ueberall strotzt es von Gold, Marmor, Krystall, Seide, Lichter, Diamanten, Blumen, Wohlgerüchen und allen Bedürfnissen des Luxus.
– Sie lieben den Luxus? unterbrach sie Luschin.
– Luxus ist eine hübsche Sache, entgegnete sie, – ich liebe Alles, was hübsch ist.
– Mehr als das Schöne? fragte er.
– Das ist mir gar zu spitzfindig, ich verstehe das nicht. Unterbrechen Sie mich nicht weiter. Der Ball also ist prachtvoll. Eine Menge Gäste, alle jung, schön, muthig, Alle sterblich in die Königin verliebt.
–– Sind keine Frauen unter den Gästen? fragte Malewsky.
– Nein, – oder warten Sie, – es sind deren da.
– Alle häßlich?
– Reizend! Die Männer aber sind alle in die Königin verliebt. Sie ist hoch von Wuchse und von schlanker Gestalt; ein kleines goldenes Diadem krönt ihr schwarzes Haar.
Ich warf einen Blick auf Sinaïde – und in diesem Augenblicke kam sie mir so überaus erhaben über uns Alle vor, mir däuchte, es strahle von ihrer Stirn, von ihren unbeweglichen Brauen, ein solcher Geist und solche Hoheit, daß mir der Gedanke kam: »diese Königin bist Du!«
– Alles drängt sich um sie herum, – fuhr Sinaïde fort, – Alle verschwenden an sie die schmeichelhaftesten Reden.
– Sie liebt also Schmeichelei? fragte Luschin.
– Wie sind Sie unerträglich! immer müssen Sie mich unterbrechen . . . Wer liebt sie denn nicht?
– Noch eine letzte Frage, – bemerkte Malewsky. Die Königin hat doch einen Gemahl?
– Daran hatte ich nicht gedacht. Nein, wozu denn einen Gemahl?
– Freilich, – äußerte Malewsky, – wozu der Gemahl?
– Silence! rief Maidanow, der das Französische sehr schlecht sprach.
– Merci, sagte Sinaïde zu ihm. Die Königin also hört alle diese Reden an, lauscht der Musik. blickt indessen auf keinen der Gäste besonders. Sechs Fenster stehen von oben bis unten weit offen, von der Decke bis an den Fußboden; durch dieselben sieht man einen dunkeln Himmel mit großen Sternen und einen dunkeln Garten mit großen Bäumen. Die Königin schaut in den Garten hinaus. Dort, zwischen den Bäumen ist ein Springbrunnen: gleich einem Gespenste schimmert im Dunkeln die hohe, hohe Wassergarbe. Durch das Stimmengewirr und die Töne der Musik lauscht«die Königin dem steten Plätschern des Wassers. Sie schaut hinaus und denkt: Ihre Alle hier, seid edle, kluge, reiche Herren, ihr drängt Euch um mich herum, Ihr seid neidisch auf jedes meiner Worte, seid Alle bereit für mich, zu meinen Füßen, das Leben zu lassen: ich gebiete über Euch . . . aber dort, neben dem Springbrunnen, neben jenem plätschernden Wasser, da steht und wartet auf mich der, den ich liebe, der über mich gebietet. Er hat weder ein reiches Kleid an, noch Edelsteine, auch kennt ihn Niemand, er wartet aber auf mich und ist überzeugt, ich werde kommen, – und kommen werde ich, und keine Macht wird im Stande sein mich zurückzuhalten, wenn ich zu ihm gehen, bei ihm bleiben, mit ihm dort, im Dunkel des Gartens, beim Rauschen des Laubes und Plätschern des Brunnens, mich verlieren will . . .
Sinaïde schwieg.
– Das wäre Dichtung? fragte Malewsky schlau.
Sinaïde würdigte ihn keines Blickes.
– Was würden wir aber thun, meine Herren, – fragte plötzlich Luschin, – wenn wir uns unter den Gästen befänden und von dem Dasein des Glücklichen am Brunnen unterrichtet wären?
– Halt, halt, – unterbrach ihn Sinaïde; ich selbst will Ihnen sagen, was ein Jeder von Ihnen thun würde. Sie, Belowsorow, würden ihn herausfordern; Sie, Maidanow, ein Epigramm auf ihn verfassen . . . Uebrigens, nein, – Sie verstehen nicht, ein Epigramm zu schmieden: Sie würden einen langen Jambus, nach der Art Barbier’s, auf ihn schreiben und Ihr poetisches Product dem »Telegraphen« übermachen. Sie, Nimatzky, würden von ihm Geld – doch nein, Sie würden ihm selbst Geld auf Zins leihen; Sie, Doctor . . . sie hielt inne . . . – Da weiß ich nun wirklich nicht, was Sie thun würden.
– Als Leibarzt, sagte Luschin, würde ich der Königin den Rath ertheilen, keine Bälle zu geben, wenn ihr so wenig an den Gästen gelegen ist.
– Vielleicht hätten Sie Recht. Und Sie Graf . . .
– Nun und ich? wiederholte mit seinem bösartigen Lächeln Malewsky . . .
– Sie würden ihm ein vergiftetes Confect geben.
Malewskys Gesicht verzerrte sich ein wenig und nahm für einen Moment einen jüdischen Ausdruck an, doch lachte er gleich darauf.
– Was Sie nun betrifft, Woldemar, fuhr Sinaïde fort, . . . doch genug davon; lassen Sie uns ein anderes Spiel vornehmen.
– Monsieur Woldemar, als Page der Königin, würde ihre Schleppe getragen haben, wenn sie in den Garten gegangen wären, – bemerkte Malewsky bissig.
Ich wurde feuerroth, Sinaïde legte indessen rasch ihre Hand auf meine Schulter, erhob sich von ihrem Platze und sagte mit leichtem Zittern der Stimme: Ich habe Ew. Erlaucht nie das Recht zugestanden, frech zu sein, und darum bitte ich Sie, sich zu entfernen. – Sie wies auf die Thüre.
– Aber ich bitte, Fürstin – stotterte Malewsky und ward leichenblaß im Gesichte.
– Die Fürstin hat Recht – rief Belowsorow und erhob sich gleichfalls.
– Bei Gott, ich glaubte gar nicht, – fuhr Malewsky fort; in meinen Worten, denke ich, lag doch Nichts, was . . . Ich habe nicht entfernt die Absicht gehabt, Sie zu beleidigen . . . Vergeben Sie mir!
Sinaïde musterte ihn mit kaltem Blicke und lächelte ebenso kalt. – Meinethalben, Sie können bleiben, sagte sie mit einer verächtlichen Bewegung der Hand. – Wir hatten Unrecht, Herr Woldemar und ich, Ihretwegen in Zorn zu gerathen. Es macht Ihnen Vergnügen zu sticheln . . . nun, wohl bekomme es Ihnen.
– Vergeben Sie mir – wiederholte Malewsky nochmals. Ich aber, wenn ich mich Sinaïdes Bewegung erinnerte, dachte: eine wirkliche Königin hätte einem Frechen die Thüre nicht mit größerer Würde weisen können.
Das Pfänderspiel hörte bald nach dieser kleinen Scene auf; es war Allen etwas unbehaglich zu Muthe, nicht sowohl in Folge des Auftrittes selbst, als vielmehr aus einem unbestimmten, drückenden Gefühle, welches daraus entsprang. Niemand sprach davon, doch empfand es Jeder an sich und an den Anderen. Maidanow las uns seine Gedichte vor – und Malewsky lobte dieselben mit übertriebenem Eifer. »Er möchte sich jetzt gern wieder weiß brennen,« flüsterte mir Luschin zu. Wir trennten uns bald. Sinaïde wurde nachdenklich; die Fürstin ließ melden, sie habe Kopfschmerz; Nirmatzky begann über seine Rheumatismen zu klagen . . .
Ich konnte lange nicht einschlafen; ich war von Sinaïdes Erzählung betroffen. Sollte dieselbe wirklich eine Anspielung enthalten? fragte ich mich; und auf Wen oder Was war sie gerichtet? Und wenn wirklich Grund zu einer Anspielung vorhanden wäre, wie konnte sie sich entschließen . . . Nein, nein, es ist unmöglich – flüsterte ich, indem ich mich bald aus die eine, bald auf die andere meiner glühenden Wangen legte . . .Mir fiel jedoch der Ausdruck in Sinaïde’s Gesichte während ihrer Erzählung ein . . . ich erinnere mich des Ausrufes,« der Luschin im Garten von Neskuschni entschlüpft war, auch der plötzlichen Veränderung in seinem Benehmen gegen mich – und ich verlor mich in Vermuthungen. Wer ist er? diese drei Worte schienen vor meinen Augen zu schweben, scharf in das Dunkel eingegraben; es war mir zu Muthe als habe sich dicht über mir eine unheildrohende Wolke niedergelassen; ich empfand den Druck derselben und war beständig gewärtig, sie werde sich entladen. Ich war Vieles in der letzten Zeit gewohnt worden, hatte Vielerlei bei Sassekins kennen gelernt; die Unordnung, die Talglichte, die zerbrochenen Messer und Gabeln, das finstere Aussehen des Bonifacius, das zerlumpte Stubenmädchen, die Manieren der Fürstin selbst, – dieser ganze häusliche Zustand fiel mir nicht mehr auf . . . Was ich aber jetzt au Sinaïde dunkel zu bemerken glaubte, – daran konnte ich mich nicht gewöhnen . . . Eine Aventurière, – hatte meine Mutter sie ein Mal genannt. Eine Aventurière, – sie, mein Abgott, meine Göttin! Diese Benennung brannte mich wie Feuer, ich suchte mich derselben zu erwehren, indem ich mich in die Kissen vergrub, ich war entrüstet – und doch, was hätte ich hingegeben, wozu wäre ich fähig gewesen, nur um jener Glückliche am Brunnen sein zu können! . . .
Mein Blut war erhitzt und kochte in den Adern. »Garten . . . Springbrunnen« . . . dachte ich . . . »Ich will doch in den Garten gehen!« Geschwind warf ich mich in die Kleider und schlich zum Hause hinaus. Die Nacht war finster, die Luft etwas frisch, leise flüsterten die Bäume; vom Gemüsegarten zog Fenchelgeruch herüber. Ich durchstrich alle Alleen; das leichte Geräusch meiner eigenen Schritte erregte mich und hielt mich in Spannung; ich blieb von Zeit zu Zeit erwartend stehen und lauschte; stark und laut pochte mir das Herz. Endlich kam ich bis an den Zaun und stützte mich auf eine dünne Stange. Plötzlich, – oder war es mir nur so vorgekommen? – huschte einige Schritte von mir eine weibliche Gestalt vorüber . . . Ich richtete gespannt den Blick in’s Dunkel und hielt den Athem an. Was ist das? Sind es Schritte, die ich zu hören wähne, – oder klopft mein Herz wieder? »Wer ist da?« stammelte ich kaum hörbar Was ist denn das? unterdrücktes Lachen? . . . oder Rauschen in den Blättern? . . . oder ein Seufzer, hart an meinem Ohre? Ein Schauer überlief mich . . . »Wer ist da?« fragte ich noch leiser.
Ein leichter Windhauch zog vorüber; am Himmel schoß ein feuriger Streif dahin: eine Sternschnuppe. »Sinaïde?« wollte ich fragen, aber der Laut erstarb mir auf den Lippen. Und plötzlich wurde es grabesstill rund umher, wie das um Mitternacht oft der Fall ist . . . Sogar die Grillen im Laube hatten in ihrem Zirpen inne gehalten, – nur ein Fenster klirrte irgendwo. Nachdem ich einige Zeit auf demselben Flecke stehen geblieben war, kehrte ich auf mein Zimmer, in mein kalt gewordenes Bett zurück. Ich befand mich in einer sonderbaren Aufregung: mir däuchte, ich hätte mich zu einem Stelldichein hinausbegeben, – und sei allein geblieben und am Glücke eines Andern vorübergegangen.