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Kitabı oku: «Dunst», sayfa 8

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Neunzehntes Capitel

»Gregor»fragte ihn einige Stunden darauf Irina (der General war ausgegangen, was Litwinow sogleich erfahren hatte), die neben ihm auf dem Divan saß, »was fehlt Dir? Erzähle mir, rasch, so lange wir allein sind.«

»Mir? Was soll mir fehlen? Ich bin glücklich, glücklich, sonst nichts.«

Irina schlug die Augen nieder, lächelte und seufzte:

»Das ist keine Antwort auf meine Frage, Theuerster.«

Litwinow zog die Augenbrauen zusammen.

»Nun, wenn Du’s denn durchaus wissen willst . . . ich habe heute meiner Braut Alles gestanden.«

»Wie? Du hast mich doch, hoffe ich, nicht genannt?«

»Irina, um Gottes willen, wie kannst Du nur denken, ich sollte . . .« (Er machte bereits Fortschritte in der Verstellung.)

»Nun, vergieb! Vergieb. Was hast Du ihr denn gesagt?«

»Ich habe ihr gesagt, daß ich sie nicht mehr liebe.«

»Nun, und hat sie nicht nach der Ursache gefragt?«

»Ich habe ihr nicht verheimlicht, daß ich eine Andere liebe und daß wir scheiden müßten.«

»Nun . . . und sie? Sie willigt ein?«

»Ach, Irina, was für ein Herz dieses Mädchen besitzt! Welche Selbstaufopferung, welchen Edelmuth!«

»Ich glaub’s schon, glaub’s schon! Was bliebe ihr auch anders übrig?«

»Und keinen einzigen Vorwurf, kein bitteres Wort dem, der ihr Lebensglück zerstört, der sie herzlos verlassen hat!«

Irina betrachtete ihre Nägel.

»Sag’ mir doch, Gregor, . . . liebte sie Dich denn auch?«

»Ja, Irina sie liebte mich aufrichtig.«

Irina schwieg und strich ihr Kleid glatt.

»Ich muß gestehen,« hub sie endlich an, »ich begreife nicht, was Dir eingefallen ist, ihr so zu beichten.«

»Wie? Sollte ich etwa diesem reinen Herzen gegenüber lügen, heucheln? Oder glaubst Du . . .«

»Ich glaube gar nichts,« unterbrach ihn Irina, »ich gestehe, ich habe mich wenig um sie bekümmert. Ich kann nicht gut an zwei Personen zugleich denken. – Nun, und sie reist ab, diese reine Seele?«

»Ich weiß von nichts. Ich soll sie noch einmal sehen, bin aber überzeugt, daß sie auf keinen Fall hier bleibt. Uebrigens denke ich jetzt auch nicht an sie, ich denke nur an das, was Du mir gesagt, was Du mir versprochen hast.«

Irina blickte ihn von der Seite an.

»Undankbarer! Du bist noch nicht zufrieden?«

»Nein, ich bin nicht zufrieden?«

Du hast mich glücklich durch Deine Liebe gemacht, doch bin ich nicht zufrieden, und Du verstehst, was ich sagen will. Gedenke Deiner Worte, gedenke des Briefes, den Du mir geschrieben. Ich will wein Glück ungetheilt; die jämmerliche Rolle eines heimlichen Liebhabers genügt mir nicht; nicht mein Leben allein, ein anderes zu gleicher Zeit habe ich Dir geopfert, dafür aber hoffe ich fest auf Dich, weiß« daß auch Du Dein Versprechen halten und Dein Schicksal mit dem meinigen vereinigen wirst.«

»Daß ich mit Dir fliehen soll, willst Du? Gut, ich bin bereit, ich nehme mein Wort nicht zurück; aber Du selbst, hast Du auch Alles überdacht, alle Mittel vorbereitet?«

»Ich? Noch nichts habe ich überdacht, nichts vorbereitet. Sobald Du aber Ja sagst, so fange auch ich an zu handeln, und ehe noch ein Monat vergeht . . .«

»Ein Monat? Nach vierzehn Tagen schon reisen wir nach Italien!«

»Wohl, auch zwei Wochen sind hinreichend. O, Irina, wie kalt nimmst Du meinen Vorschlag auf! Du hältst mich vielleicht für einen Schwärmer; ich bin aber kein Knabe mehr und weiß, welche Verantwortlichkeit ich auf mich nehme, – keinen andern Ausweg aber kenne ich. Nicht als ein verächtlicher Lügner darf ich vor der stehen, die ich Dir geopfert!«

Irina richtete sich bei diesen Worten hoch auf, ihre Augen funkelten.«

»Nun, Gregor Michailitsch, wenn ich mich entschließe, wenn ich fliehe, so geschieht es für einen Mann, der nur mir, mir allein lebt, nicht einem phlegmatischen Dinge zu Gefallen, dem statt Blut Milch in den Adern fließt. Jetzt erst sehe ich, daß der, dem ich gewogen bin, eine traurige Rolle spielt, die Rolle eines Menschen, der selbst nicht weiß, was in seiner Seele vorgeht.«

»Irina!« rief er auf’s heftigste erschüttert und sprang auf.

Der Ausdruck, den Litwinow in dieses eine Wort legte, machte sie stutzen; sie preßte beide Hände plötzlich an die Stirn und rief mit bebender Stimme:

»Vergieb, vergieb mir. Sieh’, wie schwach, wie boshaft ich bin. Sieh’, wie sie mich schon verdorben haben. Habe Nachsicht mit mir. Rette mich, reiß’ mich aus diesem Sumpf, ehe ich ganz in ihn versinke. Ja, laß uns vor diesen Menschen, vor dieser Welt fliehen, in ein fernes, freies Land. Vielleicht wird Deine Irina dort Deiner würdig. Zürne mir nicht, mein Freund, und wisse: was Du auch befiehlst, es geschehe, wohin Du auch gehest, überall folge ich Dir!«

Litwinow’s Herz floß vor Entzücken über.

»Irina, Irina,« wiederholte er, »mein Engel!«

Irina hob plötzlich den Kopf empor und horchte.

»Das sind die Schritte meines Mannes, er ist in sein Zimmer gegangen,« flüsterte sie rasch und setzte sich zu einen weiter entfernten Sessel.

Litwinow wollte aufstehen, sie hielt ihn zurück.

»Wohin?« fragte sie. »bleib’, er hat schon Verdacht auf Dich; oder fürchtest Du ihn vielleicht?«

Sie verwandte kein Auge von der Thür.

»Ja, das ist er, er wird gleich hierher kommen. Erzähle rasch etwas, sprich mit mir.«

Litwinow konnte sich nicht gleich in diese Doppelrolle finden und schwieg.

»Ja, ja, le verre d‘eau, ein altes Scribe’sches Stück,« sagte sie laut, »und Plessy, der den Bolingbroke spielt, schneidet zu viele Grimassen, – Wir sind gerade als ob wir’s Fieber hätten, sagte sie leiser, »so geht’s nicht, die Sache will wohl überlegt sein. Was mich betrifft, so muß ich Dir sagen, daß mein Geld bei ihm ist, mais j’ai mes bijoux. Was meinst Du, wenn wir nach Spanien gingen?« – Sie sprach wieder laut: »Merkwürdig, daß doch alle Actrieen so stark werden, sogar die Madeleine Brohan – so sprich doch auch und sitz’ nicht so hölzern da – mir geht der Kopf herum, Du kannst Dich aber auf mich verlassen. Morgen laß ich Dich wissen, wo wir uns sehen können. Ein Unsinn war’s aber doch, daß Du’s Deiner Donna erzählt hast. – Ah, mais c‘est charmant!« rief sie plötzlich laut. Und fing an, nervös lachend, den Saum ihres Tuches zu zerreißen.

»Darf man eintreten?« fragte aus dem andern Zimmer Ratmirow’s Stimme.

»Man darf . . . man darf.«

Die Thür öffnete sich, und aus der Schwelle erschien der höfliche General. Er runzelte einen Augenblick die Stirn, als er Litwinow erblickte, grüßte ihn jedoch mit tiefer Hauptverneigung.

»Ich wußte nicht, daß Du Besuch hast,« sagte er, »je demande pardon de mon indiscrétion. Sie amüsirt also Baden noch immer, Monsieur . . . Litwinow

Ratmirow sprach jedesmal Litwinow‘s Namen nach einer Pause vor demselben aus, wie wenn er ihn vergessen habe und sich seiner nicht gleich erinnere.

»Ich langweile mich gerade nicht, Herr General.«

»So?« Mir ward Baden schon sehr zuwider. Auch wollen wir bald von hier abreisen. Was meinst Du, Irina? Ich habe übrigens heute auf Dein Glück fünfhundert Franken gewonnen.«

Irina streckte kokettirend die Hand aus.

»Nun, aber wo sind sie? Geben Sie her – zum Nadelgeld.«

»Ich bleibe Dein Schuldner . . . Aber Sie gehen schon Monsieur . . . Litwinow

»Ja« wie Sie sehen.«

Ratmirow grüßte ihn auf seine alte Weise: »Auf angenehmes Wiedersehen!«

»Adieu, Gregor Michailitsch,« sagte Irina. »Ich werde mein Versprechen halten.«

»Ist es erlaubt zu fragen welches?« fragte der General.

Irina lächelte.

»Nein . . . das bleibt unter uns. – C’est à propos du voyage . . . où il vous plaira. Du Weißt doch, das Werk von Stahl.«

»Aha, das kenne ich, Hübsche Zeichnungen.«

Ratmirow schien bei seiner Frau in Gnaden zu stehen: nannte sie ihn doch »Du«

Zwanzigstes Capitel

Langsam wanderte Litwinow nach Hause, überwältigt vom Gefühl einer großen geistigen Ermattung. Ein Stündlein Ruhe war es, was er wünschte, Aber Tatiana? . . . Sie wartete vielleicht auf ihn! Wie ein Ball kam er sich heute vor, den Einer dem Andern zuwirft. Abgespannt und gleichgültig fast, ohne Zagen und Zögern, begab er sich zu Tatiana.

Die Tante empfing ihn. Beim ersten Blick auf die arme alte Dame, deren Augen vom Weinen geschwollen waren, wußte er schon, daß sie von Allem unterrichtet sein müsse. Sie schien auf ihn zueilen zu wollen, blieb aber stehen, kniff ihre Lippen zusammen und machte ein Gesicht, als ob sie ihn entweder tödten oder um Mitleid anflehen wollte, als ob sie nicht wisse, ob es vielleicht nur ein Traum sei; denn möglich konnte ja doch so etwas nicht sein, das wäre ja unerhört!

»Aha, gut, daß Sie gekommen sind, fing sie an.

Weiter konnte sie nicht kommen, denn die Thür des Nebenzimmers öffnete sich, und ruhig und gefaßt, wenn gleich fast durchsichtig bleich, trat Tatiana ein.

Leise schlang sie ihren Arm um den Hals ihrer Tante, umarmte sie zärtlich und setzte sich neben sie.

»Setzen Sie sich, Gregor Michailitsch,« sagte sie zu Litwinow, der wie verloren an der Thür stehen geblieben war. »Ich freue mich sehr, daß ich Sie noch einmal sehe. Ich habe der Tante Ihren Entschluß, unsern beiderseitigen Entschluß mitgetheilt; sie ist vollkommen mit demselben einverstanden und billigt ihn . . . Ohne gegenseitige Liebe giebt es kein Glück, gegenseitige Achtung ist zu wenig, (bei dem Worte »Achtung« schlug Litwinow die Augen nieder)« und demnach ist es besser, früher zu scheiden, als später zu bereuen. Nicht wahr, Tantchen?«

»Ja freilich,« hub die alte Dame an, »freilich; wer meine Tatiana nicht zu schätzen versteht . . . wer sich hat entschließen können . . .«

»Tante, Tante,« unterbrach sie Tatiana, »vergessen Sie nicht, was Sie mir versprochen haben. Und wiederholten Sie mir nicht beständig: Wahrheit, vor Allem Wahrheit – und Freiheit. Nun, Wahrheit und Freiheit gefallen uns nicht immer, sonst wäre es ja auch kein Verdienst, auf sie zu halten.«

Sie küßte zärtlich das graue Haar der Alten und wendete sich wieder an Litwinow.

»Wir haben uns vorgenommen, Baden zu verlassen; ich glaube, das wird das Beste für uns Alle sein.«

»Wann gedenken Sie abzureisen?« fragte Litwinow dumpf; er erinnerte sich, wie Irina vorhin dieselbe Frage gethan hatte.

»Wahrscheinlich bald, sehr bald,« antwortete Tatiana.

»Ist es erlaubt zu fragen, wohin Sie sich begeben werden?« fuhr Litwinow in demselben Tone fragend fort.

»Zuerst nach Dresden, dann wahrscheinlich nach Rußland.«

»Ja, wozu brauchen Sie denn das jetzt noch zu wissen?« rief die Tante heftig.

»Tante, liebe Tante!« unterbrach Tatiana sie wieder.

Es entstand eine peinliche längere Pause.

»Tatiana Petrowna,« hub dann Litwinow an, »Sie werden begreifen, welch ein quälendes peinliches Gefühl ich jetzt in Ihrer Gegenwart empfinde . . .«

Tatiana erhob sich.

»Gregor Michailitsch,« hub sie an, »reden wir nicht weiter davon. Ich bitte Sie inständigst, wenn nicht Ihrer so doch meinetwegen. Wozu die weiteren Erklärungen über das, was nicht zu ändern ist, wozu Wunden aufreißen . . .«

Gewaltsam suchte sie Herr eines unwillkürlich hervorströmenden Ausbruchs ihrer Gefühle zu werden und die schon im Auge blinkenden Thränen zurückzuhalten. Es gelang ihr. Sie fuhr fort:

»Wozu Wunden aufreißen, die vielleicht allein die Zeit heilt? Ich habe Sie jetzt nur um die Erfüllung einer kleinen Bitte anzugehen. Seien Sie so gut und besorgen Sie einen mir wichtigen Brief sogleich auf die Post, die Tante und ich haben jetzt keine rechte Zeit dazu. Sie werden mich unendlich verpflichten. Warten Sie gefälligst einen Augenblick, ich werde ihn gleich endigen.«

Besorgt blickte sie an der Thürschwelle auf die Tante; diese saß jedoch mit ernster, finsterer Miene und fest zusammengekniffenen Lippen, so daß Tatiana glaubte, sie auf einen Augenblick ruhig verlassen zu können.

Kaum hatte Tatiana die Thür hinter sich zugemacht, als alle Strenge augenblicklich aus dem Gesicht der Tante verschwand. Sie stand auf, näherte sich Litwinow vorsichtig, und gebückt ihm in die Augen zu blicken suchend, fing sie mit zitterndem weinerlicher Stimme flüsternd an:

»Herr Du meines Lebens! Gregor Michailitsch, was soll das bedeuten? Sie entsagen Tatiana, brechen Ihr Wort? Sie, auf den wir bauten wie auf einen Fels? Sie? Sie? Sie? . . . Du, Grischa? (Diminutiv von Gregor, Schmeichelwort.) Willst Du sie denn tödten? Wenn sie auch jetzt die Tapfere spielt, so kenne ich sie ja. Sie klagt nie und sorgt nie für sich, so muß ich wohl für sie sorgen – das überlebt sie nicht!«

Hier hörte man, wie Tatiana im Nebenzimmer ein Geräusch mit dem Stuhle machte; die Alte fuhr leiser fort.

»Hat man Sie denn verhext? Sie waren doch sonst ein ehrlicher Mensch! Ich bin sonst, wie Sie wissen, un esprit fort, aber . . .«

»Tante!« rief Tatiana im Nebenzimmer.

»Aber ein Ehrenwort ist eine heilige Verpflichtung, Gregor Michailitsch, besonders für einen Menschen von Grundsätzen! Ein solches brechen ist ehrlos, ein Verbrechen!«

»Tante« komm, bitte, auf einen Augenblick her!« rief Tatiana von Neuem.

»Gleich, gleich, mein Herzchen, gleich . . .«

Sie ergriff ihn bei der Hand.

»Ich sehe, Sie zürnen; ich will Sie nicht erzürnen; im Gegentheil, bitten will ich Sie: bedenken Sie sich, so lange es noch Zeit ist, richten Sie mein armes Kind nicht zu Grunde, nicht Ihr eigenes Glück; noch wird sie Ihnen glauben. Ja, Grischa, noch glaubt sie Dir, noch ist nichts verloren; sie liebt Dich ja, wie Dich nie Jemand so geliebt hat, noch lieben wird. Verlaß dies schändliche Baden; fahre mit uns weg, habe Mitleid . . .«

»Aber Tante,« rief Tatiana ungeduldig, »kommen Sie doch!«

Aber die Tante hörte nicht.

»Sage nur »ja!« redete sie ihm zu, »das Andere ist meine Sache; ich bringe schon Alles wieder in Ordnung. Nicke wenigstens mit dem Kopfe! Nur einmal, so!«

Litwinow hätte lieber den Tod erduldet, so schien es ihr wenigstens; aber das Wörtchen »ja« kam nicht aus seinem Munde, und mit dem Kopfe nickte er auch nicht.

Endlich erschien Tatiana mit dem Briefe; rasch entfernte sich die Tante von ihm und schien die auf dem Tische liegenden Papiere und Rechnungen durchzusehen.

Tatiana trat auf Litwinow zu.

»Hier ist der Brief,« sagte sie, »von welchem ich zu Ihnen gesprochen habe. Sie werden ihn gleich auf die Post bringen, nicht wahr?«

Litwinow blickte sie an. Vor ihm stand sein Richter. Sie schien ihm größer, schöner, eine Mormorstatue, mit dem Blick einer solchen. In diesem Blicke las er seinen Urtheilsspruch; er verbeugte sich, nahm den Brief aus der unbeweglich ihm entgegengestreckten Hand und entfernte sich schweigend.

Die Tante eilte auf Tatiana zu, die ihre Umarmung abwehrte, die Augen niederschlug und mit den Worten: »Jetzt nur schnell!« in ihr Schlafzimmer eilte.

Die Tante folgte mit gesenktem Haupte.

Der Brief, den Litwinow zu besorgen hatte, war nach Dresden an eine Freundin Tatianens adressirt, eine deutsche Dame, welche möblirte Zimmer vermiethete.

Litwinow warf den Brief in den Kasten, und mit diesem kleinen Stück Papier, so schien es ihm, begrub er sein ganzes vergangenes Leben.

Er ging zur Stadt hinaus und streifte lange auf den schmalen Fußwegen zwischen den Weinstöcken umher; wie das belästigende Summen der Sommerfliegen konnte er das beständig quälender werdende Gefühl der verächtlichen Rolle, die er, besonders in der letzten Abschiedsscene, gespielt hatte, nicht los werden.

Als er bald nach seiner Rückkehr sich nach seinen Damen erkundigte, erfuhr er, daß sie, gleich nachdem er sie verlassen, auf die Eisenbahn gefahren und mit dem Schnellzuge, man wußte nicht wohin, abgereist seien. Ihre Sachen waren schon am Morgen früh gepackt gewesen, die Rechnung bezahlt worden. Der Brief, den ihm Tatiana zur Besorgung gegeben, hatte den Zweck gehabt, ihn zu entfernen.

Er fragte den Portier, ob die Damen vielleicht ein Billet für ihn zurückgelassen hätten, was dieser verneinte.

Litwinow wendete ihm den Rücken und schloß sich in sein Zimmer ein, welches er erst am folgenden Tage verließ; einen Theil der Nacht verbrachte er mit Schreiben. Mehrere Male zerriß er das Geschriebene. Die Morgenröthe brach bereits an, als er seine Arbeit endigte – es war ein Brief an Irina.

Einundzwanzigstes Capitel

Der Brief enthielt Folgendes:

»Meine Braut ist gestern abgereist; wir werden einander nie wiedersehen . . . ich weiß sogar nicht einmal, wo sie ferner leben wird. Mit ihr ist Alles, was mir bisher werth und theuer war, entschwunden, alle meine Pläne, meine Absichten für die Zukunft sind dahin, meine langjährigen Vorbereitungen, meine Arbeiten umsonst! Alle meine Beschäftigungen haben jetzt keinen Zweck mehr und können keine Anwendung finden. Alles das ist für mich gestorben, ja ich selbst, der Mensch, der ich bisher war, ist in mir gestorben und begraben seit dem gestrigen Tage. Ich fühle, sehe und weiß dies genau . . . und bedaure es keinen Augenblick. Nicht etwa um mich zu beklagen, spreche ich mit Dir davon . . . Irina, wenn Du mich liebst, bin ich nicht beklagenswerth! Ich wollte Dir nur sagen, daß aus der ganzen in Rauch und Dampf aufgegangenem in Asche verwandelten Vergangenheit nur Eins lebendig und unversehrt hervorgegangen ist: meine Liebe zu Dir! Außer dieser Liebe besitze ich nichts und ist mir nichts geblieben. In dieser Liebe ist meine ganze Zukunft, mein Beruf, mein Heiligthum, mein Vaterlands Du kennst mich, Irina, und weißt, daß jedes Phrasenmachen mir fern liegt und mir zuwider ist; wie stark daher auch meine Worte sein mögen, so weißt Du, daß sie aufrichtig sind. Kein Knabe im Aufbrausen augenblicklichen Entzückens lallt vor Dir einen unüberlegten Schwur, sondern ein durch die Zeit geprüfter Mann sagt Dir, einfach und offen, fast mit Angst und Schrecken, was er als unumstößliche Wahrheit erkannt hat: Deine Liebe, ja sie ist für mich unersetzlich – Alles, Alles! Jetzt urtheile selbst: kann ich, darf ich das Alles in den Händen eines Andern lassen, darf ich ihm erlauben, über Dich zu schalten? Du, Du mein ganzes Dasein, Blut meines Herzens, wirst ihm gehören, während ich . . . Wer bin ich denn jetzt? Was bin ich? Ein Zuschauer . . . der Zuschauer meines eigenen Lebens! Nein, unmöglich, unmöglich! So weiter wäre Lüge und Tod! Ich weiß, welch ein großes Opfer ich von Dir fordere, ohne ein Recht dazu zu haben. Was kann auch wohl das Recht auf ein Opfer geben? Aber nicht aus Egoismus handle ich so; wäre ich Egoist, so wäre es mir leichter und bequemer, diese Frage ganz unberührt zu lassen. Ja, mein Verlangen ist schwer, und es soll mich nicht wundern, wenn es Dich erschreckt. Du hassest die Menschen, unter denen Du lebst, die vornehme Welt ekelt Dich an; wirst Du aber auch im Stande sein, diese Welt zu verlassen, den Kranz, den sie Dir windet, wegzuwerfen, die Meinung jener Menschen, die Du hassest, auch zu verachten, wenn Du aus ihrer Mitte verbannt sein wirst? Frage Dich selbst, Irina, nimm keine zu schwere Last auf Deine Schultern. Ich will Dir keine Vorwürfe machen, aber erinnere Dich: schon einmal bist Du der Versuchung unterlegen. Gering ist auch nur, was ich als Ersatz Dir bieten kann für das was Du aufgiebst. So höre nun mein letztes Wort: Wenn Du Dich nicht im Stande fühlst, heute oder morgen Alles aufzugeben und mir zu folgen, wenn Dich die ungewisse Zukunft, die Entfremdung von allem Früheren, die Einsamkeit und der Tadel der Menschen schreckt, wenn Du Deiner mit Einem Worte nicht sicher bist, so sage es mir aufrichtig und ohne Zögern, und ich verlasse Dich, verlasse Dich mit zerrissenem Herzen zwar, werde Dir aber doch danke für Deine Offenheit. Wenn Du aber, meine strahlende Königin des Lichts, einen so unbedeutenden Menschen wie mich wirklich und wahrhaftig liebst, bereit bist, sein Schicksal zu theilen, welches es auch sei, – nun wohlan, so reiche mir die Hand und wir machen uns auf, die schwere Bahn hinan, die vor uns liegt! Wisse aber, mein Entschluß ist unumstößlich: Alles oder Nichts! Vielleicht ist’s thöricht, ich kann aber nicht anders, Irina, ich kann nicht!

Dein G. L.«

Litwinow gefiel der Brief selbst nicht besonders, er drückte nicht ganz das aus, was er eigentlich sagen wollte« auch war er ihm zu schwülstig, erinnerte zu sehr an den Bittsteller, doch aber entschloß er sich, ihn abzusenden. Sein Geist war zu ermüdet, er fühlte sich unfähig, einen andern zu schreiben.

Am Morgen schon erhielt er folgende kurze Antwort.

»Komm heute zu mir, sobald Du kannst. »Er« ist heute auf den ganzen Tag weggefahren. Dein Brief hat mich tief aufgeregt. Ich denke und denke . . . der Kopf geht mir herum! Sehr schwer ist’s mir um’s Herz, aber Du liebst mich und – ich bin glücklich. Komm!

Deine I.«

Irina saß in ihrem Cabinet, als Litwinow eintrat. Dasselbe junge Mädchen, welches ihn am vergangenen Tage erwartet hatte, führte ihn auch heute zu ihr. Auf dem Tische vor ihr stand ein halbrunder Carton voll Spitzen, welche sie zerstreut mit einer Hand sortirte, während sie Litwinows Brief in der andern hielt, Spuren von Thränen waren in ihren Augen sichtbar.

Litwinow blieb auf der Schwelle stehen; sie bemerkte sein Kommen nicht.

»Du weinst?« fragte er erstaunt.

Sie fuhr zusammen, strich ihr Haar zurück und lächelte.

»Warum weinst Du?« wiederholte Litwinow.

Schweigend zeigte sie auf den Brief.

»Also darüber . . .?« rief er zögernd.

»Tritt näher, setze Dich,« sagte sie, »gieb mir Deine Hand. Nun ja, ich habe geweint . . . was ist daran Wunderbares? . . . Als ob dazu keine Ursache wäre?« Und dabei zeigte sie auf den Brief.

Litwinow setzte sich.

»Wohl weiß ich, Irina, daß das nicht leicht ist; dasselbe sagte ich Dir in meinem Briefe. Wenn Du aber an die Aufrichtigkeit Deiner Liebe an mich glaubst, so wirst Du begreifen, was ich jetzt beim Anblick Deiner Thränen fühlen muß. Ich bin hierher gekommen wie ein Angeklagter, der auf sein Urtheil harrt: Tod oder Leben. Deine Antwort entscheidet Alles. Nur blicke mich nicht mit diesen Augen an; sie erinnern mich an jene alten Moskauer Augen.«

Irina erröthete plötzlich und wendete sich ab, als ob sie wüßte, daß etwas in ihrem Auge nicht zu diesem Augenblick paßte.

»Was sprichst Du, Gregor. Schäme Dicht Du willst meine Antwort? Und kannst Du zweifeln, welche es sein wird? Du erstaunst über meine Thränen . . . doch mißverstehst Du sie! Dein Brief hat sie hervorgebracht, ja; ich frage mich, ob meine Liebe Dir genügen kann für all’ die Opfer, die Du mir gebracht, ob Du nicht vielleicht einmal bereuen wirst, sie mir gebracht zu haben! Und wie dann?! Das ist es, was ich fürchte, nicht das, was Du denkst!«

Aufmerksam blickten sie einander an, als ob Jeder des Andern geheimste Gedanken errathen wollte.

»Diese Furcht ist unbegründet,« antwortete Litwinow. »Deine Liebe ist mir eine ganze Welt, und ich hoffe, zu Großem wird sie mich anspornen.«

Irina versank in Nachdenken.

»Wohin werden wir fliehen?« flüsterte sie.

»Wohin? wohin? Daran zu denken bleibt noch Zeit. Also . . . Du willigst ein? . . . Ist es so? . . . Habe ich recht verstanden, Irina?«

Sie blickte ihn an.

»Und Du wirst gewiß glücklich sein?«

»O« Irina!«

»Wirst nichts bedauern? Nie?«

Sie bückte sich über den Carton mit den Spitzen und ließ diese auf ihre Finger gleiten.

»Zürne mir nicht, Theurer, daß ich mich in einem solchen Augenblick mit dergleichen Tand beschäftige . . . Ich bin aber noch nicht Herrin meiner selbst und muß zu einer Dame auf den Ball fahren. Da hat man mir nun diese Chiffons geschickt, aus denen ich heute noch meine Wahl treffen muß. Ach, wie schwer mir’s um‘s Herz ist!« rief sie, plötzlich wieder in Thränen ausbrechend aus; sie wendete sich rasch ab – die Thränen hätten auf die Spitzen fallen können.

»Irina, schon wieder Thränen?« fragte Litwinow bekümmert.

»Nun ja, Gregor, wieder! Quäl mich nicht! quäl Dich nicht! Was thut’s, daß ich weine; weiß ich ja selbst nicht warum; aber so sind wir Frauen einmal geschaffen. Genug, daß Du meinen Entschluß kennst, den ich nicht ändern werde, daß Du weißt, wie ich in Alles, Alles einwillige. Wozu aber nun noch einander quälen! Sieh, hab’ ich Dir ja auch nicht ein einziges Mal gesagt, wie ich wohl begreife, daß ich meinen ehelichen Pflichten untreu werde . . . daß »er« das Recht hat, mich zu tödten. Nun, und doch bin ich die Deine!«

Sie erhob sich vom Sessel, blickte Litwinow lächelnd an und strich mit dem bis zum Ellenbogen entblößten weißen Arme eine lange Locke aus dem Gesicht. Das reiche Spitzentuch fiel vom Stuhle herab auf den Fußboden und kam unter Irina‘s Füße. Verächtlich trat sie darauf.

»Gefalle ich Dir denn heute nicht?« sagte sie, »Bin ich denn seit gestern häßlicher geworden? Sag’ mir, liebst Du mich wirklich?«

Sie umfaßte ihn mit beiden Armen und preßte seinen Kopf an ihre Brust. Der Kamm, der ihr reiches Haar hielt, fiel klingend zur Erde, und das seidenweiche Haar überwallte ihn in duftenden, weichen Wellen.

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04 aralık 2019
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