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Kitabı oku: «Helene», sayfa 7

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XVI

Helene hatte bald nachdem sie Inßarow‘s Bekanntschaft gemacht ein Tagebuch (zum fünften oder sechsten Male) begonnen. Folgendes sind Bruchstücke aus demselben:

Juni: . . . Andrei Petrowitsch bringt mir Bücher, ich kann sie aber nicht lesen. Es ihm zu sagen . . . schäme ich mich; ihm die Bücher zurückgeben, ihn hintergehen, ihm sagen ich hätte sie gelesen . . . mag ich nicht. Es könnte ihn betrüben. Er achtet sehr auf mich. Er scheint sehr an mir zu hängen. Ein sehr braver Mensch Andrei Petrowitscht . . .

. . . Was will ich denn? Warum ist mir das Herz so schwer, warum möchte ich verschmachten? Warum befällt mich Neid, wenn ich die Vögel vorüberfliegen sehe? Mich dünkt, ich möchte mit ihnen davonfliegen, davon . . . wohin? ich weiß nicht, aber fort, weit fort von hier. Ist dieser Wunsch aber nicht sündhaft? Ich habe hier Vater, Mutter, die Meinigen. Liebe ich sie denn nicht? Nein, ich liebe sie nicht so, wie ich sie lieben möchte. Es kommt schwer über meine Lippen, ist aber doch wahr. Ich bin vielleicht eine große Sünderin; vielleicht ist das der Grund, daß ich so traurig bin, daß ich keine Ruhe finde. Es liegt wie eine Hand auf mir, die mich drückt. Ich bin wie in einem Gefängnis, es ist mir, als müßten die Wände jeden Augenblick zusammenstürzen. Warum haben Andere nicht dieses Gefühl? Wen soll ich denn lieben, wenn mich die Meinigen kalt lassen? Mein Vater muß doch wohl Recht haben, wenn er mir vorwirft, ich liebe nur Hunde und Katzen. Darüber muß ich nachdenken. Ich bete selten; ich muß beten . . . Doch mir scheint, ich könnte doch lieben!

. . . Ich bin immer noch scheu gegen Herrn Inßarow. Ich weiß nicht weshalb; ich bin doch kein Kind mehr und er ist so einfach und gut. Zuweilen ist sein Gesicht sehr ernsthaft. Es liegt ihm wahrscheinlich nichts an uns. Ich fühle es und mache mir ein Gewissen daraus, ihm seine Zeit zu rauben. Andrei Petrowitsch . . . das ist etwas Anderes! Mit ihm könnte ich den ganzen Tag verplaudern. Und er spricht auch nur von Inßarow. Und was für schreckliche Sachen! Ich habe ihn diese Nacht mit einem Dolche in der Hand im Traume gesehen. Und er schien zu mir zu sagen: .

– Ich werde Dich umbringen, werde mich umbringen. Was für Dummheiten!

. . . O, wenn mir doch Jemand sagte: dies mußt Du thun! Gut sein . . . ist wenig; Gutes thun . . . ja, das ist die Hauptsache im Leben. Wie aber soll man das Gute thun? O, könnte ich mich doch selbst erfassen! Ich begreife nicht, warum Herr Inßarow mir so oft in den Sinn kommt. Wenn er dasitzt, aufmerksam zuhört und dabei so ruhig ist, so natürlich, sehe ich ihn an und mir ist wohl . . . und weiter nichts; ist er fortgegangen, dann kommen mir beständig seine Worte in’s Gedächtniß, und ich ärgere mich über mich selbst und gerathe in Aufregung . . . weiß selbst nicht worüber. (Er spricht schlecht französisch und schämt sich dessen nicht, das gefällt mir.) Uebrigens geben mir neue Gesichter immer viel zu denken. Als ich mich mit ihm unterhielt, kam mir unser Diener Wassili in den Sinn, der aus einem brennenden Bauernhause einen lahmen Alten rettete und beinahe selbst dabei umgekommen wäre. Papa nannte ihn einen braven Kerl, Mama schenkte ihm fünf Rubel, und mich wandelte die Lust an, ihm zu Füßen zu fallen. Er hatte auch ein einfaches, sogar dummes Gesicht und ist später Säufer geworden.

. . . Ich gab heute einer Bettlerin einen Groschen und sie fragte mich: – Warum bist Du so betrübt? Ich vermuthete gar nicht, daß ich ein betrübtes Gesicht hätte. Ich glaube, es kommt daher, daß ich allein, immer allein bin, mit Allem was an mir Gutes, mit Allem was an mir Schlechtes ist. Es ist Niemand, der mir die Hand reicht. Wer sich mir nähert, den brauche ich nicht, und wen ich möchte, der geht vorüber.

. . Ich weiß nicht, was heute in mir vorgeht; mein Kopf ist verwirrt, ich möchte auf die Knie sinken und beten und um Gnade flehen. Es ist mir, als schlüge man mich todt, wer und wie? ich weiß es nicht! In meinem Inneren schreie ich auf und bin in Verzweiflung; ich weine und kann die Thränen nicht zurückhalten . . . Mein Gott! mein Gott! beschwichtige diese Ausbrüche meines Innern! Du allein kannst es, alles Andere ist ohnmächtig; weder meine armen Gaben, noch meine Arbeiten, nichts, nichts kann mir helfen. Wäre ich irgendwo Dienstmädchen, wahrhaftig, mir wäre besser.

. . . Wozu giebt es eine Jugend, warum habe ich ein Leben, eine Seele, wozu das Alles? . . .

. . . Inßarow, Herr Inßarow – ich weiß wirklich nicht, wie ich das schreiben soll – hört nicht auf, mich zu interessiren. Ich möchte erfuhren, was in seiner Seele vorgeht! Er scheint so offen, so zugänglich zu sein, und doch ist mir Alles verschlossen. Zuweilen blickt er mich mit forschendem Blicke an . . . oder ist das nur Einbildung von mir? Paul reizt mich beständig – ich bin böse auf Paul. Was will er? Er ist in mich verliebt. . . ich brauche aber seine Liebe nicht. Auch in Zoë ist er verIiebt. Ich bin ungerecht gegen ihn; er sagte gestern zu mir, ich wäre nicht im Stande, nur halb ungerecht zu sein . . . wahr. Das ist aber sehr schlecht von mir.

Ach, ich fühle es, es bedarf der Mensch des Unglücks, oder der Armuth, oder der Krankheit, sonst vergißt er sich leicht.

. . . Warum hat mir heute Andrei Petrowitsch von jenen zwei Bulgaren erzählt! Es scheint, er hat es absichtlich gethan. Was geht mich Herr Inßarow an? Ich bin Andrei Petrowitsch böse.

. . Ich ergreife die Feder und weiß nicht wie ich beginnen soll. Wie unerwartet redete er mich heute im Garten an! Wie war er freundlich und zutraulich! Wie das schnell gekommen ist! Als wären wir alte, alte Bekannte und hätten uns eben erst erkannt. Wie war es mir möglich, ihn bis heute nicht zu verstehen! Wie nahe steht er mir jetzt! Und merkwürdig ist dabei, daß ich jetzt bedeutend ruhiger geworden bin. Es kommt mir lächerlich vor: gestern war ich auf Andrei Petrowitsch böse, auf ihn, ich nannte ihn sogar Herr Inßarow und heute . . . Da ist doch endlich ein wahrheitsliebender Mensch; auf ihn kann man sich verlassen. Dieser lügt nicht; das ist der erste Mensch, der nicht lügt, den ich treffe, alle übrigen lügen, Alles lügt. Andrei Petrowitsch, Lieber, Guter, warum thue ich Ihnen Unrecht? Nein! Andrei Petrowitsch ist vielleicht gelehrter als er, Vielleicht auch klüger . . . Ich weiß nicht, er ist aber so klein im Vergleich zu ihm. Wenn jener von seinem Vaterlande spricht, wird er groß und immer größer und sein Gesicht wird schön und die Stimme wie Stahl, und es giebt dann sicher keinen Menschen auf der Welt, vor welchem er den Blick zu Boden senkte. Und es sind nicht bloße Worte – es liegen Thaten hinter ihm und Thaten warten seiner. Ich werde ihn darum fragen . . . Wie er sich plötzlich nach mir umwandte und lächelte! . . . Nur Brüder können so lächeln. Ach, wie bin ich zufrieden! Als er das erste Mal zu uns kam, glaubte ich durchaus nicht, daß wir sobald bekannt werden könnten. Jetzt denke ich mit Vergnügen daran, daß ich das erste Mal gleichgültig geblieben bin. . . Gleichgültig? Wäre ich jetzt denn nicht gleichgültig?

. . Schon längst habe ich keine solche innere Ruhe gefühlt. Es ist so still, so still in mir. Ich habe nichts aufzuschreiben. Ich sehe ihn oft, das ist Alles. Was gäbe es noch aufzuschreiben?

. . . Paul hat sich eingeschlossen; Andrei Petrowitsch besucht uns seltener . . . der Arme! Mir scheint, er . . . Doch nein, das kann nicht sein. Ich liebe Andrei Petrowitsch’s Unterhaltung: niemals spricht er über sich selbst, immer nur von wichtigen, nützlichen Dingen. Nicht so Schubin. Schubin ist zierlich wie ein Schmetterling, und freut sich seiner Zierlichkeit, das thun Schmetterlinge nicht. Uebrigens, sowohl Schubin als Andrei Petrowitsch . . . ja, ich weiß, was ich sagen will . . .

. . . Ihm gefällt’s, zu uns zu kommen, das sehe ich. Warum aber? was hat er an mir gefunden? Es ist allerdings wahr, wir haben gleichen Geschmack, er und ich, wir mögen Beide nicht Gedichte; verstehen Beide nichts von Kunst. Doch um wie viel ist er besser als ich! Er ist gesetzt und ich bin in ewiger Aufregung; er hat eine Bahn vor sich, ein Ziel – ich aber, wohin führt mein Pfad? wo ist mein Nest? Er ist ruhig, aber alle seine Gedanken schweifen in die Ferne. Es wird eine Zeit kommen und er wird uns aus immer verlassen, wird in seine Heimath zurückkehren, dahin, über’s Meer. Nun, Gott geleite ihn! Ich werde mich freuen, ihn gekannt zu haben, so lange er hier weilte.

Warum ist er nicht Russe? Nein, er könnte nicht Russe sein.

Mama hat ihn auch lieb; sie sagt: ein bescheidener Mensch. Gute Mama! Sie versteht ihn nicht. Paul schweigt, er hat es bemerkt, daß mir seine Anspielungen unangenehm sind, er ist aber eifersüchtig aus ihn. Der böse Knabe! Und was für ein Recht hat er dazu? Habe ich wohl jemals . . .

Das ist Alles Unsinn! Warum kommt mir alles dies in den Kopf?

. . . Es ist aber doch sonderbar, daß ich bis jetzt, bis zu meinem zwanzigsten Jahre, Niemand geliebt habe! Mir scheint, Dmitri’s Seele (ich will ihn immer Dmitri nennen, mir gefällt der Name Dmitri) ist darum so klar, weil er sich ganz seiner Sache, seiner Idee hingegeben hat. Weshalb sollte er unruhig sein? Wer sich ganz . . . ganz . . . ganz . . . hingegeben hat, hat wenig Sorge, braucht für nichts einzustehen. Nicht ich bin‘s, der da will: die Sache will’s. Er und ich, wir lieben auch dieselben Blumen. Ich pflückte heute eine Rose . . . Ein Blatt fiel zu Boden, er hob es auf . . . Ich gab ihm die ganze Rose.

. . . Seit einiger Zeit habe ich sonderbare Träume. Was das wohl bedeuten mag?

. . . Dmitri kommt oft zu uns. Gestern blieb er den ganzen Abend. Er will mir Unterricht im Bulgarischen geben. Mit ihm ist mir wohl, wie zu Hause. Besser als zu Hause.

. . . Die Tage fliehen . . . Mir ist so wohl und zugleich so unbestimmt bange um’s Herz; es treibt mich, Gott zu danken und Thränen sind mir nahe! O wonnige, lichte Tage!

. . . Es ist mir nach wie vor leicht um’s Herz und nur selten, selten ein wenig betrübt. Ich bin glücklich. Bin ich glücklich?

. . . Die gestrige Ausfahrt werde ich lange nicht vergessen. Was für eigenthümliche, neue, schreckliche Eindrücke! Als er plötzlich jenen Riesen packte und wie einen Ball in’s Wasser schleuderte, war ich nicht erschrocken . . . er aber flößte mir Schrecken ein. Und dann . . . welch ein unheilbringendes, fast grausames Gesicht, als er sagte: er wird schon herauskommen! Das zerriß mir das Innere. Ich habe ihn also nicht verstanden. Und dann, als Alle lachten, wie schmerzte es mich um ihn! Er schämte sich, ich fühlte es, er schämte sich vor mir. Er hat es mir nachher in der Kutsche gestanden, als es dunkel war und ich seine Gestalt betrachtete und mich vor ihm fürchtete. Ja, mit ihm läßt sich nicht scherzen und er versteht, sich Jemandes anzunehmen. Wozu aber die Wuth, die zuckenden Lippen, das Gift in den Blicken? Oder vielleicht geht es anders nicht? Vielleicht kann man nicht Mann und Kämpfer und dabei sanft und weich zugleich sein? Das Leben ist ein rauhes Ding, sagte er neulich zu mir. Ich wiederholte dieses Wort vor Andrei Petrowitsch; er war nicht derselben Meinung wie Dmitri. Wer von Beiden hat Recht? Und wie schön hatte dieser Tag begonnen! Wie wohl war mir an seiner Seite, auch wenn wir nichts sprachen . . . Ich bin aber doch froh über den Vorfall. Es mußte so kommen.

. . . Wieder Unruhe . . . Ich bin nicht ganz wohl.

. . . Ich habe in all diesen Tagen nichts hier hereingeschrieben, weil ich nicht schreiben mochte. Ich fühlte, daß, was ich auch schriebe, es wäre nicht, was mir auf der Seele liegt . . . Was ist’s denn, was mir aus der Seele liegt? Ich hatte mit ihm eine lange Unterhaltung, die mich über Vieles aufklärte. Er theilte mir seine Pläne mit. (Jetzt weiß ich auch, woher die Narbe am Halse . . . Mein Gott! wenn ich denke, daß er schon zum Tode verurtheilt gewesen ist, daß er nur mit genauer Noth entkam, verwundet wurde . . .) Er sieht einen Krieg kommen und freut sich darauf. Und bei alledem sah ich Dmitri noch nie so traurig. Worüber kann er . . . er! . . . sich betrüben? Papa kehrte aus der Stadt zurück, traf uns Beide und blickte uns ganz sonderbar an. Andrei Petrowitsch war bei uns, ich bemerkte, daß er sehr mager und bleich war. Er machte mir Vorwürfe, als verfahre ich gar zu kalt und nachlässig gegen Schubin. Ich hatte den Paul ganz vergessen. Wenn ich ihn sehe, will ich mein Unrecht wieder gut machen. Jetzt ist mir‘s nicht um ihn . . . ist mir‘s um Niemand auf der Welt zu thun. Andrei Petrowitsch sprach mit mir wie in einer Art Mitleid. Was soll das Alles bedeuten? Warum ist es so finster um mich her und in meinem Innern? Mich däucht, um mich her und in mir selbst geht ein Räthsel vor sich, das Wort muß gefunden werden . . .

. . . Ich habe diese Nacht nicht geschlafen, mein Kopf schmerzt. Wozu schreiben? Er ist heute so schnell fortgegangen, und ich hätte doch so gern mit ihm gesprochen . . . Er scheint mich zu vermeiden. Ja« er vermeidet mich . . .

. . . Das Wort ist gefunden, ein Licht ist mir aufgegangen! Mein Gott! erbarme Dich meiner . . . Ich liebe!

XVII

An demselben Tage« als Helene jenes letzte« verhängnißvolle Wort in ihr Tagebuch schrieb, saß Inßarow auf Berßenjew’s Zimmer und Letzterer stand mit dem Ausdrucke des Erstaunens auf dem Gesichte vor ihm. Inßarow hatte ihm soeben seinen Entschluß, nach Moskau zurückzukehren, mitgetheilt.

– Aber ich bitte Sie! rief Berßenjew, – jetzt beginnt die schönste Zeit. Was werden Sie in Moskau anfangen? Was für ein plötzlicher Entschluß! Oder hätten Sie vielleicht irgend eine Nachricht erhalten?

– Ich habe keinerlei Nachricht erhalten, erwiederte Inßarow, – kann aber meinen Grundsätzen nach nicht mehr hier bleiben.

– Aber wie ist es möglich!

– Andrei Petrowitsch, sagte Inßarow, – haben Sie die Güte, dringen Sie nicht weiter in mich, ich bitte Sie. Mir selbst fällt es schwer, von Ihnen zu scheiden, doch läßt sich dabei nichts ändern.

Berßenjew blickte ihn fest an.

– Ich weiß, sagte er darauf, – Sie sind nicht zu überreden. So ist’s also abgemacht?

– Durchaus abgemacht, entgegnete Inßarow, stand auf und entfernte sich.

Berßenjew ging ein paar Mal durch das Zimmer, nahm seinen Hut und begab sich zu Stachow’s.

– Sie haben mir etwas mitzutheilen? sagte Helene zu ihm, sobald sie allein waren.

– Ja; woraus haben Sie es errathen?

– Das ist einerlei. Reden Sie, was ist’s?

Berßenjew theilte ihr Inßarow’s Entschluß mit.

Helene erbleichte.

– Was hat das zu bedeuten? brachte Sie mit Mühe hervor.

– Sie wissen, sagte Berßenjew, – daß Dmitri Nikanorowitsch über seine Handlungen Rechenschaft zu geben nicht liebt. Ich glaube aber . . . Setzen wir uns, Helene Nikolajewna, Sie scheinen nicht ganz wohl zu sein . . . Ich glaube den wahren Grund seiner plötzlichen Abreise errathen zu können.

– Was, was ist der Grund? wiederholte Helene, indem sie Berßenjew’s Hand, ohne es selbst zu bemerken, heftig in ihren kalt gewordenen Händen preßte.

– Ja« sehen Sie, begann Berßenjew mit traurigem Lächeln, – wie erkläre ich Ihnen das denn gleich? Ich muß wohl vom Frühlinge, von jener Zeit, als ich mit Inßarow näher bekannt wurde, beginnen. Ich traf mit ihm damals in dem Hause eines Verwandten zusammen; dieser Verwandte hatte eine Tochter, ein sehr hübsches Mädchen. Ich glaubte zu bemerken, daß Inßarow nicht gleichgültig gegen sie war und sagte es ihm. Er lachte und gab mir zur Antwort, ich wäre im Irrthum, sein Herz sei unversehrt und wenn sich je etwas der Art mit ihm ereignete, so würde er auf der Stelle fortreisen, denn er wolle nicht – das waren seine eigenen Worte – um Befriedigung eines persönlichen Empfindens, untreu werden an seinem Vorhaben und an seiner Pflicht. Ich bin Bulgare, sagte er, ich kann keine russische Liebe brauchen.

– Nun . . . und was . . . glauben Sie jetzt . . . sagte Helene leise und mit abgewandtem Kopfe, wie Jemand, der den Todesstreich erwartet, doch ohne Berßenjews Hand aus der ihrigen zu lassen.

– Ich glaube, sagte er mit gedämpftem Tone« – ich glaube, es ist jetzt das eingetroffen, was ich damals blos vermuthete.

– Das heißt . . . Sie glauben . . . quälen Sie mich nicht! stieß plötzlich Helene aus.

– Ich glaube, vollendete hastig Berßenjew, – Inßarow hat jetzt ein russisches Mädchen liebgewonnen und, seinem Gelübde treu, den Entschluß gefaßt, zu entfliehen.

Helene preßte seine Hand noch fester zusammen und beugte noch tiefer ihren Kopf, als wolle sie die plötzliche Röthe, die Gesicht und Hals überzogen hatte, dem Auge eines Fremden entziehen.

– Andrei Petrowitsch, Sie sind gut wie ein Engel, sagte sie. – Er wird aber doch noch kommen, um Abschied zu nehmen?

– Ja, ich denke, er wird gewiß kommen, denn er wird doch nicht fortgehen wollen . . .

– Sagen Sie ihm, sagen Sie . . .

Doch das junge Mädchen trug es länger nicht: Thränen stürzten aus ihren Augen, sie lief zum Zimmer hinaus.

– So also liebt sie ihn, dachte Berßenjew, als er langsam nach Hause zurückkehrte. – Das hatte ich nicht erwartet; ich hatte nicht erwartet, daß es so weit sei! Ich bin gut, hat sie gesagt, fuhr er in seinen Betrachtungen fort. – Wer kann denn sagen, aus welchen Gefühlen und Regungen ich das Alles Helene mittheilte? Aus Güte geschah es nicht, aus Güte nicht. Immer das verdammte Verlangen nach Klarheit, den Drang, sich zu vergewissern, ob der Dolch wirklich in der Wunde steckt! Ich darf zufrieden sein . . . sie lieben einander, und ich habe ihnen geholfen . . . Einen künftigen Vermittler zwischen der Wissenschaft und dem russischen Publikum nennt mich Schubin; es scheint seit meiner Geburt meine Bestimmung gewesen zu sein, den Vermittler zu machen. Aber wenn ich mich täuschte? Nein, ich habe mich nicht getäuscht . . . Bitter war es Andrei Petrowitsch zu Muthe, und Raumer wollte ihm nicht in den Kopf.

Am folgenden Tage, gegen zwei Uhr, erschien Inßarow bei Stachow’s. Der Zufall wollte, daß gerade in diesem Augenblicke in Anna Wassiljewna‘s Gastzimmer Besuch war. Es saß dort die Frau eines Geistlichen aus der Nachbarschaft, eine sehr brave und achtbare Person, die aber mit der Polizei ein wenig in Conflict gerathen war, weil sie den Einfall gehabt hatte, sich bei der großen Hitze im Teiche am Wege zu baden, wo die Familie eines wichtigen Generals vorüberzufahren pflegte. Die Anwesenheit einer fremden Person war anfangs Helene willkommen, die ganz bleich geworden, als sie Inßarow‘s Schritte vernahm; doch drückte der Gedanke, er könne sich verabschieden, ohne mit ihr unter vier Augen gesprochen zu haben, ihr das Herz ab. Er selbst schien verwirrt, und wich ihren Blicken aus. – Wird er denn wirklich gleich Abschied nehmen? dachte Helene. Inßarow machte in der That Miene, sich zu Anna Wassiljewna zu wenden, Helene erhob sich rasch und rief ihn auf die Seite ans Fenster. Die Frau des Geistlichen war verwundert und versuchte sich umzuwenden; sie war aber so fest geschnürt, daß ihre Schnürbrust bei jeder Bewegung des Körpers knackte. Sie blieb also ruhig sitzen.

– Hören Sie, sagte Helene eilig, – ich weiß, weshalb Sie gekommen sind; Andrei Petrowitsch hat mir Ihren Entschluß mitgetheilt, ich bitte Sie aber, ich flehe Sie an, nicht heute Abschied von uns zu nehmen, sondern morgen, etwas früher, um elf Uhr, herzukommen. Ich muß Ihnen ein paar Worte sagen.

»Inßarow beugte schweigend den Kopf.

– Ich werde Sie nicht aufhalten . . . Versprechen Sie das?

Inßarow verbeugte sich wieder, sagte aber nichts.

– Lenotschka, komm her, sagte Anna Wassiljewna, – sieh doch, was für einen wundervollen Strickbeutel die Frau Pfarrerin hat.

– Ich habe ihn selbst genäht, setzte die Dame hinzu.

Helene verließ das Fenster.

Inßarow blieb nur eine Viertelstunde bei Stachow’s. Helene betrachtete ihn insgeheim. Er war verlegen, wußte nicht, wohin er blicken sollte und entfernte sich auf sonderbare Art . . . so plötzlich; er verschwand gleichsam.

Langsam verging dieser Tag für Helene; noch langsamer schlich die lange, lange Nacht dahin. Bald saß Helene auf ihrem Bett und hatte ihre Knie mit der Armen umschlungen und den Kopf auf dieselben gelegt, bald trat sie ans Fenster und preßte die heiße Stirn an das kalte Glas, und dachte und dachte bis zur Erschöpfung dieselben und immer dieselben Gedanken. Ihr Herz war zu Stein geworden, war aus der Brust förmlich verschwunden; sie fühlte es nicht mehr; aber im Kopfe pochten heftig die Adern, das Haar brannte ihr, die Lippen waren trocken. – Er wird kommen . . . er hat nicht Abschied genommen von Mama . . . er wird uns nicht täuschen . . . Hat Andrei Petrowitsch die Wahrheit gesagt? Es kann nicht sein . . . Mit Worten hat er nicht versprochen zu kommen . . . Verläßt er mich denn auf immer? . . . Das waren die Gedanken, die nicht von ihr wichen . . . sie gingen nicht und kamen nicht . . . sie wogten aber beständig in ihr, wie ein Nebel. – Er liebt mich! zuckte es plötzlich durch alle ihre Glieder und starr blickte sie hinaus in die Finsterniß; zu einem heimlichen Lächeln, Niemandem sichtbar, öffneten sich ihre Lippen . . . sie unterdrückte es aber sogleich, warf die gefalteten Hände in den Nacken und wiederum, wie ein Nebel, begannen die Gedanken den alten Reigen. Gegen Morgen entkleidete sie sich und ging zu Bett, konnte aber nicht einschlafen. Die ersten feurigen Strahlen der Sonne fielen in ihr Zimmer . . . – O wenn er mich liebt! rief sie plötzlich, und ohne Scheu vor dem sich über sie ergießendem Lichte breitete sie ihre Arme aus . . .

Sie erhob sich von ihrem Lager, warf sich in ihre Kleider und ging hinunter. Es war noch Niemand im Hause wach. Sie begab sich in den Garten; dort aber war es so still, so grün und frisch, die Vögel zwitscherten so zutraulich, die Blumen streckten so freudig ihre Kronen empor, daß ihr unheimlich wurde. – O! dachte sie« – ist’s wahr, so ist kein Grashalm glücklicher als ich, ist’s aber wahr? Sie kehrte auf ihr Zimmer zurück und, um sich nur die Zeit zu vertreiben, begann sie ihren Anzug zu wechseln. Es fiel und glitt ihr aber Alles aus den Händen, und sie saß noch halb entkleidet vor ihrem Totlettespiegel, als sie zum Thee herabgerufen wurde. Sie begab sich hinunter; die Mutter bemerkte ihr bleiches Aussehen, sagte aber blos: – Wie bist Du heute interessant, und nachdem sie einen Blick auf sie geworfen, setzte sie hinzu: – Dieses Kleid steht Dir sehr gut; ziehe es jedes Mal an, wenn Du Jemandem zu gefallen wünschest. Helene antwortete nichts, und setzte sich in einen Winkel. Es schlug unterdessen neun Uhr; noch zwei Stunden bis elf Uhr. Helene nahm ein, Buch vor, dann eine Handarbeit, dann wieder das Buch; dann nahm sie sich vor, hundert Mal eine Allee auf- und abzugeben und führte es aus; dann schaute sie lange Anna Wassiljewna zu, als diese Patience auslegte . . . sie blickte auf die Uhr: es war noch nicht zehn. Schubin kam ins Gastzimmer. Sie versuchte mit ihm zu sprechen und entschuldigte sich bei ihm, sie wußte selbst nicht, worüber . . . Jedes Wort, das sie sprach, kostete ihr nicht etwa Mühe, sondern befremdete sie selbst. Schubin beugte sich zu ihr nieder. Sie erwartete eine Neckerei, hob die Augen auf ihn und sah vor sich ein betrübtes und wohlwollendes Gesicht . . . Sie lächelte diesem Gesicht entgegen. Schubin gab das Lächeln zurück und entfernte sich schweigend und still. Sie wollte ihn zurückhalten, wußte jedoch nicht gleich, wie ihn rufen. Endlich schlug es elf Uhr. Sie begann zu warten, zu warten und zu lauschen. Sie war nicht mehr im Stande etwas zu thun; sie hörte auf zu denken. Ihr Herz war wieder erwacht, es sing an lauter und lauter zu pochen und sonderbar, die Zeit schien rascher zu vergehen. Eine Viertelstunde war vergangen, eine halbe Stunde, dann noch einige Minuten, wie es Helene schien, und plötzlich fuhr sie zusammen: die Uhr hatte nicht zwölf, sie hatte eins geschlagen. – Er wird nicht kommen, er wird ohne Abschied abreisen . . . Dieser Gedanke stieg ihr mit dem Blute zu Kopfe. Sie fühlte, daß ihr der Athem verging, daß sie sogleich in Thränen ausbrechen werde . . . Sie lief auf ihr Zimmer und fiel, das Gesicht in die gefalteten Hände gedrückt, auf ihr Bett.

Eine halbe Stunde lag sie unbeweglich; zwischen die Finger hindurch rannen ihre Thränen auf das Kissen. Auf einmal richtete sie sich auf und setzte sich hin; es war etwas Sonderbares in ihr vorgegangen: ihr Gesicht hatte sich verändert, die feuchten Augen wurden von selbst wieder trocken und bekamen den früheren Glanz wieder, die Brauen traten vor, die Lippen preßten sich zusammen. Noch eine halbe Stunde war verflossen. Helene neigte zum letzten Male das, Ohr, ob nicht eine bekannte Stimme an dasselbe gelangen werde? Sie erhob sich, setzte den Hut auf, zog die Handschuhe an, warf eine Mantille über die Schulter und schlich sich aus dem Hause. Eiligen Schrittes schlug sie den Weg zu Berßenjew’s Wohnung ein.

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04 aralık 2019
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