Kitabı oku: «Helene», sayfa 8
XVIII
Helene ging mit vorgestrecktem Kopfe und unbeweglich in die Ferne gerichtetem Blicke dahin. Sie fürchtete nichts, überlegte nichts; sie wollte noch ein Mal Inßarow sehen. So ging sie dahin, ohne zu bemerken, daß die Sonne schon längst hinter schweren, schwarzen Wolken verschwunden war und der Wind in Stößen durch die Bäume rauschte und mit ihrem Kleide sein Spiel trieb, daß eine Staubsäule plötzlich emporwirbelte und auf dem Wege daherzog. Es fielen bereits schwere Regentropfen, auch das bemerkte sie nicht; immer stärker wurde der Regen, es blitzte, der Donner rollte. Helene blieb stehen, blickte um sich . . . Zu ihrem Glücke befand sich nicht weit von der Stelle, wo das Gewitter sie ereilt hatte, eine kleine, alte Capelle neben einem eingefallenen Brunnen. Sie flüchtete dorthin und trat unter das niedrige Schutzdach. Der Regen goß in Strömen herab; rund umher war der Himmel mit Wolken bedeckt. In stummer Verzweiflung blickte Helene hinaus in das dichte Netz der rasch niederstürzenden Tropfen. Die letzte Hoffnung, Inßarow wiederzusehen, schwand für sie dahin. Ein altes Bettelweib trat in die Capelle, schüttelte das Wasser von sich ab, sagte mit einem Gruße: – »Vom Regen hergetrieben, Mütterchen,« und setzte sich ächzend und stöhnend auf einen Vorsprung neben dem Brunnen. Helene steckte die Hand in die Tasche, die Alte wurde diese Bewegung gewahr und ihr runzeliges und gelbes, vormals hübsches Gesicht, wurde belebt. – Ich danke Dir, mein Herzchen, sagte sie. Helene fand nicht ihren Beutel in der Tasche, und schon streckte die Alte die Hand aus . . .
– Geld habe ich nicht, mein Mütterchen, sagte Helene, – da nimm aber, vielleicht kann es Dir zu etwas nützen.
Sie gab ihr ihr Taschentuch.
– O, mein schönes Kind, sagte die Bettlerin, – wozu nützt mir Dein Tüchelchen? Für die Enkelin will, ich’s aufbewahren, wenn die einmal heirathen wird. Gott lohne Dir Deine Güte!
Es ertönte ein Donnerschlag-.
– Herr, Du mein Jesus! murmelte die Alte und bekreuzte sich drei Mal. – Scheint mir’s doch, ich hätte Dich schon einmal gesehen, setzte sie nach einer kleinen Weile hinzu. – Hast Du mir nicht einmal eine Gabe um Gottes willen gegeben?
Helene sah die Alte an und erkannte sie.
– Ja, mein Mütterchen, entgegnete sie. – Du fragtest mich noch, warum ich so betrübt sei?
– Richtig, mein Liebchen, richtig. Wusste ich‘s doch, daß ich Dich erkannt hatte. Du scheinst aber auch jetzt noch in Kummer zu leben. Und Dein Tüchelchen ist auch ganz naß, das sind Thränen. Ach, Ihr jungen Fräulein, habt Alle denselben Schmerz, den großen Kummer!
– Welchen Schmerz, Mütterchen?
– Welchen Schmerz? Ach, Du mein schönes Fräulein, mich Alte wirst Du nicht täuschen. Weiß ich doch, was Dich bekümmert, es ist kein Waisenkindsjammer, der Dich drückt. Bin auch jung gewesen, Herzchen, habe das auch, Alles durchgemacht. Ja wohl. Nun will ich Dir aber, für Dein gutes Herz, was sagen: Hast Du einmal einen rechten Mann gefunden, keinen Windbeutel, dann halte nur fest an ihm allein; halte fest bis ans Grab. Soll es kommen, wird es kommen, soll es nicht, so ist es Gottes Wille gewesen. Ja wohl. Was staunst Du mich so an? Kann ja auch Wahrsagerin sein. Du wirst sehen, mit Deinem Tüchlein trage ich all’ Deinen Kummer davon! Trage ihn davon, und weg ist er. Sieh’ einmal, der Regen hat nachgelassen; warte ihn noch ab, ich aber will gehen. Mir kommt er nicht das erste Mal. Vergiß also nicht, mein Liebchen, Kummer kam und Kummer ging, und nichts ist davon nachgeblieben. Oh Du mein lieber Gott!
Die Alte erhob sich von ihrem Sitze, verließ die Capelle und schleppte sich ihres Weges weiter. Helene blickte ihr erstaunt nach. – Was soll das? murmelte sie unwillkürlich.
Immer schwächer wurde der Regen, für einen Augenblick schien die Sonne hindurch. Schon wollte Helene ihre Zufluchtsstätte verlassen . . . da erblickte sie plötzlich, zehn Schritte von der Capelle, Inßarow. In einen Mantel gehüllt, kam er denselben Weg, den Helene gegangen war; er schien nach Hause zu eilen.
Sie stützte sich auf das verfallene Geländer, wollte, rufen, aber die Stimme versagte ihr . . . Inßarow ging vorüber, ohne den Kopf zu erheben . . .
– Dmitri Nikanorowitsch! entschlüpfte es endlich ihren Lippen. Inßarow blieb plötzlich stehen und blickte zurück . . . Im ersten Augenblicke erkannte er Helene nicht, trat jedoch sofort zu ihr heran. – Sie! Sie hier! rief er aus.
Schweigend trat sie in die Capelle zurück. Inßarow folgte ihr. – Sie sind hier? wiederholte er.
Sie verharrte in Schweigen und ließ blos einen langen, weichen Blick auf ihm ruhen. Er schlug die Augen nieder.
– Sie kommen von uns? fragte sie ihn.
– Nein . . . nicht von Ihnen.
– Nicht? wiederholte Helene und versuchte zu lächeln. – So also halten Sie Ihr Versprechen? Ich habe seit dem Morgen auf Sie gewartet.
– Erinnern Sie sich, Helene Nikolajewna, ich gab gestern kein Versprechen.
Helene lächelte abermals kaum merklich und fuhr mit der Hand über das Gesicht. Gesicht und Hände waren sehr bleich. – Sie wollten also ohne Abschied fortfahren?
– Ja, äußerte dumpf und barsch Inßarow.
– Wie? Nach unserer Bekanntschaft, nach jenen Unterhaltungen, nach Allem . . . Wenn ich Sie also nicht zufällig hier getroffen hätte (Helene’s Stimme klang, als wollte sie brechen und sie schwieg einen Augenblick) . . . wären Sie davongefahren und hätten mir die Hand nicht zum letzten Male gereicht, und es hätte Ihnen nicht leid gethan?
Inßarow wandte sich ab. – Helene Nikolajewna, ich bitte Sie, reden Sie nicht so. Ohnehin ist mir nicht froh zu Muthe. Glauben Sie mir, mein Entschluß hat mir große Ueberwindung gekostet. Wenn Sie wüßten . . .
– Ich will nicht wissen, unterbrach ihn Helene erschrocken, – weshalb Sie reisen . . . Es muß wohl so sein. Wir müssen uns wohl trennen. Ohne Grund werden Sie Ihre Freunde nicht betrüben. Scheiben aber Freunde so von einander? Wir sind doch Freunde, nicht wahr?
– Nein, entgegnete Inßarow.
– Wie? . . . stieß Helene hervor. Ihre Wangen überflog eine leichte Röthe.
– Eben deshalb reife ich fort, weil wir nicht Freunde sind. Zwingen Sie mich nicht, zu sagen, was ich nicht will, nicht sagen werde.
– Sie waren früher offen gegen mich, sagte Helene mit schüchternem Vorwürfe im Tone. – Wissen Sie’s wohl?
– Damals konnte ich offen sein, damals hatte ich nichts zu verheimlichen; jetzt aber . . .
– Nun, und jetzt? fragte Helene.
– Jetzt . . . Jetzt muß ich mich entfernen. Leben Sie wohl. Wenn Inßarow in diesem Augenblicke die Augen zu Helene aufgeschlagen hätte, hätte er gesehen, wie ihr Gesicht sich immer mehr verklärte, je mehr das seinige sich verfinsterte; er starrte jedoch den Boden an.
– Nun denn, leben Sie wohl, Dmitri Nikanorowitsch, sagte sie. – Geben Sie mir jetzt aber, da wir nun einander begegnet sind, Ihre Hand.
Inßarow streckte die Hand vor. – Nein, auch das kann ich nicht« sagte er und wandte sich wieder ab.
– Sie können es nicht?
– Ich kann es nicht. Leben Sie wohl. Und er schritt dem Eingange der Capelle zu.
– Warten Sie noch etwas, sagte Helene. – Sie scheinen mich zu fürchten. Ich habe aber mehr Muth als Sie, setzte sie, mit einem leichten Zittern am ganzen Körper, hinzu. – Ich kann Ihnen sagen . . . wollen Sie es wissen? . . . warum Sie mich hier getroffen haben? Wissen Sie, wohin ich ging?
Inßarow blickte verwundert Helene an.
– Ich ging zu Ihnen.
– Zu mir?
Helene bedeckte ihr Gesicht. – Sie wollten mich zwingen, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, flüsterte sie, – jetzt . . . habe ich es ausgesprochen.
– Helene! rief Inßarow.
Sie nahm ihre Hände vom Gesicht, warf einen Blick auf ihn und fiel an seine Brust.
Er hielt sie fest umschlungen und schwieg. Er brauchte ihr nicht zu sagen, daß er sie liebe. Aus seinem Ausrufe, allein, aus, der plötzlichen Umwandlung seines ganzen Wesens, aus der Bewegung der auf- und niederwogenden Brust, an welche sie sich so vertrauensvoll schmiegte, aus der Art, wie seine Finger ihr Haar berührten, konnte Helene verstehen, daß sie geliebt werde. Er schwieg, und sie forderte keine Worte. – Er ist da, er liebt . . . was brauche ich mehr? Die Stille des Glücks, die Stille des ungetrübten Hafens, des erreichten Zieles, jene himmlische Stille, die dem Tode selbst Sinn und Schönheit verleiht, erfüllte sie ganz mit ihrem überirdischen Frieden. Sie wünschte nichts, weil sie Alles besaß. – O mein Bruder, mein Freund, mein Geliebter! . . . flüsterten ihre Lippen; sie wußte selbst nicht, wem das Herz gehöre, ob es das seine, ob es das ihre war, das in ihrer Brust so beglückend schlug und zerfloß.
Er aber stand regungslos, mit kräftiger Umarmung hielt er dieses junge Leben, das sich ihm hingegeben hatte, er fühlte diese neue, unendlich kostbare Last an seiner Brust; Rührung, unsägliche Dankbarkeit hatten seine harte Seele gebrochen und nie geahnte Thränen traten ihm in die Augen . . .
Sie aber weinte nicht; sie sagte immer nur: – O mein Freund! o mein Bruder! – Und gehst Du mit mir überall hin? fragte er eine Viertelstunde später, sie immer noch in seinen Armen haltend und stützend.
– Ueberall hin, bis an’s Ende der Welt. Wo Du bist, bin auch ich.
– Und Du täuschest Dich nicht, Du weißt, daß Deine Eltern niemals in unsere Heirath willigen werden?
– Ich täusche mich nicht; ich weiß es.
– Du weißt, daß ich arm, fast ein Bettler bin?
– Ich weiß es.
– Daß ich nicht Russe bin, daß mir vom Schicksal nicht bestimmt ist, in Rußland zu leben, daß Du alle Deine Verbindungen mit dem Vaterlande, den Verwandten wirst abbrechen müssen?
– Ich weiß es, ich weiß es.
– Du weißt euch, daß ich mich einer schwierigen undankbaren Sache geweiht habe, daß ich . . . daß wir uns nicht allein Gefahren, sondern auch Entbehrungen, vielleicht der Erniedrigung werden aussetzen müssen?
– Ich weiß, weiß Alles . . . Ich liebe Dich.
– Daß Du alle Deine Gewohnheiten wirst lassen müssen, daß Du dort, allein, unter Fremden, vielleicht gezwungen sein wirst zu arbeiten . . .
Sie legte ihre Hand aus seine Lippen. – Ich liebe Dich, mein Geliebter.
Er küßte feurig ihre schmale, zarte Hand. Helene zog sie nicht von seinen Lippen zurück und sah ihm mit einer Art kindlicher Freude und heiterer Neugier zu, wie er bald ihre Hand, bald ihre Finger mit Küssen bedeckte . . .
Plötzlich wurde sie roth und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
Er hob freundlich ihren Kopf etwas in die Höhe und blickte ihr fest in die Augen.
– So sei Du mir gegrüßt, sagte er, – Du meine Gattin vor den Menschen und vor Gott!
XIX
Eine Stunde darauf trat Helene, ihren Hut in einer Hand, die Mantille in der anderen, leise in‘s Gastzimmer des Landhauses. Ihr Haar hatte sich leicht gelöst, auf jeder Wange war ein kleiner rosensarbiger Fleck zu bemerken, ein Lächeln kam nicht von ihren Lippen, die Augenlider senkten sich und halb geschlossen lächelten auch die Augen. Sie sank fast um vor Müdigkeit, und diese Müdigkeit war ihr angenehm, und überhaupt war ihr Alles angenehm. Alles schien ihr lieblich und freundlich. Uwar Iwanowitsch laß am Fenster; sie trat zu ihm heran, legte ihm die Hand auf die Schulter, streckte sich ein wenig und lachte unwillkürlich auf.
– Worüber? . . . fragte er verwundert.
Sie wußte nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie hätte Uwar Iwanowitsch fast küssen mögen.
– Platt auf den Bauch, wie der Deutsche in Zarizino, sagte sie endlich.
Uwar Iwanowitsch zuckte mit keiner Miene und fuhr fort, Helene verwundert anzublicken. Sie ließ Mantille und Hut aus ihn fallen.
– Lieber Uwar Iwanowitsch, sagte sie, – ich will schlafen, ich bin müde, und sie lachte wieder und sank auf einen Lehnstuhl neben ihm.
– Hm, knurrte Uwar Iwanowitsch und bewegte die Finger. – Das, man sollte, ja . . .
Helene aber blickte um sich herum und dachte: – Bald werde ich mich von all’ diesem hier trennen . . . und sonderbar, nicht Furcht, noch Zweifel, noch Bedauern ist in mir . . . Doch nein, Mama thut mir leid! Dann stand wieder die Capelle vor ihren Gedanken, sie hörte wieder seine Stimme, sie fühlte sich von ihm umschlungen. Freudig, aber schwach, zuckte ihr Herz: die Erschöpfung des Glücks war auch über dieses Herz gekommen. Das alte Bettelweib fiel ihr ein: – Wahrhaftig, sie hat all, meinen Schmerz davongetragen, dachte sie. – O wie bin ich glücklich! wie unverdient! wie bald! Nur ein ganz klein wenig dem Willen nachgegeben, und süße, unaufhaltsame Thränen wären ihren Augen entströmt. Nur dadurch, daß sie lächelte, hielt sie dieselben zurück. Welche Stellung sie auch annehmen mochte, ihr schien, es gebe keine bessere, keine bequemere, ihr war’s, als werde sie gewiegt. Alle ihre Bewegungen waren langsam und weich; was war aus ihrer Hastigkeit, ihrem eckigen Benehmen geworden? Zoë trat herein; Helene war überzeugt, sie habe nie ein hübscheres Gesichtchen gesehen; Anna Wassiljewna kam; Helene war’s, als empfände sie einen Stich, aber mit welcher Zärtlichkeit umarmte sie ihre gute Mutter und küßte ihr die Stirn an dem Rande des Haars, das schon grau zu werden begann! Daraus begab sie sich in ihr Zimmer; wie lächelte dort ihr Alles entgegen! Mit welcher Empfindung verschämten Triumphes und Demuth setzte sie sich auf ihr Bettchen, auf dasselbe Bettchen, wo sie vor drei Stunden so bittere Augenblicke verlebt hatte! – Ich wußte ja aber schon dann, daß er mich liebt, dachte sie – und früher noch . . . Ach nein! nein! das ist nicht recht. Du bist meine Gattin . . . flüsterte sie, bedeckte das Gesicht mit den Händen und sank aus die Kissen.
Gegen Abend verfiel sie in Nachsinnen. Der Gedanke, daß sie Inßarow nicht bald wiedersehen sollte, machte sie traurig. Er durfte nicht, ohne Aussehen zu erregen, bei Berßenjew bleiben, und darum waren er und Helene über Folgendes übereingekommen: Inßarow sollte nach Moskau zurückfahren und sie vor dem Herbste noch zwei Mal besuchen; ihrerseits versprach sie ihm zu schreiben und wenn es möglich sei, ihm irgendwo in der Nähe von Kunzowo eine Zusammenkunft zu bestimmen. Zum Thee kam sie ins Gastzimmer herunter und traf daselbst alle Hausgenossen und Schubin, der sie von ihrem Eintritte ab aufmerksam beobachtete; sie wollte mit ihm, nach gewohnter Weise, ein freundschaftliches Gespräch anknüpfen, fürchtete sich jedoch vor seinem Scharfblick, ja vor sich selbst. Ihr schien, er habe sie nicht ohne Absicht mehr als zwei Wochen in Ruhe gelassen. Bald erschien Berßenjew und überbrachte Anna Wassiljewna einen Gruß von Inßarow und zugleich seine Entschuldigung, daß er, ohne ihr seine Empfehlung gemacht zu haben, nach Moskau zurückgereist sei. Zum ersten Male wurde an diesem Tage in Helene‘s Gegenwart Inßarow’s Name genannt; sie fühlte, daß sie roth wurde; sie fühlte zugleich, daß sie ihr Bedauern über die unerwartete Abreise eines so lieben Bekannten ausdrücken mußte; sie mochte sich aber nicht vorstellen und blieb nach wie vor unbeweglich und schweigsam sitzen, während Anna Wassiljewna ein »Ach!« ausstieß und klagte. Helene suchte in Berßenjew‘s Nähe zu bleiben; sie fürchtete ihn nicht, obgleich ein Theil ihres Geheimnisses ihm bekannt war; sie suchte bei ihm Schutz gegen Schubin, der sie immerfort, wenn auch verstohlen, aber doch aufmerksam betrachtete. Ueber Berßenjew kam an diesem Abend ein Zweifel an Helene, er hatte erwartet, sie trauriger zu finden. Zu ihrem Glücke entspann sich zwischen ihm und Schubin ein Streit über Kunst; sie zog sich zurück und vernahm die Stimmen Beider wie im Traum. . . Nach und nach erschien ihr auch das Zimmer, Alles um sie herum wie ein Traum . . . Alles: die Theemaschine auf dem Tische, die kurze Weste Uwar Iwanowitsch’s, die glatten Nägel Zoë‘s und das Portrait des Großfürsten Konstantin Pawlowitsch an der Wand, Alles schwamm durcheinander, hüllte sich in einen leichten Nebel und hörte auf, wirklich zu sein. Aber um Alle empfand sie ein stilles Leid. – Wozu leben die? dachte sie.
– Willst Du schlafen, Lenotschka? fragte sie die Mutter. Sie hörte die Frage der Mutter nicht.
– Eine halbgerechte Anspielung, sagst Du? . . . Diese heftig ausgesprochenen Worte Schubin‘s erregten plötzlich Helene‘s Aufmerksamkeit – Was fällt Dir ein, fuhr er fort, – darin gerade liegt das Pikante davon. Eine gerechte Anspielung erzeugt Muthlosigkeit . . . das ist nicht christlich; gegen den ungerechten Menschen bist Du gleichgültig . . . das ist dumm; der Halbgerechte aber flößt Dir Aerger und Ungeduld ein. Wenn ich zum Beispiel sagen wollte, Helene Nikolajewna sei in Einen von uns verliebt, zu welcher Gattung würde diese Anspielung gehören? Wie?
– Ach, Monsieur Paul, sagte Helene, – ich möchte Ihnen wohl meinen Aerger zeigen, aber wahrhaftig, ich vermag es nicht. Ich bin sehr müde.
– Warum gehst Du denn nicht schlafen, sagte Anna Wassiljewna, die Abends selbst einzunicken pflegte und daher Andere gern schlafen schickte. – Nimm Abschied von mir und gehe mit Gott. Andrei Petrowitsch wird es entschuldigen.
Helene küßte ihre Mutter, empfahl sich den Uebrigen und ging hinaus. Schubin folgte ihr bis zur Thür.
– Helene Nikolajewna, sagte er an der Schwelle leise zu ihr: – Sie treten Monsieur Paul mit Füßen, Sie treten ohne Barmherzigkeit auf ihm umher, und Monsieur Paul preist Ihre Füßchen und die Schuhe an Ihren Füßchen und die Sohlen dieser Schuhe.
Helene zuckte die Achseln und reichte ihm die Hand hin . . . nicht die, welche Inßarow geküßt hatte . . . In ihrem Zimmer angelangt, entkleidete sie sich sogleich, legte sich zu Bett und schlief ein. Ihr Schlaf war tief und ruhig . . . so schlafen selbst Kinder nicht: so schläft nur das genesene Kind, wenn die Mutter neben seiner Wiege sitzt, es anblickt und auf seinen Athem lauscht.
XX
– Komm zu mir auf einen Augenblick, sagte Schubin zu Berßenjew, als Letzterer sich bei Anna Wassiljewna verabschiedet hatte; – ich habe Dir Etwas zu zeigen.
Berßenjew begab sich aus dessen Zimmer in das Nebengebäude und erstaunte über die Menge Studien, Statuetten und Büsten, die, mit nassen Tüchern bedeckt, überall im Zimmer umher standen.
– Nun, Du machst ja Ernst aus Deiner Beschäftigung, wie ich sehe, bemerkte Berßenjew.
– Etwas muß man doch machen, entgegnete Jener. – Zieht das Eine nicht, muß das Andere d’ran. Ich beschäftige mich übrigens, wie der Corsicaner, mehr mit der Vendetta, als mit der edlen Kunst. Trema Bizanzia!
– Ich verstehe Dich nicht, sagte Berßenjew.
– Warte ein Weilchen. Betrachten Sie gefälligst, mein lieber Freund und Gönner, meine Rache Nummer Eins.
Schubin löste den Lappen von einer Figur, und erblickte die außerordentlich ähnliche, ausgezeichnete Büste Inßarow’s. Die Züge des Gesichts hatte Schubin bis in die kleinsten Einzelheiten treu aufgefaßt und in dieselben einen vortrefflichen Ausdruck gelegt: bieder, ehrlich, edel und kühn.
Berßenjew war entzückt.
– Das ist ja ein Meisterstück! rief er aus. Ich gratulire Dir. Das gehört auf die Ausstellung! Weshalb nennst Du aber diese ausgezeichnete Arbeit eine Rache?
– Deshalb nenne ich sie so, Sir, weil ich die Absicht habe, diese ausgezeichnete Arbeit, wie Sie dieselbe zu nennen beliebten, Helene Nikolajewna zu ihrem Namenstage zu überreichen. Verstehen Sie diese Allegorie? Wir sind nicht blind, wir sehen, was um uns her vorgeht, wir sind aber Gentleman, mein lieber Herr und nehmen gentlemännisch Rache.
– Und hier, fuhr Schubin fort, indem er eine andere Figur aufzudecken begann, – da nach den neueren Begriffen von Aesthetik der Künstler das beneidenswerthe Recht genießt, jede Abscheulichkeit in sich aufzunehmen, um dieselbe zu einer Perle der Kunst zu erheben, so haben wir, bei Erhebung dieser Perle Nummer Zwei, nicht mehr als Gentleman Rache geübt, sondern sind dabei ganz einfach, en canaille verfahren.
Er zog geschickt die Leinwand ab und es zeigte sich Berßenjew‘s Blicken eine Statuette in Dantan’schem Geschmack, von demselben Inßarow. Unmöglich konnte etwas Boshafteres und Witzigeres erfunden werden. Der junge Bulgare war als Schafbock, auf den Hinterfüßen stehend, die Hörner zum Stoße nach vorn gebeugt, dargestellt. Stumpfe Wichtigkeit, Zanksucht, Starrsinn, unbeholfene Beschränktheit waren deutlich in der Physiognomie des »Gemahles der feinwolligen Schafe« ausgedrückt und dabei war die Aehnlichkeit so überraschend, so unverkennbar, daß Berßenjew sich nicht enthalten konnte, laut aufzulachen.
– Was ein guter Spaß? fragte Schubin, – erkennst Du den Helden? Soll ich das auch auf die Ausstellung schicken? Das, mein Lieber, will ich mir selbst zu meinem Namenstage schenken . . . Erlauben mir Euer Hochwohlgeboren einen Bocksprung!
Und damit machte Schubin drei Sprünge und schlug sich dabei von hinten mit den Fersen.
Berßenjew hob das Tuch vom Boden auf und warf es über die Statuette.
– O Du Edelmüthiger, begann Schubin, – wer gilt denn gleich in der Geschichte für besonders edelmüthig? Nun, einerlei! Jetzt aber, fuhr er fort, feierlich und traurig, eine dritte, ziemlich beträchtliche Lehmmasse abdeckend, – jetzt wirft Du ein Etwas anschauen, was Dir einen Beweis geben wird von Deines Freundes Demüthigkeit und Scharfsinn. Du wirft Dich davon überzeugen, daß er, abermals als wahrhafter Künstler, das Bedürfniß und den Nutzen einer Selbstohrfeigung fühlt. Blicke her!
Die Leinwand fiel nieder und Berßenjew erblickte zwei gleichsam mit einander verwachsene Köpfe neben einander . . . Er begriff nicht sogleich, was das bedeute, erkannte aber nach einiger Betrachtung in dem einen Annuschka’s, in dem anderen Schubin’s eigenes Abbild. Es waren übrigens eher Carricaturen, als Portraits. Annuschka war als kräftiges, volles Mädchen, mit niedriger Stirn, aufgedunsenen Augen und keck aufgeworfener Nase dargestellt. In den wulstigen Lippen lag ein freches Lächeln; das ganze Gesicht drückte Sinnlichkeit, Sorglosigkeit und Verwegenheit, nicht ohne Gutmüthigkeit aus. Sich selbst hatte Schubin dargestellt als versoffenen, abgefallenen Zechbruder, mit eingefallenen Wangen, schlaff herabhängenden Strängen dünnen Haares, stumpfsinnigem Ausdrucke in den blöden Augen und leichenartig spitzer Nase.
Berßenjew wandte sich mit Abscheu ab. – Wie gefällt Dir das Pärchen, Bruder? fragte Schubin. – Würdest Du Dich nicht herablassen, eine passende Inschrift hierzu zu ersinnen? Zu jedem der beiden anderen Stücke habe ich schon eine erdacht. Unter der Büste soll stehen: »Ein Held« der sein Vaterland zu befreien beabsichtigt« Unter der Statuette: »Platz gemacht« Wurstmacher!«9 Und unter diesem Stücke . . . was meinst Du? . . . »Des Künstlers Pawel Jakowlewitsch Schubin Zukunft« . . . Ist es gut so?
– Höre auf, erwiederte Berßenjew. – Es war der Mühe werth, die Zeit an solch einem . . . Er fand nicht sogleich das passende Wort.
– Schmutz? willst Du sagen. Nein, Bruder, laß gut sein! soll etwas aus die Ausstellung kommen, muß diese Gruppe hin.
– Wirklich ist es Schmutz, wiederholte Berßenjew. – Und was soll der Unsinn? Es fehlen Dir ja alle die Anlagen zu einer solchen Ausbildung, mit denen leider unsere Künstler so reich begabt sind. Wahrhaftig, Du begehst eine Lüge an Dir selbst.
– Du glaubst? sagte Schubin mit finsterer Miene. – Wenn ich diese Anlagen nicht habe und ich sie doch bekommen werde, dann trägt die Schuld daran . . . eine gewisse Person. Weißt Du wohl, setzte er mit tragischem Stirnrunzeln hinzu, – ich habe schon versucht, mich dem Tranke zu ergeben!
– Lüge doch nicht!
– Bei Gott« ich habe es versucht, entgegnete Schubin und lächelte dabei und ward wieder heiter, – es ist aber nichts Angenehmes darin, ich bringe es nicht hinunter und nachher trommelt es im Kopfe. Sogar der große Luschtschichin . . . Charalampius Luschtschichin, der erste moskauer, nach Anderen der erste großrussische Trichter, hat erklärt, daß aus mir nichts werden wird. Die Flasche, wie er sich ausdrückt, hat mir nichts zu sagen.
Berßenjew holte zum Schlage gegen die Gruppe aus, Schubin hielt ihn zurück.
– Laß doch, zerschlage sie nicht, Bruder, das mag als eine Lehre, als Schreckbild stehen bleiben.
Berßenjew lachte auf.
– In diesem Falle will ich die Vogelscheuche verschonen, sagte er, – und die ewig reine Kunst soll leben!
– Sie lebe hoch! fiel Schubin ein. – Mit ihr wird das Gute besser und das Schlechte nimmt man schon mit!
Die Freunde drückten einander kräftig die Hand und schieden.