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Kitabı oku: «Helene», sayfa 9

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XXI

Die erste Empfindung Helene’s, als sie erwachte, war freudiger Schreck. – Ist es wahr? ist es wahr? fragte sie sich selbst und ihr Herz vermochte das Glück nicht zu fassen. Erinnerungen drängten sich ihr in Menge auf . . . sie verging ganz in denselben. Dann kam wieder die frühere wonnige, verzückte Ruhe über sie. Doch im Laufe des Morgens überfiel sie eine Unruhe und die folgenden Tage war ihr müde und trübe zu Muth. Ja, sie wußte es jetzt, wonach sie sich gesehnt, doch erleichterte sie das nicht. Jene unvergeßliche Zusammenkunft hatte sie für immer aus dem alten Geleise hinausgeworfen: sie befand sich nicht mehr in demselben, war ihm weit entrückt, und doch ging Alles um sie her den Gang der früheren Ordnung, als hätte sich nichts verändert; das alte Leben bewegte sich wie früher und rechnete wie früher auf Helene’s Theilnahme und Mitwirkung. Sie versuchte einen Brief an Inßarow zu beginnen, es ging damit nicht: die Worte standen auf dem Papiere wie todt, wie unwahr. Ihr Tagebuch schloß sie; unter die letzte Zeile zog sie einen großen Strich. Das gehörte der Vergangenheit an und sie lebte mit allen ihren Gedanken, mit ihrem ganzen Wesen in der Zukunft. Ihr war schwer ums Herz. Bei der Mutter, die von nichts unterrichtet war, zu sitzen, sie anzuhören, ihr zu antworten, mit ihr zu sprechen: es schien ihr ein Unrecht. Es war ihr, als trüge sie eine Lüge in sich; das empörte sie, obgleich sie über nichts zu erröthen hatte; mehr als ein Mal hatte sie ein fast unüberwindliches Verlangen angewandelt, Alles ohne Vorbehalt zu erzählen, geschehe was da wolle. – Warum, dachte sie, – hat mich Dmitri nicht damals schon, aus jener Capelle, irgend wohin entführt? Sie begann plötzlich Jedermann, sogar Uwar Iwanowitsch, zu scheuen, der jetzt mehr als je zuvor die Finger spielen ließ und befremdet schien. Nicht freundlich, nicht traulich, nicht wie ein Traum mehr schien ihr Alles, was sie umgab; wie ein Alp lastete es auf ihr, wie eine unabwälzbare, todte Luft und schien Vorwürfe an sie zu richten, Mißfallen gegen sie zu bezeigen, sie herauszufordern . . . Thue was Du willst, Du gehörst doch uns an. Selbst ihre armen Pfleglinge, die unbeachteten Vogel und Thiere, schienen sie mißtrauisch und feindselig anzublicken. Sie empfand Gewissensbisse und Scham vor ihren eigenen Gedanken. – Es bleibt doch immer mein Hans, dachte sie, – meine Familie, meine Heimath . . . Nein, es ist nicht mehr deine Heimath, nicht mehr deine Familie, rief ihr eine andere Stimme zu. Ihr wurde angst und sie ärgerte sich über ihren Kleinmuth. Das Weh begann erst und doch verließ sie schon die Geduld . . . War es das, was sie versprochen?

Nicht bald wurde sie Herrin ihrer selbst. Doch eine Woche verging, noch eine . . . Helene wurde etwas ruhiger und fand sich in ihre neue Stellung. Sie schrieb zwei kurze Briefe an Inßarow und trug sie selbst auf die Post: um keinen Preis, aus Scham wie ans Stolz, hatte sie einer Magd ihr Vertrauen geschenkt. Schon sing sie an, ihn selbst zu erwarten . . . Doch statt seiner erschien eines schönen Morgens Nikolai Artemjewitsch.

XXII

Noch nie hatte Jemand im Hause des Gardelieutenants a. D. Stachow denselben so übelgelaunt und zugleich so voll Selbstvertrauen und so wichtig gesehen, wie an diesem Tage. Er kam in Paletot und Hut, langsamen und breiten Schrittes, hart auftretend ins Gastzimmer herein, stellte sich vor den Spiegel und betrachtete sich lange, wiegte das Haupt mit ruhiger Strenge und nagte an seinen Lippen . . . Anna Wassiljewna empfing ihn äußerlich besorgt und im Herzen froh (sie empfing ihn nie anders); er nahm den Hut nicht einmal ab, begrüßte sie nicht und reichte Helene seinen Handschuh zum Kuß. Anna Wassiljewna richtete an ihn Fragen über seine Brunnencur . . . er gab ihr keine Antwort; Uwar Iwanowitsch trat herein . . . Stachow warf einen Blick auf ihn und sagte: – Bah! Sein Benehmen gegen Uwar Iwanowitsch war überhaupt kalt und herablassend, obwohl er ihm »Spuren echten Stachow’schen Blutes« nicht absprach. Es ist bekannt, daß fast alle russischen, adeligen Familien von dem Vorhandensein ausschließlicher, nur ihnen ungeborener Gattungseigenthümlichkeiten überzeugt sind; wir haben mehrmals Gelegenheit gehabt, Verhandlungen »Betheiligter« über ». . . sche« Nasen und ». . .sche« Nacken anzuhören. Zoë trat ins Zimmer und machte Nikolai Artemjewitsch einen Knicks. Krächzend ließ er sich in einen Lehnstuhl nieder, forderte Kaffee und nahm nun erst den Hut ab. Man brachte ihm den Kaffee; er trank eine Tasse und nachdem er der Reihe nach Alle im Zimmer mit Blicken gemustert, murmelte er durch die Zähne: – Sortez S’il vous plait, und setzte, zu seiner Frau gewendet, hinzu: – et vous, madame, restes, je vous prie.

Alle Anwesenden, außer Anna Wassiljewna, verließen das Zimmer. Ihr Kopf gerieth vor Aufregung ins Zittern. Die Feierlichkeit in Nikolai Artemjewitsch’s Auftreten machte sie ganz bestürzt. Sie war auf etwas Außerordentliches gefaßt.

– Was giebt es? rief sie, sobald die Thür sich geschlossen hatte.

Nikolai Artemjewitsch warf einen gleichgültigen Blick auf Anna Wassiljewna.

– Nichts Besonderes, warum haben Sie die Gewohnheit, immer die Miene eines Schlachtopfers anzunehmen? sagte er, bei jedem Worte die Mundwinkel herabziehend. – Ich habe Sie blos davon benachrichtigen wollen, das; wir heute zu Mittag einen neuen Gast haben werden.

– Wen denn?

– Kurnatowsky, Jegor Andrejewitsch. Sie kennen ihn nicht. Obersecretair im Senate.

– Er wird heute bei uns speisen?

– Ja.

– Und nur, um mir dies zu sagen, haben Sie Alle hinausgehen lassen?

Nikolai Artemjewitsch warf seiner Gattin wieder einen Blick zu, doch nun einen ironischen.

– Das verwundert Sie? Warten Sie doch mit Ihrer Verwunderung.

Er schwieg. Anna Wassiljewna schwieg auch einige Augenblicke.

– Ich wünschte doch . . . begann sie.

– Ich weiß, Sie haben mich von jeher für einen unmoralischen Menschen gehalten, unterbrach sie plötzlich Nikolai Artemjewitsch.

– Ich? stotterte befremdet Anna Wassiljewna.

– Und vielleicht haben Sie recht. Ich will nicht leugnen, daß ich Ihnen, in der That, zuweilen gerechten Anlaß zu Mißvergnügen gegeben habe (»die Grauschimmel« fielen ihr ein), obgleich Sie selbst zugeben werden, daß bei bewußtem Zustande Ihrer Constitution . . .

– Ich mache Ihnen ja keine Vorwürfe, Nikolai Artemjewitsch.

– C’est possible. Auf jeden Fall ist es nicht meine Absicht, mich zu rechtfertigen. Die Zeit – die Zukunft – wird mich rechtfertigen! Ich halte es jedoch für meine Schuldigkeit, Ihnen zu versichern, daß ich meine Pflichten kenne und . . . und den Vortheil der mir anvertrauten . . . mir anvertrauten Familie zu wahren weiß.

– Was bedeutet das Alles? dachte Anna Wassiljewna. (Sie konnte nicht wissen, daß am vergangenen Abend im englischen Club, in einer Ecke des Divanzinnners, über die Unfähigkeit des Russen, Speechs zu halten, gestritten worden war. – Wer bei uns versteht das Wort zu führen? Nennt mir Jemand! hatte einer der Streitenden ausgerufen. – Nun, Stachow, zum Beispiel, hatte ein Anderer geantwortet und dabei auf Nikolai Artemjewitsch gewiesen, der in der Nähe stand und vor Freuden fast gezwitschert hätte.)

– Zum Beispiel, fuhr Nikolai Artemjewitsch fort, – mein Kind Helene. Finden Sie nicht, daß es für sie Zeit sei, mit festem Schritte die Bahn zu betreten . . . zu heirathen, will ich sagen? All dies Philosophiren und Philanthropiren ist gut, jedoch nur bis zu einem gewissen Grade, bis zu einem gewissen Alter. Es ist Zeit, daß sie aus diesen Nebeln herauskomme, der Gesellschaft von allerlei Artisten, Scholaren und unbekannten Montenegrinern entsage und daß sie werde wie Alle,

– Wie soll ich Ihre Worte verstehen? fragte Anna Wassiljewna.

– Ich bitte mir Gehör zu schenken, erwiederte Nikolai Artemjewitsch mit jener oben bezeichneten Bewegung der Lippen. – Ich will es Ihnen gerade heraus. ohne allen Umschweif sagen: ich habe die Bekanntschaft. die Freundschaft dieses jungen Mannes. des Herrn Kurnatowsky gesucht. in der Hoffnung. ihn zum Schwiegersohn zu bekommen. Ich erlaube mir zu glauben, daß Sie, wenn Sie ihn gesehen haben würden, mich der Parteilichkeit oder Voreiligkeit nicht bezichtigen werden. (Nikolai Artemjewitsch redete und gewann sein Reden lieb.) Vortreffliche Bildung, Jurist, herrliches Benehmen, dreiunddreißig Jahre alt, Obersecretair, Collegienrath, Stanislaus am Halse. Ich hoffe, Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich nicht zu jenen pères de Comédie gehöre, die nur von Würden schwärmen; Sie haben mir aber selbst gesagt, daß Helene Nikolajewna an gediegenen, tüchtigen Männern Gefallen findet; Jegor Andrejewitsch ist der erste in seinem Fache; dann hat andererseits meine Tochter eine Schwäche für hochherzige Thaten; so erfahren Sie denn, daß Jegor Andrejewitsch, sobald er sich die Möglichkeit verschafft hatte, verstehen Sie mich wohl, die Möglichkeit, mit seinem Gehalte sicher auszukommen, sofort einer jährlichen Summe, die ihm sein Vater ausgesetzt hatte, zu Gunsten seiner Brüder entsagte.

– Und wer ist sein Vater? fragte Anna Wassiljewna.

– Sein Vater? Sein Vater ist auch ein in seiner Art bekannter Mann, von hoher Sittlichkeit, un vrai stoïcien, ein Major außer Diensten, wie ich glaube, der Verwalter aller Güter des Grafen B.

– Ah! ließ Anna Wassiljewna hören.

– Ah! warum ah? nahm Nikolai Artemjewitsch auf. – Sind Sie denn auch von Vorurtheilen angesteckt?

– Ich habe ja nichts gesagt, entgegnete Anna Wassiljewna.

– Nein, Sie sagten ah! . . . Wie dem nun auch sei, ich hielt es für nöthig, Sie von meinen Ansichten zu unterrichten und erlaube mir zu denken, . . . erlaube mir zu hoffen, daß Herr Kurnatowsky à bras ouverts empfangen werden wird. Das ist nicht etwa irgend ein Montenegriner.

– Freilich; es muß aber Wanka, der Koch, gerufen, ein Gericht mehr bestellt werden.

– Sie begreifen, daß dies mich nicht angeht, sagte Nikolai Artemjewitsch, er erhob sich, setzte den Hut auf und ging pfeifend in den Garten hinaus. (Es hatte ihm Jemand gesagt, man dürfe nur im eigenen Hause, auf dem Lande und auf der Reitbahn pfeifen.) Schubin sah ihn aus dem Fenster seines Zimmers und streckte schweigend die Zunge nach ihm aus.

Um vier Uhr weniger zehn Minuten fuhr eine Lohnkutsche bei der Thür des Stachow’schen Landhauses vor, und ein junger Mann, von gefälligem Aeußeren, einfach und elegant gekleidet, stieg aus dem Wagen und ließ sich anmelden. Es war Jegor Andrejewitsch Kurnatowsky.

Am anderen Tage schrieb Helene unter Anderem Folgendes ihrem Inßarow:

– Wünsche mir Glück, mein lieber Dmitri, ich habe einen Bräutigam. Er speiste gestern bei uns; Papa hat, glaube ich, seine Bekanntschaft im englischen Club gemacht und ihn eingeladen. Natürlich machte er gestern nicht als Bräutigam die Visite. Die gute Mama aber, welcher Papa seine Hoffnungen mitgetheilt, flüsterte mir ins Ohr, was für ein Gast das sei. Er heißt Jegor Andrejewitsch Kurnatowsky und ist Obersecretair im Senate. Ich will Dir zuerst sein Aeußeres beschreiben. Er ist nicht groß von Wuchse, kleiner als Du, hübsch gewachsen; seine Züge sind regelmäßig, er trägt das Haar kurz geschnitten und hat einen großen Backenbart. Seine Augen sind, wie die Deinigen, nicht groß, braun, rasch, die Lippen flach, breit; in den Augen und um die Lippen ein stetes, gewissermaßen officielles Lächeln, als wenn dasselbe dort immer du jour wäre. Er hält sich sehr einfach, seine Rede und Alles an ihm ist gemessen; er geht, lacht, ißt, wie wenn er eine Dienstangelegenheit verrichte. – Wie sie ihn studirt hat! denkst Du vielleicht in diesem Augenblicke Ja, und zwar um Dir eine Beschreibung von ihm zu geben. Und wie sollte man wohl den designirten Bräutigam nicht studiren! Es liegt etwas Eisernes . . . und Stumpfes und Leeres und zugleich – auch Ehrliches in ihm; man sagt, er soll in der That ein sehr rechtschaffener Mann sein. Du bist mir auch ein Mann von Eisen, aber doch nicht wie Der. Bei Tische saß er neben mir, uns gegenüber Schubin. Zuerst war die Rede von gewissen Handelsunternehmungen: es heißt, er sei darin bewandert und habe beinahe den Dienst aufgeben wollen, um Vorsteher einer großen Fabrik zu werden. Dazu kam es jedoch nicht. Darauf sprach Schubin vom Theater; Herr Kurnatowsky erklärte, und das muß ich ihm lassen, in ungeheuchelter Bescheidenheit, daß er von Kunst nichts verstehe. Da fielst Du mir ein . . . ich dachte aber: nein, Dmitri‘s und meine Unwissenheit in der Kunst ist doch anderer Art. Jener schien sagen zu wollen: ich verstehe nichts davon, übrigens ist es auch unnütz, wird aber in einem wohlgeordneten Staate geduldet. Für Petersburg und das comme il faut ist er übrigens ziemlich gleichgültig; ein Mal nannte er sich sogar einen Proletarier. – Wir, sagte er, machen die grobe Arbeit. Ich dachte: wenn Dmitri das gesagt hätte, wäre es mir unangenehm gewesen, dieser aber mag es sagen! mag damit großthun! Gegen mich war er sehr artig; mir klang’s aber, als spräche mit mir ein sehr nachsichtiger Vorgesetzter. Wenn er Jemand loben will, sagt er, der und der ist ein Mann von Grundsätzen – das ist sein letztes Wort. Er muß Selbstvertrauen, Arbeitsliebe haben, der Aufopferung fähig sein (Du siehst, ich bin unparteiisch), d.,h. der Aufopferung seines Vortheils, er ist aber ein großer Despot. Wehe denen, die ihm in die Hände gerathen! Dann kam das Gespräch auf Bestechungen . . . – Ich verstehe, sagte er, daß in vielen Fällen Derjenige, der sich Sporteln macht, nicht strafbar ist, er konnte nicht anders verfahren. Wenn er aber ertappt wird, muß er vernichtet werden.

– Einen Schuldlosen vernichten! rief ich aus.

– Ja, des Princips wegen.

– Welches Princips? fragte Schubin. Wurde nun dadurch Kurnatowsky verlegen, oder überrascht, genug, er sagte, das bedürfe keiner Erklärungen. Papa, der, wie es scheint, ganz von ihm eingenommen ist, griff das Wort auf und sagte, natürlich bedürfe es solcher nicht, und zu meinem Aerger wurde dies Gespräch abgebrochen. Abends kam Berßenjew und ließ sich in einen furchtbaren Wortstreit mit ihm ein. Noch niemals habe ich unseren guten Andrei Petrowitsch in solcher Aufregung gesehen. Herr Kurnatowsky leugnete keineswegs den Nutzen der Wissenschaft, der Universitäten u.s.w. . . . und dennoch war mir die Entrüstung Andrei Petrowitsch’s begreiflich. Jener betrachtet diese Dinge wie eine Art Gymnastik. Nach dem Essen trat Schubin zu mir und sagte: – Dieser da und noch ein Anderer (er kann Deinen Namen nicht aussprechen) sind beide praktische Männer, betrachten Sie aber, welch ein Unterschied: dort ist ein wirkliches, lebendiges, aus dem Leben genommenes Ideal, hier nicht einmal Pflichtgefühl, sondern blos Diensttreue und Geschick ohne inneren Gehalt. Schubin ist ein kluger Kopf, und ich habe seine gescheidten Reden um Deinetwillen behalten; was hättet ihr aber mit einander gemein, denke ich? Du glaubst, jener nicht, denn nur an sich selbst glauben ist unmöglich.

Er ging spät. Mama theilte mir mit, ich hätte ihm gefallen und Papa wäre entzückt . . . Ob er ihm nicht gar gesagt hat, daß ich auch Grundsätze habe? Beinahe hätte ich Mama erklärt, ich hätte aber bereits einen Mann. Warum mag Dich denn der Vater so gar nicht? Mit Mama ließe sich‘s noch irgendwie . . .

O mein Geliebter! Ich habe Dir diesen Herrn so umständlich geschildert, um meine Trauer zu betäuben. Ohne Dich lebe ich nicht, fortwährend sehe und höre ich Dich . . . Ich erwarte Dich, aber nicht bei uns, wie Du es anfangs gewollt hast . . . denke nur, wie das schwer und ungelegen sein wird! Du weißt aber, wie ich Dir geschrieben habe, in jenem Wäldchen . . . O mein Geliebter! Wie liebe ich Dich!

XXIII

Drei Wochen nach Kurnatowsky’s erstem Besuche zog Anna Wassiljewna, zu Helene’s großer Freude, nach Moskau in ihr großes hölzernes Haus an der Pretschistenka, ein Haus mit Säulen, weißen Leiern und Kränzen über jedem Fenster, mit Erker, Nebengebäuden, einem Gärtchen vor dem Hause, einem großen, grünen Hofe, einem Brunnen in demselben und einem Hundehäuschen neben dem Brunnen. Anna Wassiljewna pflegte niemals so frühzeitig das Landhaus zu verlassen, in diesem Jahre jedoch war sie, in Folge der ersten herbstlichen Kälte, von Katarrhen heimgesucht; Nikolai Artemjewitsch seinerseits trug nach beendigter Cur nach seiner Gemahlin Verlangen, zumal da Augustine Christianowna zu ihrer Cousine nach Reval gefahren war; auch war in Moskau eine ausländische Gesellschaft angekommen, die plastische Stellungen, des poses plastiques, sehen ließ, wovon eine Beschreibung in der »Moskauer Zeitung« die Neugier Anna Wassiljewna’s auf’s Aeßerste gereizt hatte. Mit einem Worte, ein längeres Verweilen auf dem Lande wäre ungelegen, ja sogar, nach Nikolai Artemjewitsch’s Versicherung, unvereinbar mit der Realisirung seiner »Pläne« gewesen. Die letzten zwei Wochen kamen Helene sehr lang vor. Kurnatowsky machte zwei Mal Besuche an Sonntagen, die übrige Zeit war er beschäftigt. Er kam eigentlich um Helene’s Willen, unterhielt sich jedoch mehr mit Zoë, der er sehr gefallen hatte. – »Das ist ein Mann,« dachte die bei sich, wenn sie sein gebräuntes und männliches Gesicht betrachtete und seine Reden voll Selbstgefühl und Herablassung hörte. Nach ihrer Meinung war Niemand mit einer so wunderbaren Stimme begabt, verstand Niemand so vortrefflich: »ich habe die Ehre gehabt,« oder »ich bin sehr zufrieden« zu sagen. Inßarow hatte Stachow’s nicht besucht, Helene war mit ihm jedoch insgeheim ein Mal in einem Wäldchen an der Moskwa, wohin sie ihn beschieden, zusammengekommen. Sie hatten kaum Zeit, einander einige Worte zu sagen. Schubin kehrte mit Anna Wassiljewna in die Stadt zurück; Berßenjew ein paar Tage später.

Inßarow saß in seinem Zimmer und las zum dritten Male Briefe, die ihm, aus Bulgarien mit einer »Gelegenheit« zugestellt worden waren; man hatte Bedenken getragen, sie durch die Post zu befördern. Sie hatten ihn sehr aufgeregt. Die Ereignisse drängten sich im Orient; dies Besetzung der Fürstenthümer durch russische Truppen hatte alle Gemüther in Gährung gebracht; das Gewitter zog sich zusammen, schon wehte der Hauch eines nahen, unansbleiblichen Krieges. Rund herum war das Feuer ausgebrochen und Niemand konnte voraussehen, wohin es seinen Weg nehmen, wo es Halt machen werde; alte Uebergriffe, verführte Erwartungen – Alles ward aufgerührt. Inßarow’s Herz schlug heftig, seine Hoffnungen gingen der Erfüllung entgegen. – Ist’s aber nicht zu früh? ist‘s nicht umsonst? dachte er, die Hände zusammen pressend. – Wir sind noch nicht bereit, doch, nun hilft nichts! Ich muß hin.

Ein leichtes Geräusch ließ sich hinter der Thür hören, sie ward rasch ausgerissen – Helene trat in’s Zimmer.

Inßarow erbebte am ganzen Leibe, er stürzte ihr entgegen, fiel vor ihr auf die Knie, umfing sie und schmiegte seinen Kopf eng an sie an.

– Du erwartetest mich nicht? sagte sie, fast außer Athem. (Sie war die Treppe im Laufe hinangestiegen.) – Geliebter! Geliebter! Sie legte ihre Hände aus seinen Kopf und warf einen Blick umher. – Hier also wohnst Du? Ich habe Dich bald aufgefunden. Die Tochter Deines Wirthes hat mich hierher geleitet. Vorgestern sind wir übergezogen. Ich wollte Dir schreiben, habe aber gedacht, es wird besser sein, ich komme selbst. Ich bin auf eine Viertelstunde zu Dir gekommen. Stehe auf, schließe die Thür.

Er stand auf, schloß behende die Thür, kehrte zu ihr zurück und faßte ihre Hände. Er konnte nicht sprechen: Freude preßte ihm die Brust zusammen. Lächelnd blickte sie in seine Augen . . . es lag so viel Glück in denselben . . . Sie fühlte sich beschämt.

– Warte, sagte sie, ihre Hände freundlich zurückziehend, – laß mich meinen Hut ablegen.

Sie löste die Bänder am Hute, warf ihn bei Seite, legte die Mantille ab, ordnete ihr Haar und setzte sich auf den kleinen, alten Divan.

Inßarow rührte sich nicht und betrachtete sie wie bezaubert.

– So setze Dich doch, sagte sie, ohne ihn anzusehen und auf den Platz neben sich deutend.

Inßarow ließ sich nieder, doch nicht auf den Divan, sondern auf den Fußboden, zu ihren Füßen.

– Da, ziehe mir die Handschuhe von den Fingern, sagte sie mit unsicherer Stimme. Ihr wurde Angst.

Er knöpfte zuvor den einen Handschuh auf und preßte nun heftig seine Lippen an die entblößte weiße, zarte Oberhand.

Helene wollte ihn mit der anderen Hand von sich abhalten, er begann auch diese zu küssen. Helene zog sie an sich, er warf den Kopf zurück, sie blickte ihm ins Gesicht, beugte sich vor . . . und ihre Lippen schlossen sich aneinander . . .

Eine Weile darauf riß sie sich los, sprang auf, sagte leise: – Nein, nein, und trat rasch an den Schreibtisch.

– Ich bin ja hier Frau im Hause, Du darfst vor mir keine Geheimnisse haben, sagte sie, indem sie sich bemühte, gleichgültig zu scheinen und ihm den Rücken zuzuwenden. – Welche Menge Papier! Was für Briefe sind das?

Inßarow machte ein ernstes Gesicht. – Diese Briefe? sagte er, sich erhebend. – Du kannst sie lesen.

Helene drehte sie in den Händen umher. – Es sind ihrer so viele und so fein geschrieben, und ich muß gleich fort . . . Sie mögen liegen bleiben! Es steckt keine Nebenbuhlerin dahinter? . . . Das ist ja auch nicht russisch, setzte sie hinzu; die feinen Blätter durchfliegend.

Inßarow näherte sich ihr und umfaßte sie. Sie wandte sich rasch um, lächelte ihn heiter an und schmiegte sich an seine Schulter.

– Das sind Briefe aus Bulgarien, Helene; die Freunde schreiben mir, ich solle zu ihnen kommen.

– Jetzt? Dahin?

– Ja . . . jetzt. So lange es noch Zeit ist, so lange man noch hinreisen kann.

Sie warf plötzlich ihre Arme um seinen Hals. – Du nimmst mich doch mit?

Er drückte sie an seine Brust. – »O mein liebes Mädchen, o mein Heldenherz, wie Du das gesagt hast! Ist’s aber nicht Wahnsinn von mir, dem Obdachlosen, Alleinstehenden, Dich mit mir zu ziehen . . . Und wohin gar!

Sie hielt ihm den Mund zu. – Pst . . . sonst werde ich böse und komme nie mehr zu Dir. Ist denn nicht Alles zwischen uns abgeschlossen, abgemacht? Bin ich denn nicht Dein Weib? Verläßt denn das Weib seinen Mann?

– Weiber ziehen nicht in den Krieg, sagte er mit halbtraurigem Lächeln.

– Ja, wenn sie zurückbleiben können. Kann ich denn hier bleiben?

– Helene, Du bist ein Engel! . . . Bedenke aber, ich werde vielleicht . . . in zwei Wochen Moskau verlassen müssen. Ich darf nicht mehr an die Vorlesungen in der Universität, nicht mehr an die Beendigung der Arbeit denken.

– Was thut es denn? unterbrach ihn Helene. – Du sollst bald reisen? Ja, willst Du’s, ich bleibe jetzt schon, sogleich, in diesem Augenblick bei Dir, für immer bei Dir, kehre nicht nach Hause zurück, willst Du‘s? Wir wollen gleich fort, willst Du?

Inßarow preßte sie mit verdoppelter Kraft in seine Arme. – So möge Gott mich strafen, rief er aus, – wenn ich eine böse That begehe! Von diesem Tage an sind wir auf ewig vereint!

– Ich soll bleiben? fragte Helene.

– Nein, Du mein reines Mädchen; nein, Du mein Schatz. Du sollst heute nach Hause zurück, sei aber bereit. Auf ein Mal läßt sich die Sache nicht machen; es muß Alles reiflich erwogen werden. Dazu ist Geld, sind Pässe, nöthig . . .

– Geld habe ich, unterbrach ihn Helene, – achtzig Rubel.

– Nun, das ist nicht viel, bemerkte Inßarow, – kann aber auch gebraucht werden.

– Ich kann aber einiges bekommen, aufnehmen, will die Mutter bitten . . . Nein, ich will sie um nichts bitten . . . Ich kann aber meine Uhr verkaufen . . . Ich habe Ohrgehänge, zwei Armbänder . . .

Spitzen.

– Es handelt sich nicht um Geld, Helene; aber den Paß, einen Paß für Dich, wie machen wir das?

– Ja, wie machen wir das? Ein Paß ist durchaus nöthig,

– Durchaus,

Helene lächelte.

– Was mir jetzt einfällt! Ich war noch ein kleines Mädchen, ich erinnere mich . . . Ein Stubenmädchen lief uns davon. Es wurde wieder eingefangen, man vergab ihm und es lebte nachher lange bei uns . . . man nannte es aber immerfort »Tatjana« die Entlaufene«. Habe ich doch damals nicht gedacht, daß auch ich dereinst vielleicht, wie Jene, eine Entlaufene sein werde.

– Helene« schäme Dich doch!

– Was denn? Freilich, es ist besser mit einem Passe zu reisen. Wenn es aber nicht angeht . . .

– Wir werden das Alles in Ordnung bringen, warte nur, sagte Inßarow. – Ich muß mich zuerst zurecht finden, darüber nachdenken. Wir wollen Alles mit einander besprechen, wie sich’s gebührt. Geld hätte ich auch.

Helene strich ihm mit der Hand das Haar von der Stirn. – O, Dmitri! Welch, eine Freude wird‘s sein, mit einander zu reisen!

– Ja, sagte Inßarow, – aber dort« wohin wir reisen . . .

– Nun? unterbrach ihn Helene, – wird es denn nicht auch eine Freude sein, mit einander zu sterben? Doch nein, weshalb denn sterben? Wir wollen leben, wir sind jung. Wie alt bist Du? Sechsundzwanzig?

– Sechsundzwanzig.

– Ich bin zwanzig. Noch viel Zeit liegt vor uns. Ah! Du wolltest mir davonlaufen? Du brauchst die russische Liebe nicht, Bulgare! Nun sieh zu, wie Du mich los wirst. Was wäre aber aus uns geworden, wenn ich damals nicht zu Dir gekommen wäre!

– Helene, Du weißt, was mich bewog, fortzugehen.

– Ich weiß es, Du hattest Dich verliebt und erschrakst. Hast Du denn aber keine Ahnung gehabt, daß Du wiedergeliebt wurdest?

– Auf meine Ehre schwöre ich es, nein, Helene.

Sie gab ihm rasch und plötzlich einen Kuß. – Dafür eben habe ich Dich lieb. Jetzt aber lebe wohl.

– Du kannst nicht länger bleiben? fragte Inßarow.

– Nein, mein Geliebter. Glaubst Du, es war mir leicht, allein aus dem Hause zu gehen? Die Viertelstunde ist längst vorüber. Sie legte Mantille und Hut an. – Komm morgen Abend zu uns. Doch nein, übermorgen. Es wird dort gezwungen und langweilig sein, dabei ist nichts zu machen: wenigstens werden wir einander sehen. Lebe wohl. Laß mich doch. Er umschlang sie noch zum letzten Male. – O! gieb Acht! Du hast meine Kette zerbrochen. O, Du mein Unbeholfener! Nun, das ist nichts. Um so besser. Ich werde auf die Schmiedebrücke gehen und sie zum Ausbessern geben. Wenn man mich fragt, sage ich, daß ich auf der Schmiedebrücke gewesen bin. Sie faßte den Griff an der Thür. – Ja, ich vergaß, Dir zu sagen: Herr Kurnatowsky wird mir wahrscheinlich nächstens einen Antrag machen. Ich werde ihm aber so antworten. Sie hielt den Daumen der linken Hand an die Spitze der Nase und spielte mit den übrigen Fingern in der Luft. – Leb’ wohl. Auf Wiedersehen. Jetzt kenne ich den Weg . . . Du aber verliere keine Zeit . . .

Helene machte die Thür ein wenig auf, wandte sich zurück nach Inßarow, nickte ihm mit dem Kopfe zu und schlüpfte zum Zimmer hinaus.

Einen Augenblick blieb Inßarow gleichfalls lauschend an der geschlossenen Thür stehen. Die Thür unten auf den Hof hinaus wurde zugeworfen. Er trat an den Divan, setzte sich und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er hatte sich niemals in ähnlicher Lage befunden. – Wodurch habe ich eine solche Liebe verdient? dachte er. – Ist’s nicht ein Traum?

Ein leichter Duft von Reseda, den Helene in seinem ärmlichen, finsteren Stübchen zurückgelassen, erinnerte ihn an ihren Besuch. Zugleich mit dem Dufte schienen in der Luft des Gemaches der Klang der jugendlichen Stimme, das Geräusch des leichten, jugendlichen Schrittes und die Wärme und Frische des jugendlichen, jungfräulichen Körpers zurückgeblieben zu sein.

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04 aralık 2019
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