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Kitabı oku: «Punin und Baburin», sayfa 3

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II.
(1837.)

Sieben Jahre waren seit jener Zeit verflossen.

Wie vordem lebten wir in Moskau – ich war aber unterdessen Student geworden und bereits im zweiten Semester – die Macht meiner Großmutter, die alt und gebrechlich zu werden anfing, war in den letzten Jahren bedeutend im Abnehmen und drückte mich nicht mehr wie früher. Von allen meinen Commilitonen war besonders einer, ein gewisser Tarchow, ein gutmüthiger, lustiger, junger Bursche, mit dem ich am häufigsten zusammenkam. Er und ich hatten so ziemlich dieselben – Gewohnheiten. Auch er hatte eine große Vorliebe für die Poesie und schrieb zuweilen recht hübsche und glatte Verse. Wie das unter jungen Leuten zu gehen pflegt, theilten wir einander stets unsere kleinen Geheimnisse mit. Seit einigen Tagen nun bemerkte ich, wie mein Freund eigenthümlich aufgeregt war. Er verschwand oft auf mehrere-Stunden und ich wußte nicht wohin, was bisher noch nicht vorgekommen war. Schon stand ich im Begriff, ihn als Freund zu beschwören, aufrichtig gegen mich zu sein, als er mir selbst zuvorkam.

»Peter,« sagte er eines Tages, als ich in seinem Zimmer bei ihm saß, indem er flüchtig erröthete und mir dabei lächelnd auf die Wangen klopfte: »ich muß Dich mit meiner Musa bekannt machen.«

»Mit Deiner Muse ? Du drückst Dich merkwürdig aus. Wie ein Classiker! (Damals, 1837, stand die Romantik in vollster Blüthe.) Als ob ich die nicht längst kennte – mit Deiner Muse! Hast Du vielleicht ein neues Gedicht geschrieben?«

»Du verstehst mich falsch,« antwortete Tarchow, immer stärker erröthend. »Mit einer lebendigen Muse will ich Dich bekannt machen, oder vielmehr nicht mit einer Muse, sondern einer gewissen Musa.«

»Oho! so ist das? Nun und warum nennst Du sie denn die Deinige?«

»Je nun, weil . . . warte, bitte, einen Augenblick, ich glaube, sie kommt gerade.«

Man hörte ein leichtes Auftreten hurtiger Stiefelchen – die Thüre wurde aufgerissen – und auf der Schwelle erschien ein achtzehnjähriges junges Mädchen in einem bunten Kattunkleide, einer schwarzen Tuchmantille, einem schwarzen Strohhut auf den üppigem weichen, blonden, etwas zerzausten Locken. Als sie mich sah, erschrak sie und trat verschämt zurück . . . aber Tarchow eilte ihr rasch entgegen.

»Musa Pawlowna, sein Sie so gut, treten Sie doch ein; das hier ist mein bester Freund, ein prächtiger, lieber Mensch und fromm wie ein Lamm. Den brauchen Sie nicht zu fürchten. Peter,« wendete er sich nun zu mir, »ich empfehle Dir meine Musa – Musa Pawlowna Winogradow, meine liebe Freundin.«

Ich verbeugte mich grüßend.

»Ein eigenthümlicher Name, den ich heute zum erstenmale höre . . . Musa?«

Tarchow lachte laut auf. »Also weißt Du Bibelheld nicht einmal, daß es einen solchen Namen im Bibelkalender giebt? Uebrigens habe ich es auch nicht gewußt, so wenig wie Du, bis ich mit diesem liebenswürdigen jungen Fräulein hier bekannt geworden bin. Musa! welch’ ein romantischer Name und gerade wie für sie ausgedacht.«

Ich verbeugte mich zum zweitenmale vor der hübschen Freundin meines Kameraden. Sie trat aus der Thür hervor, machte zwei Schritte nach vorwärts und blieb stehen. Es ist wahr, lieblich war sie, aber doch konnte ich mich mit Tarchow’s Meinung nicht einverstanden erklären und dachte bei mir selbst: »Nein, eine Muse sieht so nicht aus.«

Die Züge ihres rundlichen Gesichtchens waren zart und fein, frische blühende Gesundheit athmete aus dieser schlanken Miniaturgestalt entgegen; eine Muse aber, stellte ich mir – und wir alle damals – denn doch anders vor. Vor allem mußte diese schwarze Haare haben und bleich sein. Ein verächtlich stolzer Ausdruck, ein bitteres Lächeln, ein in Entzücken schwimmendes Auge und noch jenes »Geheimnißvolle, Dämonische, Verhängnißvolle«; – ohne alle diese Eigenschaften war ja unmöglich, sich eine Muse, die Muse Byrons vorzustellen. Nichts dem Aehnliches war im Gesicht des vor uns stehenden jungen Mädchens zu erblicken. Wäre ich damals älter und erfahrener gewesen, so hätte ich sicher eine größere Aufmerksamkeit auf ihre Augen gerichtet, die klein, tiefliegend, und mit langen Wimpern schwarz wie Agat und dabei hell und klar, was selten bei blondem Haar ist, waren. Kein poetisches Gemüth hätte ich in jenem hastiger eigenthümlichen Blick erkannt, wohl aber die Anzeichen einer leidenschaftlichen, bis zur Selbstvergessenheit gehenden Natur ich war aber damals noch sehr jung.

Ich reichte ihr die Hand, sie gab mir die ihrige nicht, bemerkte meine Bewegung auch nicht, sondern setzte sich, ohne Hut und Mantille abzunehmen, auf den ihr von Tarchow hingeschobenen Stuhl.

»Nur auf einen Augenblick habe ich bei Ihnen vorgesprochen, Wladimir Nikolaewitsch,« hub sie mit leiser, aber tiefer Bruststimme, die ans einem so feinen Munde ganz eigenthümlich hervorklang, an, während man ihr ansah, wie verlegen sie war und wie meine Gegenwart sie störte – unsere Madame wollte mich nicht länger als auf eine halbe Stunde fortlassen. Da Sie aber vorgestern unwohl waren so glaubte ich . . . «

Sie stotterte, wurde immer verlegener und bückte den Kopf herab. Von dichten schweren Brauen überschattet flogen ihre dunkelblitzenden Augen unerhaschbar bald hier- bald dorthin. In heißen Sommertagen stoßen Einem oft zwischen ausgetrockneten Grashalmen ähnliche schwarze, glänzende und hurtige Käferchen auf.

»Wie böse Sie sind, Musa, liebes Muschen!« rief Tarchow. »So bleiben Sie doch ein wenig sitzen und trinken Sie eine Tasse Thee mit uns . . . Ich will sogleich den Ssamowar aufstellen.«

»Ach nein, Wladimir Nikolaewitsch! wie ist das möglich; ich muß unbedingt gleich wieder fort.«

»So ruhen Sie sich doch nur erst ein wenig aus. Sie sind ganz außer Athem . . . Sie müssen ja müde sein.«

»Ach nein, ich bin durchaus nicht müde. Ich bin ja nur gekommen . . . ich wollte Sie um ein anderes Buch bitten, dieses hier habe ich durchgelesen.« Und dabei zog sie einen zerfetzten alten Roman aus der Tasche.

»Mit größtem Vergnügen. Nun, hat Ihnen denn dieser Roman gefallen?« – »Ich hab' ihr den Roslawlew (alter historischer Roman von Sagoßkin) gegeben,« fügte Tarchow, sich zu mir wendend, hinzu.

»Ja, gefallen hat mir der Roman schon, obgleich jener andere, »Jurji Miloslavsky«, doch hübscher ist, unsere Madame nur ist sehr streng, sie liebt nicht, daß wir lesen; sie sagt, das hindere am Arbeiten, nach ihren Begriffen. . .«

»Aber Musa Pawlowna,« unterbrach sie Tarchow lächelnd, »der »Jurji Miloslavsky« läßt sie doch mit Puschkin’s »Zigeunern« nicht vergleichen, nicht wahr?«

»Das wollte ich meinen,« erwiderte sie, wie hingerissen. »Ach ja, noch etwas, Wladimir Nikolaewitsch, »kommen Sie doch morgen nicht . . . Sie wissen schon wohin.«

»Warum das ?«

»Es geht nicht.«

»Aber warum nicht?«

Das Mädchen zuckte die Achseln und sprang rasch vom Stuhle auf, gerade als ob sie eine Fliege gestochen hätte.

»Aber wohin, Musa, liebes Muschen?« jammerte Tarchow in kläglichem Tone, »bleiben Sie doch noch ein wenig sitzen.«

»Nein, nein, es geht nicht.

« Und gewandt und hurtig eilte sie zur Thür und ergriff die Klinke.

»So nehmen Sie aber doch wenigstens ein Buch mit !«

»Ein anderes Mal.« Tarchow sprang auf sie zu, sie aber huschte in einem Augenblicke zur Thür hinaus, so daß er sich fast die Nase an die Thür gestoßen hätte. – »Ist das ein Mädchen, wie eine Eidechse!« sagte er ärgerlich, dann setzte er sich nachdenklich.

Ich blieb; ich mußte doch wissen, was das mit dem Mädchen für ein Bewandtniß habe. Tarchow verheimlichte mir nichts. Er erzählte mir, daß sie dem niederen Bürgerstande angehöre und Putzmacherin sei, daß er sie vor etwa drei Wochen zuerst in einem Modemagazin gesehen habe, in welchem er, im Auftrage seiner Schwester in der Provinz, einen Damenhut bestellt habe; daß er sich gleich beim ersten Anblick in sie verliebt habe und daß es ihm gelungen sei, am andern Tage mit ihr auf der Straße zu sprechen. Sie sei, versicherte er mir, durchaus nicht gleichgültig gegen ihn.

»Nur, bitte,« fügte er hitzig hinzu, »denke Dir ja nur nichts Böses weiter, sie ist die liebe Unschuld selbst. Zwischen uns ist auch durchaus nichts Tadelnswürdiges vorgefallen . . . «

»Was Du gewiß herzlich bedauerst, daran zweifle ich gar nicht, Freundchen,« unterbrach ich ihn. »Nun, warte nur – das wird sich alles schon machen.«

»Das hoffe ich!« erwiderte Tarchow selbstgefällig. »Aber dieses Mädchen, Bruder, ich sage Dir, dieses Mädchen ist, wie soll ich nur sagen – ein Typus, weißt Du, neuester Schule! Du hast nur nicht Zeit gehabt, sie recht zu· betrachten. Sie ist wild und wie wild, eine richtige Gemse! Und dabei voll Launen – und einem Eigensinn, davon hast Du gar keinen Begriff! Ich muß Dir übrigens nur sagen, daß gerade diese Wildheit mich reizt und mir an ihr gefällt. Ein Beweis von Selbstständigkeit. Bis über die Ohren bin ich in sie verliebt.«

So fuhr Tarchow fort, mir das Lob seiner »Flamme« weiterzusingen und las mir sogar den Anfang eines Gedichtes vor, das er auf sie unter dem Titel: »Meine Muse« verfaßt hatte. Seine Herzensergießungen gefielen mir, wie ich gestehen muß, durchaus gar nicht. Es regte sich in mir ein heimlicher Neid gegen den Glückspilz; so verließ ich ihn denn bald.

* * *

Einige Tage später ging ich zufällig durch eine der Ladenreihen des Kaufhofes (Bazars – Gostinnojdwor). Es war gerade Sonnabend, der Käufer eine Menge, überall Stoßen und Gedränge; die zum Kaufen auffordernden kreischenden Stimmen der Ladenburschen berührten mich unangenehm. Nachdem ich, was mir nöthig, gekauft hatte, dachte ich nur daran, wie ich mich rascher den Zudringlichkeiten der Kaufleute entziehen sollte – als ich plötzlich stutzte und stehen blieb: in einer Fruchtbude sah ich die Freundin meines Commilitonen, Musa Pawlowna! Sie stand seitwärts von mir abgewendet und schien aus etwas zu warten. Nach kurzem Zögern entschloß ich mich, zu ihr hinzutreten und sie anzureden. Ich hatte aber die Schwelle der Bude noch nicht überschritten und wollte eben meine Mütze zum Gruße abnehmen, als sie erschreckt zurückwich und sich rasch an einen alten Mann in einem Flauschrock wendete, dem der Fruchthändler gerade ein Pfund Rosinen abgewogen hatte – und ihn unter den Arm nahm, als ob sie bei ihm hätte Schutz suchen wollen. Der Greis wendete sich nun seinerseits zu ihr und – man stelle sich meine Ueberraschung vor – ich erkannte in ihm Punin, meinen alten Freund Punin!

Ja, er war es, wie er leibte und lebte; es waren seine entzündeten, thränenden kleinen Augen, seine dicken vollen Lippen, seine herabhängende lange und spitze Nase. Er hatte sich im Ganzen nur wenig in den verflossenen sieben Jahren verändert, vielleicht etwas aufgedunsener nur mochte er geworden sein.

»Nikander Wawilitsch!« rief ich aus. »Erkennen Sie mich nicht?« Punin fuhr sichtlich zusammen, öffnete den Mund und blickte mich an. . .

»Ich habe nicht die Ehre . . . « hub er an, dann stockte er plötzlich und kreischte laut hervor: »Das Herrlein aus Troitzky! (Das Gut meiner Großmutter hieß Troitzky.) Ist es möglich, das Troitzky’sche Herrlein?« – Das Pfund Rosinen entfiel seiner Hand.

»Vollkommen richtig,« antwortete ich, hob ihm seine Rosinen auf und umarmte ihn.

Vor Freude und Ueberraschung ging ihm fast der Athem aus, so daß er kaum sprechen konnte; er nahm seine Mütze ab, bei welcher Gelegenheit ich bemerken konnte, daß auch die letzten Paar Härchen von seinem Nacken jetzt verschwunden und das »Ei« nun vollkommen war. Wie sich Musa bei dieser Erkennungsscene benahm, weiß ich nicht, ich suchte sie nicht anzusehen. Daß Punin‘s Aufregung durch eine besondere Anhänglichkeit an meine Persönlichkeit hervorgerufen wurde, vermuthe ich kaum; ich hatte eben eine Natur, die keinen unerwarteten Stoß vertragen konnte. Die Nervösität eines armen Menschen!

»Kommen Sie zu uns, liebes Herrchen,« lispelte er endlich; »nicht wahr, Sie schämen sich doch nicht, unser bescheidenes Nestchen zu betreten? Ich sehe, sie sind ja Student?«

»Wenn Sie erlauben, so werde ich sehr froh sein . . .«

»Haben Sie jetzt nichts zu thun?«

»Durchaus nichts augenblicklich.«

»Nun, das ist ja prächtig. Wie Paramon Semeonitsch zufrieden sein wird! Heute kommt auch er früher als gewöhnlich nach Hause und auch sie läßt ihre Madame des Sonnabends zu uns. Ei, aber – das hätte ich ja beinahe ganz vergessen, ich bin ganz confus geworden. Sie kennen ja unsere Nichte noch gar nicht . . .«

Ich beeilte mich, ihm zu antworten, daß ich das Vergnügen noch nicht habe.

»Nun natürlich. Sie haben sie ja vorher nicht gesehen. Muschen . . . Bemerken Sie, mein Herr, diese junge Dame nennt sich Musa – das ist nun aber kein Spitzname, sondern ihr wirklicher Name. Was sagen Sie zu der Analogie, die in Person und Namen liegt?«

»Muschen, ich stelle Dir hier den Herrn . . . Herrn . . .

»Bodrow,« flüsterte ich ihm zu.

»Bodrow vor,« wiederholte er. »Muschen! Merke wohl auf. Du siehst den vortrefflichsten, liebenswürdigsten jungen Mann vor Dir. Das Schicksal hat mich mit ihm zusammengeführt, als er noch ganz jung war. Ich hoffe, auch Du wirst ihn liebgewinnen und gern sehen.«

Ich verbeugte mich tief, während Musa, roth wie eine Mohnblume, mir unter den herabgesenkten Brauen hervor einen raschen Blick zuwarf und dann die Augen senkte.

»Ah,« dachte ich, »bist Du eine von denen, die in schwierigen Verhältnissen nicht blaß werden, sondern erröthen: das muß man sich merken!«

»Ich hoffe, Sie werden nachsichtig gegen sie sein,« bemerkte Punin; »wir haben sie nicht zu einer Modendame auferzogen,« dann verließ er die Fruchtbude, während Musa und ich ihm folgten.

* * *

Das Haus, in welchem Punin wohnte, befand sich in ziemlich weiter Entfernung vom Kaufhof, in der Gartenstraße. Auf dem Wege dahin theilte mir mein alter Lehrer der Poetik einiges Nähere über sein Leben und Treiben mit. Seit unserer Trennung hatten Baburin und er Rußland die Kreuz und die Quer durchstreift und bald hier und bald da in Diensten gestanden, bis sie endlich, seit etwa anderthalb Jahren erst, einen festen Zufluchtsort in Moskau gefunden hatten. Baburin war es gelungen, die Stelle eines Buchführers im Comptoir eines reichen Fabrikanten zu erhalten. »Eine nicht besonders einträgliche Stelle,« bemerkte Punin seufzend, »viel Arbeit und wenig Nutzen . . . doch, was ist dabei zu machen, auch dafür muß man Gott danken! Ich selbst suche auch durch Stunden oder Abschreiben etwas zu erwerben, leider sind meine Bemühungen nur bis jetzt nutzlos. Meine Handschrift, wie Sie sich vielleicht erinnern werden, ist altmodisch, nicht für den heutigen Geschmack und bei den Stunden schaden mir oft meine fadenscheinigen Kleider, dann fürchte ich auch noch, daß ich beim Unterricht in der Literatur nicht mehr für den heutigen Geschmack tauge; so sitze ich denn ohne besondere feste Beschäftigung.

»Ja, ja, ich glaube, auch Sie leugnen wohl die alten Götter und wenden sich den neuen zu?«

»Nun, Sie etwa nicht, Nikander Wawilitsch? Verehren Sie wirklich noch immer Ihren alten Cheraskow?« Punin blieb stehen und hob die Hände empor.«

»Im höchsten Grade, mein Herr, im höch. . sten Gra . . . de!«

Und Puschkin, lesen Sie den nicht, gefällt Ihnen der denn nicht?«

Wieder hob Punin beide Hände hoch empor.

»Puschkin?« rief er, »Puschkin ist eine Schlange, eine in grünen Zweigen sitzende, mit Nachtigalls Stimme singende!«

Während wir so mit Punin uns unterhielten und auf dem unebenen Ziegelsteintrottoir der Stadt Moskau dahingingen, jener Stadt, welche »die weißsteinerne« genannt, keinen einzigen Stein hat und durchaus nicht weiß ist, hielt sich Musa dicht neben uns, an Punin’s Seite. Von ihr sprechend nannte ich sie: Ihre Nichte. Punin schwieg eine Weile, kratzte sich den Nacken und theilte mir leise mit, daß er sie nur seine Nichte nenne, daß sie aber keineswegs mit ihm verwandt sei, sondern eine Waise, die Baburin in Woronesch elternlos und von aller Welt verlassen gefunden und auferzogen habe; was aber ihn, Punin, betreffe, so könnte er sie auch ebenso gut Tochter nennen, da er sie wie seine eigene Tochter liebe. Ich zweifle nicht, daß, obgleich Punin absichtlich leise sprach, Musa doch sehr gut verstand, was er sagte: man sah ihr an, daß sie sich ärgerte und schämte: Schatten und Farbe wechselten beständig in ihrem Gesichte und Wimpern und Brauen, Lippen und Nasenflügel bewegten sich und zitterten. s Alles das war reizend, drollig und sonderbar.

* * *

Endlich hatten wir das »bescheidene Nestchen« erreicht. Und in der That bescheiden, fast mehr als bescheiden mußte man das Nestchen nennen. Es bestand aus einem fast in die Erde eingesunkenen einstöckigem Hause mit einem Schindeldache und vier fast blinden Fensterchen nach der Straße zu. Die Ausstattung der Zimmer war ärmlich, etwas unsauber sogar. Zwischen den Fenstern und an den Fenstern hingen ein Dutzend kleiner Vogelkäfige mit Lerchen, Kanarienvögeln, Stieglitzen und Zeisigen. »Meine Unterthanen,« sagte Punin feierlich, indem er mit dem Finger auf die Vögel zeigte. Kaum waren wir eingetreten und kaum hatte Punin Musa den Auftrag gegeben, den Ssamowar aufzustellen, als auch Baburin erschien. Er schien mir bedeutend mehr als Punin gealtert, wenn gleich sein Gang nach wie vor fest und sein Gesichtsausdruck derselbe geblieben war; er war nur magerer geworden, die Wangen hohler und in seinem dichten Vollbart hatten sich graue Haare eingestellt. Mich erkannte er nicht und zeigte auch kein besonderes Behagen, als Punin mich ihm nannte; kaum, daß er mit den Augen blinzelte und mir zunickte, dann fragte er mich trocken und geringschätzig: ob meine »Alte« noch lebe – und nichts sonst. Sein Benehmen schien mir zu sagen: »Aus eines Edelmanns Besuch mache ich mir nicht so viel, der schmeichelt mir nicht im Geringsten.«

Der Republikaner, nach wie vor! Musa kehrte zurück; ein altes Mütterchen trug hinter ihr her einen schlecht geputzten Ssmowar. Punin machte sich nun geschäftig an’s Theemachen und schenkte mir, dem Gast, ein Glas ein, dann Baburin, Musa und sich. Unterdessen saß Baburin am Tisch, stützte den Kopf in beiden Händen und blickte sich müden Blickes um. Beim Thee indeß wurde er etwas gesprächiger. Mit seiner Stellung war er unzufrieden. »Ein gefühlloser Geizhals von niederer Denkungsart, kein Mensch,« sagte er von seinem Prinzipal; »seine Untergebenen sind in seinen Augen keine Menschen – Pöbel, das keinen Werth hat; während es noch gar so lange nicht her ist, daß er selbst nichts Besseres war. Die personificirte Habgier; schlechter hat man’s bei ihm als selbst im Dienst der Regierung! Der ganze hiesige Handel ist auf nichts als auf Betrügerei und Schwindel begründet und hält sich »nur durch diese!«

Punin seufzte nur und schüttelte den Kopf bei diesen betrübenden Aussprüchen, während Musa hartnäckig schwieg und sich augenscheinlich mit dem Gedanken quälte, was für ein Mensch ich wohl eigentlich sei, ob ich zu schweigen verstehe, oder ein Schwätzer sei – und wenn ich vielleicht schweige, ob ich nicht vielleicht meine Nebenabsichten habe. Ihre schwarzen unruhigen Augen blitzten mich prüfend, ja fast feindlich unter den gesenkten Wimpern an, . . . mir wurde fast unheimlich unter diesen Blicken. Baburin redete nur selten mit ihr, doch klang seine Stimme, wenn er das Wort an sie richtete, fast freundlich und hatte durchaus nichts väterliches.

Punin hingegen scherzte offen mit ihr auf seine Art, sie antwortete ihm jedoch sichtlich ungern. Er nannte sie nur Schneehühnchen, Schneevögelchen.

»Warum nennen Sie Fräulein Musa denn gerade Schneehühnchen ?« fragte ich ihn.

»Ei, weil sie so kalt ist,« antwortete er schmunzelnd.

»Vernünftig ist sie,« fügte Baburin hinzu, »wir es einem jungen Mädchen zukommt.«

»Wir könnten Sie auch unser Hausfrauchen nennen, was meinst Du dazu?« rief Punin aus; »nun, Paramon Semeonitsch, hab’ ich recht?« – Baburin zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen; Musa wendete sich ab . . . Ich verstand diese Anspielung damals nicht.

So mochten ein paar eben nicht heitere Stunden vergangen sein, während Punin sich alle erdenkliche Mühe gab, die Gesellschaft zu unterhalten. So hockte er unter Anderem vor einem Vogelbauer nieder, öffnete dem Kanarienvogel die Thür und commandirte: »Marsch, hinaus auf die Kuppel und gieb uns ein Concert zum Besten.«

Das Kanarienvögelchen flatterte gehorsam hinaus, setzte sich aus die Kuppel, d.h. auf Punin’s Glatze, drehte sich kokett von einer Seite auf die andere, schüttelte die Flügel und fing laut zu zwitschern an. Während es sang, saß Punin, ohne sich zu rühren, begleitete den Gesang nur mit dem ausgestreckten Finger und verdrehte die Augen. Ich mußte laut auflachen . . .weder Baburin noch Musa verzogen eine Miene.

Vor meinem Weggehen setzte Baburin mich durch eine unerwartete Frage in Erstaunen. Er wünschte von mir, als von einem gelehrten Menschen, der ja die Universität besuche, zu wissen, was Zeno eigentlich für eine Persönlichkeit gewesen sei.

»Welchen Zeno meinen Sie?« fragte ich ihn verwundert.

»Nun Zeno, den alten Weltweisen.

Es ist doch nicht möglich, daß Sie den nicht kennen sollten?«

Ich erinnerte mich dunkel des Namens Zeno als des Gründers der Lehre der altgriechischen Stoiker, sonst wußte ich aber nichts weiter von ihm. »Ein Philosoph war er,« antwortete ich endlich.

»Zeno ist derselbe Weise, hub Baburin langsam, gewissermaßen im Lehrton an, »der da den Ausspruch gethan hat: daß das Leiden kein Uebel ist, da die Geduld dasselbe überwindet; das einzige Gute aber auf dieser Welt, sagte er, ist die Gerechtigkeit; ja die Tugend selbst ist nichts Anderes als nur Gerechtigkeit ! – Ich habe diesen Spruch von einem hiesigen Einwohner, dem glücklichen Besitzer vieler alter Bücher; – er hat mir vor Allen gefallen. Aber ich sehe wohl, mit dergleichen beschäftigen Sie sich dort nicht.«

Da hatte Baburin freilich recht. Mit der Art Gegenständen beschäftigte ich mich wirklich nicht. Seit meinem Eintritt in die Universität war ich übrigens fast eben solch’ ein Republikaner geworden, als Baburin es war. Von Mirabeau und Robespierre hätte ich mit Begeisterung reden können. Und nicht allein von Robespierre, hingen ja sogar Fouquier-Tinville und André Chenier’s Bilder über meinem Schreibtisch! – Aber Zeno?! – Woher hatte Baburin nur den Zeno aufgestöbert? – Veraltet!«

Als ich Abschied nahm, drang Punin in mich, daß ich sie am folgenden Tage, am Sonntage, besuche. »Baburin hingegen forderte mich zu keinem Besuche auf und bemerkte nur zwischen den Zähnen murmelnd: daß eine Unterhaltung zwischen einfachen Leuten, die auf einer niederen Gesellschaftsstufe ständen, mir wohl eben kein großes Vergnügen gewähren, auch wahrscheinlich meiner »Alten« eben nicht sehr angenehm sein würde . . . Hier jedoch unterbrach ich ihn und gab ihm zu verstehen, daß meiner Großmutter Wille für mich nicht mehr als Gesetz gelte.

»Aber die Verwaltung des Gutes haben Sie noch nicht übernommen?« fragte Baburin.

»Nein, noch nicht,« antwortete ich.

»Nun so sind Sie ja . . . « Baburin beendigte den angefangenen Satz nicht, den ich aber in Gedanken vervollständigte.

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04 aralık 2019
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