Kitabı oku: «Als Lilly schlief», sayfa 2
Ich sehe im Traum den Fernsehbericht von der erfolgreichen Festnahme von Bernd und Frank, da wache ich plötzlich auf, bemerke durch meine geschlossenen Lider, dass es immer noch stockdunkel um mich herum ist, und bin schweißgebadet.
Gut, dass wir Frank damals unter Druck setzen konnten, erst neulich habe ich ihn gesehen, als er abends in die Kneipe ging, in der er kellnert. Krumme Dinger hat er nie gedreht. Nachdem wir ihn mit unserer Filmrolle erschreckt hatten, hielt er sich von den anderen Kindern fern und mit Bernd war er auch nie befreundet. Der ist nämlich ein paar Monate, nachdem wir Frank so erfolgreich die Hände gebunden haben, bei einem selbst verschuldeten Unfall mit einem geklauten Moped gestorben.
Ob das alles wirklich so gekommen wäre, wenn Mia und ich Frank damals nicht mit unserem Trick in die Schranken gewiesen hätten? Was wäre dann noch alles passiert? Warum habe ich solche Träume? Ich soll doch gesund werden, da kann man wohl erwarten, dass man im Schlaf nicht so schrecklich gestresst wird. Ich sollte von schönen Dingen träumen, z.B. von sonnigen Sandstränden in der Karibik, einem fruchtigen Cocktail in meiner Hand und Jan, der mir den Rücken mit Sonnenmilch eincremt. Das wäre entspannend, aber nein, ich muss ja mein Leben neu träumen.
Ich liege noch eine Weile im Dunkeln, bin verwirrt und denke über meinen Unfall nach. Ich ärgere mich, dass ich meine Augen, obwohl ich doch wahrscheinlich wach bin, einfach nicht öffnen kann, bis ich schließlich wieder einschlafe.
3.
Sophie seufzt und dreht sich zu Felix herum. Der kleine Junge schläft ruhig in seinem Krankenhausbett, er hat nur ein paar Kratzer am Arm und einen leichten Schock, ist ansonsten glücklicherweise völlig gesund und darf hoffentlich bald wieder nach Hause. Sophie setzt sich vorsichtig auf das kleine Bettchen und legt ihren Kopf neben den von Felix. Die Haltung ist zwar sehr unbequem, aber nach diesem Tag möchte sie ihren Sohn am liebsten nie mehr aus den Augen lassen.
Wie konnte sie nur so nachlässig sein??? Da streitet sie sich so sehr mit dieser alten Hexe, dass sie beinahe ihr Kind verloren hätte? Wenn die junge Frau nicht so geistesgegenwärtig auf die Straße gerannt wäre, sie möchte gar nicht daran denken, wie ihr Abend jetzt aussehen würde. Sie fühlt einen unendlichen Schmerz bei der Vorstellung an ein Leben ohne Felix. Nein, das darf nie passieren.
Oliver ist mit Nele nach Hause gegangen, nachdem er sie immer wieder beruhigt hat, dass doch nichts passiert ist und sie sich keine Vorwürfe machen soll. Zum Glück hat er so viel Verständnis, sie ist sehr froh, dass sie ihn hat.
Ihre Tochter Nele war furchtbar aufgewühlt, weil ihr kleiner Bruder beinahe vom Auto überfahren worden wäre. Sie hat fast noch mehr geweint als Felix, der nach dem Schock erstmal nur schwer zu beruhigen gewesen war.
Felix stöhnt im Schlaf und dreht sich herum. Sophie streichelt ihm über den Kopf und nachdem er sich beruhigt hat, geht sie ans Fenster und schaut hinaus in den Krankenhausgarten, der im Dunkeln vor ihr liegt, nur schwach beleuchtet von einigen Laternen. Sie blickt nach links zum Seitenflügel, irgendwo dort hat man die junge Frau untergebracht, die ihren Sohn von der Straße gestoßen hat und dann selber von dem Auto gestreift wurde. Vor Sophies innerem Auge läuft die ganze Szene immer wieder ab, wie in Zeitlupe. Sie sieht sich erst noch mit der alten Frau Hartung aus dem 3. Stock streiten, hört den Schrei der jungen Frau und als sie sich umdreht, stolpert ihr Sohn über den Bordstein. Die Frau hat ihn fort geschubst, in dem Moment wird sie selbst von dem Auto gestreift, fliegt ein Stück durch die Luft, prallt mit dem Kopf gegen einen Pfahl und bleibt reglos liegen. Der Autofahrer ist sofort aus seinem Fahrzeug gesprungen und hat den Notarzt gerufen. Er wollte Felix ausweichen und hat dadurch die junge Frau erwischt, die ebenfalls Felix helfen wollte und nicht auf das Auto geachtet hat. Der arme Mann war ganz schön fertig.
Sophie schaut die Krankenhausfenster an, einige sind dunkel, manche erleuchtet, so viele Menschen liegen hier in diesem Gebäude, mit ihren ganz eigenen Sorgen und Ängsten.
Sophie fühlt sich schon lange nicht mehr richtig wohl. Ihre Familie liebt sie über alles, ihren Mann, ihre 7-jährige Tochter Nele und den kleinen Felix, mit dem sie schon fast nicht mehr gerechnet hatten. Seit kurzem gibt es da noch Fleck, einen Jack-Russel Welpen, sehr süß, aber leider auch noch nicht 100%-ig erzogen. Und genau dieser kleine Hund war der Grund für ihren Ärger mit Frau Hartung, hatte er es doch gewagt, seinen kleinen Kopf blitzschnell aus dem Halsband zu befreien und Frau Hartung anzuspringen. Diese hatte daraufhin behauptete, ihre Hose sei nun ruiniert und Sophie müsse die Reinigung bezahlen, und überhaupt, nun auch noch diese Töle, wo sie doch schon ihre Kinder nicht im Griff hätte. Da ist Sophie der Kragen geplatzt und sie hat Frau Hartung angeschrien, dass ihr Hund viel sauberer ist als die blöde Hose, die Frau Hartung schon seit Jahren immer trägt, dass sie sehr wohl mit ihren Kindern klar kommt und das Frau Hartung doch eine verbitterte alte….. ja… Hexe ist. Dann hörte sie schon den Schrei...
Oh Gott. Hatte sie Frau Hartung wirklich ins Gesicht gesagt, was sie sonst immer nur dachte bzw. worüber sie nur mit ihrem Mann sprach? Dass diese Frau eine richtige Hexe sei? Wie sollte sie ihr je wieder unter die Augen treten? Sie hat keine Ahnung, wo Frau Hartung nach dem Unfall abgeblieben war. Sie hat sich um den weinenden Felix gekümmert und die junge Frau angestarrt, die reglos dalag und der ein kleines, blutiges Rinnsal über die Stirn lief.
Sophie geht zu ihrem Bett, dabei fällt ihr Blick auf ihre Handtasche, in der eine kleine Tüte steckt. Eine kleine Tüte, deren Inhalt ihr sofort Gewissheit bringen könnte, ob sie sich zusätzlich zu einem Hundewelpen in ein paar Monaten noch um ein weiteres Baby würde kümmern müssen. Sie weiß nicht, ob sie darüber erfreut wäre, momentan bringt sie das nur sehr durcheinander. Sie wollten nach Nele so gerne noch ein Kind, am besten schnell, damit der Abstand nicht so groß ist. Aber dann vergingen zwei Jahre, dann drei und nichts passierte. Nele war schon 5, als Sophie endlich doch wieder schwanger war, damals hatten sie sich alle so gefreut. Als Sophie dann mit dem kleinen Felix zu Hause war, fand sie das zuerst sehr ungewohnt. Nun also das Ganze wieder von vorne, ein Baby wickeln, alle paar Stunden füttern, riesige Windelpakete und haufenweise Breigläschen nach Hause schleppen. Nele war schon so groß, sie konnte sprechen, brauchte keine Windeln, konnte unterwegs alles möglich essen, man brauchte keine Fläschchen, keinen Brei und keine riesige Spielzeugansammlung mitnehmen. Sophie hatte sich dann überraschend schnell wieder an den Alltag mit einem Baby gewöhnt, im Nachhinein sind die letzten 2 ½ Jahre wie im Flug vergangen. Wollte sie das noch mal?
Oliver würde sich sicher freuen, er liebte Kinder, je mehr, desto besser, aber würde sie das packen? Sie fand es schön mit zwei Kindern, sie war froh, dass Felix auch schon 2 ½ war, dass er mit seiner Schwester spielen konnte. Sophie fühlte sich gerade etwas rastlos, überlegte, wie sie wieder eigenes Geld verdienen könnte, was sie noch mit ihrem Leben anfangen wollte, schließlich war sie erst 38. Und nun das. Ein drittes Kind war in ihren Überlegungen nicht vorgekommen.
Sophie sieht ihre Tasche schräg an, dann schiebt sie Felix kleines Bettchen vorsichtig neben ihr eigenes, krabbelt unter ihre Decke und schläft sofort ein.
4.
In einer stillen, dunklen Wohnung in einem ruhigen Stadtteil sitzt eine ältere Dame am Fenster und schaut in die Dunkelheit. Sie hat sich in eine dicke Decke gewickelt, zittert aber immer noch. Sie hockt schon ein paar Stunden so da, hat gesehen, wie Herr Schulz mit seiner kleinen Tochter und dem Hund nach Hause kam, seine Frau und der Sohn waren nicht dabei. Sie würde gerne klingeln und fragen, wie es Frau Schulz und ihrem kleinen Sohn geht, aber sie traute sich nicht. Schließlich hatte Frau Schulz ihr vorhin nur zu deutlich gesagt, was sie von ihr hielt. Sie sei eine alte Hexe. Danach gab es diesen schrecklichen Knall, der Sohn von Frau Schulz stolperte gegen den Bordstein, fing an zu weinen und die junge Frau, die ihn vor dem Auto retten wollte, flog durch die Luft. Der süße kleine Junge. Eigentlich war diese nette Familie genau das, wovon sie selbst, Eva Hartung, immer geträumt hat. Ein freundlicher Mann, zwei süße Kinder und ein Hund, so richtig wie im Bilderbuch. Eva hatte sich nach dem Unfall geschockt in ihre Wohnung zurückgezogen, jetzt schämt sie sich. Vielleicht hätte man ja eine Zeugenaussage von ihr gebraucht. Aber durften Hexen überhaupt aussagen??? Eva seufzt. Ganz ehrlich, die Frau hat Recht. Seit ihr Mann sie vor 12 Jahren verlassen hatte, war sie tatsächlich zu einer alten Hexe geworden. Eine, über die sie sich früher lustig gemacht hatte. Eine alte Frau, die nichts Besseres zu tun hat, als sich über alles und jeden aufzuregen. Wo war die alte Eva, die gute Laune hatte, lachen konnte und Spaß hatte? Es konnte doch nicht sein, dass Georg sie nicht nur verlassen, sondern auch ihre Lebensfreude mitgenommen hat?
So groß der Schock damals auch gewesen war, als Georg ihr eröffnet hatte, dass er sie verlässt, weil er mit dieser ewigen Lüge nicht mehr Leben kann, nach 12 Jahren müsste sie doch endlich darüber hinweg sein.
Es war schon ein harter Schlag für sie, zu erfahren, dass Georg sich in einen Mann verliebt hatte. Das war fast noch schlimmer als der Moment, als er ihr eröffnete, dass er nicht mehr mit ihr zusammen leben möchte, weil er sich zu jemand anderem hingezogen fühlte, der seine Gefühle auch erwiderte. Wäre die andere Person eine Frau gewesen, so hätte sie wenigstens noch um ihn kämpfen können, aber so erschien ihr das alles hoffnungslos.
Georg hatte ihr damals gesagt, dass er bereits öfter an seinen Gefühlen gezweifelt hatte, dass er sich schon früher zu Männern hingezogen gefühlt hatte. Seine Erziehung hatte ihm aber verboten, diesen Gefühlen nachzugeben. Er war der Meinung, das gehört sich nicht und wollte ein Leben wie alle seine Freunde, mit einer Frau und Kindern. Das mit den Kindern hatte nicht geklappt, was Eva inzwischen auch nicht mehr verwunderte. Georg war zwar ein sehr netter, liebevoller Mann, hatte allerdings nicht so häufig das Bedürfnis gehabt, mit ihr zu schlafen. Eva hatte sich darüber manchmal gewundert, aber sie hatte es akzeptiert. Im Nachhinein war ihr natürlich klar, warum Georg sie nicht so begehrenswert gefunden hatte. Ihr fielen die Blicke ein, die er dem hübschen Spanischen Kellner auf ihrer Hochzeitsreise zugeworfen hatte. Es hatte ab und zu solche Blicke gegeben, damals hatte sie diese nie ernst genommen. Georg musste darunter gelitten haben, seine wahre Neigung so lange zu verbergen, jetzt erschien ihr das furchtbar. Überhaupt hatte dieser Tag sie endlich einmal zum Nachdenken gebracht. Sie lebte seit 12 Jahren in einem Cocoon aus Verbitterung und Selbstzweifeln, anstatt ihr Leben in die Hand zu nehmen. Es hatte nicht an ihr gelegen, dass Georg gegangen war, das hatte er ihr auch versichert, aber sie ist in so ein tiefes Loch gefallen, hat sich allem gegenüber verschlossen und so viele Jahre ihres Lebens vergeudet. Sie hat sich gehen lassen und keine Freude mehr empfunden. Georg hatte sich immer mal wieder bei ihr gemeldet, weil er sie noch sehr mochte, aber sie hatte das abgeblockt. In den letzten Jahren waren seine Anrufe seltener geworden, und Eva merkt, dass sie das zutiefst bedauert, denn Georg war, bevor er ihr Liebhaber und Ehemann wurde, eigentlich ein sehr guter Freund gewesen. Einer, den sie bis heute gerne mochte. Wenn sie ehrlich war, vermisste sie die Gespräche mit ihm mehr, als sie um die gescheiterte Ehe trauerte.
Eva stößt einen tiefen Seufzer aus, starrt in die Dunkelheit und schwört sich, ab jetzt ihr Leben wieder zu leben und nicht mehr muffelig durch die Gegend zu laufen. Sie würde bei Familie Schulz klingeln und sich für ihr Benehmen entschuldigen. Sie würde sich auch bei Georg melden, schließlich mag sie ihn immer noch sehr und er hatte ihr ein ums andere Mal versichert, wie gerne er mit ihr befreundet bleiben möchte.
Eva steht auf und schaut in den Spiegel. Ganz dringend muss sie zum Friseur. Sie hatt keine Lust mehr auf den Zopf, den sie ewig trägt, weil es so praktisch ist. Früher hatte sie sich gerne hübsch angezogen und sich die Haare frisiert, aber nach dem Outing von Georg war das alles vorbei. Wenigstens hat sie sich nicht mit Süßigkeiten voll gestopft, sie weiss, dass ihre schönen Kleider noch passen, sie hat verstohlen manchmal eins anprobiert, es hatte allerdings nie zu ihrer Laune gepasst. Eva probiert zaghaft, ihr Spiegelbild anzulächeln. Das hat sie schon lange nicht mehr getan, aber es tut ihr überraschenderweise sehr gut. Sie grinst breit in den Spiegel und ihre braunen Augen funkeln fast wie früher.
Die alte Eva ist endlich wieder da.
5.
Um 6:30 Uhr ist die Nacht für Sophie vorbei. Felix erwacht und brüllt wie am Spieß, sie und die herbeigeeilte Schwester haben Mühe, ihn wieder zu beruhigen. Der Kleine leidet noch an den schrecklichen Erinnerungen des Unfalls, hatte unruhig geschlafen, immer wieder im Schlaf geschluchzt und sich eng an seine Mutter geschmiegt. Sophie fühlt sich völlig zerschlagen, sie hat das Gefühl, dass sie höchstens eine halbe Stunde geschlafen hat. So schlimm war es nicht mal gewesen, als Felix oder Nele Babys waren.
Inzwischen hat Felix sich zwar beruhigt und spielt zufrieden mit einem Puzzle, aber schlafen möchte er leider nicht mehr, also bleibt Sophie nichts anderes übrig, als neben ihm zu sitzen und ihm beim Puzzeln zuzusehen. Sie hofft, dass sie bald nach Hause dürfen. Sie langweilt sich, schließlich kann sie mit Felix hier nicht viel machen, nicht mal der Krankenhausgarten bietet eine Abwechslung, denn es regnet in Strömen.
Sophie gähnt, als neben ihr das Telefon klingelt. »Guten Morgen, mein Schatz, was macht unser Kleiner?«, begrüßt Oliver sie. »Er hat schlecht geschlafen und ist um halb sieben brüllend aufgewacht. Inzwischen hat er sich beruhigt, gefrühstückt und puzzelt. Ich bin hundemüde. Apropos Hund, ich hoffe, Fleck hat nicht wieder in meinen Ficus gepinkelt.« »Ich war schon mit ihm draußen, er ist ganz brav heute, hat gestern wohl auch einen Schreck bekommen. Ich komme bald zu Dir und löse Dich ein wenig ab, damit Du Dich ausruhen kannst. Nele fragt schon die ganze Zeit, wann ihr endlich nach Hause dürft.« Sophie seufzt »Ich hoffe, wir können nachher das Krankenhaus verlassen. Wenn der Arzt zur Visite kommt und sich Felix angesehen hat, erfahren wir mehr«.
Oliver verabschiedet sich, er möchte Brötchen holen und mit Nele frühstücken, damit sie bald Sophie und Felix besuchen können, und Sophie schaut kurz hinaus in den Regen. Draußen ist alles trübe und grau, gestern war es noch so schön, heute gießt es in Strömen.
Felix ruft sie, er hat ein Puzzleteil verloren und kann es in seinem Bett nicht finden. Die Suche nach dem fehlenden Teil bringt ihr wenigstens ein wenig Bewegung. Sie hat das Gefühl, sie sitzt hier schon Stunden herum. Sophie schaut auf die Uhr: Erst 8:20 Uhr??? Das kann nicht sein, sind denn noch keine 2 Stunden vergangen? Felix ist bald fertig mit seinem Puzzle, dann wird er sich langweilen, quengeln und nach Beschäftigung verlangen. Oliver hatte ihr zwar ein paar Spielsachen ins Krankenhaus gebracht, aber das war nichts gegen die eigene Wohnung, in der Felix mit seiner Schwester spielen konnte.
Sophie fixiert die Zeiger der Uhr und wünscht sich magische Kräfte, die ihr die Fähigkeit verleihen, die Zeit schneller vergehen zu lassen.
In dem Moment öffnet sich die Tür und der nette Kinderarzt erscheint. »Na Felix, wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?« Felix strahlt den Mann an, grinst und sagt: »Alles gut«. »Ich möchte dich gerne ein wenig untersuchen, damit wir sehen können, ob du bald wieder nach Hause darfst. Zeig mir mal bitte deinen Arm.« Felix hebt seinen Arm, der Arzt entfernt den Verband und begutachtet die Schrammen. Danach leuchtet er Felix mit einer Lampe in die Augen, hört ihn ab und betastet seinen Bauch. »War ihm irgendwann übel?« »Nein, er hat zwar unruhig geschlafen, aber schlecht war ihm nicht.« Der Arzt lächelt Sophie an. »Sie können wieder nach Hause gehen, Felix bekommt noch eine Salbe auf die Schrammen, aber es sieht alles sehr gut aus. Er soll sich noch ein wenig erholen, dann ist er bald wieder der Alte.« »Das ist schön. Ich habe aber noch etwas auf dem Herzen: Wissen Sie, wie es der jungen Frau geht, die Felix gerettet hat?« »Da kann ich Ihnen leider nichts sagen, sie liegt auf Station 4. Ich weiß nicht, ob Sie sie besuchen können. Vielleicht fragen Sie dort mal eine Schwester«.
Eine Stunde später erscheint Oliver mit Nele. Felix fliegt Oliver in die Arme. »Ich darf nach Hause, Papa, ich darf nach Hause« jauchzt Felix vor Freude. »Das ist ja super mein Süßer, dann packen wir schnell Deine Sachen damit wir hier verschwinden können.« Sophie zupft Oliver am Ärmel und flüstert ihm zu: »Ich möchte mich gerne nach der jungen Frau erkundigen, die Felix gestern gerettet hat. Ich schaue noch mal auf Station 4 vorbei. Könntest Du in der Zwischenzeit alles einpacken und Dich darum kümmern, dass wir den Arztbericht bekommen? Ich beeile mich auch.«
»Klar, ich warte hier auf Dich oder in der Eingangshalle.«
Sophie fährt mit dem Fahrstuhl einen Stock höher und läuft die Gänge entlang zu Station 4. Dort ist es, im Gegensatz zur Kinderstation, sehr ruhig. Als Sophie eine Schwester entgegenkommt, hält sie diese an. »Guten Tag, mein Name ist Sophie Schulz. Ich suche eine junge Frau, dunkelhaarig, etwa so groß wie ich, die gestern Mittag nach einem Autounfall eingeliefert wurde. Sie hat meinem Sohn das Leben gerettet und wurde dann selber von dem Auto erfasst. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie immer noch bewusstlos. Ich wüsste gerne, ob ich sie besuchen darf bzw. wie es ihr geht.« »Ach, Sie meinen bestimmt Frau Lilly Vogel. Sie liegt im Zimmer 422, ist leider noch nicht ansprechbar. Momentan sind gerade ihre Eltern bei ihr, vielleicht warten Sie, bis jemand aus dem Zimmer kommt und fragen nach. Ansonsten können Sie auch in den nächsten Tagen hier bei uns anrufen und sich nach ihr erkundigen. Ich würde Ihnen dann Bescheid sagen, wenn sie Besuch empfangen kann. Näheres darf ich Ihnen wegen der Schweigepflicht nicht sagen, aber ich kann gut verstehen, dass Sie sie gerne besuchen möchten.« Die Schwester lächelt sie an und Sophie entschließt sich, sich in den nächsten Tagen nach Lilly zu erkundigen und dann nochmal mit einem großen Blumenstrauß im Krankenhaus vorbeizufahren. Sie notiert sich den Namen der Schwester, die Telefonnummer der Station und den Namen von Lilly. Schließlich lungert Sophie noch ein wenig vor Lillys Zimmer herum, in der Hoffnung, dass jemand heraus kommt, von dem sie etwas über Lillys Zustand erfahren kann.
Die kleine Apothekentüte in ihrer Tasche hat sie inzwischen völlig vergessen.
6.
Ich sitze über einem Mathematik-Lehrbuch und versuche, diese merkwürdige Formel zu kapieren. Mia sitzt neben mir, ist aber genauso ahnungslos wie ich, und das kurz vor der Abiprüfung.
Ach, ich hätte mir doch ein anderes Prüfungsfach aussuchen sollen, dieser Lehrer ist komisch und kann den Lehrstoff einfach nicht gut vermitteln. Dabei war Mathematik immer eins der Fächer, die ich mochte, da hatte ich aber auch noch unsere freundliche, ältere Lehrerin. Sie konnte super erklären, bei ihr hat der Unterricht richtig Spaß gemacht. Deswegen haben Mia und ich es auch als Leistungskurs belegt, allerdings hat dann nicht die tolle Lehrerin den Kurs bekommen, sondern dieser dämliche, durchgeknallte Lehrer. Seitdem haben wir das Gefühl, Mathematik ist ein Buch mit sieben Siegeln. Aber es hilft nichts, wir müssen da jetzt durch. Mia guckt mich schräg an, grinst und meint: »Heute ist noch eine Party bei Lars«, sie lässt den Satz in der Luft hängen und wartet. »Man braucht doch auch mal eine Pause, oder?« Schiebt sie schließlich nach. »Klar, aber dann rassel ich nächste Woche durch die Prüfung. Ich weiß, es ist Wochenende, ich würde auch lieber tanzen gehen, aber jetzt ist Endspurt, wir haben es bald geschafft.« Ich seufze, stehe jedoch voll hinter dem, was ich gerade gesagt habe ….. also fast … ich tanze so gerne und außerdem mag ich Lars sehr. Ich war erstaunt, als er mich eingeladen hat, ich dachte immer, er nimmt mich gar nicht wahr. Aber er hat nächste Woche auch keine Mathe-Prüfung, sondern Sport und Geschichte, und das schafft er sicher spielend. Ich stehe auf, gehe zu meiner Anlage und lege die CD von den Stereo-MC´s ein, die wir gerade so toll finden. »Okay, eine halbe Stunde Tanzpause!«, rufe ich, und Mia fällt mir lachend in die Arme. Wir gehen zwar nicht auf eine Party, aber diese halbe Stunde tut uns so gut, dass wir danach sogar die Formel knacken. Endlich!
Drei Tage später sitzen wir zusammen in der schriftlichen Mathe-Prüfung. Ich finde den Gedanken, 5 Stunden Aufgaben lösen zu müssen, immer ganz schlimm. Wenn mir nun nichts einfällt??? Dann vergeht der Vormittag, während ich ahnungslos die Unterlagen durchsehe und am Ende leere Blätter abgebe. 5 Stunden erscheinen mir immer viel zu lang, aber dann läuft es doch richtig gut. Ich arbeite konzentriert, kann die Aufgaben gut lösen und die Zeit vergeht ziemlich schnell.
Als wir die Prüfungsunterlagen aushändigen müssen, schaue ich zu Mia hinüber, die mich anstrahlt. Wir verabschieden uns kurz von den Anderen, beschließen dann aber, lieber bei mir einen Tee zu trinken. Nach den Prüfungen geht nämlich immer diese nervige Vergleicherei los. »Was hast du bei Aufgabe 3 gemacht? Welches Ergebnis kommt bei Aufgabe 5 raus?« Alle stehen im Kreis und machen sich verrückt. Mia und ich mögen das nicht, wir können jetzt nichts mehr ändern. Aber wir haben beide ein sehr gutes Gefühl und sind stolz, dass wir am Wochenende lieber ein wenig gelernt haben, statt auf die Party zu gehen. Auf dem Weg zu mir kommen wir an einem netten Café vorbei. Ich möchte Mia gerade vorschlagen, dass wir auch dort etwas trinken können, da sehe ich durch die Fensterscheibe Lars, und er ist leider nicht alleine. Er hält Händchen mit Doro, die anscheinend die Gunst der Stunde bzw. die Gunst der Party genutzt hat, um Lars näher zu kommen. So ein Mist, mir steigen Tränen in die Augen. Mia erfasst die Situation blitzschnell und zieht mich weiter. Bei mir zu Hause setzt sie mich aufs Sofa und kocht eine Kanne Tee. »Wenn er so schnell was mit einer Anderen anfängt, ist er es nicht wert, dass du jetzt Trübsal bläst. Von deiner Schwärmerei wusste er ja schließlich gar nichts.« Ich schlucke, wische mir eine Träne von der Wange und schniefe: »Das wird er nun auch nicht mehr erfahren, der Schuft. Mensch, ich hatte mich so gefreut, als er mich gefragt hat, ob ich auf seine Party komme. Ich dachte, er mag mich.« Ich ärgere mich ein wenig, ich bin immer so schüchtern. Ich traue mich nie, die Jungs anzusprechen, die mir gefallen. Und wenn sie mich ansprechen, dann fange ich an zu stottern und werde rot. Okay, ehrlicherweise muss ich zugeben, dass Lars natürlich auch ein paar andere Mädchen aus unserem Jahrgang eingeladen hat, aber gefreut habe ich mich trotzdem. Mia knufft mich in die Seite. »Sei nicht traurig, in drei Wochen sitzen wir im Flieger nach Barcelona und machen uns eine schöne Zeit«. Ach ja, unsere »Hurra-wir-haben-es-geschafft« Reise. Das wird toll.
Drei Wochen später, mit einem richtig guten Abi in der Tasche, geht es los. Wir fliegen nach Barcelona. Wir haben uns für diese Stadt entschieden, und nicht für Mallorca oder Ibiza, wie die meisten anderen, weil wir so viel Schönes darüber gehört haben. Man kann so einiges besichtigen, außerdem liegt Barcelona auch am Meer und wir können gleich mal unser Schul-Spanisch ausprobieren.
Ich bin schon kurz nach der Landung hin und weg. Ich finde das immer wundervoll, man steigt in Deutschland in den Flieger, fliegt ein paar Stunden, landet am Meer und hat sofort diesen typischen, milden Meeresduft in der Nase. Im Winter, wenn ich über Silvester mit meinen Eltern nach Lanzarote abgehauen bin, um dem Geknalle zu entfliehen, ist es natürlich besonders schön. Man steigt aus der Maschine und die Luft ist warm und irgendwie weicher.
Zuerst fahren wir mit dem Taxi in unser gemütliches, kleines Hotel, richten uns ein, machen uns frisch und beschließen dann, die Las Ramblas entlang zu laufen um ein nettes Restaurant zu suchen.
Die Straße ist wunderschön und so voller Leben. Es gibt wahnsinnig viele hübsche Läden, rechts und links stehen Bäume, die Schatten spenden, überall sind Akrobaten und Straßenkünstler und jede Menge kleine Cafés. Schließlich finden wir ein schnuckeliges Restaurant, welches uns gefällt, setzen uns unter einen Sonnenschirm und beobachten die Menschen, die an uns vorbei flanieren. Irgendwann habe ich das Gefühl, dass ich beobachtet werde. Mia grinst mich an und flüstert mir zu: »Ich glaube, du hast einen spanischen Verehrer. Der Typ an dem Tisch rechts von uns guckt die ganze Zeit zu dir herüber«. Ich drehe mich verstohlen ein Stück in die angegebene Richtung und blicke in das strahlende Gesicht eines nett aussehenden Südländers. Ich kann gar nicht anders, als zurück zu grinsen. Das versteht er wohl als Aufforderung, er steht auf, nimmt seinen Kaffee und kommt zu uns an den Tisch. Er fragt uns, ob wir Spanisch, Deutsch oder Englisch sprechen können und als wir ihm sagen, dass wir aus Deutschland sind, fragt er in ziemlich gutem Deutsch, ob er sich zu uns setzten darf. Wir bejahen und erfahren dann, dass er Pablo heißt und aus Barcelona kommt. Er hat aber im letzten Jahr ein Auslandssemester in München verbracht. Er studiert Wirtschaft, wird aber im nächsten Semester fertig. Dann fragt er uns, wie lange wir schon in Barcelona sind, wie lange wir noch bleiben und was wir uns alles so ansehen möchten. Da er Semesterferien hat und nur an drei Tagen in der Woche jobbt, bietet er sich als Fremdenführer an. Pablo kann sehr interessant über seine Heimatstadt erzählen, und er sieht wirklich wahnsinnig gut aus. Er ist groß (okay, im Verhältnis zu mir sind ja eigentlich alle groß), hat wuschelige, schwarze Haare und verschmitzte, braune Augen. Wir reden und reden und merken kaum, wie die Zeit vergeht. Irgendwann fängt Mia an zu gähnen und ich spüre ebenfalls, dass ich vom Flug etwas erschöpft bin. Inzwischen ist es dunkel geworden, was dem Betrieb auf der Prachtstraße aber keinen Abbruch tut. Es sind immer noch wahnsinnig viele Leute unterwegs. Pablo begleitet uns netterweise zu unserem Hotel, wir tauschen unsere Handynummern aus und dann fallen Mia und ich auch schon hundemüde in unsere Betten.
Am nächsten Tag treffen wir Pablo vor der Sagrada Familia. Wir wollten dieses ewig unfertige Bauwerk von Antoni Gaudi unbedingt einmal sehen. Ich bin ziemlich erstaunt, wie hoch die vier Türme sind. Pablo erzählt uns, dass Gaudi eigentlich 18 Türme vorgesehen hatte, dass es aber keinen umfassenden definitiven Bauplan gibt, weil Gaudi immer mal wieder improvisiert hat und die Pläne nach Bedarf von ihm geändert wurden. Pablo schlägt uns vor, auf einen Turm zu gehen, man hätte von dort oben einen schönen Ausblick. Mia ist sofort begeistert und ich möchte mir vor Pablo auch keine Blöße geben, also zahlen wir und fangen mit dem Aufstieg an. Dass ich unter Höhenangst leide, verschweige ich Pablo. In den Türmen befinden sich ziemlich enge Wendeltreppen, und dummerweise kommen einem dort Leute entgegen, die absteigen. Das kenne ich aus Deutschland gar nicht, da gibt es in der Regel einen Weg nach oben und einen anderen nach unten, zumindest, wenn die Treppen so eng sind. Je höher wir steigen, desto mehr Panik bekomme ich. Dauernd drängen Menschen an mir vorbei, und immer möchte ich mich eigentlich an die Wand drücken, da wollen die absteigenden Leute aber auch hin und schubsen mich nach außen. Schließlich kommen wir an einen Ausgang und stehen auf einer Art Brücke, die zwei Türme miteinander verbindet. Ich bin von dem Aufstieg bis hier schon total fertig, Pablo sieht richtig erschrocken aus, als er mein angstverzerrtes Gesicht bemerkt. Bloß Mia feixt herum und macht ein paar Fotos von mir. Ich knurre sie an: »Die kannst du alle wegschmeißen«. »Garantiert nicht. Wenn du mal heiratest, baue ich die Bilder in eine Diashow ein«, kontert sie. »Wer solche Freundinnen hat, braucht keine Feinde mehr,« jaule ich und verkünde dann, dass ich mich sofort an den Abstieg machen werde, ich habe genug gesehen. Mia möchte noch weiter auf den Türmen herumkraxeln, sie hat nicht das geringste Problem mit Höhe. Sie ist aber einverstanden, dass Pablo mich lieber nach unten begleitet und wir dort auf sie warten. Wir machen uns an den Abstieg und nach einer Weile nimmt Pablo meine Hand. Er grinst mich an und meint, dass sei nur, damit ich keine Angst mehr habe und sicher wieder unten ankomme. Irgendwann haben wir es tatsächlich geschafft und stehen vor dem imposanten Bauwerk. Pablo hält immer noch meine Hand, was mich überhaupt nicht stört. Schließlich bin ich frei und ungebunden, vor mir liegen zwei Wochen Urlaub und einem netten, kleinen Flirt bin ich nicht abgeneigt.
Die nächsten Tage sind wunderschön. Wir treffen uns mit Pablo, durch den wir auch Ecken in Barcelona kennen lernen, die man sonst als normaler Tourist vielleicht nicht entdecken würde. Pablo und ich flirten auf Teufel komm raus, und nach 3 Tagen küsst er mich das erste Mal. Wir sind in einem tollen Klub und tanzen, als ich irgendwann frische Luft schnappen möchte. Mia kann sich aber nicht von der Tanzfläche losreißen, so dass Pablo mich nach draußen begleitet. Wir stehen vor dem Klub herum, grinsen uns an und plötzlich nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich. Mir wird schwindelig, denn das ist mit Abstand der schönste und längste Kuss, den ich bis dahin je bekommen habe. Nach einer halben Stunde Knutscherei beschließen wir, dass es Zeit wird, wieder zu Mia zu gehen. Die sitzt einsam an einem Tisch und guckt etwas säuerlich. Als ich sie frage, was los ist, möchte sie bloß ins Hotel. Ich bekomme nichts aus ihr heraus. Auch an den nächsten Tagen wird sie immer ruhiger. Sie schlägt mir vor, dass wir mal einen Tag getrennt verbringen könnten. Pablo entführt mich an diesem Tag auf den Gipfel des Berges Montjuïc. Hier gibt es nicht nur die Festung Castell de Montjuïc, sondern auch viele schön angelegte Gärten. Wir streifen durch den wunderschönen Jardin de Joan Margalla, landen beim Palacio de Albéniz, einem Palast, in dem der spanische König bei seinen Aufenthalten in Barcelona wohnt, und setzen uns dort auf eine Bank vor einem Springbrunnen. Wir bewundern die farbenfrohen Blumen und schauen einem Hochzeitspaar beim Fototermin zu. Es ist alles so märchenhaft und unwirklich, wir sitzen dort, halten uns an den Händen und reden. Aber irgendwo in mir nagt etwas, ich habe das Gefühl, als hätte ich eine sehr wichtige Sache vergessen.