Kitabı oku: «Sonnenfeuer», sayfa 7
Kapitel 6
Die Nacht war trotz des Frühlings kalt. Obwohl der Waldboden an vielen Stellen bereits von den ersten Frühblühern durchbrochen wurde, fühlte sich Taskor eher wie im Herbst. Oder gar im Winter. Denn Winter war es fürwahr für Kargat. Vielleicht der Winter eines sterbenden Reiches. Er schien den letzten Keim der Hoffnung in den Händen zu halten. Doch dieser war zerbrechlich, und selbst wenn er sprießen sollte, war es unklar, ob das Königreich Kargat wieder aus dem Winter erwachen konnte.
„General, ich kann nun die Wache übernehmen.“, hörte Taskor die dunkle Stimme von Eggbert, der zu ihm ans Feuer trat.
„Danke. Wieso nennst du mich noch so?“, fragte er den alten Veteranen.
„Wie? General? Weil Ihr das doch seid. Ihr seid General der Streitkräfte Kargats und Anführer unserer Truppen. Obwohl ich meine Differenzen mit der Armee hatte, respektiere ich Euch noch immer. Und Euren Titel.“
Taskor nickte gedankenversunken, den Blick ins Feuer gerichtet.
„Ich glaube nicht mehr, mich General nennen zu können. Immerhin habe ich weder Armee noch Königreich. Noch trage ich eine Rüstung.“, sagte er. Er schaute an sich hinunter und dann zu den beiden schlafenden Frauen. Schnell nach ihrer Flucht aus Härengar hatten sie sich ihrer edlen Kleidung und der Rüstung entledigt. Auf der Flucht war beides nur störend, bei einem echten Angriff würde es kaum helfen, und die Gefahr erkannt zu werden war mit solch auffälligen Gewändern deutlich größer. Doch mit der Rüstung war auch das Gefühl gewichen, ein großer Heerführer zu sein. Taskor, der Schwarze General, hatte man ihn genannt. Nun sah er aus wie ein gewöhnlicher Landstreicher. Immerhin passte er somit zur Lage im Land. Er wusste nicht mal mehr, ob es noch eine kargatianische Armee gab. Große Teile waren in Härengar mit dem König untergegangen. Ob sich die überlebenden Soldaten irgendwo gesammelt hatten, wusste Taskor nicht. Im Moment galt seine Aufmerksamkeit auch etwas anderem.
„Ich glaube nicht, dass man einen solchen Titel einfach abstreifen kann. Immerhin habt Ihr uns mehr als einmal erfolgreich in die Schlacht geführt. Man kann nicht jeden Kampf gewinnen. Dennoch seid Ihr hier und lebt noch. Genauso wie die Königin und Prinzessin“
„Uns? Hast du in meinem Regiment gedient?“
Der alte Veteran nickte, schaute aber wortlos ins Feuer.
„In den Südlandkriegen?“, hakte Taskor nach.
„Ja, gegen die Ylonier.“, antwortete Eggbert. „Und in Valorien.“, fügte er hinzu.
Valorien. Taskor dachte all die Jahre zurück. Es hätte sein großer Triumph sein sollen. Bis zu jenen Tagen hatte er gedacht, die Niederlage mit Prinz Beorn wäre seine größte Schmach gewesen. Doch der Rückzug, der erneute Fall von Eisentor, die Demütigung, hatten dies übertroffen. Der Fall von Härengar bildete nun die dritte Niederlage in dieser Reihe. Doch wie Eggbert sagte, er lebte noch immer.
„Als wir die Brücke in die Heimat wieder passiert hatten, habe ich mich für immer von der Armee davon gemacht. Mein Glauben in die Streitkräfte und ihre Führung war für immer verschwunden, und meine Tochter brauchte einen Vater. Vielleicht war ich nicht immer der beste Vater, aber ich bin stolz darauf, was aus ihr geworden ist.“
„Du bist desertiert?“, fragte Taskor verwundert. Er hatte schon erfahren, dass Eggbert ein Veteran gewesen war, aber gegenüber einem General Kargats Desertation zuzugeben war in der Tat mutig. Immerhin stand darauf der Tod. Aber was hatte das in Zeiten wie diesen noch zu bedeuten.
„Ja. Es gab keinen Grund mehr, der mich gehalten hätte.“
Taskor antwortete nicht. Die Männer schauten wortlos in ihr Feuer. Beide hatten eine vollkommen andere Geschichte, doch ihre Wege hatten sich gekreuzt, und das Schicksal sie nun an diesen Ort geführt. Taskor erkannte viel von sich selbst in Eggbert. Was, wenn er in Armut, und nicht in das reiche Haus der Graufels hereingeboren worden wäre?
„General, könnt Ihr mir eine Frage beantworten?“, fragte dann Eggbert.
„Ich kann es versuchen.“
„Was ist damals in Valorien geschehen?“
Taskor seufzte. Es fiel ihm schwer, darüber zu sprechen. Andererseits hatte ein Mann wie Eggbert es nach so vielen Jahren wohl verdient, die Wahrheit zu erfahren. Immerhin half er nun, die letzte Erbin Wulfrics zu schützen.
„Ich habe Valorien unterschätzt. Insbesondere habe ich Herzog Celan von Tandor unterschätzt. Ich habe mich in eine Falle ziehen lassen, die doch nur den durchtriebenen Plänen dieses Mannes diente. Auch das Schicksal hat uns schwere Schläge verpasst.“, begann Taskor zu reden.
„Eine recht ungenaue Antwort auf meine Frage.“, brummte Eggbert und wollte sich schon abwenden. Taskor lächelte schmerzhaft, als er an die Zeit zurückdachte.
„Ja. Das stimmt. Der Fall von Eisentor war ein abgekartetes Spiel.“, sprach er aber weiter und hielt Eggbert so weiter am Feuer. „Die Valoren wurden anscheinend von den Urben von Herzog Celan hinterrücks ermordet und uns wurde die Pforte geöffnet. Doch ich in meinem Hochmut dachte, dass wir einer guten Fügung des Schicksals entgegen sahen und befahl den Marsch auf Elorath. Immerhin dachte ich, dass der König mit seinem Bürgerkrieg in Fendron gebunden war. Mit ihm die Streitkräfte des Feindes und der anderen Herzogtümer. Außerdem hoffte ich auf schnelle Verstärkungen durch eine Streitkraft von König Magnus. All dies trat nicht ein. Die Burg wurde kurz nach unserem Abmarsch von urbischen Reitern von valorischer Seite erneut eingenommen. Die Streitkraft von König Magnus machte sich auf dem Weg aus Härengar. Allerdings nicht nach Norden, um Valorien einzunehmen, sondern nach Süden, um den ersten Angriff des Kaiserreiches abzuwehren. Wir waren alleine und verloren, geschwächt vom Marsch, einigen Kämpfen und Krankheit, wie du wohl weißt. Doch dann erhielt ich ein Angebot.“
„Was für ein Angebot? Von wem?“, fragte Eggbert, als Taskor erst nicht weitersprach.
„Von einem Kriegsherrn der Urben. Narthas war sein Name. Ich werde mich für immer an diesen Moment erinnern. Er versprach uns freies Geleit nach Kargat, wenn wir unsere Zelte und Fackeln aufgebaut ließen und im Schutz der Dunkelheit fliehen würden. Ich wusste, dass dies nicht ehrenhaft und eine Schmach war, aber die Alternative war, mit wehenden Fahnen unterzugehen. Alle Leben meiner Männer zu verschenken. Leben von Vätern wie dir, von Söhnen, Brüdern und Ehemännern. Doch die Bürde der Niederlage und der Schmach würde nur auf meinen Schultern liegen. Den Rest der Geschichte kennst du wohl.“, schloss Taskor die Erzählung ab. Was Eggbert dann sagte, verwundert Taskor.
„Danke, General.“, sagte der Veteran. „Danke, dass Ihr unser aller Leben bewahrt habt. So hat meine Tochter einen Vater. Hunderte Familien haben ihre Söhne, Väter, Brüder und Männer wiederbekommen.“
Der General nickte nur leicht als Antwort. Er wusste auch sonst nichts auf den Dank zu erwidern. Obwohl er ein Deserteur war, war Eggbert offensichtlich ein aufrichtiger Mann. Das hatte er schon in Härengar gespürt. Der Rest der Truppe war zwar im besten Fall bizarr, aber mittlerweile vertraute Taskor ihnen. Selbst dem verrückten Narren, der offensichtlich einige Knackse abbekommen hatte.
„In Ordnung, ich werde dann noch einige Stunden Ruhe suchen.“, sagte Taskor und erhob sich vom Lagerfeuer. „Sei wachsam. Hier gibt es mehr Gefahren als Kaiserliche…“, sagte er noch zu Eggbert, als er die Lagerstelle verließ, um sich unter einem der Bäume in eine Decke zu wickeln.
Ja, nicht nur durch Angreifer war dieses Land geplagt. Je mehr man sich von der Hauptstadt entfernte und in die abgelegenen Gegenden Kargats kam, desto größer wurde die Gefahr auf den Straßen. Einst waren es nur vereinzelte Räuberbanden gewesen. Doch sie hatten sich gesammelt, organisiert. Das Nachtrudel nannte man bald die Bande, die immer besser bewaffnet und koordiniert vorging. Fast zeitgleich mit seiner Niederlage in Valorien hatte sich die Gruppe formiert. Taskor war sich sicher, dass viele desertierte Soldaten, sowohl von der Front im Norden als auch um Süden, von ihrem Weg abgekommen waren. Soldaten wie Eggbert, der doch anscheinend einen etwas besseren Weg gefunden hatte. Einen etwas besseren Weg.
Es waren düstere Gedanken, die Taskor in den Schlaf begleiteten. Aber für Optimismus gab es in diesen Zeiten fürwahr nicht viel Platz.
Flammen. Es waren immer wieder die Flammen, die sie sah. Obwohl sie es nur aus der Ferne gesehen hatte, stand sie in ihrem Traum direkt neben ihren kleinen Geschwistern. Sie sah, wie das Feuer sich im Raum ausbreitete. Sie wollte weglaufen, doch ihre Füße bewegten sich nicht, wurden von den Schatten gehalten. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme wurde überlagert. Von den monotonen Trommelschlägen und –wirbeln und den Klängen der Flöten, die die marschierenden Männer antrieben. Ein Klang, einst entstanden aus Freude an der Musik, zum Vergnügen der Massen, der doch pervertiert worden war. Nun für immer der Klang des Todes für sie war. Nein, sie wollte sie retten. Tyl. Adela. Sie musste sie retten. Sie streckte ihre Hand aus, wollte sie greifen. Doch sofort schlugen die Flammen um sie. Hitze umgab sie. Sie wollte nicht aufgeben.
„Tyl. Adela. Greift meine Hand!“, wollte sie rufen. Doch ihrem Mund entsprangen keine Worte, nur weitere Flammen. Sie erkannte, wie das orange Licht die beiden Kinder umgab. Sich durch Kleidung und Fleisch fraß, nur schwarzen Ruß hinterließ. „Nein!!!“, wollte sie schreien, ob der sterbenden Geschwister, doch immer noch erklang kein Laut. Der Lärm des Todes überlagerte alles. Fast alles. Aus den Flammen hörte sie die flehenden Schreie der Sterbenden.
Sonya. Sonya. Sonya.
„Sonya, wach auf!“
Sie riss die Augen auf und spürte den Schweiß auf ihrer Stirn, über den der kühle Wind der Nacht strich. Über ihr gebeugt erkannte sie nun die Person, die wirklich zu ihr gesprochen hatte.
„Mutter, was…?“, wollte sie fragen, die Stimme noch immer zu laut ob des Traums, wurde aber jäh unterbrochen als ihr Königin Hega die Hand auf den Mund legte.
„Schsch!“, machte sie einen Laut und flüsterte dann weiter. „Irgendetwas stimmt nicht.“
Sonya spürte noch immer ihren schnellen Atem. Sie versuchte sich zu beruhigen. Zu lauschen. Fast schon befürchtete sie die Trommeln und Flöten zu hören, aber dies schien nur aus ihrem Traum nachzuhallen. Erst schien der Wald ruhig zu sein, doch dann hörte sie das Schnauben von Pferden.
Wieso hatte sie ihre Wache nicht gewarnt? Reiter musste man doch aus großer Entfernung bemerken. Sie wollte gerade etwas sagen, als ihre Mutter erneut die Hand über ihren Mund legte. Langsam krochen die Frauen in das nahe Unterholz, in die Dunkelheit.
Der erste lautere Klang waren die schweren Stiefel eines Mannes, der aus dem Sattel seines Pferdes sprang. Trotz des weichen Waldbodens konnte man dies deutlich vernehmen. Die Rüstung klimperte. Der Mann musste eine Metallrüstung tragen. Vielleicht sogar Platte. Also eher ein Soldat, denn ein Bandit.
Sonya schaute aus den Büschen hinaus, in die sie ihre Mutter gezogen hatte. Eingewickelt in ihre Mäntel waren sie wohl in der Tat kaum zu sehen. Sie schaute auf. Wollte sehen, wer dort war. Nur kurz konnte sie ihren Blick über ihr Lager schweifen lassen, bis sie ihre Mutter wieder hinunter zog. Doch sie hatte genug gesehen. Zu viel gesehen.
Sonya presste ihre Hand vor ihren Mund, um nicht aufzuschreien. Sie hatte das Lagerfeuer gesehen. Den Grund, wieso sie niemand gewarnt hatte. Eggbert Einauge, der alte Veteran, hatte neben dem Feuer gelegen. Im Rücken mehrere Bolzen. Hinter den Flammen war eine Gestalt aus dem Wald getreten. Das orangene Flackern der Flammen sah wie in ihrem Traum aus, nur schwächer. Doch die goldene Sonne auf rotem Grund war Realität.
„Aufwachen! Im Namen des Kaisers!“, rief der Offizier laut über die schlafenden Gestalten hinweg. Sonya erkannte, dass die Sorge ihrer Mutter, der Königin, nur ihr gegolten hatte, der letzten Prinzessin Kargats. Die restlichen Gefährten lagen noch unwissend im Schlaf und wurden jäh aus diesem gerissen.
Taskor sprang als erstes auf. In der gleichen Bewegung wie er sich hochdrückte zog er seine Klinge aus der Scheide, die neben seinem Schlafplatz gelegen hatte. Für einen kurzen Moment wirkte er wieder wie ein junger Mann. Auch Florenzo und Benno sprangen hoch und zogen ihre Waffen, wobei man dem Jungen sofort wieder die Unsicherheit und Angst ansah. Doch es war Sinja, die danach am schnellsten reagierte.
„Nein, Vater!“, rief sie noch, bevor sie ihr Ziel fixierte. Eine Mischung aus Überraschung, Trauer und Hass sprach aus ihr, als sie ihre Dolche zog um nach vorne zu stürzen, um das Leben des kaiserlichen Offiziers zu beenden. Vielleicht war es Taskors schnelles Eingreifen, das ihr das Leben rettete.
Mit einem festen Griff an der Schulter zog er Sinja zurück, bevor diese sich auf den Mann stürzen konnte. Trotz der Lage schaffte es der General besonnen zu bleiben. Erst jetzt erkannten auch die anderen die Berittenen, die zwischen den Bäumen auf die Lichtung kamen. Fast alle trugen Armbrüste mit eingelegten Bolzen, zum Schuss bereit. Im Vergleich zu den schweren Armbrüsten der kaiserlichen Infanterie waren diese Waffen kleiner, aber gerade auf kurzer Distanz nicht weniger tödlich.
„Werft die Waffen auf den Boden, wenn euch etwas an eurem Leben liegt.“, sagte der Offizier mit fester Stimme und schaute dann kurz auf den toten Eggbert hinunter. „Indem ihr die Klingen gegen Soldaten des Kaisers erhebt, habt ihr euer Leben verwirkt wie dieser Mann. Aber vielleicht bin ich gnädig.“, fügte er noch hinzu und schaute dann mit aufforderndem Blick zu den Gefährten.
Benno ließ als erstes sein Schwert fallen. Auch Florenzo senkte die Klinge, steckte dieser aber in aller Ruhe in die Scheide. Taskor stieß seine Klinge in den Waldboden und schaute dann ernst zu Sinja. Die Tochter des Getöteten war die letzte, die ihre beiden Klingen fallen ließ. Gilmar saß wie eingefroren am Boden und beobachtete die Szenerie, wobei sich nur seine Augen nervös bewegten, während der Kopf vollkommen ruhig blieb.
„Wir sind einfache Reisende, die sich vor Banditen schützen wollen. Was will das Kaiserreich von uns?“ Es war Taskor, der als erstes sprach. Obwohl Florenzo offensichtlich auch einige Worte auf der Zunge gelegen hatten, war es die Besonnenheit des älteren Mannes, die die Stimmung etwas beruhigte. So senkten auch die Reiter ihre Armbrüste leicht, gleichzeitig stiegen allerdings noch mehr Soldaten aus dem Sattel.
„Ihr befindet euch im Kaiserreich der Sonne und es herrscht Kriegsrecht. Ihr hättet besser in eurer Heimat bleiben sollen, anstatt des Nachts durch die Gegend zu ziehen. Bewaffnet.“, entgegnete der Offizier kalt und wandte sich dann einen seiner Soldaten.
„Vierter Veran, lass diese Männer entwaffnen und durchsuchen. Wenn sie Widerstand leisten, tötet sie.“, befahl er kalt. Der jüngere Soldat, offensichtlich ein Unteroffizier der kaiserlichen Armee, signalisierte weiteren Reitern abzusetzen und ging auf die Reisenden zu. Seine Klinge musste er nicht ziehen, denn die tödliche Drohung der Armbrustschützen hing noch immer in der Luft.
Sonya beobachtete die Szene aus ihrem Versteck mit Unbehagen. Sie erkannte, wie die Soldaten die Gefährten mit Gewalt gegen Bäume drückten, während andere die Klingen einsammelten und begannen, das Gepäck zu durchwühlen. Es war die Ohnmacht über die Situation, die sie erzittern ließ. Ihre Mutter hielt sie noch immer im Arm. Beide versuchten so regungslos und leise wie möglich zu bleiben. Hier konnten sie nur beobachten, bangen und hoffen. Hoffen, dass sie nicht entdeckt wurden. Hoffen, dass die Kaiserlichen einfach weiterziehen würden. Hoffen, dass das Leben von Taskor und den anderen verschont werden würde.
Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen. Sie wurde gepackt. Kräftige Hände zogen sie und Hega tiefer in das Unterholz. Sonya wollte schreien, spürte aber wie eine dreckige und stinkende Hand ihr Stimme und Atem nahm. Dennoch war ein Rascheln zu hören, als sie nach hinten gezogen wurden, und sich instinktiv wehrten. Hatten sie die Kaiserlichen doch gefunden? Aber wieso würden diese darauf achten, dass sie nicht schreien?
„Still, meine Schöne.“, hörte sie das Flüstern einer tiefen Stimme an ihrem Ohr. Sie spürte den warmen Atem des Mannes, der sie fest im Griff hatte. „Schau einfach zu.“
„Da war etwas, schaut nach!“, hörte sie die laute Stimme des Offiziers über die Lichtung schallen. Drei Soldaten lösten sich von den restlichen Kaiserlichen und nahmen brennende Scheite aus dem Feuer, um die Dunkelheit des Waldes auszuleuchten.
„Jetzt!“, hörte Sonya noch die flüsternde Stimme an ihrem Ohr, dann vernahm sie schon das sirrende Geräusch fliegender Pfeile.
„Hinterhalt!“, hörte sie noch den Ruf des Unteroffiziers, doch es schien zu spät. Viele der getroffenen Soldaten fielen ohne Gegenwehr zu Boden, gespickt von Pfeilen. Die Armbrustschützen suchten ihre Feinde, konnten diese aber in der Dunkelheit nicht ausmachen. Dann plötzlich strömten mehrere Bewaffnete auf die Lichtung. Sie waren in dunklen Klamotten gekleidet, vorher mit dem Wald verschmolzen, und wirkten wie erfahrene Kämpfer. Blitzschnell zogen sie die Reiter von ihren Pferden, um sie am Boden niederzumachen. Der Kampf, der entbrannte, war kurz und einseitig.
Taskor selbst blieb gerade noch genug Zeit sein eigenes Schwert aufzuheben, nachdem seine Bewacher tot zu Boden gegangen waren, doch dann war er bereits umzingelt. Nun von anderen Bewaffneten, die aber nicht weniger feindselig schienen, wie die Kaiserlichen, die nun tot am Boden lagen.
Sonya wurde von ihrem Bewacher auf die Beine gezogen. Sie spürte die Kälte einer Klinge an ihrem Hals, als dieser sie nach vorne drückte und mit ihr die Lichtung betrat.
„Die Waffen fallen lassen.“, sagte ihr Bewacher entschieden.
„Irgendwie hatten wir das schon mal…“, konnte sich Florenzo einen sarkastischen Kommentar nicht verkneifen und ließ seinen Blick erst über die toten kaiserlichen Soldaten, dann über die neuen Angreifer schweifen.
„Mir scheint dieser Landstrich ist stärker bevölkert, als angenommen.“, erwiderte dann auch Taskor, ließ aber aufgrund der Situation, in der er Hega und Sonya sah, sofort seine Klinge fallen. „Lasst die beiden Frauen gehen. Sie sind für euch keine Gefahr.“, fügte er dann an den offensichtlichen Anführer gerichtet hinzu. Man konnte spüren, das Taskor ob dieser brenzligen Lage nervös war. Dennoch schaffte er es einen beherrschten Eindruck zu vermitteln.
„Wir haben euch schon länger beobachtet, genauso wie diese Soldaten. Dieser Wald gehört uns, und somit auch alles, was sich darin befindet. Dessen stimmst du mir doch zu, oder, General Taskor?“, antwortete der Mann. „Und nein, ich glaube nicht, dass ich diese besonders wertvollen Juwelen wieder frei lasse. Wann bekommt denn ein bescheidener Mann wie ich schon einmal die Chance, die Prinzessin Kargats im Arm zu halten?“
Sonya erkannte, wie sich die Augen Taskors weiteten, als ihre Tarnung offensichtlich aufgeflogen war. Woher kannte dieser Mann den General? Und sie? Doch dann gab Taskor selber die Antwort, als er die Augen zusammenkniff.
„Rufus. Rufus Failgrad.“
„Oh, mein General, wie schön, dass du mich nach all den Jahren noch erkennst.“
„Also bist du auch einer jener Männer, die zu einem räudigen Banditen geworden sind. Ich hätte Besseres von dir erwartet.“, warf ihm Taskor entgegen. „Und nun, was habt ihr jetzt mit uns vor?“, fragte der General.
„Wir werden sehen. Eine so wertvolle Beute sollte man gut geschützt an einen sicheren Ort bringen, nicht wahr?“, sagte der Mann mit einem Lächeln. Doch gleichzeitig lockerte er den Griff um Sonya und ließ die Prinzessin dann schließlich gänzlich los. Sofort lief sie zu ihren Gefährten, gefolgt von ihrer Mutter, die ebenfalls losgelassen wurde.
Während Taskor sich sofort vor Hega stellte, erkannte Sonya wie der junge Benno vortrat und sich zwischen sie und Rufus stellte. Erst jetzt konnte sie einen Blick auf ihren Bewacher werfen.
Er sah wirklich wie ein Bandit aus. Seine dunkle Kleidung verdeckte ein verdrecktes Kettenhemd, das aber an einigen Stellen sichtbar war. Seine Haare waren kraus und von grauen Strähnen durchzogen, genauso wild wie sein Bart. Sein Grinsen offenbarte einige Lücken, und dennoch war sein Blick nicht der eines gewöhnlichen Halsabschneiders. Er wirkte entschlossener, gefestigter.
„Woher kennst du diesen Mann, Taskor?“, fragte die Königin dann leise. Taskor behielt seinen Blick auf Rufus gerichtet, als er mit lauter Stimme antwortete, sodass alle Männer es hören könnte.
„Dies ist Rufus Failgrad, einstiger General der kargatianischen Streitkräfte, der mit seinem Flankenangriff die Schlacht am Tarrag entschied und damit den Sieg gegen den Ylonischen Bund einläutete. Doch anscheinend ist er von dem Pfad der Rechtschaffenheit abgewichen und hat sich den Gesetzlosen angeschlossen, die sich selbst das Nachtrudel nennen. Ist das nicht so, Rufus?“
„Fast, General Taskor. Mit der Ausnahme, dass ich mich durchaus auf der Seite der Rechtschaffenheit sehe. Nur eben nicht als Knecht der Krone, die aber nun sowieso gestürzt scheint. Aber wie ihr alle sehen könnt, stehen wir auch nicht an der Seite der neuen Besatzer.“, antwortete der Mann mit ruhiger Stimme.
„Wir brechen auf.“, befahl er dann seinen Männern. „Wenn sich unsere Gäste widersetzen, fesselt sie.“ Mit diesen Worten wandte sich Rufus ab und verschwand erneut in der Dunkelheit der Nacht.
Benno spürte jeden Knochen seines Körpers. Fast zwei Tagen waren sie durchgehend geritten und marschiert. Nur kurz hatten sie jeweils gerastet, um dann von Rufus und seinen Männern weiter getrieben zu werden. Immerhin hatten sie die Pferde der Kaiserlichen einfangen können, und konnten so wenigstens ab und zu im Sattel schlafen, nur um später weiterzumarschieren und die Pferde zu schonen. Mit jeder Stunde, die verging, hatte er noch mehr das Gefühl, dass diese Reise nie enden würde.
Bis zum Tag ihrer Flucht hatte der junge Mann Härengar noch nicht verlassen. Er war in eine einfache Familie geboren worden, der Vater Soldat, die Mutter half ihrem Bruder des Öfteren auf dem Markt. Er wäre auch lieber Händler geworden, oder Handwerker. Doch die Eltern hatten das Geld für eine Ausbildung nicht aufbringen können. Außerdem sah es sein Vater als gegeben an, dass Benno in seine Fußstapfen als Soldat der kargatianischen Streitkräfte treten sollte. So wurde er gerade in jenem Moment Teil des Militärs, als das Königreich an den Rand des Abgrunds gedrückt wurde. Es taumelte. Und Benno befürchtete schon des Öfteren, dass es fallen würde. Aber da war noch General Taskor Graufels. Königin Hega. Und natürlich die schöne Prinzessin Sonya, die er beschützen sollte. Er war außer dem General der letzte Soldat an der Seite der Prinzessin. In dem Moment, als sie aus Härengar geflohen waren, hatte er sich geschworen, Sonya mit seinem Leben zu schützen. Das war bisher eher schlecht gelaufen. Ja, sie lebte noch, aber sie befanden sich in Gefangenschaft, mit unsicherer Perspektive.
„Was seh ich da am Horizont? – Türme hoch, die Mauern breit – Doch schwarz vor Ruß ist deren Front – die stolze Burg aus andrer Zeit – Wo heute nur noch Geister schreiten – keine hohen Herren reiten – der Tod sein Heim gefunden hat – die alte Feste Dornat.“
Die Stimme des Narren, die durch das Geklimper der Glocken untermalt wurde, riss Benno aus seinen Gedanken. Er hob seinen Blick und erkannte die schwarzen Ruinen am Horizont.
„Ist das wirklich Dornat?“, fragte er, wollte er es doch nicht wirklich glauben, dass diese Banditen sie zu einem solchen Ort führen würden.
„Es scheint so.“, sagte Taskor. Benno schaute zu dem Narren. Er hatte schon öfter erkannt, dass Gilmar offensichtlich nicht mehr ganz klar im Kopf war. Nicht nur, weil er immer in Reimen sprach, sondern weil er auch sonst manchmal verwirrt oder abwesend wirkte. Aber dann gab es wieder Moment wie diese, wo er mit seiner schnellen Auffassungsgabe überraschte. Auch die Reime zu finden war eine Fähigkeit, die Benno beeindruckte.
„Wenn Böses Böses sucht – an einem Ort der ist verflucht“, begann Gilmar weiter zu reimen, nuschelte die weiteren Worte aber für die anderen unhörbar. Erst jetzt merkte Benno, dass auch die Banditen merklich ruhiger geworden waren. Die Burg warf einen Schatten auf das Land, der scheinbar alle Männer kleiner machte, einschüchterte.
„Wieso sollte jemand hier wohnen wollen?“, fragte nun Sonya und schaute dabei zu Taskor und Benno.
„Es ist offensichtlich ein Ort, an dem man nicht suchen würde. Außerdem ist die alte Ruine immer noch eine ordentliche Festungsanlage, wenn man sie ein bisschen ausbaut.“, mutmaßte Taskor.
„Wir sollten dort nicht hin reiten. Wenn nur die Hälfte der Legenden und Geschichten stimmt, sollten wir uns möglichst weit von diesem Ort entfernt halten.“, erwiderte Sonya. Benno nickte. Er wollte kein Feigling sein, aber auch er kannte die Geschichten.
Dornat. Einst Hauptstadt Kargats. Feste der Könige. Bis ein Bruder den anderen verriet und einen Dolch in den Rücken stieß. Ein Kampf entstand, der das ganze Königreich ergriff. Seit diesem Tag war der Sitz der Krone nach Härengar gewandert. Und die Geister der Gefallenen durchschritten die Ruinen der zerstörten und niedergebrannten Burg, auf der Suche, sich an jedem Kargatianer für den Verrat zu rächen. In alle Ewigkeit. Wer an diesen Ort ging, kam nicht mehr zurück. So viel wusste Benno. Man mied Dornat.
„Ich glaube kaum, dass wir eine Wahl haben.“, erwiderte Taskor trocken.