Einsicht durch Meditation

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Einsicht durch Meditation
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Jack Kornfield & Joseph Goldstein

Einsicht durch Meditation

JACK KORNFIELD & JOSEPH GOLDSTEIN


Einsicht durch Meditation

Die Achtsamkeit des Herzens

MIT EINEM VORWORT DES DALAI LAMA


Copyright © 1987 Jack Kornfield & Joseph Goldstein

Copyright © der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag, Freiamt, 2006

Published by arrangement with Shambala Publications, Inc., P.O. Box 308,

Boston, MA 02117

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Seeking The Heart Of Wisdom – The Path of Insight Meditation

Übersetzung aus dem Amerikanischen

von Theo Kierdorf in Zusammenarbeit mit Hildegard Höhr.

Alle Rechte vorbehalten

E-Book 2018

Titelfoto: © IFA-Bilderteam, 2006

Korrektorat: Sylvia Luetjohann

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-256-6

INHALT

Vorwort des Dalai Lama

Geleitwort von Dr. med. Robert K. Hall

Einführung

Erster Teil

Die Praxis der Meditation begreifen

1 Das Herz der Meditation entdecken

Vollkommenes Verstehen

Bewußte Lebensführung Fünf Empfehlungen für den Übungsweg

Geistige Sammlung

Weisheit

Erforschen und Beobachten

Übung • Aus den Fünf Empfehlungen lernen

2 Warum meditieren?

Öffnen, was verschlossen ist

Ausgleichen, was reaktiv ist

Erforschen, was verborgen ist

Anstrengung und Ziel

Übung • Konzepte und Wirklichkeit

3 Anleitung zur Meditation

4 Schwierigkeiten und Hindernisse

Die fünf Hemmnisse

Arbeit mit den Hindernissen

Übung • Die Hemmnisse zu einem Teil des Wegs machen

5 Vertiefung des Übens

Ankommen

Beobachtung

Öffnung

Sein

Übung • Vom Inhalt zum Prozeß

Zweiter Teil

Herz und Geist üben

6 Die sieben Faktoren der Erleuchtung

Achtsamkeit

Anstrengung und Energie

Untersuchung

Begeisterung

Sammlung

Gelassenheit

Gleichmut

Übung • Der Faktoren der Erleuchtung gewahr sein

7 Das Leben des Buddha

Übung • Sich auf den Buddha besinnen

8 Die Freiheit der Selbsteinschränkung

Übung • Selbsteinschränkung lernen

9 Leiden: Das Tor zum Mitgefühl

Schmerz

Unangenehme Gefühle

Angst vor dem Tod

Das Herz öffnen

Mitfühlendes Handeln

Übung • Mitgefühl entwickeln

Dritter Teil

Das Wachsen der Weisheit

10 Karma verstehen: Ursache und Wirkung

Übung • Gleichmuts-Meditation

11 Karma annehmen: Befreiung

Übung • Die Absicht beobachten

12 Die fünf spirituellen Fähigkeiten

Glaube

Anstrengung

Achtsamkeit

Sammlung

Weisheit

13 Die drei Grundmerkmale

Leiden

Vergänglichkeit

Selbst-Losigkeit

Übung • Das Unbehagen an unseren konditionierten Reaktionen beobachten

14 Perspektiven der Wirklichkeit

15 Der Pfad des Dienens

Übung • Das Herz des Dienens

16 Integration der Praxis in den Alltag

Übung • Stärkung der Achtsamkeit

Glossar

VORWORT DES DALAI LAMA


Wir leben in einer Zeit erstaunlicher materieller Fortschritte, die uns zahlreiche Annehmlichkeiten geschenkt hat. Doch trotz dieser Fortschritte sind die menschlichen Probleme nicht völlig überwunden. Politische und ideologische Konflikte zwischen einzelnen Nationen bestehen weiterhin und führen immer wieder zu Kriegen, Gewaltausbrüchen und Unterdrückung, und als einzelne erfahren die Menschen weiterhin Angst, Besorgnis und andere Formen des Unbefriedigtseins. Es besteht ein dringendes Bedürfnis nach einer dem äußeren Entwicklungsstand entsprechenden inneren, geistigen Entwicklung. Meditation ist ein hervorragendes Mittel, dies zu erreichen.

Es gibt viele Meditationsarten, doch gemeinsam ist ihnen das Ziel, zu geistigem Frieden zu führen. Zwei Merkmale unterscheiden die buddhistischen Traditionen der Meditation von anderen: Einsicht und Mitgefühl. Je vertrauter wir mit dem Geist sind und je mehr wir durch Meditation Vergänglichkeit, Leiden sowie Selbstlosigkeit erkennen, um so größer wird unser Empfinden anderen Lebewesen gegenüber, so daß sich schließlich ganz natürlich das Mitgefühl eines gütigen Herzens in uns entwickelt. Dies ist wichtig sowohl hinsichtlich der Suche des einzelnen nach Glück als auch hinsichtlich seines Beitrags zum Weltfrieden.

Es ist ermutigend, daß einige Bewohner der westlichen Welt die Traditionen des Ostens so umfassend aufgenommen haben, daß sie in der Lage sind, sie anderen zu vermitteln, so wie es die Autoren dieses Buches tun. Mögen solche Anstrengungen den Frieden aller Wesen fördern.

TENZIN GYATSO,

DER 14. DALAI LAMA

GELEITWORT VON

DR. MED. ROBERT K. HALL


Der verstorbene Chögyam Trungpa erzeugte in Boulder, Colorado, einen Wirbelwind spiritueller Aktivität, als er dort im Sommer 1974 das Nāropa-Institut gründete, die erste buddhistische Universität Amerikas. Seine weise und zugleich aufrüttelnde Präsenz wurde zum Mittelpunkt für viele äußerst kreative Menschen. Es war eine magische Zeit. Mehrere tausend Menschen, darunter auch ich, versammelten sich in Boulder, ohne sich wirklich darüber klar zu sein, warum sie eigentlich dort waren. Die Luft der Rocky Mountains war geladen von freudiger Erregung. Es war so, als hätten wir alle nur hoffnungsvoll darauf gewartet, daß genau diese Umstände eintreten würden, als wären die passenden kosmischen Voraussetzungen plötzlich und unerwartet eingetreten, so daß ein großes Werk endlich beginnen konnte. Wir alle reisten nach Boulder wie Angehörige eines neuen Nomadenvolkes. Wir kamen zusammen, um die Weisheit des Buddhismus kennenzulernen, so wie sie in Amerika gelehrt wurde, und wir kamen, um unseren Weg ins Herz der Meditation zu finden.

 

Joseph Goldstein und Jack Kornfield trafen als junge Meditationslehrer ebenfalls in jenem Sommer 1974 in Boulder ein und wurden von Chögyam Trungpa eingeladen, am Nāropa-Institut mit ihrer Lehrtätigkeit zu beginnen. Ihre Meditationsklassen waren von Anfang an ungeheuer populär. Nach langer Ausbildungszeit in Asien – Joseph in Indien, Jack in Burma und Thailand – waren beide erst kurz zuvor in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Ihre Fähigkeit, den Theravāda-Buddhismus dem westlichen Geist zugänglich zu machen und die Meditationspraxis jungen Amerikanern nahezubringen, sicherte ihnen kontinuierlichen Erfolg.

Ihr Stil, zu lehren und zu leben, war ein interessantes Gegengewicht zu der überschäumend-farbenprächtigen Lehrweise von Chögyam Trungpa und zur Dramatik des tibetischen Vajrayāna-Buddhismus. Viele Studenten fühlten sich zu ihnen und ihrer Einfachheit hingezogen. Die beiden Autoren wurden gute Freunde und fingen an, gemeinsam Meditationskurse in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Europa zu leiten. Schon bald ging diesen Veranstaltungen der Ruf voraus, sie seien wahrhaft transformierende Erfahrungen, bei denen Menschen schweigend zusammenkämen, um unter Jacks und Josephs bescheidener, aber kundiger Leitung das Öffnen ihres Herzens und Geistes zu üben.

Seither sind viele Jahre vergangen, und beide stehen immer noch in Verbindung miteinander, obwohl sie häufig in verschiedenen Teilen der Welt lehren. Sie haben mittlerweile andere ausgebildet, die nun ihrerseits Meditationskurse leiten. Die Zahl ihrer Schüler geht in die Tausende. Aus der Inspiration, die sie unentwegt gegeben haben, sind Meditationszentren entstanden. Mit diesem Buch erscheint ihre einzigartige Darstellung des Theravāda-Buddhismus zum erstenmal in Form einer gemeinsamen Publikation.

Warum sowohl Joseph Goldstein als auch Jack Kornfield zu weltweit bekannten Lehrern geworden sind, ist kein großes Geheimnis: Sie haben klassische buddhistische Schriften in zeitgenössischer Sprache vermittelt, ohne ihren Sinn zu verfälschen. Obgleich jeder der beiden Autoren einen völlig eigenständigen Stil entwickelt hat, zu reden, zu schreiben und die Botschaft der alten Schriften auszudrücken, verbinden sich diese beiden unterschiedlichen Stile im vorliegenden Buch zu einer Einheit.

Das Buch ist eine zeitgenössische Zusammenfassung jener praktischen Lehre, die in ihrer essentiellen Reinheit bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist, trotz unzähliger Übersetzungen in viele Sprachen und Kulturen im Laufe von 2500 Jahren. Das Buch ist ein wundervoller Beitrag zur Literatur über die Weltreligionen, weil es den Autoren gelungen ist, die alten Lehren zu einem Handbuch für ein weises Leben zu gestalten. Wir alle haben schon lange auf etwas Derartiges gewartet.

EINFÜHRUNG


Einsicht durch Meditation ist entstanden aus der zwölfjährigen Zusammenarbeit der beiden Autoren als Lehrer der Vipassanā- (Einsichts-)Meditation in Kursen auf der ganzen Welt. Diese Meditationsveranstaltungen, angefangen von Wochenendveranstaltungen bis zu dreimonatigen Kursen, ermöglichen eine einfache und unmittelbare Erforschung von Körper und Geist. Durch die Entwicklung konzentrierter Achtsamkeit wird die Einsicht in die veränderliche Natur der Phänomene auf sehr persönliche und unmittelbare Weise vertieft. Dies wiederum führt zum Verständnis der Ursachen unseres eigenen Leidens und des Leidens anderer, zur Möglichkeit des tätigen Mitgefühls und zu echter Freiheit.

Das Buch enthält eine klare Erläuterung der Meditationsanweisungen und der Übungen, die in Meditationskursen benutzt werden. Obgleich hauptsächlich die stille Meditation beschrieben wird, sind die Anleitungen in einen breiten Zusammenhang gestellt, der zeigt, daß Meditation für unser ganzes Leben bedeutsam ist. Die hier beschriebenen Lehren sind stark in der buddhistischen Tradition verwurzelt, insbesondere in ihrer in Thailand und Burma entstandenen Ausprägung. Eine besondere Rolle spielen im gesamten Buch die Tradition der Einsiedlermönche, des Ehrwurdigen Achaan Chaa und die Praxis der intensiven Satipatthāna-Vipassanā-Meditation, wie der Ehrwürdige Mahasi Sayadaw sie lehrt. Die Einbeziehung beider Traditionen gewährleistet die breite Perspektive und die Tiefe des Verständnisses, die die Weisheit des Buddha ausmachen.

Leser, die Informationen über Kurse in buddhistischer Einsichtsmeditation und entsprechende Belehrung wünschen, können sich wenden an die Insight Meditation Society, Pleasant Street, Barre, Massachusetts 01005, U.S.A.

Erster Teil


Die Praxis der Meditation

begreifen

1


Das Herz der Meditation entdecken

Nach der Legende begegnete der Buddha kurz nach seiner Erleuchtung auf der Straße einem Mann, der von der außergewöhnlichen Ausstrahlung und Ruhe des Erleuchteten geradezu überwältigt wurde. Der Fremde blieb stehen und fragte: “Freund, was bist du? Bist du ein himmlisches Wesen oder ein Gott?«

»Nein«, sagte der Buddha.

»Dann bist du vielleicht eine Art Magier oder Zauberer?«

Wieder antwortete der Buddha: »Nein«.

»Bist du ein Mensch?«

»Nein.«

»Nun, mein Freund, was bist du dann?«

Der Buddha antwortete: »Ich bin erwacht.«

Der Name Buddha bedeutet »Einer, der erwacht ist« – und diese Erfahrung ist der Kern von Vipassanā, der Einsichtsmeditation. Dieser Übungsweg ermöglicht uns, unseren Körper, unser Herz, unseren Geist und die Welt um uns klar zu sehen sowie zu all dem eine weise und mitfühlende Beziehung zu entwickeln und es verstehen zu lernen. Die Praxis der Einsichtsmeditation entstammt dem ursprünglichen Kern der buddhistischen Lehre, wie sie seit 2500 Jahren in der Theravāda-Tradition Südasiens überliefert wird. Doch handelt es sich dabei keineswegs um eine »asiatische« Praxis, vielmehr um einen Weg, auf dem jeder zur Wahrheit des Lebens erwachen und frei werden kann.

Vollkommenes Verstehen

Der Pfad des Erwachens beginnt mit einem Schritt, den der Buddha als vollkommenes Verstehen bezeichnete. Vollkommenes Verstehen umfaßt zwei Aspekte. Am Anfang steht eine Frage, die sich an unser Herz richtet. Was ist uns wirklich wertvoll und wichtig im Leben? Unser Leben ist kurz. Unsere Kindheit geht schnell vorüber, dann folgt die kurze Jugend, und das Erwachsenenleben eilt ebenso schnell dahin. Wir können unser Leben selbstzufrieden seinen Lauf nehmen und es schließlich in einem Traum verschwinden lassen, oder wir können uns seiner bewußt werden. Bevor wir anfangen zu meditieren, müssen wir uns fragen, was uns am wichtigsten ist. Was möchten wir vollbracht haben, wenn die Stunde unseres Todes gekommen ist? Was wird uns dann am wichtigsten sein? Menschen, die versucht haben, bewußt zu leben, stellen sich in der Todesstunde nur die folgenden beiden Fragen: Habe ich gelernt, weise zu leben? War mein Leben von Liebe bestimmt? Wir können uns diese Fragen auch jetzt schon stellen.

Dies ist der Anfang des vollkommenen Verstehens: Wir schauen uns unser Leben an, sehen, daß es unbeständig und flüchtig ist, und besinnen uns auf das, was uns am tiefsten berührt. In gleicher Weise können wir die Welt um uns anschauen, in der es unendlich viel Leid, Krieg, Armut und Krankheit gibt. Hunderte Millionen von Menschen in Afrika, Mittelamerika, Indien, Südostasien und sogar in Nordamerika leben unter schrecklichen Bedingungen. Was braucht die Welt, damit alle Menschen ein sicheres und von Mitgefühl geprägtes Leben fuhren können? Durch simples Auswechseln von Regierungen oder durch eine neuartige Finanzpolitik läßt sich menschliches Leid und Elend nicht beseitigen, obgleich natürlich auch solche Mittel eine Hilfe sein können. Auf einer tieferen Ebene sind Probleme wie Krieg und Hunger jedoch nicht durch ökonomische und politische Maßnahmen zu beseitigen. Ihr Ursprung sind Vorurteile und Angst im menschlichen Herzen – und auch ihre Lösung ist im Herzen des Menschen zu finden. Am dringendsten braucht die Welt Menschen, die sich weniger stark von Vorurteilen leiten lassen. Die Welt braucht mehr Liebe, mehr Großmut, mehr Mitgefühl und mehr Offenheit.

Die menschlichen Probleme wurzeln letztlich nicht in der Knappheit von Ressourcen, sondern im Mißverstehen, in der Furcht und in der Isolation, also in Eigenschaften, die im Herzen der Menschen zu finden sind.

Vollkommenes Verstehen beginnt mit dem bewußten Wahrnehmen des Leidens und der Probleme in der Welt und in unserem eigenen Leben. Außerdem beinhaltet vollkommenes Verstehen die Aufforderung, mit dem in Kontakt zu treten, was uns in unserem tiefsten Inneren wichtig ist, und es zur Grundlage unserer spirituellen Übung zu machen. Wenn wir sehen, daß die Dinge in der Welt und in unserem eigenen Leben nicht zum besten stehen, werden wir uns auch einer anderen Möglichkeit bewußt, nämlich unseres Potentials, uns größerer Herzensgüte und einer tiefen intuitiven Weisheit zu öffnen. Unser Herz kann uns Inspiration für die spirituelle Reise geben. Bei einigen von uns drückt sich dies in einem Erahnen der großen Möglichkeiten aus, die ein erwachtes, freies Leben mit sich bringt. Für andere ist das Üben der Einsichtsmeditation eine Möglichkeit, sich mit der Macht des Leidens in ihrem Leben auseinanderzusetzen. Einige fühlen sich inspiriert, Einsicht durch Untersuchung und Erforschung zu gewinnen, während andere intuitiv die Verbindung zum Göttlichen spüren oder den Übungsweg der Öffnung des Herzens gehen. Was auch immer uns zum spirituellen Üben bringt, kann in unserem Herzen zu einer Flamme werden, die uns leitet, schützt und zum wahren Verstehen führt.

Vollkommene Einsicht verlangt von uns auch, daß wir das Gesetz des Karma verstehen. Karma beinhaltet mehr als nur eine geheimnisvolle Idee über esoterische Phänomene wie beispielsweise frühere Leben in Tibet. Der Begriff Karma bezieht sich auf das Gesetz von Ursache und Wirkung. Nach diesem Gesetz beeinflußt all unser Tun und Handeln unsere zukünftigen Erfahrungen. Wenn wir oft auf Menschen wütend sind, erzeugen wir ein Klima des Hasses, was zur Folge hat, daß andere Menschen uns ebenfalls hassen. Wenn wir hingegen in unserem Leben die Liebe pflegen, kehrt sie auch zu uns zurück. So wirkt das Gesetz des Karma in unserem Leben.

Jemand fragte eine Vipassanā-Lehrerin, Ruth Dennison, ob sie den Begriff Karma mit ganz einfachen Worten erklären könnte. Sie sagte: »Natürlich. Karma bedeutet, daß wir nichts folgenlos tun können!« Was wir auch tun, wie wir auch handeln, alles beeinflußt, wie wir sein werden und wie die Welt um uns sein wird. Wenn wir das Gesetz des Karma verstehen, so gibt uns dies die Möglichkeit, die Richtung unseres Lebens zu verändern. Wir können tatsächlich durch bewußte Einflußnahme auf das Klima unseres Lebens einwirken. Wir können üben, liebevoller, achtsamer oder bewußter zu sein oder was immer wir sein wollen. Dazu eignen sich spezielle Meditationstage ebenso wie Autofahrten oder die Wartezeiten an der Kasse eines Supermarkts. Wenn wir Güte üben, erleben wir plötzlich sowohl in uns selbst als auch in der Welt um uns immer mehr Güte.

Im Sufismus gibt es eine Geschichte über Mullah Nasruddin, die etwas Ähnliches ausdrückt. Nasruddin ist gleichzeitig ein Narr und ein Weiser. Eines Tages steht er im Garten und verstreut Brotkrumen um die Blumenbeete. Ein Nachbar kommt vorbei und fragt: »Mullah, warum tust du das?«

Nasruddin antwortete: »Oh, das mache ich, um die Tiger fernzuhalten.«

Der Nachbar entgegnete: »Aber hier gibt es doch im Umkreis von Tausenden von Meilen keine Tiger.«

Worauf Nasruddin meinte: »Funktioniert gut, was?«

Spirituelles Üben hat nichts mit geistlosem Wiederholen eines Rituals oder eines Gebets zu tun. Vielmehr besteht es darin, das Gesetz von Ursache und Wirkung bewußt zu erkennen und das eigene Leben an dieser Erkenntnis zu orientieren. Vielleicht spüren wir das Potential des Erwachens schon in uns, doch muß uns auch klarwerden, daß dieses Erwachen nicht von allein eintritt. Wenn wir bestimmten Gesetzen folgen, manifestiert sich dieses Potential in unserem Leben. Unser Handeln, unsere Beziehung zu uns selbst, zu den Menschen um uns und zu unserer Arbeit, all dies formt die Welt, in der wir leben, schenkt uns Freiheit oder bringt uns Leiden.

 

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich in verschiedenen Kulturen viele Techniken und Systeme buddhistischer Übung entwickelt, die zum Erwachen führen, doch die Essenz all dieser Praktiken ist immer gleich. Sie sollen uns lehren, klar und direkt in jedem Augenblick die Wahrheit unserer Erfahrung zu sehen, gewahr und achtsam zu sein. Das Üben besteht in der systematischen Erweckung und Entwicklung des Gewahrseins. Dieser Prozeß wurde vom Buddha als die Vier Grundlagen oder Erwekkungen der Achtsamkeit bezeichnet: Achtsamkeit auf den Körper, die Empfindungen, den Geist und auf die Wahrheit, die der Erfahrung zugrunde liegt, auch Geistobjekte genannt.

Der Buddha sagte, Achtsamkeit erfolgreich zu entwickeln sei das höchste Verdienst; sie gebe uns Aufschluß über alle Aspekte des Lebens. »Sandelholz und Tagara sind äußerst wohlriechend und verströmen ein wenig Duft, doch der Duft der Tugend und eines wohlgeübten Geistes steigt bis zu den Göttern auf. «

Wie aber sollen wir beginnen? Eine alte buddhistische Schrift, eine Meditationsanleitung mit dem Titel Der Pfad der Reinigung, wurde als Antwort auf das folgende kurze Gedicht verfaßt:

Die Welt ist zu einem Knoten verstrickt.

Wer kann das Gewirr entflechten?

Weil wir den Knoten auflösen wollen, beginnen wir mit der Meditationspraxis. Um uns selbst zu entwirren, um frei zu sein, müssen wir unsere Aufmerksamkeit trainieren. Wir müssen lernen zu sehen, wie wir uns einfangen lassen durch Furcht, Anhaften und Aversionen – durch Leiden. Um dies zu durchschauen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere alltäglichen Erfahrungen lenken und lernen, auf unseren Körper, unser Herz und unseren Geist zu hören. Wir erlangen Weisheit nicht, indem wir Ideale aufbauen, sondern indem wir lernen, die Dinge klar zu sehen, so wie sie sind.

Was ist Meditation? Eine gute Frage! Beschreibungen, Theorien, Handbücher, Schriften und Vorstellungen, die dies beantworten wollen, gibt es in Hülle und Fülle. Es gibt Hunderte von Meditationsschulen, in denen unter anderem Gebet, Reflexion, Hingabe, Visualisierung und Myriaden von Methoden zur Beruhigung und Konzentration des Geistes gelehrt werden. Ziel der Einsichtsmeditation (und anderer, ähnlicher Disziplinen) ist es, die Einsicht in Geist und Herz hineinzutragen. Einsicht beginnt mit der Übung des Gewahrseins und mit einem Prozeß der Selbst-Erforschung. Von diesem Standpunkt aus ist die Frage: »Was ist Meditation?« praktisch identisch mit der Frage »Was ist der Geist?« oder »Wer bin ich?« oder »Was bedeutet es, lebendig zu sein, frei zu sein?« All dies sind Fragen zum Wesen von Leben und Tod. Wir müssen diese Fragen aus unserer eigenen Erfahrung heraus beantworten, durch eine Entdeckungsreise in unser eigenes Inneres. Das ist das Herz der Meditation.

Es ist wundervoll, diese Antworten zu entdecken. Wenn es uns nicht gelingt, verbringen wir den größten Teil unseres Lebens wie Roboter. Die meisten Menschen vergeuden viele Jahre ihres Lebens, indem sie sich von Gier, Angst und Aggression antreiben lassen oder unaufhörlich Sicherheit, Zuneigung, Macht, Sex, Reichtum, Vergnügen und Ruhm nachjagen. Dieser endlose Kreislauf des Suchens wird im Buddhismus Samsāra genannt. Nur selten nehmen wir uns die Zeit für den Versuch, dieses Leben, das uns gegeben ist, zu verstehen, um daran arbeiten zu können. Wir sind geboren worden, werden älter und werden irgendwann sterben; wir vergnügen uns, leiden, wachen, schlafen – wie schnell entgleitet uns all dies. Das Gewahrsein des Leidens, welches der Lebensprozeß des Geborenwerdens, des Alterns und Sterbens mit sich bringt, veranlaßte den Buddha dazu, sich in die Frage zu vertiefen, wie es zu all dem kommt und wie wir uns davon befreien können. Das war die Frage des Buddha und der Anfang seines Weges. Jeder von uns stellt diese Frage auf seine Art. Die Einsichtsmeditation will uns helfen, uns selbst und unser Leben verstehen zu lernen: zu verstehen und frei zu sein.

Nun gibt es verschiedene Arten des Verstehens. Eine davon entwickelt sich, wenn wir die Gedanken anderer aufnehmen, also quasi lesen. Wir alle haben durch Lesen eine ungeheure Menge von Information auch über spirituelle Themen aufgenommen und im Gedächtnis gespeichert. Diese Art von Verstehen ist sicher nützlich, doch ist und bleibt das, worauf sie fußt, die Erfahrung anderer. Ähnlich verhält es sich mit dem Verstehen, das uns weise oder erfahrene Menschen vermitteln: »Schau, mein Freund, das ist so.« Auch diese Art von Erfahrung kann nützlich sein.

Es gibt jedoch ein noch tieferes Verstehen, eines, das auf unseren eigenen Erwägungen und Überlegungen basiert: »Ich habe dies durch sorgfältige Analyse erkannt. Ich verstehe, wie es funktioniert.« Durch Nachdenken kann man sehr vieles verstehen. Aber gibt es vielleicht eine Ebene des Verstehens, die auch darüber noch hinausgeht? Was geschieht, wenn wir selbst anfangen, uns grundlegende Fragen über unser Leben zu stellen? Was ist Liebe? Was ist Freiheit? Solche Fragen sind weder durch Wissen aus zweiter Hand noch durch Gedankenakrobatik zu beantworten. Der Buddha entdeckte – und nach ihm unzählige Generationen von Menschen, die seine Lehren auf ihr Leben übertrugen –, daß es eine Möglichkeit gibt, Antworten auf diese schwierigen und zugleich wundervollen Fragen zu finden. Dazu müssen wir die Fähigkeit entwickeln, klar und direkt zu sehen – und so entsteht ein intuitives, stilles Wissen.

Doch wie sollen wir beginnen? Nach der buddhistischen Überlieferung entwickelt sich diese Art des Verstehens, wenn wir an drei Aspekten unseres Seins arbeiten: an der Grundlage der bewußten Lebensführung, an der Beständigkeit von Herz und Geist und am Klarblick oder an der Weisheit.

Bewußte Lebensführung Fünf Empfehlungen für den Übungsweg

Der erste Aspekt, bewußte Lebensführung, bedeutet, daß wir unser Leben in der Welt harmonisch und achtsam gestalten. Damit sich unsere spirituelle Praxis entwickeln kann, müssen wir in unserem Leben eine grundlegende sittliche Haltung ent-wikkeln. Wenn wir an Aktivitäten beteiligt sind, die bei uns selbst oder bei anderen Schmerz und Konflikte hervorrufen, kann unser Geist nicht zur Ruhe kommen, sich sammeln und sich auf die Meditation konzentrieren, und dem Herzen ist es dann unmöglich, sich zu öffnen. In einem Geist, der in Unei-gennützigkeit und Wahrheit verwurzelt ist, können sich Kon-zentration und Weisheit leicht entwickeln.

Buddha hat fünf grundlegende Bereiche sittlichen Verhaltens benannt, die zu einem bewußten Leben führen. Diese Empfehlungen werden allen ans Herz gelegt, die dem Pfad der Achtsamkeit zu folgen wünschen. Sie sind nicht als absolute Gebote zu verstehen, sondern als praktische Orientierungshilfen, die zu einer harmonischeren Lebensführung, zu geistigem Frieden und zu geistiger Kraft verhelfen sollen. Wenn wir diese Hilfen beherzigen, entdecken wir, daß sie universellen Charakter haben, da sie in allen Kulturen und zu jeder Zeit gültig sind. Sie sind Bestandteile der grundlegenden Achtsamkeitsübung und können im Zusammenhang mit unserem spirituellen Leben entwikkelt werden.

Die erste Empfehlung lautet, nicht zu töten. Wir werden angehalten, alles Leben zu achten und nicht aus Haß oder Abneigung Dinge zu tun, die irgendeiner lebenden Kreatur schaden. Es geht hier darum, das Leben in allen seinen Formen zu achten und sich ihm liebevoll zuzuwenden. Im Rahmen des Achtfachen Pfades wird dies als ein Aspekt des Vollkommenen Handelns bezeichnet.

Diese Empfehlung mag uns als Selbstverständlichkeit erscheinen, doch vergessen wir im Alltag nur zu leicht, was sie bedeutet. Vor einigen Jahren fand ich während der Jagdsaison im New Yorker einen Cartoon, in dem ein Hirsch zu einem anderen sagt: »Warum, zum Teufel, dünnen sie nicht ihre eigenen verdammten Herden aus?« Wir haben stets Entschuldigungen bei der Hand wie: »Es gibt sowieso zu viele Hirsche.« Wenn wir bewußter werden und eine stärkere Verbindung zum Leben entwickeln, wird uns klar, daß wir anderen kein Leid zufügen sollten, schon allein deshalb nicht, weil wir uns selbst Schmerzen zufügen, wenn wir töten. Und den Opfern ist es ganz sicher nicht recht, auch die winzigsten Kreaturen wollen nicht sterben. Durch das Befolgen dieser Empfehlung lernen wir, anderen und uns selbst keinen Schmerz zuzufügen.

Die zweite Empfehlung fordert uns auf, nicht zu stehlen, uns nichts anzueignen, was uns nicht gehört. Nicht zu stehlen wird als grundlegendes Nicht-Schädigen bezeichnet. Wir müssen unsere Gier loslassen und uns abgewöhnen, zuviel haben zu wollen. Positiv ausgedrückt bedeutet dies, Dinge sensibel und liebevoll zu benutzen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, daß wir dieses Leben, diesen Planeten mit vielen anderen teilen. Um selbst leben zu können, brauchen wir die Pflanzen, die Tiere, ja sogar die Insekten. Alle Wesen dieser Welt müssen sich die Schätze der Erde teilen. Unser Planet gleicht einem Schiff von begrenzter Größe mit einer ungeheuren Zahl von Passagieren. Unser Leben ist mit dem der Bienen, der Insekten und der Regenwürmer verbunden. Gäbe es keine Regenwürmer, die den Boden auflokkern, und keine Bienen, die die Blüten befruchten, so würden wir verhungern. Wir brauchen Bienen, wir brauchen Insekten. Alle Lebensformen sind miteinander verbunden. Wenn wir lernen, die Erde zu lieben, können wir glücklich sein bei allem, was wir tun, und dieses Glück basiert auf Zufriedenheit. Dies ist die Grundlage wahrer Ökologie. Entsprechend ist es die Grundlage des Weltfriedens, wenn wir erkennen, daß wir nicht von der Erde abgetrennt sind, sondern daß wir alle von ihr abstammen und alle miteinander verbunden sind. Aus diesem Gefühl der Verbundenheit heraus kann sich das Bedürfnis zu teilen entwickeln, der Wunsch, der Welt mit Hilfsbereitschaft und Großmut zu begegnen. Großmut zu entwickeln und zu praktizieren ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil eines spirituellen Lebens. Wie man üben kann, den Empfehlungen für den Übungsweg zu folgen und die Meditation zu praktizieren, so kann man auch üben, Großmut walten zu lassen. Wenn wir dies tun, prägt ihr Geist unser Handeln, und unser Herz wird stärker und unbeschwerter. Dies kann uns zu einem tiefen Loslassen und zu großem Glück führen. Der Buddha hob die Bedeutung der Großmut hervor, indem er sagte: »Wenn ihr soviel über die Macht des Gebens wüßtet wie ich, würdet ihr keine einzige Mahlzeit zu euch nehmen, ohne sie auf irgendeine Weise mit anderen zu teilen.«

Traditionell werden drei Arten des Gebens beschrieben, und es wird uns empfohlen, Großmut so zu üben, wie unser Herz es uns eingibt. Zunächst gibt es das versuchsweise oder zögernde Geben. Wir schauen uns ein Objekt an und denken: »Wahrscheinlich brauche ich es ohnehin nicht mehr. Ich könnte es weggeben. Aber vielleicht warte ich doch besser noch bis zum nächsten Jahr. Ach nein, ich verschenke es.« Sogar diese Art des Gebens ist positiv. Uns selbst macht sie ein wenig Freude, und außerdem wird jemand anderem geholfen. Wir teilen und stellen eine Beziehung zu anderen Menschen her.

Die zweite Ebene der Großmut ist das freundliche Geben, so wie wir es einem Bruder oder einer Schwester gegenüber tun. »Bitte nimm von dem, was ich habe, und genieße es so wie ich.« Großzügig zu geben von unserer Zeit, unserer Energie und dem, was wir besitzen, ist noch befriedigender. Es ist wunderschön, dies zu tun. Wir brauchen nicht viel Besitz, um glücklich zu sein. Unsere Beziehung zum ständig sich wandelnden Leben bestimmt, ob wir glücklich oder deprimiert sind. Glück kommt aus dem Herzen.