Kitabı oku: «Der Seewolf», sayfa 2

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Das war mein Eindruck von der Stärke dieses Mannes, der an Deck auf und nieder schritt. Fest stand er auf den Beinen, jede Muskelbewegung, ob er die Schultern hob oder die Lippen um die Zigarre preßte, zeugte von Entschlossenheit und schien ihren Ursprung in einer riesenhaften und überwältigenden Kraft zu haben. In der Tat: Obwohl diese Stärke jede seiner Bewegungen durchdrang, schien es mir, als wäre sie nur der Ausdruck einer noch größeren Stärke, die in seinem Innern schlummerte, die aber jeden Augenblick erwachen konnte, schrecklich und unwiderstehlich wie das Wüten des Löwen oder der Zorn des Sturmes.

Der Koch steckte den Kopf zur Kombüsentür heraus und grinste mir ermutigend zu, gleichzeitig wies er mit dem Daumen nach dem Manne, der an der Luke auf und nieder schritt. So gab er mir zu verstehen, daß dies der Kapitän war, der ›Alte‹, wie der Koch sagte, die Persönlichkeit, die ich bemühen mußte, daß sie mich an Land setzte. Ich war gerade im Begriff, zu ihm zu gehen, um gleich die sicher unangenehme Geschichte überstanden zu haben, als der Unglückliche, der auf dem Lukendeckel lag, einen noch stärkeren Erstickungsanfall bekam. Krampfartig verrenkte er sich. Das Kinn mit dem nassen schwarzen Bart streckte sich in die Luft, während die Rückenmuskeln steif wurden und die Brust mit einer instinktiven, unbewußten Anstrengung nach Luft rang.

Der Kapitän oder Wolf Larsen. wie die Leute ihn nannten, hielt auf seinem Wege inne und blickte auf den Sterbenden hinab. So furchtbar war dieser letzte Kampf, daß der Matrose die Segeltuchpütze sinken ließ und den Inhalt auf das Deck verschüttete. Der Sterbende trommelte mit den Fersen auf dem Lukendeckel, streckte die Beine aus, erstarrte in einer einzigen mächtigen Anstrengung und rollte den Kopf von einer Seite zur andern. Dann wurden die Muskeln schlaff, der Kopf still, und ein Seufzer, ein Seufzer tiefster Erleichterung entfloh seinen Lippen. Das Kinn fiel herab, die Oberlippe hob sich, und zwei Reihen tabakgebräunter Zähne wurde sichtbar. Seine Züge schienen in einem teuflischen Grinsen über die Welt, die er verlassen und überlistet hatte, erstarrt zu sein. Aber da geschah etwas ganz Überraschendes: Wie ein Donnerschlag fuhr der Kapitän über den Toten her. Flüche prasselten in unaufhaltsamem Strom von seinen Lippen, und es waren nicht etwa gewöhnliche Flüche oder unziemliche Redensarten. Jedes seiner Worte war eine Gotteslästerung, und der Worte waren viele. Sie knisterten und krachten wie elektrische Funken. Nie im Leben habe ich Ähnliches gehört oder auch nur für, möglich gehalten. Bei meinen literarischen Neigungen und meinem Ohr für kräftige Bilder genoß ich, das muß ich gestehen, wie kein anderer Zuhörer die prachtvolle Lebendigkeit und Kraft seiner gotteslästerlichen Ergüsse. Ihre Ursache war, wenn ich recht verstand, daß der Mann, der der Steuermann war, vor der Abreise aus San Francisco an einem Gelage teilgenommen und dann die Rücksichtslosigkeit besessen hatte, gleich zu Beginn der Reise zu sterben und Wolf Larsen kurzerhand zu verlassen.

Ich brauche, meinen Freunden wenigstens, nicht zu sagen, daß ich empört war. Fluchen und Schimpfen hatten mich stets abgestoßen. Ich fühlte Mattigkeit, Schwäche oder eher Schwindel. Für mich war immer etwas Feierliches, Würdevolles mit dem Tode verbunden gewesen, etwas Friedvolles, Heiliges. In dieser schrecklichen Gestalt war ich ihm noch nie begegnet. Wie gesagt: während ich die Kraft der erschreckenden Entladung aus Wolf Larsens Munde genoß, war ich gleichzeitig unsagbar abgestoßen. Der versengende Strom genügte, das Antlitz der Leiche welken zu lassen. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der schwarze Bart sich gekräuselt hätte und in hellen Flammen aufgegangen wäre. Aber der Tote blieb unangefochten. Er grinste weiter sein höhnisches Lächeln, zynisch und verächtlich. Er war Herr der Situation.

III

Ebenso plötzlich, wie er begonnen, hörte Wolf Larsen auf zu fluchen. Er zündete sich wieder seine Zigarre an und sah sich um. Seine Augen fielen auf den Koch. »Na, Köchlein?« fragte er mit einer merkwürdigen, kalten und stählernen Leutseligkeit

»Jawohl, Käptn«, schaltete der Koch beflissen und entschuldigend ein.

»Meinst du nicht, daß du jetzt lange genug den Kopf herausgesteckt hast? Das ist nicht gesund. Der Steuermann ist tot, und dich kann ich nicht auch noch entbehren. Sei vorsichtig mit deiner Gesundheit, Köchlein. Verstanden?«

Das letzte Wort traf im Gegensatz zu der früheren Freundlichkeit wie ein Peitschenhieb, und der Koch erzitterte.

»Jawohl, Käptn«, antwortete er schüchtern, und der beanstandete Kopf verschwand.

Nach dieser Abfuhr schien die Mannschaft das Interesse an den Vorgängen an Deck verloren zu haben und machte sich wieder an die Arbeit. Mehrere Leute jedoch, die zwischen der Kajüte und der Kombüse herumlungerten – sie schienen keine Seeleute zu sein –, sprachen leise weiter miteinander. Wie ich später erfuhr, waren es die Robbenjäger, die sich hoch erhaben über die gewöhnlichen Matrosen fühlten.

»Johansen!« rief Wolf Larsen. Ein Matrose gehorchte. »Hol' dir Platen und Nadel und näh' den Schuft ein. Altes Leinen findest du in der Schiffstruhe. Los!«

»Was sollen wir ihm an die Füße hängen, Käptn?« fragte der Mann gleichmütig.

»Wird sich schon finden«, sagte Wolf Larsen. Dann hob er die Stimme und rief: »Köchlein!«

Thomas Mugridge sprang wie ein Schachtelmännchen aus seiner Kombüse.

»Geh nach unten und füll' einen Sack mit Kohlen.«

»Hat einer von euch eine Bibel oder ein Gebetbuch, Jungens?« lautete die nächste Frage, die der Kapitän diesmal an die bei der Luke herumlungernden Jäger richtete.

Sie schüttelten die Köpfe, und einer von ihnen machte einen Witz, den ich nicht verstand, der aber allgemeines Gelächter hervorrief.

Wolf Larsen stellte die gleiche Frage an die Matrosen. Bibeln und Gebetbücher schienen ein seltener Artikel an Bord zu sein, aber einer der Leute erbot sich, die Frage an die Wache, die sich unten befand, weitergehen zu lassen. Nach einer Minute kam er jedoch mit der Nachricht zurück, daß keins von beiden vorhanden sei.

Der Kapitän zuckte die Achseln. »Dann lassen wir ihn ohne Geschwätz verschwinden, wenn unser schiffbrüchiger Pastor nicht das Seemannsritual auswendig weiß.«

Bei diesen Worten drehte er sich um und sah mich an. »Sie sind Pastor, nicht wahr?« fragte er.

Die Jäger drehten sich wie ein Mann um und betrachteten mich. Ich hatte das peinliche Gefühl, einer Vogelscheuche zu gleichen. Mein Aussehen verursachte ein schallendes Gelächter, das der Anblick des Toten, der grinsend an Deck ausgestreckt lag, in keiner Weise dämpfte, ein Gelächter, so rauh und barsch wie das Meer selber, aus der Kehle von Männern, die weder Schliff noch Zartgefühl kannten.

Wolf Larsen lachte nicht, wenn seine grauen Augen auch leicht aufleuchteten. Ich war dicht an ihn herangetreten, und jetzt erhielt ich, abgesehen von seiner äußeren Erscheinung und seinem Strom von Flüchen, den ersten Eindruck von dem Manne. Die bedeutenden, festen Züge verliehen seinem Gesicht trotz der Vierschrötigkeit gute Proportionen. Wirkte das Gesicht auf den ersten Blick ebenso massiv wie sein Körper, so gewann man doch bei näherer Betrachtung die Überzeugung, daß in der Tiefe seines Wesens eine ungeheure, entsetzliche Kraft schlummerte. Mund, Kinn, die hohe Stirn, die sich schwer über den Augen wölbte, alles dies, jedes für sich schon ungewöhnliche Stärke verratend, zeugte zusammen von einer unsagbaren Männlichkeit. Eine solche Seele ließ sich nicht ausloten, nicht ermessen; sie duldete keinen Vergleich.

Die Augen – sie betrachtete ich besonders eingehend– waren groß und schön, weit offen wie die eines wirklichen Künstlers und von dichten schwarzen Brauen überwölbt. Sie waren von jenem veränderlichen Grau, das nie gleichbleibt, wie changierende Seide in der Sonne spielt und zahllose Schattierungen annimmt, die dunkel- und hellgrau und graugrün und manchmal azurblau wie die Tiefsee sein können. Es waren Augen, die die Seele hinter tausend Verkleidungen bargen, und die sich nur selten öffneten, um sie unverschleiert auf wunderbare Abenteuer in die Welt fahren zu lassen – Augen, die mit der hoffnungslosen Düsterkeit eines bleiernen Himmels brüten und wieder Feuerfunken wie von einem geschwungenen Schwert sprühen, die frostig wie eine arktische Landschaft werden und wieder sanft wärmen konnten, und die, intensiv und männlich – lockend und bittend – in feuriger Liebe blitzend, Frauen bezaubern und zugleich beherrschen mochten, daß sie sich in einem Schauer von Freude und Erleichterung ergaben.

Doch zurück zu meinem Bericht: Ich erklärte, daß ich kein Geistlicher sei, also den Gottesdienst bei dem Begräbnis leider nicht übernehmen könne.

»Was für einen Beruf haben Sie denn?«

Ich gestehe, daß man noch nie eine solche Frage an mich gerichtet, und daß auch ich selbst noch nie darüber nachgedacht hatte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, und ehe ich mich besonnen hatte, stotterte ich: »Ich – ich bin Gentleman.«

Seine Lippen kräuselten sich zu einem verächtlichen Lächeln.

»Ich habe gearbeitet, ich arbeite wirklich«, rief ich eifrig, als wäre er mein Richter, der Rechenschaft von mir forderte, während ich mir gleichzeitig ganz klar darüber wurde, wie dumm ich war, überhaupt auf die Frage einzugehen.

»Leben Sie davon?«

So herrisch und gebieterisch wirkte er, daß ich ›klappernd‹ wie ein zitterndes Kind vor dem gestrengen Lehrer dastand.

»Wer unterhält Sie?« lautete seine nächste Frage.

»Ich bin vermögend«, antwortete ich keck und hätte mir im nächsten Augenblick die Zunge abbeißen mögen. »Aber das hat doch alles nichts mit der Angelegenheit zu tun, über die ich mit Ihnen zu sprechen habe.«

Er beachtete meinen Protest nicht.

»Wer hat das Vermögen verdient? Nun? Dacht' ich's doch. Ihr Vater. Sie stehen auf den Füßen eines toten Mannes. Sie selbst haben nie was gehabt. Sie wären nicht imstande, ihrem hungrigen Magen von einem Sonnenaufgang zum andern drei Mahlzeiten zu verschaffen. Zeigen Sie mal Ihre Hände!«

Seine entsetzliche schlummernde Kraft muß sich in diesem Augenblick geregt, oder ich muß geschlafen haben, denn ehe ich es wußte, war er zwei Schritt vorgetreten, hatte meine rechte Hand gepackt und untersuchte sie. Ich wollte sie zurückziehen, aber seine Finger umschlossen sie ohne sichtbare Anstrengung so fest, daß ich glaubte, er zermalme sie. Unter solchen Umständen ist es schwer, Würde zu bewahren. Ich konnte doch nicht wie ein Schuljunge mich winden und zappeln. Und ich konnte auch ein Geschöpf nicht angreifen, das meinen Arm mit einem einzigen Druck zu zerbrechen imstande war. So blieb mir nichts übrig, als stillzuhalten und die Schmach hinzunehmen. Ich hatte Zeit zu beobachten, daß die Taschen des Toten entleert und sein Körper und sein Grinsen dem Blick durch ein Stück Segeltuch entzogen worden waren, dessen Falten Johansen, der Matrose, mit grobem Bindfaden zusammennähte, indem er die Nadel mit einem in seiner Handfläche befestigten Lederwerkzeug durchtrieb.

Wolf Larsen schleuderte meine Hand verächtlich von sich: »Die Hände eines Toten haben die Ihren weich erhalten. Zu nichts nütze als zum Aufwaschen und Küchenjungendienst.«

»Ich wünsche an Land gesetzt zu werden«, sagte ich fest, denn ich hatte mich wieder in der Gewalt. »Ich werde Ihnen zahlen, was Sie für Ihre Verspätung und Ihre Mühe verlangen.«

Er sah mich mit einem seltsamen Blick an. Seine Augen leuchteten spöttisch.

»Ich habe Ihnen einen Gegenvorschlag zu machen. Mein Steuermann ist tot, und es ist daher eine ganze Reihe von Beförderungen vorzunehmen. Ein Matrose wird den Platz des Steuermanns einnehmen, der Kajütsjunge wird Matrose, und Sie rücken an seine Stelle, unterschreiben einen Kontrakt für die Fahrt und bekommen zwanzig Dollar monatlich und freie Verpflegung. Was meinen Sie dazu? Denken Sie daran, daß es zu Ihrem eigenen Besten ist. Es wird etwas aus Ihnen. Sie lernen vielleicht, auf eigenen Füßen zu stehen und sogar ein bißchen auf ihnen zu laufen.«

Aber ich achtete nicht auf seine Worte. Die Segel des Fahrzeuges, das ich in Südwest gesehen hatte, waren immer größer und deutlicher geworden. Es war dieselbe Schonertakelung, wie die ›Ghost‹ sie hatte, aber der Rumpf war kleiner. Es war ein schöner Anblick, wie es jetzt mit ausgebreiteten Flügeln auf uns zuflog und augenscheinlich seinen Kurs ganz dicht an uns vorbei nahm. Der Wind hatte plötzlich zugenommen, und die Sonne war nach ein paar ärgerlichen Blicken hinter den Wolken verschwunden. Die See hatte sich in ein düsteres Bleigrau verwandelt und ging schwerer, und die Wogenkämme wurden von weißem Schaum gekrönt. Wir fuhren schneller und krengten stärker über. Eine Bö tauchte die Reling ganz unter Wasser, so daß es das Deck überspülte und ein paar von den Jägern veranlaßte, schnell die Beine hochzuziehen.

»Das Schiff fährt bald an uns vorbei«, sagte ich nach einer kleinen Pause. »Da es uns entgegenkommt, ist anzunehmen, daß es nach San Francisco will.«

»Sehr wahrscheinlich«, lautete Wolf Larsens Antwort. Dann wandte er sich halb um und rief: »Köchlein, he, Köchlein!« Der Koch fuhr aus der Kombüse.

»Wo ist der Junge? Sag' ihm, daß ich ihn brauche.«

»Jawohl, Käptn«, und Thomas Mugridge eilte nach achtern und verschwand über eine Treppe in der Nähe des Rades. Gleich darauf tauchte er wieder auf, gefolgt von einem kräftigen, finsterblickenden Burschen von achtzehn bis neunzehn Jahren.

»Da ist er«, sagte der Koch.

Aber Wolf Larsen ignorierte den Ehrenmann und wandte sich sofort an den Kajütsjungen.

»Wie heißt du, Junge?«

»George Leach, Käptn«, lautete die verdrossene Antwort, und die Haltung des Jungen verriet deutlich, daß er wußte, warum er herbefohlen war.

»Das ist kein irischer Name«, schnappte der Kapitän scharf. »O'Toole oder McCarthy würden besser zu deiner Fratze passen. Sonst hat jedenfalls ein Ire bei deiner Mutter im Bett gelegen.«

Ich sah, wie sich die Hände des Burschen bei dieser Beleidigung ballten und das Blut ihm zu Kopfe stieg. »Aber lassen wir das!« fuhr Wolf Larsen fort. »Du wirst wohl deine Gründe haben, deinen Namen zu vergessen, und deshalb können wir doch Freunde bleiben, solange du deine Pflicht tust. Du stammst natürlich aus Telegraph Hill. Das verrät deine Fratze auf zehn Meilen. Richtige Raufbolde! Ich kenne die Sorte. Na, das wollen wir dir schon austreiben. Verstanden? Wer hat dich geheuert?«

»McCready & Swanson.«

»Käptn!« donnerte Wolf Larsen.

»McCready & Swanson, Käptn«, verbesserte sich der Junge, und seine Augen schossen Blitze.

»Wer hat den Vorschuß gekriegt?«

»Die Leute, Käptn.«

»Hab' ich mir gedacht. Und du hast dich verflucht gefreut darüber. Konntest gar nicht schnell genug machen, denn es waren wohl verschiedene Herren hinter dir her.«

Jetzt verlor der Junge die Besinnung. Sein Körper krümmte sich wie zum Sprunge, und sein Gesicht glich dem eines knurrenden wilden Tieres. »Das ist ...«

»Was?« fragte Wolf Larsen mit merkwürdig sanfter Stimme, als wäre er ungeheuer neugierig auf das nicht ausgesprochene Wort.

Der Junge schwieg und beherrschte sich. »Nichts, Käptn, ich nehme es zurück.«

»Ich wußte ja, daß ich recht hatte!« Dies mit belustigtem Lächeln. »Wie alt bist du?«

»Sechzehn, Käptn.«

»Du lügst. Du bist wenigstens achtzehn und noch dazu groß für dein Alter. Muskeln wie ein Pferd. Pack' dein Zeug zusammen und geh nach vorn in die Back. Du bist zum Jungmann befördert. Verstanden?«

Ohne eine Antwort des Jungen abzuwarten, wandte sich der Kapitän zu dem Matrosen, der gerade die schauerliche Aufgabe, die Leiche einzunähen, beendet hatte. »Johansen, verstehst du was vom Navigieren?«

»Nein, Käptn.«

»Na, schadet nichts, du bist zum Steuermann befördert. Bring' deine Siebensachen nach achtern in die Steuermannskabine.«

»Jawohl, Käptn«, lautete die frohe Antwort, und Johansen ging. Der Junge hatte sich unterdessen nicht vom Fleck gerührt.

»Worauf wartest du noch?« fragte Wolf Larsen.

»Ich hab' mich nicht als Jungmann eintragen lassen. Käptn«, lautete die Antwort. »Ich bin als Kajütsjunge geheuert und wünsche keine andere Beschäftigung.«

»Pack' deine Sachen zusammen und mach', daß du nach vorn kommst.«

Diesmal war Wolf Larsens Befehl herrisch und durchdringend. Der Junge blickte finster vor sich hin, gehorchte aber nicht.

Da erfolgte wieder ein Ausbruch von Wolf Larsens entsetzlicher Kraft. Ganz unerwartet und von nicht zwei Sekunden Dauer. Er sprang volle sechs Fuß weit über das Deck und jagte seine Faust dem andern in den Magen. Mir wurde übel, als wäre ich selbst in den Leib getroffen. Ich erwähne dies, um zu zeigen, in welchem Zustand sich meine Nerven damals befanden, und wie ungewohnt ich derartiger roher Auftritte war. Der Kajütsjunge – er wog mindestens hundertfünfzig Pfund – klappte zusammen. Sein Körper wurde hochgehoben, beschrieb eine kurze Kurve und fiel kopfüber neben der Leiche auf das Deck, wo er liegen blieb und sich in Schmerzen wand.

»Nun?« fragte Wolf Larsen mich. »Haben Sie sich's überlegt?«

Ich warf einen Blick nach dem sich nähernden Schoner, der jetzt, nur wenige hundert Meter entfernt, dicht vor uns war. Es war ein schmuckes kleines Fahrzeug. Auf einem der Segel konnte ich eine große schwarze Zahl erkennen, wie ich sie auf Bildern von Lotsenschiffen gesehen hatte.

»Was ist das für ein Schiff?« fragte ich.

»Lotsenschoner ›Lady Mine‹«, erwiderte Wolf Larsen mit grausamem Lächeln. »Hat den Lotsen abgesetzt und geht jetzt nach San Francisco. Wird bei diesem Wind in fünf bis sechs Stunden dort sein.«

»Wollen Sie ihn bitte anrufen, daß er mich an Land bringt?«

»Tut mir leid, aber mein Signalbuch ist über Bord gefallen«, meinte er, und die Jäger grinsten.

Ich blickte ihn scharf an, und die Gedanken wirbelten mir durch den Kopf. Ich hatte die schreckliche Behandlung des Kajütsjungen mit angesehen und wußte, daß mir höchstwahrscheinlich das Gleiche, wenn nicht Schrecklicheres blühte. Wie gesagt: die Gedanken wirbelten mir durch den Kopf, und dann tat ich, was ich heute noch für die tapferste Tat meines Lebens halte. Ich lief an die Reling, schwenkte die Arme und schrie:

»›Lady Mine‹, ahoi! Bringt mich an Land! Tausend Dollar, wenn ihr mich an Land bringt!«

Ich wartete und beobachtete am Rad zwei Männer, von denen der eine steuerte. Der andere hob ein Sprachrohr an die Lippen. Ich wandte nicht den Kopf, obgleich ich jeden Augenblick den tödlichen Schlag von der menschlichen Bestie hinter mir erwartete. Schließlich konnte ich die Spannung nicht länger ertragen. Ich sah mich um. Er hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er stand noch in derselben Stellung da, schwankte leicht im Rollen des Schiffes und zündete sich eine neue Zigarre an.

»Was gibt es? Ist etwas geschehen?« So rief der Mann auf der ›Lady Mine‹.

»Ja«, schrie ich mit der vollen Kraft meiner Lungen. »Leben oder Tod! Tausend Dollar, wenn ihr mich an Land bringt!«

»Die Gegend bekommt meiner Mannschaft nicht gut«, rief Wolf Larsen jetzt hinüber. »Der« – er wies mit dem Daumen auf mich – »glaubt überall Seeschlangen und Affen zu sehen.«

Der Mann auf der ›Lady Mine‹ lachte durchs Megaphon. Das Lotsenschiff setzte seinen Kurs fort.

»Schickt ihn zum Teufel!« ertönte der letzte Ruf, und die beiden Männer winkten zum Abschied.

Verzweifelt lehnte ich mich über die Reling und starrte dem kleinen Schoner nach; die wogende Wüste wuchs rasch zwischen ihm und uns. Er war in sechs Stunden vermutlich in San Francisco! Mir war, als sollte mir der Kopf springen. Der Hals schnürte sich mir zusammen. Eine Sturzsee schlug über die Reling und besprühte mir die Lippen mit Salzwasser. Der Wind war aufgefrischt, und die ›Ghost‹ krengte so stark, daß die Reling auf Lee ganz unter Wasser begraben war. Ich konnte hören, wie es über das Deck spülte.

Als ich mich kurz darauf umwandte, sah ich, wie der Junge schwankend wieder auf die Beine kam. Sein Gesicht war geisterhaft weiß und von unterdrücktem Schmerz verzerrt. Er sah sehr elend aus.

»Na, Leach, gehst du nun nach vorn?« fragte Wolf Larsen.

»Jawohl, Käptn«, antwortete die geduckte Seele.

»Und Sie?« fragte er mich.

»Ich gebe Ihnen tausend ...«

Aber er unterbrach mich: »Lassen wir das! Wollen Sie den Posten des Kajütsjungen übernehmen? Oder soll ich Sie erst in die Mache nehmen?«

Was sollte ich tun? Wenn ich mich brutal prügeln, vielleicht totschlagen ließ, nützte es mir auch nichts. Ich starrte in die grausamen Augen. Sie hätten aus Granit sein können, so wenig Lieht und Wärme einer menschlichen Seele leuchtete aus ihnen. In den Augen mancher Menschen kann man die Regungen ihrer Seele lesen, aber die seinen waren leer, kalt und grau wie das Meer selbst. »Nun?«

»Ja«, sagte ich.

»Sagen Sie: ›Jawohl, Käptn‹!«

»Jawohl, Käptn!« verbesserte ich mich.

»Wie heißen Sie?«

»Van Weyden, Käptn.«

»Vorname?«

»Humphrey, Käptn; Humphrey van Weyden.«

»Alter?«

»Fünfunddreißig, Käptn.«

»Das genügt. Gehen Sie zum Koch und lassen Sie sich in Ihren Pflichten unterweisen.«

Und so geschah es, daß ich in ein unfreiwilliges Dienstverhältnis zu Wolf Larsen trat. Er war stärker als ich, das war alles. Aber ich habe es weder damals noch später je begriffen. Es wird mir immer als etwas Ungeheuerliches, Unverständliches, als ein furchtbarer Alp erscheinen.

»Halt, warten Sie noch!«

Folgsam blieb ich stehen.

»Johansen, rufen Sie die ganze Mannschaft zusammen. Jetzt ist alles im reinen, und da ist es am besten, wenn wir gleich das Begräbnis vornehmen und das Deck von unnützem Unrat säubern.«

Während Johansen die Wache heraufrief, legten ein paar Matrosen die eingenähte Leiche nach Anweisung des Kapitäns auf einen Lukendeckel. Zu beiden Seiten des Decks hingen kleine Boote über die Reling. Einige Mann hoben den Lukendeckel mit seiner gräßlichen Last und trugen ihn nach Lee hinüber, wo sie die Leiche, die Beine außenbords, auf eines der Boote legten. Der Kohlensack, den der Koch geholt hatte, wurde ans Fußende gebunden.

Unter einem Begräbnis auf See hatte ich mir immer etwas sehr Feierliches vorgestellt, aber bei diesem Begräbnis schwanden meine Illusionen schnell und gründlich. Einer von den Jägern, ein kleiner schwarzäugiger Mann, den seine Kameraden Smoke nannten, erzählte stark mit Flüchen und Zoten gespickte Geschichten, und jeden Augenblick brach die ganze Jägergruppe in ein Gelächter aus, das in meinen Ohren wie ein Chor von Wölfen oder das Gekläff der Höllenhunde klang. Die Matrosen versammelten sich geräuschvoll achtern, einige von der Mannschaft rieben sich den Schlaf aus den Augen und unterhielten sich leise. Auf ihren Zügen lag ein unheilverkündender, mürrischer Ausdruck. Es war deutlich zu sehen, daß die Aussicht auf eine Fahrt unter diesem Kapitän, die dazu noch unter so üblen Vorbedeutungen begonnen hatte, sie nicht lockte. Hin und wieder warfen sie verstohlene Blicke auf Wolf Larson, und ich konnte merken, daß sie den Mann fürchteten.

Er schritt zum Lukendeckel, und alle Mützen wurden abgenommen. Ich ließ meinen Blick über sie schweifen – es waren zwanzig Mann, zweiundzwanzig mit dem Mann am Ruder und mir. Es ist wohl begreiflich, daß ich sie neugierig musterte, sollte es doch nun mein Schicksal sein, ihr Los, eingepfercht in diese schwimmende Miniaturwelt, wer weiß wie viele Wochen und Monate zu teilen. Die Matrosen bestanden hauptsächlich aus Engländern und Skandinaviern mit groben, ausdruckslosen Gesichtern. Die Jäger hingegen hatten scharfe, harte, von zügelloser Leidenschaft geprägte Züge. Merkwürdigerweise sah ich sofort, daß Wolf Larsens Gesicht nicht diesen Ausdruck von Verderbtheit hatte. Gewiß, es hatte auch scharfe Linien, aber nur Linien, die von Entschlossenheit und Festigkeit sprachen. Seine Miene war von einem Freimut und einer Offenheit, die durch seine Bartlosigkeit noch verstärkt wurden. Ich konnte – bis zum nächsten Zwischenfall – kaum glauben, daß dies derselbe Mann war, der den Kajütsjungen so behandelt hatte.

Er öffnete den Mund, um zu sprechen, aber in diesem Augenblick traf ein Windstoß nach dem andern den Schoner und preßte ihn auf die Seite. Der Wind heulte ein wildes Lied durch die Takelung. Einige von den Jägern warfen ängstliche Blicke nach oben. Die Reling auf Lee, wo der Tote lag, tauchte tief ins Wasser, und als der Schoner sich aufrichtete, wurden unsere Füße überspült. Ein Regenschauer ergoß sich über uns, und jeder Tropfen traf wie ein Hagelkorn. Als er vorüber war, begann Wolf Larsen zu sprechen, während die Leute im Takt des stampfenden Schiffes schwankten.

»Ich erinnere mich nur eines Teils des Rituals,« sagte er, »nämlich: ›Und der Leichnam soll ins Meer geworfen werden.‹ – Also hinein damit.«

Er schwieg. Die Leute, die den Lukendeckel hielten, waren verdutzt, verwirrt durch die Kürze der Zeremonie. Wütend fuhr er auf sie los:

»Hoch das Ende, zum Donnerwetter! Was ist in euch gefahren, zum Teufel?«

Sie hoben schleunigst den Lukendeckel am oberen Ende. Und wie ein über Bord geworfener Hund flog der Tote, die Füße voran, ins Meer. Der Kohlensack an seinen Füßen zog ihn hinunter. Er war fort.

»Johansen,« sagte Wolf Larsen kurz zu dem neuen Steuermann, »lassen Sie alle Mann, da sie gerade hier sind, an Deck bleiben. Holen Sie die Topsegel und den Klüver ein, aber ein bißchen schnell. Wir bekommen einen tüchtigen Südwest. Reffen Sie lieber auch das Großsegel, wenn Sie schon mal dabei sind.« In einem Augenblick war das ganze Deck in Bewegung. Johansen brüllte seine Befehle, und die Leute hahlten und fierten an allen möglichen Stricken und Tauen – für mich als Landratte natürlich ein wirres Chaos. Was mich aber besonders packte, war die Herzlosigkeit, die in seinem Tun lag. Der Tote war vergessen. Er war mit einem Kohlensack an den Füßen versenkt worden, das Schiff setzte seine Reise fort, und die Arbeit ging ihren Gang. Keiner war auch nur im geringsten ergriffen. Die Jäger lachten über eine neue Geschichte, die ›Smoke‹ erzählte, die Leute hahlten und fierten, und zwei von ihnen kletterten nach oben. Wolf Larsen musterte den sich überziehenden Himmel in Luv. Und der Tote, der so elend gestorben und so jämmerlich begraben war, sank immer tiefer – – – Da überwältigte mich die Grausamkeit des Meeres, seine Unbarmherzigkeit und Gewalt. Das Leben war billig, etwas Sinnloses und Tierisches, eine seelenlose Bewegung von Schlamm und Schleim. Ich stellte mich an die Reling in Luv, neben den Wanten, und starrte über die trostlosen, schäumenden Wogen hinweg auf die niedrigen Nebelbänke. Hin und wieder trieb eine Regenbö dazwischen und entzog den Nebel meinen Blicken. Und dieses seltsame Schiff zog mit seiner schrecklichen Besatzung vor prallen Segeln nach Südwest, über die weite Fläche des Stillen Ozeans.

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