Kitabı oku: «Der Seewolf», sayfa 3

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IV

Meine ersten Erlebnisse auf dem Robbenschoner ›Ghost‹ in der Zeit, während der ich mich meiner neuen Umgebung anzupassen suchte, waren eine Kette von Demütigungen und Leiden. Der Koch, von der Besatzung ›Doktor‹, von den Jägern ›Tommy‹ und von Wolf Larsen ›Köchlein‹ genannt, war wie ausgewechselt. Die Veränderung in meiner Stellung zog eine entsprechende Veränderung in seiner Art, mich zu behandeln, nach sich. So sklavisch und unterwürfig er vorher gewesen, so herrisch und streitsüchtig war er jetzt. War ich doch nicht mehr der feine Herr mit einer Haut wie der einer Dame, sondern ein ganz gewöhnlicher und sehr unbrauchbarer Kajütsjunge.

In seiner Dummheit bestand er darauf, daß ich ihn Herr Mugridge nennen sollte, und als er mich in meinen Pflichten unterwies, waren sein Benehmen und sein ganzes Getue unerträglich. Außer meiner Arbeit in der Kajüte mit den vier kleinen Kojen sollte ich ihm in der Kombüse helfen, und meine ungeheure Unwissenheit in bezug auf Kartoffelschälen und das Auswaschen fettiger Kochtöpfe bildete für ihn eine Quelle unaufhörlicher spöttischer Verwunderung. Er nahm nicht die geringste Rücksicht auf meine Lage oder vielmehr auf meine bisherigen Gewohnheiten. Ich gestehe, daß ich ihn, ehe der Tag zu Ende war, mehr haßte, als ich je im Leben einen Menschen gehaßt hatte.

Dieser erste Tag wurde mir noch dadurch erschwert, daß die ›Ghost‹ unter gerefften Segeln durch einen ›brüllenden Südost‹ stampfte, wie Herr Mugridge sich ausdrückte. Um halb fünf deckte ich unter seiner Anleitung den Tisch in der Kajüte. Ich befestigte das Schlingerbrett und holte dann Essen und Tee aus der Kombüse. Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, mein erstes Abenteuer bei hohem Seegang zu berichten.

»Sieh dich vor, sonst kriegst du einen Guß ab«, schärfte Herr Mugridge mir ein, als ich die Kombüse verließ, in der Hand einen ungeheuren Teekessel und unter dem andern Arm mehrere frisch gebackene Brote. Einer der Jäger, ein großer gelenkiger Bursche namens Henderson, kam gerade in diesem Augenblick aus dem ›Zwischendeck‹ (mit diesem Namen bezeichneten die Jäger witzig ihre mittschiffs gelegenen Schlafquartiere). Wolf Larsen stand auf der Hütte und rauchte seine ewige Zigarre.

»Siehst du! Futsch ist er«, schrie der Koch.

Ich blieb stehen, denn ich wußte nicht, was geschah. Ich sah nur, wie die Kombüsentür mit einem Knall zuflog. Dann sah ich Henderson wie einen Verrückten zum Großmast springen und hoch über meinen Kopf in die Takelung klettern. Ich sah auch noch eine riesige Woge, die schäumend hoch über der Reling stand. Ich befand mich direkt unter ihr. Meine Gedanken arbeiteten nur langsam; alles war so neu und fremd für mich. Ich wußte nichts, als daß Gefahr drohte. Bestürzt stand ich still. Da schrie Wolf Larsen von der Hütte: »Festhalten, Sie – Hump!«

Aber es war zu spät. Ehe ich mich an die Takelung angeklammert hatte, wurde ich von dem stürzenden Wasserschwall getroffen. Was dann geschah, weiß ich nicht recht. Ich befand mich unter Wasser, erstickte, ertrank. Die Füße glitten unter mir fort, ich wurde herumgewirbelt und Gott weiß wohin gefegt. Ich schlug gegen verschiedene harte Gegenstände, und einmal stieß ich mir mein rechtes Knie schrecklich. Dann schien das Wasser plötzlich zu verschwinden, und ich atmete wieder frische Luft. Ich war gegen die Kombüse geschleudert und dann rings um die Ruff bis gegen die Speigatten in Lee geschwemmt worden. Der Schmerz in meinem Knie war furchtbar. Ich glaubte nicht auftreten zu können und war sicher, das Bein gebrochen zu haben. Aber der Koch hielt Umschau nach mir und schrie durch die Kombüsentür:

»Na du! Bleib nicht die ganze Nacht unterwegs! Wo ist der Teetopf? Über Bord? Dir wäre recht geschehen, wenn du dir den Hals gebrochen hättest!«

Ich versuchte auf die Füße zu kommen. Den großen Teetopf hielt ich noch in der Hand. Ich humpelte zur Kombüse und reichte ihn ihm. Aber er schäumte vor wirklicher und vorgeblicher Wut.

»Gott straf' mich, wenn du nicht ein elender Waschlappen bist. Wozu bist du überhaupt nütze? Wie? Wozu taugst du? Kannst nicht mal ein bißchen Tee tragen, ohne ihn zu verschütten. Nun kann ich noch mal aufgießen.

Und was greinst du?« fuhr er mich mit erneuter Wut an. »Hat seinem armen Beinchen wehgetan, Mamas armer Liebling.«

Ich greinte gar nicht, wenn mein Gesicht auch vor Schmerz zucken mochte. Aber ich bot meine ganze Energie auf, biß die Zähne zusammen und hinkte ohne weiteren Zwischenfall von der Kombüse nach der Kajüte und wieder zurück. Zweierlei aber hatte mir mein Unfall eingetragen: eine verletzte Kniescheibe, an der ich monatelang zu leiden hatte, und den Namen ›Hump‹, den Wolf Larsen mir von der Hütte aus zugerufen hatte. Von jetzt an wurde ich vorn und achtern nicht anders als Hump genannt, bis der Name so in mein Bewußtsein überging, daß ich selbst in meinen Gedanken Hump war, als ob ich nie anders geheißen hätte.

Es war keine leichte Aufgabe, am Kajütentisch zu bedienen, an dem Wolf Larsen, Johansen und die sechs Jäger aßen. Die Kajüte selbst war sehr eng, und es war nicht leicht, sich bei dem heftigen Rollen und Stampfen des Schoners darin zu bewegen. Was mich am meisten wurmte, war der vollkommene Mangel an Mitgefühl seitens der Männer, die ich bediente. Ich spürte durch die Kleidung hindurch, wie mein Knie immer mehr anschwoll, und ich war schwach und krank. Im Kajütenspiegel sah ich flüchtig mein Gesicht, das weiß, geisterhaft und vom Schmerz verzerrt war. Alle müssen meinen Zustand bemerkt haben, aber keiner verlor ein Wort darüber oder nahm auch nur die geringste Notiz von mir. Ich fühlte beinahe etwas wie Dankbarkeit, als Wolf Larsen später, als ich die Teller abwusch, zu mir sagte:

»Machen Sie sich nichts aus solcher Kleinigkeit. An so etwas werden sie sich schnell gewöhnen. Sie werden vielleicht ein bißchen weniger leichtfüßig sein, dafür aber auch gehen lernen. Das nennt man ja wohl ein Paradox, nicht wahr?« fügte er hinzu.

Er schien sich zu freuen, als ich mit einem mir schon zur Gewohnheit gewordenen »Jawohl, Käptn« nickte. »Ich nehme an, daß Sie ein bißchen Bescheid wissen über literarische Dinge. Was? Na, wir werden gelegentlich mal drüber reden.«

Und dann kehrte er mir, ohne weiter Notiz von mir zu nehmen, den Rücken und ging an Deck.

Als ich spät abends ein tüchtiges Stück Arbeit hinter mir hatte, wurde ich zum Schlafen ins Zwischendeck geschickt, wo ich eine einfache Koje erhielt. Ich war froh, von der verhaßten Gegenwart des Kochs befreit zu sein und mich endlich niederlegen zu können. Zu meiner Überraschung waren mir die Kleider am Körper getrocknet, ohne daß ich Anzeichen einer Erkältung von dem letzten Sturzbad oder dem langen Schwimmbad nach dem Sinken der ›Martinez‹ gespürt hätte. Unter gewöhnlichen Umständen wäre ich nach allem, was ich durchgemacht hatte, reif fürs Bett und eine Krankenschwester gewesen.

Aber mein Knie schmerzte furchtbar. Soweit ich feststellen konnte, hatte ich mir die Kniescheibe ausgesetzt. Als ich auf dem Rand meiner Koje saß und das Bein untersuchte (die Jäger befanden sich alle im Zwischendeck, rauchten und schwatzten), warf Henderson einen Blick auf mein Knie.

»Sieht bös aus«, bemerkte er. »Bind dir 'n Lappen rum, dann wird's besser.«

Das war alles. An Land würde ich schön auf dem Rücken gelegen haben unter der Pflege eines Arztes und mit der strengen Weisung, mich vollkommen ruhig zu verhalten. Aber ich muß diesen Männern Gerechtigkeit widerfahren lassen: ebenso gefühllos wie meinen Leiden waren sie auch ihren eigenen gegenüber; wenn ihnen einmal etwas zustieß. Erstens machte das die Gewohnheit, und zweitens waren sie von Natur aus weniger empfindlich. Ich glaube wirklich, daß ein feiner organisierter Mensch, wie ich, doppelt und dreifach soviel Schmerzen fühlte wie sie.

Bei aller Müdigkeit – ich war wirklich erschöpft – hinderte mich der Schmerz am Knie am Schlafen. Alles, was ich tun konnte, war, daß ich mich mit aller Gewalt beherrschte, um nicht laut zu stöhnen. Daheim würde ich zweifellos meinen Qualen Luft gemacht haben, aber diese mir neue, primitive Umgebung schien die Abhärtung eines Wilden von mir zu fordern. Diese Männer benahmen sich wie Naturvölker: stoisch in großen, kindlich reizbar in kleinen Dingen. Ich weiß noch, wie Kerfoot, einem der Jäger, später auf der Fahrt ein Finger zu Mus zerquetscht wurde, ohne daß er auch nur einen Laut von sich gab oder eine Miene verzog. Und derselbe Mann konnte bei der geringsten Kleinigkeit in zügellose Wut geraten.

Gerade jetzt war das der Fall. Er schrie und brüllte, schwenkte die Arme und fluchte wie der Teufel, und nur, weil er sich mit einem andern Jäger nicht über die Frage einigen konnte, ob ein Robbenjunges instinktiv schwimmen könne oder nicht. Seiner Ansicht nach schwamm es gleich nach der Geburt. Der andere Jäger, Latimer, ein magerer Bursche mit boshaften Schlitzaugen, der wie ein Yankee aussah, glaubte wiederum, die Robbenjungen würden lediglich auf dem Lande geboren, weil sie nicht schwimmen könnten, und ihre Mütter müßten es ihnen beibringen wie die Vögel ihren Nestlingen das Fliegen.

Unterdessen lagen die andern vier Jäger über dem Tisch oder saßen in ihren Kojen und überließen die beiden Widersacher ihrem Streit. Aber die Sache interessierte sie doch stark, hin und wieder ergriff einer von ihnen stürmisch Partei, und manchmal redeten sie alle durcheinander, bis die Worte wie Donnergrollen durch den Raum hallten. War der Gegenstand ihres Streits kindisch und lächerlich, so war es die Art ihrer Beweisführung noch mehr. Von Vernunftgründen war nicht die Rede, es gab nur Behauptungen und Schimpfen. Daß ein Robbenjunges bei der Geburt schwimmen konnte oder nicht, bewiesen sie durch kriegerische Behauptungen und Angriffe auf Urteilskraft, Verstand, Nationalität oder Vorleben des Gegners. Die Widerlegung war entsprechend. Ich erzähle dies nur, um die geistige Beschaffenheit der Männer zu zeigen, auf deren Umgang ich jetzt angewiesen war. In geistiger Beziehung waren sie Kinder, in körperlicher ausgewachsene Männer.

Und sie rauchten, rauchten unaufhörlich, und noch dazu einen billigen, stinkenden Tabak. Die Luft war dick und trübe vor Rauch. Das und die heftigen Bewegungen des Schiffes im Sturm würden mich sicher seekrank gemacht haben, wenn ich dazu geneigt hätte. So hatte ich nur eine Art Schwindelgefühl, das aber vielleicht auch von dem Schmerz in meinem Knie und meiner Erschöpfung herrührte.

Wie ich so dalag, machte ich mir natürlich Gedanken über meine Lage. Es war sicher einzig in seiner Art, kaum im Traum auszudenken, daß ich, Humphrey van Weyden, ein Mann von akademischer Bildung, ein Dilettant, wenn ich so sagen darf, in künstlerischen und literarischen Dingen, mich hier auf der Fahrt mit einem Robbenfänger zur Beringsee befand. Mein ganzes Leben lang hatte ich keine schwere körperliche Arbeit getan. Ich hatte ein ruhiges, ereignisloses Leben, das Dasein eines Einsiedlers geführt, mich mit Büchern beschäftigt und mein sicheres, behagliches Auskommen gehabt. Sport und Athletik hatten mich nie gereizt. Ich war stets ein Bücherwurm gewesen, so hatten Vater und Geschwister mich schon in meiner Kindheit genannt. Nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich unter freiem Himmel kampiert, und da hätte ich beinahe die Gesellschaft zu Beginn des Ausfluges verlassen, um zu der Gemütlichkeit und Behaglichkeit eines Daches zurückzukehren. Und nun hatte ich die trostlose Aussicht auf endloses Tischdecken, Kartoffelschälen und Geschirraufwaschen. Und dabei war ich nicht sehr kräftig. Zwar hatten die Ärzte gesagt, daß ich eine vorzügliche Konstitution besäße, aber ich hatte sie nie durch Übung entwickelt. Meine Muskeln waren schlaff wie die eines Weibes, das hatten mir wenigstens die Ärzte immer wieder versichert bei dem Versuch, mich zur Ausübung eines Sports zu überreden. Aber ich hatte es vorgezogen, lieber den Kopf als den Körper zu gebrauchen, und nun saß ich hier in einer keineswegs geeigneten Verfassung für das rauhe Leben, das jetzt meiner harrte. Das waren einige der Gedanken, die mir durch den Kopf schossen und die ich hier gleich erzähle, um die Rolle von Schwäche und Hilflosigkeit, die ich spielen sollte, zu rechtfertigen. Daneben gedachte ich aber auch meiner Mutter und meiner Geschwister und malte mir ihren Schmerz aus. Ich gehörte zu den vermißten Toten der ›Martinez‹-Katastrophe, zu den nicht gefundenen Leichen. Ich sah die Überschriften in den Zeitungen vor mir, sah das Kopfschütteln der Kameraden im Klub und hörte sie sagen: »Armer Kerl!« Und ich sah Charley Furuseth vor mir, wie ich ihn beim Abschied gesehen, im Schlafrock auf dem Divan liegend und seine orakelhaften tiefsinnigen Epigramme schmiedend.

Inzwischen erkämpfte sich der Schoner ›Ghost‹ seinen Weg, rollend und stampfend, hinauf auf die wogenden Berge und hinab in die schäumenden Täler, immer weiter hinein ins Herz des Pazifik – und ich war auf ihm. Ich konnte den Wind dort oben hören. Wie ein gedämpftes Brausen drang er mir ans Ohr. Ab und zu stampften Füße über meinem Kopf. Von allen Seiten erklang ein unaufhörliches Knarren, das Holzwerk ächzte, quiekte und stöhnte in tausend Tonarten. Die Jäger stritten immer noch und brüllten wie eine halbmenschliche Amphibienbrut. Die Luft schwirrte von Flüchen und Zoten. Ich konnte ihre zornigen, erhitzten Gesichter sehen, ins Riesenhafte verzerrt durch das krankhafte Gelb der Schiffslampen, die mit dem Schiffe hin und her schwankten. In dem trüben Tabakdunst wirkten die Kojen wie die Käfige in einer Menagerie. Ölzeug und Seestiefel hingen an den Wänden, und hier und dort waren Gestelle mit Flinten und Büchsen angebracht. Es gemahnte an die Ausrüstung von Freibeutern und Piraten in vergangenen Zeiten. Ich ließ meiner Phantasie freien Lauf und konnte nicht schlafen. Es war eine lange, lange Nacht, ermüdend, unheimlich und endlos.

V

Aber meine erste Nacht im Zwischendeck war auch die letzte. Am nächsten Tage wurde Johansen, der neue Steuermann, von Wolf Larsen zum Schlafen ins Zwischendeck geschickt, während ich die Koje in der winzigen Kajüte, die schon am ersten Tage meiner Seereise von zwei Personen besetzt gewesen war, erhielt. Den Grund des Wechsels erfuhren die Jäger bald, und er weckte ziemlich viel Unbehagen unter ihnen. Johansen schien im Schlaf die Ereignisse des Tages jede Nacht noch einmal zu durchleben. Sein unaufhörliches Reden, Schreien und Kommandieren war Wolf Larsen zuviel gewesen, und er hatte den lästigen Schlafgenossen deshalb zu seinen Jägern abgeschoben.

Nach einer schlaflosen Nacht erhob ich mich, müde und leidend, um meinen zweiten Tag auf der ›Ghost‹ zu beginnen. Um halb sechs purrte Thomas Mugridge mich heraus, ungefähr so, wie Bill Sykes seinen Hund hinausgejagt haben würde; aber seine Roheit gegen mich wurde Herrn Mugridge in gleicher Münze zurückgezahlt. Der unnötige Lärm, den er schlug, mußte einen von den Jägern geweckt haben, denn ein schwerer Schuh sauste durchs Halbdunkel, und ich hörte, wie Herr Mugridge vor Schmerz aufheulte und demütig um Entschuldigung bat. Später bemerkte ich, daß sein eines Ohr gequetscht und angeschwollen war. Es bekam seine frühere Form nie ganz wieder und wurde von den Matrosen von jetzt an ›Blumenkohlohr‹ genannt.

Der Tag wurde eine Kette von Verdrießlichkeiten verschiedenster Art. Ich hatte am Abend meine getrockneten Kleider vom Kombüsendach heruntergeholt und wollte sie nun zunächst wieder mit dem Zeug des Kochs vertauschen. Ich sah nach meiner Börse. Außer einigem Kleingeld (ich habe ein gutes Gedächtnis für derlei) hatte sie 185 Dollar in Gold und Scheinen enthalten. Die Börse fand ich, aber bis auf das Kleingeld war sie leer. Ich fragte den Koch danach, und wenn ich auch eine schroffe Antwort erwartet hatte, so überstieg ihre Niedertracht doch alle Grenzen.

»Sag' mal, Hump,« begann er knurrend, und seine Augen leuchteten vor Bosheit, »willst du, daß ich dir die Nase einschlage? Wenn du meinst, daß ich ein Dieb bin, dann hast du dich geirrt. Ich will blind sein, wenn das nicht der schwärzeste Undank ist, den ich je erlebt habe. Da kommt so ein elendes Gestell von Mensch, ich nehme es in meine Kombüse auf und behandle es gut, und das hab' ich nun davon! Das nächste Mal kannst du meinetwegen zum Teufel gehen, ich werde schon dafür sorgen!«

Damit hob er die Fäuste und ging auf mich los. Zu meiner Schande sei gesagt, daß ich dem Schlage feige auswich und zur Kombüse hinauslief. Was hätte ich tun sollen? Gewalt, nichts als rohe Gewalt herrschte auf diesem Schiffe. Moralische Begriffe galten hier nicht. Stellt euch vor: ein Mann von Mittelgröße mit schwachen, ungeübten Muskeln, der ein friedliches, ruhiges Leben geführt und nie eine Gewalttat gekannt hatte – was konnte der wohl machen? Es mit dieser menschlichen Bestie aufzunehmen, wäre für mich dasselbe gewesen, wie dem Angriff eines wütenden Bullen standzuhalten.

So dachte ich jedenfalls damals aus dem Bedürfnis heraus, mein Gewissen zu beschwichtigen. Aber befriedigend war diese Rechtfertigung nicht. Noch heute leidet mein Mannesstolz schwer darunter, wenn ich an diese Dinge zurückdenke, und ich kann mich nicht freisprechen.

Aber das gehört nicht hierher. Mein schnelles Laufen aus der Kombüse verursachte qualvolle Schmerzen in meinem Knie, und hilflos sank ich neben der Kajütentür zu Boden. Aber der gewalttätige Koch hatte mich nicht verfolgt.

»Sieh mal, wie er laufen kann! Wie er laufen kann!« hörte ich ihn rufen. »Und mit dem Bein! Komm nur wieder her, Mamas Liebling. Ich schlage dich nicht, wirklich nicht.«

Ich kam zurück und nahm meine Arbeit wieder auf. Für diesmal war von der Sache nicht mehr die Rede, wenn sich auch später weitere Verwicklungen daraus ergeben sollten. Ich deckte den Frühstückstisch in der Kajüte, und um sieben Uhr wartete ich Jägern und Offizieren auf. Der Sturm hatte sich im Laufe der Nacht etwas gelegt, wenn die See auch noch hoch ging und immer noch ein steifer Wind wehte. Die Segel waren wieder gehißt worden, so daß die ›Ghost‹ jetzt unter voller Leinwand bis auf die beiden Toppsegel und den Außenklüver dahinschoß. Diese drei Segel sollten, wie ich der Unterhaltung entnahm, gleich nach dem Frühstück gesetzt werden. Ich erfuhr auch, daß Wolf Larsen bedacht war, soviel wie möglich aus dem Sturm herauszuholen, der ihn nach Südwest, der Gegend zutrieb, wo er erwarten konnte, in den Nordostpassat zukommen. Mit diesem stetigen Wind hoffte er den größten Teil der schnellen Fahrt nach Japan zurücklegen zu können, und deshalb schlug er jetzt einen Bogen nach Süden in die Tropen, um dann, wenn er sich der asiatischen Küste näherte, wieder nach Norden umzubiegen.

Nach dem Frühstück hatte ich wieder ein recht unangenehmes Erlebnis. Als ich das Geschirr abgewaschen und den Herd gereinigt hatte, trug ich die Asche an Deck, um sie über Bord zu schütten. Wolf Larsen und Henderson standen, in ein Gespräch vertieft, in der Nähe des Steuerrades. Johansen steuerte. Als ich nach Luv ging, sah ich, wie er eine Bewegung mit dem Kopfe machte, die ich aber mißverstand und für einen Gutenmorgengruß hielt. In Wirklichkeit war es ein Versuch, mich zu warnen, die Asche in Luv über Bord zu werfen. Ohne zu ahnen, was ich anrichtete, ging ich an Wolf Larsen und dem Jäger vorbei und warf die Asche gegen den Wind über Bord. Der Wind aber wehte sie zurück und überschüttete nicht nur mich, sondern auch Wolf Larsen und Henderson damit Im nächsten Augenblick hatte mir der Kapitän einen Stoß versetzt, als wäre ich ein Hund, einen Stoß, der so heftig war, daß ich gegen die Hütte taumelte, wo ich mich halb ohnmächtig gegen die Wand lehnte. Alles schwamm mir vor den Augen, und mir wurde übel. Mit Mühe gelang es mir, an die Reling zu kriechen. Wolf Larsen folgte mir nicht. Er klopfte sich die Asche von der Kleidung und nahm seine Unterhaltung mit Henderson wieder auf. Johansen, der den ganzen Auftritt mit angesehen hatte, schickte ein paar Matrosen nach achtern, um das Deck zu säubern.

Später am Morgen erlebte ich eine Überraschung ganz anderer Art. Nach Anweisung des Kochs war ich in Wolf Larsens Kajüte gegangen, um aufzuräumen. An der Wand, dicht neben dem Kopfende der Koje, befand sich ein volles Büchergestell. Ich warf einen Blick darauf und sah zu meinem Erstaunen Namen wie Shakespeare, Tennyson, Poe und De Quincey. Auch wissenschaftliche Werke gab es, darunter Bücher von Tyndall, Proctor und Darwin. Astronomie und Naturwissenschaften waren vertreten, und ich bemerkte Bulfinchs ›Zeitalter der Fabel‹, Shaws ›Geschichte der englischen und amerikanischen Literatur‹ und Johnsons Naturgeschichte in zwei dicken Bänden. Ferner eine Anzahl Grammatiken, wie die von Metcalf, Reed, Kellog und so weiter. Und ich mußte lächeln, als ich ein Exemplar von Deans ›Die englische Sprache‹ sah. Ich konnte diese Bücher nicht mit dem Manne, wie ich ihn bisher kennengelernt hatte, in Einklang bringen. Ob er sie wirklich las? Als ich aber das Bett machte, fand ich zwischen den Decken die vollkommene Cambridge-Ausgabe von Browning, die ihm offenbar beim Einschlafen aus der Hand geglitten war. In dem Buche war ›Auf einem Balkon‹ aufgeschlagen, und ich sah, daß er mehrere Stellen mit einem Bleistift angestrichen hatte. Als ich bei einer heftigen Bewegung des Schiffes den Band fallen ließ, fiel ein Blatt Papier heraus. Es war über und über mit geometrischen Figuren und Berechnungen bekritzelt.

Es war klar, daß dieser furchtbare Mensch nicht der unwissende Dummkopf sein konnte, für den man ihn nach seinen Ausbrüchen von Brutalität unweigerlich halten mußte. Er wurde mir plötzlich ein Rätsel. Ich hatte schon bemerkt, daß seine Sprache ausgezeichnet war, nur gelegentlich konnte sich ein kleiner Fehler einschleichen. In der Unterhaltung mit Seeleuten und Jägern strotzte sie natürlich von Slang-Ausdrücken, aber die wenigen Worte, die er bisher mit mir gewechselt hatte, waren klar und korrekt gewesen.

Der Schimmer, den ich von der andern Seite seines Wesens erblickt hatte, muß mich ermutigt haben, denn ich entschloß mich, über den Verlust meines Geldes mit ihm zu sprechen.

»Ich bin bestohlen worden«, sagte ich zu ihm, als ich ihn bald darauf traf, wie er allein auf dem Hinterdeck auf und ab schritt.

»Käptn«, verbesserte er mich, nicht rauh, aber ernst. »Ich bin bestohlen worden, Käptn«, machte ich meinen Fehler wieder gut.

»Wie ist das zugegangen?« fragte er.

Da erzählte ich ihm die ganze Geschichte, wie ich mein Zeug zum Trocknen in der Kombüse gelassen hatte und später, als ich dem Koch gegenüber etwas davon erwähnte, beinahe von ihm geschlagen worden war. Er lächelte bei meinem Bericht. »Nebeneinnahmen«, schloß er. »Köchleins Nebeneinnahmen. Finden Sie nicht, daß Ihr Leben den Preis wert war? – Nebenbei: Betrachten Sie es als eine Lehre. Lernen Sie, selbst auf Ihr Geld zu achten. Ich denke mir, daß das bis jetzt ein Rechtsanwalt oder Geschäftsmann für Sie besorgt hat.«

Ich konnte einen heimlichen Spott aus seinen Worten heraushören, fragte jedoch: »Was kann ich tun, um es wiederzubekommen?«

»Das ist Ihre Sache. Jetzt haben Sie keinen Rechtsanwalt oder geschäftlichen Berater, und da müssen Sie schon selbst für sieh sorgen. Wenn Sie einen Dollar bekommen, so halten Sie ihn fest. Wer Geld herumliegen läßt, wie Sie es getan, der verdient es nicht besser, als daß er es verliert. Überdies haben Sie gesündigt. Sie haben kein Recht, Ihre Mitmenschen solchen Versuchungen auszusetzen. Sie haben Köchlein in Versuchung geführt, und er fiel. Sie haben seine unsterbliche Seele in Gefahr gebracht. Nebenbei: Glauben Sie an die Unsterblichkeit der Seele?«

Seine Lider hoben sich langsam, als er die Fragestellte, und in der Tiefe seiner Augen, in die ich blickte, schien sich mir die Seele zu öffnen. Aber es war eine Täuschung. Kein Mensch hat je wirklich die Tiefe von Wolf Larsens Seele ergründet – davon bin ich überzeugt. Es war eine sehr einsame Seele, wie ich erfahren sollte, die sich nie ganz entschleierte, wenn sie es auch in seltenen Augenblicken zu tun vorgab.

»Ich lese Unsterblichkeit in Ihren Augen«, antwortete ich, indem ich das ›Käptn‹ unterließ – ein Wagnis, das ich mit Hinblick auf die vertrauliche Unterhaltung versuchte.

Er achtete nicht darauf. »Sie sehen also etwas, das lebt, aber es ist nicht gegeben, daß es ewig leben wird.«

»Ich sehe mehr als das«, sagte ich kühn.

»Dann sehen Sie Bewußtsein. Bewußtsein des Lebens, das jetzt ist – aber immer noch kein künftiges Leben, keine Endlosigkeit des Seins.«

Wie klar er dachte, und wie gut er seine Gedanken auszusprechen vermochte! Nach einem forschenden Blick auf mich wandte er den Kopf und schaute über das bleifarbene Meer in Luv. Kälte trat in seine Augen, und der Zug um seinen Mund wurde streng und herb. Offenbar war seine Stimmung pessimistisch geworden.

»Und zu welchem Zweck?« fragte er plötzlich und wandte sich mir wieder zu. »Wenn ich eine unsterbliche Seele hätte – wozu?«

Ich zögerte. Wie sollte ich diesem Manne meinen Idealismus verständlich machen? Wie sollte ich ein reines Gefühl ausdrücken, etwas wie im Schlafe gehörte Musik, etwas, das überzeugend und doch unaussprechlich war?

»Was glauben Sie denn?« lautete meine Gegenfrage. »Ich glaube, daß das Leben ein wirres Durcheinander ist«, erwiderte er. »Es ist wie Hefe, wie ein Ferment, etwas, das sich bewegt und sich vielleicht eine Minute, eine Stunde, ein Jahr oder hundert Jahre bewegen mag, das aber schließlich doch aufhören wird, sich zu bewegen. Die Großen fressen die Kleinen, um sich die Kraft zur Bewegung zu bewahren. Wer Glück hat, frißt am meisten und bewegt sich am längsten, das ist alles. Was halten Sie davon?«

Er machte eine ungeduldige Armbewegung in der Richtung der Matrosen, die mittschiffs an irgendwelchem Tauwerk arbeiteten.

»Die bewegen sich, aber das tut die Qualle auch. Sie bewegen sich, um essen und sich weiter bewegen zu können. Da haben Sie's. Sie leben um ihres Bauches willen, und ihr Bauch um ihretwillen. Es ist ein Kreislauf. Es gibt kein Ziel, weder für sie noch für die andern. Am Ende steht alles still. Alle Bewegung hört auf. Sie sind tot.«

»Sie haben Träume«, unterbrach ich ihn, »strahlende, lichte Träume – – –«

»Vom Essen«, erklärte er kurz und bündig.

»Und von ...«

»Mehr Essen. Von gutem Appetit und dem Glück, ihn zu befriedigen.« Seine Stimme klang rauh und schwer. »Denn, sehen Sie, die Leute träumen von glücklichen Reisen, die ihnen mehr Geld einbringen sollen, träumen davon, Steuermann zu werden und Reichtümer zu sammeln – kurz: besser imstande zu sein, ihre Mitgeschöpfe auszunutzen, gute Nachtruhe zu haben, gutes Essen zu bekommen und die andern die schmutzige Arbeit für sich tun zu lassen. Sie und ich, wir sind genau so. Der einzige Unterschied ist, daß wir mehr und besser gegessen haben. Jetzt bin ich es, der die andern verzehrt und Sie dazu. Aber bis jetzt haben Sie mehr gegessen als ich. Sie haben in weichen Betten geschlafen, feine Kleider getragen und gute Mahlzeiten gegessen. Wer hat diese Betten, diese Kleider und Mahlzeiten geschaffen? Sie nicht. Sie haben nie etwas im Schweiße Ihres Angesichts getan. Sie lebten von Einnahmen, die Ihr Vater Ihnen geschaffen hatte. Sie glichen dem Fregattvogel, der auf den Tölpel niederstößt und ihm den gefangenen Fisch entreißt. Sie gehören zu denen, die sich zu Herren über die andern aufgeworfen haben und die Nahrung verzehren, die andere erzeugen und selber essen möchten. Sie tragen warme Kleidung. Andere haben diese Kleidung gemacht, aber die zittern in Lumpen und bitten Sie, Ihren Rechtsanwalt oder Geschäftsführer, ihnen etwas zu verdienen zu geben.«

»Aber das hat doch nichts mit der Sache zu tun«, rief ich. »Aber sehr!« Er sprach jetzt sehr schnell, und seine Augen blitzten. »Das ist Gemeinheit, und das ist Leben. Welchen Nutzen hätte die Unsterblichkeit wohl von der Gemeinheit, und welchen Sinn hätte das? Wie endet es? Wozu ist das alles? Sie haben keine Nahrung erzeugt. Und doch hätte die Nahrung, die Sie verzehrt und vergeudet haben, zahlreiche Elende retten können, die sie erzeugen, aber nicht essen konnten. Welchem unsterblichen Ziel haben Sie gedient? Oder die andern? Sehen Sie uns beide. Was nützt Ihnen Ihre gepriesene Unsterblichkeit, wenn Ihr Leben mit dem meinen zusammenstößt? Sie möchten gern an Land zurück, um Ihren Gemeinheiten zu frönen. Ich habe den scherzhaften Einfall, Sie hier an Bord meines Schiffes zu behalten, wo meine Gemeinheit blüht. Und ich will Sie behalten. Ich will etwas aus Ihnen machen oder Sie zum Teufel gehen lassen. Sie könnten heute noch sterben, diese Woche, nächsten Monat. Ich könnte Sie auf der Stelle mit einem Faustschlag töten, denn Sie sind ein elender Schwächling. Sind wir aber unsterblich, wozu dann das alles? Gemein zu sein, wie Sie und ich unser ganzes Leben, scheint mir nicht recht zur Unsterblichkeit zu passen. Also sagen Sie: Wozu das alles? Warum habe ich Sie hierbehalten?« »Weil Sie stärker sind«, vermochte ich einzuschieben. »Aber warum stärker?« fragte er weiter. »Weil ich ein größeres Stück Ferment bin als Sie. Sagen Sie? Verstehen Sie das nicht?«

»Aber das wäre hoffnungslos«, protestierte ich.

»Da stimme ich Ihnen zu«, erwiderte er. »Warum sich überhaupt bewegen, wenn Bewegung Leben ist? Bewegte man sich nicht, wäre man nicht ein Teil der Hefe, so gäbe es keine Hoffnungslosigkeit. Aber wir wollen eben leben und uns bewegen, weil Leben und Sichbewegen zufällig das Wesen des Lebens ausmacht. Wäre dem nicht so, würde Leben Tod sein. Und dieses Leben in Ihnen gibt Ihnen den Traum von der Unsterblichkeit ein. Das Leben in Ihnen ist lebendig und wünscht in alle Ewigkeit weiterzuleben. Pah! Die verewigte Gemeinheit!«

Er drehte sich kurz um und entfernte sich. Bei der Kajütstreppe blieb er stehen und rief mich zu sich.

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