Kitabı oku: «Die Wassernixe», sayfa 5
François' Hoffnung ward getäuscht; doch auch der Fremde schien einen andern hier geglaubt zu haben. Diese plötzliche Wendung warf des Bedienten wohldurchdachte Pläne, wie er den Befehlshaber der Coquette irre führen wollte, mit einem Male über den Haufen. Nicht so der kühne Seemann. In der That haben wir ihn dem Leser bis jetzt in keiner noch so verwickelten Lage vorgeführt, in welcher es ihm nicht ein Leichtes gewesen wäre, seine vollkommene Fassung zu behalten, oder vielmehr ein Schweres, seine grenzenlose Verwegenheit zu bändigen.
»Wie geht's Dir auf Deiner Fahrt im Gehölze, Musje Breitwimpel?« redete er ihn mit unendlicher Ruhe an, sobald er sich unerschrocknen Blicks überzeugt hatte, daß sie allein waren. »Dies ist sichreres Schifffahren für einen Offizier von Deiner Wassertracht, als in einer Pirogue Dich in der Bai herumzutreiben. Sag an, in welcher Länge befinden wir uns, und was für Seelauf hat Deine Gesellschaft genommen, als sie Dich allein weiter segeln ließ?«
»Sir, ich promenir in dem Wald für mein plaisir, und ich fahr' auf der Bai für mein – parbleu nein! auf der Bai fahr' ich, um meiner jungen Gebieterin zu folgen, und, Sir, ich wünschte, daß Personen, denen die Bai und die See Vergnügen machen, nicht in den Wald kämen, du tout.«
»Gut gesprochen, und mit hinlänglichem Muth. Was! auch ein Gelehrter! Wenn man in einem Walde ist, sollte man dafür sorgen, daß was herauskomme bei der Mühseligkeit der Fahrt. Ist's die Kunst, ein Toppwimpel zusammenzuwickeln, die in diesem niedlichen Bändchen gelehrt wird?«
Indem er diese Frage that, nahm er ganz gelassen François das Buch aus der Hand, der aber nichts weniger als aufgebracht über diese Freiheit war, im Gegentheil, ihm das Buch mit einer Art von Triumph überließ.
»Nein, Sir, nicht wie man den Schweif zusammenwickelt, sondern wie man die Seele rührt; nicht die Kunst bei Windstillen zu segeln, sondern – oui, es ist voll Wissen und esprit. Ah! Sie kennen den Cid! Ah le grand homme, was für Genie! Wenn Sie es lesen, Herr Matrose, Sie werden die wahre Poesie sehen. Nicht das dicke Buch vom Schiff, wo nicht ein einziger Reim ist. Sir, ich wünsche nichts zu sagen, was wäre anzüglich, aber es ist nicht ein Buch ohne Reime, es wurde nicht auf der See geschrieben. Diable! was für Genie, was für edle Sentiments stehen in diesem Buche là!«
»Aha, ich verstehe, es ist ein Logbuch, worin jeder seine Seele lesen kann. Hier nimm den Herrn Cid zurück, und seine schönen Gefühle obendrein. Bei all seinem Genie scheint er doch nicht der Mann gewesen zu seyn, der alles geschrieben hat, was man hier zwischen den Blättern findet.«
»Er nicht alles schreiben! Ja, Sir, er schreiben kann sechsmal mehr als Alles, wenn es Frankreich Noth thut. Que l'euvie de ces Anglais se découvre, quand on parle de beaux génies de la France!« »Ich will nur sagen, wenn der Herr Alles, was man in dem Buche findet, geschrieben hat, und es so schön ist, wie du einem ungelehrten Seefahrer gern willst glauben machen, so hätte er es auch sollen drucken lassen.«
»Drucken?« wiederholte François, indem er, von einem und demselben Impuls getrieben, Auge und Buch zugleich weit aufriß. »Imprimé? Ah, hier ist papier von Fräulein Alide, wirklich.«
»So nimm's ein andermal besser in Acht,« fiel der Seemann vom Shawl ihm in die Rede. »Was deinen Cid anbetrifft, so kann ich ihn nicht brauchen, da er weder die Breitenlage von Untiefen, noch die Gestalt der Küsten angibt.«
»Sir, er lehrt die morale, die Klippe der passions, und die großen Stürme der Seele! Oui, Sir, er lehrt Alles, was ein Monsieur zu wissen wünscht. Jedermann in Frankreich ihn liest, in der province wie in der Stadt. Wenn Sa Majesté, le grand Louis, nicht dem schlechten Rathe folgt, die Messieurs Hugenotten aus seinem Reich zu jagen, so gehe ich selbst nach Paris, um den Cid zu hören.«
»Eine glückliche Reise, Musje Wimpel! Kann seyn, daß wir uns unterwegs treffen; inzwischen beurlaube ich mich. Vielleicht kommt ein Tag, wo wir uns auf der schwankenden See wieder sprechen. Bis dahin leb' wohl!«
»Adieu, Monsieur, – erwiederte François mit der ihm zur Natur gewordenen höflichen Verbeugung. – Wenn wir uns nicht anderswo begegnen als zur See, so begegnen wir uns nie wieder. Ha! ha! ha! Monsieur Matrose hört nicht gern von dem Ruhm Frankreichs sprechen. Ich wohl lesen möchte diesen diable von Shak-a-spair, bloß um zu sehen, wie weit der unsterbliche Corneille ihn hinter sich läßt zurück. Ma foi, oui, Monsieur Pierre Corneille wirklich ist ein homme illustre!«
Selbstgefällig setzte nun der alte, treue Diener seinen Weg nach der großen Eiche auf der Anhöhe fort; denn als er ausgeredet hatte, sah er sich allein gelassen, der Fremde mit der bunten Schärpe war weiter in's Gehölz vorgedrungen. Stolz auf den Empfang, den er den Ausfällen des Seemanns gegeben hatte, noch stolzer auf den Namen des Schriftstellers, dessen Ruf lange vor der Zeit, wo François sein Vaterland verließ, dort verbreitet war, und nicht wenig durch die Betrachtung getröstet, daß er zur Vertheidigung der Ehre seines entfernten, geliebten Vaterlandes sein Schärflein beigetragen habe, drückte der gute Alte das Buch mit Innigkeit an sich und eilte seiner Gebieterin nach.
Wenn auch den Eingebornen von Manhattan die Lage der Insel Staten und der sie umgebenden Baien bekannt genug ist, so wird eine kurze Schilderung der Oertlichkeiten Lesern, die entfernter von dem Schauplatze der Erzählung wohnen, nicht unangenehm seyn.
Es ist schon bemerkt worden, daß die Hauptverbindung zwischen den Baien von Rariton und York, die »Meerenge« heiße. An der Mündung dieses Kanals erhebt sich das Land auf der Insel Staten zu einer bedeutenden Anhöhe, welche über das Wasser herüberragt, ungefähr wie an dem mährchenberühmten Cap Misenum. Dieser erhabene Punkt beherrscht nicht bloß die Aussicht auf beide Buchten und auf die Stadt, sondern das Auge reicht noch weit in die See hinein, über die Spitze Sandy-Hook hinweg. Von diesem Punkt werden noch heute die auf unserer Höhe ankommenden Fahrzeuge zuerst entdeckt; von hier aus erhält der ängstlich harrende Kaufmann, mittelst des Telegraphen, die Nachricht, daß sein Schiff im Anzuge sey. Damals, im Anfang des vergangenen Jahrhunderts, pflegten noch nicht so viel Schiffe hier anzukommen, daß die Kosten eines Telegraphen hätten gedeckt werden können. Die Spitze der Anhöhe ward daher, wenn nicht die schöne Aussicht manchmal einen Bewunderer von Naturscenen, oder Geschäfte einen Landmann dahin zogen, nur selten besucht. Schon früher hatte man das dort wachsende Gehölz abgehauen, so daß in einem Umfang von 10 bis l2 Morgen Landes die schon erwähnte Eiche der einzige Baum war.
Diese einsamstehende Eiche nun hatte der Rathsherr Van Beverout dem François als den Ort des Rendezvous bezeichnet, und selbst, nachdem er ihn allein gelassen, seinen Weg dahin genommen; wir verlegen daher die Scene nach diesem Fleck. Um die Wurzel des Baumes herum war eine einfache ländliche Bank angebracht, auf welcher jetzt die ganze Reisegesellschaft, mit Ausnahme des abwesenden Domestiken, Platz nahm. Es dauerte jedoch nicht lange, so kam der letztere mit einer triumphirenden Miene an, und gab sogleich einen ausführlichen Bericht von seinem Zusammentreffen mit dem Fremden.
»Wenn man ein reines Gewissen, herzliche Freunde und eine hübsche Bilanz besitzt, so kann man selbst in diesem Klima sich im Januar warm halten,« sagte der Alderman, der dem Gespräch gern eine andere Richtung geben wollte; »aber des Sommers in jener übervölkerten Stadt, mit ihren heißen Straßen, kühl bleiben, das geht über sterbliche Kräfte, zumal wenn einem wurmstichige Pelze und rebellische Schwarze den Kopf warm machen. Siehst Du den weißen Fleck jenseits der Bai, Patroon? Potz Zephyr und Fächelwind! das ist »Lust in Ruh«, wo man mit jedem Athemzug eine Herzstärkung zu sich nimmt, und wo ein Mensch, nach Belieben, zu jeder von den vier und zwanzig Stunden die Totalsumme seiner Gedanken zusammenaddiren kann.«
»Das kann man auch hier auf diesem Hügel, wir sind hier eben so allein, und haben noch obendrein den Vortheil der Aussicht auf die Stadt,« bemerkte Alida mit einer Emphase, welche darauf hindeutete, daß sie sich mehr dachte als sie aussprach.
»Das sind wir, meine Nichte, ganz allein unter uns,« erwiederte der Rathsherr, und rieb sich dabei die Hände, als wenn er sich innerlich Glück wünschte, daß dem wirklich so wäre. »Diese Wahrheit läßt sich nicht läugnen und ich sollte meinen, wir bilden eine gute Gesellschaft, obschon ich es selbst sage, der ich doch auch keine Null darin bin. Eines armen Mannes Vermögen besteht in Bescheidenheit; wenn wir aber erst in der Welt was vor uns gebracht haben, Patroon, so dürfen wir uns immerhin die Freiheit herausnehmen, von uns zu sagen, was wahr ist.«
»In welchem Fall wenig anderes als Gutes aus dem Munde des Rathsherrn Van Beverout kommen wird,« sagte Ludlow, der von hinten, wo die Wurzeln des Baumes ihn verbargen, so plötzlich hervortrat, daß der Bürger, wie verstummt, abbrach. »Der Wunsch, Ihrer Gesellschaft das Schiff zur Verfügung zu stellen, hat mein unerwartetes Erscheinen bei Ihnen veranlaßt, daher ich hoffe, daß Sie mir verzeihen werden.«
»Die Macht zu vergeben ist ein Prärogativ des Gouverneurs, welcher die Königin repräsentirt,« antwortete der Alderman trocken. »Wenn Ihre Majestät ihren Kreuzern so wenig Beschäftigung anzuweisen hat, daß die Herren Capitäne ihre Schiffe alten Männern und jungen Mädchen zur Verfügung stellen können – je nun, so leben wir in einer glücklichen Zeit, und der Handel muß wieder aufblühen.«
»Wenn sich beide Pflichten vereinigen lassen, warum sollte ein Schiffsbefehlshaber es sich nicht zum Glück anrechnen, Vielen nützlich seyn zu können! Sie reisen nach dem Hochland von Jersey, Herr Alderman Van Beverout, nicht wahr?«
»Ich reise nach einem bequemen und privaten Aufenthalt, genannt »die Lust in Ruh«, Herr Capitän Cornelius Van Cuyler Ludlow.«
Der Jüngling biß sich in die Lippe, und seine männlich braune Wange entflammte bis zum Purpur, obgleich er die äußere Fassung nicht verlor.
»Und ich reise nach der See,« sagte er, ohne zu zaudern. »Der Wind wird frisch, und Ihr Boot, das in diesem Augenblick, wie ich sehe, die Richtung nach den Inseln nimmt, wirb es schwer finden, seiner Gewalt zu widerstehen. Der Anker der Coquette ist in zwanzig Minuten gelichtet, und die zwei Stunden der Ebbe und des Bramsegelwindes werden eine nur zu kurze Zeit seyn für das Vergnügen, solche Gäste zu bewirthen. Gewiß bin ich, daß die Besorgnisse der schönen Alida meinen Wünschen günstig sind, obgleich es mir ein Geheimniß ist, auf welcher Seite ihre Neigungen sind.«
»Sie sind auf Seiten ihres Onkels;« erwiederte Alida schnell. »Ich bin so wenig Matrose, daß ich, auch ohne zaghaftig zu seyn, nur klug handle, wenn ich mich auf die Erfahrung älterer Köpfe verlasse.«
»Auf den Vorzug des größeren Alters kann ich freilich nicht Anspruch machen,« sagte Ludlow lebhaft, »allein Herr Van Beverout wird es nicht anmaßend finden, wenn ich glaube, ein eben so guter Beurtheiler von Wind und Fluth zu seyn, als selbst er.«
»Sie sollen im Befehl der königlichen Kriegsschaluppe große Geschicklichkeit entwickeln, und es macht der Colonie viel Ehre, einen so guten Offizier hervorgebracht zu haben, wenn auch gleich Ihr Großvater, wo ich nicht irre, erst zur Zeit der Thronbesteigung Carls des Zweiten in die Provinz einwanderte.«
»Einer Abstammung von den Vereinigten Provinzen von väterlicher Seite können wir uns allerdings nicht rühmen, Alderman Van Beverout; aber die politischen Gesinnungen meines Großvaters mögen gewesen seyn, welche sie wollen, die Unterthanentreue seiner Nachkommen ist noch nie in Zweifel gezogen worden. Es sey mir erlaubt, die schöne Alida dringend zu bitten, den Besorgnissen, die sie ganz gewiß fühlt, Gehör zu geben und ihrem Onkel einleuchtend zu machen, daß die Coquette sicherer ist, als seine Pirogue.«
»Man versichert, es sey nicht so leicht aus Ihrem Schiff herauszukommen als hinein,« versetzte das boshafte Mädchen lachend. »Trügen gewisse Kennzeichen nicht, die wir bei unserem Hierherkommen bemerkten, so macht ihre Coquette, wie alle anderen, gern Eroberungen. Unter einem so schädlichen Einfluß befindet man sich nicht in Sicherheit.«
»Diesen Ruf geben uns unsere Feinde; einer sehr verschiedenen Antwort versah ich mich von der schönen Barbérie.«
Des letzten Satzes Schluß ward mit einem Nachdruck gesprochen, der das Blut in des Mädchens Adern in raschere Bewegung setzte. Ein Glück war es, daß ihre zwei Reisebegleiter keine sonderliche Beobachtungsgabe besaßen, sonst würden sie dem Verdacht Raum gegeben haben, daß zwischen dem jungen Seemann und der Erbin ein größeres Einverständniß bestehe, als sich mit ihren Wünschen und Absichten vertrage.
»Von der schönen Barbérie hatte ich mir eine andere Antwort versprochen,« wiederholte Ludlow leiser, aber noch emphatischer als vorher.
Der innere Kampf Alida's war sichtbar, doch besiegte sie sich, ehe ihre Verwirrung Aufsehen erregen konnte, wandte sich zu ihrem Diener und sprach mit weiblicher Gelassenheit und Würde:
»Gib mir das Buch zurück, François.«
»Le voici – ah, mein theures Fräulein Alida, Sie hätten sehen sollen, wie der Herr Matrose sich ärgerte, über den Ruhm und die schönen Verse unsers berühmten Herrn Pierre Corneille.«
»Hier steht ein Englischer Seemann,« antwortete lächelnd seine Gebieterin, »der einem bewunderten Schriftsteller, wenn er auch einer Nation angehört, der man gewöhnlich eine feindliche Gesinnung gegen England zuschreibt, Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Herr Capitän, vor einem Monat versprach ich, Ihnen einen Band des Corneille zu leihen; erst jetzt ist es mir vergönnt, mein Wort zu lösen. Wenn Sie dem Inhalt dieses Bandes die Aufmerksamkeit geschenkt haben werden, die er verdient, so hoffe ich« –
»Bald eine Meinung über dessen Werth zu erhalten.«
»Ich wollte sagen, den Band; denn er ist ein Vermächtniß meines Vaters,« fügte Alida mit Festigkeit hinzu. »Vermächtnisse und ausländische Zungen!« brummte der Alderman. »Die ersteren gehen an; was aber die letzteren betrifft, so brauchte der klügste Mann nichts weiter zu lernen als Englisch und Holländisch. Ich wenigstens, Patroon, habe nie eine Abrechnung über Gewinn und Verlust in einer andern Sprache verstehen können, und selbst eine günstige Bilanz scheint nie so angenehm, als sie wirklich ist, wenn sie in einem andern Dialekt, als in diesen beiden vernünftigen aufgezogen ist. Capitän Ludlow, wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, aber so eben sagt mir einer von meinen Leuten hier, daß meine eigene Pirogue angekommen ist; ich wünsche Ihnen also eine glückliche und lange Seefahrt, wie man vom Leben zu sagen pfiegt, und Adieu.«
Der junge Mann erwiederte die Abschiedsgrüße der Gesellschaft gleichgültiger, als die Angelegentlichkeit, mit welcher er sie vorher zur Benutzung seines eignen Schiffes zu bewegen gesucht hatte, erwarten ließ. Selbst als sie nun den Hügel hinabgingen, nach der äußern Bai zu, blieb er gelassen, und erst nachdem die Abreisenden in ein Gehölz eingetreten waren, so daß er von ihnen nicht mehr gesehen werden konnte, ließ er seinen Gefühlen freien Lauf.
Er zog nun das Buch aus der Tasche, und an der unbändigen Hast, mit welcher er es öffnete, ließ sich leicht errathen, daß er etwas anders, als was der unsterbliche Corneille geschrieben hatte, darin zu finden hoffte – er hatte sich nicht geirrt: schnell fiel das Vermächtniß des Herrn von Barbérie vor seinen Füßen, und mit der Spannung eines Menschen, der noch ungewiß ist, ob er sein Todesurtheil oder Begnadigung lesen werde, entsiegelte und durchlief er das gefundene Billet.
Die erste Empfindung des jungen Mannes war offenbar hohe Verwunderung. Er las, las zum zweiten Mal, schlug sich vor die Stirn, schaute um sich her auf Land und Wasser, durchlief noch einmal das Geschriebene, untersuchte die Aufschrift, welche einfach lautete: »An den Herrn Ludlow, Capitän des königlichen Schiffes Coquette;« dann lächelte er, murmelte einige Worte vor sich hin, schien verdrießlich und doch entzückt; las das Briefchen Wort für Wort zum dritten oder vierten Mal und mit einem gemischten Ausdruck des Bedauerns und der Zufriedenheit verbarg er es in die Tasche.
Sechstes Kapitel.
»Nun ist das Ding heut' wiederum erschienen?« |
Hamlet. |
»Des Menschen Antlitz ist das Logbuch seiner Gedanken: die des Capitäns Ludlow scheinen von angenehmer Art zu seyn,« bemerkte eine Stimme, die von einem, unfern vom Befehlshaber der Coquette Stehenden kam, während jener noch in dem so eben beschriebenen Geberdenspiel begriffen war.
»Wer spricht von Gedanken und Logbüchern, und wer wagt es, meine Bewegungen zu belauschen?« fragte der junge Seemann wildstolz.
»Jemand, der zu oft mit den ersteren getändelt und in den letzteren geschmiert hat, um nicht zu verstehen, wie man einem Sturm begegnen müsse, er zeige sich nun am Himmel oder bloß auf dem Angesicht eines Menschen. Ihre Bewegungen, Capitän, habe ich nicht belauscht; allein wessen Blicke schon so manches große Schiff verfolgt haben, der braucht sie wohl nicht abzuwenden, wenn ihm in seiner Fahrt zufällig ein oder der andere leichte Kreuzer aufstößt. Sie haben mich hoffentlich verstanden, Sir, jeder Anruf darf auf eine höfliche Antwort Anspruch machen.«
Ludlow traute kaum seinen Sinnen, als er sich, um den Verwegnen kennen zu lernen, umdrehte und sich dem trotzigen Auge und der gleichgültigen Miene des Matrosen gegenüber sah, der an diesem Tage schon einmal seinem Zorne die Stirn geboten hatte. Der junge Mann legte indessen seinem Unwillen aus Wetteifer Zügel an; denn er fühlte wohl, daß die unerschütterliche Ruhe, welche der andere ihm entgegensetzte, demselben, trotz seines untergeordneten Standes, etwas Imponirendes, ja fast Gebietendes verlieh. Freilich ward ihm diese Selbstbezwingung um so schwerer, als er von den Meisten, welche die See zu ihrer Heimath gewählt haben, Gehorsam gewohnt war, aber das Sonderbare, jederzeit anziehend für die, Abenteuer liebende Jugend, mochte vielleicht dazu beitragen, daß er den Zorn verschluckte und mit Fassung antwortete:
»Wer sich muthig seinem Feind gegenüberstellen kann, verdient den Ruhm der Kühnheit; aber der ist tollkühn, welcher muthwillig seinen Freund zum Zorn reizt.«
»Und wer weder das Eine noch das Andere thut, ist klüger als Beide,« versetzte der rücksichtslose Held mit der bunten Schärpe. »Capitän Ludlow, wir treffen hier auf gleichem Fuß zusammen, und können daher allen Zwang aus unserer Unterhandlung verbannen.«
»Auf Männer so verschiedenen Ranges läßt sich das Wort Gleichheit schlecht anwenden.«
»Sprechen wir jetzt nicht von unserm Stand und unsern Pflichten. Hoffentlich wird jeder von uns den erstern zu behaupten, die letztern zu erfüllen wissen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Allein der Capitän Ludlow, unterstützt durch die volle Lage der Coquette und durch das Kreuzfeuer seiner Marinen, ist nicht der Capitän, einsam auf einer Anhöhe an der See, mit keinen bessern Piekstücken als seinem Arm und seinem unerschrocknen Herzen. Als Ersterer gleicht er einer Spiere, gestützt mit Pardunen und Fockstags, Brassen und stehendem Tauwerk; als Letzterer hingegen ist er nichts mehr als ein Baum, der nur durch die Gesundheit und Güte seines Stamms sein Haupt in der Höhe erhält. Sie scheinen ganz der Mann, der ohne Hülfe gehen kann, selbst bei einer heftigeren Kühlte als die, welche nach dem Drang in den Segeln des Bootes dort zu urtheilen, jetzt auf dem Meere wüthet.« »Wahr! das Boot dort fängt wirklich an, den Wind zu fühlen,« sagte Ludlow, und bald verdrängte die Erscheinung der Pirogue, welche Alida und ihre Freunde enthielt, und in diesem Augenblick aus dem Bergungsort unter dem Hügel in die breite Oeffnung der Rariton-Bai hervorschoß, jeden andern Gedanken aus der Brust des jungen Mannes. »Was halten Sie vom Wetter, mein Freund? ein Mann von Ihren Jahren sollte über diesen Gegenstand ein Kennerurtheil haben.«
»Weiber und Winde lernt man erst kennen, wenn sie in voller Bewegung sind,« erwiederte Der mit der Schärpe; »nun würde freilich jeder Sterbliche, welcher die Wolken und seine eigene Sicherheit zu Rathe zog, die Fahrt in dem königlichen Schiff Coquette lieber gemacht haben, als in der Pirogue, die dort auf den Wogen tanzt; allein das seidene Gewand, welches wir im Boote flattern sehen, belehrt uns, daß es Jemand gebe, welche anderer Meinung war.«
»Sie sind ein Mann mit eben so seltenem Verstande,« rief Ludlow, den Unbekannten wieder scharf ansehend, »als seltener« –
»Unverschämtheit,« ergänzte der Andere den abgebrochenen Satz des Commandeurs: »der wohlbestallte Offizier der Königin spreche immer rein von der Brust weg; ich bin nicht mehr als ein Marsgast, höchstens ein Quartiermeister.«
»Ich will nichts sagen, was Ihnen unangenehm ist, doch, daß Sie von meinem Anerbieten: die Dame und ihre Freunde nach der Wohnung des Aldermans Van Beverout zu führen, so wohl unterrichtet scheinen, finde ich etwas auffallend.«
»Auffallend? ich meinerseits hätte es nicht auffallend gefunden, wären Sie erbötig gewesen, die Dame irgendwo hinzuführen; schwieriger freilich würde die Handlung zu erklären seyn, wenn Sie dieselbe Liberalität auch auf ihre Freunde ausgedehnt hätten. Wenn ein junger Mann vom Herzen spricht, so pflegt er nicht zu flüstern.« »Das heißt so viel, daß sie unsere Unterredung belauscht haben. Dies kommt mir um so wahrscheinlicher vor, als es leicht ist, sich ungesehen hier in der Nähe zu befinden. Aber am Ende, Sir, hatten Sie auch Augen so gut wie Ohren.«
»Sie mögen es immerhin erfahren, ich habe gesehen, als Sie ein Stück Papier überholten, und das Gesicht dabei veränderten, – wie ein Parlamentsglied, auf ein vom Minister gegebenes Signal, ein neues Blatt in seinem Gewissensbuche aufschlägt.«
»Vom Inhalt konnten Sie doch nichts wissen!«
»Der Inhalt schien mir der geheime Befehl einer Dame zu seyn, die selbst zu sehr Coquette ist, um auf ihr Anerbieten: in einem Schiffe gleiches Namens zu segeln, eingehen zu können.«
»Bei'm Himmel, der Kerl hat bei all seiner unbegreiflichen Unverschämtheit vernünftige Besonnenheit!« brummte Ludlow vor sich hin, indem er unter dem Schatten des Baumes auf- und abging. »Die Worte und die Handlungen des Mädchens widersprechen sich, und ich bin ein Narr, daß ich mich zum Besten haben lasse, wie ein Seekadett, der eben dem Schooße der Mutter entlaufen ist. – Hören Sie 'mal, Herr – r – r – Nun! Sie haben doch wahrscheinlich, wie jeder andere Seewanderer, einen Namen?«
»O ja; auf den Ruf: Thomas Ruderpinne – höre ich, wenn der Anruf anders laut genug ist, daß ich darauf hören mag.«
»Gut denn, Herr Ruderpinne; ein so gewitzter Seemann sollte, dächte ich, mit Vergnügen Dienste bei der Königin nehmen.«
»Hätte ich nicht Pflichten gegen einen anderen, der frühere Ansprüche auf mich hat, so würde mir nichts angenehmer seyn, als einer bedrängten Dame meine Hilfe anzubieten!«
»Und wer ist's, der seine Ansprüche auf Eure Dienste gegen die der Beherrscherin dieses Reichs geltend machen darf?« fragte Ludlow, und zeigte dabei etwas von jenem hochfahrenden Wesen, so hervorstechend, wenn Leute, die gewöhnt worden sind, die königliche Würde mit Ehrfurcht zu betrachten, von den Privilegien derselben sprechen. »Der bin ich. Wenn unsere Geschäfte auf einem und demselben Wege liegen, so kann Niemand mehr bereitwillig seyn, als ich, Ihrer Majestät Gesellschaft zu leisten, aber ...«
»Das heißt meine augenblickliche Herablassung zu sehr mißbrauchen,« unterbrach ihn Ludlow; »Kerl, du weißt, daß ich über deine Dienste gebietend verfügen kann, und nicht nöthig habe, erst mit dir darum zu unterhandeln; und am Ende sind sie, trotz deiner prahlerischen Außenseite, nicht einmal der Mühe werth.«
»Es ist nicht nöthig, Capitän, daß wir es mit unserer Angelegenheit bis zum Aeußersten kommen lassen,« nahm der Fremde, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, wieder auf. »Wenn ich heute schon einmal Ihre Jagd auf mich vereitelt habe, so geschah es vielleicht, um es außer allen Zweifel zu setzen, daß ich Ihr Schiff aus ganz freiem Antrieb betrete. Wir sind hier allein, und Ew. Gestrengen werden es nicht Prahlerei nennen, wenn ich sage, daß sich nicht erwarten läßt, ein Mann mit gesunden, kräftigen Gliedern, der seine sechs Fuß zwischen Planke und Scheerstock mißt, werde sich gegen seinen Willen herumführen lassen, gleich einem Nachen am Spiegel eines Vierundvierzigers. Ich bin ein Seemann, Sir; und obgleich der Ocean meine Heimath ist, so wage ich mich doch nicht eher darauf, als bis ich weiß, daß ich sicher fuße. Schauen Sie von dieser Höhe um sich her, und sagen Sie, ob außer dem königlichen Kreuzer irgend ein Fahrzeug im Gesichtskreise liege, das dem Geschmack eines Matrosen von der langen Seefahrt zusagen könnte?«
»Soll ich das denn so verstehen, daß Sie wirklich Dienste bei mir suchen?«
»Nicht anders; und wenn auch die Meinung eines Fockmastgastes von geringem Werthe seyn mag, so sind Sie vielleicht doch nicht böse, wenn Sie aus meinem Munde hören, daß ich mich noch weiter umsehen könnte, ohne einen hübscheren Kiel, oder besseren Schnellsegler zu finden, als der, welcher unter ihrem Commando segelt. Einem Seemann von Ihrer Erfahrung darf man nicht erst sagen, daß der Mensch, so lange er sein eigener Herr ist, eine andere Sprache führt, als nachdem er sich dem königlichen Dienste hingegeben hat. Ich hoffe daher, Sie werden mir meine bisherige freie Rede nicht als Verbrechen anrechnen.«
»Leute Eures Humors sind mir schon vor Euch, mein Freund, vorgekommen; auch erfahre ich jetzt nicht zum ersten Mal, daß ein echter Kriegsschiffs-Matrose eben so unverschämt auf trock'nem Boden ist, als subordinationsmäßig am Bord – – Ist das ein Segel am Horizont oder nur der in der Sonne glänzende Fittig eines Meervogels?«
»Es kann beides seyn,« bemerkte der kühne Matrose, indem er den Blick gemächlich nach der offenen See richtete; »wir haben eine weite Aussicht auf dieser windigen Anhöhe. An der Stelle dort haben spielende Seemöven, das Gefieder dem Lichte zugekehrt, uns zum Besten.«So gebe ich are gulls sporting above the waves; wer den Doppelsinn in dem die Möve bezeichnenden Worte zu erhalten vermag, ohne sich hier einige Freiheit mit dem Original zu erlauben, der ist der Lord Ober-Admiral aller Uebersetzer, und vor ihm streiche ich meine Uebersetzer-Flagge. d. U.»Mehr seewärts geschaut! Jener glänzend weiße Fleck muß das Segeltuch irgend eines am Horizont lauernden Fahrzeugs seyn!«
»Bei so einem kräftigen Winde ist nichts wahrscheinlicher. Die Küstenfahrzeuge sind zu jeder Tages- oder Nachtstunde bald drinnen, bald draußen, wie die Ratten an einem Kai – aber wirklich mir scheint es weiter nichts zu seyn, als der Kamm einer überstürzenden Woge.«
»Segeltuch ist's, was dort flattert; schneeweiß wie die Schnellsegler an ihren oberen Spieren zu tragen pflegen.«
»So ist es wieder weggeflattert,« erwiederte trocken der Fremde, »denn es ist nicht mehr zu sehen. Ja, ja, Capitän, diese Davonflieger verursachen uns Seeleuten manche schlaflose Nacht und vergebliche Jagd. Einst lief ich an der Küste von Italien hinab, zwischen der Insel Corsica und dem weiten Meer, da ward die Mannschaft wie besessen von einer solchen Täuschung; dies dient mir seit jener Zeit stets zur Warnung, blosen Augen nicht zu trauen, wenn ihnen ein klarer Horizont und ruhiger Kopf nicht zu Hilfe kommen.«
»Laß hören,« sagte Ludlow, indem er, sich überzeugt haltend, daß seine Sinne ihn getäuscht hatten, vom fernen Ocean den Blick abwendete: »was hatte dies Wunder auf der italienischen See auf sich?«
»Ein Wunder in der That, wie Ew. Gestrengen selbst zugeben werden, wenn ich ihnen die Sache ungefähr in denselben Worten wiedererzähle, mit denen ich sie damals zur Belehrung aller Betheiligten ins Logbuch eintragen ließ. Es war die letzte Stunde der zweiten Hunde-Wache am Ostersonntag, der Wind südostost. Ein leichtes Lüftchen füllte die obern Tücher just genug, um das Schiff in unserer Gewalt zu behalten. Die Berge Corsicas, nebst Monte Christo auf Elba, waren alle schon seit einer Stunde untergegangen, und wir saßen auf den Raaen, spähend, ob das Land an der römischen Küste sich nicht aufthue. Ein niedriger Damm dicken treibenden Nebels lag längs der See, küstenwärts von uns. Wir alle hielten es für die Ausdünstung des Landes, und dachten nicht weiter daran, obgleich Keiner Lust hatte hinanzusteuern, da an der Küste böse Dünste aufsteigen, durch die weder See- noch Landvögel gern hindurchfliegen. Gut, hier lagen wir, das große Segel in den Geitauen, die Bramsegel gegen die Tops der Masten anschlagend, wie ein Mädchen, das den Fächer stärker bewegt, wenn der Liebste kommt, kurz nichts angefüllt, als das oberste Tuch, und die Sonne völlig unter'm Wasser an dem westlichen Bord. Damals war ich jung, und scharfen Auges, wie schnellen Fußes, daher ich einer der ersten war, die den Anblick sahen.«
»Und der war?« fragte Lublow, welcher, trotz seiner angenommenen gleichgültigen Miene sich angezogen fühlte.
»Ei nun, hier, genau über dem Damm von schlechten Dünsten, welche stets an jener Küste lagern, zeigte sich ein Gegenstand, der aussah gleich Strahlen glänzenden Lichtes, als wenn tausend Sterne ihre gewohnten Backs am Himmel verlassen hätten, um uns durch ein übernatürliches Zeichen vom Lande wegzuwarnen. Das Gesicht war an sich schon höchst auffallend und mit nichts Natürlichem vergleichbar. Als die Nacht immer finsterer wurde, da wuchs der Glanz und die Gluth noch mehr, als wollte es uns alles Ernstes von der Küste abwehren. Wie aber nun der Befehl erging die Gläser hinauf zu schicken, erblickte man ein blendend helles Kreuz in der Höhe, weit über diejenigen Spieren erhaben, an denen irdische Schiffe ihre Privatsignale auszuhängen pflegen.«