Kitabı oku: «Oooh, Dicker, mein Dicker ...», sayfa 2
In meinem abgrundtiefen Schrecken ob dieser obskuren Art der Verständigung ließ ich ihn, all meine Grundsätze über das Abbeißen von fremden Broten über Bord werfend, tatsächlich mein Mahl mit mir teilen, wobei er mit einem gewaltigen Bissen zwei Drittel meines Brötchens samt Wurst und Senf vertilgte und er meine saubere, kleine Brötchenhand mit einer gewaltigen, schmutzigen Pranke umklammert hielt! Und noch während er begeistert kaute, schlang und würgte, als stünde er knapp vorm Hungertod, vermeldete er mit vollem Munde und Senf verschmierten Mundwinkeln sein nicht sonderlich schmeichelhaftes Urteil über mein Mittagessen: „Na, det wusst’ ick doch glei’, dat det keene Thieringa is’, die is’ ja noch nich’ ma’ an Thiering’ voabai jeloof’n!“
Für alle, die so etwas noch nie gehört haben, hier die Übersetzung: Na, das wusste ich doch gleich, dass dies keine Thüringer ist, die ist ja noch nicht mal an Thüringen vorbeigelaufen.
Was ihn jedoch bei unseren weiteren Dienstags-Treffs nicht davon abhielt, jeweils um einen Bissen anzufragen. Das ging so lange, bis es mir zu blöde wurde, mir jedes Mal mein Essen wegfressen zu lassen und ich dazu überging, ihm schon immer ein zusätzliches Wurstbrötchen mitzukaufen. Zwar, so versicherte er mir, seien diese Brötchen samt den gefälschten Thüringern ihr Geld nicht wert, doch sobald ich ihm ein eigenes erwarb, nahm er gern, wenn auch mit herablassender Hochnäsigkeit an. Und hierbei legte er mir folgende Weisheit, die ja durchaus eine gewisse Wahrheit beinhalten mag, ans Herz: Die Schwaben können keine Wurst machen. Ja, das ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen, wie ich viel später bei einem unserer Besuche in seiner alten sächsischen Heimat feststellen durfte. Für einen wahren Liebhaber und Kenner von wahrhaft himmlischen Brat- und Brühwürstchen mutet alles, was jenseits der ehemaligen Grenzen nach Osten hin hergestellt wird, wie das Eldorado an. Aber musste man mir das wirklich jeden Dienstag aufs Neue vorkauen?
Nun, jedenfalls sah ich mich hier einem reinrassigen Sachsen gegenüber, der sich zu allem Unglück und erfolglos in schwäbischer Artikulation versuchte, alles miteinander verquirlte und in so verwaschener Form wieder ausstieß, dass einem die Tränen kommen wollten. Und um der Absurdität noch eins draufzusetzen, vermittelt er jedem, der es hören will oder auch nicht, seine Überzeugung, eigentlich befleißige er sich ja eines recht ordentlichen Hochdeutsches!
Ich habe mir vorgenommen, genau diese Ausdrucksweise in dieses Projekt einzuarbeiten, diesen kruden, haarsträubenden Slang, den er sich im Laufe der letzten 25 Jahre angeeignet hat. Das wird zwar anfangs etwas schwierig werden, aber mit der Zeit liest es sich leichter, glauben Sie mir. Schließlich musste ich es auch lernen, denn es sei zu meiner tiefsten Zerknirschung gestanden: mit diesem komischen Kauz, diesem zirkusreifen Ding, diesem DINGSBUMS! – bin ich liiert. Und diese kreuzverrückte Liaison ist der Grundstock für das Projekt, an dem ich mich gerade warm schreibe.
Ich – hätte – damals – eben – einfach – weglaufen – sollen!!!
Aber ich tat es nicht. Warum nicht? Nun, sehen Sie, irgendwie wich er nicht mehr von mir. Denn mit der ersten Wurstsemmel, die ich im kaufte, öffnete er mir gegenüber seine mitteilsamen Schleusen. Ein Dauerquassler, der mir in endlosen Monologen in jeweils dreiviertelstündlichen Päckchen sein nicht sehr glücklich verlaufenes Dasein zu Füßen legte und während derer er offenbar den Entschluss getroffen hatte, mich einfach zu behalten. Anfangs, als ich ihn bewusst körperlich wahrnahm, da dachte ich noch: Na ja, nicht schlecht. Alles in allem deutete dieses erste Erscheinungsbild auf ein angenehmes Äußeres. Wenn man nicht allzu genau hinsah. Und solange er halbwegs freundlich dreinzuschauen versucht, was äußerst selten der Fall ist, bleibt er relativ unauffällig. Ein noch immer gut gebauter, durchtrainierter Mann mittleren Alters, der mit seinem Fahrrad verwachsen zu sein scheint …
Denn dieses Fahrrad hat seine Bewandtnis. Er braucht dieses Fahrrad. Er ist quasi zum Radfahren verdammt. Denn er ist nicht gesund.
Und so gelangte ich während unserer mehrwöchigen Wurststand-Sessions an folgende Informationen: Im zarten Alter von 26 Jahren siedelte er um. Vom Osten in den Westen, 1987. Als so genannter Politischer, wie es viele gab, die alles daran setzten, ein totalitäres Regime zu verlassen. Damals bestand ja gelebte Osthilfe der BRD darin, politisch drangsalierte DDR-Bürger „herauszukaufen“, wenn sie „in der Ostzone“ einsaßen. Doch bei diesem schrägen Vogel mit seinem Fahrrad vor mir lief das ein bisschen anders. Er wurde vom Westen nicht „herausgekauft“, er wurde vom Osten schlankweg rausgeschmissen. Wegen aufrichtig von ihm propagierter Unzufriedenheit am dort herrschenden System. So kam er also „rüber“, mit zwei Koffern und einer Tasche, hatte sich neu zu orientieren, kam über Umwegen ins Schwäbische, wo man ihn neu beheimatete und in Lohn und Brot stellte. Und wo er mit 35 Jahren erkrankte. Es hätte für ihn ein gutes Leben werden können, mit einem regelmäßigen monatlichen Zahltag, einer anderen, einer freien, demokratischen Politik und freier Meinungsäußerung, und alles in allem hätte er sich einer unbeschwerten Sorglosigkeit entgegenarbeiten können. Dann machte ihm die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung …
Mit 35 Jahren schickte ihn sein Arzt angesichts eines völlig maroden Lendenwirbels in Frührente und gab ihm den gut gemeinten Ratschlag mit auf den Weg, er solle regelmäßig Sport treiben, wolle er nicht irgendwann im Rollstuhl landen. Eine Anweisung, die er notgedrungen beherzigte. Fortan besuchte er dreimal die Woche ein Sportstudio und erwarb sich ein Fahrrad. Doch ab sofort hatte sein Leben einen so nachhaltigen Einschnitt hinnehmen müssen, dass an weiteren Saus und Braus nicht mehr zu denken war. Denn eine Frühberentung mit 35 Lebensjahren fällt nicht unbedingt üppig aus, wie man sich denken kann. Und so wurde aus dem einst ganz ordentlich verdienenden, stolzen Neuwestler – ein armer Tropf. Der mit dem Bisschen, das er ab nun vom Staat bekam, ein klägliches Auskommen zu bestreiten hatte. Und der der damit drohenden Verarmung mittels seines Fahrrades entgegenzuwirken begann.
Denn dieses Fahrrad ist nicht nur ein einfaches Fahrrad, nein. Bei näherem Hinsehen erkennt man, dass dieses Fahrrad über alle Maßen dekoriert ist! Nicht mit Fähnchen und Wimpeln und Aufklebern, nein! Es ist über und über dekoriert und geschmückt mit Beuteln und Tüten! Sie hängen an den Lenkern, sie sitzen auf dem Gepäckträger, – und in allen ist etwas drinnen. Mal mehr, mal weniger. Aber alles, was sich da drinnen tummelt, kann zu Geld gemacht werden. Denn dieser kranke Typ auf dem Fahrrad hat die Not zur Tugend gemacht und sich vielen anderen angeschlossen, die das Werk des Pfandflaschen-Sammelns verrichten. Von morgens bis abends strampelt er, um seine Beutel und Tüten zu füllen. Und er macht diesen Job gut, sogar außergewöhnlich gut. Darüber wird aber noch an anderer Stelle die Rede sein.
Diese Tätigkeit führt ihn ab und an auch in unzugängliche Gefilde, in die er dennoch abtaucht, hartnäckig und verbissen, immer auf der Jagd nach dem heiß begehrten Gut, und aus deren Löcher er dann wieder zum Vorschein kommt, nahezu ausgespien von Gestrüpp und Dornenwerk, zerknittert, verdreckt und zerfleddert, aber siegesreich bewaffnet mit weiteren Flaschen und Dosen, um erneut und wacker wieder aufzusteigen auf sein getreues Rädchen, zwar vom jetzigen Äußeren nicht mehr anmutend wie ein frühberenteter Radfahrer, sondern eher – wie eine Rad fahrende Vogelscheuche …
Fazit: Bedingt durch seine in jungen Jahren erlangte Armut und somit erzwungene Sparsamkeit, bleibt ihm nicht viel mehr, als seiner Sammelleidenschaft zu frönen, um eben diese Armut leidlich abzufedern. Und diese Kunst des Pfandgutsammelns hat er bis hin zur Perfektion kultiviert.
Aber wir werden noch sehen.
Mit wem oder was genau also bekommen wir es hier zu tun?
Nun, fassen wir den Herrn Glaubert mal zusammen. Er ist also seines Zeichens Sachse von Geburt, Radfahrer, Jäger und Sammler von Pfandgut aus Leidenschaft und Notwendigkeit, mittlerweile 55 Jahre alt, wohnhaft zur Miete in einem kleinen Kuhdorf namens Brummelbach, 15 Kilometer von Piepshausen entfernt (Gott sei Dank, kann ich nur sagen, dem Herrn sei jeder einzelne Kilometer gedankt!), vom Äußeren her ein gestandenes Mannsbild, in der Birne in etwa so reif wie eine achtjährige Rotznase, und er ist stets penibel darum bemüht, sein persönliches Umfeld vor den Kopf zu stoßen. Seine Hobbys bestehen unter anderem darin, anderen auf die Zehen zu treten und sein Recht, ganz egal, ob nun auf seiner Seite oder auch nicht, durchzuboxen. Notfalls auch mit körperlichem Einsatz. Er ist ein Quengler, ein notorischer Motzer, der allem und jedem die Schuld gibt, ganz gleich, an was und warum, und der sich seinen Mitmenschen in etwa so sympathisch gibt wie ein verrückt gewordenes Warzenschwein. Und er hasst Schröder! Er hasst unseren Altbundeskanzler Schröder innigst und von ganzem Herzen; er hasst ihn mit einer unerschütterlichen Hingabe, Schröder ist an allem Schuld und das haben wir alles dem Schröder zu verdanken, und wenn uns morgen der Mond auf den Kopf fällt, dann wird der Dicke mich wissend und weise ins Bild setzen: „Siehste? Det wa’ Schröda!“
Ich denke mal, sollte ich mich eines Tages gezwungen sehen, dieses eigenartige Individuum zu Grabe zu tragen, werde ich seinen Grabstein folgendermaßen beschriften lassen: Hier ruht Jürgen Glaubert – Schröder sei Dank! Denn ich befürchte, seine Grablegung wird nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen, da er eine Art und Weise pflegt, durchs Leben zu stapfen, dass man ihn irgendwann einfach zum Abschuss freigeben wird.
Denn er regt sich auf … Er regt sich den ganzen lieben, langen Tag auf! Er hält sich an Banalitäten auf, an die unsereins nicht mal ein Augenmerk verschwenden würde! Er regt sich auf über Kassenwarteschlangen im Supermarkt, er regt sich auf über Ausländer, über Deutsche, über Schwarze und Gelbe und Bleichgesichter, er regt sich auf übers Wetter, über die Jahreszeiten, über Tag und Nacht, über meinen Fahrstil, er schwadroniert sich einem Herzinfarkt entgegen beim Thema Politik, erbost sich über Autos, die halb auf dem Fußweg parken, er sieht rot, wenn die Nachbarn seinen Weg kreuzen, er hebt ab beim Anblick von Schulklassen auf dem Pausenhof, er wird kreuzverrückt, wenn etwas nicht so geht, wie er sich das vorstellt, er lamentiert und jammert und brüllt und tobt – ein wild gewordener Affe, der der ganzen Welt die Faust zeigt und kreischend seine ungebetene Meinung kund tut!
Denn – was zu all diesen reizenden Charakterzügen hinzukommt – er kann sich nicht benehmen! Er hat keinen Anstand im Leibe. Weil ihm niemand diesen eingeprügelt hat.
Die privaten Umstände seiner Kindheit und Jugend als Nachzügler von insgesamt vier Kindern verwehrten ihm eine ordentliche Erziehung. Die Eltern, beide schon zu alt und zu krank, um sich mit diesem eigengebauten Psychopathen zu beschäftigen, hatten alle Hände voll zu tun, um ihre Blagen satt zu bekommen; die älteren Geschwister waren nicht allzu erpicht darauf, ein völlig hysterisches und cholerisches kleines Brüderchen zu Benimm und Anstand zu erziehen. Und dabei ist es geblieben. Ein hysterischer, cholerischer Dauerquatscher, der nicht einmal über die Fähigkeit zu vernunftbegabter Diskussion verfügt. Oh, er wird schon diskutieren, wenn Not am Mann ist, keine Sorge! Aber er wird die Diskussion ALLEIN führen, denn die Diskussion ist ER, und nur ER weiß, wo es lang geht, nur ER weiß um Recht und Ordnung, nur ER wird seinen Standpunkt zu vertreten wissen! Weil nämlich alle anderen Diskussionsteilnehmer nicht ZU WORT kommen!
Aber lassen wir das. Wir werden noch genug Gelegenheit bekommen, dies alles zu beleuchten.
Fest steht, er hegt Hass und Wut auf alles und jeden. Er legt sich mit Gott und der Welt an, mit den Nachbarn, mit der Hausverwaltung, er streitet und prozessiert, er hat vor nichts und niemandem Angst, ja, er ist einer, der nicht einmal davor zurückscheut, sich bei Erstreitung seiner Rechte auch ab und an mit der Polizei anzulegen. Dies gern auch unter Einbeziehung des Faustrechtes.
Gut, der verrückte Heini hat auch seine freundlichen Attribute, nur nützen ihm die wenig. Denn egal, um welche Ecke er gerade herum geschleudert kommt, die Leute beginnen sich eiligst aus seinem Dunstkreis zu verziehen. Da kann er sein Gesichtchen noch so freundlich scheinen lassen. Sobald er den Schnabel aufsperrt, um was auch immer von sich zu geben, so treten die Menschen den Rückzug an. Denn sie ist nicht nur unbequem und ungehobelt, diese radelnde Vogelscheuche, sie ist auch LAUT! Ganz laut! Er kann nicht leise sein, der Dicke. Er kann nicht leise reden, er kann nicht leise gehen, er kann überhaupt nichts leise machen. Wo er geht und steht, egal, wo er gerade sein Unwesen treibt, man hört ihn. Auch ohne Worte. Es poltert und kracht und scheppert; man hört ihn eigentlich immer. Selbst wenn er noch meilenweit entfernt ist. Die Tage, die ich mit ihm gemeinsam verbringe, sind erfüllt von meinem halbstündlich heruntergeleierten Mantra: „Nicht so laut – schrei nicht so – bisschen leiser …“ Was wenig fruchtet. Denn seiner Ansicht nach ist er doch nicht LAUT! Er macht doch keinen KRACH, nein! Er doch nicht.
Aber wie gesagt, das alles werden wir noch ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen.
Was gibt es noch über ihn zu sagen? Ach, eigentlich gibt es so viel über ihn zu erzählen, dass ich gar nicht weiß, wo anfangen. Im Grunde genommen verkörpert er zum einen das nackte Grauen. Und zum anderen einen einfach gestrickten Charakter mit haarsträubenden An- und Einsichten, der mir zum Beispiel weis machen will, den Lieben Gott gebe es eigentlich gar nicht, der sei nur eine Erfindung der Evangelischen als Vorwand dafür, auch ein paar Feiertage unter dem Deckmäntelchen des Christentums kreieren zu können. Weil ja die Katholiken schon so viele hätten. Dies ist nur eine von vielen Weisheiten dieses ungetauften, nie mit Religion in Berührung gekommenen Ex-DDR-lers, der außerdem in der verqueren Überzeugung lebt, unser Lieber Herr Jesus habe an Ostern Geburtstag, und Karfreitag heiße Karfreitag, weil’s da immer Fisch gebe. Äh – also, wie ich das jetzt auseinander dividieren soll, weiß ich auch nicht so recht. Ich habe versucht, ihm das alles zu erklären, stieß dabei auf derart morbides Unverständnis, dass ich es irgendwann dabei bewenden ließ. Als er mich eines Tages um das Mysterium von Christi Himmelfahrt löcherte und ich dieses darzulegen begann, wurde ich anschließend befragt, ob der Liebe Jesus denn mit Air Berlin oder mit Turbo Prob da rauf gefahren sei. Kurzum: An Ostern feiern wir halt jetzt immer dem Lieben Herrn Jesus seinen Geburtstag, und an Weihnachten machen wir einen Christbaum, weil man das eben so macht und der ganze Zirkus eh bloß mal wieder eine Wessi-Erfindung ist, wohl gemerkt: von katholischen Wessis!
Soweit alles klar?
Er ist also zu blöd, als dass man ihm noch etwas Neues beibringen könnte, einfach zu gefestigt in seinen eigenen verrückten Ansichten. Er ist zu blöd und zu alt für so genanntes neumodisches Gelumpe. Andererseits wieder verfügt er über genügend Bauernschläue und Hartnäckigkeit, um auf der Suche nach einer neuen Klobrille an einen Verkäufer für Sonnen- und Gleitsichtbrillen zu geraten, den er so lange und aufs Massivste massakriert, bis der bedauernswerte Optiker sich nach einem stundenlangen Streitgespräch erschöpft dazu bereit erklärt, ihm am Wochenende frei Haus einen nagelneuen Toilettensitz zu liefern.
Und er duzt jeden. Schrecklich! Das ist ganz schrecklich! Ich bin davon überzeugt, würde ihm unser lieber Papst über den Weg laufen, auf welchen göttlichen Wegen auch immer, der Dicke würde Du zu ihm sagen. Und ihn dann nicht fragen, wo denn seine eigene – also des Dicken – göttliche Aufgabe läge, sondern er würde ihn in seiner unglaublich penetranten, bezwingenden Art und Weise anhauen, ob er mit ihm wohl ein Bier trinken ginge. Irgendwo halt, wo es so ein scheiß blödes Bier gäbe. Und ich bin davon überzeugt, unser lieber, guter Papst würde halt mitgehen. Ein Bier trinken. Mit einer unguten, verqueren Seele, die einfach nur eine Klobrille kaufen wollte. Und unser guter, lieber Papst wüsste auch nicht so recht, weshalb er das täte. Er würde halt einfach mitschlurfen. Ein Bier mit dem Dicken trinken. Und sich dann von ihm an den Rand der Suizidbereitschaft quasseln und kreischen lassen …
Ja, so ist das mit ihm. Kurzum: Der Mann ist ein felsenfester Garant für absolute Peinlichkeiten, was natürlich einen irren Spaß für mich als gelegentliche Begleitperson bedeutet. Für mich, die propere und biedere Bürodame, welche zwangsläufig im Kielwasser dieser komplett durchgeknallten, radelnden, Flaschen sammelnden Kreatur einher dümpelt und sich seit nunmehr satten acht Jahren wieder und wieder fragt, was denn wohl die seligen Eltern zu einem solchen Exemplar gewachsener und gereifter Dussligkeit sagen würden, mit dem ich nun um die Häuser ziehe. Ein Wesen, das mit seinen hanebüchenen Aktionen und den damit verbundenen Erlebnissen, die wir beiden zwangsläufig teilen, bei mir im Büro für so viel schallendes Gelächter gesorgt hat, dass einige meiner Kollegen und Kolleginnen mir schon so oft ans Herz gelegt haben, wenigstens ein paar dieser verrückten und wahren Geschichten zu Papier zu bringen. Geschichten, die wirklich wahr sind. Die einen etwas länger. Die anderen etwas kürzer …
Was ich hiermit versuche. Der bereits erwähnten Traumabewältigung wegen eben.
Ein paar Geschichten über einen Blödhammel aus Brummelbach. Der nun unweigerlich in meinem Herzen festsitzt, den ich für mein Leben gern auf den Mond schießen würde, den ich nicht mehr wieder aus meinem Herzen herauskriege, und der es sich zur Obsession gemacht hat, mir all seine Liebe, der er trotz aller Unbillen seines Daseins fähig ist, aufs Auge zu drücken und mich zu umhüten und umhegen, mir auf die Pelle zu gehen und mir den letzten Nerv zu zerfieseln. Ein Knallkopf aus Brummelbach, der trotz allen Aggressionspotentials, mit dem er durchs Leben kurvt, noch immer über genügend Reinheit im Herzen verfügt, um Liebe im Überfluss zu produzieren. So dass ich eben auch nicht anders kann, als zu lieben.
Ist das nicht furchtbar? Es gibt nur zwei Menschen auf dieser ganzen großen Welt, die er wirklich und aufrichtig liebt. Der eine ist Andrea Berg, – und an die kommt er nicht ran. Der andere bin ich. Weil er an Andrea Berg eben nicht rankommt.
Ja. Ich hätte damals weglaufen sollen. Mich unsichtbar machen, meinen Wurststand Wurststand bleiben lassen, mich auf Diät setzen und auf Tauchstation gehen. Und vermutlich wäre das im Verlauf unserer weiteren Wurststand-Meetings auch genau so gekommen. Ich hätte weiterhin mein geruhsames Dasein leben können. Und alles wäre gut geblieben.
Ich hätte weglaufen sollen.
Aber – es kam alles ganz anders …
DAS ERSTE MAL
Ich muss ja jetzt immer radeln, ja ja. Ob mir das gefällt oder nicht, ich habe gefälligst zu radeln. Denn ER radelt ja schließlich auch, nicht wahr? Und da habe ich mich anzupassen. Man muss ja Gemeinsamkeiten aufbauen und miteinander pflegen. Ich kann Zeter und Mordio schreien, wie ich will, ich muss aufs Rad! Jeden Sonntag. Akkurat von 10.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Egal, wohin. Einfach raus, sagt er. An die frische Luft. Sagt er. Weil mir das gut täte, meint er. Und – das stechendste Argument: gut für die Figur.
Spätestens dann weiß ich nichts mehr gegen einzuwenden. Denn es verhält sich so: mit der Vollendung meines vierzigsten Lebensjahres begann ich damit, mich körperlich auszubreiten. In alle Richtungen. Das ist ein Prozess, der bis zum heutigen Tage anhält. Der Volksmund nennt diesen Prozess liebevoll „Wechseljahre“. Anfangs wollte ich diese körperliche Ausweitung noch nicht wahr haben; nun ja, ich war vielleicht etwas schwerer geworden mit dem Laufe der Zeit, aber raffiniert geschnittene Kleidung und meine dennoch recht zierlichen Gliedmaßen täuschten über einige Jahre noch darüber hinweg, was indes zwischen Schultern und Schritt langsam und schleichend Einzug gehalten hatte. Erst als ich begann, mir Hosen mit Gummizug zu kaufen, musste ich mir eingestehen, dass hier irgendetwas ganz furchtbar aus dem Leim zu gehen begonnen hatte. Als ich dann im zarten Alter von 44 Jahren einen kritischen Blick in den Spiegel riskierte, gab es nichts mehr zu leugnen. Addierte ich nun noch die Tatsache hinzu, dass ich mich seit einigen Monaten mit mir unerklärlichen täglichen und nächtlichen Hitzeattacken herumschlug und offenkundig mein weiblicher Zyklus ins Schleudern gekommen war, lag auf der Hand, dass ich, bis dahin unbemerkt oder vielmehr erfolgreich verdrängt, meiner unvermeidlichen Menopause entgegentrudelte. Der Blick in diesen vermaledeiten Spiegel bestätigte den Verdacht. Bis vor nicht allzu langer Zeit noch recht schlank und ansehnlich bis auf gewisse Problemzonen, die mich seit der Pubertät piesackten, begann sich nun alles in alle Richtungen zu wölben. Mein einstiges Bäuchlein, altes Relikt aus prähistorischen Babyspeckzeiten, das sich noch sehr gut unter knappen Jeans hatte in seine Schranken verweisen lassen, war zu einem gar stattlichen Bauch geworden, welcher sich nun hartnäckig und erfolgreich gegen jeden noch so stabilen Reißverschluss zur Wehr zu setzen wusste. Meine einstige Taille wurde nun umschmiegt und geschützt von einem kraftvollen, wärmenden Speckgürtel, meine Hüften sind bestens gepolstert, und mein damals noch knackiger Busen wird schwer und immer schwerer und zeigt in verhaltener Traurigkeit nach unten.
Können Sie sich vorstellen, wie das aussieht? Man nehme ein Fass, schraube unten dran zwei ganz lange und ganz dünne Streichholzbeine und stecke oben links und rechts je einen viel zu langen Affenarm dran, dann nehme man eine Kugel, setze die auf einen etwas zu kurz geratenen Hals – das bin dann ich. So sehe ich in nackig aus. Richtig grotesk. Das rührt aber auch von den schlechten Genen, die ich mütterlicherseits verpasst bekommen habe. So jedenfalls lautet meine Standart-Ausrede. Nun könnte ich, wie jede entschlossene Power-Frau, die auf sich hält, dagegen anarbeiten. Ich könnte mich täglich nach Freierabend drei Stunden ins Sportstudio schleppen und mich quälen bis aufs Blut. Aber weder bin ich eine entschlossene Power-Frau, noch mag ich mich quälen. Außerdem würde ja mein tägliches Feierabend-Nickerchen, das zwischen 17 und 18 Uhr absolviert wird, auf der Strecke bleiben. Und das geht ja nun wirklich nicht. Ich müsste mich im Sportstudio aller Welt präsentieren, wie ich unter meiner kaschierenden Bekleidung in Wahrheit aussehe, und das will ich nicht. Außerdem sehe ich mich mit chronischer Faulheit geschlagen. Das ist halt bei mir so.
Also wurstle ich mich durch meine Wechseljahre weiter so durch, mein Körper wechselt seine Form ohne Unterlass, mein Bauch wechselt seinen Standort immer weiter nach außen, meine Hüften immer weiter nach hinten …
Was macht man da bloß?
Diese Frage sollte geklärt werden, als mein Dicker, damals noch der Herr Glaubert, in mein Leben trat.
„Aba da kamma doch wat mach’n!“, erklärte er mir tatendurstig, als wir uns an einem der legendären Dienstage wieder am Wurststand trafen und ich ihm seine Frage, ob ich denn öfters mal ins Freibad ginge, mit der Begründung abschlug, dies ließe meine Figur nicht mehr zu. Kauend ließ er seinen Blick an mir herauf und wieder herunter wandern und stellte fest, das Gesamtbild sehe doch so schlecht gar nicht aus. Im Vertrauen erklärte ich, das Gesamtbild würde dadurch geprägt, dass ich schmal geschnittene Hosen und weit ausgestellte Oberteile trüge und das leidliche Dazwischen also nicht weiter auffiele. Und dieses Dazwischen – ich winkte nur ab. Und dann kam dieser legendäre Satz, der mein weiteres Leben prägen sollte.
„Aba da kamma doch wat mach’n!“
An dieser Stelle muss ich bemerken, dass wir damals noch kein Paar waren. Ich hatte eigentlich auch nie ins Auge gefasst, irgendeine Bindung mit diesem unentwegt quasselnden schrägen Vogel einzugehen, im Gegenteil! Zu dieser Zeit stellte ich ernsthafte Überlegungen an, meinen wöchentlichen Besuch beim Wurststand ganz einzustellen und meine Mittagspausen am Dienstag irgendwo dort zu verbringen, wo man mich nicht finden würde. Ich war noch nicht wieder reif für eine neue Beziehung, ich hatte keine Lust auf eine Beziehung, ich wollte einfach meine Ruhe haben. Und da für mich klar war, dass das Thema Ruhe an der Seite eines manischen Quatschkopfes wie dem da vor mir ein für allemal passé sein würde, gab es da überhaupt keinen Gedanken weiter dran zu verschwenden. Meine nächste große Liebe, so hatte ich mir zum Ziel gesetzt und sie mir noch einmal vergönnt sein sollte, sollte nicht schlechter aussehen als der junge Robert Redford und Geld wie Heu haben. So stellte ich mir mein weiteres Leben vor. Aber doch nicht an der Seite einer frühberenteten, dauerlabernden Vogelscheuche auf einem Fahrrad …
Doch meine Zukunftsvorstellungen würden sich nicht mehr in die Tat umsetzen lassen. Ich wusste das damals nur noch nicht.
Mein semmelkauendes Gegenüber erging sich nun über die Vorzüge des Fahrradfahrens. Würde ich jeden Tag nur eine Stunde Rad fahren, bekäme ich meine Figur ganz schnell wieder in den Griff. Ich konterte, ich müsse jeden Tag acht Stunden meinen Schreibtisch festhalten. Danach hätte ich nicht mehr den Elan, in dieser Hinsicht noch groß was zu machen. Er zeigte sich verständig und rechnete mir dann vor, ich müsse dieses Ansinnen dann eben aufs Wochenende verlegen. Samstag und Sonntag jeweils zwei Stunden aufs Rad, und schon nach ein paar Wochen könne ich eine positive Veränderung feststellen. Und die zwei Stunden müssten doch drin liegen, oder?! ER radle schließlich jeden Tag, und ich solle ihn doch mal ansehen!
Jaaa, – und da hatte er wohl Recht! Ich kannte ihn ja nun schon einige Wochen, und aus unseren ersten Wurststand-Meetings im Sommer, als er in kurzen Hosen und leichtem T-Shirt unterwegs gewesen war, wusste ich, dass er über einen strammen, durchtrainierten Leib verfügte. Das stimmte schon. Diesbezüglich war er recht ansehnlich. Doch schon allein die Aussicht auf körperliche Agitation trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Ich winkte erneut ab und konterte, ich sei vor 25 Jahren letztmals auf einem Rad gesessen, was die altbewährte Antwort zur Folge hatte, Radfahren verlerne man nicht. Um mein letztes Pulver zu verschießen, log ich, ich hätte überhaupt kein Rad. Woraufhin mir der Herr Glaubert strahlend eröffnete, dies mache überhaupt nichts aus, denn er habe zwei Räder. Erst kürzlich habe er sich ein nagelneues erworben, und das könne ich ja dann haben! Diese Information verwirrte mich zunächst. Sollte das heißen, er wolle mir sein nagelneues Rad schenken, damit ich am Wochenende etwas für meine Figur tun könne? Und im nächsten Moment stellte ich tief erschrocken fest, dass er bereits lautstark plante! Ich könne ihn doch am Wochenende mal besuchen! Einfach so! Eine kleine Fahrradtour mit ihm unternehmen! Ich würde feststellen, wie rasch ich in die Radelei wieder hineinfände! Und wie gut mir das täte! Eine kleine Probetour nur, ganz leichte Strecke, und ich solle doch am Sonntag in Brummelbach im Ebereschenweg 13 vorstellig werden, ob ich mir das merken könne?! Und dann würden wir gemeinsam eine ganz leichte, ganz schöne Tour machen, und das würde ganz toll sein und so weiter und so fort, und ehe ich noch irgendwelche Einwände dagegen vorschieben konnte, erbat er mir etwas zum Schreiben, was ich als Bankangestellte stets in meiner Handtasche mit mir führe. Er diktierte mir seine Handy-Nummer, bläute mir nochmals ein, am Sonntag um 12.30 Brummelbach, Ebereschenweg 13, und wenn mir was dazwischen käme, solle ich mich kurz melden, dann würden wir es vertagen, sei ja gar kein Thema, aber das Wetter solle ja noch halten, so einen schönen Novemberanfang hätten wir ja schon lange nicht mehr gehabt, und damit sprang er auf sein Rad, stieg in die Pedale, schickte mir ein begeistertes Tschüss nach und verschwand um die nächste Ecke.
Komplett überfahren blieb ich mit meiner Semmel in der Hand an meinem Wurststand zurück und starrte auf den Zettel mit der Telefonnummer. Was war DAS gewesen? Brummelbach? Wo, in drei Teufels Namen, lag Brummelbach? Und was dazwischenkommen? Selbstverständlich würde mir was dazwischenkommen! Keine zehn Gäule würden mich dazu bringen, mit diesem eigenartigen Knallkopf irgendwelche Touren zu unternehmen! Nein! Niemals! Auf gar keinen Fall …
Am Abend schaute ich zu Hause in meinem Autoatlas nach, wo dieses Brummelbach lag. Wer, um Himmels Willen, wohnte in Brummelbach?!
Am Sonntag fuhr ich nach Brummelbach. Ich hätte es bleiben lassen können, ich weiß. Den Zettel mit der Telefonnummer verlieren, den Wurststand abhaken und meinem weiteren Dasein die gewohnten ruhigen Bahnen gönnen. Ein Leben in Gemütlichkeit, Ruhe und Sicherheit. Doch irgendetwas trieb mich. Ich kann es bis heute nicht erklären, aber ich vermute mal, mich leitete die blanke Neugier, mal zu sehen, wohin es dieses radelnde Etwas aus dem schönen Sachsen verschlagen hatte. Darüber hinaus redete ich mir ein, ich würde es bei dieser einen Radtour bewenden und unsere Wege sich dann wieder sich trennen lassen. So einfach war der Plan. Ich würde ihm klar machen, ich wolle nicht mehr Rad fahren, ich könne nicht mehr Rad fahren, – irgendwie würde ich mich aus dieser Sache schon wieder heraus lavieren. Dass das dann alles ganz anders kam, Mann, das konnte ich doch nicht riechen!
Brummelbach war nicht schwer zu finden. Es lag 15 Kilometer von meiner eigenen Heimat entfernt, und es präsentierte sich mir als erschreckend hinterwäldlerisches Kuhkaff. Allerdings sehr idyllisch gelegen, schmiegte es sich an den Fuß unseres Hausberges und wies stolz ein voll erschlossenes, großes Zuzugsgebiet aus. Brummelbach war ganz offensichtlich im Wachsen begriffen. Auf der Suche nach dem Ebereschenweg musste ich zweimal fragen. Dann stand ich auf dem Parkplatz einer wohlwollenden Wohnsiedlung mit vier Mehrfamilienhäusern, mitten im Grünen gelegen. Und vor der Nummer 13 erwartete mich strahlend der Herr Glaubert im traditionellen Jogging-Outfit, flankiert von zwei Rädern, das eine das ältere Exemplar, mit dem er mich seit Wochen immer Dienstags umzingelte, das andere tatsächlich funkelnagelneu.