Kitabı oku: «Oooh, Dicker, mein Dicker ...», sayfa 5

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Noch schöner wird die Fahrerei im Sommer. Einem jeden Menschen geht beim Wort „Sommer“ das Herz auf! Mir rutscht es in die Hosen. Ich bin einer der seltenen Typen, die keine Hitze vertragen. Ich hasse es, zu schwitzen. Vor allem auf dem Rad! Man erklärt mir immer, Schwitzen sei gesund, man müsse nur viel trinken! Ich kann aber nicht viel trinken. Ich bin ein Mensch mit einem geringen Flüssigkeitsbedarf. Ich kann mich nicht einfach hinstellen, den Kopf in den Nacken legen und einen halben Liter in mich hinein pumpen, wie das alle anderen Sportskanonen einem so vormachen. Wie oft stand mein Herzblättchen schon vor mir, drückte mir die Wasserflasche in die Hand und forderte mich, die ich mich knapp vor der Bewusstlosigkeit wähnte, lauthals auf: „Drink’! Du solls’ drink’n!!!“

Und ich trinke ja auch! Ein ganz kleines Schlückchen für den Anfang, damit die Zähne nur ja nicht zu nass werden. Und dann noch eines, ein ganz kleines Bisschen nur, denn in dehydriertem Zustand fällt mir das Schlucken schwer. Es stimmt schon, es ist zum Auswachsen, wenn ich trinken SOLL! Ich stehe schwer schnaufend da, kralle mich an der Wasserflasche fest, lutsche an ihr herum, und jedes Tröpfchen, dass ich irgendwie in mich hinein zwänge, drückt sofort von innen zu den Poren wieder heraus, und ich schwitze und schwitze immer mehr, ich werde immer feuchter und nasser, und das bringt mich schier um, das widert mich an! Ich brauche kein Wasser in einem solchen Zustand, ich muss ins BETT! Aber ich soll trinken, und das kann ich nicht, und ich soll radeln, und das will ich nicht. Wie also macht man da am besten weiter?

Also, wie bereits angedeutet: im Sommer radeln, das ist bei mir so eine Sache. Mittlerweile habe ich mir ausbedungen, dass alles, was über die 35-Grad-Marke hinausgeht, mich von der Radel-Pflicht entbindet. Das habe ich in endlosen Diskussionen und unter Androhung der Freundschaftskündigung durchgeboxt, und das war ein hartes Stück Arbeit. Aber alles, was an Gradzahlen drunter bleibt, da muss ich raus! Wegen der Figur. Und wegen der Flaschen. Und wegen meinem Teint. Sagt er. Weil ich immer so blass sei. Die Blässe ist mir allerdings angeboren. Und seit ich mit IHM zusammen bin, hat sie sich noch vertieft. Das ist halt so bei mir. Ich werde nicht braun. Ich bekomme trotz Lichtschutzfaktor 200 Sonnenbrand. Wenn der weg ist, bin ich wieder weiß. Ich habe kaum Pigmentierung, bin zwei Stufen von einem reinrassigen Albino entfernt. Und so etwas jagt man mitten im Hochsommer aufs Fahrrad? Ja. Das macht man so. Bis zu 35 Grad. Das sei gesund, erklärte man mir. Nun, wie gut mir das tut, sei in zwei Sätzen geschildert: Der Weg hin zu unserem ersten Bestimmungsort geht ja noch. Das sind an die 10 Kilometer einfache Strecke, und es geht meist ganz leicht bergab. Der Fahrtwind, der mir dabei um die Rübe bläst, mag von anderen meinetwegen gern als belebend und erfrischend empfunden werden, ach, diese herrlich warme Luft! Ich empfinde sie als klebrigen, dicken, viel zu warmen und drückenden Dampf, durch den ich mich da durchzuquälen habe. Zudem muss ich auf unseren Radtouren im Sommer eine Mütze tragen, damit ich mir nicht direkt die Hirnwindungen verbruzzle. Das ist zwar gut und schön und vorausschauend durchdacht, doch unter der Mütze wird es rasch warm, dann heiß, bis mir unter dem Mützenrand der Schweiß vortritt und mir in die Augen trieft. Und nebenher kann ich zuschauen, wie meine sorgfältig eingecremten Arme mit Lichtschutzfaktor Unendlich schön knackig rot werden. Ich kann im Sommer nicht in ärmellosem Top und Shorts radeln, das geht bei mir nicht. Ich trage lange Jeans und ein kurzärmeliges T-Shirt; ich muss möglichst viel anhaben, damit ich mir möglichst wenig verbrenne, verstehen Sie? Das hält schön warm, auch bei schlappen 30 Grad im Schatten! Ich komme nie in Verlegenheit, mir im Sommer Frostbeulen einzuhandeln, das ist wichtig!

Dem Dicken macht das alles nichts aus. Der findet’s herrlich, dem kann’s nicht warm genug sein. Er radelt vergnügt neben mir einher, lässt sich den wehen Buckel von der Sonne braten, bekleidet nur mit Shorts und einem Hauch von Nichts oben herum. Er ist zwar auch ein hellhäutiger Typ, doch er hat überall – wirklich ÜBERALL – Sommersprossen, die sich bei Sonneneinstrahlung sehr rasch zu einem sehr angenehmen, durchgängigen Bronzeton verbinden. Der hat alles, was man braucht, um braun zu werden. Ich habe nichts. Ich habe meine Mütze, meine warmen Klamotten, – ach, ja, und ich habe die Einweghandschuhe. Ich habe zum Sammeln ja immer diese dünnen Gummihandschuhe an. Können Sie sich vorstellen, wie es da drinnen zu kochen anfängt? Und dann diese Hitze um mich herum! Der Schweiß, der mir übers Gesicht rinnt! Dieses Gestrampel auf dem blöden Rad! In meinem Hosenbund wird es nass! Alles wird nass …

Den ersten Stopp machen wir dann in der Kleinen Kreisstadt, sieben Kilometer von Brummelbach gelegen, und versammeln uns dort an einem der öffentlichen Mineralbrunnen, die wir in unserer Gegend haben. Der Schwabe nennt diese Trinkbrunnen Sauerwasserbrunnen. Hierbei handelt es sich um Brunnenanlagen, aus denen natürliches Mineralwasser aus dem Karstgestein der Schwäbischen Alb gepumpt wird. Dieses Wasser ist sehr bekömmlich, je nach enthaltenen Mineralien mehr oder weniger schmackhaft – und umsonst! Ein jeder kann zu diesen Brunnen kommen, dort seinen Durst stillen und sogar seine Flaschen abfüllen. Diese Brunnen sind sehr begehrt. Auch bei uns beiden. Vor allem im Sommer. Wenn wir auf Tour gehen, nehmen wir stets eine kleine, leere Trinkflasche mit auf den Weg, die dann an diesem Brunnen gefüllt wird. Und dann entstehen jene eben beschriebenen Trinkszenen.

„Drink’! Du solls’ drink’n!“

Ich kann nicht. Kann einfach nicht. Ich bin halb hinüber vor lauter Sommer, kann mich kaum mehr auf den Beinen halten, und soll trinken. Und dann wieder radeln … Das ist entsetzlich …

Dann folgt die Trennung. Er fährt links weg, ich fahre rechts weg. Ein Treffpunkt wird ausgemacht zu einer bestimmten Uhrzeit. Doch diesen Treffpunkt erreiche ich nie. Denn es ist Sommer. Die Sonne drückt. Die Hitze wabert. Meine Birne ist krebsrot. Die Knie butterweich. Ich radle nun nicht mehr, ich schiebe. Lediglich, wenn es abwärts geht, steige ich noch auf, um wackelig und durchgeschmort noch ein paar Meterchen zu bewältigen. Ansonsten drücke ich mich zu Fuß an Schatten spendenden Häuserzeilen entlang, dem ungefähren Treffpunkt entgegen, doch meine Kräfte sind erlahmt. Vielleicht finde ich hier und da noch ein Pfandfläschchen oder Döschen, doch schon allein die Vorstellung, mit einer zusätzlichen Pfanddose belastet zu werden, nimmt mir auch den letzten Elan, mich nur danach zu bücken! Irgendwann dann klingelt das Handy, und mein Herr und Meister verlangt in barschem Ton meinen momentanen Standort zu wissen. Dann öffnen sich alle meine Schleusen, und ich heule in gut durchgegartem Zustand meine derzeitige Befindlichkeit ins Telefon. Dann kommt der schon legendäre Satz: „Na, denn drehste halt schon ma’ um. Ick hol’ dia denn ein.“

Und ich schiebe zurück. Richtung Brummelbach. Raus aus der Schatten spendenden Stadt. Hinein ins freie Gelände. Kein Haus mehr. Kein Schatten. Nur noch die Felder, die Straße, der Radweg, die brüllende Sonne über mir und die heiße Luft um mich herum. Ab nun geht es die ganze Strecke wieder leicht bergauf. Und ich weine und weine und weine …

Irgendwann dann holt er mich ein, voll bepackt mit prallen Tüten und Beuteln. Meist überredet er mich, noch einmal aufzusitzen, damit er mich schieben kann. Der Mann hat Kraft für zwei, der könnte mich glatt bis Brummelbach durchschieben. Doch zu diesem Zeitpunkt bin ich schon derart geschwächt, dass es mir nicht mehr gelingen will, den Lenker in der Spur zu halten. Außerdemgeht es mir so elend, dass mir bei der rasanten Schieberei übel wird. Somit bleibt ihm nichts anderes, als mich zurück zu lassen. Mich einem schattigen Baum anheim zu stellen, mir die inzwischen gut gewärmte Wasserflasche in die Hand zu drücken und mir einzuschärfen, die nächste halbe Stunde an Ort und Stelle auszuharren, bis er mit dem Auto zurückkäme, um mich einzusammeln. Und wieder einmal radelt er von dannen, hinaus in den gleißenden Sonnenschein, mein eigenes Rad neben sich herschiebend … während ich unter meinem mir zugewiesenen Apfelbaum liege, zusammengerollt wie ein Embryo, und mein nahendes Ableben erwarte. Dieser Baum kennt mich schon. Im Laufe der letzten acht Jahre habe ich unter seiner Krone eine tiefe Kuhle ins Gras hineingelegen; das Gras dort wächst besonders salzhaltig, getränkt von meinen vielen, vielen Tränen …

So. Soviel zu unseren Sommertouren auf dem Rad. Im Winter hingegen radle ich nicht. Im Winter ist das bei meinem gesteigerten Unfallrisiko dann doch zu waghalsig, das sieht auch mein Herr Dicker ein. Ganz zu Anfang habe ich das versucht, doch die Rutscherei über Eisplatten und die Schweinerei durch hochspritzenden Schneematsch, das ist nun doch zu viel des Guten. Aus einem solchen Abenteuer mit Dreck verkrusteten Klamotten wieder herauszustolpern, das ist alles andere als produktiv. Für den Winter bin ich zwar gut gerüstet, was Bekleidung anbelangt, doch das muss auf dem Rad nicht sein. Im Winter drehen wir ausgleichshalber unsere Runden zu Fuß, das ist auch gesund, und ab und zu kann man auch auf diese Weise Pfandgut finden. Aber ansonsten muss ich radeln. Im Frühling. Im Herbst. Und halt – im Sommer. Ab und zu. Und der Sommer, der ist halt so meine Schwachstelle …

Was auch mächtigen Spaß macht, das nur noch kurz zum Schluss: Radfahren bei Regen! Ich spreche nicht von einem zarten Nieselregen und einem gemütlichen, behäbigen Tröpfeln. Obwohl das auch schon recht widerlich werden kann. Nein! Ich rede von sintflutartigen Sturzbächen! Von Schleusen, die am Himmelstor geöffnet werden und garantiert die nächsten drei Stunden auch offen bleiben! DAS macht Laune, Leute! DAS hat was!

Da stellt man sich anfangs, sofern einem Glück und Möglichkeit hierzu noch gegeben sind, irgendwo unter, in der Hoffnung, das Dilemma möge von kurzer Dauer sein. Doch wenn sich herausstellt, dass die Sturmflut offenbar bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag anhalten wird, dann MUSS man weiter! Dann muss man radeln, was das Zeug hält, schon allein, um nachhaltigen Gesundheitsschäden vorzubeugen! In solche Unwetter bin ich schon ein paar Mal reingekommen. Und in der Regel brechen die nicht über einen herein, wenn man schon kurz vor der Haustür ist, nein, die legen garantiert dann los, wenn man sich am weitesten von zu Hause weg befindet! Da geht’s dann los! Und dann heißt es: radeln! In die Pedale treten! Wie die Bekloppten! Denn ein solcher Sturzbach kühlt aus! In Null Komma Nix ist man durch bis auf die Knochen, da kann der Tag zuvor noch so warm gewesen sein! Hat man eine dabei, zieht man eine Jacke drüber, aber die ist ebenso flott klatschnass wie alles andere auch! Die Brille, sofern man Brillenträger ist wie ich, kann man getrost abnehmen, denn ein jeder Brillenträger kann aus eigener Erfahrung ein Lied davon singen, dass die Erfindung einer Sehhilfe mit Scheibenwischern noch in ferner Zukunft liegt! Und dann hängst du in den Sielen wie ein Irrer, halb blind ohne Brille, der Regen klatscht dir in die zusammengekniffenen Augen, rinnt dir aus den pudelnassen Haaren übers Gesicht und in den Nacken und das Kreuz drüber runter, und dir wird klamm und immer kalt und kälter; aus deiner sich blähenden Fleece-Jacke sprüht ein Gischtschleier hinter dir her, von den surrenden Rädern unter dir sprüht sie dir nach oben gegen das Kinn! Dann fängst du an, die Jackenärmel über deine blau gefrorenen Hände und Finger zu ziehen, aber das hilft auch nichts, denn auch die Ärmel sind klatschnass und eiskalt, und der Regenguss drückt durch den Fahrtwind in die Nasenlöcher und durch die gefletschten Zähne; du atmest nicht mehr Luft, du atmest Wasser und schnaubst es wie ein alter Ackergaul laufend aus den Atemwegen, und dieser Sabber wird, ebenfalls durch den Fahrtwind, gleichmäßig kreuz und quer über deine ehedem noch sorgfältig geschminkte Visage verteilt, und das fühlt sich an wie Glibberzeug, obwohl es doch auch nur Wasser ist, und das ist ekelhaft, einfach widerwärtig! Und dann die Autos, die an dir vorbei jagen und dich mit ihren hochgischtenden Fontänen noch zusätzlich einweichen, im günstigsten Fall noch hämisch hupen angesichts des quietschnassen Putzlappens, der da auf seiner Mühle hockt, und du möchtest schreien vor Wut, willst dich in den Straßengraben werfen, um dort zu erfrieren und ertrinken, aber du musst weiter, immer weiter, denn Rettung gibt’s nur da, wo es warm und trocken ist, und du strampelst und strampelst und strampelst und verfluchst den Tag, an dem du dieses blöde Arschloch kennen und lieben gelernt hast und das dich jeden Sonntag aufs Fahrrad scheucht – …

Ich radle noch immer. Ich radle, ja. Für meine Figur, an der sich trotz achtjährigem, sonntäglichen Martyriums nichts Nennenswertes geändert hat. Aber auch nichts verschlechtert. Vielleicht ist das ja gut so. Ich radle für meinen Liebsten und seine heiligen Sammelbeutel, deren Befüllung im Laufe der Jahre immer beschwerlicher geworden ist, da viele, viele andere nun auch mit Sammelbeuteln radeln. Ich radle. Das Christkind hat mir vor vier Jahren ein neues Fahrrad geschenkt, mit sieben Gängen. Aber ich fahre nach wie vor nur die ersten drei Gänge, wie bei meinem alten Rad auch, denn das reicht an Geschwindigkeitsrausch völlig. Ich muss noch immer ein bisschen aufpassen bei unseren Touren. Noch immer sitzt mir die Angst nach unserem berühmten ersten Mal im Nacken. Die werde ich wohl auch nie mehr ganz loskriegen. Vielleicht ist ja auch das gut so. Ich denke mal, ich bin nun ein ziemlich guter und sicherer Radler geworden, kann mir einiges zutrauen, längere Strecken bewältigen, solange es nicht zu sehr bergauf geht. Und auch mal eine Strecke für mich allein suchen. Solange ich nur immer schön meinen ADAC-Straßenatlas bei mir führe.

Noch immer komme ich immer mal wieder mit aufgeschürften Knien Montag früh ins Büro. Noch immer zeige ich meine am Wochenende erworbenen, frischen Stigmata, die meine Kollegienschaft in helles Gelächter ausbrechen lassen. Aber ins Krankenhaus habe ich seit jenem denkwürdigen 13. November anno Domini 2005 nicht mehr müssen. Meine Verletzungen verarzte ich mittlerweile immer selbst. Darin bin ich fast genau so gut geworden wie im Radeln. Hauptsache, ich radle. Und ich radle immer weiter …

Und wenn Sie mal im Hochsommer nahe Brummelbach unter einem Apfelbaum ein erschöpftes kleines Kerlchen im Grase liegen oder eine durchgeweichte Vogelscheuche auf dem Rad verbissen gegen vom Himmel kommende Sturzfluten ankämpfen sehen, dann bin’s bloß ich. Ich bin’s dann bloß. Denn ich radle und radle und radle …

DAS GEHT DOCH NOCH

Manchmal, in einer stillen Stunde, wenn also Ruhe um mich herum eingekehrt ist – das heißt also, bei mir zu Hause in Piepshausen in meinem stillen Kämmerchen, – und nicht wieder ER hinter mir her gekrochen kommt, da frage ich mich bei meiner Treu und Seele, was wohl geschähe, wenn wir tatsächlich unser gesamtes Hab und Gut zusammen geschmissen und ein gemeinsam Heim bezogen hätten …

Im Prinzip weiß ich die Antwort: Ich könnte mich schlicht nicht mehr unter die Leute trauen. Denn im Prinzip verhält es sich ja so, dass ein Dasein an seiner grünen Seite grundsätzlich mit Theater und Schwierigkeiten einhergeht, wo auch immer wir uns gerade aufhalten. Innerhalb der eigenen vier Wände wird gepoltert und gescheppert, da wird lauthals durch die Bude geplärrt, wenn’s mal wieder nicht ganz so läuft, wie man sich das vorstellt, da wird lamentiert und krakeelt, die Nachbarschaft poltert gegen die Wände, der Knatsch ist da, die Hausverwaltung verwarnt und verwarnt …

Leise machen geht bei ihm nicht. Leise bleiben ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wo er geht oder steht, irgendwo kracht und knallt immer irgendwas. Und wenn er nur den Klodeckel plumpsen lässt.

In meiner über achtjährigen Dressurtätigkeit habe ich ihn ja immerhin schon mal so weit, dass er seine Glotze so weit herunter dreht, dass nicht der halbe Wohnblock zur Polizei rennt wegen Ruhestörung. Ich war monatelang auf der Suche nach Hausschuhen für ihn, die überdurchschnittlich trittdämmend wirken, damit die Mieter unter ihm kein Knalltrauma erleiden. In der Küche habe ich sämtliche Schranktürchen innen mit einem Streifen Filz beklebt, damit es nicht so fürchterlich knallt, wenn er etwas aus selbigen Schränckchen entnimmt oder hineinfügt. Wenn er mit Geschirr und Kochtöpfen hantiert, – davon möchte ich gar nicht reden. Und für das WC besorge ich demnächst eine so genannte Absenkautomatik.

Gegen sein lautes Organ ist mir noch keine Lösung eingefallen, außer dass ich von Freitagabend bis Sonntagnachmittag meine ständige Litanei von „Schrei doch nicht so!“ und „Nicht so laut!“ und „Plärr doch nicht so rum!“ von mir gebe. Mehr kann ich nicht tun. Diese Beschwichtigungssätze sind mittlerweile zu meinem heiligen Mantra geworden. Ich merke das schon gar nicht mehr. Wenn wir uns in der Stadt treffen und er mir sein glückliches „Hallooo, meine Kleenä!“, entgegen schmettert, dann sage ich automatisch nicht: „Hallo, mein Schatz!“ oder „Schön, dich zu sehen!“, sondern meine Begrüßung lautet verhalten: „Nu schrei doch nicht so …“ Und dann schreit er zurück: „Ick schrei doch jar nich’!“

Aber es ist wirklich so. Wenn er ums Eck herum gestapft kommt, sieht die gesamte Nachbarschaft rot. Ist er zu Hause, gilt für die Wohnsiedlung der Ausnahmezustand. Befindet er sich außer Haus, werden in besagter Wohnsiedlung drei Kreuze geschlagen und man betet inbrünstig um einen tödlichen Verkehrs-Fahrradunfall für ihn. Ist dieser nicht eingetreten, steht die Nachbarschaft wieder Kopf.

Und wenn wir gemeinsam mal unterwegs sind, fallen wir grundsätzlich unangenehm auf. Weil er laut ist! Weil er sich nicht benehmen kann! Weil er sich in Bezug auf Etikette keinen Reim drauf machen kann! Die Axt im Walde! Eine mentale Dreckschleuder vor dem Herrn!

Und ich mitten drinnen …

Weil es ihm eben keiner beigebracht hat, wie man sich in seinem sozialen Umfeld zu verhalten hat. Und da er so gesehen gar kein soziales Umfeld besitzt, da er jeglichen sozialen Versuch zum Umfeld grundsätzlich vor den Kopf stößt, gibt’s nicht mehr viel an sozialer Zuwendung, die er noch ansteuern könnte. Er verfügt über einen Haufen Nachbarn um sich herum, die allesamt das Kriegsbeil ausgraben, sobald er auf der Matte steht, – und er hat MICH. Als soziales Umfeld reicht ihm das. Bis auf ganz wenige Ausnahmen haben sich all die dezent und stillschweigend aus seinem Dunstkreis zurückgezogen, die vermutlich ein friedliches und beschauliches Dasein der Anwesenheit einer stets auf Hochtouren laufenden Krawallschachtel vorziehen und schlicht keine Lust haben, sich ununterbrochen auf die Füße treten oder vergrätzen zu lassen. Und dies dann alles unter der Prämisse: Ich hab recht, und wehe, mir kommt einer krumm!

Er ist also nur portionsweise zu genießen …

Fest steht: der Kasper, den ich mir an die Backe geklebt habe, weist folgende vorstechende Wesensmerkmale auf:

1 er hat keine Manieren

2 er geht durchs Leben wie ein Berserker

3 er schreckt vor nichts zurück.

Offenbar nicht einmal vor einer Lebensmittelvergiftung …

Wie das jetzt? Wieso Lebensmittelvergiftung? Was hat eine Lebensmittelvergiftung mit einem nicht vorhandenen sozialen Umfeld samt nicht vorhandener Umgangsformen zu tun?

Jaaa, Leute! Das hängt alles miteinander zusammen, muss man wissen! Denn mit dieser Unerschrockenheit, mit der er durchs Leben scheppert, begegnet er beispielsweise auch dem Inhalt seines – Kühlschrankes …

Ich muss zugeben, zu Anfang unserer Beziehung habe ich mal lieber noch nichts gesagt, wenn ich Zeuge wurde, wie er sich in regelmäßigen Abständen mit wölfischer Leidenschaft über die Produkte in eben jenem Kühlschrank her machte. Ich für meinen Teil hielt mich bei der gemeinsamen Nahrungsaufnahme mit an Angst grenzendem Misstrauen an eben jene Dinge, die mir zum Verzehr halbwegs unbedenklich erschienen. Hauptsächlich an Marmelade und frisch geöffnete Büchsenwurst. Denn wenn man noch ganz verliebt ist und der Himmel noch voller Geigen hängt, hält man sich mit Kritik und Vorhaltungen noch vehement zurück und hegt die leise Hoffnung, dass sich alles, was einem an seinem Liebsten nicht gefällt, mit der Zeit einer Besserung zuwenden mag. Ich hielt meine Klappe und beobachtete argwöhnisch, wenn zum Frühstück oder Abendessen Lebensmittel aus dem Kühlschrank auf den Tisch und somit in meine Reichweite gelangten, die meiner Meinung nach nicht mehr nur das Verfallsdatum weit, weit hinter sich gelassen hatten, sondern offensichtlich schon kurz vor der Mumifizierung standen. In meinem von Geigen verhangenen Liebeshimmel versuchte ich mir vor Augen zu halten, dass dieser Mann vor mir ein armer Mann war und furchtbar viel sparen musste. Aber irgendwie wollte sich bei mir dennoch nicht das Verständnis für jene verarmte Ernährungsform einstellen, die sich mir hier darbot.

Dass ich mit dieser meiner Einschätzung allerdings völlig auf dem Holzweg lag, wurde mir harsch und kurz und bündig klar gemacht, als wir eines schönen Abends wieder vor gedecktem Tisch saßen und ich mir mein obligatorisches Marmeladenbrötchen schmierte. Ihm selbst war vor einiger Zeit bereits aufgefallen, dass er in letzter Zeit unheimlich viel Marmelade kaufen musste. Aber damals hatte ich nur entgegnet, ich sei eben süchtig nach Marmelade, und ansonsten das Thema tot geschwiegen.

Bis zu jenem Abend X, als ich Farbe bekennen musste.

Während er sein Brot vertilgte, hielt er mir plötzlich und ohne Vorwarnung seine Wurstschüssel unter die Nase. Zwischen dem Zermahlen seines Nahrungsgutes nuschelte er: „Probia ma’ die Lebawurscht. Grob. Janz lecker!“

Ich riss die Augen auf und ahnte, dass ich mich ab sofort in einer entsetzlichen, ja nahezu liebestötenden Erklärungsnot befand. Vorsichtig beugte ich mich vor und starrte mit kaltem Grauen auf das Produkt seiner Leidenschaft, auf welches er liebevoll seinen Daumen drückte.

Tatsächlich. In der Schüssel tummelte sich unter anderem ein zipfeliges Etwas, eine Leberwurst ganz unverkennbar, offenbar schon etwas gesetzteren Alters, denn sie hatte sich in den langen Wochen, wenn nicht gar Monaten, in welchen sie diese Schüssel schon bewohnte, ein samtig grün-weißes Pelzchen wachsen lassen. Um es im Kühlschrank nicht mehr so kalt zu haben.

Langsam würgte ich an meiner Marmeladenstulle, bis ich behutsam hervorbrachte: „Ja, aber – die ist doch schon – äh …“, und verstummte. Er schluckte und funkelte mich unter seinen buschigen Augenbrauen verständnislos an.

„Wat? Wat is’nn damit?“

Ich deutete mit dem Finger darauf und entgegnete verhalten: „Die ist doch schon – kaputt.“

„Wie kaputt?“ Sein Blick huschte zwischen mir und dem Pelzträger hin und her.

„Na, die ist schon schimmelig“, wandte ich nun etwas entschlossener ein. „Die schimmelt doch schon!“ Um keinen Preis der Welt würde ich mir vergammelte Wurst andrehen lassen, und mochte der Himmel auch noch so voller Geigen hängen! Dafür hing ich einfach zu sehr an meinem Leben!

Ich konnte sehen, wie er sich ein böses Knurren verdrückte und sich um sanfte Aufklärung bemühte.

„Aach! Det is’ doch nich’ schlimm!“, argumentierte er, holte das Relikt längst vergangener Zeiten aus der Schüssel, säbelte ein Stückchen ab und zog das Fell herunter.

„Det is’ doch nur uff dea Pelle! Dat is' bloß oben druff! Dat machste ab, un’ dea Rest is' jut!“

In grenzenloser Gutmütigkeit legte er mir das entpellte Leberwursträdchen auf den Teller. Dies blinzelte ich eine Weile skeptisch an, bis ich mich in eine Ausrede flüchtete.

„Ich mag, ehrlich gesagt, keine Leberwurst“, was eine Lüge ist.

„Dann nimm vonner Salami!“, schlug er vor und titschte wieder in die Wurstschüssel. Daraus lächelten mich freundlich und grünfleckig ein paar aufgeschnittene Salamischeiben an. Spätestens jetzt rutschte mir die rosarote Brille, die ich seit unserer Bekanntschaft auf der Nase balanciert hatte, aus dem Gesicht.

Mit spitzem Finger deutete ich auf die angesprochene Salami und begann zu zetern.

„Ja, aber die ist doch auch schon hinüber!“ Nun wollte ich mich um keinen Preis mehr um meine körperliche Unversehrtheit bringen lassen! „Guck dir die doch mal an! Wie viele Jahre hast du die denn schon in deinem Kühlschrank sitzen? Die ist vergammelt! Wie die Leberwurst auch!“

„So ’n Quatsch!“, knurrte er zurück, angelte zwei der bedauernswerten Salamischeiben aus der Schüssel, breitete sie auf seinem Teller aus und begann, mit dem Messer daran herumzusäbeln. Und dann unterzog er mich einer Lektion.

„Die is’ noch bestens! Wenn se ’n bisschen anjeloof’n is’, schneidste dat wech, den Rest kannste problemlos ess’n. Is’ noch jut!“

Er knallte mir die abgeschnittenen Stückchen, die seiner Meinung nach noch jut waren, auf den Teller und brachte hierbei folgende Ausführungen zum Besten. Ich gebe sie hier notgedrungen auf Hochdeutsch wieder:

Das sei alles nur, weil wir jetzt die warme Jahreszeit hätten, und wenn er den Kühlschrank öffne, käme halt Wärme rein, und der Kühlschrank müsse längere Zeit aufwenden, um die Wärme wieder in Kalt umzuwandeln, und da sei es halt länger warm im Kühlschrank, was den Lebensmitteln ein wenig zusetze, aber kein Drama sei, denn auch wenn sie sich etwas verfärbten (also in allen Farben schillernd), seien sie noch jut, und wo kämen wir denn hin, wenn wir wegen jedem Bisschen Verfärbung und Schimmel alles gleich wegschmeißen würden, und da muss man mal ein bisschen toleranter sein und nicht immer gleich mit Pest und Schwefel rechnen, und im Osten hatten sie ja anfangs nicht mal einen Kühlschrank gehabt, und das ist ja schließlich auch gegangen, und wenn da mal was angelaufen war, dann war das auch kein Beinbruch, denn einfach wegschmeißen, das hat man sich doch gar nicht leisten könne, und und und …

Mir schwirrte der Kopf. Nach diesem heißblütigen Vortrag war ich kurz davor, entweder in Tränen auszubrechen oder ohnmächtig zu werden. Und um seinem Referat noch den Clou zu verpassen, riss er aus seinem Kühlschrank einen in Folie eingewickelten Schinkenklumpen zum Vorschein. Er kauft seinen Schinken stets klumpenweise, möglichst Bauchschinken, gut durchwachsen. Vor meinen Augen wickelte der den Batzen aus der Folie und präsentierte ihn stolz. Es war wirklich ein malerisches Stück, oben und unten bereits verziert von einer salzig grünlichen Pelzkruste.

„Det passiat inner waam’n Zeit nu ma’“, erläuterte er. „Un’ nu pass ma’ uff!“

Mit dem bepelzten Schinken ging er zum Spülbecken, nahm den Spülschwamm, mit dem er sonst beim Abspülen seine Töpfe und Pfannen auskratzt, zur Hand und rubbelte unter fließendem Hahnenwasser energisch seinen Schinken ab. Dann drehte er sich siegesbewusst zu mir um, hielt seine noch tropfende Trophäe in die Höhe und erklärte: „Det muss ma’ bloß ’n bisschen abkratz’n, denn jeht dat wieda. Dea is’ wieda picobello!“

Na ja. Picobello sah der Schinken nach dieser Abreibung zwar wieder aus, aber ich wollte gar nicht wissen, wie es um sein Innenleben bestellt war …

„Dat jeht doch noch!“, jubelte er.

Ich glaube, auf dieser Thematik brauche ich nicht mehr weiter herum zu reiten. In meines Liebsten Erfahrungswerten jeht dat alles noch, unsereinen schüttelt es bis ins Mark. Aber mit so etwas muss man vermutlich groß geworden sein, um nicht nach Genuss von Dat-Jeht-Doch-Noch mit Leibschmerzen und Brechdurchfall darnieder zu liegen.

Kürzlich kam ich nach der Arbeit Freitagabend zu ihm nach Brummelbach und zog während einer Inspektion aus seinem Kühlschrank etwas, das – ich kann es eigentlich gar nicht beschreiben – aussah wie ein paar zusammen gebackene grünblaue Putzlappen. Noch in der Verpackung. Die Verpackung allerdings schon geöffnet.

Ich weiß schon, wie das geht: Er hat das Zeug vor ein paar Wochen frisch gekauft, die Packung aufgerissen, um zu kosten, und dann alles in eine hinterste Ecke seines Kühlschrankes verstaut. Um das Ganze nun noch eine Weile schön nachreifen zu lassen, wie er das nennt.

Als ich den schmuddeligen Fetzen in die Höhe hielt, fragte ich: „Was ist DAS denn?“

Aus seiner Ecke kam die Antwort: „Det is Jrünländer Keese! Janz wat Leckeret!“

„Aber wenn Grünländer Käse drauf steht, heißt das doch noch lange nicht, dass du ihn auch grün werden lassen SOLLST!“, brüllte ich zurück.

Die Antwort: „Ach wat. Dat jeht noch. Dat wischste bloß ‘n bisschen ab, dann is’ dat noch jut.“

Im Laufe der letzten Jahre bin ich dazu übergegangen, mir bei meinen Besuchen in Brummelbach meine Frischwurst und meinen Käse immer selber mitzubringen. Seine These hieraus: „Du weest halt nich’, wat schmeckt …“

Na, schön. Soll er sich seinen Ekelkram schmecken lassen. Ich jedenfalls lege wenig Wert darauf, mit Maul- und Klauen- und weiß der Teufel was noch für Seuchen im Tropeninstitut in der Isolationsabteilung zu landen. Nur weil det ja allet noch jeht …

Die Ernährungspraktiken meines Herrn und Liebhabers haben sich mittlerweile bis in meine Firma herumgesprochen. Einst packte eine Kollegin einen Becher Frischquark aus, um ihn während der Arbeit nebenbei als zweites Frühstück zu verzehren. Als sie den Deckel abzog, lugte sie hinein, schnüffelte kurz und runzelte die Brauen.

„Oh je“, murmelte sie enttäuscht. „Der ist ja schon hinüber …“ Sie nahm die Verpackung in Augenschein und diagnostizierte: „Du lieber Himmel, der ist ja schon vor vier Monaten abgelaufen. Der ist im Kühlschrank mit der Zeit ganz nach hinten gerutscht. Schade …“

Sie drehte den Becher in meine Richtung, um mir die Bescherung zu zeigen. Also, ich hätte das auch nicht mehr gegessen. Auf der Quarkoberfläche hockte ein kraftstrotzendes Fell, und links und rechts hatte sich schon die Molke abgesetzt. Dat Jeht Doch Noch! – hallte es in meinem Unterbewusstsein, und ich fragte: „Schmeißt du das weg?“

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
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9783960081067
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