Kitabı oku: «In der Falle», sayfa 2

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NEUE FEINDE

DIE BEIDEN MÄNNER, die sich in dem repräsentativen Büroraum in der Prinz-Heinrich-Straße gegenübersitzen, sind alles andere als Freunde. Der eine, hinter dem pompösen Schreibtisch in einem bequemen Schreibsessel lümmelnd, trägt die schwarze Uniform der SS, der vor ihm auf dem Besucherstuhl ist in Zivil. Betrachtet man die beiden, so fallen vor allem ihre markant hervortretenden Nasen auf. Sie könnten Brüder sein. Brüder im Geiste sollten sie zumindest sein. Doch nicht einmal das sind sie.

Dem hinter dem Schreibtisch, Mitte dreißig, groß, blond und sportlich durchtrainiert, sieht man den Offizier an. Auch der andere ist um eine straffe Figur bemüht.

Der Jüngere, der einstige Marineleutnant Reinhard Eugen Tristan Heydrich, nennt sich nur noch Reinhard Heydrich und leitet seit sechs Jahren den SD, den geheimnisumwitterten Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Seit 1936 ist er außerdem Chef der Sicherheitspolizei im Deutschen Reich, die aus Gestapo und Kriminalpolizei besteht.

Sein Gegenüber ist der ehemalige Frontoffizier, Freikorpskämpfer und Kriminalkommissar Arthur Nebe, inzwischen der höchste Kriminalpolizist des Reiches.

Nebe hatte die Zeichen der Zeit beinahe ebenso frühzeitig erkannt wie sein ungeliebter Chef Heydrich, der sich nach seiner unehrenhaften Entlassung aus der Marine 1931 dem späteren Reichsführer SS Heinrich Himmler andiente, während Nebe im gleichen Jahr das Verbot missachtet hatte und förderndes Mitglied der SS, NSDAP-Mitglied und SA-Mann geworden war. In den vier Jahren seit der Machtergreifung ist er vom Kommissar im Raub- und Einbruchsdezernat zum Oberregierungs- und Kriminalrat aufgestiegen und leitet nach einem kurzen Einsatz im Amt der Gestapo das preußische Landeskriminalpolizeiamt.

Im Juni 1936 hat Hitler zu Nebes und der meisten Polizisten Entsetzen den Reichs-Heini Himmler zum Chef der Deutschen Polizei berufen. Kurz darauf wurde das LKPA endgültig aus dem Berliner Polizeipräsidium ausgegliedert. Unter Nebes Führung ist es nun für die fachliche Leitung der Kriminalpolizei aller deutschen Länder zuständig. Der könnte glücklich darüber sein, säßen nicht ausgerechnet Heydrich und der Hühnerzüchter Himmler über und sein Erzfeind Gestapo-Müller gleichrangig neben ihm.

Heydrich hat im SD seine eigenen Praktiken entwickelt, auf die er stolz ist und die er den konventionellen Kripo-Methoden vorzieht. Entsprechend wenig hält er von seinem höchsten Kripochef und dessen fachlicher Arbeit. Na schön, es gibt ein paar Erfolge wie die Aufklärung der Sprengstoffkatastrophe von Wittenberg, aber das sind Kinkerlitzchen, wenn Heydrich an den Autofallen-Terror denkt, der seit mehr als einem Jahr die Reichshauptstadt und ihre Umgebung beunruhigt. Der Führer selber, oft genug im Kraftwagen unterwegs, hat sich mehrfach negativ geäußert, der Reichsführer Himmler ist jedes Mal nahe einem Kollaps, kommt die Sprache auf die Banditen, und nun das: Am Vorabend des Ehrentages von Generaloberst Göring sind innerhalb einer Viertelstunde sieben Fahrzeuge mit insgesamt vierzehn Insassen, davon sechs bewaffnet, von zwei dreisten Räubern ausgeplündert worden.

«Erklären Sie mir mal, Nebe, weshalb kein Einziger von diesen Arschgeigen den Mumm aufgebracht hat, sich zu wehren oder auf die Halunken zu schießen!», schreit Heydrich mit erhobener Stimme und gibt sich dabei Mühe, den hallisch-anhaltinischen Tonfall in seiner Fistelstimme zu unterdrücken, die ihm bereits bei der Marine den Spitznamen «Ziege» eingebracht hat. «Möglicherweise waren deren Waffen nicht mal scharf!»

Nebe sitzt aufrecht. Er zuckt mit keiner Wimper. «Die Täter haben bei anderen Gelegenheiten mehrfach scharf geschossen und Personen verletzt, Gruppenführer», gibt er zu bedenken. Er hat die lange Liste der Überfälle im Kopf, vom ersten Ereignis im Grunewald, wo die beiden Unbekannten etliche Liebespärchen ausgeraubt hatten, bis zu den Autofallen bei Neu Zittau, Tasdorf und jetzt hinter Hangelsberg.

«Menschenskind, im Krieg ist auch scharf geschossen worden! Da hält man dagegen!» Heydrichs Stimme klingt noch immer schrill.

Was weißt du Rotzjunge vom Krieg?, denkt Nebe. Er hat an der Marne ein Sturmboot zu einem Brückenkopf vor sich hergeschoben, war zweimal gasverwundet, trägt das Ehrenkreuz der Frontkämpfer und das Eiserne Kreuz I und II. Schlimm genug, dass er sich hier von einem grünen Jungen aus der Provinz abkanzeln lassen muss. «Soweit ich informiert bin, befand sich ein Oberführer der SS unter den Überfallenen», sagt Nebe. Er weiß, dass er ein gefährliches Spiel spielt.

Heydrichs Lippen zucken, um die große Nase herum wird er weiß. Er ist berüchtigt dafür, bei seinen Ausfällen kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Niemand wagt es, ihm zu widersprechen. «Was glauben Sie, was ich mit dem mache!», schreit er. «Dem reiße ich den Arsch auf bis zum Haaransatz! Ein solcher Feigling hat in der SS nichts verloren!»

Nebe versucht, ihn zu beruhigen. «Gruppenführer, er hatte eine Dame im Auto, soviel ich weiß …»

«Es interessiert mich nicht, ob der seine Nutte spazieren gefahren hat oder sich im Dienst befand! Als aufrechter deutscher Mann hätte er groß dastehen können vor ihr. Zwei gezielte Schüsse, und wir wären dieses Scheißproblem endlich und endgültig los gewesen!»

Dem kann Nebe nur zustimmen. Doch so einfach lassen sich komplizierte Fälle eben nur aus der Sicht des absoluten Laien lösen.

«Zwei Mann, Nebe!», geifert Heydrich. «Und wir führen am Ehrentag der Deutschen Polizei einen Geisterkrieg, als ginge es um die Besetzung Österreichs! Und das Ergebnis? Nichts! Dafür sind ein paar hundert Beamte im Einsatz!»

Anscheinend immer noch zu wenige, denkt Nebe. Schon 1935, als sich die Überfälle auf drei Dutzend summiert hatten, war sein Vorschlag, einen Großeinsatz von Polizeikräften, SA, SS und den Männern des Kraftfahrerkorps NSKK durchzuführen, rundweg abgelehnt worden. Nur kein Aufsehen erregen! Deshalb wurden nur die Streifen verstärkt und die Überfälle über lange Zeit totgeschwiegen.

Immerhin, jetzt sind siebentausend Reichsmark Belohnung ausgelobt, der Aufruf, eine Einheitsfront mit der Kriminalpolizei zu bilden, steht vor der Veröffentlichung. Aber vielleicht ist den Kerlen mit irgendwelchen Riesenaktionen gar nicht beizukommen. Wie Gespenster tauchen sie aus dem Wald auf, bringen ungeniert ihr Schäfchen ins Trockene - manchmal nur ein paar Mark - und verschwinden auf die gleiche Weise wieder. Dichte Wälder gibt es rings um Berlin mehr als genug. Die Befragung der Beamten an den nächsten Stationen der Vororts- und S-Bahnen haben keine Anhaltspunkte ergeben, verwertbare Spuren sind praktisch kaum vorhanden, sieht man von den 9-Millimeter-Patronenhülsen ab, die an mehreren Tatorten gefunden worden sind. Aus Bauch und Hüfte des Verletzten vom Kleinen Stern im Grunewald hat man merkwürdigerweise 7,65-Millimeter-Geschosse herausoperiert.

Nachdem den Tätern bei einem weiteren Überfall eine moderne automatische Walther PPK Kaliber 7,65 Millimeter in die Hände gefallen ist, gibt die bei der nächsten Autofalle gefundene Patronenhülse neue Rätsel auf: Es handelt sich um handelsübliche Munition für einen Revolver des englischen Kalibers 320. Die Experten der Schusswaffenermittlung haben herausgefunden, dass sich die Munition auch in einer automatischen Pistole verwenden lässt. Die Spuren am Wulstrand der Hülse deuten darauf hin.

Das alles weiß Nebe, doch er sagt es nicht. Für derlei Details hat Heydrich kein Ohr. Das ist ein Geheimdienstfritze, wie er im Buche steht, kein Kriminalpraktiker. Fehlt nur noch, dass er wieder mit seinem Lieblingsthema anfängt, alle Berufsverbrecher gnadenlos auszurotten. Himmler hat sich Nebe gegenüber sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, ein nordischer Mensch wäre nun mal von Natur aus kein Verbrecher.

Nebe hat auch dem Reichs-Heini nicht widersprochen, aber dessen Rassenfimmel geht ihm gehörig gegen den Strich. In seinen siebzehn Jahren bei der Kriminalpolizei sind ihm ebenso viele blonde Straftäter begegnet, wie in der SS Dienst tun. Gestern hat der Chef der Ordnungspolizei angeordnet, dass der Polizeinachwuchs künftig aus der rassisch überprüften SS gewonnen werden soll. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die nordische Bestie Heydrich selber eine jüdische Großmutter haben soll. Und Himmler und Goebbels? Typische Schrumpfgermanen, um sich in deren verquaster Terminologie auszudrücken.

Und richtig, Heydrich, der sich sonst eher kurz und knapp äußert, reitet auch diesmal sein Steckenpferd. «Das ist höchst einfach, Nebe! Sie kennen doch Ihre Kandidaten nur allzu gut! Nehmen Sie endlich alle wegen Raubes Vorbestraften in Vorbeugehaft, und der Spuk hat ein Ende. Die Richtigen sind todsicher darunter, und Göring hat außerdem gleich die nötigen Arbeitskräfte für seinen Vierjahresplan!»

Nebe ist anderer Meinung. Görings Pläne interessieren ihn sowieso nicht. Und anders als bei den Einbrechern ist die Rückfallquote unter den Räubern der hohen Strafen wegen nicht sonderlich hoch. Der kleinere der beiden Täter wird als relativ junger Mann um die 25 Jahre beschrieben. In den Verbrecheralben am Alex haben sie bisher vergeblich nach ihm gefahndet. Außerdem hält Nebe nichts von einer Methode, die zwar die Konzentrationslager füllt, aber keinerlei Erkenntnisse über die wahren Täter liefert. So etwas widerspricht kriminalpolizeilichen Erfahrungen. Von dem starken Rückgang der Verbrechen, von dem Berlins Polizeipräsident Graf Helldorff vorgestern in der Zeitung geschwafelt hat, kann überhaupt nicht die Rede sein.

Das alles hat er Heydrich schon mehrmals erklärt, und der mag keine Wiederholungen. Also schweigt Nebe, als hätte er verstanden, erhebt sich und grüßt mit erhobenem Arm.

Heydrich hat nur eine ungnädige Handbewegung für ihn übrig.

DER ERSTE TOTE

ES IST MITTWOCH, der 24. März 1937. Der Frühlingsanfang liegt schon drei Tage zurück, Ostern steht vor der Tür, doch es ist noch immer kalt und ungemütlich. Den dunkel gekleideten Mann, der abends gegen sieben Uhr zu Fuß auf dem Adlergestell unterwegs ist, scheint es nicht zu stören. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, eine gut gefüllte Ledertasche umgehängt, so stapft er am Chausseerand von Berlins Ausfallstraße in Richtung Südosten dahin. Vom S-Bahnhof Grünau ist er ungefähr drei Kilometer entfernt, ein paar hundert Meter will er noch weitergehen in Richtung Schmöckwitz, wenn ihm nicht vorher ein Lieferwagen begegnet. Als sich aus Richtung Grünau ein Radfahrer nähert, bleibt er hinter einem Baum stehen. Dann fährt ein Pkw vorbei, und er drückt sich seitwärts in die Büsche. Zurück am Straßenrand, bemerkt er den schwachen Schein der Fahrradlampe zu spät, um sich erneut zu verbergen. Also setzt er seinen Weg fort, als hätte er den Radfahrer nicht bemerkt, und pfeift sich eins.

Der Radfahrer hält auf ihn zu und bleibt vor ihm stehen. Im funzligen Schein der Karbidlampe erkennt der Fußgänger die Polizeiuniform.

«Hallo! Wo wollen Sie hin?», lautet die in amtlichem Ton gestellte Frage.

Der Mann tut harmlos. «Nach Hause. Nach Schmöckwitz.»

«Und woher?»

«Vonne Arbeit. Adlershof.»

Der Beamte, Polizeioberwachtmeister Arthur Herrmann auf abendlicher Streifenfahrt, bleibt misstrauisch. Dass einer bei dieser Witterung von Adlershof nach Schmöckwitz läuft, wo ein paar hundert Meter weiter die Straßenbahnlinie 86 verkehrt, erscheint ihm auffällig. Der Überfall auf ein Liebespaar vor anderthalb Jahren ist ihm in unguter Erinnerung. Das war hier in der Gegend, das erste Mal im Osten und nicht im Grunewald, wie er von den Kollegen der Kriminalpolizei erfahren hat. Außerdem passt das Signalement des einen Straßenräubers durchaus auf den einsamen Wanderer mit der auffälligen Geldtasche.

«Was haben Sie da in der Tasche?»

«Na, meine Thermospulle mit Kaffee! Wat denn sonst?»

«Zeigen Sie mal her!»

Die Karbidlampe leuchtet hell genug, um zu erkennen, wohin der Polizist bei dieser Aufforderung greift: zur Pistolentasche.

Der Mann mit der verdächtigen Ledertasche ist schneller. Ein Schuss hallt durch den Wald, in dem der Schütze blitzschnell verschwindet. Der verwundete Beamte schießt ebenfalls und folgt dem Flüchtenden. Der bleibt hinter einem Baum stehen, feuert weiter. Nach wenigen Schritten bricht der Polizeioberwachtmeister Herrmann tot zusammen. Eine Kugel ist unterhalb des Schlüsselbeins durch die Brust gedrungen und im Rückgrat stecken geblieben. Die Schritte des Schützen verlieren sich im Gehölz.

Kurz darauf nähert sich wiederum ein Pkw. Darin sitzt fröstelnd Gebhard Braun aus Schmöckwitz. An der Temperatur ändert die bescheidene Wagenheizung seines Pkw kaum etwas, und die Fahrt durch den Wald ist ihm jedes Mal unheimlich. Der beginnt vor dem S-Bahnhof Grünau, dahinter führt die Straße nach einer sanften Kurve kilometerweit durch den dunklen Forst Oberspree.

Braun ist erschöpft - hinter ihm liegt ein harter Tag als Vertreter einer Maschinenbaufirma –, doch gleichzeitig ist er hellwach. In den Zeitungen hat er außer der ausgelobten Belohnung nichts mehr von nächtlichen Überfällen auf Autos gelesen. Nur die gut informierte Fama weiß genug darüber zu berichten. Gerade hier in der Gegend sind Kraftwagen ausgeraubt worden, wie Braun aus zuverlässiger Quelle weiß.

Links am Straßenrand leuchtet am Boden ein schwaches Licht. Es verändert sich nicht, als der Wagen sich nähert. Braun verlangsamt das Tempo. Irgendetwas ist merkwürdig. Er hält an. Im Graben erkennt er ein Fahrrad mit eingeschalteter Beleuchtung. Hat jemand einen Radfahrer überfahren und Fahrerflucht begangen?

Braun stellt seinen Wagen quer und leuchtet in den Wald, kann aber nirgendwo einen Verletzten entdecken. Er hupt und lauscht in die Dunkelheit. Nichts. Aussteigen will er nicht, das Ganze kann eine Falle sein. Am besten, er holt die Polizei.

Braun weiß, wo sich das Grünauer Polizeirevier befindet. Er wendet und fährt mit hoher Geschwindigkeit zum Bahnhof zurück, biegt rechts in die Wilhelmstraße ein und hält eine Minute später vor dem Revier 243 in der Mittelstraße.

Zehn Minuten später haben die Beamten die Gewissheit, dass es sich um das Dienstfahrrad ihres Kollegen Herrmann handelt, der um sechs Uhr abends zu einer zweistündigen Streifenfahrt aufgebrochen ist. Im Licht der Scheinwerfer ihres Einsatzwagens dringen die Beamten in den Wald ein und werden schon nach wenigen Metern fündig. Vor ihnen liegt die Leiche des Kollegen. Die Pistolentasche ist geöffnet, die Waffe findet sich in unmittelbarer Nähe der Leiche. Ein Selbstmord? Daran wollen die Kameraden des als besonnen geltenden Oberwachtmeisters nicht glauben.

Als Gennats Spezialisten am nächsten Morgen eine gründliche Spurensuche vornehmen, ist klar, dass der Polizist nicht durch einen Schuss aus der eigenen Waffe umgekommen ist.

Handelt es sich bei dem Täter oder den Tätern um die Landstraßenräuber, oder ist Herrmann einem eher zufälligen Verbrechen zum Opfer gefallen? Diese Frage bewegt Kommissar Kappe, als er in den frühen Morgenstunden des Gründonnerstag neben seinem alten Kollegen Galgenberg zwischen den Kiefern herumstapft.

«Das war vorauszusehen!» Galgenberg spielt mal wieder den nachträglichen Propheten. «Wer so ungeniert wie die beiden in der Gegend rumballert, trifft früher oder später auch mal einen.»

Dazu schweigt Kappe. Kommissar Busch vom Einbruchsdezernat, der die Ermittlungen gegen die Straßenräuber führt, predigt schon seit Wochen das Gleiche. Bisher hat das Morddezernat nichts mit den Fällen zu tun gehabt, obwohl es bereits im Juni 1935 im Grunewald zu einem ersten Schusswaffengebrauch gekommen war. Versuchter Mord - so was kam öfter mal vor. Außerdem hat man es im Polizeipräsidium lange nicht für möglich gehalten, dass es sich bei den Liebespärchen-Räubern im Westen um die gleichen Täter wie bei den Autofallen im Osten handeln könnte. Bis zu fünfzig Kilometer liegen die Tatorte auseinander. Seit Dezember 1936 muss dennoch als sicher gelten, dass Kommissar Busch recht hat: Die beiden Räuber - und mehr als zwei Maskierte sind nirgendwo aufgetreten - haben im Grunewald wie auf der Reichsstraße 1 mit der gleichen Waffe geschossen, vermutlich ein Trommelrevolver älterer Bauart mit glattem Lauf. Allerdings verfügen sie seit dem vergangenen Sommer über eine zweite Waffe, die bei einem weiteren Raub am Kleinen Stern erbeutete Walther PPK 7,65 Millimeter.

Kein Wunder, dass die Spurensuche im Grünauer Forst besonders gründlich ausfällt. Mit Erfolg. Die aus Herrmanns Dienstpistole abgeschossene Kugel wird gefunden. Vier weitere Patronen aus der Waffe, die nach dem ersten Schuss eine Ladehemmung hatte, liegen verstreut auf dem Waldboden. Außerdem findet sich eine Hülse 7,65 Millimeter, zu der die Bleikugel passt, die der Gerichtsmediziner aus Herrmanns Wirbelsäule herausoperierte.

Am Nachmittag des Gründonnerstag sitzt Prof. Dr. Brüning in der Preußischen Landesanstalt für Chemie lange vor dem Mikroskop und vergleicht immer wieder die Spuren an den Geschossen miteinander, die aus drei verschiedenen Überfällen stammen. Am Ende seiner Untersuchungen hat er keinen Zweifel mehr: Alle drei Geschosse sind mit der gleichen Waffe abgefeuert worden.

Als er sein Ergebnis dem Kriminalrat Gennat durchgibt, dem legendären Mordkommissar vom Alex, schnauft der beleibte Mann nur ärgerlich. «War nicht anders zu erwarten. Jetzt haben wir das dicke Ei im Nest.»

WEISSE OSTERN

«IST ES GRÜN zur Weihnachtsfeier, fällt Schnee auf die Ostereier», zitiert Hermann Kappe beim Familienfrühstück am Ostersonntag. Weihnachten 1936 war grün ausgefallen, jetzt bläst der kalte Ostwind tatsächlich ein paar Schneeflocken in den engen Hof in der Frankfurter Allee, auf den man aus dem Küchenfenster blickt. Wahrscheinlich will Kappe sich damit trösten, denn ursprünglich hatten sie ja vorgehabt, raus in die Müggelberge zu fahren, um dort die Ostereier für die Kinder zu verstecken. Doch Margarete, mit ihren neunzehn Jahren eigentlich schon zu alt für den BDM (und für das Ostereiersuchen natürlich auch), unternimmt mit ihrer Mädelschaft eine Heimatwanderung durch die Neumark, und für Kappe ist über die Feiertage Bereitschaftsdienst angesetzt. Draußen in Müggelheim und überall sonst, wo die Straßenräuber schon mal aufgetaucht sind, dürfen frierende Beamte aller Schattierungen Streife laufen und fahren. Die Osterspaziergänger werden die Wälder meiden, nachdem überall die Fahndungsplakate für den Mörder des Polizeioberwachtmeisters Herrmann hängen.

Sogar Klara Kappe, sonst nicht die Ängstlichste, macht sich diesmal Sorgen um ihren Angetrauten. «Deine gewöhnlichen Mörder erschießen mal einen, und damit ist es gut», sagt sie altklug.

«Aber die hier sind ja richtig gefährlich. Man müsste solche Berufsverbrecher ein für alle Mal wegsperren, das wäre das Beste!»

Und dir ein für alle Mal den Mund zu solchen Themen verbieten, das wäre das Allerbeste, denkt Kappe grantig. Nicht genug, dass er sich solche Sprüche im Präsidium tagtäglich anhören muss – jetzt fängt es auch schon in der eigenen Familie an. Als wären alle sogenannten Berufsverbrecher Mörder und alle Mörder von vornherein Berufsverbrecher!

«Wir haben in unserer Rotte darüber gesprochen», fängt nun auch Hartmut an zu klugscheißen. «Wenn man uns mit scharfen Waffen ausrüsten würde, könnten wir die Waldgebiete generalstabsmäßig durchkämmen und würden die Mörder bestimmt fangen.»

«Und euch dabei gegenseitig totschießen oder verwunden!», sagt Kappe. «Du wirst noch früh genug an scharfen Waffen ausgebildet werden.» Rotte, wie das schon klingt! Dass aus seinem Sohn mal ein Oberrottenführer wird, hat er sich nie vorgestellt. Und der zehnjährige Karl-Heinz gehört bei den Pimpfen einer Horde an!

Hartmut gibt nicht auf. «Wenigstens einen Tesching könntest du mir bewilligen», murrt er.

Da lacht sogar der Kleine. «Damit kannste höchstens auf Spatzen schießen, aber keine Verbrecher jagen!» Um Zustimmung heischend, sieht Karl-Heinz seinen Vater an.

Der sagt: «Schluss mit dem Thema! Heute ist erster Osterfeiertag, da schweigen alle Waffen.»

Jedenfalls möchte er das gerne. Das Bild des erschossenen Kollegen geht ihm nicht aus dem Sinn. Wer will schon so enden? Ein Beifahrer, den die Räuber im November angeschossen und ausgeraubt hatten, war erst vor drei Wochen als Invalide aus dem Krankenhaus entlassen worden. Und am 19. Februar, fünf Wochen nach dem Spektakel von Hangelsberg, hatten die Autoräuber wieder mit größter Dreistigkeit eine Baumfalle errichtet. Acht Fahrzeuge sammelten sich auf beiden Seiten, doch die Räuber blieben unsichtbar - verscheucht vom ersten Pkw mit einer Polizeinummer. Seitdem hatten sie sich noch nicht wieder gerührt.

Für die Kriminalgruppe M ist das Jahr 1937 anfangs ruhig verlaufen. Den dreifachen Mörder aus der Joachimstraße haben sie wie erwartet mit ihren gewohnten kriminalpolizeilichen Methoden innerhalb von drei Tagen zu einem Geständnis gebracht, und Gennat und seine Mannen dürfen sich wieder allgemeiner Anerkennung erfreuen. Das ist auch nötig, denn der Druck auf die Kriminalpolizei von Himmlers und Heydrichs Seite verstärkt sich seit Schaffung der Sicherheitspolizei, kurz Sipo, spürbar. Das Geschwafel über notwendige rassenbiologische Voraussetzungen und weltanschauliche Bekenntnisse jedes einzelnen Beamten nimmt überhand. Bezüglich seines und Klaras «arischen Nachweises» braucht Kappe keine Schwierigkeiten zu befürchten. Die Kirchenbücher in Wendisch Rietz bestätigen die urdeutsche Abstammung. Mit einer kleinen Ausnahme: Klaras Großvater war unehelich geboren und erst als Achtjähriger von dem späteren Ehemann der Urgroßmutter anerkannt worden. Kappe kann rechnen. Der Großvater war 1841 geboren, sein vorgeblicher Erzeuger 1827. Aber niemand hatte den vierzehnjährigen Vater beanstandet.

Klara hat vorgeschlagen, die Ostereiersuche in den nahen Friedrichshain zu verlegen, wozu die beiden Jungen nicht die geringste Lust verspüren. Hartmut vertieft sich gleich nach dem Frühstück in die dickleibige Urvätersaga von Hans Friedrich Blunck, Karl-Heinz will den Tag lieber mit immer neuen Angriffen seiner Soldaten auf die Pappmaché-Burg verbringen. Kappe selber gibt angesichts des Schneegestöbers vor, das Haus nicht verlassen zu dürfen, für den Fall, dass er zum Dienst gerufen wird.

Das ist natürlich Unsinn. Wie Alfons Busch von der Inspektion E in mühsamer Kleinarbeit herausgefunden hat, sind bisher Donnerstag bis Sonnabend die bevorzugten «Arbeitstage» der Räuber gewesen, sonntags und montags sind sie nur je einmal aktiv geworden, und das - wie bei allen ihren Unternehmungen - stets abends. Dabei sind die Kerle bei aller Brutalität offensichtlich nicht auf das ganz große Geld aus. Eine gut organisierte Bande ist das todsicher nicht. Die würde sich lohnendere Ziele aussuchen. Einmal haben die Täter den letzten Linienbus der BVG von Müggelheim nach Köpenick gekapert und versucht, an die Einnahmen des Schaffners zu kommen. Die beiden gewitzten BVGer schüttelten die Banditen im wahrsten Sinne des Wortes ab, ohne das Geld rauszurücken. Auch in dem Bus hatte einer der Räuber geschossen, die Kugel fand sich in der Rückenlehne des Fahrersitzes.

Die Kerle schrecken wirklich vor nichts zurück. Dabei fällt die Beute oft genug sehr bescheiden aus. Welches Liebespärchen im Grunewald trägt größere Geldbeträge mit sich herum? Ein Wunder überhaupt, dass immer noch welche so unvorsichtig sind, es dort im Auto miteinander zu treiben. Die zahlreichen Polizeistreifen stoßen immer wieder auf solche sorglosen Zeitgenossen.

Im Präsidium ist es kein Geheimnis, dass der Kommissar Busch selber oft mit seiner jungen Frau zum Kleinen Stern fährt und dort lange Abende und kalte halbe Nächte im Wagen verbringt, ohne dass die Räuber bisher aufgetaucht sind. Stattdessen geht vermutlich der Überfall auf die Stationskasse des S-Bahnhofs Grunewald auf ihr Konto.

Kappe grient vor sich hin. Das wäre was für Klara: mit ihm in inniger Umarmung in einem engen Auto zu hocken und auf einen bewaffneten Überfall zu warten! Der Führer hat es befohlen, kann er ihr ja weismachen, dass die Ehefrauen nationalsozialistischer Beamter ihre volle Einsatzbereitschaft zu zeigen haben! Ein Orden ist sicher, wenn das Lockvogelspiel gelingt …

Besser nicht! Auf seine seltenen Späße hat Klara noch nie beifällig reagiert. Kappe setzt sich an den Schreibsekretär und versucht, an etwas anderes zu denken als an den ewigen Dienst. Der Berliner Lokal-Anzeiger, den ihm Karl-Heinz vom Kiosk geholt hat, meldet nichts Aufregendes, sieht man davon ab, dass in der letzten Woche eine Bande von achtzig Hehlern und Einbrechern verurteilt worden ist, die vornehmlich im Westen Berlins ihr Unwesen getrieben hatte. Wo sonst? Das Geld ist nun einmal in Charlottenburg, Wilmersdorf und Zehlendorf zu Hause und nicht östlich und nördlich vom Alex, wo die Ganoven wohnen und die alten Ringvereine in den letzten Zuckungen liegen. Denen ist es seit 1933 an den Kragen gegangen. Berufsverbrecher eben, auf die es die neue Staats- und die Polizeiführung besonders abgesehen haben. In den KZs sitzen etliche der alten Garde, weitere Aktionen sind angedroht.

Gennat, dessen Gesundheitszustand seinen Untergebenen in letzter Zeit ziemliche Sorgen bereitet, hat nur trocken gelacht, als von seinem Dezernat Listen für in Vorbeugehaft zu Nehmende angefordert wurden. Mörder gelten erst nach der Tat als Verbrecher, hat er geknurrt. Ich wüsste trotzdem, wen wir hoppnehmen müssten …

Über Pommern hat ein Schneesturm getobt, liest Kappe. Berlin ist noch mal gut weggekommen. Heiter und kühl verspricht das Wetter zu bleiben. Alle vor 1933 geprägten Silberstücke, die sogenannten Wagenräder, verlieren am 1. April 1937 ihre Gültigkeit. Künftig gelten nur die Neuprägungen der Zwei- und Fünfmarkstücke mit dem Konterfei Hindenburgs und der Potsdamer Garnisonkirche.

Schließlich entdeckt Hermann Kappe doch noch einen Artikel, der ihn interessiert: Große Deutsche, die unter dem Zwei-Kinder-System nicht gelebt hätten. Auf was die alles kommen, um die Fruchtbarkeit des Volkes, angeblich ohne Raum, zu mehren! Er braucht sich mit seinen drei Gören nicht angesprochen zu fühlen, außerdem sind Klara und er ja aus dem Alter glücklicherweise raus. Aber die zarte Margarete - will er sich seine Tochter als sechsfache Mutter vorstellen? Oder Hartmut als vierfachen Vater? Hermann Kappe der Ahnherr einer Horde von Pimpfen und Jungmaiden?

Die Argumente in dem Artikel klingen überzeugend. Bei nur zwei Kindern pro Familie hätte Deutschland auf Albrecht Dürer, Friedrich den Großen, auf Kant, Bismarck und Richard Wagner verzichten müssen.

Auf Hermann Kappe nicht, denkt er beruhigt. Nach seinem Bruder Oskar ist er der Zweitgeborene. Pauline ist vier Jahre jünger, und schon in ihrer Kindheit hatte Oskar gelästert: Wenn Schwestern notwendig sind - warum hat der liebe Gott dann keine? So weit geht Hermann Kappe nicht. Er mag Pauline und ihren Mann, den Koch Hans Achtow, auf seine Art. Nur dass die beiden neben der hübschen Tochter Hildegard einen Dumpfbeutel wie den Sohn Max gezeugt haben, ist unverzeihlich. Kappe schüttelt sich, wenn er an den ebenso aufgeblähten wie dämlichen Neffen denkt, der ihm zuletzt in SS-Uniform begegnet ist. In manchen Familien genügen wirklich zwei Kinder!

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
221 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783955520144
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